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Kindheit auf dem Millionärshügel

(Max) Hans Schindler kam 1896 als jüngstes von vier Kindern – einem Mädchen, drei Buben – zur Welt. Die ersten fünf Jahre verbrachte er im Patrizierhaus Talgarten am Talacker. Nach dem Umzug in den «Wyggisser» besuchte er eine private evangelische Primarschule, in der biblische Geschichten eine grosse Rolle spielten. Gemäss seiner autobiografischen Aufzeichnungen wurde grosser Wert auf Gehorsam und Genauigkeit gelegt, während selbstständiges Handeln und Denken nicht gefördert wurden. In der Schule wie auch zu Hause wurde nicht über Standesunterschiede gesprochen, dennoch waren sie spürbar. Die Schindler-Kinder trugen in der Primarschule zuweilen Matrosenkleider, die extra aus Deutschland beschafft wurden. Die Kinder vom «Millionärshügel», wie die Gegend über dem Stadelhofen genannt wurde, lebten in ständiger Angst vor den «Gassenbuben» in der weiter unten gelegenen Merkurstrasse. «Wir beiden jüngeren Brüder mit unseren Eaton-Kragen waren auffälliger für die Nachbarn, als wir selbst ahnten», schrieb Schindler später. In der Villa wohnten zwei Dienstmädchen, eine Köchin und ein Gärtner. Zudem kamen alle vier Wochen für ein paar Tage die Wäscherinnen und Glätterinnen vorbei. Die Beziehung zum Dienstpersonal war distanziert. Als Freunde kamen nur Kinder aus wohlhabenden Familien infrage. Ein Kommentar seines Vaters brannte sich bei Hans Schindler besonders ein: «Als etwa 12-jähriger Knabe hörte ich meinen Vater von einem Mann sagen, er habe eine Kellnerin geheiratet. Das war etwa so schlimm, wie wenn der Mann wegen Betrugs im Gefängnis gesessen hätte.»

Die vier Kinder wuchsen in einer behüteten Atmosphäre auf. Sie fürchteten sich jedoch vor ihrem übermächtigen Vater. Er war ein Schwerarbeiter, dem die Erfolge nicht einfach so in den Schoss fielen. Hans Schindler schrieb über ihn: «Er sah überall Pflichten, andererseits hatte er Angst vor den Versuchungen des leichten, üppigen Lebens. Er wollte seine Söhne durch strenge Erziehung davor bewahren.» Mit zunehmendem Alter nahm er immer mehr die Rolle des regierenden Patriarchen ein, nicht nur als Generaldirektor der Maschinenfabrik Oerlikon. Die Mutter war voll Liebe für die Kinder und versuchte, sie vor brutalen Übergriffen des Vaters zu bewahren. Sie behielt ihren kritischen Geist und war versöhnlich gegenüber Andersdenkenden. Die Kinder suchten oft Schutz bei der Mutter, die ihnen das Vertrauen gab, dass sie bei ihr immer willkommen waren. Sie waren deshalb umso stärker bemüht, die fürsorgende Liebe der Mutter nicht zu verletzen. Wie Hans Schindler in seinen Memoiren schreibt, prägte diese Konstellation die Kinder nachhaltig: «Das waren zwei Einflüsse, die uns bis ins reife Alter hinein vor Abenteuern bewahrten, uns allerdings auch hinderten, Konventionen zeitig über Bord zu werfen.» In der Familie galten Leistung, Benehmen, die Pflege von Familientraditionen und der Verzicht auf persönliche Freiheiten als oberste Maxime.

Anders als bei reichen Leuten üblich, etwa im Haus der Grosseltern Huber, fand im «Wyggisser» kaum gesellschaftliches Leben statt. Obwohl Dietrich Schindler in die höchsten Zürcher Kreise eingeheiratet hatte, war das gesellschaftliche Prestige noch nicht voll ausgebildet, so jedenfalls nahm er es wahr. Der Vater von Hans Schindler versuchte dieses Defizit mit zäher Arbeit auszugleichen – ganz im Sinne des sogenannten zwinglianischen Geistes in Zürich. Nur einmal wurde ein Ball für die heiratsfähige Tochter Gertrud veranstaltet. Gemäss Erinnerungsbericht von Hans Schindler hatte sein ältester Bruder dazu nur gemeint, es sei ein «typischer Ball in einem Parvenu-Haus» gewesen.

Wenig Harmonie unter den Geschwistern

Zur oft angespannten Stimmung im Haus trugen auch die unaufhörlichen Zankereien unter den Geschwistern Dietrich (Dieter), Gertrud (Trudy), Werner und Hans bei. Die Differenzen legten sich auch im Erwachsenenalter nicht. Gemäss Hans Schindler hatte nur die drei Jahre ältere Schwester Gertrud den dominanten Charakter des Vaters geerbt. Sie habe aber die Herrschaft über andere Menschen in sehr konziliante Formen zu kleiden gewusst. Nach ihrer Ausbildung zur Krankenschwester am Kinderspital Zürich hatte sie den Wunsch, in einer Umgebung zu wirken, in der sie niemand kannte. Das Leben in der Upperclass gefiel ihr nicht, so ihre Tochter in einer Erinnerungsschrift. Sie ging unter anderem als Sozialhelferin in eine ärmliche Gegend von Chicago. 1921 heiratete sie den Arzt Theodor Haemmerli und führte mit ihm die Clinique Valmont in Glion. Zurück in Zürich engagierte sie sich stark für Frauenanliegen. So gründete sie unter anderem den Verein Mütterhilfe, war am Aufbau des Zivilen Frauenhilfsdiensts in Zürich beteiligt und von 1942 bis 1946 Präsidentin des Schweizerischen Zivilen Frauenhilfsdiensts. Sie präsidierte von 1947 bis 1954 die Frauenzentrale Zürich, später den Bund Schweizerischer Frauenvereine, war in den 1950er-Jahren in der Direktion des Schweizerischen Roten Kreuzes und half 1958 bei der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit mit. Offensichtlich war Getrud Haemmerli-Schindler eine Führungspersönlichkeit, wie Hans Schindler sie vielleicht gerne gewesen wäre oder zumindest hätte sein sollen, wenn es nach seinem Vater gegangen wäre.

«Bruder Dietrich war der intelligenteste, er rettete sich aus dem Herrschaftsbereich des Vaters, indem er eine akademische Laufbahn ergriff», schreibt Hans Schindler über seinen ältesten Bruder. Dietrich hätte auf Wunsch der Eltern als ältester Sohn die Nachfolge seines gleichnamigen Vaters in der MFO antreten sollen. Sie schickten ihn deshalb in die gymnasiale Industrieschule. Statt anschliessend an der ETH zu studieren, entschied er sich jedoch für die Juristerei, was ihn neben Zürich zwischenzeitlich auch an die Universitäten von Berlin und Leipzig brachte. Für seinen kleineren Bruder Hans öffneten die Briefe aus Deutschland damals den Blick in die grosse Welt und waren ein «Erziehungsmittel». Sie liessen in ihm den Wunsch aufkommen, später ebenfalls ins Ausland zu gehen. Trotz dieser ersten kleinen Flucht trat Dietrich Schindler 1916 in die MFO ein und war vor allem in Genf und in Frankreich mit rechtlichen Fragen beschäftigt. Er fand aber keine innere Befriedigung und konnte sich mithilfe seines Onkels Max Huber endgültig von seinem Vater und der Firma lösen. Dietrich Schindler wurde schliesslich Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, später kamen Völkerrecht und Rechtsphilosophie dazu. Er verfasste Gutachten zur Neutralitätspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und nahm 1946 als Delegierter an den Verhandlungen zum Washingtoner Abkommen teil. In seinem Tagebuch beklagt er sich bitter über seine Eltern. Sie seien «so ungesellschaftlich als möglich» gewesen und hätten den Umgang mit anderen Menschen nicht gefördert. Er habe deshalb «die zürcherische Knorzigkeit» nicht überwinden können, und seine emotionalen Anlagen seien nicht vollständig entwickelt. Dies dürfte wohl auch auf seinen Bruder Hans zugetroffen haben, der aber mit seiner charmanten Art diese Defizite überdecken konnte.

Mit dem sehr sensiblen Bruder Werner, der nur ein Jahr älter war, hatte Hans Schindler später am meisten zu tun, weil auch er sich später in die MFO «einspannen liess», wie Hans Schindler es ausdrückte. Er litt allerdings stark darunter, dass er von seinem Vater nie voll anerkannt und Hans ihm vorgezogen wurde. Werner Schindler machte eine kaufmännische Ausbildung und reiste ganz im Sinne von Lehr- und Wanderjahren längere Zeit durch Europa, Nord- und Südamerika. Er war sehr belesen und fühlte sich besonders zu theologischen und philosophischen Werken hingezogen.

Die Geschwister wuchsen in einer sehr frommen Umgebung auf. Insbesondere Grossmutter Elise Schindler-Escher und ihre Schwester Pauline Escher wirkten mit einem gewissen missionarischen Eifer. Vor allem die Töchter und Schwiegertöchter litten unter der «Mischung aus Zwängerei und Frömmigkeit». Hans Schindler erinnert sich, wie er und die anderen Enkel jeweils am Mittwochnachmittag in der Villa «zum oberen Engenweg» (heute: Gemeinschaftszentrum Schindlergut) versammelt wurden, um im grossen Garten oder in der hinteren Stube zu spielen. Die Stimmung glich derjenigen eines «patriarchalen Gutsbetriebs». Abends mussten sie Körbe voller Sauerkraut und missionarische Zeitschriften nach Hause tragen. Grosstante Pauline Escher finanzierte noch im hohen Alter einen Kirchenbau der orthodoxen Minorität Unterstrass, einer evangelikalen Gemeinschaft, die sich für eine wortgetreue Auslegung der Bibel einsetzte. Der Bekanntenkreis der Familie bestand standesgemäss nur aus Protestanten, Katholiken waren wenig angesehen: «Der Katholizismus ist recht für Dienstmädchen», soll der Vater stets gesagt haben. Die Ansichten im Haus der Grosseltern Huber waren offener und sehr liberal. Peter Emil Huber beschäftigte sehr viele Juden in seinen Unternehmen. Von dem damals grassierenden Antisemitismus und Nationalismus war nichts zu spüren. Seine Frau, Anna Marie Huber, war Gründungspräsidentin des Frauenvereins für Mässigkeit und Volkswohl (später: Zürcher Frauenverein), der sich unter der Ägide von Susanna Orelli-Rinderknecht mit dem Betrieb von alkoholfreien Kaffeestuben für die Verbesserung der Volksgesundheit und für die Besserstellung der Frau in gastgewerblichen Berufen einsetzte.

Die Freiheit währt nur kurz

1909 kam Hans Schindler ins Kantonale Gymnasium, das er als anregend und befreiend empfand. Endlich war kritisches Denken gefragt. Mit neunzehn Jahren meldete er sich ein Jahr früher als üblich zum Dienst in der Armee, da er schon als Knabe vom Militär geschwärmt hatte – sehr zur Missbilligung der «wirklichkeitsnahen» Grossmutter Huber. In der Rekrutenschule und im ersten Aktivdienst «balancierte» er zwischen seiner Rolle als Unteroffiziersanwärter und Kamerad der Mitsoldaten aus Arbeiterkreisen. Danach absolvierte er die typische Offizierslaufbahn. Seine Vorgesetzten waren allerdings von seinen militärischen Führungsqualitäten nicht sonderlich überzeugt und hielten ihn zu einer strengeren Hand an. Zudem liess sein Orientierungssinn im Gelände zu wünschen übrig. Er war allerdings zu ehrgeizig, um sich mit dem Grad eines Kompaniekommandanten zu begnügen. Zuletzt befehligte er im Zweiten Weltkrieg als Oberstleutnant ein Grenzbataillon.

Kurz vor dem Studium wollte Schindler im Welschland sein Französisch aufbessern. Man schickte ihn für kurze Zeit zum Pfarrer in Genthod bei Genf. Beim Studienfach liessen ihm die Eltern freie Wahl. Er entschied sich 1916 für ein Chemieingenieur-Studium an der ETH Zürich. Ob seine Studienwahl mit seinem Onkel Martin Schindler-Escher zusammenhing, der bei der Aluminium Industrie Aktiengesellschaft (AIAG) als Generaldirektor wirkte, ist nicht bekannt, wäre aber durchaus denkbar. Bei der AIAG in die Fussstapfen seines Chemiker-Onkels zu treten, wäre allerdings nach dem Rauswurf von Martin Schindler als Generaldirektor im Jahr 1920 kaum mehr möglich gewesen. Aus der Matrikel geht hervor, dass Hans Schindler sein Studium im gleichen Jahr mit der hervorragenden Gesamtnote von 5,59 abschloss. Die Freifächer, die der Student neben dem Hauptstudium wählte, zeigen anschaulich, wofür er sich sonst noch interessierte: für Militärisches (u. a. «Taktische und technische Entwicklung des Stellungskrieges von Napoleon bis zur Gegenwart») und für philosophische Fragen (u. a. «Einleitung in die Philosophie», «Rousseau, der Genfer Republikaner über Gesellschaft, Naturzustand und Naturerziehung»).

Mit dem Diplom in der Tasche war der Weg ins Ausland endlich frei. Hans Schindler ging 1920 für seine Promotion nach Cambridge und danach als Postdoktorand ans Collège de France in Paris. Welch eine Befreiung! Erstmals befand er sich nicht im Machtbereich des Elternhauses. Anfänglich fand er in England nur Zugang zu indischen Studenten und den Kollegen aus dem Labor. Über das Cellospiel knüpfte er schliesslich auch gute Kontakte zu musikbeflissenen Engländern und «dear old ladies», die gerne einem Musikquartett in ihrer Wohnung lauschten. Mit Boris Ord, dem Leiter des Knabenchors am King’s College, durfte er als Cellist an einem fantasiereichen Musikschauspiel mitwirken. Schindler empfand endlich das «volle, unbeschwerte Leben».

1924 war die kurze Zeit der Freiheit allerdings vorbei. Sein Vater, flankiert vom späteren Verkaufsdirektor F. E. Hirt, machte ihm den Vorschlag, in die MFO einzutreten. Und Hans Schindler willigte ein. Warum? Einerseits wohl aus der antrainierten Pflicht zum Gehorsam, andererseits auch aus einer Unsicherheit heraus, da ihn die Laufbahn als Chemiker in unbekanntes Gefilde geführt hätte. Im Nachhinein war für ihn aber klar: «Das war eine Weichenstellung, die für mich nicht von gutem war.» Sogar seine Mutter hatte ihm abgeraten, diese Stelle zu übernehmen. Er war nun «eine Figur im Machtspiel des Vaters» und musste ab diesem Zeitpunkt als präsumtiver Nachfolger des Vaters «Kronprinz» spielen. In Paris erhielt er eine Schnellbleiche in Elektrotechnik an der École supérieure d’électricité und verbrachte wenige Praxiswochen in der von Hirt geleiteten französischen Tochterfirma, bevor er im Mutterhaus in Oerlikon ab 1925 erste Aufgaben übernahm. Er arbeitete ein paar Jahre im chemischen Labor, dann war er inoffizieller Adjunkt beim technischen Direktor, zuletzt im Büro des Vaters.


Hans Schindler mit seinem Vater Dietrich, 1921.

Heirat mit Ilda Baumann

1928 heiratete Hans Schindler die neun Jahre jüngere Ilda Baumann. Zuvor hatte seine Mutter zweimal von einer Heirat mit anderen Frauen abgeraten, dieses Mal hatte er sich schon entschieden, «und das Fragzeichen der Mutter blieb ohne Wirkung». Ildas Vater Moritz Baumann-Naef war einer der führenden Köpfe in der Schweizerischen Wagons- und Aufzügefabrik Schlieren. Ilda wuchs mit ihrem Bruder Walt und ihrer Schwester Vera in der «Palme» auf, einem Herrschaftssitz mit Umschwung, den ihr Urgrossvater Caspar Baumann, ein Seidenfabrikant, 1862 erworben hatte. Das Anwesen lag auf den ehemaligen Bleicherwiesen zwischen Zürichsee und Bleicherweg, umgeben vom pulsierenden Stadtleben. Ilda stammte aus einer ausgesprochen sportlichen Familie. So gehörten die Baumanns zu den allerersten Skifahrern. Vater Moritz galt gar als sportlicher Draufgänger, der seine Ausdauer und Geschicklichkeit gerne auch mit Wetten unter Beweis stellte. Tochter Ilda erbte das sportliche Talent und war eine sehr begabte Alpinistin und Reiterin.


Familie Baumann in Adelboden, um 1910.

Ilda Baumann studierte – nach der Matura am privaten Freien Gymnasium Zürich – in München Gesang und Geige, brach das Studium allerdings ab, da ihr das Talent zur Spitzenmusikerin fehlte. Zurück in Zürich spielte sie in diversen Kammermusikformationen Geige. Beim gemeinsamen Musizieren lernte sie schliesslich Hans Schindler kennen, der Cello spielte – weil sein Vater hohe und kratzende Geigentöne hasste. Sie fanden offenbar Gefallen aneinander. Hans Schindler imponierten Ilda Baumanns Intelligenz und Eigenständigkeit. Sie war keine Frau, die sich einfach dem Mann unterordnete. In den späteren Tagebüchern, als die Ehe schon zerrüttet war, bemerkte er einmal, dass er damals eine Frau heiraten wollte, die auf seine Umgebung Eindruck machen würde. Und das tat sie zweifellos. Über ihre Motivation weiss man weniger – ebenso über gegenseitige Gefühle. Gesellschaftlich passten sie aufgrund der Stellung ihrer beiden Väter in der Zürcher Wirtschaftselite jedenfalls sehr gut zusammen. Noch im Jahr der Hochzeit 1928 wurde das erste Kind, Werner, geboren. Es folgte Annemarie 1930. Doch Ilda Schindler wollte nicht nur Hausfrau und Mutter sein. Und so nahm sie nach der Geburt des zweiten Kindes ein Medizinstudium auf, das sie 1937 als 32-Jährige mit der Promotion erfolgreich abschloss. Hans Schindler stand diesem Unabhängigkeitsdrang nicht im Wege. Er spürte, dass seine Frau als klassische Hausfrau nicht glücklich werden würde. Noch während des Studiums war 1935 das dritte Kind Peter geboren worden. Besonders schmerzvoll war für Ilda Schindler der Tod des vierten Kindes Rudolf, das erst halbjährig im Frühling 1939 verstarb. Immer wieder erwähnte sie in Briefen an ihre Freundin Sus Öhman die seelischen Qualen: Das Leben gehe unerbittlich weiter, und sie müsse die «normale Maske» aufsetzen. Sie freue sich jeweils auf die Nacht, wenn sie unter der Decke ungehemmt weinen könne. Sie versuchte aber, den Kummer für sich zu behalten, um ihren Mann Hans damit nicht zu belasten.

Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete Ilda Schindler als Ärztin in der Poliklinik unter Prof. Paul Henri Rossier am Kantonsspital Zürich, mit kürzeren Pausen während weiterer drei Schwangerschaften mit Hans (geb. 1940), Elisabeth (geb. 1943) und Ruth (geb. 1944). Durch die Abwesenheit vieler Männer während der Mobilmachung im Krieg konnte Ilda Schindler sehr schnell verantwortungsvolle Positionen übernehmen, was jedoch auch sehr viel Arbeit bedeutete. Als Ehefrau eines Wirtschaftsführers war ihre berufliche Karriere zu dieser Zeit doch ziemlich ungewöhnlich – und anstrengend. Sie befand sich in einer Dreifachrolle als Mutter von sechs Kindern, als Industriellengattin mit repräsentativen Aufgaben und als praktizierende Ärztin. Dazu kamen ihre zum Teil sehr ambitionierten sportlichen Aktivitäten, die wohl auch als Ausgleich dienten. Der Effekt war, dass beide Eltern oft nicht zu Hause waren. Doch die Mittel für einen gut organisierten Stab an Bediensteten, insbesondere auch für die Kinderbetreuung, waren natürlich vorhanden. Bevor die Familie Anfang 1938 in den «Wyggisser» – die repräsentative Fabrikantenvilla des verstorbenen Vaters von Hans Schindler – zog, wohnte sie bis Mitte der 1930er-Jahre im frei stehenden, spätklassizistischen Mehrfamilienhaus Bürgli in Zürich Enge.

Hans Schindler bezeichnet in seinen Memoiren die Heirat mit Ilda Baumann als «wohl ernsteste Fehlhandlung meines Lebens». Er musste feststellen, wie heikel und wenig lenkbar das menschliche Zusammenleben ist. Schon in den ersten Jahren der Ehe fehlte die gegenseitige Liebe. Trotzdem blieben die beiden bis 1959 zusammen – «vom familiären und gesellschaftlichen Rahmen gehalten». Scheidungen waren nicht opportun.


Hans Schindler und Ilda Schindler-Baumann als frisch vermähltes Paar, 1928.


Hans und Ilda Schindler in den Ferien im Wallis, um 1930.

Einstieg in die Firma

Als Hans Schindler 1925 in die MFO eintrat, fand er sich in einem Unternehmen wieder, das massgeblich durch seine Verwandten mütterlicherseits und seinen eingeheirateten Vater geprägt worden war. Ihren Erfolg verdankte die Maschinenfabrik Oerlikon der Schwierigkeit der Firma Escher Wyss, hochwertige Schmiedestücke zu beschaffen. Der damals in der Dampfmaschinen- und Schiffbauabteilung tätige Peter Emil Huber-Werdmüller und der englische Ingenieur M. M. Jackson kamen deshalb auf die Idee, eine eigene Zulieferfirma zu gründen. Sie kauften eine Wiese beim Bahnhof Oerlikon und starteten 1863 mit der Produktion von Gussteilen. Als in England wesentlich billigere Wellen und Kurbeln hergestellt werden konnten, standen die Öfen ab 1867 still. 1872 übernahmen die Werkzeugmaschinenbauer Daverio, Siewerdt & Giesker aus Rorschach die Liegenschaft und verlegten ihre Produktion vom Bodensee nach Oerlikon. Nach diversen Reorganisationen gründete schliesslich erneut Peter Emil Huber 1876 die Aktiengesellschaft Werkzeug- und Maschinenfabrik Oerlikon, mit Friedrich Adolf Siewerdt als erstem Werkstattleiter. Erster Verkaufsschlager wurde ein Porzellanwalzenstuhl, der das Getreide schonender und schneller mahlte als herkömmliche Mahlsteine. Daneben stellten sie unter anderem Drehbänke, Kräne sowie Bohr-, Fräs- und Schleifmaschinen her. 1884 gelang es Huber, seinen ehemaligen Meister bei Sulzer nach Oerlikon zu holen. Charles Brown eröffnete die elektrische Abteilung und brachte seine Söhne Charles Eugene und Sidney Brown als Techniker mit. Nachdem sein Vater das Unternehmen nach wenigen Monaten bereits wieder verlassen hatte, übernahm Charles E. Brown die Leitung der Abteilung. Ab 1885 assistierte ihm Walter Boveri als Montageleiter. Mit der erfolgreichen Gleichstromübertragung bei einem aufsehenerregenden Wirkungsgrad von über siebzig Prozent zwischen den acht Kilometer auseinanderliegenden Ortschaften Kriegstetten und Solothurn gelang ihnen 1886 ein Meisterstück, das die Fabrik international bekannt machte.

Bald war den Ingenieuren bei der MFO klar, dass die Stromübertragung über noch weitere Strecken nur mit hochgespannten Wechselströmen möglich ist. Doch die hohen Spannungen lösten grosse Ängste aus, und Pioniere wie Thomas Alva Edison favorisierten den Gleichstrom. Die Organisatoren einer internationalen elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt hatten allerdings die Absicht, mit einem gross angelegten Versuch mit Wechselstrom die Systemfrage zu entscheiden. Da vielen Herstellern der Mut fehlte, durften am Schluss die MFO und die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) die Versuchsanlagen bauen. Tatsächlich gelang es ihnen im August 1891, die Energie störungsfrei zwischen dem Kraftwerk Lauffen am Neckar und dem 175 Kilometer entfernten Frankfurt mit einem Wirkungsgrad von 75 Prozent zu übertragen. Die MFO gelangte mit ihrer elektrotechnischen Abteilung zu Weltruhm, der ihren hervorragenden Ruf begründete und die Auftragsbücher füllte. Gerade in der Schweiz war die Gewinnung des «weissen Golds» und die wirkungsvolle Stromübertragung von Kraftwerken in den Alpen zu den Verbrauchern in den wachsenden Städten ein Gebot der Stunde. Doch auch international war die Nachfrage enorm. Insbesondere der Bau von Generatoren florierte, aber auch Zubehör wie Transformatoren und Schaltanlagen war gefragt. Die gefeierten Ingenieure Charles E. Brown und Walter Boveri verliessen jedoch noch im gleichen Jahr die Firma und gründeten mit der Brown, Boveri & Cie. (BBC) in Baden ihre eigene Firma, die sich auf dem Gebiet der Elektrotechnik rasch zur stärksten Konkurrentin der Oerlikoner entwickelte.

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9783039199419
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