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Читать книгу: «Der Mensch und das liebe Vieh», страница 2

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Dank

Es freut mich, dass zwei Kollegen an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen, Christoph J. Amor, Professor für Dogmatik, und Markus Moling, Professor für Philosophie, von diesem Buchprojekt angetan waren und spontan meiner Einladung gefolgt sind, daran mitzuwirken. Uns verbindet nicht nur eine große Naturverbundenheit, die in gemeinsamen Exkursionen und Wildbeobachtungen Ausdruck findet, sondern auch, dass uns philosophische, theologische und ethische Fragestellungen in Bezug auf die Tiere und die Tier-Mensch-Beziehung interessieren. Ich danke den beiden herzlich, dass sie jeweils zwei Beiträge beigesteuert haben, die im Inhaltsverzeichnis sowie im Textkorpus namentlich gekennzeichnet sind, sowie für die konstruktiv kritischen Rückmeldungen zu den einzelnen Abschnitten dieses Buches.

Schließlich gilt mein Dank dem Tyrolia-Verlag für die Aufnahme dieses Titels ins Verlagsprogramm und Frau Brunhilde Steger für die engagierte Betreuung der vorliegenden Publikation.

Widmung

Widmen möchte ich dieses Buch meinem Vater, der aus Überzeugung und mit Herz Bergbauer war. Er ist an den Folgen eines landwirtschaftlichen Unfalls verstorben. Sein Leben und sein Schicksal zeigen, dass das Leben mit und in der Natur schön und erfüllend ist, aber auch rau und hart sein kann. Für eine romantisch-sentimentale Naturbetrachtung bleibt oft wenig Platz. Die Natur ist unser Lebensraum, aber sie ist uns nicht nur freundlich gesinnt. Diese Ambivalenz ist auch der Beziehung zwischen Mensch und Tier eingeschrieben. Darüber und über weitere spannende Fragen nachzusinnen will dieses Buch anregen.


Brixen / Innsbruck, im Frühling 2017 Martin M. Lintner

EINFÜHRUNG
1.Zielsetzung und Aufbau dieses Buches
a) An wen wendet sich das Buch?

Das vorliegende Tierethikbuch richtet sich an einen möglichst großen Personenkreis. Es will auf wissenschaftlichem Niveau und zugleich auf verständliche Weise in die komplexe und interessante Thematik der Tierethik einführen.

Tierfreundinnen und Halter1 von Nutz- oder Haustieren finden viele Hintergrundinformationen zu ethischen und philosophischen Fragestellungen sowie einen Einblick in die aktuellen Debatten in Bezug auf die Tier-Mensch-Beziehung. Es werden Fragen vertieft wie: Welchen moralischen Status haben Tiere? Soll man von der „Würde des Tieres“ sprechen bzw. was kann man darunter verstehen? Welche ethische Relevanz haben die Unterschiede zwischen den verschiedensten Tiergattungen und -arten, welche hingegen die Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen Menschen und Tieren? Ist der Mensch nichts anderes als ein Tier oder ist er ganz anders als ein Tier?2 Sind die Tiere die besseren Menschen und Menschen die schlechteren Tiere? Warum geht der Einsatz für und die Liebe zu den Tieren oft einher mit einer gewissen misanthropischen Grundhaltung? Eingegangen wird auch auf die schwierige, für Tierliebhaber oft schmerzliche Frage, wieso Tiere leiden müssen – und zwar auch unabhängig vom Handeln des Menschen –, oder was wir für die Tiere nach ihrem Tod erhoffen dürfen: Macht es Sinn, Tiere zu beerdigen? Und kommen auch Tiere in den Himmel?

Das Buch möchte aber über die Personengruppe hinaus, die einen direkten Umgang mit Tieren pflegt, eine möglichst breite Leserschaft erreichen, und zwar deshalb, weil die meisten Menschen in unserer Gesellschaft tierische Produkte bzw. Produkte mit tierischen Inhaltsstoffen konsumieren – angefangen von Nahrung, Bekleidung, Haushaltstextilien … bis hin zu Kosmetika, Medikamenten, Klebstoffen, Schaumstoffen usw. Deshalb wirken sich ihr Konsumverhalten sowie ihr Lebensstil auf das Leben von Tieren, auf deren Haltungs- und/oder Schlachtungsbedingungen aus. Das Buch will dafür sensibilisieren, dass jede und jeder als Konsumentin bzw. Konsument eine Mitverantwortung dafür trägt, wie Nutztiere behandelt, gehalten, gepflegt und schließlich getötet werden. Die Position, die in diesem Buch vertreten und begründet wird, ist nicht jene, dass die Tiernutzung radikal abgelehnt wird, sondern dass Tiere so gehalten und gepflegt werden, dass dies sowohl ihren artspezifischen als auch ihren individuellen Bedürfnissen und Vermögen auf der Empfindungs-, emotionalen und kognitiven Ebene gerecht wird.

Eine neuralgische Frage ist und bleibt die nach der ethischen Vertretbarkeit der Tötung von Tieren. Es werden die Bedingungen herauszuarbeiten sein, unter denen die Schlachtung oder die Bejagung von Tieren ethisch vertretbar sein kann. Vertreten wird allerdings die (zu begründende) These, dass das prinzipielle Tötungsverbot über den Menschen hinaus auf bestimmte Tierarten auszuweiten ist, und zwar ohne die Mensch-Tier-Differenz aufzuheben und ohne von den betroffenen Tieren deshalb zu sagen, dass ihnen dieselbe Würde zukommt wie einem Menschen.

b) Warum ein weiteres Tierethikbuch?

Seit einigen Jahren ist der erfreuliche Trend festzustellen, dass immer mehr Menschen für tierethische Fragen sensibel werden und dass es viele diesbezügliche Diskussionen und einschlägige Publikationen gibt. Das vorliegende Buch wird einige dieser Ansätze kritisch diskutieren, erhebt aber nicht den Anspruch, die klassischen wie auch neuere tierethische Positionen systematisch darzustellen.3 Es wird eine Auseinandersetzung stattfinden mit den bio- und tierethischen Konzepten von Albert Schweitzer, Peter Singer, Tom Regan, Martha Nussbaum u. a. Zu Wort kommen werden auch Ethikerinnen und Ethiker wie Richard David Precht, Ursula Wolf, Anne Siegetsleitner, Leonie Bossert u. a. m. Auch in der Theologie wurden die Tiere mittlerweile als wichtiges Thema entdeckt. Eine wichtige Vorreiterrolle spielt der im deutschen Sprachraum wenig rezipierte anglikanische Theologe Andrew Linzey, der sich als Mitglied einer interdisziplinären Gruppe an der Universität Oxford in England gemeinsam mit namhaften Philosophen wie Peter Singer u. a. intensiv mit tierethischen Fragen auseinandergesetzt und schließlich eine eigene Tier-Theologie entwickelt hat.4 Er wurde zum ersten Inhaber eines theologischen Lehrstuhls für Tierethik und gründete 2006 das Oxford Centre for Animal Ethics, dessen Direktor er seither ist. Erwähnenswert ist auch das von Anton Rotzetter und Rainer Hagencord 2009 gegründete Institut für Zoologische Theologie in Münster, das sich eine wissenschaftlich fundierte theologische Würdigung des Tieres sowie die Erarbeitung und Förderung einer schöpfungsgemäßen Spiritualität zum Ziel gesetzt hat. Zudem haben sich theologische Ethikerinnen und Ethiker – wie Heike Baranzke, Michael Rosenberger, Eberhard Schockenhoff, Gerhard Marschütz, Kurt Remele, um nur einige zu nennen – intensiv mit tierethischen Fragen auseinandergesetzt und zum Teil eigene tierethische Ansätze vorgelegt.

Die vorliegende Publikation reiht sich in diese Stimmenvielfalt ein. Sie versteht sich als Diskussionsbeitrag und möchte zugleich mit der verantwortungsethischen Begründung eines tierethischen kategorischen Imperativs einen originären Beitrag dazu leisten, dass die katholische Kirche und die Theologie das schwerwiegende Defizit überwinden können, das ihnen in Bezug auf die Tierethik anzulasten ist. Gerhard Marschütz ist recht zu geben, wenn er es als „ärgerlich“ bezeichnet, „dass kaum je christliche Einsprüche gegen die zunehmende Brutalisierung des heutigen Umgangs mit Tieren vernehmbar sind“5. Auf der theologisch-ethisch reflektierten und auf der praktischen Ebene hat die Kirche eine Bringschuld zu leisten, denn (auch das wird zu thematisieren sein) den Problemen und Anliegen der Tierethik wird weder die christlich-abendländische noch die diesbezügliche Position des Lehramtes der katholischen Kirche gerecht, wie sie beispielsweise im Katechismus der Katholischen Kirche nachzulesen ist. Es ist sehr zu begrüßen, dass Papst Franziskus in seiner Sozial- und Umweltenzyklika Laudato si’ (2015) diesbezüglich längst fällige neue Akzente gesetzt hat. Es geht dabei nicht zuletzt darum, das reichhaltige biblische Erbe neu zu entdecken und fruchtbar zu machen, angefangen von der Schöpfungstheologie bis hin zur Eschatologie, d. h. der Lehre von den Hoffnungen auf Vollendung nicht nur des Menschen, sondern der gesamten Schöpfung.

Die spezifischen theologischen Fragestellungen werden im ersten (schöpfungstheologischen) sowie im vierten Teil (Schöpfungsspiritualität und Eschatologie) vertieft, während im zweiten (philosophischen) und dritten (anwendungsorientierten) Teil auf unmittelbare theologische Bezüge verzichtet wird. Der Grund hierfür liegt nicht darin, dass zwischen Theologie auf der einen und Philosophie sowie angewandter Ethik auf der anderen Seite Gräben gezogen werden sollen. Dahinter steht vielmehr die Überzeugung, dass tierethische Forderungen ohne Rekurs auf die Theologie für jeden Diskursteilnehmer nachvollziehbar und von allgemein akzeptierten Annahmen ausgehend begründet und vermittelt werden können, dass umgekehrt aber – wie auch Papst Franziskus eindringlich unterstreicht – die Glaubensüberzeugungen einen Reichtum für eine ganzheitliche Ökologie, eine tiergerechte Ethik und eine volle Entwicklung der Menschheit bieten können. Die Naturwissenschaften, die Philosophie und die Theologie nähern sich von unterschiedlichen Ansätzen aus derselben Realität und können bzw. müssen in einen intensiven und für alle Seiten produktiven Dialog treten.6

In den folgenden Abschnitten der Einleitung sollen einige Grundannahmen hinsichtlich des Menschen-, Tier- und Weltbildes aufgezeigt werden, die für das Verständnis des Buches hilfreich sind.

2.Von der Selbsterkenntnis des Menschen durch das Tier

Im Juni 2016 kam der US-amerikanische Computeranimationsfilm Pets in die Kinos. Er erzählt vom geheimen Leben der Haustiere (so der englische Filmtitel The Secret Life of Pets) in Manhattan in New York. Über acht Millionen Einwohner zählt die Metropole. Durchschnittlich jeder vierte Einwohner – darunter besonders viele Singles – soll einen Hund halten, was die beeindruckende Summe von ca. zwei Millionen Vierbeinern ausmacht. Dazu kommen noch viele andere Haus- und Heimtiere: Katzen, Meerschweinchen, Kaninchen, Ziervögel, Fische … Die Tierliebe besonders von Menschen in Metropolen und Städten wird oft als stille Sehnsucht nach Wildnis und Ursprünglichkeit interpretiert. Manche deuten sie als Degenerationserscheinung des modernen Großstädters, der den Kontakt zur Natur verloren hat und durch die Haltung eines Heimtieres ein Stück Wildnis in seine Stadtwohnung holen möchte, obwohl manche noch nie in ihrem Leben einen Bauernhof besucht und eine Kuh, ein Pferd oder Schwein in echt gesehen oder Rehe, Hirsche usw. in freier Wildbahn beobachtet haben. Es werden auch Tiere gehalten, zu denen – etwa im Unterschied zu einem Hund oder einer Katze – keine wechselseitige emotionale Beziehung aufgebaut werden kann, z. B. Chamäleons, Geckos, Schlangen, Alligatoren, Käfer, Schildkröten usw. Zählt man die Wildtiere dazu, unter ihnen Nagetiere, Sing-, Greif- und Nachtvögel, Füchse, Kojoten, Alligatoren, Robben, ja sogar Bären, die sich bis in die Gärten der Vororte von New York vorwagen, und viele andere mehr, zeigt sich eine interessante Symbiose von Mensch und Tier, eine Durchmischung von Zivilisation und Wildnis, die nicht nur für die US-amerikanische Großstadt typisch ist.

Doch zurück zum Film über das heimliche Leben der Haustiere. Er ist eigentlich kein Film über Tiere, sondern über Menschen, denn – so der in tierethischen Fragen bewanderte Journalist und Jäger Eckhard Fuhr – „Tiere sind ein Spiegel. Das waren Tiere für Menschen schon immer.“7 Deshalb erzähle der Film „von der Selbsterkenntnis des Menschen durch das Tier“8. Die sprechenden Pets sind vermenschlichte Tiere, die mehr den menschlichen Protagonisten entsprechen als ihren wirklichen Artgenossen und die mehr über das Verhalten und Innenleben des Menschen aussagen als über jenes von Tieren – über die Einsamkeit, das Bedürfnis nach Nähe bis hin zur menschlichen Verantwortungslosigkeit, verkörpert in einem Alligator und einer Schlange, die ausgesetzt worden sind und nun in der Kanalisation ihre neue Heimat gefunden haben. Auch der Tierethiker Herwig Grimm betont: „Wer über Tiere spricht, macht den Menschen zum Thema“9, und zwar deshalb, weil wir immer nur die Position des Menschen einnehmen bzw. von uns selbst als Erkenntnissubjekt ausgehen können. In ein Tier können wir letztlich nie hineinschauen. Trotz der Empathiefähigkeit, uns in die Lage eines Tieres einzufühlen bzw. sein körperliches Verhalten und Anzeichen seines emotionalen Empfindens wahrzunehmen, bleibt es letztlich eine Form von Deutung und Interpretation, was wir glauben, wie es einem Tier geht bzw. wie es das, was es empfindet, subjektiv wahrnimmt.

Seit jeher leben Tiere und Menschen in einer engen Beziehung und Symbiose – und seit jeher ist unser Umgang mit den Tieren ambivalent und widersprüchlich. Die einen lieben wir, die anderen töten wir; die einen schützen wir, die anderen jagen wir; für die einen schaffen wir Tierfriedhöfe, die anderen enden in unseren Mägen. Selbst vegan lebende Menschen halten Hunde oder Katzen und nehmen in Kauf, dass andere Tiere getötet und zu Futter für ihre Lieblinge verarbeitet werden. Die meisten Menschen stimmen der Einschätzung zu, dass die Haltungs- und Schlachtungsbedingungen in der Massentierhaltung ethisch kaum zu rechtfertigen sind – und essen dennoch bedenkenlos tierische Nahrungsmittel, die aus solchen Betrieben stammen. Wir wissen um die tierquälerischen Umstände in den allermeisten Pelztierfarmen. Das Tragen von Pelzmänteln ist deshalb mittlerweile vielerorts verpönt – und dennoch erzielt die Pelzindustrie in Europa seit einem Einbruch in den 1990er-Jahren wieder jährliche Umsatzrekorde, weil Pelzteile in vielfacher Form als Krägen oder Futter von Winterjacken, als Modeaccessoires und anderes mehr verarbeitet werden. Tierversuche werden gemeinhin abgelehnt und viele Menschen haben abschreckende Bilder malträtierter Versuchstiere im Kopf – und doch nimmt seit Beginn der 2000er-Jahre die Anzahl der Tiere kontinuierlich zu, die in diversen Experimenten verwendet werden und zu Schaden kommen. Die Tierethiker Herwig Grimm und Markus Wild führen Studien an, denen zufolge „im Jahr 2014 über 23 Milliarden Nutztiere (Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Geflügel) gehalten […], rund 64 Milliarden Tiere geschlachtet (Fische nicht eingerechnet) und rund 118 Millionen Labortiere verbraucht“10 worden sind.

Bei immer mehr Menschen führen diese Spannungen und Diskrepanzen zu einem Nach- und Umdenken. Sie werden besonders für das millionenfache Leid sensibel, das wir in unserer modernen Industriegesellschaft Tieren zufügen. Aus tierethischen Gründen beschließen sie einen tiefgreifenden Wandel ihres Ernährungs- und Lebensstils, werden entweder zu Vegetariern, verzichten also auf das Essen von Fleisch, oder zu Veganern, indem sie jeglichen Konsum von tierischen Produkten vermeiden, ja sogar die Nutztierhaltung als solche ablehnen. Dennoch, die meisten Menschen essen weiterhin Fleisch und konsumieren tierische Produkte, obwohl auch sie die Haltungs- und/oder Schlachtungsbedingungen der Tiere, die sie essen bzw. deren Produkte sie konsumieren, ablehnen oder ihnen zumindest kritisch gegenüberstehen. Man mag von einem paradoxen Zustand sprechen oder es schlichtweg als einen inkohärenten Lebens- und Konsumstil bezeichnen, dieser Umstand stellt uns jedenfalls vor große ethische Herausforderungen. Wir müssen uns kritisch fragen, warum wir so erstaunlich wenig Konsequenzen daraus ziehen, dass wir um das vielfache Tierleid wissen, das durch unseren Konsum- und Lebensstil verursacht wird.11 Grimm und Wild ist zuzustimmen: „Obwohl die Tierethik als Thema mitten in der Gesellschaft angekommen ist, hat sich damit die zentrale Fragestellung der Tierethik keineswegs erledigt, im Gegenteil.“12 Für sie lautet diese Grundfrage: „Was dürfen wir mit Tieren tun und was nicht?“13 In der vorliegenden Publikation soll sie wie folgt präzisiert werden: „Wie sollen wir Tiere behandeln, um ihnen gerecht zu werden?“

3.Von Tierethik, Tierschutz, Tierwohl und Tierrechten

Die Tierethik ist ein Teilbereich der Ethik und beschäftigt sich mit dem Verhältnis des Menschen zum Tier in moralischer Hinsicht. Jedes Konzept von Ethik ist an bestimmte anthropologische und weltanschauliche Denkmuster sowie an philosophische Argumentationsfiguren rückgebunden. In den folgenden Absätzen sollen sie – in sehr komprimierter Form – erklärt werden. Damit wird zugleich auch der tierethische Ansatz vorgezeichnet, der in dieser Publikation entfaltet wird.

Der philosophisch weniger interessierte Leser kann diese mehr theoretischen bzw. moralphilosophischen Ausführungen überspringen und zum vierten Kapitel der Einführung weiterblättern. Letztlich geht es – vereinfacht zusammengefasst – um drei Thesen. Erstens: Das Gute soll aus guten Gründen getan werden; und es gibt gute Gründe dafür, Tiere so zu behandeln, dass man ihren artspezifischen und individuellen Bedürfnissen, emotionalen Vermögen und kognitiven Fähigkeiten gerecht wird. Zweitens: Der Mensch ist im Sinne von Immanuel Kant ein moralisches Subjekt und als solches Adressat von kategorischen, d. h. unbedingten sittlichen Forderungen, die er erkennen kann und verwirklichen soll. Die Verantwortung für die Tiere ist Teil dieser sittlichen Forderungen. Drittens: Für das sittliche Handeln spielen auch moralische Gefühle wie Sympathie und Mitleid eine wichtige Rolle. Die Empfindungs- und Empathiefähigkeit stellen eine wichtige Motivationsquelle für tiergerechtes Handeln dar.

a) Was ist Ethik?

Ethik ist eine philosophische Disziplin und reflektiert – ganz allgemein formuliert – das Handeln des Menschen unter moralischer Perspektive. Im Unterschied beispielsweise zur Verhaltensbiologie, die versucht, die evolutionsgeschichtliche Entwicklung bestimmter Verhaltensweisen und deren evolutionären Nutzen zu verstehen, ist die Ethik keine rein deskriptive, sondern in erster Linie eine normative Wissenschaft, d. h. dass sie nicht nur den Ist-Zustand zu beschreiben und zu erklären versucht, sondern danach fragt, was sein soll. Sie ist das systematische Nachdenken über die Handlungen, das Verhalten und die Grundhaltungen des Menschen unter der spezifischen Rücksicht der sittlichen Beurteilung als gut bzw. böse auf der subjektiven sowie richtig bzw. falsch auf der objektiven Ebene. Die subjektive Ebene (gut bzw. böse) meint, dass der Mensch als das handelnde Subjekt mit seinen Motivationen, Intentionen, Interessen, Präferenzen … in den Blick genommen wird. Auf der objektiven Ebene hingegen (richtig bzw. falsch) wird danach gefragt, ob eine Handlung oder Grundhaltung „an sich“ sittlich richtig ist, d. h. ob sie mit allgemein gültigen sittlichen Prinzipien und Werten in Einklang gebracht werden kann, die in Normen verbindlich formuliert werden. Die Einsicht in das, was objektiv gesehen sittlich richtig ist, verdankt sich der vernünftigen Reflexion über die konkreten Erfahrungen einerseits sowie über abstrakte sittliche Werte andererseits, die man sich persönlich aneignet, und schließlich dem kritischen, vernunft- und wertegeleiteten Diskurs zwischen den moralischen Subjekten. Die Differenzierung zwischen der subjektiven und objektiven Dimension ist natürlich dahingehend eine abstrakte, als dass in einer konkreten Handlung die beiden Ebenen miteinander verflochten sind. Alle diese unterschiedlichen Aspekte machen die Moralität, d. h. die sittliche Güte einer Handlung aus. Dabei geht es darum, dass das, was auf der Ebene des handelnden Subjekts sittlich gut ist, mit dem in Einklang steht, was auch objektiv gesehen sittlich richtig ist, dass in diesem Sinne also das sittlich Gute dem sittlich Richtigen entspricht und umgekehrt. Das sittlich Richtige soll also auch mit einer sittlich guten Absicht getan werden. Umgekehrt reicht die gute Absicht allein nicht aus, um sittlich richtig zu handeln, sondern es bedarf der Sach- sowie ethischen Kompetenz und des Bemühens zu erkennen, wie in einer konkreten Situation das verwirklicht werden kann, was sittlich geboten ist. Der Volksmund bringt dies pointiert zum Ausdruck, wenn es heißt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

Die vorliegende Publikation will nicht eine Begründung des moralischen Anspruchs leisten, warum der Mensch überhaupt moralisch gut und richtig handeln soll, sondern es wird vorausgesetzt, dass die Erfahrung des Sollensanspruchs ein wesentliches Element menschlicher Selbsterfahrung und -beobachtung ist. Der theologische Ethiker Dietmar Mieth beschreibt die Grundstruktur der sittlichen Erfahrung in drei Elementen: in der Kontrast-, der Sinn- und der Motivationserfahrung.14 Kontrasterfahrung meint die erlebte Diskrepanz zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll. Sie kann entstehen, weil unterschiedliche Normen miteinander in Konflikt geraten; weil die vorgefundene Situation einer wichtigen Norm und damit einem sittlichen Wert widerspricht; oder schlichtweg, weil jemand dank einer Art von moralischem Sinn intuitiv spürt, dass eine Situation nicht so ist, wie sie sein sollte, d. h. dass sie mit einem normativen Anspruch nicht in Einklang zu bringen ist. Für viele Menschen stellt in diesem Sinne das Wissen um artwidrige Haltungsbedingungen von Tieren und/oder von Schlachtungsvorgängen, die für das Tier physisch und psychisch mit Schmerzen und Belastungen wie Angst und Stress verbunden sind, eine Art von Kontrasterfahrung dar. Sie spüren, dass dies nicht richtig ist, und zwar unabhängig davon, ob sie das auch ethisch begründen können oder darüber ethisch reflektiert haben. In diesem Gespür, dass etwas nicht so sein soll, wie es ist, ist ein ebenso intuitives, d. h. zunächst noch nicht thematisiertes Wissen enthalten, wie die Situation sein könnte bzw. sollte. In unserem Fall bedeutet dies z. B., dass jemand angesichts malträtierter Tiere darum weiß, dass es nicht richtig ist, einem Lebewesen Schmerzen zuzufügen – wenigstens nicht grundlos. In der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit oder mit Werten und Normen, die es zu verwirklichen bzw. zu befolgen gilt, wird schließlich so etwas wie eine „Rationalität der Wirklichkeit“ erkennbar. Damit sind Sinnpotentiale gemeint, die der Wirklichkeit eingestiftet sind und die vom Menschen dank seiner Deutungsmöglichkeit des Vorgegebenen eingesehen und in Folge verwirklicht werden können. Vorausgesetzt wird dabei allerdings eine bestimmte Interpretation von Wirklichkeit, die jeder Mensch lebensweltlich, d. h. im Sinne einer vorwissenschaftlichen Selbstverständlichkeit und Erfahrbarkeit vornimmt. Den Glaubensvorstellungen kommt hier beispielsweise eine wichtige Funktion zu. Solche Sinnpotentiale können normativ formuliert werden, beispielsweise im Gebot, keinem Lebewesen zu schaden, bzw. dass es gute und vernünftige Gründe geben muss, die eine Schmerzzufügung rechtfertigen können. Diese Gründe deuten ihrerseits auf einen höheren Wert hin bzw. ein weiteres Sinnpotential, das ohne die Verletzung des ersten nicht verwirklicht werden kann. So wird z. B. in Bezug auf die Tierexperimente argumentiert, dass diese dann – und nur dann – ethisch vertretbar sind, wenn sie die einzige Möglichkeit darstellen, humanmedizinisch und veterinär wichtige Erkenntnisse zu erlangen, und dieser Erkenntnisgewinn auch mit hoher Wahrscheinlichkeit erzielt werden kann.15

Freilich muss der Mensch auch anerkennen, dass seiner Beziehung zum Tier mehr an Sinnpotentialen eingeschrieben ist als die Nutzung von Tieren zu seinen eigenen Zwecken. So kann er z. B. beobachten und wissenschaftlich untersuchen, wie positiv sich die Beziehung zwischen Mensch und Tier auf beide Seiten auswirken kann, und er kann den Eigenwert eines Tieres erkennen, der dessen Totalverzweckung verbietet, sowie Sinnwerte, die der Wirklichkeit von Tieren eingeschrieben sind. Die Kontrasterfahrung sowie die Auseinandersetzung mit einer Konfliktsituation – wie z. B. jener von Tierexperimenten, dass eine wichtige medizinische Erkenntnis nicht gewonnen werden kann, ohne einem Versuchstier Schaden zuzufügen – machen bestimmte Werte sichtbar bzw. rufen sie ins Bewusstsein. So wird eine Kontrasterfahrung zur Sinn- und schließlich zur Motivationserfahrung, weil sie einen Menschen drängt, etwas zu tun, um eine Situation so zu verändern, dass sie dadurch zum Besseren gewendet wird und etwas Sinnvolles für alle Beteiligten bzw. Betroffenen entsteht. Die Sinnerfahrung motiviert also einen Menschen, das ihm Mögliche zu tun, um sinnvoll zu wirken und eine negative Situation zu überwinden bzw. in einem Konfliktfall die richtige bzw. die je bessere oder – unter Umständen – die weniger schlechte Lösung zu finden. Der ethisch motivierte Vegetarismus und Veganismus sind z. B. Ausdruck dafür, dass jemand zur Überzeugung kommt: Es liegt auch an mir, die Haltungs- und Schlachtungsbedingungen von Nutztieren zu verbessern, indem ich durch meine Konsumverweigerung letztlich Druck ausübe auf jene, die Tiere halten und vermarkten. Auch der bewusste Konsum von Fleisch und tierischen Produkten ausschließlich von Betrieben, deren Haltungs- und/oder Schlachtungsbedingungen ethisch vertretbaren Kriterien entsprechen, zielt in diese Richtung.

Entsprechend dieser Beschreibung der Grundstruktur der sittlichen Erfahrung sind konkrete, moralisch reflektierte Erfahrungen ebenso wie kognitive und affektiv-emotionale Aspekte entscheidend für ein sittliches Urteil. Unter Kognition meint man die aus Erfahrungen und Nachdenken gewonnenen sittlich relevanten Einsichten wie z. B. das Prinzip der Schmerzvermeidung bei empfindungsfähigen Lebewesen oder den Eigenwert eines jeden Tieres. Moralische Gefühle und Motivationen hingegen bergen ein oft intuitives, weil vorreflexives Wissen um das, was sittlich richtig und geboten ist. So können beispielsweise Mitleid und Empathie dazu drängen, der Notsituation eines Tieres Abhilfe zu verschaffen, oder Empörung angesichts einer Unrechts- oder Leidsituation kann verhindern, dass man sich mit einem erlittenen oder beobachteten Unrecht einfach abfindet, wenn z. B. ein Tier durch nicht artgemäße und individuengerechte Haltungsbedingungen Schmerzen, Angst, Stress … erleidet. Moralische Gefühle sensibilisieren für das Leid und Unrecht, sie motivieren, dem entgegenzuwirken, und setzen entsprechende Kräfte frei. Nach dem Tierethiker Jean-Claude Wolf teilt der Mensch mit vielen Tieren die Empfindungsfähigkeit. In der natürlichen Fähigkeit des Mitfühlens sieht er eine der wichtigsten Motivationsquellen dafür, dass sich Menschen gegen jede Form von Tierleid oder Tierquälerei zur Wehr setzen.16

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9783702236359
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