Читать книгу: «Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?», страница 3

Шрифт:

Kapitel 1
Grenzüberschreitung:
Der Ostjude, der aus dem Westen kam

Julius Barmats Ankunft in Deutschland war von Anfang an umstritten. Im März 1919 beantragte der in Amsterdam lebende Kaufmann beim örtlichen Generalkonsulat ein dreimonatiges Dauervisum für die Einreise nach Deutschland, das ihm erst nach langen Auseinandersetzungen am 22. Mai ausgestellt wurde. Dem mit einer Niederländerin verheirateten, staatenlosen Barmat schlug Misstrauen entgegen. Dabei ging es allgemein um den Flüchtlingsstrom sogenannter Ostjuden nach Deutschland, aber gleichermaßen auch um seine Person. War er ein gerissener Unternehmer, der die wirtschaftliche Not Deutschland ausnutzte, ein Agent des Kaiserreichs, gar ein sowjetischer Bolschewik oder doch nur ein opportunistischer Sozialdemokrat?

Julius Barmat war nicht nur ein erfolgreicher Kaufmann, er war jüdischer Konfession, genauer: ein Ostjude, dessen profitable Handelsgeschäfte von Anfang an eine politische Dimension hatten, da er die Konjunktur der Kriegs- und Nachkriegszeit geschickt zu nutzen vermochte. Es war eine Zeit der wirtschaftlichen Not und politischen Umwälzungen mit zahllosen Gerüchten, die reale wie vermeintliche Formen von Misswirtschaft, Bestechung sowie persönliche Bereicherung betrafen und von denen viele antisemitisch unterlegt waren. Erste Skandalisierungen um Barmat findet man im Zusammenhang mit seiner Einreise 1919, dann im Kontext seiner großen Lebensmittelgeschäfte in der Nachkriegszeit sowie der Skandalisierung eines anderen Handeltreibenden namens Georg Sklarz. Es ist eine Geschichte, die in die Spätphase des Kaiserreichs, die Revolutionierung Russlands und mehr noch in die Revolutionszeit 1918/19 führt. Die höchst widersprüchlichen Anspielungen, die seine Person und die Umstände seiner Ankunft betrafen, waren noch lange über das Kriegsende hinaus bis in die 1930er Jahre – auch in Belgien und Frankreich – zu finden. Es ist eine Geschichte von Anfängen, die kein Ende zu nehmen schienen.

Einwanderer mit wirtschaftlichen und politischen Ambitionen

Julius Barmat war einer unter Millionen, die sich vor dem Ersten Weltkrieg entschlossen, ihr Bündel zu packen und ihr Glück im Westen zu suchen, einem Westen, der gleichermaßen ein geografischer Ort relativ zum eigenen Ausgangspunkt wie ein Versprechen auf ein besseres Leben war.1 Für diejenigen, die sich nicht auf der Flucht befanden, bedeutete Migration die meist hoffnungsvoll wahrgenommene Chance, politische und soziale Einengungen und Repressionen hinter sich zu lassen, ja möglicherweise sozial aufzusteigen. Bei allem wirtschaftlichen Erfolg in der neuen Wahlheimat machte Barmat jedoch auch die wiederkehrende Erfahrung neuer sozialer und kultureller Grenzen.

Ein sozialer Aufsteiger und »Kriegsgewinnler«

Bei allen Rätseln in Bezug auf Julius Barmats Biografie ist eines sicher, nämlich dass er am 18. Dezember 1889 in Uman in der Nähe Kiews, einer Stadt im Kernland des jüdischen Siedlungsrayons des Zarenreichs, in der heutigen Ukraine geboren wurde und dass er sich Judko nannte.2 Demnach war seine »ursprüngliche Nationalität« russisch, aber da er und seine Familie zeitweise auch in Litzmannstadt (Łódź) und Petrikau (Piotrków Trybunalski) gewohnt hatten, galt er später manchen auch als Pole. Zu seiner familiären Herkunft kursieren widersprüchliche Angaben. Späterhin tauchten immer wieder Berichte auf, er stamme aus ärmlichen Verhältnissen, ja sei dem Getto entflohen – sicherlich kein ganz zutreffendes Bild. In der Version seiner Anwälte war sein Vater ein Rabbiner, und seine Mutter entstammte einer Kaufmannsfamilie. Über Vermögen scheinen die Eltern nicht verfügt zu haben. Julius, der älteste Sohn, galt als begabt, besuchte zunächst das jüdische Seminar. In Łódź, wo sein Vater zeitweise in einer jüdischen Gemeinde beschäftigt war, wechselte er auf die Handelsschule, wo ihm offenbar wegen seiner guten Leistungen das Schuldgeld erlassen wurde. Schon mit 17 Jahren soll er die Erlaubnis erhalten haben, nicht nur Unterricht in der Handelsschule zu erteilen, sondern auch Bewerber für die Handelsschule vorzubereiten.

Wie er selbst bekundete, machte ihm die Politik einen Strich durch die Rechnung. Schon während seiner Zeit in der Handelsschule hatte er sich einer sozialistischen, revolutionären Studentenorganisation angeschlossen, weil, wie er erklärte, »sich in Rußland eine solche Neigung bei den Juden ganz von selbst bilden musste«. Damit meinte er den russischen Antisemitismus, der in den vorangegangenen Jahren immer wieder zu Pogromen geführt hatte. Nicht wirtschaftliche Gründe, sondern diese politischen Aktivitäten verhinderten sein Studium am Polytechnikum in Kiew, wo er für kurze Zeit eingeschrieben war. Im Dezember 1907 meldete er sich mit Erfolg auf eine Zeitungsannonce bei einem kleinen Rotterdamer Bank- und Handelsunternehmen namens Winterling & Co mit acht bis zehn Beschäftigten, das einen Korrespondenten mit russischen und polnischen Sprachkenntnissen suchte.

In Rotterdam war sich der ehrgeizige junge Neuankömmling aber offenbar noch keineswegs klar darüber, wie seine Zukunft aussehen sollte. Im Hause seines Arbeitgebers etablierte sich Barmat auch dadurch, dass er dessen Tochter Rosa de Winter 1910 in London, wo er zeitweise geschäftlich tätig war, heiratete. 1912 ging aus dieser Verbindung sein einziges Kind Louis Izaak hervor. Die Heirat gab dem als staatenlos gemeldeten Einwanderer auch einen rechtlichen Schutz, was vor allem dann wichtig wurde, als in den 1930er Jahren die Staatenlosigkeit seine Existenz gefährdete. Die niederländische Staatsangehörigkeit war für ihn schon deshalb nicht einfach zu erhalten, weil seine Person bald so umstritten war. Doch auf der anderen Seite wollte Barmat auch mit der Vergangenheit offenbar nichts mehr zu tun haben. Denn die später (1920) für alle Emigranten eröffnete Option, sich für die sowjetische wie dann auch für die polnische Staatsbürgerschaft zu entscheiden, nahm er nicht wahr.

Die Arbeit für seinen Schwiegervater füllte Barmat nicht aus. Bemerkenswert früh machte er sich unabhängig und verdiente sein Geld zunächst als Lehrer für Polnisch und Russisch an der Berlitzschule, bald dann auch als vereidigter Übersetzer und Dolmetscher. Dabei arbeitete er zum einen für die Rotterdamer Polizei – später betonte er, unter der »Protektion« des damaligen Polizeipräsidenten Rotterdams gestanden zu haben. Zum anderen spezialisierte er sich auf die Übersetzung von Dokumenten havarierter Schiffe im Zusammenhang von Versicherungsfällen. Sein Einkommen soll in dieser Zeit etwa 1500 Gulden pro Monat betragen haben.

Neben diesen Tätigkeiten versuchte er von Anfang an sein Glück mit eigenen Handels-, Bank- und Immobiliengeschäften. Dazu gründete er schon 1908 eine Handelsgesellschaft mit dem Namen Julius Barmat, deren alleiniger Inhaber er war. Der Handel mit Tulpenzwiebeln, Klavieren und anderen Gütern nach Russland und in weitere Staaten war später vielfach Anlass für Spott, der Verkauf von Lotterielosen und Bankgeschäfte sorgte für Misstrauen. Diese Geschäfte waren offenbar vielfach noch mit denen seines Schwiegervaters verbunden, wenngleich dieser bald die Position eines Juniorpartners einnahm. Die Übersiedlung von Rotterdam nach Amsterdam kurz vor dem Krieg ist zweifellos ein Indiz dafür, dass Julius Barmat auf seine Selbstständigkeit pochte.

Barmat war wirtschaftlich erfolgreich. Das Kapital seiner Handelsgesellschaft Julius Barmat soll zu diesem Zeitpunkt zwischen 15000 und 20 000 Gulden betragen haben. Daneben war er zusammen mit drei Kompagnons Teilhaber der 1911 gegründeten Niederländisch-Russischen Handelskompanie, und zwar mit einem Anteil von 33000 Gulden. Offenbar trug er die Hauptlast dieser Gesellschaft, die Handel mit Russland betrieb, sodass er schon wenig später wieder austrat und die Geschäfte seiner Firma Julius Barmat übertrug. Seine Handelsgeschäfte waren profitabel, und er investierte sein Geld in Immobilien, für die er eigene Gesellschaften gründete, darunter die von ihm 1912 erworbene Grundstücksgesellschaft La Novita.

Barmat scheute sich nicht, über Geld und Besitz zu sprechen. Sein Vermögen zu Beginn des Krieges soll sich auf über 900000 Gulden belaufen haben. Das war ein deutlicher Ausweis von wirtschaftlichem Erfolg. Wie den meisten Aufsteigern und »Neureichen« fehlte dem staatenlosen Ausländer jedoch »soziales Kapital«, also ein Netzwerk von gesellschaftlichen Beziehungen. Das war in der niederländischen Gesellschaft, die weit mehr als Deutschland in distinkte, soziale und religiöse – »versäulte« – Milieus zerfiel, außerordentlich wichtig.3 Einem aus dem Ausland entstammenden Aufsteiger wie ihm schlug zweifellos Misstrauen entgegen, und das umso mehr, als er jüdischer Konfession war. Die Religion verband ihn mit seiner neuen niederländischen Familie, spielte aber für den zweifellos gläubigen Juden in der öffentlichen Selbstdarstellung zu diesem Zeitpunkt wie auch späterhin keine Rolle. Ebenso wenig gibt es Hinweise auf mögliche Verbindungen Barmats zur jüdischen Kaufmannschaft. Dagegen bot das Engagement in Handelsvereinigungen die Möglichkeit, soziales Kapital zu erwerben. So wurde Barmat Direktor des in Rotterdam ansässigen Büros zur Förderung des Handels, dann nach seiner Umsiedlung nach Amsterdam Direktor einer Handelsvereinigung für den holländischen Balkanhandel. Welche Aktivitäten er in diesem Zusammenhang entwickelte, wissen wir nicht. Es fiel ihm jedoch offenbar leicht, Kontakte zu knüpfen.

Der Weltkrieg eröffnete neue wirtschaftliche Chancen. Wie Zürich und Kopenhagen entwickelte sich Amsterdam zu einer Drehscheibe des Kriegshandels. Barmat gelang es schnell, sein eher kleines Handelsunternehmen mit der Spezialisierung auf Nahrungsmittellieferungen an die Mittelmächte auszuweiten. Ab dem dritten Kriegswinter hungerte Deutschland. Die Wirtschaftsblockade der englischen Marine zeigte ihre Wirkung, und die Nahrungsmittellieferungen aus dem Ausland, auf die Deutschland angewiesen war, stockten. Entsprechend hoch waren die Profitraten, zumal sich nun militärische und zivile Stellen in einem zeitweise chaotischen Überbietungsverfahren mit den knappen Gütern einzudecken versuchten. Die englische Blockadeverwaltung wurde auf Barmat aufmerksam und setzte ihn, wie holländische Zeitungen seit dem Sommer 1916 meldeten, auf ihre Schwarze Liste. Wer Handel mit den dort gelisteten Personen und Gesellschaften trieb, dem drohten Sanktionen.4 Das war der Grund, weshalb Barmat im Sommer 1916 seine Handelsgesellschaft Julius Barmat in die N.V. Amsterdamsche Export & Import Maatschappij, die unter dem Namen Amexima bekannt wurde, umtaufte.5 Mit einem Aktienkapital von 100000 Gulden ausgestattet, verfügte sie über Büros in einem Geschäftsgebäude an der noblen Keizersgracht 717. Der Handel mit Lebensmitteln wurde rasch weiter ausgebaut. Abnehmer waren während des Krieges vor allem deutsche und österreichische Städte und Kommunen, darunter die Stadt Leipzig, die Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine sowie die Kruppsche Wohnungsverwaltung, welche die Werksangestellten mit Lebensmitteln versorgte. Hinzu kamen Unternehmen wie die Schokoladenfirma Sarotti.6

Trotz der massiven englischen Behinderungen machte Barmat während des Krieges »große Geschäfte« und akkumulierte ein beträchtliches Vermögen. Neben der Amexima blühte seine Grundstücksgesellschaft La Novita. In deren Besitz waren das Amsterdamer Geschäftshaus der Amexima sowie das Wohnhaus der Barmats, dessen Bau eine halbe Million Gulden gekostet haben soll, in einem für den erfolgreichen Kaufmann angemessenen Wohnviertel Amsterdams. Wie Barmats Rechtsanwälte später betonten, besaß er auch eine »bedeutende Bildergalerie« im Wert von 150 000 Gulden.7 Barmat wusste um die Bedeutung dieser Form »kulturellen Kapitals«. Wie allen »Kriegsgewinnlern«, die sich mit solchen bürgerlichen Insignien umgaben, trug ihm das eine gehörige Portion Neid und Missgunst ein.

Deutscher Kollaborateur oder russischer Revolutionär?

In den Niederlanden lautete die umstrittene Frage, an welcher Kriegspartei man sich orientieren sollte, zumal Großbritannien die Meere kontrollierte und mit großer Effizienz auch in den neutralen Staaten politisch intervenierte. Julius Barmat setzte in seinem Kampf um wirtschaftliche Vorteile, die sich auch in soziale Anerkennung ummünzen ließen, auf Deutschland und die Mittelmächte. Geschäft und Politik lagen eng beieinander, politische Beziehungen waren wirtschaftliches wie soziales Kapital. Den Deutschen Auslandsvertretern in den Niederlanden war Barmat jedenfalls seit 1916 bekannt: dem Generalkonsulat in Amsterdam primär als ein aufdringlicher – jüdischer – Kaufmann, der Deutschen Botschaft in Den Haag als Unternehmer mit politischen Ambitionen, den man vor den eigenen Wagen zu spannen versuchte. Von Anfang an war Barmat für die deutschen Diplomaten aber eine undurchsichtige Person, die seit 1916/17 unter Hinzuziehung von Berichten von Wirtschaftsauskunfteien und Privatpersonen genau beobachtet wurde. So warnte man im Frühjahr 1917 in Amsterdam vor »unreellen Geschäften« Barmats, just zu einer Zeit, als »Ago« von Maltzan, damals Botschaftsrat in Den Haag, Verbindung zu Barmat aufnahm. Der Kaufmann verfügte über Kontakte zum deutschen militärischen Nachrichtendienst.8 Dem Diplomaten ging es zu dieser Zeit zum einen um die Beeinflussung der niederländischen und belgischen Presse und zum anderen um die finanzielle Unterstützung russischer, revolutionär gestimmter oder umzustimmender Flüchtlinge und Deserteure, die sich in den Niederlanden aufhielten.9 Wie die Deutsche Botschaft im März 1918 Reichskanzler Georg von Hertling übermittelte, war Barmat in Amsterdam »vorteilhaft« bekannt als ein Mann mit »beträchtlichem Vermögen«, der sich zu dieser Zeit »besonders darum bemüht[e], die russischen Flüchtlinge und Deserteure vom Eintritt in das englische und französische Heer fernzuhalten«. Darüber habe man von Barmat »wertvolle Nachrichten« erhalten.10

Das war hohe Politik. Wohlwollend nahmen deutsche Stellen zur Kenntnis, dass sich der politisch engagierte Kaufmann kritisch gegenüber der russischen Regierung Alexander Kerenskis äußerte, die nach der Februarrevolution 1917 an die Macht gekommen war und erklärt hatte, am russischen Kriegskurs gegen Deutschland festzuhalten. Demgegenüber sprach sich Barmat öffentlich für einen Frieden mit Deutschland aus und unterstützte die Friedenspolitik der Bolschewiki, was in der russischen Gemeinde in Amsterdam nicht nur auf Beifall stieß.11 Die Revolutionierung Russlands, so die Erwartungen in Berlin, würde Deutschland die erhoffte Chance verschaffen, um den Krieg im Westen erfolgreich zu Ende zu führen. Das war auch der Grund, warum man dem Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin eine Eisenbahnfahrt in einem Sonderzug aus dem Schweizer Exil nach Russland ermöglichte.

In dieses Bild passt, dass Barmat nach der Oktoberrevolution 1917 offenbar mit der neuen ukrainischen, nach sowjetischem Modell einberufenen Volksversammlung, der Rada, Kontakt aufnahm und sich für einen schnellen Abschluss des Friedensvertrags von Brest-Litowsk einsetzte, nachdem die russischen Delegierten unter Protest die Friedensverhandlungen mit Deutschland abgebrochen hatten. Die Ukraine vermochte zu diesem Zeitpunkt viele Fantasien zu beflügeln, politische, wirtschaftliche und territoriale. Dazu zählte nicht zuletzt die Aussicht auf Brotgetreide für die hungernde Zivilbevölkerung. Der mit Lebensmitteln handelnde Kaufmann sah in dem in Deutschland viel diskutierten »Brotfrieden« – die Ukraine als Getreidekammer Russlands sollte akute Versorgungsengpässe mildern – zweifellos auch wirtschaftliche Chancen für sein Unternehmen.12

Wohl im Zusammenhang solcher Friedensbemühungen, die Deutschland die nötigen Entlastungen verschaffen sollten, nahm Barmat, ebenfalls schon 1917, Kontakte zum späteren Führer der niederländischen Kommunisten David Wijnkoop auf. Er sollte, wie die deutschen Diplomaten in Den Haag wussten, »für die kommunistische Propaganda in Skandinavien und Holland zur Verfügung gestellte Gelder besorgen«.13 Ob nun mehr wegen seiner Geschäftsinteressen oder seines Hasses auf den Zaren: Barmat setzte auf den revolutionären Umsturz in Russland. Bestärkt wurde er von deutschen Diplomaten, die ihm versicherten, man habe mit Leo Trotzki gesprochen, ob man nicht die Interessen der Russen in Holland durch Barmat wahrnehmen lassen solle.14

Auf jeden Fall nahm Barmat Kontakte zu den russischen Bolschewiki auf. Deutsche Amtsstellen leiteten das folgende, an Trotzki adressierte Telegramm, in dem sich Barmat offenbar politisch ins Spiel zu bringen versuchte, Ende 1917 via Skandinavien nach Russland weiter: »Als seit 10 Jahren hier ansässiger Russe[,] Direktor eines Büros zur Förderung des russischen Handels[,] vereidigter Übersetzer vor holländischen Gerichten[,] der mit großer Sympathie die Politik der Maximalisten [der Bolschewiki – MHG] verfolgt hat[,] habe ich beschlossen[,] eine Versammlung der Russen und Holländer[,] welche sich nach dem Frieden sehnen[,] mit dem Ziel ein Unterstützungskomitee für die [hiesigen – MHG] Maximalisten zu bilden[,] in der Hoffnung, dass wir auf Ihren Schutz hoffen können[,] Judko Barmat[,] Amsterdam.«15

Diese Zeilen, die später wie viele andere Dokumente in der Presse zirkulierten, konnte man sowohl als politische Sympathiebekundung wie als Anbiederung an die Bolschewiki verstehen. Es war von einem russischen Flüchtlingskomitee die Rede, dem Barmat angeblich 150000 Gulden als Vorleistung zur Verfügung zu stellen bereit war, falls ihm die russische Revolutionsregierung die Fürsorge für diese Gruppe und das Vertretungsrecht gegenüber der niederländischen Regierung übertragen würde.16 Diese Initiativen bestätigten andere Berichte, dass Barmat seine »Antipathien gegen die Zarenregierung« offen zur Schau stellte und auf die Russische Revolution setzte – eine Revolution, die für die deutsche Sache von großem Vorteil sein konnte.17 Darauf spielte später der russische Revolutionär, Deutschlandspezialist und Vertreter wie Sprachrohr der Kommunistischen Internationale Karl Radek, selbst jüdischer Herkunft, an. Für ihn stand außer Frage, dass Barmat »gewiß einen Hass gegen den Zarismus und Sympathien für Deutschland« gehabt habe, seien doch »alle polnischen Juden deutschfreundlich. Erstens, weil sie die deutsche Sprache für ein verschlechtertes ›Jüdisch‹ hielten, zweitens, weil sie den polnischen Antisemitismus haßten, drittens, weil sie die russischen Pogrome haßten. Alle jüdischen Börsenmakler der Welt, die aus Polen stammten, waren im Kriege deutschfreundlich«, lautete 1925 seine polemische, antisemitisch unterlegte Konklusion.18

Aber war Barmat aufgrund seiner Sympathien für die Revolution schon ein Bolschewist? Oder nur eine »Art Agent, der auf die Rada einwirken sollte«?19 Oder etwa gar nur ein auf sein Geschäft erpichter Kaufmann, der seinen politischen Einfluss wirtschaftlich auszuspielen versuchte? Geschäftstüchtig, wie Julius Barmat war, ventilierte er Pläne, Weizen aus der Ukraine zu importieren. Die USA hatten viele holländische Schiffe beschlagnahmt, um den Überseehandel zu verhindern. Getreide aus der Ukraine, so das Kalkül, musste die Niederlande auch enger an Deutschland binden. In dieser Sache trat Barmat mit dem ihm bekannten niederländischen Führer der sozialistischen Partei Peter Troelstra in Verbindung, der wiederum mit der holländischen Regierung Kontakt aufnahm. Diese signalisierte grünes Licht. Ob Barmat konkrete Verhandlungen mit der Ukraine führte, wissen wir nicht, greifbare Resultate sind auf jeden Fall nicht zu erkennen. Angesichts der verworrenen Verhältnisse in dem zu dieser Zeit von einem heftigen Bürgerkrieg zerrissenen Land ist das eher unwahrscheinlich. Und auch in Deutschland blieben die erhofften ukrainischen Getreidelieferungen ein Wunschtraum.20

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass Diplomaten die unterschiedlichsten Gerüchte über Barmat summten. So hieß es, er habe einen »Bolschewiki-Verein« gegründet, ferner, er habe Druck auf den russischen Gesandten ausgeübt und diesen vor die Wahl gestellt, sich zu den Bolschewiki zu bekennen oder sich gegen sie auszusprechen. Als der Gesandte ablehnend antwortete, habe Barmat dafür gesorgt, dass ihm das Geld gesperrt wurde, sodass er kurz darauf die Niederlande in Richtung Schweiz verließ. Barmat habe sogar versucht, als neuer russischer Gesandter anerkannt zu werden, dazu schon Geschäftskarten drucken lassen und einen Termin im niederländischen Außenministerium vereinbart, wo man ihn aber abgewiesen habe. Einem anderen Gerücht zufolge hatte die neue Sowjetregierung oder, so eine Version der gleichen Geschichte, die russischen Flüchtlinge auf Initiative Barmats diesen als russischen Generalkonsul vorgeschlagen.21 Barmats enger Freund Ernst Heilmann berichtete später, er habe eine Resolution mit der Unterschrift von über hundert Russen gesehen, in der sich die Flüchtlinge für Barmat als bolschewistischen Generalkonsul ausgesprochen hätten; er habe dieses Ersuchen aber abgelehnt, da er kein Bolschewik sei.22

Dass Barmat ein Bolschewik sei, mussten auch die deutschen Diplomaten in Den Haag als unrichtig dementieren. Aber auch der englische Geheimdienst sprach in Berichten vom Juni 1918 und März 1919 von »Barmat, the Bolshevic agent«.23 Und noch Jahre später war zu hören, Barmat habe es ermöglicht, dass »80000 Bolschewisten nach England hinübergekommen seien«.24 Einmal in die Welt gesetzt, hielten sich solche Gerüchte, mit immer neuen, mitunter skurrilen Wendungen, darunter auch eine Verwechslung der Brüder. So meldete 1921 die niederländische Botschaft in Prag nach Den Haag, dass »Judke [sic!] Barmat« beobachtet worden sei, wie er sich mit dem Vertreter der »extremen Linken« der tschechischen Sozialisten Vilém Brodecký getroffen habe, was dann auch prompt in britischen Berichten auftauchte und erneut deutsche Fragen provozierte, ob Barmat nicht Bolschewik sei.25

Возрастное ограничение:
0+
Объем:
791 стр. 20 иллюстраций
ISBN:
9783868549362
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают