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THEORIEN ÜBER DIE GÖTTER

Zwei Götter stehen im Gegensatz zu Thor: Loki und Odin. Während Loki in vielerlei Zügen Thors Gegenspieler ist, hebt sich Odin von Thor vor allem durch seinen Einflussbereich und die hierarchische Position ab. Doch in beiden Fällen ist es Thors Schlichtheit, die im Vergleich mit deren Komplexität am stärksten ins Auge fällt. Dieser Unterschied wird nicht allein durch verbale Schläue und politische Tricks angezeigt, die für Loki und Odin charakteristisch sind, sondern liegt auch in ihrer Beherrschung der magischen Künste, die auf ihren Ursprung in schamanischen Ritualen hinweist; damit mag auch zusammenhängen, dass sie ‚in alten Tagen beide das Blut mischten’, wie Loki in der ‚Lokasenna’ (Lokis Zankreden) unwidersprochen behauptet.13 Diese magischen Künste wurden mit dem altnordischen Begriff ‚seiðr’ zusammengefasst, der Gestaltwandel, die Anwendung von Zaubersprüchen und Prophezeiungen bezeichnen kann; die ersteren beiden dieser Praktiken gelten sowohl als schändlich wie auch als schädlich. Auch wenn Thor durch Gegenstände mit übernatürlichen Eigenschaften – insbesondere durch Mjöllnir – sowohl sich selbst als auch anderen Vorteile verschafft, gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass er auf andere Kräfte gegen seine Feinde zurückgriffe als auf seine ungeheure Stärke.

Thor und Loki

Keine Gestalt der altnordischen Mythologie ist schwieriger zu verstehen als Loki. Er wurde verschiedentlich interpretiert als Gott des Feuers oder der Luft, als Trickster-Gott, ähnlich jenen, die wir in den Mythen der Ureinwohner Nordamerikas und Afrikas finden, und sogar als die symbolische Vergöttlichung einer Spinne, wie es der abergläubische Vorstellungen und volkstümliche Redensarten andeuten, die im ländlichen Skandinavien gesammelt wurden.14 Ein zentraler Aspekt des Problems ist bei Loki, dass er keine gleich bleibende Rolle in den Mythen einnimmt. Wie wir an seiner Verbindung zu Thor sehen können, verändert sich Loki über die Zeit hinweg von einem Gott, der Probleme schafft und diese dann – manchmal mit unvorhergesehener Hilfe – erfindungsreich wieder löst, bis zu jenem, der offen und unversöhnlich auf den Niedergang Asgards und all dessen, was damit verbunden wird, hinwirkt. In dieser Wandlung vom Mutwillen zur Böswilligkeit, der gewissermaßen den allmählichen Verfall der Welt widerspiegelt, tritt sein Gegensatz zu Thor noch deutlicher hervor. Es scheint, als gebärde sich Loki zunehmend im Sinne seiner väterlichen und mütterlichen Herkunft: folglich als Riese und deswegen als Stellvertreter des Chaos und des Todes.

Als der Riese im eigenen, inneren Bereich veranschaulicht Lokis Niedertracht und destruktive Intelligenz die Verletzbarkeit der Götter. Wie sehr Thor in seinem unablässigen Kampf gegen die Unholde die Grenzen auch zu schützen sucht, so kann er doch nichts gegen das Krebsgeschwür im Herzen Asgards bewirken. Loki ist alles, was Thor nicht ist. Während dieser die personifizierte Männlichkeit darstellt, ist jener ein sexueller Grenzüberschreiter – ein Unterschied, der, nebenbei bemerkt, noch zu der Komik von Thors Crossdressing in der ‚Þrymskviða’ beiträgt. Ähnlich verhält es sich mit der Klarheit von Thors Absichten, wohingegen Loki größtenteils undurchsichtig bleibt; und während Thor beständig und eindeutig auf der Seite der Kultur steht, ist Loki nach seinem Stellvertretermord an Baldur in vollem Umfang als Erfüllungsgehilfe der destruktiven Natur erkennbar. Mit Blick auf die psychische Dynamik des Mythos scheint es verlockend, den einen als das alter ego des anderen zu betrachten, wobei ihre Paarbildung die fundamentale Zweiheit lebensbejahender und lebensverneinender Prinzipien verkörpert.

Thor und Odin

Ein grundlegender Unterschied zwischen Odin und Thor wird im ‚Hárbarðsljóð’ (Harbardslied) aufgezeigt und durch eine Beleidigung ausgedrückt, die Odin, der sich als der Fährmann Harbard verkleidet hat, gegen Thor richtet:

Das Knechtsvolk hat Thor,

doch die Könige hat Odin,

die da fallen im Feld.15

Hieraus können wir folgern, dass Odin der Gott der höheren Stände und der gesellschaftlichen Eliten ist, Thor hingegen der Gott der ‚kleinen Leute’: der Bauern, Fischer und einfachen Krieger. Angesichts dessen, dass Thor unstrittig der am meisten verehrte Gott der späten heidnischen Zeit war, kommt der Beleidigung keinerlei Gewicht zu, was die jeweilige Popularität der beiden Götter betrifft; eher wird mir ihr beabsichtigt, die Aufmerksamkeit auf Thors untergeordnete Position gegenüber Odin in der sozialen Hierarchie zu lenken. Der Verwandtschaftsstatus der Götter ist außerordentlich wichtig, um ihre besonderen Funktionen, und damit auch ihr Bedeutungsspektrum, identifizieren zu können. Dies ist definitiv nicht nur für die altnordische Mythologie charakteristisch, sondern wird für die Ursprünge des gesamten mythologischen Systems in Betracht gezogen, zumindest in historischer und geographischer Hinsicht.

THORS PLATZ IN DEN ALTNORDISCHEN MYTHEN

Der Ursprung der altnordischen Mythen

Seit den letzten Dekaden des achtzehnten Jahrhunderts galt die gesteigerte Aufmerksamkeit der Mythenforscher den auffallenden Parallelen zwischen der griechisch-römischen, keltischen, indischen, iranischen, slawischen und der altnordischen Mythologie. Es hat mehrere solcher Phasen gegeben, von denen viele noch in den späteren Kapiteln, welche die nachmittelalterliche Auffassung von Thor behandeln, zur Sprache kommen werden. Zusammengefasst, entdeckten die Wissenschaftler zunächst die übergreifende etymologische Verwandtschaft zwischen einzelnen Worten bestimmter Sprachen, die daraufhin als die indoeuropäische Sprachfamilie bezeichnet wurden. Daraus hat sich dann die Disziplin der vergleichenden Sprachwissenschaft entwickelt, für die das Studium der Mythen ein zentrales Forschungsgebiet war. Auf vielen Feldern der Volkskunde, Archäologie und Anthropologie war man bestrebt, die Einheit der indoeuropäischen Sprachgruppen nachzuweisen, und es wurde die Hypothese aufgestellt, dass einst eine urindoeuropäische Sprache existiert habe, die von einer Gruppe von Europäern gesprochen wurde, die sich durch Migration in der frühen Bronzezeit weit nach Osten und Süden ausgebreitet hat. In der späten Bronzezeit gelangten dann Völker des Mittelmeerraumes über Persien bis zum indischen Subkontinent unter ihren Einfluss, sowohl im Hinblick auf die Sprache als auch was die Glaubensvorstellungen betrifft.


Wer genau diese Ur-Indoeuropäer waren, bleibt Gegenstand vieler Diskussionen. Eine interessante, wenn auch viel kritisierte Theorie ist die von der Archäologin Marija Gimbutas (1921 - 1994) aufgestellte Theorie, die als Kurgan-Hypothese bekannt wurde. Diese richtet das Hauptaugenmerk auf die Grabhügel oder Kurgane der frühen Völker Osteuropas bzw. auf die Verbreitung dieser Grabhügel quer über den indoeuropäischen Raum. Die Volksstämme, die diese Kurgane ursprünglich schufen, galten als technologisch fortgeschritten und hatten außergewöhnliche Techniken der Waffenschmiedekunst entwickelt. Außerdem haben sie durch die Zähmung von Pferden und deren Einsatz für kriegerische Aufgaben – etwa zum Ziehen von Streitwagen – einen unerreichbaren Vorsprung gegenüber ihren Nachbarstämmen eingenommen und damit auch die Möglichkeit zur Ausweitung und Verlagerung ihrer Herrschaft, wohin immer sie wollten, erhalten. Am Rande ihrer vergleichenden Untersuchungen der Mythen und Sprachen kam Gimbutas zu der Schlussfolgerung, dass die Migranten der Bronzezeit ihre Urheimat in den Regionen um das Schwarze Meer, den Kaukasus und das westliche Uralgebirge hatten.16

Gimbutas’ Theorie sowie neuere genetische Studien haben die heute diskreditierte ‚arische’ Theorie verdrängt, welche die Idee postulierte, die Ur-Indoeuropäer seien ein germanisches Volk gewesen. Diese Theorie fand in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts weite Verbreitung unter den Verfechtern einer Vorherrschaft der weißen Rasse, besonders unter den Ideologen des Nationalsozialismus; das gleiche gilt für die damit verwandte, aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert stammende Auffassung, dass ein völliges Verstehen urindoeuropäischen Gedankengutes den Schlüssel zu allen Mythologien und damit auch die Antworten auf die komplexesten metaphysischen Fragen bereit hielte. In Wahrheit wird die tatsächliche Identität der Ur-Indoeuropäer wohl nie ganz ergründet werden, abgesehen von der Tatsache, dass die Belege für eine ursprünglich gemeinsame rassische, ebenso wie für eine sprachliche und – wie wir es heute nennen würden – ideologische Identität unter Indoeuropäern mittlerweile weitgehend anerkannt sind.

Das überzeugendste und zweifellos einflussreichste Argument für gemeinsame Ursprünge der Indoeuropäer folgt aus einer Analyse der verschiedenen mythologischen Systeme in Bezug auf ihre Struktur. Der Hauptverfechter dieser Herangehensweise war der französische Philologe Georges Dumézil (1898 - 1986). In seiner Trifunktionalen Hypothese vertritt Dumézil die Auffassung, dass die Götter z. B. der indisch-vedischen, griechischen, römischen und altnordischen Mythologien drei miteinander korrespondierende Rollen oder Funktionen übernommen haben, die sich in den sozialen Hierarchien der jeweiligen Kultur widerspiegeln. Der ersten oder höchsten gesellschaftlichen Schicht obliegen die Führungs- oder Herrschaftsaufgaben, die auch die priesterliche Hoheit wie die gesetzgebende Autorität umfassen und häufig mit einer magischen Kompetenz einhergehen. Der vedische Varuna, der griechische Zeus (römisch: Jupiter/​Jove) und der altnordische Odin sind Götter mit solcher Funktion. In der mittleren Schicht findet sich die Kriegerklasse, deren Hauptanliegen die Verteidigung der Gemeinschaft ist, üblicherweise mit Hilfe extremer physischer Gewalt. Der vedische Indra, der griechische Herakles (römisch: Herkules) und der altnordische Thor sind Götter mit dieser Aufgabe.17 Die dritte und niedrigste Aufgabe fällt den Fruchtbarkeitsgöttern zu, die häufig durch Zwillinge in Begleitung einer Göttin vertreten werden. Gruppierungen dieser Art umfassen die vedischen Reiterzwillinge, die Ashvins, und die weibliche Gottheit Saraswati; die griechischen Dioskuren Castor und Pollux (die römischen Gemini-Zwillinge) und deren Schwester Helena, sowie die altnordischen Geschwister Freyr und Freyja und – im Edda-Mythos – deren Vater Njörd (wobei es in anderen, älteren germanischen Überlieferungen Njörds weibliches Gegenstück, die Göttin Nerthus ist). Auf der Grundlage dieser Unterteilung der Funktionen gelingt es Dumézil, ein durchgehendes, detailliertes System von formalen und funktionalen Korrespondenzen quer durch die mythologischen Systeme der indoeuropäischen Völker zu konstruieren. Diese Theorie, so führt Dumézil aus, sollte nicht verwechselt werden mit den Dualismen von Natur versus Kultur, die fundamentale Merkmale der menschlichen Psyche zu beschreiben vorgeben. Stattdessen ist sie eine in historischen Gegebenheiten verankerte analytische Beschreibung der gesellschaftlichen Sitten und Glaubensvorstellungen einer geographisch bestimmten, ethnisch miteinander verbundenen Gruppe. Daher ist die Trifunktionalität in den indoeuropäischen Mythen ein Spiegelbild der in dieser Gruppe etablierten sozialen Strukturen und Klasseneinteilungen.18

Ein Lied der Edda, das den sozialen Klassenaspekt dieser Hypothese glaubwürdig erscheinen lässt, ist die ‚Rígsþula’ (Lied von Rig), das auf die zweite Hälfte des zehnten Jahrhunderts datiert wird und in Dänemark entstanden ist.19 In diesem besucht der geheimnisvolle Rig, dessen Name im Altirischen ‚König’ bedeutet, von dem aber auch angenommen wird, dass es sich um den Gott Heimdall handelt, drei Heimstätten, in denen er jeweils einen Sohn zeugt. In der ersten, einer kleinen Hütte, zeugt er den ärmlichen Knecht Thräl; bei seinem zweiten Besuch, auf einem Bauernhof, zeugt er Karl, den arbeitsamen Bauern und Handwerker, und in der prunkvollen Halle des Dritten zeugt er schließlich den adligen Jarl. Letzterer hat mit seiner Gattin später einen Sohn namens Kon der Junge, was dem altnordischen konungr (König) entspricht. Kon erfüllt sein Schicksal, indem er, nachdem er zum Runenmeister und Magier geworden ist, das Land erobert. Die Dreiteilung der frühen skandinavischen Gesellschaft – Knechte, Bauern und Adel – ist auf diese Weise wiedergegeben und bestätigt.

Thors Platz unter den nordischen Göttern

Die Belange, Werte und Erfahrungen der zweiten Schicht, des Handwerker- und Bauernstandes, sind es, die durch die zweitrangige Positionierung Thors artikuliert werden. Darüber hinaus wird die Geburt einer jeden Figur der drei sozialen Schichten in der ‚Rígsþula’ mit einer besonderen Farbe bezeichnet: weiß steht für den Adel, rot für den Bauernstand und schwarz für den Knecht. Diese Farbgebungen, so beobachtet Dumézil, sind charakteristisch für die Kennzeichnung der Kasten in traditionellen indischen und iranischen Gesellschaften, wobei das Konzept der Kaste synonym mit dem Begriff für Farbe (varna) ist. Die gleichen Farben kennzeichnen ebenso die hierarchische Positionierung von Gottheiten quer durch das breite Spektrum der indoeuropäischen Mythologien.20 Doch während es stimmt, dass Odin in den altnordischen Mythen bisweilen mit der Farbe Weiß identifiziert wird, sind die Belege für eine Assoziation des Knechtsstandes mit Schwarz außerhalb der ‚Rígsþula’ eher dürftig. Nichtsdestoweniger stehen Thors roter Bart und seine feurigen Augen völlig im Einklang mit der Zuordnung der Farbe zu der gesellschaftlichen Schicht, die er in den Eddas repräsentiert.

Frühe historische Unterstützung für den zweitrangigen Status Thors ist einer römischen Quelle aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung zu entnehmen, in der er sich, in seiner ersten mythologischen Verkörperung, als der germanische Gott Donar findet. Kontakte eher kriegerischer Natur zwischen den germanischen Stämmen und den römischen Legionen sind seit der Zeit Julius Caesars im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung belegt, als die Römer ihr Reich über Gallien hinaus östlich und westlich des Rheines zu erweitern suchten. Trotz der Aufnahme vieler Germanen in die Legionen, von denen einige in hohe Ränge aufstiegen, brachte die römische Zähigkeit bei diesem Bestreben nicht den gewünschten Erfolg – die völlige Vorherrschaft, wie sie die Römer beispielsweise in Britannien und in Gallien erlangten, wurde nicht erreicht. Mehr als einmal stellten riesige Horden germanischer Krieger eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit des Imperiums dar. Schon im ersten Jahrhundert u. Ztr. entwickelte sich unter den Römern eine an Bewunderung grenzende Faszination für die unverwüstlichen, streitbaren Germanen. Diese bringt der römische Historiker Tacitus in der letzten Dekade jenes Jahrhunderts in seiner Studie über die germanischen Stämme, der Germania, gründlich zum Ausdruck. Auch wenn Tacitus’ Ziel eher die Kritik an Defiziten seiner eigenen Landsleute war als Licht über die Germanen aufleuchten zu lassen, gewährt er einen tiefgründigen und einzigartigen Einblick in frühe germanische Sitten und Glaubensvorstellungen. In der Germania finden wir die erste Erwähnung der Verwandtschaftsverhältnisse der germanischen Götter, die Tacitus in Übereinstimmung mit der Vorgehensweise, die als interpretatio Romana bekannt ist, mit den Namen ihrer römischen Äquivalente belegt: ‚Von den Göttern verehren sie am meisten den Merkur, dem sie an bestimmten Tagen auch Menschenopfer darzubringen, für Recht halten. Herkules und Mars versöhnen sie durch zulässige Tieropfer.’21 Merkur, der Gott des Handels, den Julius Caesar in seinem Gallischen Krieg ebenso als den meistverehrten Gott der Germanen erwähnte, korrespondiert hier mit Odins Vorläufer Wotan; Herkules, der Keulen schwingende Gott, der für seine Stärke bekannt ist, entspricht Thors Vorläufer Donar; und Mars, der imperiale Kriegsgott, der einst aber auch ein Fruchtbarkeitsgott gewesen ist, korrespondiert vermutlich mit Tyrs Vorläufer Ziu. Was Odin und Thor betrifft, unterscheidet sich ihr Bild kaum von dem, das wir in den Eddas beschrieben finden.

Doch in schwedischen Überlieferungen, tausend Jahre nach Tacitus’ Darstellung der germanischen Bräuche, scheint Thors Aufgabe die trifunktionalen Grenzen zu durchkreuzen und er in einen Rang über Odin hinaus erhoben zu werden. Etwas davon ist in einer Beschreibung des heidnischen Tempels zu lesen, die der deutsche Chronist Adam von Bremen in der letzten Hälfte des elften Jahrhunderts verfasste:

In diesem Tempel, der ganz mit Gold geschmückt ist, verehrt das Volk die Standbilder von drei Göttern, und zwar so, dass der mächtigste von ihnen, Thor, mitten im Gemach seinen Thron hat; zu beiden Seiten nehmen Wotan [Odin] und Frikko [Freyr] Plätze ein. Die Bedeutung dieser Götter ist folgende: Thor, sagen sie, herrsche in der Luft und gebietet über Donner und Blitz, Wind und Regen, heiteres Wetter und Fruchtbarkeit. Der andere, Wotan, das heißt der Wütende, lenkt die Kriege und verleiht dem Menschen Stärke gegen seine Feinde; der dritte ist Frikko, der Frieden und Freude den Sterblichen spendet.

Sein Bildnis versehen sie auch mit einem gewaltigen männlichen Glied. Den Wotan aber stellen sie bewaffnet dar, wie unser Volk es mit dem Mars zu tun pflegt. Thor mit seinem Zepter verkörpert anscheinend den Jove [Jupiter] …

Für alle ihre Götter haben sie Priester ernannt, die die Opfer für das Volk darbringen. Wenn Seuche und Hungersnot drohen, wird dem Abbild des Thor ein Trankopfer dargebracht; wenn Krieg, dem Wotan; wenn es Hochzeiten zu feiern gibt, dem Frikko.22

Wenn die Informationen Adams weitgehend stimmen, dann ist Thor, wie Jove oder Jupiter, der höchste Gott, ein Himmelsgott, der über Donner und Blitz gebietet; das Zepter, das er in der Hand hält, kann durchaus eine Fehldeutung Mjöllnirs gewesen sein. In dieser Darstellung der religiösen Hierarchie wird die drittrangige Stellung der Fruchtbarkeitsgötter, in der sie in den Eddas gewöhnlich erscheinen, stattdessen als höchste Funktion präsentiert, die zumindest in Teilen durch Thor veranschaulicht wird. Auf eine relativ weit verbreitete Vorstellung von einer Gottheit in der Weise, wie Thor von Adam beschrieben wird, weisen altertümliche Opferrituale der Samen hin. In diesen werden die Vorstellungen von Erde und Donner miteinander vereint, um die Fruchtbarkeit der Viehbestände anzuregen und um Regen für das Gedeihen der Feldfrüchte zu erbitten. Trotzdem, so argumentiert Dumézil strikt, darf Thor nicht als Fruchtbarkeitsgott im selben Sinne wie Freyr oder Freyja gesehen werden; seine vermeintliche Unterstützung bei der Nahrungsmittelproduktion kommt weniger als Ergebnis beabsichtigter Handlungen zustande, die auf die Urbarmachung der Erde abzielen, sondern ist vielmehr ein glückliches Nebenprodukt seiner heftigen kosmischen Aktivitäten.23

DAS AUFKOMMEN DES CHRISTENTUMS

Selbst in der Zeit nach der Bekehrung stimmten kulturelle Überlieferungen, die den Platz Thors in der Rangordnung der altnordischen Götter betrafen, nicht zwangsläufig mit dem überein, was wir dazu in den Eddas finden; allerdings tendierten christliche Autoren dazu, ebenso wie Thors Anhänger aus Uppsala, ihn als Jupiter zu betrachten. In ihrer Ablehnung aller heidnischen Gottheiten setzten Saxo Grammaticus, ein dänischer Historiker des zwölften Jahrhunderts, und Ælfric, ein englischer Homilet und Prediger im zehnten Jahrhundert, Jupiter mit Thor gleich und folgten damit der römischen Tradition, die Odin mit Merkur identifizierte, wobei Odin allerdings nicht als höherrangig gegenüber Thor gesehen wurde.24 Die gleiche Beurteilung von Thors Status finden wir in der Clemens Saga, eine der vielen Lebensgeschichten Heiliger, die aus frühen lateinischen Quellen von isländischen Klerikern zur Erbauung ihrer Landsleute während des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts übersetzt wurden. In dieser Erzählung über Pontifikat und Märtyrertum des Heiligen Clemens von Rom im ersten oder zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, wird das Prinzip der interpretatio Romana umgekehrt, wobei den römischen Gottheiten die Namen ihrer mutmaßlichen altnordischen Entsprechungen gegeben werden. Hier bezieht sich der Übersetzer auf den Tempel Thors, der sicherlich dem Tempel des Jupiter entspricht. Als Clemens von ‚verstockten Heiden’ angegriffen wird, bezichtigen diese ihn der Gotteslästerung, werfen ihm vor, dass er die Befähigung zu seinem Amt durch Zauberei erlangt habe und ‚unsere edlen Götter entehrt und sagt, Thor sei kein Gott, unser treuer Schutzpatron und die höchste Göttlichkeit, voller Mut und immer nahe, wo immer er verehrt wird.’25

Weiterhin wurde ihm zur Last gelegt, alle nordischen Götter in Verruf zu bringen. Doch ziehen nicht alle Hagiographen die gleichen Parallelen zwischen den römischen und den altnordischen Göttern, weshalb Thor – abhängig von der jeweiligen Heiligenvita – hier mit Jupiter und dort mit Herkules gleichgesetzt wird, ebenso wie Odin sowohl als Jupiter oder Herkules wie auch als Merkur oder Mars auftauchen kann.26 Trotzdem erlangten, wie hinlänglich bekannt ist, die Korrespondenzen zwischen altnordischen und römischen Göttern eine quasiorthodoxe Festschreibung – und zwar in den Tagen der Woche. Eine vereinfachte Darstellung dieser Entsprechungen wäre die folgende: der germanische Dienstag [engl.: Tuesday] oder Tyrs-/​Tiustag entspricht dem ‚Marstag’, wie im Französischen Mardi; der Mittwoch [engl.: Wednesday] oder Odins-/​Wodenstag entspricht dem ‚Merkurtag’, wie im Französischen Mercredi; und der germanische Thors-/​Donnerstag entspricht dem ‚Joves-/​Jupiterstag’, analog zum französischen Jeudi. Im Laufe des dritten Jahrhunderts u. Ztr. wurde die Ersetzung der germanischen durch römische Götter in den Namen der Wochentage üblich.27

Die unterschiedlichen Einschätzungen der Rangordnung der Götter und die damit implizierte unterschiedliche Bewertung der Wichtigkeit der drei göttlichen Aufgaben sind durch die jeweiligen historischen Zusammenhänge bedingt. Handel und Wohlstand, der gewiss auch die Fruchtbarkeit der Felder und Viehbestände einschloss, hatten für die frühen Stämme Germaniens, von denen Tacitus berichtet, anscheinend Vorrang vor körperlicher Kraft und militärischer Leistungsfähigkeit. In späteren Zeitabschnitten wurde jedoch die militärische Leistungsfähigkeit zunehmend mit dem Schutz des Landes in Verbindung gebracht, der für den Besitz guter Weiden und eine reiche Ernte erforderlich war; mit der Verlagerung dieser Prioritäten wurde Thor eine größere Bedeutung zugemessen. Für das einfache Volk, das auf dem Lande oder auf See arbeitet, und – im neunten und zehnten Jahrhundert – auch in den kriegerischen Verbänden der Wikingerzeit nach materieller Verbesserung strebt, ist dies nachvollziehbar. Gerade weil Thor sich dieser großen Beliebtheit erfreute, wurde er von christlichen Berichterstattern als die wichtigste altnordische Gottheit wahrgenommen, und deshalb wurde ihm in besonderem Maße kritische Aufmerksamkeit zuteil; eine unbeabsichtigte Folge war, dass sich, zumindest für eine gewisse Zeit, die Anhänger Thors ihm jetzt erst recht zuwandten. Dass Thors Platz in der göttlichen Hierarchie in den Eddas oder in der Skaldendichtung nicht so stark glorifiziert wurde, ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Dichter im Dienste der Aristokratie standen, deren politische Interessen und Ziele treffender von Odin widergespiegelt wurden. Was die Übereinstimmungen zwischen altnordischen und römischen Gottheiten betrifft, wird die Zuordnung auch dadurch erschwert, dass sowohl Verwandtschaftsstatus als auch Eigenschaften des jeweiligen römischen Gottes ebenfalls variieren können, je nachdem, ob sich das Imperium gerade im Krieg oder im Frieden befand. Darauf mögen die unterschiedlichen Einschätzungen der Entsprechungen verschiedener Götter in den Übersetzungen lateinischer Texte zurückzuführen sein, die auf das dritte und vierte Jahrhundert zu datieren sind, so wie es in vielen isländischen Sagas der Fall ist, die über das Leben von Heiligen berichten.

Während die unbesiegten Germanenstämme östlich des Rheins im Laufe des siebten und achten Jahrhunderts letztendlich der christlichen Mission unterlagen, blieben die weiter entfernten skandinavischen Stämme isoliert und behielten die alten Sitten bis zu ihrer kriegerischen Ausbreitung ab dem frühen neunten Jahrhundert in der Wikingerzeit bei, als die christliche Mission, nicht ganz zufällig, im fernen Norden mit zunehmendem Ernst betrieben wurden. Dies führte im späten zehnten und beginnenden elften Jahrhundert schließlich zu nachhaltigen Bekehrungen in Dänemark, Norwegen und Island, wo die Monarchen und Kriegsherren Vorteile in einer Angleichung an die religiöse Kultur des übrigen Europa sahen, während Schweden einen ungleichmäßigeren Missionsprozess durchlief, der über ein Jahrhundert länger dauerte. Mit dem Christentum kam nicht allein die biblische Wissenschaft, sondern auch die klassische literarische Kultur des Mittelmeerraumes. Um die Zeit, als Snorri an seiner Prosa-Edda schrieb, im frühen dreizehnten Jahrhundert, war die griechisch-römische Kultur Teil der intellektuellen Grundlagen des westlichen und nördlichen Europa, wie auch aus Snorris euhemeristischer Erklärung des ‚Irrtums’ des altnordischen Heidentums ersichtlich ist. Die lange Geschichte der Ähnlichkeiten zwischen nord- und südeuropäischen religiösen Überlieferungen ist daher ebenso wenig verwunderlich wie ihre Komplexität und Veränderlichkeit. Zwischen den germanischen Völkern und denen des indischen Subkontinents hingegen existiert keine derartige Historie von Beziehungen. Die bemerkenswerten Ähnlichkeiten zwischen der nordisch-germanischen heidnischen Mythologie und der des Ostens sind also kaum mit Impulsen erklärbar, die aus Kontakten im Laufe des ersten Jahrtausends resultieren würden. Sie sind per se ein zwingender Beweis für die Theorie eines gemeinsamen indoeuropäischen Ursprungs.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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398 стр. 31 иллюстрация
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9783944180168
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