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Validität ist das am schwersten nachzuweisende Gütekriterium. Voraussetzung für ein valides Verfahren sind die beiden schon beschriebenen Gütekriterien Objektivität und Reliabilität.

Für die Überprüfung bzw. den Nachweis der Validität eines Verfahrens stehen verschiedene Zugänge zur Verfügung.

Über die Inhaltsvalidität wird begründet, warum davon ausgegangen wird, dass die verwendeten Aufgaben auch wirklich das zu messende Konstrukt erfassen. Dies kann beispielsweise über Expertenbefragungen erfolgen.

Für die Übereinstimmungs- oder Kriteriumsvalidität wird die Übereinstimmung mit einem sog. „Außenkriterium“ überprüft, wobei ein solches Kriterium (auch als „Goldstandard“ bezeichnet) im sprachlichen Bereich nur schwer zu finden ist. Es könnte z.B. überprüft werden, ob die Einteilung von Kindern anhand eines Testergebnisses in sprachgestört vs. nicht sprachgestört valide gelingt, indem man die Testeinteilung mit einem gleichzeitig erhobenen Expertenurteil oder auch mit Ergebnissen anderer Testverfahren vergleicht.

Die Konstruktvalidität soll verdeutlichen, inwiefern es gelingt, das zu erfassende Merkmal in Übereinstimmung mit bestehenden theoretischen Konstrukten zu erfassen. Dafür wird beispielsweise die Übereinstimmung mit ähnlichen (z.B. anderen sprachlichen Ebenen) und Nichtübereinstimmung mit divergenten Konstrukten (z. B. Aufmerksamkeit) überprüft.

Nebengütekriterien

Neben den Hauptgütekriterien existieren weitere (Neben-)Gütekriterien, welche die Qualität und die Einsatzmöglichkeiten eines Testverfahrens beschreiben.

Die Testfairness bezieht sich auf mögliche Benachteiligungen von bestimmten Personengruppen: Werden z. B. Kinder aus einem unteren sozialen Milieu benachteiligt, weil sie mit bestimmten Materialien/Themen weniger vertraut sind?

Die Kulturfairness sollte explizit darauf eingehen, ob Personen aufgrund ihrer ethnischen oder soziokulturellen Zugehörigkeit durch die Auswahl und Gestaltung von Items benachteiligt sind.

Auch die Ökonomie eines Testverfahrens sollte beachtet werden: Steht die Anwendung eines Testverfahrens in einer angemessenen Relation zur Aussagekraft des Ergebnisses?

Die Normierung eines Testverfahrens (Wurden ausreichend große und repräsentative Stichproben herangezogen?) wird ebenfalls als ein wichtiges Nebengütekriterium beschrieben.

Bewertung der Gütekriterien

Die Testmanuale der Diagnostikverfahren müssen über die Gütekriterien eines Testverfahrens Auskunft geben. In Bezug auf die Reliabilität gilt, dass die Koeffizienten über .80 liegen sollten. Für gut überprüfte Intelligenztestverfahren liegen sie oftmals deutlich über .90. In Bezug auf Sprachentwicklungstests sind die Bereiche, die aktive Sprache überprüfen, meist deutlich reliabler als Tests bzw. Untertests, die sich auf das Sprachverständnis beziehen. Das Sprachverständnis ist insgesamt schwerer erfassbar – entweder werden Bildauswahlverfahren benutzt, bei denen die Ratewahrscheinlichkeit relativ hoch ist, oder es werden Manipulationsaufgaben benutzt, deren Bewertung beispielsweise nicht immer eindeutig gelingt.

Zur Abschätzung der Validität werden entweder bestimmte Vorannahmen geprüft (Schneiden z.B. Sprachheilschüler in entsprechenden Untertests schlechter ab? Gibt es erwartbare Entwicklungseffekte?) oder die Übereinstimmungsvalidität wird über Vergleiche zu anderen Sprachtests berichtet. Derzeit finden sich aber weder für einzelne Testverfahren noch für Kombinationen verschiedener Untertests oder Testverfahren Angaben dazu, in welchem Ausmaß das bzw. die Verfahren in der Lage sind, Kinder mit (umschriebenen) Sprachentwicklungsstörungen zu identifizieren (z. B. IQWIG-Bericht; IQWiG 2009).

In vielen aktuellen Sprachtests sind die Normierungsstichproben pro Altersgruppe leider sehr klein. Es ist außerdem nicht immer nachvollziehbar, wie die Stichproben rekrutiert wurden und ob sie als annähernd repräsentativ angesehen werden können.

Anwender von psychometrischen Testverfahren sollten sich mit den Grundprinzipien der Testkonstruktion auskennen, um Normwerte angemessen interpretieren zu können, Testverfahren korrekt durchzuführen (und z.B. nicht zu denken, dass man Kindern bei der Lösungssuche helfen müsste) oder verschiedene Testwerte zueinander in Relation setzen zu können.

3.2 Rahmenbedingungen bei der diagnostischen Arbeit mit Kindern

Die diagnostische Arbeit mit Kindern erfordert in einigen Bereichen ein spezifisches Herangehen und Gestalten von Rahmenbedingungen, um zu zuverlässigen Ergebnissen und Aussagen zu kommen (Buschmann/Sachse 2017).

Motivationale Faktoren

Übergreifend ist es entscheidend, Kinder so zu motivieren, dass sie bereit sind, an der diagnostischen Untersuchung, sei es im freien Gespräch, Spiel oder bei Testverfahren, mitzuwirken. Eine generelle Bereitschaft kann insbesondere bei jüngeren Kindern nicht vorausgesetzt werden. Je jünger die Kinder sind, umso mehr wird es generell und v.a. bei der Bearbeitung von Testverfahren notwendig sein, konkrete Aufgaben zwar streng gemäß der Instruktion durchzuführen, diese aber sehr spielerisch einzubetten. Kleine Belohnungen sind oftmals angebracht und können verwendet werden, um zwischenzeitliche Motivationsabfälle aufzufangen und der mangelnden Frustrationstoleranz von Kindern zu begegnen. Es bleibt eine schwierige Entscheidung von Diagnostikern, die mit viel Fingerspitzengefühl verbunden ist, wann ein Kind bereit ist, sein sprachliches Vermögen zu zeigen und vor allem produktive Teile von Sprachtests zu bearbeiten. Die Arbeit mit Kindern setzt unbedingt Erfahrungen mit der jeweiligen Altersgruppe, mit den unterschiedlichen Störungsbildern und damit assoziierten Phänomenen (z.B. in Bezug auf das Störungsbewusstsein etc.) sowie eine absolute Vertrautheit mit dem diagnostischen Material und dem eigenen Vorgehen voraus.

Rahmenbedingungen

Die diagnostische Arbeit mit Kindern erfordert neben einem hohen fachlichen Wissen und der absolut sicheren Anwendung der eingesetzten Methoden und Verfahren auch spezifische Kenntnisse und Vorerfahrungen mit Kindern der entsprechenden Altersgruppe, um zuverlässige Informationen innerhalb des diagnostischen Prozesses zu erhalten. Einige spezifische Rahmenbedingungen, die zu beachten sind, werden im Folgenden beschrieben:

■ Kindgerechte Information über die diagnostische Situation mit kindgerechten Erklärungen: Auch Kindern ist in ausreichendem Ausmaß altersentsprechend zu erklären, warum die diagnostische Untersuchung stattfindet und was diese beinhalten wird.

■ Raumgestaltung: Besonders bei jungen Kindern ist darauf zu achten, dass der Untersuchungsraum ansprechend, aber wenig ablenkend gestaltet ist. Störquellen wie Telefone, laute Geräusche vor dem Untersuchungsraum etc. sind unbedingt zu vermeiden.

■ Zeitpunkt der Untersuchung: Die diagnostische Untersuchung sollte zu einem Zeitpunkt stattfinden, an dem sich das Kind wohlfühlt und zu dem es ausgeruht und nicht hungrig ist. In vielen Fällen ist ein Zeitpunkt am Vormittag deutlich günstiger als z. B. nach einem langen Schultag am Nachmittag. Pausen sollten dann eingelegt werden, wenn das Kind diese braucht.

■ Rückmeldungen über Aufgabenkorrektheit bei Testverfahren: Bei den meisten Testverfahren sind Rückmeldungen so zu gestalten, dass nicht klar erkennbar ist, ob es sich um eine richtige oder falsche Lösung handelt. Es ist oft notwendig und angebracht, unabhängig von einer konkreten Aufgabe und deren Korrektheit zwischendurch zu motivieren und zu loben, z.B. „Du machst super mit“, „Das klappt prima“.

■ Ab- bzw. Anwesenheit von Bezugspersonen: Bei kleineren Kindern (unter drei Jahren) kann es notwendig sein, dass eine Bezugsperson mit im Raum ist. In diesen Fällen muss die Bezugsperson gut über den Ablauf und die Vorgehensweise informiert werden. Sie sollte sich passiv und ruhig verhalten, möglichst nicht eingreifen und keine Instruktionen umformulieren. Es ist sinnvoll, die Bezugspersonen darüber aufzuklären, dass es völlig normal ist, dass ein Kind nicht alle Aufgaben lösen kann.

■ Sitzposition: Eine standardisierte Testsituation lässt sich am besten herstellen, indem eine Sitzposition über Eck an einem Tisch eingenommen wird. Bei kleinen Kindern ist auf eine angemessene Sitzhöhe zu achten, gegebenenfalls ist ein Kinderstuhl notwendig. Nicht benötigtes Untersuchungsmaterial sollte außerhalb der Sicht- und Reichweite des Kindes platziert werden.

■ Aufzeichnung der Sprachdaten: In vielen Fällen ist eine Aufzeichnung der (produktiven) sprachlichen Äußerungen und Reaktionen per Audio und/oder Video sehr sinnvoll bzw. notwendig.

3.3 Befragung

Die Methode der Befragung hat im Bereich der (Sprach-)Diagnostik einen hohen Stellenwert. Dies betrifft sowohl die Befragung unterschiedlicher Bezugspersonen (u.a. Eltern, Erzieher, Lehrer) als auch des betroffenen Kindes selbst.

Ziele/Inhalte der Befragung

Befragungen erfolgen mit unterschiedlichen Zielstellungen. Man unterscheidet zwischen der Anamnese als Darstellung der „Vorgeschichte“ einschließlich der Darstellung der aktuellen Situation (Aktualanamnese) und Explorationsgesprächen mit dem Kind oder mit den Eltern/Bezugspersonen. So kann das Ziel erreicht werden, sich ein umfassenderes Bild vom Kind und seiner Lebenswelt, den involvierten Bezugspersonen und den aktuellen Kontextbedingungen zu machen (Hesse/Latzko 2017). Daneben spielen für bestimmte Bereiche und Störungsbilder Befragungen in Form von Interviews zur Diagnosestellung eine Rolle.

Zu Beginn des diagnostischen Prozesses werden im Rahmen des Anamnesegespräches retrospektive Informationen über die Entwicklungsgeschichte des Kindes als Grundlage der diagnostischen Arbeit erhoben. Auf ihrer Basis werden oft erst konkrete diagnostische Fragestellungen abgeleitet und Hypothesen aufgestellt, die es dann zu überprüfen gilt (Hesse/Latzko 2017). Neben diesen wichtigen anamnestischen Informationen (siehe auch unten) können im weiteren Verlauf der Diagnostik gezielt Bezugspersonen des Kindes unter einer entsprechenden Zielstellung befragt werden. Dies kann das (sprachliche) Verhalten in unterschiedlichen Situationen und Kontexten betreffen. So ist es beispielsweise wichtig, das Interaktionsverhalten eines Kindes auch bezüglich der Peer-Interaktion einzuschätzen, was in der therapeutischen Praxis nicht immer über Beobachtung (z.B. in Kita oder Schule) erfasst werden kann. Die zu untersuchenden Kinder selbst werden zum einen je nach Alter im Hinblick auf ihre eigene Sicht auf die Symptomatik befragt, zum anderen steht die Exploration der Lebenswelt und Lebenssituation des Kindes im Fokus.

Befragungsformen

Je nach Strukturierungsgrad lassen sich verschiedene diagnostische Gesprächsformen unterscheiden:

■ freie Explorationsgespräche

■ Befragungen anhand von Leitfäden

■ Interviews

Insgesamt gilt es Regeln der Gesprächsführung zu beachten und für eine Atmosphäre zu sorgen, in der die Gesprächspartner (Kind oder Bezugspersonen) bereit sind, über sich und das Kind Auskunft zu geben. Da im Rahmen von Befragungen oft viele und ganz spezifische Informationen zu verschiedenen Punkten eingeholt werden müssen, gilt es insbesondere angepasst an den Inhaltsbereich unterschiedliche Fragetechniken zu beachten. Offene Fragen sind oft sinnvoller als geschlossene und führen zu einem größeren Informationsgewinn, Auswahlfragen/ Alternativfragen können für bestimmte Kontexte sehr sinnvoll sein, etc. Generell vermieden werden sollten beispielsweise Suggestivfragen (Walther et al. 2010).

Um nicht wichtige Informationen zu vergessen und Befragungen zu strukturieren, bietet sich der Einsatz von Leitfäden an. Gerade im anamnestischen Bereich liegen dafür Bögen mit unterschiedlichen Zielsetzungen vor (siehe unten).

Eine eigenständige Befragungsform stellen Interviews dar. Diese können entweder halb oder voll strukturiert sein und dazu dienen, sehr systematisch z.B. Symptome oder Einschränkungen im Alltag des Kindes abzufragen und in den Blick zu nehmen. Dies ist v.a. bei Störungsbildern sinnvoll, bei denen entsprechende Verhaltensweisen nicht immer direkt im Untersuchungskontext zu beobachten sind:

■ Das Pragmatische Profil: Analyse kommunikativer Fähigkeiten über ein strukturiertes Interview (Dohmen et al. 2009)

■ Kinder-DIPS Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen, Unterkapitel zu selektivem Mutismus (Schneider et al. 2008)

■ ADI-R, Diagnostisches Interview für Autismus (Bölte et al. 2006)

Bei allen Formen der Befragung verbleibt das Problem, dass sich die Befragten oft nicht mehr genau an weiter zurückliegende Ereignisse erinnern (z. B. „Wann hat das Kind begonnen, Zweiwortsätze zu produzieren?“) und dass Untersucher meist nur etwas über die Dinge erfahren, die explizit erfragt werden, während andere Aspekte vergessen werden können (Kany/Schöler 2009).

Anamnese als Basis diagnostischen Vorgehens

Am Beginn eines diagnostischen Prozesses steht i.d.R. die Erfassung anamnestischer Daten. Die Anamnese als Datensammlung der Vorgeschichte/Biographie (griech. anamnesis = Erinnerung) beinhaltet dabei aber auch die aktuelle Situation und Symptomatik des Kindes und seines Lebensumfelds.

Von Suchodoletz (2013) benennt wichtige Bereiche der Anamnese, beispielsweise die bestehenden Sprachauffälligkeiten und die störungsspezifische Entwicklungsgeschichte, begleitende Auffälligkeiten und Störungen, Stärken und Schwächen in anderen Entwicklungsbereichen, familiäre Vorbelastungen, ätiologische Faktoren (Hörstörungen oder andere Entwicklungsauffälligkeiten) sowie familiäre Entwicklungsbedingungen. Die Berücksichtigung der individuellen Umweltfaktoren (Analyse von extrinsischen Möglichkeiten und Beschränkungen in den Bereichen Kommunikation, Interaktion und Sozialkontakten) bzw. die

Analyse von Aspekten der Partizipation/Teilhabe (in Familie, Kita, Schule, Verein, etc.), wie sie die ICF fordert, macht deutlich, dass die alleinige Erfassung sprachlicher Kompetenzen im sprachdiagnostischen Prozess und für die Interventionsplanung nicht ausreichend sein kann. Im Rahmen bestimmter Fragestellungen sind anamnestische Informationen elementarer Bestandteil der Beantwortung, beispielsweise bei der Abklärung einer evtl. bestehenden Sprachentwicklungsstörung bei mehrsprachigen Kindern (s. Kap. 11.2.1).

Anamnesebögen zur Strukturierung von Vorinformationen

Viele dieser Informationen werden häufig über Anamnesebögen von den Bezugspersonen und/oder dem betroffenen Kind selbst im Vorfeld des ersten Treffens oder direkt beim ersten persönlichen Kontakt erfragt.

Für die Anamnese bei kindlichen Sprachstörungen liegt eine Vielzahl von vorgefertigten Bögen vor, die für die Strukturierung von Anamnesegesprächen oder die schriftliche Anamneseerhebung genutzt werden können.

Allgemeine Anamnesebögen (i. d. R. mit Fokus auf Sprachentwicklungsstörungen):

■ Elternfragebogen; IDIS: Soziale und familiäre Situation sowie Entwicklung und Auffälligkeiten; IDIS: Biographische und anamnestische Informationen zur sprachlichen Entwicklung (Schöler 1999)

■ Zusammenstellung zu Fragen der Anamnese (Schrey-Dern 2006)

■ Explorationsleitfaden für Sprech- und Sprachstörungen (von Suchodoletz 2013)

■ Dokumentationsbogen Sprachtherapeutische Anamnese bei Kindern (Korntheuer et al. 2014)

Anamnesebögen liegen auch ausgerichtet für ausgewählte Personengruppen vor, z.B.

■ sprachliche Fähigkeiten im Kontext von Mehrsprachigkeit (vgl. Kap. 11.2.1), u.a.:

– Anamnesebogen für zweisprachige Kinder (Jedik 2006a; 2006b)

– Mehrsprachen-Kontexte 2.0. Erfassung der Inputbedingungen von mehrsprachig aufwachsenden Kindern (Ritterfeld/Lüke 2013)

– bei Asbrock et al. (2011a)

– bei Korntheuer et al. (2014)

Daneben sind Bögen erhältlich, die für die Spezifika einzelner Störungsformen erweitert wurden, z. B.

■ Aussprachestörungen: Anamnesefragen bei Aussprachestörungen (Weinrich/Zehner 2017)

■ Stottern (Sandrieser/Schneider 2015; Korntheuer et al. 2014)

■ Poltern (Sick 2014)

■ Hörstörungen (Korntheuer et al. 2014; AUDIVA 2005)

■ LRS (Korntheuer et al. 2014)

Nähere Angaben dazu finden Sie in den jeweiligen Kapiteln dieses Bandes.

3.4 Beobachtung

Die professionelle Beobachtung wird als aufmerksames und vor allem zielgerichtetes Wahrnehmen von Merkmalen und Verhaltensweisen verstanden (Kany/Schöler 2007) und stellt eine der grundlegenden Methoden für die Erfassung sprachlicher Fähigkeiten in verschiedenen Kontexten dar. Sie ist damit deutlich von Alltagsbeobachtungen (z. B. „Das Kind spricht schlecht.“) abzugrenzen. Eine systematische Beobachtung stellt dabei sicher,

„was (und bei mehreren Beobachtern auch von wem) zu beobachten ist, was für die Beobachtung wesentlich ist, ob bzw. in welcher Weise das Beobachtete gedeutet werden darf, wann und wo die Beobachtung stattfindet und wie das Beobachtete zu protokollieren ist“ (Bortz/Döring 2006, 263).

Es wird deutlich, dass der Fokus der Beobachtung unbedingt im Vorfeld festzulegen ist. Hierbei können beispielsweise die folgenden Fragen helfen, eine entsprechende Fokussierung herauszuarbeiten:

■ Steht nur das Kind selbst mit seinen sprachlichen Fähigkeiten im Fokus oder auch die Interaktion des Kindes mit seinen Kommunikationspartnern?

■ Welche sprachstrukturelle(n) Ebene(n) wird/werden in den Blick genommen?

■ Wird die verbale, nonverbale und/oder paraverbale Kommunikation beobachtet?

■ Sollen auch nichtsprachliche Aspekte, z. B. im Bereich sozial-emotionale Entwicklung, beobachtet werden?

■ Soll der dem Kind angebotene Input durch den Erzieher oder den Lehrer analysiert werden?

■ Soll das Feedback bzw. generell die Reaktion auf sprachliche Äußerungen des Kindes im Blickpunkt stehen?

Modellierungsregeln einer Beobachtung

Während der Beobachtung selbst bzw. im Nachgang werden die fokussierten Aspekte dokumentiert. Hierfür liegen sogenannte Modellierungsregeln einer Beobachtung vor, die helfen, das tatsächlich beobachtete Verhalten dekontextualisiert festzuhalten (Bortz/Döring 2006, 262ff.): Zuerst ist dies die bereits thematisierte Selektion als Auswahl bestimmter Beobachtungsgegenstände. So werden für die jeweilige Beobachtung relevante von irrelevanten Informationen getrennt.

Durch die Abstraktion sollen beobachtete Ereignisse aus ihrem jeweiligen Kontext gelöst werden, was der Reduzierung auf ihre wesentliche Bedeutung entspricht.

Die Klassifikation ermöglicht die Kategorisierung von Ereignis- und Merkmalsklassen. Je nach Setting und Zielstellung der Beobachtung bieten sich hier unterschiedliche Kategorien an.

Die Erstellung eines übersichtlichen Gesamtprotokolls dient der Systematisierung der erhobenen Daten und damit letztlich der Beantwortung der Forschungsfrage(n).

Als letzter, aber enorm wichtiger Aspekt ist die Relativierung zu nennen. Es muss unbedingt darauf hingewiesen werden, dass aus punktuellen Beobachtungsergebnissen keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können. Anhand des Vorwissens ist das beobachtete Verhalten zu relativieren.

3.4.1 Formen der Beobachtung

Für die Durchführung der Beobachtung selbst werden verschiedene Formen unterschieden, die einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das zu erhebende Datenmaterial haben. Die Einteilung dieser Formen orientiert sich dabei vorwiegend an der Frage der Transparenz der Zielstellung der Beobachtung für das Kind selbst und daran, in welcher Form der Beobachter auf die beobachtete Situation Einfluss hat:

Teilnehmende/nicht-teilnehmende Beobachtung: Grundsätzlich ist zwischen einer teilnehmenden und einer nicht-teilnehmenden Beobachtung zu unterscheiden. Bei einer teilnehmenden Beobachtung gestaltet der Beobachtende die jeweilige Situation durch sein Handeln selbst mit. Bei einer nicht-teilnehmenden Beobachtung wird das Verhalten von außen beobachtet.

Das gleichzeitige Beobachten (und Protokollieren) ist mit dem eigentlichen Sinn einer teilnehmenden Beobachtung schwer zu vereinbaren. So kann das Beobachtete i.d.R. erst nach Abschluss der Beobachtung schriftlich festgehalten werden, was die Qualität der Daten schmälern kann (aufgrund von Gedächtnislücken und subjektiven Fehlinterpretationen) (Bortz/Döring 2006).

Häufig ist es schwierig, als teilnehmender Beobachter einerseits im Geschehen integriert zu sein und andererseits den „normalen“ Ablauf des Geschehens durch eigene Initiativen und Aktivitäten nicht zu verändern. Diese Mehrfachbelastung von Mitgestaltung und gleichzeitiger Beobachtung und Dokumentation kann ggf. auch zu einer Überforderung führen (Beushausen/Grötzbach 2011). Es muss ebenfalls darauf hingewiesen werden, dass durch den Einfluss eines unbekannten teilnehmenden Beobachters ggf. nur Ausschnitte der Fähigkeiten des Kindes sichtbar werden und damit z.B. bestimmte Fähigkeiten des kommunikativ-pragmatischen Repertoires verborgen bleiben (Sarimski/Möller 1991).

Offene / verdeckte Beobachtung: Im Kontext sprachheilpädagogischer und sprachtherapeutischer Arbeit wird häufig offen beobachtet. Das heißt, dem Kind bzw. auch seinen Interaktionspartnern ist i.d.R. bekannt, dass die sprachlichen/ kommunikativen Fähigkeiten in der Beobachtungssituation im Fokus der Beobachtung stehen. Wenn im Bildungskontext (Kita, Schule) eine größere Personengruppe beispielsweise im Freispiel oder in einer Unterrichtsstunde beobachtet wird, ist dies ggf. für das jeweilige Kind nicht so klar ersichtlich (welche Person im Fokus der Beobachtung steht, bleibt hier eher unklar.).

Apparative Beobachtung: Der Einsatz apparativer Hilfen (z.B. Videoaufnahmen) kann die Beobachtung wesentlich erleichtern. Gerade auch für die Beratung von Eltern, Lehrkräften oder pädagogischen Fachkräften kann das dokumentierte Material im Nachgang zur Erläuterung spezifischer Aspekte genutzt werden (z.B. zur Darstellung der Eltern-Kind-Interaktion, der Fachkraft-Kind-Interaktion, der verwendeten Feedback-Methoden der Lehrkraft).

Standardisierte / teilstandardisierte / nicht standardisierte (freie) Beobachtungen: Im Bereich der Sprachdiagnostik werden freie Beobachtungen i.d.R. nicht eingesetzt. Aufgrund des hypothesengeleiteten Vorgehens sollten zuvor Beobachtungsschwerpunkte festgelegt und ggf. die Auswahl eines Beobachtungsdokumentationsinstruments vorgenommen worden sein. Eine standardisierte Beobachtung schreibt genau vor, was zu beobachten ist und wie das Beobachtete protokolliert werden soll (Bortz/Döring 2006). Die ausschließliche Aufmerksamkeit des Beobachters liegt auf dem, in einzelne Elemente zerlegbaren, beobachtbaren Geschehen (Bortz/Döring 2006). Bei einer teilstandardisierten Beobachtung sind einzelne Aspekte in der beschriebenen Form vorstrukturiert, andere Aspekte werden zusätzlich frei beobachtet.

Als Herausforderungen bzw. Probleme bei verschiedenen Beobachtungsformen werden häufig folgende Aspekte genannt:

■ Zeigen von sozial erwünschten Verhaltensweisen (bei offener Beobachtung)

■ Beeinflussung des sozialen Geschehens durch die beobachtende Person

■ Schwierigkeiten beim Zugang zum Feld (in diesem Falle z.B. zu Interaktionssituationen mit den Eltern oder in der Kita)

■ Schwierigkeiten bei der Protokollierung, je nach Setting

■ Akzeptanz des Beobachters ist entscheidend

Die Notwendigkeit einer möglichst objektiven Beobachtung wurde bereits erläutert. Neben diagnostischen Fehlern, die bei allen Methoden auftreten können, sind für die Beobachtung spezifische Fehler in Form von Verzerrungen beschrieben (Fisseni 2004, 133f.):

■ Überforderte Differenzierungsfähigkeit: Die Kapazitätsgrenzen der menschlichen Wahrnehmung limitieren die Anzahl gleichzeitig beobachtbarer Verhaltensmerkmale und Personen.

■ Unscharfe Definition: Der Gegenstand der Beobachtung muss ausreichend definiert sein, um vergleichbare Beobachtungsergebnisse zu erhalten (z. B.: Woran mache ich fest, dass ein Kind gute kommunikative Fähigkeiten zeigt?).

■ Mangelnde Vertrautheit mit dem Beobachtungsgegenstand (und mit den Möglichkeiten zur Codierung)

■ Mangelnde Vertrautheit mit der Probandengruppe: Dies bezieht sich in der Sprachdiagnostik beispielsweise auf bestimmte Altersgruppen mit ihren entwicklungstypischen spezifischen Interaktionsformen.

Urteilstendenzen und Beurteilungsfehler

Daneben sind viele „klassische“ Urteilstendenzen und Beurteilungsfehler beschrieben, die beobachtetes Verhalten verfälschen können (Hesse/Latzko 2017, 50f.), u. a.:

■ Tendenz zur Mitte (Meidung von Extremurteilen)

■ Dichotomisierungstendenzen (Neigung zu Extremurteilen)

■ Milde- oder Strenge-Effekt (eine prinzipiell zu gute/zu schlechte Beurteilung)

■ Einfluss der zeitlichen Abfolge: Reihungs- und rhythmische Schwankungseffekte (strengere Bewertung der zuerst eingeschätzten Probanden; periodische Schwankungen)

■ Halo- oder Hofeffekt (von einem Merkmal auf alle schließend; Überstrahlungseffekt) Urteilstendenzen und Beurteilungsfehler

■ Logischer Fehler (Merkmale, die für logisch zusammengehörig betrachtet werden, werden ähnlich bewertet)

■ Referenzfehler (Bildung eines voreiligen Urteils, das die Bewertung der Verhaltensweisen beeinflusst)

Weiterhin werden der sogenannte Pygmalion-Effekt („selbst erfüllende Prophezeiung“), Wahrnehmungsfehler (fehlerhaftes Erkennen der Bedeutung), die Ermüdung des Beobachters, eine zu starke Identifikation mit dem Probanden (bei teilnehmender Beobachtung) und die Interaktion Beobachter-Beobachteter als mögliche Fehlerquellen bei der Einschätzung von beobachtetem Verhalten beschrieben.

Das Wissen um diese Beurteilungsfehler ermöglicht ein konstruktives Umgehen mit diesen beim Diagnostizieren und erhöht dadurch die Güte der über die Beobachtung ermittelten Daten.

3.4.2 Beobachtungsverfahren

Für die Strukturierung, Dokumentation und Auswertung der Beobachtung kann auf unterschiedliche Beobachtungsmaterialien (z.B. Beobachtungsbögen, Einschätzskalen) zurückgegriffen werden. Diese sollen im Idealfall dafür sorgen, dass Beobachtungen replizierbar und kommunizierbar sind. Die in Kapitel 3.1.3 beschriebenen Gütekriterien für Testverfahren gelten ebenfalls für Beobachtungen – sie sollen objektiv sowie zuverlässig sein und inhaltlich genau das im Zentrum stehende Sprachverhalten erfassen.

Die zur Verfügung stehenden Diagnostikmaterialien zur Dokumentation und Auswertung von Beobachtungen werden vor allem im Elementarbereich eingesetzt und sind in der Regel für die Hand der frühpädagogischen Fachkraft gedacht. Teilweise weisen diese Materialen dabei auch eine Überschneidung zur Methode der Befragung (vgl. Kap. 3.3) auf, was in einigen Verfahren explizit gewünscht ist (Möller/Spreen-Rauscher 2009). Dabei kommen in den verschiedenen Bundesländern ganz unterschiedliche Verfahren zur Entwicklungsdokumentation zum Einsatz, u.a.:

Beobachtungsbögen für den Elementarbereich

Beobachtungsbögen für den Primarbereich

■ SISMIK – Sprachverhalten und Interesse an Sprache bei Migrantenkindern in Kindertageseinrichtungen (Ulich/Mayr 2003)

■ SELDAK – Sprachentwicklung und Literacy bei deutschsprachig aufwachsenden Kindern (Ulich/Mayr 2006)

■ Literacy- und Sprachentwicklung beobachten (bei Kleinkindern) (liseb), (Mayr et al. 2014)

■ Leitfragen zur Beschreibung von Sprachkompetenz (Haid/Löffler 2015)

■ Begleitende alltagsintegrierte Sprachentwicklungsbeobachtung in Kindertageseinrichtungen (BaSiK) (Zimmer 2014)

■ Sprachlerntagebuch (z. B. in Berlin) (Ochsenstein 2017)

■ Beobachtungsverfahren mit qualitativ-hermeneutischer Ausrichtung (für einen Überblick Mischo et al. 2011)

■ Sprachentwicklung und Literacy bei Kindern im Schulalter (1. bis 4. Klasse) (selsa), (Mayr et al. 2012)

■ Kriterien für Unterrichtsbeobachtungen im Bereich Sprache (Reber/Schönauer-Schneider 2014)

Die Güte dieser Verfahren ist sehr unterschiedlich und nur selten liegen ausreichende Angaben zur Prüfung der Gütekriterien vor. Somit bleibt häufig unklar, wie objektiv die so ermittelten Daten einzuschätzen sind, ob tatsächlich die angegebenen Konstrukte erfasst werden und wie genau dies geschieht.

Zusätzlich werden zur Entwicklungsdokumentation weitere, dialogische Dokumentations- und Beobachtungsverfahren wie Portfolios oder Lerngeschichten genutzt, in denen auf vielfältige Weise immer wieder Produkte der Kinder gesammelt und reflektiert werden, wobei es bei diesen Verfahren zahlreiche Varianten gibt (Mischo et al. 2011; Ulber/Imhof 2014).

Beobachtung als obligatorischer Bestandteil der Diagnostik

Im Rahmen der hier beschriebenen Gesamtdiagnostik einer sprachlichen Auffälligkeit wird zwangsläufig immer eine Beobachtung des sprachlichen Verhaltens durch den Untersucher innerhalb der Gesprächs-, Spiel- und Testsituationen Bestandteil des diagnostischen Prozesses sein. Ob diese Beobachtung mit Hilfe von Beobachtungsrastern, Checklisten oder durch eine ausführliche Betrachtung spontaner sprachlicher Äußerungen erfolgt und welche anderen Beobachtungen (z.B. in schulischen Situationen oder durch andere Bezugspersonen) einfließen werden, ist abhängig von der konkreten Fragestellung. Bestimmte sprachliche Bereiche sind der direkten Beobachtung dabei unmittelbarer zugänglich als andere (z.B. eine Stottersymptomatik vs. Leistungen des Sprachverständnisses).

3.5 Elizitationsverfahren

Im Rahmen des diagnostischen Prozesses ist es notwendig, gezielt und systematisch sprachliche Fähigkeiten und einzelne sprachliche Bereiche zu betrachten und zu bewerten. Im Gegensatz zu Beobachtungen, bei denen nur das eingeschätzt werden kann, was das Kind spontan zeigt, ermöglichen Elizitationsverfahren, dass das Kind ganz bestimmte zu überprüfende sprachliche Fähigkeiten zeigt.

Es lassen sich zwei große Klassen von Verfahren unterscheiden – standardisierte Testverfahren (zu denen auch Screenings gehören) und informelle Testverfahren. Standardisierte und normierte Testverfahren ermöglichen es, die sprachlichen Fähigkeiten einer Person messbar zu machen und im Vergleich zu einer Normstichprobe zu bewerten. Informelle Verfahren dienen dazu, einzelne sprachliche Phänomene im Vergleich zur „fertigen Standardsprache“ zu beurteilen, also z.B. das Vorhandensein einer bestimmten grammatischen Struktur zu untersuchen.

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9783846349465
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