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Читать книгу: «Katakomben», страница 4

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Van den Berg schossen die Namen durch den Kopf, die Freddy De Breuyn seinem Rechner entlockt hatte: Thierry Muller und Yves Grangé. Er rief Nicole an - die beiden entschieden, sich in einer halben Stunde im Präsidium zu treffen. Van den Berg hoffte, dass die beiden Männer sie auf die richtige Spur führen würden. Sie hatten herzlich wenig in der Hand – das musste sich schnell ändern. „Wir fahren sofort los“, begrüßte er die Psychologin, die ganz in Schwarz gekleidet war.

Die beiden Vorbestraften waren ordnungsgemäß gemeldet. De Breuyn hatte allerdings vergeblich versucht, die Telefonnummern der verurteilten Mörder herauszubekommen. „Wir fahren erst zu Muller“, sagte van den Berg im Befehlston. Nicole lächelte charmant. „Warum nicht?“ Sie fuhren in hohem Tempo in Richtung Norden, nach Schaerbeek.

Die Kommune hatte sich in den letzten Jahrzehnten zu einem reinen Einwandererstadtteil entwickelt. Gewalt und Kriminalität gehörten zum Alltag im größten Brüsseler Bezirk. Sie bogen in die Rue Dupont ein, einer schmuddeligen Straße, deren bessere Zeiten lange zurücklagen. „Da muss es sein“, rief Deflandre.

Die beiden Polizisten sprangen ungeduldig aus dem Wagen. Van den Berg näherte sich der unscheinbaren Eingangstür mit gezogener Waffe. Das Namensschild am Briefkasten bestätigte, dass sie an der richtigen Adresse waren. Nicole kauerte lässig im Rücken ihres Kollegen. Van den Berg tippte vorsichtig auf die Klingel. Nichts rührte sich in dem Haus, das grau und unauffällig wirkte und sich in nichts von den Nachbargebäuden unterschied. Sie schellten erneut. Wieder kam keine Reaktion. Beim dritten Versuch vernahmen sie ein dumpfes Rumpeln aus dem Innern des Hauses. Dann war es wieder still.

Van den Berg überlegte kurz, ob er Verstärkung anfordern sollte. Im gleichen Moment schlug etwas von innen an die Tür. Die beiden wurden nervös, van den Berg entsicherte blitzschnell seine Waffe. Die Tür öffnete sich langsam. Vor ihnen stand ein etwa 50-jähriger Mann. Er trug einen weißen Bademantel, er war unrasiert und seine glasigen Augen blickten aus tiefen Augenhöhlen. „Was gibt´s?“, nuschelte die Gestalt. „Sind sie Thierry Muller?“ „Wer will das wissen?“ Van den Berg zog hastig den Dienstausweis aus seiner Innentasche.

Die Polizisten folgten dem Mann ins Wohnzimmer. Ein mächtiger Eichentisch stand am Ende des Raumes, an den Wänden hingen Reproduktionen von Werken aus der Zeit des Expressionismus. „Herr Muller, wo waren sie gestern und vorgestern?“, fragte van den Berg knapp. Nicole beobachtete den Mann konzentriert, während er seine Stirn in Falten zog und nachdachte. „Ich war zu Hause.“ „Was denn, die ganze Zeit? Arbeiten sie nicht?“ „Ich bin krank. Ich leide unter Pfeifferschem Drüsenfieber.“

Van den Berg musterte den Mann skeptisch. „Kann jemand bezeugen, dass sie die letzten Tage hier waren?“ Nein, ich lebe allein.“ Van den Berg warf Nicole einen fragenden Blick zu. Der Blick der Psychologin verriet, dass sie Muller bereits durchschaut hatte. Dieser schwächliche Typ sollte die Mädchen zu den Kirchen geschleppt haben? Das konnte sie sich schwerlich vorstellen. „Ich nehme an, sie sind in ärztlicher Behandlung?“, fragte van den Berg. Muller nickte und schrieb die Telefonnummer seines Docs auf einen Zettel. „Wir werden das überprüfen.“ „Worum geht es hier eigentlich? Von welcher Abteilung sind sie?“ „Wir ermitteln in einem Mordfall. Sie lesen wohl keine Zeitung?“

Muller machte Anstalten zu protestieren. „Unser Besuch ist reine Routine“, beruhigte ihn van den Berg. Die Polizisten verabschiedeten sich. „Dass der Typ ziemlich kaputt ist, dürfte klar sein, oder?“, meinte Nicole, als sie in den Wagen stieg. „Aber er hat kein Alibi. Vielleicht spielt er uns was vor. Wir lassen ihn observieren, bis wir mehr wissen.“ Nicole zögerte einen Augenblick. „Ist dir aufgefallen, dass Muller deinem Blick ein einziges Mal ausgewichen ist?“ Der Kommissar schaute Nicole verblüfft an. „Nein, wann denn?“ „Als du ihm klargemacht hast, dass es um Mord geht.“ „Und?“ „Er hat nicht nur weggeschaut, er hat sich mit seiner Hand über die Stirn gestrichen. Das war eine Spur zu heftig. Irgendetwas gefällt mir an dem Typen nicht.“ „Muller ist ein verurteilter Mörder, da darfst du nicht zu viel erwarten“, scherzte van den Berg.

Nicole lächelte nachdenklich. „Jedenfalls hat er das Mädchen nicht die Treppe raufgeschleppt.“ Van den Berg nickte. Er hatte Muller nicht mehr auf der Rechnung, aber ganz sicher war er sich nicht. „Ich werde mit seinem Arzt sprechen, dann wissen wir, ob er uns Märchen erzählt hat.“

Yves Grangé war in der Rue de Spa gemeldet. Der Zufall wollte es, dass die gutbürgerliche Straße, die an der großen Verkehrsachse Rue de la Loi lag, Nicole bestens bekannt war. Eine Freundin war vor ein paar Monaten nach Brüssel gezogen und lebte in der ruhigen Straße in einer Wohngemeinschaft. Van den Berg parkte seinen MG in zweiter Reihe neben einem Mercedes SL. Die beiden Polizisten begutachteten das helle Mehrfamilienhaus. Van den Berg studierte die Klingelschilder und den Briefkasten. „Kein Grangé! Scheiße!“ stöhnte der Polizist.

Van den Berg blickte noch einmal an der Hausfassade hoch. Ihm wurde schlagartig klar, dass die Suche nach dem zweiten Verdächtigen länger dauern würde. Er überließ Deflandre die Befragung der Nachbarn und fuhr ins Büro. Im Kommissariat kam ihm De Breuyn auf dem Flur entgegen. „Ich habe mit Mullers Arzt gesprochen. Der Typ leidet tatsächlich unter Pfeifferschem Drüsenfieber, seit mindestens einem Jahr. Außerdem säuft er wie ein Loch. Der Doc hält es für ziemlich unwahrscheinlich, dass dieses Wrack ganz easy eine Mädchenleiche so eine lange Treppe hinauf schleppt“, meinte der Polizist mit seinem typischen schrulligen Lachen " „Du bist ja echt fix, Freddy. Dann können wir den ja abhaken", erwiderte van den Berg nachdenklich. Irgendetwas gefiel ihm nicht an Muller, er kam nur nicht darauf, was es war.

Die Polizisten tappten im Dunkeln. Die Befragung der Prostituierten vom Gare du Nord hatte in puncto Catherine Lerisse rein gar nichts ergeben. Keine der Damen wollte das zarte Mädchen in der Rue de la Prairie gesehen haben. Was Dorothee betraf, glaubte sich eine Nutte zu erinnern, dass sie aus Liège stammte.

Die Suche nach Yves Grangé gestaltete sich schwierig. Keiner der Nachbarn hatte ihn offenbar jemals zu Gesicht bekommen. Der Mann schien ein Phantom zu sein. Deflandre fragte sich, ob die Rue de Spa eine Briefkastenadresse war, mit der der Gesuchte kriminelle Geschäfte abwickelte. Der Polizist wählte gerade van den Bergs Nummer, als ein unscheinbarer Mann im blauen Arbeitskittel an der Haustür auftauchte.

Deflandre wartete, bis er aufgeschlossen hatte, und hastete dann mit gezogenem Dienstausweis auf ihn zu. „Deflandre, Polizei Brüssel. Darf ich fragen, wer sie sind?“ Der Mann schaute Deflandre leicht verängstigt an und stellte sich als Hausmeister vor. „Gibt es einen Ort, an dem wir in Ruhe sprechen können?“ Der unscheinbare Mann lotste Deflandre in den Keller bis zu einer schweren Eisentür, hinter der die Heizungsanlage untergebracht war.

„Wir suchen diesen Mann“, sagte Deflandre, während er das Foto des Gesuchten gegen das schwache Deckenlicht hielt. Der Hausmeister zuckte mit den Schultern. „Wer soll das sein?“ „Yves Grangé, er ist in diesem Haus gemeldet.“ Deflandre sah dem Mann an, dass er eine Idee hatte. „Es gibt eine Wohnung ohne Namensschild, die ist vollkommen leer. Wir mussten da vor ein paar Wochen rein, Wasserrohrbruch!“ Deflandre nickte und wählte noch einmal van den Bergs Nummer. Der Hausmeister besorgte derweil den Schlüssel für die Wohnung.

Es stellte sich heraus, dass er kaum übertrieben hatte. Die Zweizimmerwohnung war tatsächlich fast leer, lediglich eine Matratze und ein kleiner Kühlschrank verloren sich in dem weiß getünchten Zimmer. Als sich Deflandre zum Kühlschrank herunterbeugte, vernahm er ein Knarren an der Haustür. Der Polizist fuhr herum und tastete nach seiner Dienstwaffe. „Ich bin es nur, Eric“. Van den Berg registrierte amüsiert, dass er seinen Kollegen erschreckt hatte. „Richtig gemütlich hier“, scherzte der Kommissar.

Die Polizisten diskutierten lebhaft darüber, was von der verlassenen Bude zu halten war. „Wahrscheinlich hat er die Wohnung nur angemietet, um irgendwo gemeldet zu sein", mutmaßte Deflandre. „Oder er hat die Wohnung aufgegeben, weil er schnell wegmusste", warf van den Berg ein. „Was mich viel mehr interessiert: Wie finden wir ihn?“ Der Polizist sah in der Fensterscheibe, dass jemand hinter ihnen stand. Es war Nicole, die sich lässig an den Türrahmen lehnte. Sie hatte die Unterhaltung der beiden schon eine Weile verfolgt.

Die Psychologin trug eine eng geschnittene weiße Bluse und eine schwarze Hose, die in auffällige Lederstiefel gesteckt war. „Merkwürdige Wohnung. Es wäre gut, wenn wir den Typen schnell finden würden“, sagte sie.

Grangé war abgetaucht. Die Heimlichtuerei und der bemerkenswerte Zustand seiner Behausung machten den Mann verdächtig, das war aber auch alles. Bis vor fünf Jahren hatte er als verurteilter Mörder in Saint-Gilles gesessen und war nach zehn Jahren Haft wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden. Der zuständige Psychologe hatte seinem Patienten in seinem Gutachten attestiert, keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr zu sein. Vor seiner Verhaftung waren Fahndungsfotos von Grangé in Umlauf, die einen muskulösen aber dennoch unscheinbaren jungen Mann zeigten.

Er hatte damals in einem Verlag als Buchhalter gearbeitet. Aber wo verdammt war er jetzt? Wo wohnte er? Was machte er? Wie konnten sie ihn bloß finden? Die Sonderkommission zog in Erwägung, ein Foto des Mannes an die Medien zu geben. Sie verwarfen die Idee. Van den Berg war der Meinung, der Tatverdacht reiche für diese Maßnahme nicht aus. Nicole gab zu bedenken, dass man den Verdächtigen so nur unnötig aufschreckte. Man fände leichter eine Spur zu dem Phantom, wenn man im Verborgenen ermittelte.

Van den Berg hatte Marie in De Haan kennengelernt. An seinen freien Tagen war der Kommissar häufig in den verschlafenen Küstenort gefahren. Er erinnerte sich gern zurück an den Frühlingstag. Die Sonne kämpfte gegen die grauen Wolken, ein kräftiger frischer Wind strich über das Meer und den breiten Strand. Der Kommissar mochte das raue Klima, das zu seiner temperamentvollen Natur passte.

Der Blick auf den Sand und das Wasser schärfte seinen Verstand, setzte Gedanken und Emotionen frei, die in Brüssel unter der Dunstglocke blieben. Er setzte sich neben die blonde Frau auf die Bank.

Es dauerte eine Weile, bis sie begannen, miteinander zu sprechen. Von Anfang an war van den Berg von der Frau fasziniert. Ihm gefielen der Klang ihrer Stimme und ihr Lächeln. Marie lebte in Paris, im vornehmen achten Arrondissement, in der Nähe des Eiffelturms. Sie studierte Deutsch und Spanisch an der Sorbonne. Nie hatte van den Berg eine leidenschaftlichere Beziehung erlebt, als mit dieser zierlichen Frau, die ihn immer wieder mit verrückten Ideen überraschte. Er dachte an den Tag, als sie am Kommissariat mit einer alten Harley-Davidson auftauchte und sie spontan an den Atlantik fuhren und erst im Morgengrauen in Biarritz ankamen.

Van den Berg verschanzte sich mit Deflandre und Nicole in seinem Büro. Er gab Anweisung, nicht gestört zu werden. Die Stimmung im Kommissariat war gereizt. Journalisten hatten sich am Morgen bei van den Berg gemeldet und ihn gefragt, warum es noch keine heiße Spur gab. Zwei grauenhafte Mordfälle mussten aufgeklärt werden, sie brauchten Ergebnisse und das möglichst schnell.

Die außergewöhnlichen Umstände des Verbrechens ließen die Phantasie der Journalisten ins Kraut schießen. Eine Boulevardzeitung erfand den „Negligé-Killer“, eine andere erschuf das „Giftmonster“. Van den Berg hatte eine tiefe Abneigung gegen die reißerische Berichterstattung der bunten Blätter.

Vor einem Jahr, als er sich mit dem bizarren Ritualmord beschäftigen musste, war er mit einem jungen ehrgeizigen Fernsehjournalisten aneinandergeraten, der ihm und seinen Kollegen in einer Live-Sendung Unfähigkeit bei den Ermittlungen vorgeworfen hatte. Er war auf den Provokateur mit Fäusten losgegangen, Deflandre hatte ihn im letzten Moment davon abgehalten, zuzuschlagen. Fotos der Auseinandersetzung, die den aufgebrachten Kommissar mit wutverzerrter Fratze in Großaufnahme zeigten, waren in einigen Zeitungen auf den Titelseiten gedruckt worden.

Mit Journalisten sprach er nicht mehr. Der Polizist hatte damals überlegt, alles hinzuschmeißen. Nur Marie und die Kollegen, die sich geschlossen hinter ihn stellten, hatten ihn umgestimmt. Jetzt war er wieder da, der öffentliche Druck, dem er sich nicht entziehen konnte, der ihn rasend machte.

Der Kommissar orderte einen ganzen Stapel Bücher über exotische Gifte. Er hatte wenig Lust, das Internet nach Informationen durchzuforsten, ebenso wenig wollte er die Recherche De Breuyn überlassen.

Er fand vor allem medizinische Abhandlungen über die Wirkungsweise des Giftes und über dessen früheren Einsatz als Medikament, im Wesentlichen das, was De Coster schon lang und breit doziert hatte. Als es ihm reichte mit der anstrengenden Lektüre, stieß er auf eine Passage, die ihn neugierig machte. Das Kapitel beschrieb ausführlich, wie Indianer im Amazonas Curare zur Jagd eingesetzt hatten und um sich gegen die Eroberer zur Wehr zu setzen. Aber ein Zusammenhang zu seinen Fällen fiel ihm nicht ein. Van den Berg eilte in den Besprechungsraum und holte die große Metalltafel aus dem Schrank, die er schon oft für Tatortskizzen und andere Aufzeichnungen benutzt hatte.

Mit einem schwarzen Filzstift skizzierte der Kommissar die Namen der Opfer, die Tatorte und die Personen im Umfeld der Toten. Dann schrieb er die Namen Muller und Grangé dazu. Van den Berg blickte zu Nicole. „Eric glaubt, dass wir es mit einem Psychopathen zu tun haben.“ „Es spricht einiges dafür, dass der Täter eine Persönlichkeitsstörung hat. Er hat seine Opfer vergiftet, wahrscheinlich wollte er, dass sie elendig ersticken. Mitgefühl ist für diesen Typen ein Fremdwort. Ich bin mir trotzdem nicht sicher, dass es ihm darum geht, seine Opfer leiden zu sehen.“ „Wenn er sie nicht leiden sehen will, warum denkt er sich dann so was Krankes aus?“ „Er will beachtet werden und Schrecken verbreiten. Er hat sich zwei große Kirchen ausgesucht, er hat zwei Menschen umgebracht, mit einem exotischen Gift, er hat Zeichen hinterlassen. Das ist deutlich.“

Deflandre grinste. „Da hat uns dein wallonischer Genius ja mal wieder ein großes Stück weitergebracht.“ Nicole blieb cool, sie fragte sich nur, woher ihr Kollege wusste, dass ihre Großeltern aus Liège stammten. Dem Kommissar platzte der Kragen. „Wenn du sonst nichts beizutragen hast, hältst du jetzt die Schnauze.“ Deflandre sah ein, dass es besser war zu schweigen.

Jemand klopfte an die Bürotür. „Ich habe doch gesagt, wir wollen nicht gestört werden“, raunte van den Berg. Es war Freddy De Breuyn, der vor der Tür stand und von der Anweisung offensichtlich nichts mitbekommen hatte. Van den Berg bat ihn herein. „Ich hoffe, du hast was Brauchbares. Das könnte die dicke Luft hier drin vertreiben.“ „Ich habe mich an unser Phantom gehängt. Er ist tatsächlich ein ganz großes Fragezeichen. In dem Verlag kennt ihn kaum noch jemand. Es gibt zwei Leute da, die mit ihm zu tun hatten, das war´s. Dann habe ich die Nachbarn gesucht, die damals in seiner Umgebung wohnten, ich habe dir die Kontaktdaten auf den Schreibtisch gelegt.

„Gute Arbeit“, lobte van den Berg. „Das Beste kommt doch noch.“ De Breuyn zögerte die Antwort extra ein Weilchen hinaus. Er wusste von den Frotzeleien auf den Fluren über ihn, den schrägen Vogel. Wenn seine akribischen Recherchen wieder einmal etwas Wichtiges zutage gefördert hatten, rächte er sich für die Gemeinheiten. „Erzähl schon“, rief Deflandre, der zu den größten Lästermäulern gehörte.

De Breuyn zog sein Mobiltelefon aus der Tasche. Die Polizisten schauten sich fragend an, Nicole schaltete am schnellsten. „Du hast seine Mobilnummer?“ „Exakt!“ Die triste Stimmung in van den Bergs Büro schlug blitzschnell in Euphorie um. „Dann wollen wir mal schauen, wo sich unser Freund rum treibt“, meinte van den Berg freudig erregt. Den Aufenthaltsort eines Flüchtigen per Handy zu ermitteln, war eine gängige Fahndungsmethode. Gleich der erste Versuch funktionierte, Grangé war geortet.

Als van den Berg hörte, dass sich der Gesuchte an der belgischen Küste herumtrieb, musste er an Marie denken und an De Haan. Er fragte sich, was sie gerade machte, was sie sagen würde, wenn er sie anrief. Würde er durchdrehen, wenn sie miteinander sprachen?

Van den Berg war erleichtert, als sich herausstellte, dass Grangé an einem anderen Küstenabschnitt unterwegs war. Er war in De Panne, einem lebhaften Ort an der französischen Grenze, wo viele Familien Kurzurlaub machten.

Sie hielten es für das Beste, sofort loszufahren, in einer Stunde würden sie dort sein. Sie debattierten noch kurz darüber, ob Nicole die Fahrt ans Meer mitmachen sollte.

Van den Berg wollte vermeiden, sie einem hohen Risiko auszusetzen, die Psychologin versprach, bei Gefahr im Verzug aus der Schusslinie zu bleiben. Der Kommissar wusste, dass die Psychologin ihm von großem Nutzen sein konnte, wenn sie Grangé schnappten. Sie nahmen den großen Peugeot, van den Bergs Dienstwagen. Deflandre übernahm das Steuer, Nicole und van den Berg setzten sich nach hinten, um ihre Vorgehensweise zu beraten.

Nicoles Blick fiel auf eine halbe Rolle Kekse, die hinten auf der Ablage hin und her rollte. „Futterst du nicht immer diese Sorte?“ Van den Berg fühlte sich ertappt. „Die habe ich hier wohl liegen gelassen.“ Es dauerte keine zwei Minuten, bis der Kommissar die letzten fünf Kringel verputzt hatte. Nicole und Deflandre beobachteten ihn interessiert dabei und amüsierten sich über seinen Heißhunger auf Süßkram.

Der junge Polizist war für seinen wilden Fahrstil berüchtigt - Deflandre hatte sich schon Anzeigen von Autofahrern eingehandelt, die sich von seinen waghalsigen Überholmanövern provoziert fühlten und sich bei seinem Vorgesetzten beschwerten. Van den Berg rüffelte seinen Kollegen regelmäßig, wenn er mit mehr als 200 Sachen über die Autobahn jagte. Jetzt aber ließ der Kommissar ihn gewähren. Er wollte diesen Grangé aufspüren, und das möglichst schnell. Es war die einzige Erfolg versprechende Fährte, die sie hatten, er durfte ihnen nicht durch die Lappen gehen – auf gar keinen Fall. Als sie in De Panne ankamen, waren nur wenige Menschen auf den Straßen unterwegs, der anhaltende Nieselregen hatte den Urlaubern die Lust auf ausgedehnte Spaziergänge vermiest. Es war nicht schwer, die Pension „Aan Zee“ zu finden.

Die schlichte Herberge unterschied sich kaum von den anderen grauen Häusern in der Umgebung. Van den Berg und Nicole betraten das Hotel durch die offene Tür. Deflandre blieb draußen und beobachtete das Gebäude von der Seite aus, sodass er gleichzeitig auch den Hintereingang im Auge hatte. Das bescheidene Foyer an der Rezeption machte zwar einen einfachen aber gepflegten Eindruck. Am Empfang saß ein Mann, der mindestens siebzig sein musste.

Konzentriert blickte der Alte über den Goldrand seiner Brille und studierte die Ankömmlinge. „Bonjour, wir sind von der Polizei Brüssel, Mordkommission.“ Der Mann schaute erstaunt, blieb aber gelassen. „Wir suchen einen Yves Grangé.“ „Der Name sagt mir nichts. Der wohnt bestimmt nicht hier.“ „Vielleicht nicht unter diesem Namen!“ Van den Berg fischte ein Foto aus der Tasche. Der Mann nickte. „Das könnte er sein“, murmelte er. „Er sieht etwas älter aus, aber …“

Er schlug das Gästebuch auf. „Peters, René Peters, ich denke, das ist er.“ „Ist er auf seinem Zimmer? Wann haben sie ihn zum letzten Mal gesehen?“ „Vor einer Stunde. Er ist nicht hier. Er geht mittags immer weg und kommt gegen Abend wieder.“ „Seit wann wohnt er hier?“, wollte van den Berg wissen. „Seit einer Woche.“

„Unser Freund ist gerne inkognito“, sagte der Kommissar lächelnd. Was führte Grangé im Schilde? Warum versteckte er sich in einer Pension in De Panne? War er der Mann, der zwei Menschen vergiftet und vor eine Kirche geworfen hatte? Sie fragten sich, ob er Verdacht geschöpft und nicht mehr in die Pension zurückkehren würde.

Sie machten einen weiteren Versuch, Grangé zu orten. Aber es gelang ihnen nicht – hatte er etwas gerochen und sein Handy entsorgt? Sie warteten im Wagen, Nicole verließ die beiden Kollegen ab und zu, um Getränke und Snacks zu besorgen.

Es begann zu dämmern und die drei Polizisten dachten darüber nach, ob Grangé überhaupt auftauchen würde oder ob sie nur ihre Zeit verschwendeten. Deflandre vertrat die Ansicht, dass das Phantom bereits über alle Berge war - van den Berg wusste nicht so recht, was er glauben sollte. Nicole war allerdings davon überzeugt, dass Grangé schon bald aufkreuzen würde.

Als van den Berg gerade im Begriff war, eine Schlafpause einzulegen, näherte sich ein kräftiger Mann in unauffälliger grauer Jacke. Mit schnellen Schritten eilte er auf den Hoteleingang zu. Der Wind hatte seine Haare völlig zerzaust. „Das ist er!“ Deflandre zog seine Waffe, lud sie durch und riss die Autotüre auf. „Warte, es ist zu spät, er ist schon fast im Hotel“, rief van den Berg. „Wir holen ihn uns besser im Zimmer.“

Die beiden Männer stiegen langsam aus dem Auto, während Nicole zurückblieb und das Hotel von jener Position aus beobachtete, die Deflandre zuvor eingenommen hatte. Die Polizisten sprachen kurz mit dem Concierge, der ihnen bestätigte, dass der Mann, der soeben im Hotel aufgetaucht war, mit demjenigen übereinstimmte, der als René Peters eingecheckt hatte.

Der Kommissar und sein junger Assistent schlichen die schmale Treppe hinauf bis in den zweiten Stock. Zimmer 23, hier musste er sein. Deflandre klopfte an die Tür ohne etwas zu sagen, van den Berg stand hinter ihm mit dem Revolver im Anschlag. Nichts rührte sich. Sie warteten eine halbe Minute, dann klopften sie erneut. Noch immer kam keine Reaktion aus dem Zimmer. Deflandre legte sein Ohr an die dünne Tür. Er hörte einen Windzug, das Fenster schien offen zu stehen, sonst vernahm er nichts.

„Grangé oder von mir aus Peters, wir wissen, dass sie hier sind. Öffnen sie die Tür, wir haben ein paar Fragen. Wir sind von der Polizei!“ Es vergingen weitere zwei Minuten, ohne dass sich etwas rührte. „Wir öffnen“, flüsterte van den Berg.

Deflandre steckte den Schlüssel in den Zylinder und schloss leise auf. Mit einem heftigen Ruck drückten die Polizisten die Tür auf und sprangen ins Zimmer. „Polizei - kommen sie raus!“ Das Bett war zerwühlt, Deflandre lief ins Badezimmer. „Scheiße, da ist auch niemand!“ Van den Berg rannte nach unten zur Rezeption. „Wie kommt man von der zweiten Etage zum Hinterausgang?“ „Über die Feuertreppe und das Dach!“ „Scheiße!“

Van den Berg ärgerte sich über seinen dämlichen Fehler, nicht gleich alle Fluchtmöglichkeiten in Betracht gezogen zu haben. In diesem Moment kam Nicole ins Hotel gestürmt. „Beeilt euch, er ist in Richtung Strand geflüchtet.“

Deflandre hielt sich für den schnellsten Polizisten Brüssels, mindestens das. Als Jugendlicher war er ein herausragender Leichtathlet gewesen und hatte es auf der Sprintstrecke zum belgischen Jugendmeister gebracht.

Er rannte in die Richtung, die Nicole ihm gewiesen hatte. Van den Berg hatte keine Mühe, ihm zu folgen, obwohl er zehn Jahre älter war als er. Der Kommissar genoss es, dass er noch so schnell auf den Beinen war. Deflandre hatte die Spur aufgenommen. Er sah einen großen Mann in dunkler Jacke, der den Strand entlang rannte. Das musste er sein.

Deflandre glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als van den Berg unvermittelt neben ihm auftauchte. Er hätte zu gern etwas gesagt, aber für Sprüche war jetzt keine Zeit. Sie zogen das Tempo noch einmal an, sie kamen dem Flüchtenden immer näher, keine 100 Meter lagen jetzt mehr zwischen ihnen. Der Strand war fast menschenleer, nur ein paar Familien gingen mit ihren Kindern am Meer spazieren. Es hatte aufgehört zu regnen. „Bleiben sie stehen, Grangé! Polizei!“, brüllte van den Berg so laut er konnte. Der Flüchtende rannte weiter, er drehte sich nicht einmal zu ihnen um.

Nur langsam gelang es ihnen, Grangés Vorsprung aufzuholen. Die Polizisten mussten anerkennen, dass ihr Gegner offensichtlich in guter Form war. Plötzlich blickte er einen kurzen Moment zu ihnen und wechselte mit einem flinken Haken die Richtung, jetzt rannte er vom Wasser weg in Richtung der dicht bebauten Promenade. „Wir müssen ihn kriegen, bevor er vom Strand runter ist“, rief van den Berg zu Deflandre. Der Polizist zog seine Pistole und feuerte eine Kugel in die Luft ab. „Das ist die letzte Warnung, Grangé!“ Der Gejagte drehte sich zu den Polizisten, im gleichen Moment stolperte er und ging zu Boden. Er raffte sich noch einmal auf, aber im tiefen Sand dauerte es zu lange, bis er Geschwindigkeit aufnehmen konnte, die Polizisten kamen immer näher.

Grangé schien unbewaffnet zu sein, sie verzichteten darauf, auf ihn zu schießen. Deflandre warf sich auf den Mann und packte seinen rechten Fuß. Das Phantom strauchelte und fiel bäuchlings in den Sand. Deflandre versetzte ihm einen Faustschlag aufs Kinn, während er auf ihm kniete. Van den Berg drehte Grangé auf dem Rücken, er keuchte und rang nach Luft. Er reckte die Hände nach oben als Zeichen, dass er keinen Widerstand mehr leisten würde. „Legen sie sich auf den Bauch – die Hände auf den Rücken!“, befahl Deflandre. Grangé gehorchte und drehte sich im nassen Sand.

Jetzt kam Nicole dazu, die auf van den Bergs Geheiß Abstand zu dem Verdächtigen gehalten hatte. Sie sah die Erleichterung in van den Bergs Gesicht, den Gesuchten endlich dingfest gemacht zu haben. „Ich wusste gar nicht, dass du so schnell laufen kannst“, flachste Deflandre, während er seinen Kollegen angrinste. „Du weißt vieles nicht“, gab van den Berg zurück.

Während die Psychologin den Wagen holte, führten die beiden Polizisten Grangé in Handschellen zur Promenade. Einige Urlauber hatten die Verhaftung mitbekommen und begafften den Gefangenen neugierig. „Kommt doch näher, dann könnt ihr besser gucken“, blaffte van den Berg die Touristen an. Grangé sah fast so aus, wie auf dem alten Fahndungsfoto, das van den Berg in der Tasche hatte. Sein Haar war etwas grauer geworden und er hatte ein paar Falten unter den Augen, ansonsten hatte er sich während seiner Haft nicht verändert. Sie setzten den gefesselten Mann nach hinten in den Wagen, Deflandre rutschte neben ihn.

Van den Berg und Nicole drehten sich zu ihm um. „Am besten, sie gestehen gleich alles, das spart uns allen viel Zeit“. Van den Berg erwartete nicht, dass der Mann seinem Wunsch nachkam, es war vielmehr ein Versuch, ihn zum Reden zu bringen. „Was sollte ich denn gestehen?“, fragte Grangé cool. „Verkaufen sie uns nicht für dumm! Sie haben zwei Menschen vergiftet und genüsslich krepieren lassen. Sie haben ja Erfahrung darin, Leute auf diese Weise umzubringen.“

Grangé wurde blass, seine Gesichtszüge waren regelrecht eingefroren. Er begann, wie wild an den Handschellen zu rütteln. „Ihr seid wohl völlig krank, wovon redet ihr überhaupt?“, fauchte er wie ein wild gewordener Tiger. Deflandre brachte Grangé schnell zur Räson, indem er die Handschellen enger zog. Nicole gab van den Berg das Zeichen auszusteigen. Sie wollte mit ihm allein sprechen. „Er war es nicht“ Die junge Psychologin schaute ihren Kollegen mit einer Selbstsicherheit an, die ihn verblüffte. „Ich habe ihn beobachtet. Als du ihm die Morde vorgehalten hast, war er irritiert. Ich glaube nicht, dass das gespielt war.“ Van den Berg zog nachdenklich die Augenbrauen hoch und sagte nichts. Die beiden stiegen wieder in den Wagen. Sie befragten Grangé nach seinem Alibi. „Ich bin seit einer Woche in De Panne in dieser beschissenen Pension.“ „Aber doch wohl nicht ständig?“, wandte Deflandre mit zynischem Unterton ein. „Ich war jede Nacht in meinem Bett, falls es euch interessiert. Ich war immer um neun im Hotel und habe es danach nicht mehr verlassen. Fragt doch den Nachtportier, dem entgeht nie etwas!“ „Da sie vorzugsweise den Hinterausgang benutzen, können wir uns das wohl sparen!“

Nicole schaute Grangé tief in die Augen. „Was tun sie hier in De Panne?“ „Ich wollte einfach weg aus Brüssel. Wissen sie was das bedeutet, zehn Jahre lang eingesperrt zu sein? Und dann raus zu kommen und nichts mehr zu haben, außer einem Bankkonto?“ „Ein Konto? Heißt das, sie haben Geld?“ „Ich habe gut verdient damals und auch ein paar Euro geerbt. Ich komme ein Weilchen zurecht, ohne dass ich arbeiten muss.“ „Was ist mit ihrer Wohnung in Brüssel?“ „Ich hab´s da nicht mehr ausgehalten, verstehen sie?“ „Sie waren also seit einer Woche nicht mehr in Brüssel?“ „Ich war seit Monaten nicht mehr dort.“ „Die Wohnung ist fast leer, es gibt kein Namensschild, niemand kennt sie in dem Haus. Schon etwas merkwürdig, oder?“ „Wie ich schon sagte, ich habe es in Brüssel nicht ausgehalten. Ich bin gar nicht dazu gekommen, die Bude einzurichten.“

Sie brachten Grangé ins Kommissariat. Die Polizisten schwiegen die gesamte Fahrt über. Deflandre und van den Berg wussten nicht, woran sie bei Grangé waren. Deflandre vermutete, dass er in der Sache drinsteckte und die Morde mit einem Komplizen eingefädelt hatte. Nicole hielt den Mann für absolut unschuldig, van den Berg mochte sich nicht festlegen. Der Kommissar tendierte aber eher zu Nicoles Position, vor allem deshalb, weil sich die Psychologin mit ihrer Einschätzung von Tatverdächtigen bislang so gut wie nie getäuscht hatte.

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