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Im Kommissariat wartete man schon. Auf dem Schreibtisch lag ein Zettel seines Kollegen, der den Kommissar in Großbuchstaben aufforderte, sich schnell bei ihm zu melden. Eric Deflandre stammte wie van den Berg aus Flandern, allerdings nicht aus Gent, sondern Antwerpen. Er war im Gegensatz zu seinem Partner ein leidenschaftlicher Frühaufsteher und schon seit zwei Stunden eifrig bei der Arbeit.

Der junge Polizist war bei den Kollegen anfangs als Streber verschrien, als Besserwisser, als Neunmalkluger. Seine dunklen Haare trug er vorn und an den Seiten kurz, dafür aber bis in den Nacken, zudem hatte er ein Faible für auffällige Goldkettchen. Deflandre wusste von den Frotzeleien seiner Kollegen und war clever genug, cool zu bleiben.

Van den Berg hatte ihm ein paar Mal tüchtig den Kopf gewaschen. Mittlerweile zeigte Deflandre ab und an sogar soziale Züge. „Du wirst es nicht glauben, das Mädchen ist vergiftet worden.“ Van den Berg blickte seinen Kollegen überrascht an. „Vergiftet?“ „Warum auch nicht? Ist doch eine saubere Art, jemanden um die Ecke zu bringen. Es steht ja nicht jeder drauf, seinem Opfer die Kehle durchzuschneiden.“ Van den Berg nickte nachdenklich und strich über seinen Dreitagebart. Seine Halsschlagader sah nun furchterregend aus. „Link und feige, jemanden so zu töten. So ein Dreckskerl!“

Der Kommissar rief den Pathologen an, der versprach, umgehend in sein Büro zu kommen. Franz De Coster genoss ein hohes Ansehen unter den Polizisten, zumindest was seine Fähigkeiten als Mediziner betraf. Sein lehrerhaftes gestelztes Auftreten dagegen ging allen auf die Nerven. De Coster trug einen kunstvoll rasierten Kinnbart und war wie immer akkurat gescheitelt. Die rundliche Brille mit Goldrand wirkte seltsam in dem schmalen Gesicht.

„Curare“, begann De Coster wichtig. Er genoss die unwissenden Blicke der beiden Kollegen. „Spann uns nicht auf die Folter“, raunte van den Berg genervt.

„Curare ist ein kompetitiver Blocker des nikotinergen Acetylcholin-Rezeptors.“ De Coster lächelte überlegen in die Runde. Van den Berg holte tief Luft. „Komm auf den Punkt, Mensch!“ „Ein Pflanzengift“, erklärte De Coster. Die beiden Polizisten schauten sich ratlos an. Van den Berg sinnierte. Ein Pflanzengift also …

De Coster schien van den Bergs Gedanken zu lesen. „Selbstmord können wir vergessen und aus Versehen schluckt man so was ganz bestimmt nicht“, sagte der Doc, während er seine irritierende Brille abnahm. „Dieses Gift kommt in Europa praktisch nicht mehr vor. Es wird in Südamerika zur Jagd verwendet und aus den Blättern von Lianen gewonnen. Das Mädchen hat das Zeug sicher nicht besessen, aber das ist ja euer Job.“

„In Belgien gibt es das überhaupt nicht?“ De Coster schüttelte weise den Kopf. „Offiziell jedenfalls nicht mehr.“ „Was heißt nicht mehr?“ „Curare ist Anfang des 20. Jahrhunderts in Krankenhäusern bei verschiedenen Krankheitssymptomen eingesetzt worden, unter anderem bei Tollwut und Epilepsie. Heute ist Curare im Prinzip überflüssig, es wird durch synthetische Stoffe ersetzt.“

Die Polizisten wurden unruhig. Deflandre wippte auf seinem Stuhl herum wie ein unkonzentrierter Schuljunge. „So ein Mädchen zu vergiften, das ist echt krank.“ Van den Berg dachte nach. „Was für ein Mensch tut so was?“ De Coster setzte wieder sein wichtiges Gesicht auf. „Das Gift ist gespritzt worden, genauer gesagt in den linken Arm. Im Verdauungstrakt hätte es keinen allzu großen Schaden angerichtet, in der Blutbahn ist es allerdings absolut tödlich.“

Die beiden Cops schauten sich fragend an. „Welche Menge braucht man?“, raunte van den Berg ungeduldig. „Das kommt ganz darauf an. Bei unserem Mädchen dürften 30 Milligramm ausgereicht haben. Freiwillig nimmt so was niemand, selbst dann nicht, wenn man sich umbringen will. Curare bewirkt Atemstillstand – ein widerlicher Tod.“ De Coster mimte theatralisch einen Sterbenden. Van den Berg verzog sein Gesicht. Die zynische Art des Pathologen kotzte ihn an.

„Noch etwas: Das Mädchen hatte Sex, unmittelbar vor dem Tod.“ „Was heißt das?“, fragte der Kommissar gespannt. „Längstens eine Stunde vor dem Exitus – das Sperma hat es uns verraten.“ Van den Berg kräuselte die Nase, dann fiel ihm noch etwas ein. „Was ist mit diesem Brandzeichen? Kannst du sagen, wie lange sie das Ding schon auf dem Pelz hat?“ „Frisch ist das hübsche Stück nicht - ich bin sicher, die Süße hatte das schon ein paar Jahre drauf.“ Van den Berg kratzte sich den Hinterkopf. „Womit ist es gemacht worden?“ „Sieht mir ganz nach einem stinknormalen Brandeisen aus. Ich habe so was schon mal bei einem Rindviech gesehen, das hat genauso schick ausgeschaut. Aber ich checke das natürlich gerne für dich“, sagte der Pathologe grinsend.

Es konnte dauern, bis die Identität der Toten klar war, das Mädchen trug keinerlei Dokumente bei sich. „Wir müssen herausfinden, wer sie ist und die Kirche überprüfen“, sagte van den Berg, während er Deflandre herausfordernd anblickte. Die beiden rasten zur Kathedrale. Die Polizei hatte das Bauwerk bereits weiträumig abgeriegelt. Die mächtigen Säulen der gotischen Kirche beeindruckten den Kommissar, ihm fiel auf, dass Stühle aus Plastik aufgestellt worden waren, die er noch nie dort gesehen hatte. Die Spurensucher der Polizei untersuchten jeden Zentimeter Boden, um etwas Brauchbares zu finden. Sie suchten in der Kirche und draußen davor. Paul Renquin war der Leiter der Spürnasen - van den Berg kannte ihn seit Jahren. „Das ist eine Scheißarbeit hier“, rief Renquin zum Kommissar herüber. „Dann lohnt es sich wenigstens. Du liebst doch Herausforderungen“, erwiderte der giftig. „In der Kirche haben wir bislang nichts Auffälliges gefunden. Draußen gibt es einen Haufen Fußspuren, aber in diesem Matsch sind die nicht zu gebrauchen“, meinte Renquin schulterzuckend.

Van den Berg hätte das Gutachten der Autopsie am liebsten in die Ecke gepfeffert, aber er beherrschte sich. Als er an die letzten Minuten des Mädchens dachte, hielt er einen Moment inne. Er versuchte, die Höllenqualen nachzuempfinden, die das Mädchen in den letzten Minuten seines Lebens durchmachen musste. Er sah ein, dass das völlig unmöglich war.

Van den Bergs Wut war jetzt so groß, dass sie ihn zu zerreißen drohte. Er empfand nicht nur einen tiefen Hass für den Mörder des Mädchens, auch die Trennung von Marie arbeitete in ihm.

Sie hatte die Beziehung von heute auf morgen beendet, ihm Egoismus und Gefühllosigkeit vorgeworfen. Wie lächerlich! Sie hatten doch ständig über ihre Probleme diskutiert, stundenlang gestritten und Giftpfeile aufeinander abgefeuert. Inzwischen wusste er, dass er viel Zeit verschwendet hatte.

Die Spurensuche in der Kathedrale und in dem kleinen Park brachte die Ermittler nicht weiter. Van den Bergs Laune verschlechterte sich zusehends. Geduld zählte nicht gerade zu seinen Stärken, aber er ahnte, dass er die für diesen Fall brauchte. Solange der Todeszeitpunkt nicht feststand, war es schwierig, den Mord zu rekonstruieren, zumal sie nichts über das Mädchen wussten. Noch nicht einmal ihren Namen.

De Coster platzte ohne Vorwarnung in van den Bergs Zimmer. „Marc, ich habe die Fotos von den Beißerchen dabei.“ Van den Berg schaute gespannt auf. „Es dürfte aber schwer werden, über den Zahnarzt an ihre Identität zu kommen. Alles tadellos in Ordnung, keine Füllungen oder sonst was.“ De Coster schlug grußlos die Tür hinter sich zu und verschwand so schnell, wie er gekommen war. „Was bringt uns das jetzt?“, rief der Kommissar De Coster hinterher, der nicht mehr reagierte.

„Habt ihr die Vermisstenlisten durchgekämmt?“, fragte der Kommissar unwirsch, als er in das Büro seines Kollegen trat. Deflandre kramte in dem wirren Stapel Papier, der sich auf seinem Schreibtisch türmte. „Wir haben in den letzten Wochen zwei Anzeigen rein bekommen. Ein junges Mädchen - die ist nach der Disko nicht nach Hause gekommen und da ist noch ein Student, nach einem Ausflug an die Küste verschwunden.“ „Den Studenten können wir schon mal vergessen.“ „Das Diskomädchen wohl auch“, ergänzte Deflandre. „Sie ist zu jung.“ „Und da ist noch dieser Metzger - der hat seine Tochter als vermisst gemeldet- allerdings schon vor fünf Jahren. Das Mädchen hat auf dem Foto eine ziemliche Ähnlichkeit mit der Süßen.“ Van den Berg trommelte mit den Fäusten euphorisch auf den Tisch. Er hoffte, dass jetzt etwas Licht in den mysteriösen Fall kommen würde. „Sie heißt Catherine Bouvier. Der Vater ist 38 Jahre alt, die Mutter ist 40. Die beiden betreiben zusammen eine Metzgerei“, klärte Deflandre auf. „Ich glaube, die sollten wir gleich mal besuchen. Wo wohnen die Herrschaften denn?“ „In Anderlecht, gleich hinter dem Stadion.“

Van den Bergs Augen glänzten. „Da bin ich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gewesen“, meinte der Kommissar, der wusste, dass der Royal Sporting Club Anderlecht einst eine echte Größe im europäischen Fußball gewesen war. Schon lange war der Klub nur noch in der belgischen Jupiler League topp.

Hugo war pünktlich. Sie trafen sich immer auf derselben Bank an dem kleinen See gegenüber dem Café Belga. Der andere nannte sich Jorge - sie sprachen spanisch. Der Mann war von imposanter Statur und überaus muskulös, was selbst sein weit geschnittener beiger Pullover nicht versteckte. Das dunkle lockige Haar hatte der Riese mit Gel nach hinten gekämmt. Der Spanier schaute düster drein, seine Augen sahen unheimlich aus. Erst als ihm Hugo das Papier mit den Namen reichte, lächelte er.

Eine Frau in einem schmierigen, abgewetzten Kittel öffnete dem Beamten die Tür. Sie wirkte wie fünfzig und war auffallend fett. „Ihr seid Bullen, nicht wahr? Ihr hättet ruhig mal anrufen können, anstatt einfach so aufzukreuzen“, zischte die Alte resolut. Van den Berg war kurz davor, zu einem verbalen Konter anzusetzen, hielt es aber für besser, die Atmosphäre nicht gleich aufzuheizen. „Madame Bouvier, richtig? Dürfen wir reinkommen?“ fragte er mit aufgesetzter Höflichkeit. Die Frau führte die Polizisten wortlos ins Wohnzimmer. Dem Kommissar fiel auf, dass die braunen lockigen Haare der Frau ziemlich fettig waren und unangenehm rochen. Auf dem rustikalen Eichentisch stand eine beige Plastikkanne, die einige Risse hatte, mit Kaffee. Die Frau stellte ein paar Kunststoffbecher in der gleichen Farbe dazu. „Bedient euch!“ Der Kommissar verzichtete und bedachte das Angebot mit einem angedeuteten Nicken. „Wir haben ein totes Mädchen gefunden.“

Die Frau setzte sich auf einen der speckigen Sessel, während sie die Polizisten irritiert anschaute. „Ist das Ihre Tochter?“ Das Foto zeigte das tote Mädchen vor der Kathedrale. Die Frau starrte auf das Bild, ihre Lippen begannen zu zittern. Erst nach einigen Sekunden nickte sie zaghaft. „Das ist sie!“, stammelte die Frau kaum hörbar. „Es tut mir sehr leid“, meinte van den Berg. Ihm wurde jedes Mal schlecht, wenn er diese Floskel benutzte. Die Polizisten gingen zum Fenster – die Frau sollte einen Moment für sich allein haben. Van den Berg war klar, dass das Überbringen von Todesnachrichten nicht zu seinen Stärken zählte. Er musste sich zusammenreißen, um bei der Befragung nicht allzu schroff rüber zu kommen.

„Ist ihr Mann zu Hause?“, fragte er ruhig. „Er ist was einkaufen. Er kommt sicher bald.“ Während die Metzgerin antwortete, wich sie van den Bergs Blick aus – ihre Augen waren auf ein Hirschgeweih gerichtet, das ihr gegenüber von der Wand herabhing. „Ihre Tochter ist seit fünf Jahren verschwunden gewesen. Wir müssen das leider noch einmal in allen Einzelheiten durchkauen“. „Was bringt das jetzt noch? Das habe ich doch schon tausend Mal erzählt“, murmelte die Frau, so als sprach sie mit sich selbst.

„Wir suchen den Mörder ihrer Tochter. Möchten sie, dass der Typ da draußen noch mehr Mädchen umbringt?“, entfuhr es van den Berg. Im gleichen Moment tat ihm sein gereizter Tonfall schon leid. „Ich habe ihr am Abend noch ein Stück Blutwurst rauf gebracht. Es muss kurz nach sieben gewesen sein. Wir hatten gerade den Laden zugemacht.“ Van den Berg wunderte sich über die präzisen Angaben der Frau zu Alltäglichkeiten, die so lange zurücklagen. „Und weiter?“ „Was soll ich ihnen erzählen? Wir haben nicht viel miteinander gesprochen.“

„Ist sie öfters nachts weggeblieben?“ „Fragen sie besser, wann die mal zu Hause war. Morgens ist sie immer zurück gewesen und hat gearbeitet“, erklärte die Frau mit tonloser Stimme.

„Catherine wäre jetzt 20, richtig?“ „Ja. Sie hat schon immer gemacht, was sie wollte. Ist mir auch egal gewesen. Solange sie nur im Laden mit angepackt hat.“ „Wohin ist sie gegangen, nachts?“ „Woher soll ich das wissen? Meinen sie, darüber hat sie gesprochen?“ In diesem Moment glaubte van den Berg eine Reaktion bemerkt zu haben, ein ganz leichtes Zucken der Mundwinkel, eine kaum merkliche Unsicherheit.

„Haben sie ein Foto von ihr?“ Die Frau nahm einen vergoldeten Bilderrahmen aus der Vitrine. „Wir haben es vor fünf Jahren aufgenommen, kurz bevor sie verschwunden ist. Das Geschäft ist damals 100 Jahre alt geworden“, sagte die Frau, die endlich anfing zu weinen. Einige Minuten hatte sie es geschafft, ihre Gefühle in Schach zu halten – jetzt schienen alle Dämme zu brechen.

„Macht es ihnen etwas aus, uns Catherines Zimmer zu zeigen?“ Die Frau reagierte erst nach einer gefühlten Ewigkeit, dann blickten ihre verheulten Augen zum Kommissar. „Was wollen sie da sehen? Es ist ein einziger Saustall, das kann ich ihnen sagen. Aber wie sie wollen!“ Ihre Stimme hatte sich verändert – sie klang jetzt geradezu energisch.

Zu dritt stiegen sie die morsche Holztreppe in den zweiten Stock des Hauses, das insgesamt einen maroden Eindruck machte. Die Frau hatte nicht übertrieben. Das Zimmer sah alles andere als einladend aus. Auf dem Sofa lagen abgetragene Jeans und Pullover, auf dem Fußboden waren zerrissene Jugendzeitschriften verstreut. Der Tisch war aus Kunststoff und verdreckt, im Zimmer lag ein fauliger Geruch, obwohl die Fenster auf Kippe standen.

Van den Berg wunderte sich darüber, dass die Mutter in den Jahren nicht auf die Idee gekommen war, das Chaos aufzuräumen. Der Kommissar blickte auf den Schreibtisch, der so gar nicht zum Rest der schäbigen Einrichtung passte. Er war aus Teakholz gefertigt und wirkte als einziges Möbelstück im Raum hochwertig. „Hübscher Tisch“, nuschelte der Kommissar. „Ich weiß nicht, woher sie den hat. Irgendwann stand er hier.“

Die Frau strich sich mit dem Zeigefinger über die Nase. Van den Berg blickte in den Kunststoffspiegel an der hinteren Wand und kontrollierte den Sitz seiner Haare – er stellte fest, dass sie noch immer ein wenig abstanden. „Guck mal hier“, rief Deflandre triumphierend, „ein paar Stadtpläne, da ist einiges eingezeichnet. Scheinen Nachtclubs zu sein.“ „Können wir die mitnehmen?“ Die Frau ignorierte die Frage zuerst, dann machte sie eine Handbewegung, die Zustimmung signalisieren sollte.

Van den Berg hörte, wie unten die Haustür ins Schloss fiel. Er schaute hellwach zu seinem Partner. Pascal Bouvier war nach Hause gekommen. Der Mann sah so aus, wie so viele Metzger, die der Kommissar kennengelernt hatte – kräftig und grob. Der Fleischer entlarvte die Besucher gleich als Polizisten. „Habt ihr meine Tochter endlich gefunden?“, fragte er unwirsch. Van den Berg blickte sein Gegenüber prüfend an. „Wir haben ein totes Mädchen gefunden und nehmen an, dass es sich um ihre Tochter handelt.“ Der Metzger ließ sich wie ein nasser Sack auf das alte, fleckige Wohnzimmersofa fallen.

Der massige Mann weinte hemmungslos, als er das Foto seiner Tochter betrachtete. „Herr Bouvier, ich verstehe, wie ihnen zumute ist. Wir müssen sie allerdings bitten, mit uns zu kommen. Wir müssen Klarheit haben, ob das Mädchen tatsächlich Ihre Tochter ist.“ Der Metzger hörte abrupt auf zu weinen – jetzt schwieg er.

Deflandre wandte sich noch einmal an die Frau, die geistesabwesend auf dem Sofa saß. „Wir hätten gerne noch die Adresse von Catherines Zahnarzt, nur zur Sicherheit.“ Der Blick der Frau war jetzt teilnahmslos, sie verzichtete auf Nachfragen. Die Polizisten sollten einfach nur verschwinden. Die Metzgerin hatte eine Abneigung gegen die Staatsmacht. In diesem Moment wollte sie erst recht keine Schnüffler um sich haben. Die Frau kritzelte eilig etwas auf ein Stück Papier und reichte es dem jungen Polizisten. Deflandre packte noch eine Haarbürste aus dem Kinderzimmer in den Plastikbeutel.

„Bingo!“, flüsterte Deflandre seinem Partner ins Ohr, während der Metzger hinten ins Auto stieg. Wenn van den Berg Opfer identifizieren ließ, wurden normalerweise zunächst zahntechnische Untersuchungen angestellt. Sie hatten gegenüber DNA-Analysen den Vorteil, kostengünstig zu sein. Van den Berg schätzte vor allem, dass er die Ergebnisse deutlich schneller in die Hände bekam. Aber in diesem Fall bekamen sie auch so schnell Gewissheit. Den Zahnarzt würden sie nicht brauchen.

Pascal Bouvier nickte kurz, als er das Gesicht des Mädchens betrachtete. Weinend stürzte sich der Dicke auf das tote Mädchen und legte seine fleischigen Arme um sie. Im gleichen Moment packten ihn die beiden Polizisten an der Jacke und zogen ihn zurück. Sie mussten all ihre Kräfte mobilisieren, um den bulligen Mann stemmen zu können. „Das geht nicht“, rief van den Berg streng. „Herr Bouvier, ihre Tochter hat hier ein sogenanntes Brandmal. Ich nehme an, dass Catherine das vor ihrem Verschwinden noch nicht hatte“, sagte der Kommissar. „Der Fleischer verzog angewidert die Mundwinkel, als er die Stelle betrachtete. „Nein!“ Der Fleischer verlor die Kontrolle. „Das Zeichen enthält eine 8. Gibt es irgendeine Verbindung zwischen Catherine und dieser Zahl?“ „Was weiß ich?“, polterte der Metzger, dem nicht der Sinn danach stand, irgendwelche Bullen-Fragen zu beantworten.

Den Kommissaren war klar, dass sie schlechte Karten hatten. Das Einzige, das sie bislang wussten, war die Identität der Toten. Ihr Name war Catherine Bouvier, daran gab es wenigstens keinerlei Zweifel mehr.

Der öffentliche Druck ging van den Berg bereits gehörig auf die Nerven. Die Massenmedien stürzten sich begierig auf den Fall und bombardierten die Pressestelle des Präsidiums pausenlos mit Anfragen. Wäre es nach van den Berg gegangen, dann hätte er die Ermittlungen ganz allein mit Deflandre geführt. Doch Staatsanwalt Jean Pierre Vermeulen bestand darauf, eine Sonderkommission zu bilden - der öffentliche Druck machte das unumgänglich.

Van den Berg blickte aus seinem Wohnzimmer auf die Kirche, deren Schlichtheit ihn beruhigte, wenn er aufgewühlt war. Aber in diesem Moment konnte ihn nichts besänftigen. Er war es gewohnt, dass sein Leben perfekt lief und dass er alles unter Kontrolle hatte. Den Einfluss auf Marie hatte er völlig verloren und auch der Fall lag in dichtem Nebel. Spontan beschloss er, seine Ex anzurufen. Sie klang verschlafen, als sie sich meldete. Er wartete eine Sekunde mit der Antwort.

„Ich bin’s, Marc.“ Marie schien überrascht. „Du bist es … Was willst du?“, fragte sie genervt. „Mit dir reden.“ „Ich weiß nicht, ob es noch Sinn macht“, erwiderte sie gelangweilt. Jetzt musste er sich ins Zeug legen. „Ich verlange gar nicht, dass du mir noch eine Chance gibst. Ich möchte nur, dass du mich anhörst.“ „Nur zu, ich spreche ja mit dir.“ „Ich möchte dich sehen, du weißt, dass wir nie gut miteinander telefonieren konnten.“

Der Kommissar musste sich mächtig anstrengen, um sanft genug zu wirken. „Ich lade dich ein ins Café Leffe am Grand Sablon.“ Mit ihrem Lieblingslokal traf er den Nerv. „Vielleicht hast du recht und wir sollten wirklich mal reden, aber mach dir keine Hoffnungen.“ „Sagen wir heute Abend um acht?“ „Okay!“

Van den Berg kam mit einem Strauß dunkelroter Rosen, er trug ein weißes Hemd, das er leger aufgeknöpft trug, darüber ein granitfarbenes Jackett von Versace. Marie präsentierte sich ganz anders als sonst, nämlich ungeschminkt und im grauen Strickpulli. Der Kommissar lachte ausgelassen und umarmte sie so innig, als sei alles in Butter. Sie bestellten Bier und herzhafte Speckröllchen. Wären sie in allem so ähnlich, wie in ihren kulinarischen Vorlieben, dann hätten sie kaum Probleme gehabt, dachte sich van den Berg, der sich Mühe gab, das Gespräch anzukurbeln.

„Ich habe dich vermisst“, sagte er entschlossen. Marie sah ihn überrascht an, bevor sie ihn mit einem Wortschwall überschüttete. „Ist dir klar, dass es so nicht weitergehen konnte? Hast du mal überlegt, wann wir in letzter Zeit mal zusammen waren? Ich habe ja kapiert, dass du mit deinem Job verheiratet bist. Aber du musstest ja ständig auf deine bescheuerte Rennbahn, und wenn du bei mir warst, ich weiß nicht, an was du da gedacht hast. Weißt du, ich bin einfach nicht mehr an dich rangekommen. Ich habe dir so oft gesagt: Ändere was! Und was kam von dir? Immer nur die gleichen Floskeln! Ich habe das Gefühl, dass ich in deinem Leben nicht mehr wichtig bin.“ Wenn Marie sich einmal in Rage geredet hatte, war sie nur schwer zu stoppen – er begriff, dass sie jedes ihrer Worte ernst meinte. „Das stimmt doch alles nicht“, konterte der Kommissar unwirsch.

„Ich habe dich ins Theater eingeladen, wir sind ans Meer gefahren, ich habe dir Blumen geschenkt.“ Marie musste lachen. „Natürlich hast du das, aber versteh doch! Darum geht es mir nicht. Ich brauche echt keinen Mann, der mich einlädt, der mich beschenkt – ich will einen, der für mich da ist, der Zeit investiert und der zuhört.“ „Du weißt, dass du einen wie mich nicht mehr finden wirst“, sagte der Kommissar ganz cool. „Denke an unsere Pläne – wir wollten Kinder, erinnerst du dich? Ist es dafür zu spät?“

Van den Berg glaubte, dass er Marie umstimmen konnte, auch wenn sie es war, die redete. Er hatte sich vorgenommen, nicht ausfallend zu werden, sich ihre Kritik anzuhören und sachlich darauf zu reagieren. Er wusste, dass er keinen Fehler machen durfte. Als das Essen kam, brach die Unterhaltung ab. Marie konzentrierte sich ganz auf die Speckröllchen, die sie in den großen Stücken in den Mund schob.

Nach dem Essen gähnte sie, um ihm klarzumachen, dass sie nach Hause wollte. Van den Berg spürte, dass es besser war, jetzt zu schweigen. Beim Verabschieden lachten sie. Der Kommissar war sich sicher, dass ihm Marie schon bald wieder aus der Hand fressen würde.

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9783754170793
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