Читать книгу: «Das Böse ruht nie», страница 4

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Rostock, Polizeirevier am Hafen

Lisa fuhr im Tempo ihrer Kollegen und steuerte die Richtung ihres Lieblingskaffees an. Voller Vorfreude spürte sie bereits den feinen Duft eines Latte Macchiato in ihrer Nase. Sie stieg gerade aus, als ihr Handy zum ersten Mal an diesem Tag einen Ton von sich gab.

Etwas schrill der Ton, dachte sie noch, bevor eine feste Stimme sie fast anschrie, noch bevor sie „Liebich“ sagen konnte. Geschickt hielt sie das Handy unterm Kinn und schloss nebenbei ihr Auto ab.

„Gut, dass ich Sie erwische, Frau Liebich. Können wir uns heute noch in der Dienststelle sehen? Sie haben zwar frei, aber ließe sich das einrichten?“

„Sie haben es aber sehr eilig. Hat das etwa mit der vermissten Frau zu tun?“

„Wie, das wissen Sie …?“ Aufmerksam hörte sie den knappen Worten ihres Chefs zu.

„Klar, ich komme. Bin schon unterwegs. Etwa in einer halben Stunde könnte ich am Hafen sein.“ Ihr fiel auf, dass ihr Chef in Rätseln sprach. So kannte sie ihn gar nicht und fand, dass er sich genauso bedeckt hielt, wie die beiden Kollegen am Mittelweg. Was hatte das zu bedeuten? Mit den wenigen Details ließ sich nicht wirklich viel anfangen. Allerdings dachte sie, dass der Chef sie noch nie in die Dienststelle zitiert hatte, wenn es keinen wirklichen Grund dafür gab. Bevor sie antworten konnte, sagte ihr Chef: „Kommen Sie erst mal her, dann sehen wir weiter.“ Seine letzten Worte hallten noch in ihren Ohren nach. Das emotionale Durcheinander noch eben vom Strand schien wie weggeblasen. Sie musste über sich selbst lächeln. Wie meist, Probleme können sich einfach in Luft auflösen. Sie gab kräftig Gas und bei dem Tempo hätte sie bei einer Kontrolle größte Chancen ein paar Punkte einzusammeln.

Auf Höhe von Karls Erlebnis-Dorf begegneten sich Lisas gelber Flitzer und der BMW von Hauptkommissar Peter Heilmeyer. Beide waren auf halber Strecke nur in entgegengesetzter Richtung zwischen Rostock und Graal-Müritz unterwegs. Keiner nahm vom anderen Notiz, sie wussten noch nicht, dass sie bald gemeinsam in einem Team arbeiten würden. Zuvor waren sie sich nie begegnet!

Vor einigen Monaten hatte sich Lisa für ein Praktikum im Kriminalkommissariat Rostock beworben. Ihr Antrag wurde erst vor wenigen Tagen bewilligt. Gleich nach dem Urlaub plante sie ins Kriminalkommissariat zu wechseln. So wenigstens war ihr Plan vor dem Studium. Wenige Tage blieben ihr nur noch im alten Revier und sie musste an die letzten Jahre denken: Eigentlich schade, dass ich gehe. Der Chef war in Ordnung und mit den anderen lief es auch gut. Veränderungen sind mal wichtig und wie es aussieht, könnte mein Praktikum mit einem speziellen Fall beginnen. Alles Mögliche kreiste in ihrem Kopf und sie drückte gleich noch einmal aufs Gaspedal.

Lisa konnte jetzt die letzten Traditionssegler erkennen und musste an ihre eigene Ausfahrt während der Hanse Sail denken. Eine unvergleichliche Pracht, diese maritime Kulisse am Rostocker Stadthafen. Einige Segler waren noch immer zur Besichtigung freigegeben und boten regelmäßig Rundfahrten an. Von der Warnow aus gab es einen spektakulären Anblick auf die Stadt. Ein Luxus, dass sie jeden Tag diesen traumhaften Anblick genießen konnte. Gab es einen besseren Arbeitsplatz?

Viele Jahre fuhr sie immer wieder diesen Weg und alles rundherum war ihr vertraut. Jemand, der die maritime Kulisse liebt, wird jedes Jahr aufs Neue beeindruckt sein. Hanse Sail bedeutete, dass jeder Platz am Kai bis in die dritte Reihe mit Schiffen besetzt war. Um die 200 Segler trafen sich regelmäßig zu diesem maritimem Großereignis, dass jedes Jahr am zweiten Wochenende im August stattfindet. Lisa hasste jede Art von Sentimentalitäten und dachte weise, dass dieses tolle Spektakel in Rostock ihr auch ohne die Dienststelle jedes Jahr erhalten bleiben würde. Nur um die Leute tat es ihr leid, die vielen Jahre kam sie ohne irgendwelche Streitereien oder Missverständnissen sehr gut klar. Wenn es die Zeit zuließ, würde sie hin und wieder mal bei ihnen vorbeischauen.

Lisa erreichte das Polizeirevier. Abgehetzt klopfte sie an die Tür des Chefs und betrat ohne Aufforderung sein Büro. Sie veranstalteten nie eine großartige Begrüßungszeremonie. Doch heute preschte Lisa schneller als sonst los: „Kaum bin ich paar Tage weg, schon gibt es eine Vermisste.“

Ihr Chef schaute von seinen Papieren auf und meinte ruhig: „Da sind Sie ja. Prima, dass Sie so schnell kommen konnten. Tut mir leid, dass Sie Ihren Urlaub unterbrechen mussten. Kann auch sein, dass sich alles schnell klärt. Aber Sie wissen ja wie es in der Urlaubszeit bei uns aussieht. Seit Tagen sind zwei krank, na ja und Urlaubszeit ist auch noch.“

Lisa setzte sich und hörte ihrem Chef voller Erwartung zu. „Erst einmal ein paar Eckdaten. Gesucht wird Sarah Niemann.“

Kaum hatte ihr Chef den Namen ausgesprochen, zuckte sie zusammen.

„Sind Sie sich sicher, Sarah Niemann?“, fragte Lisa ungläubig.

Sie kannte eine Sarah Niemann. Ziemlich gut sogar. Aber, nein, das war bestimmt nicht ihre Sarah. Der Name von der Person am Strand fiel ihr wieder ein. „Das muss ein Irrtum sein. Ich hatte heute am Strand eine Tasche gefunden, deren Besitzerin Sofie Timm heißt. Ihre Tasche lag den ganzen Vormittag unbeaufsichtigt rum, sodass ich den Namen in Erfahrung bringen wollte, um für den Fall, dass sie vermisst wäre, einen Anhaltspunkt zu haben.“

„Ich kann Sie beruhigen, eine Frau mit diesem Namen wurde bei uns nicht registriert, aber gut, dass Sie so umsichtig waren.“

Lisa begann fast zu stottern, als es endlich aus ihr rausbrach: „Aber eine Sarah Niemann kenne ich auch, seit frühester Kindheit sogar. Wir sind in Lütten Klein zur Schule gegangen und …“ Sie konnte auf einmal nichts weiter über ihre Freundin sagen, weil sich ihre Gedanken überschlugen. Nach einer kurzen Pause konnte sie erst wieder weitersprechen: „Aber das liegt viele Jahre zurück.“

„Was wissen Sie von Frau Niemann?“ Ihr Chef schien erfreut darüber zu sein, dass er womöglich ein paar konkrete Details von seiner Kollegin erfahren würde.

„Vor längerer Zeit holten wir gemeinsam an der Abendschule das Abitur nach. Während dieser Zeit pflegten wir auch engeren Kontakt, ich würde sogar Freundschaft dazu sagen. Die vermisste Frau, das wird nicht meine Freundin sein. Gibt es von der Vermissten ein Foto?“

„Das kann jede Minute hier eintreffen, genauso die genaue Beschreibung. Um ehrlich zu sein, was wir bisher wissen, ist ziemlich mau.“ Der Chef verheimlichte seiner Kollegin, dass er längst wusste, dass es nur eine Sarah Niemann in Rostock und Umgebung gab. Mit dieser Nachricht wollte er warten, bis er hundert Prozent sicher war. Und erst recht, seit er wusste, dass die beiden Frauen sich kannten. Indessen ratterte im Hintergrund das Geräusch eines Faxgerätes. Lisa blieb mit einer vagen Vorahnung am Schreibtisch sitzen. Unzählige Bilder liefen vor ihren Augen ab. Sie spürte sofort, dass die gesuchte Frau „ihre Sarah“ sein musste. Der Chef wusste mehr. Sie kannte ihn lange genug und wusste, dass seine Zurückhaltung der Beweis für ihre These war.

Unsicher begann sie erst langsam, dann immer intensiver und wie aufgezogen von Sarah zu sprechen: „Ich weiß nicht genau, wann ich sie das letzte Mal gesehen habe. Jedenfalls heiratete sie vor zehn Jahren aus heiterem Himmel einen arroganten Fatzke. So einen Schlaumeier von der Zeitung. Den Mann konnte ich nicht ausstehen. Aber das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Ich erinnere mich, wie dieser Mann Sarah stets hinterher spionierte. Wenn wir mal verabredet waren, dauerte es nicht lange und er war ebenfalls in der Nähe. Dabei sahen wir uns seit sie geheiratet hatte selten genug. Ständig setzte dieser Mann meine Freundin unter Druck. Der Höhepunkt aber war, dass er verlangte, sie solle unsere Freundschaft aufgeben. Er meinte tatsächlich, dass ich sie negativ beeinflusste. Dabei wollte er lediglich, dass sie keine weiteren Kontakte, außer zu ihm haben sollte. Er war besitzergreifend und wollte praktisch Macht über sie ausüben. Für mich wäre das kein Leben gewesen. Natürlich versuchte ich ihr die Augen zu öffnen. Aber versuchen Sie mal einer Gehörlosen einen Donnerschlag zu erklären. Sie hielt trotz gröbster Gemeinheiten immer an ihm fest. Am Anfang beschwerte sich Sarah zwar über die Gängelei ihres Mannes. Bald aber verdrängte sie mehr und mehr, hielt einfach still. Wir trafen uns immer seltener. Irgendwann blieb unsere Freundschaft auf der Strecke. Mein Job hielt mich auch in Schach und unsere Treffen wurden weniger, bis sie ganz ausblieben.“ Lisa machte eine Pause, als müsste sie nachdenken, dann sprach sie weiter: „Es ist noch nicht allzu lange her, als wir uns zufällig in Karls Erlebnis-Dorf in Rövershagen trafen. Sie wirkte unzufrieden und sah sehr schlecht aus. Zudem wirkte sie um Jahre gealtert. Dabei hatte ich das Gefühl, dass die Beziehung nicht nur seelische Narben hinterlassen hatte. Ich merkte zwar, dass sie sich öffnen wollte, doch wir waren uns inzwischen fremd geworden.“

„Kam es zwischen Ihnen noch zu einem weiteren Treffen?“

„Nein, die gab es nicht mehr und jetzt ist es womöglich dafür zu spät?“

Lisa merkte beim Erzählen, dass sie von der alten Freundin eigentlich nicht sehr viel wusste. „Vor einem knappen Jahr sah ich Sarah zufällig in Rostock, ich hätte sie fast nicht wiedererkannt, so drastisch hatte sie sich auch äußerlich verändert. Sie war nicht mehr die gepflegte Frau, die ich kannte. Zu einem Gespräch zwischen uns kam es auch nicht.“ Lisa sackte in sich zusammen und schwieg. Sie schaute ihren Chef an und sprach mit kehliger Stimme: „Wenn das wirklich meine Sarah sein sollte, wird sie gefunden. Bestimmt! Das muss ein Irrtum sein.“

Inzwischen habe ich den letzten Teil der Arbeit begonnen, ich weiß, das wird schwierig. Lange hatte ich mir den Kopf zerbrochen, damit das Ende gut wird. Es soll ein würdiger Höhepunkt werden.

Früher warst du oft wütend auf mich, ich konnte dir nie was recht machen. Wenn du mich jetzt sehen würdest. Du könntest nicht glauben, wer vor dir steht.

Jeden Tag arbeite ich bis ich todmüde bin, erst dann kann ich einschlafen ohne zu grübeln. So wie du früher. Das habe ich wohl auch von dir. Nie aufzugeben, du hast mich oft genug ermahnt. Ich frage mich, warum du unser Ziel verraten und unsere gemeinsame Arbeit einfach aufgegeben hast? Hast du dabei mal an mich gedacht? Oder soll das etwa eine Prüfung sein? Testest du mich etwa, ob ich ohne dich standhaft bleibe?

In der vergangenen Woche wäre fast alles vorbei gewesen, denn beinah hätte man unser Verlies entdeckt. Doch ich bin geschickt und davongekommen. Wie gut, dass die Nachbarn nicht ahnen, was in ihrer Nähe geschieht. Sie haben nicht die geringste Vorstellung. Sie kümmern sich nicht um mich und ich mich nicht um sie. Du zeigtest mir früh schon, wie ich mich vor neugierigen Blicken der Leute unsichtbar machen kann. Das beherrsche ich perfekt. Heute liefen viele fremde Personen in der Gegend herum. Das hat mich nervös gemacht. Fast wäre es verhängnisvoll verlaufen. Meine Brille hatte ich im Dickicht vor dem Verlies verloren. Die hätte mich verraten. So eine Nachlässigkeit darf mir nie mehr passieren. Ich muss mehr aufpassen. Bei dem Großeinsatz der Bullen in der gesamten Gegend konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Unvorstellbar, wenn die mich überrascht hätten? Alles wäre verloren.

Rostock, Kriminalkommissariat

Hauptkommissar Heilmeyer leitete seit den 90er Jahren das Rostocker Kriminalkommissariat. Er war für die speziellen, nicht alltäglichen Straftaten in Rostock und Umgebung zuständig. In den zurückliegenden Jahren hatte er sich einen guten Ruf erarbeitet und war weit über Mecklenburgs Ländergrenzen hinaus bekannt. Die kniffligsten Fälle konnten er und seine Leute lösen und ihre Aufklärungsquoten gehörten zu den höchsten in der gesamten Region.

An diesem Morgen stand Peter Heilmeyer unter Volldampf. Seine lässige braune Lederjacke, die als sein typisches Markenzeichen überall bekannt war, hing heute schlapp an ihm herunter. Und der dunkle Vollbart könnte mal wieder eine Rasur vertragen. Daran war für den Chef der Kripo im Moment gar nicht zu denken. Vor zwei Tagen gab ein Journalist eine Vermisstenanzeige auf, seitdem hält der Mann alle Polizeidienststellen mit seinen ständigen Anrufen in Schach. Gestern erst landete die Vermisstenanzeige bei ihm auf dem Tisch und damit auch seine nervigen Anrufe.

Am Telefon versuchte der Journalist seine Leute erpresserisch unter Druck zu setzen: „Ich habe als leitender Redakteur so meine Möglichkeiten. Mit ein paar Infos über ihre Arbeit könnte ich für Unruhe sorgen.“ Oder aber: „… wenn ich merke, dass sich nichts dreht, lasse ich meine Beziehungen spielen.“ Mit solchen Sätzen nervte der Mann zwar, doch ließ sich die Kripo nicht in die Karten gucken. Heilmeyers Leute waren einiges gewöhnt und von diesen Schreihälsen ließen sie sich gar nicht erst beeindrucken. Doch Freunde verschaffte sich der Mann mit seinen Drohungen auch nicht. Im Gegenteil, am Telefon wimmelten die Kollegen den Mann schnell ab. Einige wichtige Angaben hatte er der Polizei gegeben, das reichte. Der Mann ließ sich nicht einfach abwimmeln. Er rief weiter mehrmals täglich an. Dabei wurden die zeitlichen Abstände sogar noch kürzer. Heilmeyers Leute kannten solche Zeitgenossen zur Genüge. Sie blieben gelassen. Er forderte, den Chef sprechen zu wollen, doch stets vertröstete man ihn: „Der Chef gibt keine persönlichen Statements, erst recht nicht über laufende Ermittlungen.“

Heilmeyer erfuhr kaum etwas von der Nerverei des Mannes. Sein Interesse nahm erst zu, als er hörte, dass die Exfrau auch Opfer einer Entführung sein könnte.

„Zuletzt war Sarah mit einem chaotischen Typ liiert“, so der Journalist. „Sie wollte sich von dem Kerl längst trennen. Für mich verständlich, denn der schlug sie regelmäßig. Ein harter Bursche. Ich bin sicher, der hat sie verschleppt.“

Im Kommissariat ließ sich zwar niemand vom Gerede des Mannes beeindrucken, aber die Kripo musste den Anschuldigungen des Mannes trotzdem nachgehen. Deshalb machte Heilmeyer klare Ansagen, um sofort mit den Befragungen zu beginnen. Der aktuelle Freund der Vermissten konnte allerdings nirgendwo ausfindig gemacht werden.

Seit den frühen Morgenstunden stand in Heilmeyers Räumen kein Telefon mehr still. Jede Menge Hinweise trudelten fast im Minutentrakt ein, alle wollten die Frau irgendwo gesehen haben. Sogar ein Anruf aus Dänemark landete bei ihnen. Einige Hinweise erschienen mehr als abenteuerlich und gehörten eher in die Liga der Trittbrettfahrer. Einige ließen sich gleich während des Telefongesprächs enttarnen, andere wurden so weit in die Enge gedrängt, dass sie nur noch zugaben, sich wohl getäuscht zu haben. Es war jedes Mal dasselbe, die meisten wollten sich nur wichtigmachen und stahlen der Kripo wertvolle Zeit. Offenbar nahm die Aktivität von Schaumschlägern noch weiter zu.

Heilmeyers Erfahrungen ließen keinem Wichtigtuer eine Chance. Schnell erkannte er sie und erteilte ihnen eine ordentliche Abfuhr. „So ein Gelaber können wir uns bei der schlechten Besetzung gar nicht bis zum Ende anhören.“ Sein Ton war manchmal etwas zu robust, das wusste er. Doch seine Ergebnisse gaben ihm recht. „Die paar Beschwerden können wir verkraften. Klappt die Zusammenarbeit mit den anderen Polizeirevieren?“, fragte er in die Runde. „Wer koordiniert die Ergebnisse der anderen Reviere?“ Seine Leute kannten ihn und wussten, dass er nie die Zügel lockerließ. Erst wenn sichergestellt war, dass alles in Bewegung gebracht wurde, schien er zufrieden zu sein.

Zur heutigen Besprechung waren seine Leute alle pünktlich versammelt. „Fassen wir zusammen“, begann Heilmeyer seine Ausführungen. „Von der Frau fehlt seit fast zwei Tagen jede Spur. Telefonisch ist sie nicht zu erreichen und der AB springt nicht mehr an. Niemand aus ihrem Umfeld konnte uns einen brauchbaren Hinweis liefern. Nur der Ex bedrängt uns penetrant.“

„Seit er merkt, dass eine Menge Leute an der Suchaktion beteiligt waren, hat er sich aber beruhigt“, mischte sich Olli ein. Olli war so was wie seine rechte Hand und arbeitete dem Chef direkt zu. „Eine so groß angelegte Suchaktion beginnt ansonsten ja auch viel später. Denn die Frau gilt weder als hilflos, noch ist sie suizidgefährdet. Aber in diesem Fall gab es wohl die Anweisung von ganz Oben?“

„Genau Olli, der Ex hat sein Ziel erreicht, weil er glaubhaft darstellen konnte, dass eine Entführung wahrscheinlich ist. Der Schreiberling muss tatsächlich …“

Heilmeyer kam nicht mehr dazu seinen Satz zu beenden, weil sein Telefon läutete: „Was gibt es?“ Und dachte bei sich, hoffentlich mal etwas, das wir ernst nehmen können.

Die erregte Frauenstimme am anderen Ende der Leitung antwortete: „Garantiert landen wir mit diesem Anrufer einen Volltreffer. Ein Ehepaar wartet in Wiethagen und scheint total durch den Wind zu sein. Die Frau berichtete nervös von einem grausamen Fund. Die hörte sich selbst durchs Telefon noch geschockt an. Wenn da nichts dran ist, lasse ich mich versetzen“, meinte ungewohnt flapsig die Kollegin aus der zentralen Telefonstelle.

„Ist ja gut, stell durch und hoffentlich hast du recht.“ Kaum hatte er seinen brummigen Kommentar abgelassen, war ein leises Stammeln zu hören: „Bin ich richtig bei Ihnen?“

„Das werden wir gleich feststellen. Erzählen Sie mir kurz, warum Sie anrufen.“

„Wir haben, äh, unser Hund hat im Wald …“ Dann war nur noch ein lautes Atmen zu hören.

„Bleiben Sie ganz ruhig und erzählen der Reihe nach! Was hat Ihr Hund gefunden?“ Heilmeyer spürte die Nervosität der Anruferin und ging besonders behutsam auf sie ein, auch wenn er innerlich bebte. Zwar verlor er selten die Beherrschung, aber jetzt schien er kurz davor zu stehen. Seine Intuition sagte ihm aber, dass es sich um etwas Ernstzunehmendes handeln könnte. Er spürte, wie die Frau am anderen Ende der Leitung um ihre Fassung rang und sie war nur stotternd zu verstehen: „Eine junge Frau liegt im … Wald …“ Dann machte sie erneut eine Pause.

„Lassen Sie sich nicht jedes Wort aus der Nase ziehen! Lebt sie, was ist mit der Frau?“

„Wir glauben, äh, ja, nein. Wir sind eigentlich sicher. Nein, die Frau lebt nicht mehr. Obwohl, na ja, eigentlich sieht sie aus, als ob sie nur schläft.“

„Wie schlafen? Was soll das denn? Wo genau sind Sie?“

„In Wiethagen am Waldrand, wo die ersten Häuser beginnen. Wir konnten nicht früher anrufen, weil das Handy …“

„Okay, okay, ist ja gut. Bleiben Sie an Ort und Stelle. In wenigen Minuten sind wir bei Ihnen.“ Er rief noch ein „Danke“ hinterher, aber die Frau hatte längst aufgelegt.

„Tatsächlich ein Volltreffer! Jens ruf die anderen von der Spusi zusammen! Die sollen sich schon mal auf den Weg nach Wiethagen machen. Die Frau im Wald könnte tatsächlich unsere gesuchte Frau sein.“

Wenige Minuten später saßen sie bereits im Auto. Jens, der Techniker in Heilmeyers Team, saß am Steuer und gab kräftig Gas. Heilmeyer missfiel sein Fahrstil.

Vorsichtig mahnte er ihn: „Jens denk daran, auf der Straße sind ortsunkundige Touristen unterwegs, denen sollten wir ihren wohlverdienten Urlaub nicht verderben.“

Jetzt erst erkannte auch Jens, dass er kaum aufs Tacho geschaut hatte. Und wirklich, so schnell waren sie selten unterwegs. Für die Strecke Rostock Mitte bis an ihr Ziel brauchten sie knapp dreißig Minuten. Einige Meter vom Ortsschild Wiethagen entfernt erkannten sie zwei Leute, die unruhig auf- und abgingen.

„Die beiden sehen total mitgenommen aus. Ehrlich, so sieht man nur aus, wenn etwas Furchtbares passiert ist.“

Heilmeyer stieg als erster aus und ging direkt dem Ehepaar entgegen. Auf der Hälfte des Weges trafen sie sich. Thea wiederholte das, was sie bereits am Telefon gesagt hatte. Geduldig hörte sich der Hauptkommissar den gesamten Bericht noch einmal an.

„Das hört sich wirklich schlimm an, da müssen Sie ja geschockt sein“, versuchte der Kommissar beruhigend auf das Ehepaar einzureden. „Aber jetzt sind wir ja da und kümmern uns um den Fall. Versuchen Sie abzuschalten und das Ganze zu vergessen, wenn das irgendwie möglich ist. Aber gut, dass Sie sich gleich bei uns gemeldet haben. Vielen Dank dafür. Wenn Sie sich erholt haben, kommen Sie morgen ins Kommissariat, wir nehmen dann ein Protokoll auf. Sind Sie in der Lage uns eine Wegbeschreibung zu machen?“

„Bestimmt, Michael kann das!“ Theas Mann beschrieb sofort der Polizei den kürzesten Weg, der direkt zum Fundort führte. „Mit dem Auto geht das auf alle Fälle schneller“, fügte er ergänzend hinzu.

Nachdem die Eheleute sich verabschiedet hatten, versprachen sie wegen des Protokolls vorbeizukommen.

„Na dann bis morgen oder übermorgen. Rufen Sie vorher an und wir machen einen Termin, damit sie nicht so lange warten müssen“, meinte Heilmeyer freundlich zum Abschied.

Thea und Michael verließen sofort den Schreckensort und waren froh wieder in ihrem Auto zu sitzen, um in Richtung Rostock zu fahren. Michael fand als erster seine Sprache wieder: „Für heute habe ich genug vom Wald und die Lust am Baden ist mir ohnehin vergangen. Wenn du morgen beim Sport Claudia triffst, wird die garantiert den Mund nicht mehr zu kriegen. Wo die an jeder Ecke kriminelle Idioten wittert. Wer weiß, ob sie danach immer noch so wild auf den Ruhewald ist. Schließlich haben sie und ihr toller Freund uns das Ganze eingebrockt.“

„Hör bloß auf! Wenn ein kranker Typ sich brutal im Wald zu schaffen macht, kann niemand was dafür. Wenn Gras über diese Geschichte gewachsen und der Täter gefasst ist, kommen auch wir wieder her.“

„Garantiert nicht so schnell, wie du dir das vorstellst. Damit du gleich Bescheid weißt; Deinen RuheForst zu beehren, das ist mir erst einmal gehörig vergangen.“

„Wer weiß? Bis dahin bleibt ja noch Zeit. Lass uns später darüber reden. Jetzt sollten wir erst einmal nach Hause fahren und dieses schlimme Erlebnis verdauen.“

Thea ging gedanklich noch einmal zurück zum gestrigen Abend. Als sie sich spontan für diesen Ausflug entschieden hatte, da fühlte sich alles noch so gut an. Ihr lang gehegter Wunsch sollte endlich in die Tat umgesetzt werden. Sie wollte den RuheForst kennenlernen. Der Wetterbericht versprach erneut gutes Wetter, da wollte sie nicht länger warten. Ihr Mann kam abends mit ausgesprochen guter Laune von der Arbeit nach Hause und sie spürte den günstigen Moment für ihren Plan. Ihr Instinkt täuschte sie selten. Die gute Stimmung ihres Mannes ließ sich mit einem Glas seines Lieblings-Chiantis toppen. Zu ihrem Erstaunen willigte Michael leicht beschwipst wirklich gleich ein, ohne seine langatmigen Ausreden. Und dann kam alles ganz anders.

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9783946734369
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