Читать книгу: «Holzpantoffel und blutige Zehen», страница 2

Шрифт:

Federnschleißen

An den dunklen Winterabenden wurden im Dorf reihum auf allen Höfen Federn geschlissen. Schöne, weiße, saubere Federn, erste Qualität. Denn den Gänsen stand der Dorfteich zum täglichen Bad zur Verfügung und sie nutzten ihn weidlich. Jeweils eine Woche lang kamen befreundete Frauen im gleichen Haus am Abend zusammen um die Federn dieses Hofes zu schleißen – von den Kielen zu befreien, die sich sonst durch’s Inlett bohren würden. War die letzte Feder geschlissen, gab es für alle Helferinnen einen Gugelhupf und Kaffee. Man nannte diesen Abend „Federball“ (ohne Tanz!). Mama half überall wo gerade Federzeit war und ich durfte mit. Sie konnte mich ja schwerlich allein zu Hause lassen. Entweder unterhielt ich die Frauen mit meiner Plauderei oder ich schlief auf einer Bank in der Ecke. Die Frauen saßen bei Petroleumlicht um einen großen Tisch in der warmen Stube. Jede fasste sich Federn aus einem Häufchen vor sich auf dem Tisch. Die vom Kiel geschlissenen Federn wurden zu leichtestem Flaum und die so entstandenen Daunen steckte man in der Tischmitte unter einen beschwerenden Teller. Im Laufe des Abends wurde der Berg unterm Teller immer größer. Da hinein niesen durfte keine, auch nicht hemmungslos lachen, denn dann wäre der Flaum in alle Richtungen davon geflogen.

Ich kann mich erinnern, dass man mich einmal in eine etwas erhöhte Fensternische setzte und mich ermunterte, die Geschichte von der schiefmäuligen Bauernfamilie zu erzählen, die beim Schlafengehen die Kerze ausblasen wollte ohne es zu schaffen, weil sie immer in die falsche Richtung blies. Ich musste diese Geschichte, mit brennender Kerze in der Hand, immer wieder erzählen, denn ich schnitt angeblich so herrliche Grimassen dabei. Älter als vier Jahre war ich damals nicht, jedoch sicher recht unbefangen. Aber dann beim nach Hause gehen im nachtdunklen, unbeleuchteten Dorf, zwischen Dorfteich und hohem, dicken Holzschrot-Gartenzaun mit den kahlen Baumästen dahinter, war es mir gruselig. Mama trug mich Huckepack auf dem Rücken und da war nichts als nur noch Dunkelheit hinter mir. Ich war immer sehr erleichtert, wenn wir vor der Haustür standen und der Schlüssel sich im Schloss drehte.

Mama hieß mit Mädchennamen Deimling. Und das war ein Omen. Denn ihre Gestalt hatte Däumling-Format: 150 cm groß und sehr rundlich.

Umzug ins Haus am Weinberg in Mies

Während wir im Deitschnhof in Zwinger wohnten, wurde für uns in Mies am Weinberg ein Häuschen gebaut. Mama hatte als Heiratsgut 10.000 Kronen bekommen, Vaters Familie half durch Mitarbeit, denn bei sechs Kindern war an geldliche Zuwendung nicht zu denken. Es wurde ein schönes Haus mit drei Stuben unten und einer unter dem Dach, ausbaufähig. Die Toilette war beim Eingang vor der Haustür mit kleiner Veranda. Das war schon fortschrittlich 1926. Die Wasserleitung mit nur einer Zapfstelle und Ausguss befand sich im Vorhaus. Wir hatten einen geräumigen Hof mit Holzlege (Holzschuppen) an der Ostseite und einen Garten an der Westseite. Mama zog dort ihr Gemüse und ich war eifrig mit dabei. Damals muss wohl die Vorliebe für’s Garteln bei mir entstanden sein. Ich habe eigenhändig duftende Veilchen eingepflanzt. Noch heute pflege ich meine Veilchen im Garten - so weit weg von Mies.

Großmutters Tod

Ich weiß nicht mehr, wohnten wir noch in Zwinger oder schon in Mies – 1928 starb meine Großmutter. Sie war nur achtundvierzig Jahre alt geworden. Meine Erinnerung reicht so weit, dass ich weiß, wie sie in der guten Stube aufgebahrt lag. Ich war noch nicht groß genug um in den Sarg sehen zu können. Auch, dass ich den weiten Weg auf der Straße durch das Miesatal, von Zwinger über den Mieser Bahnhof, die Vorstadt, durch den Brückenturm, die ganze Stadt und hinaus gegen Unolla bis zum Petruskirchlein hinter dem Leichenwagen hergegangen bin, weiß ich noch. Das blieb mir haften. Aber nur der Weg, nicht die Zeremonie am Grab, auch keine Gefühle; weder meinerseits noch die des Großvaters oder der sechs Kinder. Ich war halt noch zu klein und wahrscheinlich zu müde. Bei Großmutter, ich sagte wie ihre eigenen Kinder „Mutter“ zu ihr, hatten die Nieren versagt. Als man sie nach Plan ins Krankenhaus brachte, konnte ihr nicht mehr geholfen werden. Die Möglichkeiten von heute waren damals noch nicht gegeben. Großmutter war eine Raschtatochter vom großen Neubauernhof in Sittna (Sytno). Ich hörte später, dass sie die „Bauerntochter“ auf dem kleinen „Wirtschaftl“ der Schmiede nie so richtig ablegen konnte. Und sie musste doch drei Buben und drei Mädchen großziehen. Und dann hat sie auch noch mich aus Techlowitz geholt.

1975 fand ich noch ihr Grab auf dem verwahrlosten Petrusfriedhof, aber ihr Bild vom Grabstein war heruntergeschlagen. Jetzt ist der Friedhof eingeebnet, nachdem man ihn vorher verwüstet hatte. Das war nicht fair von den Tschechen. Aber wer darf richten?

Die Geschwister von Mama

Obwohl wir nun schon am Weinberg in Mies wohnten, war ich doch die meiste Zeit in der „Schmied“ in Zwinger. Mama half hier bei vielen Arbeiten mit, vor allem zur Erntezeit. Mein Vater und sein Bruder Seff (Schmied-Beb) verdienten außer Haus ihren Lebensunterhalt, was als Deutscher in der Tschechei nicht ganz einfach war. Meine Patin Marie war Hausmädchen beim deutschen Sozialdemokraten Jaksch Wenzel in Prag, zehn Jahre lang. Anna, Ernst und Emmi lebten ihrem Alter entsprechend noch daheim. Sie gingen ja zur Schule im Nachbardorf Wranowa, Swina hatte keine eigene Schule. Anna musste nach Großmutters Tod die Hausfrauenpflichten übernehmen, obwohl sie noch sehr jung war. Auch die Arbeit in Stall, Scheune und auf dem Feld. Emmi mit ihren acht Jahren nähte gerne Kleider für kleine Kautschukpuppen. Sie hatte jeweils nur eine einzige in einer Schuhschachtel. Und die musste sie gut vor mir verstecken, denn der Kautschuk hatte es mir angetan: Er knackte so schön, wenn ich hinein biss. Und ich biss zwanghaft hinein, wenn ich das Püppchen erwischte. Unters Bett in die aller hinterste Stubenecke hatte Emmi die Schachtel mit der Puppe versteckt. Ich habe sie gefunden. Und Mama musste wieder einmal der Emmi eine neue Puppe kaufen. Das war, außer für mich kleinen Balg, für keinen lustig, denn Geld war äußerst knapp. Das Beißen in die Puppe, das ist mir in Erinnerung geblieben. Das Knacken höre ich noch heute und bin mir nicht sicher, ob ich es nicht wieder versuchen würde, gäbe es noch Kautschuk-Spielzeug. Plastik knackt auch, aber es schmeckt bei weitem nicht so gut!

Maria und der Schnuller

Was jetzt kommt, weiß ich nur aus Erzählungen. 6 m vor der Schmiedhaustür führte die befestigte Straße vorbei. Autos fuhren so gut wie keine, es gab ja auch nur ganz wenige in der Stadt. Von Pferden oder Kühen gezogene Wagen, ja, die gab’s. An die Straße grenzte der durch Steinsäulen und eine Eisenstange abgesicherte Dorfteich. Ich war wohl um die zwei Jahre alt und stand an einem Sonntagmorgen mit dem Schnuller im Mund vor der Verandatür. Die damaligen Schnuller waren fleischfarbene Ungetüme mit einem 20 cm langen Schlauch, den man in ein „Tüpfl“ (Tasse) stecken konnte, damit die Kleinen beim Trinken nicht kleckerten. Im Teich schwammen Gänse und Enten und vor dem Haus gingen einige futtersuchend umher. Plötzlich watschelte eine Ente auf mich zu, schnappte nach dem Schnullerschlauch, den sie anscheinend für einen fetten Regenwurm hielt – und ab damit in den Teich. Ein paar andere Enten hinter ihr her um ihr den fetten Wurm abzujagen. Ich schrie wie am Spieß. Die Ente bemerkte ihren Irrtum bald und ließ das ungenießbare Gummiding in die schmutzige Brühe fallen. Der Schnuller war auf Nimmerwiedersehen im Teichschlamm verschwunden. Ich hörte nicht auf zu schreien, auch nicht, als der erste Schreck vorüber war. Jetzt ging es mir allein nur noch um den Schnuller. Als ich zu Mittag immer noch weinte, zog der Großvater sich stadtmäßig an und ging nach Mies in den Konsum um einen neuen Schnuller zu holen. Meinem Großvater wurde nicht gerade große Kinderfreundlichkeit nachgesagt, aber den weiten Weg für einen Schnuller nahm er auf sich. Ob aus Liebe zu seinem ersten Enkelkind oder aus Furcht vor einer durch Kindergeschrei gestörten Nacht, kann ich nicht sagen.

Der Großvater

Überhaupt, mein Großvater. Er redete nicht viel, und wenn er mal fluchte, dann auf Tschechisch, das verstand dann keiner. Er sagte zum Beispiel: „Dostanesch par facek“, was soviel heißt wie: „Ich geb Dir ein paar Watschen“. Ich habe von ihm nie welche bekommen. Ob seine eigenen sechs Kinder davon betroffen waren, weiß ich nicht. Ich könnte mir vorstellen: ja.

Meine Mutter erzähle mir später ein Vorkommnis, das sie selbst auch nur vom Hörensagen kannte, das aber zum Kennenlernen meiner Eltern führte.

Ein heftiger Streit in der Schmiede wurde so schlimm, dass Großvater Großmutter schlagen wollte und mein Vater sich gegen seinen Vater stellte. Vielleicht sogar handgreiflich, ich weiß es nicht; mein Vater hat nie darüber gesprochen. Jedenfalls richtete sich jetzt Großvaters Zorn gegen meinen Vater. Dieser verließ das Haus und wagte sich nicht mehr heim. Er nahm in Techlowitz, das nächste Dorf westlich von Mies, eine Stelle als Knecht an.

In Techlowitz war Katharina Deimling gerade achtzehn Jahre alt geworden und durfte zum Feuerwehrball gehen. So begann es mit den beiden. Ein und ein halbes Jahr später kam ich zur Welt. Der Streit war längst vergessen.

Großvater war der einzige im Dorf, der ein paar Bücher hatte und sie auch las. Einige davon waren religiösen Inhalts, aber mit der Kirche hatte er es nicht unbedingt. Er ging auch nicht ins Wirtshaus. Nach dem Tod seiner Frau wurde er immer menschenscheuer. Er arbeitete viel, obwohl ihm sein Rheuma zu schaffen machte. Dann rieb er die schmerzenden Stellen mit selbsterzeugten Mitteln ein und schwitzte im Bett. Ich sah ihm oft zu, wie er mit einer halbgefüllten Weingeistflasche in den Wald ging. Er legte sie schräg in einen Ameisenhaufen, so lange, bis ganz viele Ameisen hinein gekrabbelt und ertrunken waren. Da hinein steckte er noch frischgrüne Maifichtenspitzen und Arnikablüten. Das musste eine Zeit lang ziehen. Dann wurde das Ganze abgeseiht. Dieses Gemisch war das Jahr über seine Rheumamedizin.

Zwinger, so klein das Dorf auch war, hatte zwei Wirtshäuser. Eines am Dorfende zur Stadt hin, eines am Dorfende gegen Vranoa. Im „oberen“ Wirtshaus gab es sogar einen Tanzsaal mit einer Bank entlang an allen vier Wänden und einer Musikanten-Empore. Ich sah den Tanzenden manchmal zu – natürlich nur am Nachmittag. Großvater ging nie ins Wirtshaus. Er holte sich, oder ließ sich holen, selten genug, eine Flasche Bier nach Hause. Aber an Peter und Paul, wenn die Verwandtschaft zum Festbesuch kam und Tante Anna, Tante Marie und Mama alle Hände voll zu tun hatten, ging Großvater schon früh in den Wald. Um mit niemanden „dischkerieren“ zu müssen, wie er es nannte. Erst bei Dunkelheit fand er sich wieder ein. Da waren dann die Besucher schon fort.

Großvater war schon über sechzig, als er, wie alle Sudetendeutschen aus der böhmischen Heimat, vertrieben wurde. Er lebte sehr still und unauffällig mit meiner Tante Anna bei deren Familie in Allersberg bei Nürnberg. Tante Marie und Tante Emmi fanden in diesem Ort auch ihre neue Heimat. Heimat? Heimat wohl nicht. Halt ein Zuhause, wie alle Vertriebenen. Eine Aufgabe hatte Großvater nicht mehr, kein Vieh, keine Felder. Aber, solange er konnte, ging er „in die Zelch“ (über die Felder), um zu sehen, wie das Getreide stand im Jahreslauf. So hatte er es in Zwinger auch gehalten. Dieses Beobachten der Natur im Wachsen und Reifen verband ihn wohl innerlich mit seinem Zuhause – auch wenn es nicht mehr seine eigenen Felder waren, über die er schritt. Er ist sechsundachtzig Jahre alt geworden und so still gestorben, wie er seine letzten Jahre gelebt hat.

Schuhe, Pantoffeln und Stricken

Man sagt, die Landbevölkerung habe gesunde Füße, weil die Kinder immer barfuß liefen. Sicher liefen manche oft barfuß, aber keineswegs immer. Und ich schon gar nicht. Wenn ich es doch einmal versuchte – schon hatte ich abgestoßene, blutige Zehen. Und die taten sehr weh. Schuhe waren für jedes Kind schonungsbedürftige Seltenheiten, die man beim Kirchgang oder zu Stadtbesuchen anziehen durfte. Holzpantoffel dagegen gab es genug. In jeder Familie gab es jemanden, der sie herstellen konnte. Man war mit Holzpantoffeln auch gleich 5 cm größer, so dick waren die Sohlen. Und praktisch waren sie auch. Denn bei Regen waren die Wege im und rund ums Dorf, bis auf die vor der Schmiede vorbeiführende Gemeindestraße, grundlos aufgeweicht. Die dicken Sohlen hielten den Matsch fern. Man sparte sich beim Holzpantoffel tragen auch das lästige Auf- und Zubinden, wie es bei Schuhen nötig ist. Die Pantoffel wurden im Vorhaus von den Füßen gestreift, und jeder, groß oder klein, ging nur auf Socken, im Sommer barfuß, in die Stube. An Hausschuhe kann ich mich nicht erinnern; nur an wollene, selbst gestrickte Socken, denen eine leinene Sohle aufgenäht war, damit sie strapazierfähiger wurden. Socken stricken war die Hauptbeschäftigung in den abendlichen Mußestunden. Sobald ein weibliches Wesen mit Stricknadeln umgehen konnte, und das war sehr früh der Fall, spätestens jedoch mit vierzehn Jahren, wurde unentwegt gestrickt. Socken stricken war auch bei Petroleumlicht möglich. Zwei links, zwei rechts. Oder glatt im Fußling, das ging auch bei spärlicher Beleuchtung. Die Ferse oder gar Trachtenwadenstrümpfe mit Muster aus weißem Baumwollgarn mussten bei Tageslicht gefertigt werden, denn „Nähteln“ (Randmaschen) zählen, oder Maschen auf- und abnehmen war heikel. Das abendliche Zusammensitzen dauerte selten lange. Erstens war jeder müde vom Tag, zweitens war das Petroleum für die Lampe zu teuer und drittens musste man die Unterhaltung selber gestalten.

Radio oder gar Fernsehen waren völlig unbekannte Dinge. Das war in allen Häusern ähnlich. In unserer „Schmied“ kam noch dazu, dass Großvaters Bett in der „Stuben“ stand und nicht in der Schlafstube, wo alle anderen schliefen. Großvater brauchte es warm wegen seines Rheumas und außerdem wollte er seine Ruhe haben. Wenn er am Abend aus dem Stall kam, war er schon gewaschen. Im Stall stand sommers wie winters ein Schaff (niederer Holztrog) mit Wasser. Im Stall war es auch im Winter warm; hier mussten sich alle die Füße waschen vor dem Abendessen. Wasser musste vom Dorfbrunnen geholt werden für Mensch und Tier. Der mit einer Holzrampe von 1 m Höhe im Geviert umgebene und mit einem Holzdach versehene Brunnen befand sich an der niedrigsten Stelle des Dorfes, etwa 200 m von der Schmiede entfernt. Dahinter stand noch das Raschta-Häusel und dann breiteten sich schon die Futterwiesen der „Peint“ (eingeteilte Wiesenfläche) aus, die sich weit in die Senke hinunterzogen bis hin zum Wald. Der Brunnen war tief und uns Kindern wurde ein gehöriger Respekt davor eingebläut. Hinüberbeugen und Hineinfallen wäre sicher nicht so ausgegangen wie bei Goldmarie und Pechmarie. Ein Eimer wurde an einem Seil zum Wasserspiegel hinuntergelassen und mit den Händen wieder hochgezogen. Wasser holen ging fast immer der Großvater. Er legte sich eine geschwungene Stange auf die Schultern. Links und rechts hing je ein Eimer. Die gefüllten Eimer mussten leicht bergan zur Schmiede getragen werden, am Watzka-Häusl und an der Kapelle vorbei. Trinkwasser für drei Kühe und eine wechselnde Zahl von Menschen. Waschwasser für Mensch, Geschirr, Wäsche, Fußböden. Wenn das nicht Knochenarbeit war! Einige Höfe hatten beim Haus einen Brunnen; weil aber Mist und „Häusl“ nebenan waren, wurde das Trinkwasser auch von den Brunnenbesitzern aus dem Dorfbrunnen geholt. Denn das war rein, klar, kühl und geschmacklos.

Im Vorhaus der Schmied stand in der kühlsten Ecke ein großes Wasserfass aus Holz mit einem Deckel darauf. Das weiß ich noch gut, denn ich war als Kind sehr durstig und schöpfte oft mit einem „Tipfl“ daraus. Wenn ich mir einmal etwas Besonderes gönnen wollte, schüttete ich ein paar Tropfen Essig ins Wasser, tat ein klein wenig Salz und einen Zuckerwürfel dazu. Das war meine Limonade. Ich machte mir diese Köstlichkeit nicht oft und meist nur im Geheimen, denn von allen Seiten wurde mir gesagt, Essig und Salz sei für Kinder sehr ungesund und der Zucker zu teuer. Ich ließ mir als Kind schon was einreden! Ein „Soda-Wasser“ bekam ich nur an Peter und Paul, das war das Dorffest. Sodawasser vom Wirtshaus war ohnedies nur ein mit Kohlensäure versetztes, rot oder grün gefärbtes und etwas gesüßtes Brunnenwasser. So etwas würde heutzutage kein Mensch mehr trinken.

Gänsehüten

Ich muss noch vom Gänsehüten erzählen. Jeder Hof im Dorf zog eine Schar Gänse auf, so um die zwanzig. Die Schmied hatte je eine weiße und eine weißgraue Muttergans, die im Februar ihre Eier legten und sie sorgsam ausbrüteten. Gänserich hatten wir keinen, es gab aber genug davon im Dorf und ich fürchtete mich vor diesen Biestern. Die Gänseküken schlüpften oft schon Mitte März, und da waren die Nächte noch sehr kalt. Deshalb wurden sie nachts allesamt vom Gänsestall in die Stube gebracht, wo unter dem Ofen aus drei Brettern und der Wand ein Viereck entstand, das mit Stroh ausgelegt wurde. Dahinein kam das piepsende, gelbflaumige Gänsevolk – ohne die Gänsemutter. Zuerst beklagten sie sich jämmerlich über die Trennung. Doch als sie merkten, dass es hier schön warm war und in der Ecke eine Schale mit Wasser und eine mit gehacktem Ei stand, fanden sie es recht gemütlich, kuschelten sich nach der Mahlzeit in einer Ecke zusammen und fiepten ab und zu mit hohen Stimmchen vor sich hin. Großvater schlief übrigens in derselben Stube, doch war er junge Gänschen seit seiner Kindheit gewöhnt. In allen Bauernstuben verbrachten die ganz jungen „Wiwerla“ die Nächte unter dem Ofen, wenn nicht gar in der Ofenröhre. Wenn früh die Sonne schien, wurden sie wieder in den Stall gebracht zu ihren Müttern. Denen krochen sie unter die Flügel. Mit dem Heranwachsen wurde auch der Futterbedarf immer größer und sie mussten neben Ei und Schrot auch an Grünfutter gewöhnt werden. So viel Grün ist so früh im Jahr in der Natur noch nicht vorhanden, nur die Brennnesseln zeigten die ersten Sprösslinge. Diese mussten, mit einem alten Handschuh bewaffnet, von Hand eingesammelt, fein gehackt und unter die hartgekochten Hühnereier gemengt werden. Jeden Tag bestand der Proviant aus einem bisschen mehr Brennnesseln und Schrot und einem bisschen weniger Eiern. Ich beteiligte mich gerne am Brennnesseln zupfen. Es war so spannend, immer wieder frische Spitzen aufzufinden, wenn ich auch trotz übergezogenem Fäustling brennende Blessuren davontrug.

Am Ende der Schulferien, als die kleinen „Wiwerla“ schon fast ausgewachsene Gänse waren und bereits ihr weißes Federkleid trugen, zog ich, wie alle anderen Dorfkinder auch, zum Gänsehüten auf die abgeernteten Felder. Jeder trug einen Stecken zum Treiben in der einen und einen Henkelkübel voll Wasser in der anderen Hand, denn Gänse brauchen Wasser beim Fressen um die Körner herunter schwemmen zu können. So wurden die Herden zum Dorf hinausgetrieben. Auf den Stoppelfeldern lagen noch genügend Körner am Boden um die bis zu zwanzig Kröpfe zählende Herde satt werden zu lassen. Sie suchten und fraßen meistens eifrig, wobei sie zwischendurch zum Wasserkübel watschelten. Man konnte zusehen, wie der Kropf am Hals dicker und dicker wurde. Wenn er bis oben hin angeschwollen war, war es meist schon am Dunkelwerden und Zeit zum Heimtreiben. Die Gänse gingen ganz freiwillig in ihren Stall und Tante Anna schloss die Stalltüre sorgfältig ab. Als Belohnung fürs Hüten machte sie mir dann oft ein Rührei oder Schmettenbrot (Rahmbrot). Die Hüterei war eine angenehme, romantische Beschäftigung für Kinder. Aber wehe, wenn unsere grauweiße Gänsemutter nicht wollte! Sie musste aber, durch meinen Stecken dazu gezwungen, mit samt ihrem Volk die Dorfstraße entlang bis zu unserem dorfnahen Feld „Am Bergl“ hinaufgehen. Die Jungen fingen zu fressen an. Die Grauweiße jedoch hob den Kopf, sobald ich den Wasserkübel abgestellt hatte, machte „gagagaga“, breitete die Flügel aus, lief ein paar Schritte und erhob sich in die Lüfte. Alle anderen hinter ihr her. Aus dem Dorfteich vor der Schmied konnte ich sie wieder abholen – falls sie aus dem Wasser kam. Wenn die Grauweiße zu Hause gefüttert werden wollte, brachte auch ein zweiter Austrieb das gleiche Ergebnis. Gänse können sehr eigensinnig sein.

Бесплатный фрагмент закончился.

399
669,35 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
130 стр. 18 иллюстраций
ISBN:
9783944224244
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают