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Akribisch rechnete ich zu Hause, an Hand der Internetkarte, nach und komme auf lockere 12 km. Obwohl ich die Umrundungen des Campingplatzes und die Laufwege innerhalb des Geländes vernachlässigte. Vielleicht kommen die anderen Pilger so ja an ihre 30 km täglich?

Castrojeriz - Boadilla del Camino

Ich wachte auf, komisch, alles noch stockdunkel. Schaute auf die Uhr – hm – es war erst 4.30 Uhr. Zog das Rollo so weit hoch, dass ich nach draußen linsen konnte. Unglaublich – unfassbar, war es ein Traum? Blinker – blinker, sah ich ein tänzelndes Glühwürmchen, nein, eher einen Glühwurm, der sich auf dem Weg bewegte. Vielleicht war ich nur aufgewacht, um diesen Anblick nicht zu verpassen. Es handelte sich um einen mit einer Stirnlampe ausgestatteten Pilger, der so seinen Weg suchte. Ich muss schon zugeben, sich um diese Uhrzeit auf den Weg zu machen hat enorme Vorteile. Man pilgerte alleine, Würstchen schliefen noch, und die Temperaturen waren angenehm kühl. Der Nachteil, um die Camino-Kennzeichnungen zu finden, musste man mit der Stirnlampe dicht an den Häuserwänden entlang gehen oder mit der Nase auf dem Erdboden langschürfen. Nicht meine Zeit, ich ließ nicht nur das Rollo, sondern auch meine Augenlider wieder zufallen.

Als ich die Augen wieder öffnete, war der Uhrzeiger auf 6.00 Uhr vorgerückt. Das war in Ordnung, zwar war es immer noch dunkel und nass – egal. Nun mussten wir uns unser Frühstück bereiten. Wolfgang setzte sich lieber hin, um mir nicht im Wege zu stehen. Wenn noch kein Stück Brot und Kaffee durch meine Kehle gelangt sind und Rauchsignale der “Friedenszigarette“ den Tag eingeläutet hatten, ich eventuell auch ein Messer in der Hand schwinge, verhält “Mann“ sich nach Möglichkeit unauffällig. Ungeduldig fuchtelte ich mit dem Feuerzeug am Gasherd herum. Das machte dem Herd gar nix, bestimmt musste irgendwo das Gas aufgedreht werden, keine Ahnung wo. Grummel. Drehte das Wasser auf, bis es einigermaßen heiß war. Wieder abgedreht Tasse darunter gehalten, Wasser wieder an und es kam nur Piewarmes. Noch mehr Grummel. Brote ohne Butter mit Schinken belegt, sozusagen Trockenware, kann ich auch nicht leiden. Prinzessin erbste das Trockenfutter hinunter, trank zwei Schlückchen lauwarme Nescafebrühe, Wolfgang hatte ihn eh verweigert, der Rest wurde entsorgt. Was für ein Pilgerfrühstück. Im Dunkeln schlossen wir das Kapitel Bungalow mit der Tür ab, das obere Tor war immer noch zu. Immerhin muss der Gärtner im Laufe der Nacht gemerkt haben, dass wassersprengen bei Regen blöd ist.

Schweigend gingen wir den Abhang hinab. Der Bici-Fahrer, mit dem Langzelt, hatte wahrscheinlich schon in der Nacht seinen feuchten Standort verlassen. Sein Platz war schon geräumt. Wir warfen den Schlüssel, wie verabredet, in den Kasten vor dem Haupthaus und begaben uns wieder auf den Camino. Nachdem wir diese Strecke schon so oft abgestiefelt waren, brauchten wir nicht auf den Weg achten.

Wir verließen den Ort Castrojeriz, nun sollte es 20,1 km weiter nach Boadilla del Camino gehen. Es war nun leicht diesig, denn es hatte aufgehört zu regnen. Schön ruhig pilgerten wir, im Vorbeigehen grüßend, an anderen Pilgern vorbei. War Prinzessinnenland, platt wie eine Scholle. Ich lief auch an einem älteren Deutschen, der sich langsam hinkend und schwerfällig auf einen Stock gestützt vorwärts bewegte, vorbei. Er wurde begleitet von einer jungen Frau. Wir mutmaßten, dass es seine Tochter war. Ich zeigte auf sein hinkendes Bein, bedauerte ihn und lief weiter.

Nach 2,4 km änderten sich aber die Verhältnisse. Der Tafelberg kam in Sicht. Netterweise war auch mit 12 % über 1.050 Meter, die Steigung angegeben. Schaute nach oben und dachte, ach, so schlimm ist es ja gar nicht, denn ich sah oben schon einen anderen Pilger stehen. Der Weg folgte einer steilen Zick-Zack-Linie. Witzig, hatte ich meiner Meinung nach, ganz oben einen Pilger gesehen? Ein paar Meter vor dem Entdeckten, bog der Weg in die andere Richtung und man hatte die gleiche Strecke anzusteigen. Das Spiel wiederholte sich – ah – oben, nö, immer noch nicht oben. Nach einigen Kurven fand die Prinzessin dieses Spiel ganz schön blöd. Da half auch kein langsamer gehen. Die Luft wurde immer dicker, für mich jedenfalls. Ich schnappte nach ihr, aber sie wollte einfach nicht in meine Lunge. Ich hechelte, vielleicht könnte ich sie so überlisten. Da flog der, von mir bedauerte, Pilger in einem Affenzahn an mir vorbei. Da blieb mir die Luft ja nun ganz weg, staunend blickte ich ihm und seiner Begleitung nach. Nicht nur staunend, sondern mit den bösen Gedanken, du kleiner arroganter (H…). Es waren nicht die Einzigen, die mich überholten. Pah, machte mir gar nix.

Irgendwann, hatte auch ich den Gipfel des Alto de Mostelares erreicht. Knallte mich gleich auf eine der oben stehenden Bänke und schnaufte geschafft. Die schöne Aussicht war mir völlig wurscht. Es erstaunt mich immer wieder, wie schnell man sich aber von solchen Anstrengungen erholt. Hallo, es ging nun wieder 18 % bergab. Yippie, ich war wieder “obenauf“. Da keine Pilger mehr in unserer Nähe waren, traute ich mich, das Handy zu benutzen, um unsere liebe Freundin Gabriele in München anzurufen. Denn es war der 26. Mai und sie hatte Geburtstag. Leider konnte ich nicht viel mehr sagen, als das wir ihr gratulieren. Denn mein altes Handy ist immer nach einem Telefonat leer. Diesmal schon während des Gesprächs. Aber ich hoffte, dass der Wille zählte.

Wir pilgerten die 18 % Abwärtsstrecke auf einer ekeligen Wellenbetonpiste. Man muss sich den Belag wie den der Autobahn A1 vorstellen. Vielleicht ist es im Winter auch die Strecke für Buckelpisten-Rennen. Bei Wolfgang meldet sich das Ossobuco und er ging sehr vorsichtig hinab. Bevor sich der Weg wieder etwas ebener dahin schlängelte, hörten wir hinter uns Sturmklingeln und gekreischte “Vorsicht“ Rufe.

Bergab bretterten vier “Bici-Biester“ ungebremst an uns und den anderen friedlichen Pilgern vorbei. Sehr unhöflich, die hatten ja noch nicht mal gegrüßt. Nach dem Warnruf – Vorsicht – mussten wir leider davon ausgehen, dass es sich bei den jungen Frauen um Deutsche handelte. Außer ihnen waren auf der Etappe keine Bicis zu sehen, man hat ja nur ein Leben und man sollte sorgsam damit umgehen.

Weiter auf dem Wege stand unser französischer Burgosbusbegleiter. Als wir, natürlich grüßend, an ihm vorbei stiefelten, wedelte er mit den Händen vor seinem Oberkörper und deutete so an, dass er zu Atem kommen müsste. Seine Frau lief wie immer einige 100 Meter vor ihm, ich konnte sie aber nicht einholen, um ihr zu sagen, dass ihr Mann schwächelnd stehen geblieben war. Na, ich hätte es ihr auch nicht sagen, sondern nur andeuten können.

Unterwegs gab es noch einen Rastplatz, an dem ein Spanier Coca-Cola, Bananen und Café gegen Spenden abgab. Wenn alle für ihre Getränke so viel spendeten wie wir, wird der Spanier immer zufrieden nach Hause gehen. Wolfgang entschied sich wieder für ein “holländisches“ Getränk und ich mich für einen Cafe, der etwas besser als der Nescafé vom Morgen war, etwas besser. Der Platz bot dort unter Bäumen Steinbänke und Tische zum Ausruhen an, an denen wir uns niederließen. Wir verspeisten unsere mitgebrachten Trockenbrote. Auch die Koreanerinnen rasteten hier. Sie mussten beim Aufstehen leider feststellen, dass die Steinbank, auf der sie gesessen hatten, einen grünlichen, feuchten Belag an ihre Kleidung und den Rucksäcken abgegeben hatte. Ich sah noch aus dem Augenwinkel orangene Tücher. Sie erkannten aber schnell, hier konnte man keine Stühle rücken und zogen vorbei.

Auch der Ire, jetzt mit seiner Frau unterwegs, kam angelaufen. Von seiner Fröhlichkeit war nicht viel übrig geblieben, ächzend stellte er seinen Rucksack ab und grummelte. Hatte er auch noch keinen ordentlichen Café gehabt? Seine Frau dagegen lächelte und schaute freundlich um sich. Sie trug weiterhin weder Hut noch Gepäck. Pilgern kann ja so leicht sein. Plötzlich klickte es in meinem Kopf, das war die Erklärung. Deshalb packte Wolfgang immer seinen Rucksack gänzlich aus und am nächsten Morgen wieder ein. Das waren Vorsichtsmaßnahmen, er befürchtete wohl, dass ich schwerere Sachen einfach in seinen Rucksack packte. Na ja, den Käse hatte ich oben in seinem Gepäck verstaut. Ich wusste doch nicht, ob der bei der Wärme anfängt zu stinken.

Schon lange hatte sich das letzte Wattewölkchen verzogen und die Sonne ihre schweißtreibenden Heizstrahler angeknipst. Wir pilgerten auf ebeneren Wegen, auch an einem Fluss entlang, bis wir Itero de la Vega erreichten. Nun aber wirklich einen ordentlichen Café bitte, waren meine ersten Gedanken. Am Ortseingang gab es eine Albergue mit Bar. Ein überdachter Umlauf, mit Stühlen und Tischen rahmte eine sonnige Terrasse, auch bestuhlt, ein. Fanden ein Schattenplätzchen im Umlauf und ich besorgte Getränke. Unsere Mägen waren ja noch mit dem Brot verstopft, also nur Flüssigkeiten. Ich hätte mich nicht so auf den Kaffee freuen sollen, es war eine labberige Brühe. War aber ein feiner Platz um andere zu beobachten. Ach nee, es näherte sich eine kleinere Pilgergruppe, sie trugen an sich befestigte orange Tücher.

12.08.2011 Neues aus dem Alice “ich bin so was von verwundert Land“. Gestern trudelte ein Brief, geschrieben am 07.08.2011, von der albtraumhaften Allitsche ein. Es ist eine Antwort auf mein Schreiben vom 22.07.2011. Ach, doch schon. Ich hatte dem Schreiben die ganzen E-Mails angehängt. Passus aus meinem Schreiben: Ist es zu viel verlangt, dass ich zufriedenstellende Antworten erhalte? Oder einen Ansprechpartner, an den ich mich wenden kann.

Antwort:

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, uns zu schreiben.Bitte entschuldigen sie die Ihnen entstandenen Unannehmlichkeiten. Wir verstehen Ihre Enttäuschung und Verärgerung. Wir versichern Ihnen, dass wir auch zukünftig alles daran setzen werden, Ihnen den bestmöglichen Service zu bieten. Selbstverständlich betreuen wir nach Möglichkeit alle Themen in Schriftform. In diesem Fall ist eine schriftliche Beratung jedoch leider nicht möglich. Bitte beachten sie, dass es insbesondere bei komplexen Fragestellungen eine Vielzahl von Lösungsschritte gibt, die gegebenenfalls individuell angepasst werden müssen. Daher bitten wir Sie, setzen Sie sich bitte telefonisch mit uns in Verbindung. Sie erreichen unseren 24h Alice Comfort Kundenservice unter der kostenlosen Rufnummer 0800 1 44 14 11. Wir beraten Sie gerne.

Ganz, ganz mutig wählte ich nun diese Nummer, hängte noch die geforderte 2 für Vertragsberatung an. Ich landete tatsächlich bei einer kompetenten jungen Frau, die in null Komma nix, alle Home TV Komponenten und den HD-Rekorder aus dem Vertrag genommen hat. Ich bin nicht nur überrascht, sondern schwer begeistert. Es gibt sie doch, die nette, kluge Alice. Auch der Hinweis, dass entweder die Hausratversicherung oder Alice für den Schaden am Fernseher aufkommt, kommt von ihr.

Natürlich war ich schon längst, um Gnade winselnd, auf allen Vieren zum inzwischen reparierten Fernseher gerutscht und hatte das Kabel von Kabel Deutschland eingestöpselt, teuer, aber man sieht auch was. Thema ist erledigt. Nun aber mal schnell wieder weg, vom Dauerregen hin zur spanischen Sonne.

Die Platzanweiserin grölte von der Straße aus, einem Pilger am Nebentisch zuwinkend zu: „Hey du kennst uns doch, wir sind die mit den Tüchern. Wenn noch welche von uns kommen, sag ihnen Bescheid, dass wir weiter gegangen sind.” Während sie das sagte, zuppelte sie an ihrem Halstuch. Der Pilger nickte. Als noch drei Orangenhälse auftauchten, sagte er ihnen auch artig, dass die anderen weiter gegangen waren. Er machte sich auch auf, um seinem Weg zu folgen. Später kamen noch weitere Orangeträger und setzten sich erschöpft neben der Bar in den Schatten. Mein Mann und ich, wir schauten uns an, sagten aber nix. Ich muss zu unserer Entschuldigung anmerken, dass auch alle anderen anwesenden Pilger sich still verhielten. Man muss auch mal schweigen dürfen.

Auch wir stiefelten weiter über den ständig leicht ansteigenden Camino. Grüßend liefen wir an zwei deutschen Frauen vorbei. Wir steckten unsere Nasen in den Outdoor-Führer und ließen die Beine dem Weg folgen. Plötzlich hörten wir ein – hey - hey. Was ist denn nu los? Aus einiger Entfernung fuchtelte die eine Deutsche mit der Hand. Beine können eben nicht sehen. Wir waren munter dem falschen Weg gefolgt und liefen wieder zurück. Man wird sich ja auch mal verlaufen dürfen – oder?

Die Füße, oder meine Füße, erreichten mal wieder ihr Tageslimit. Die Temperatur stieg und auch von meinen an der Erde befindlichen Körperenden stieg das übliche Gequake auf. Trotz der endlich erworbenen Pillen vermeldete auch Wolfgangs Bein Schmerzen. Der Abstieg vom Tafelberg war wohl zu heftig. Endlich erreichten wir Boadilla del Camino. Hier wusste ich genau, wo ich hin wollte. In eine private Verwöhn-Herberge. Ob man noch ganz durch den Ort laufen musste oder nicht, war mir schnurz. Die ersten Bars wurden links liegengelassen, bis ich einen Schriftzug, En el Camino, an einer Mauer entdeckte. Ja, genau, da wollte ich hin.

Die Außenmauer schloss das ganze Gelände ein. Durch ein großes Tor aus Holz gelangten wir hinein. Unglaublich, das war eine Albergue in Spanien. Nicht vielleicht doch das Areal einer Gartenschau. Ein gepflasterter Weg führte durch Rasenflächen, in der sich auch ein Pool befand, zum Hauptgebäude. Rasen – englischer Rasen – wenn ich mich auf ihn geworfen hätte, um nach Moos, Löwenzahn, Klee oder Sonstigem zu suchen, keine Chance, hier gab es nur saftige, leuchtend grüne Grashalme. Es war auch kein Schild aufgestellt “Rasenfläche bitte nicht betreten“, sondern er war mit sich ausruhenden Pilgern bedeckt. Auf der Rasenfläche standen auf dem Kopf stehende abgesägte Baumkronen, auch Skulpturen aus Stein und Metall. Überall befanden sich bepflanzte Steinquader, Blumen- und sogar zwei Rosenbeete. Als wenn man in eine andere Welt tauchte.

Wir betraten das Haupthaus oder eher die Diele des Hauses. Ein großer, runder Tisch mit vielen Stühlen, nahm den vorderen Teil ein. Ein verglaster Bauernschrank war bestückt mit Geldscheinen, Bändern, Postkarten, Bildern und diversen anderen Erinnerungsstücken. Ihm gegenüber stand ein Schreibtisch mit Computer und Telefon. Davor stand ein junger Mann, der gerade mit anderen Pilgern sprach. Er wand sich uns zu und fragte: „Deutsche?” Uns blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. Wir fragten wie üblich nach einem Doppelzimmer. Er taxierte uns lange mit seinen braunen Augen und schien zu überlegen, wo er uns denn nun unterbringen sollte. Nein, Doppelzimmer wären schon belegt, er hätte aber noch zwei Betten in einem 6er-Zimmer frei. Hatte die Prinzessin leicht geknurrt? Ja, aber die 6,1 km weiter nach Formista wollte sie ja auch nicht laufen – die Garzeit für das Ossobuco sollte auch nicht ausgeweitet werden.

Innerlich jaulend stimmte ich dem Angebot zu. Zückte wie üblich den Pilgerpass, meinen Ausweis und wollte auch gleich den Betrag von 14,00 € zahlen. Der junge Mann meinte nur: „Bezahlen später”, kassierte aber die Ausweise ein. Dann führte er uns die Holztreppe hinauf zu den Räumen. Ließ uns auch noch einen Blick in zwei Duschräume mit WC werfen und führte uns in das Zimmer. Natürlich erhielten wir das übliche Doppel-Stockbett. Klar, ich oben und Wolfgang unter mir. Das untere Bett, des parallel stehenden Stockbettes neben unserem, war belegt. Der Pilger stellte sich mit Gerhard vor, die Sprache kannte ich schon, er ist Wiener. Aber ein netter Wiener. Gegenüber unserer Fußenden stand noch ein Stockbett, wo sich anhand der Utensilien erkennen ließ, dass auch dieses bereits vergeben war. Eine Leiter gab es nicht, dafür stand in der Mitte zwischen den Betten ein Stuhl. Wie ein Hürdenläufer übte ich in Gedanken den Weg, man steigt auf den Stuhl und mit einem Sprung ab in Bett.

Viel Platz zum Auspacken gab es nicht. So wurde die schmale Heizung mit den Beuteln der Waschutensilien und dem Pillenbeutel dekoriert. Diesmal blieb der Rest im Rucksack, auch der Käse. In dem Raum gab es noch eine Boxensäule für die Wertsachen. Hüstel – zum Beispiel das Handy? Uns gefällt aber der Gesamteindruck der Herberge und wir beschlossen Wolfgangs Bein einen Tag Ruhe zu gönnen.

Wir gingen wieder hinunter, meine Kehle verlangte nach koffeinhaltiger Flüssigkeit. Der junge Mann trug immer eine schwarze Wollmütze, an Hand der Beule nahm ich an, dass er Rasta-Locken darunter versteckte, fragte mich: „Café?” Woher wusste er so genau, was ich brauchte. Überrascht nickte ich nur, Wolfgang nahm lieber ein Cerveza. Nach dem Genuss meines Aufputschmittels ging ich durch den Garten, um mir die Albergue genauer anzusehen. Ein Mann hatte gerade die Umrandung des Pools mit einem Kantenschneider fertiggemäht. Der Pool sah für mich wie ein 20 cm flaches Planschbecken aus. Wasser war auch nicht drin, nur das abgemähte Gras. An dem Pool saßen zwei junge Deutsche und ich setzte mich zu ihnen ins Gras. Eine junge Frau, Anfang dreißig, mit kurzem, schwarzen Haarschopf, erzählte, dass sie hier einen Tag Ruhepause eingelegt hatte. Der junge Mann, hieß Christian und kam aus Hamburg. Habe den Namen mal nicht vergessen. Er war 36 Jahre jung und hatte null Haare auf dem Kopf, dafür aber viele “Muckis“, die aus seinem Achselshirt drangen. Seine sanfte Stimme passte nicht zum “Gesamtbild“. Auch er hatte einen Ruhetag hier verbracht. Nein, die Zwei waren nicht zusammen unterwegs, hatten sich hier nur getroffen. Der Kantenschneider forderte uns mit Gesten auf, ihm behilflich zu sein. Christian und ich zogen mit ihm die swimmingpoolfarbene Plane ab. Aha, doch Wasser blitzesauber und auch tief.

Wolfgang hatte sich in der Zwischenzeit bei dem Mützenträger erkundigt, ob wir auch zwei Nächte hierbleiben könnten und ob eventuelle für die nächste Nacht ein Doppelzimmer frei wäre. Zwei Nächte wären kein Problem, ob aber ein Doppelzimmer frei sei, das musste er erst noch nachsehen. Na gut, ab zum Duschen. Ich kam, gefühlt frisch duftend, in unser Zimmer, als der Mützenmann einer jungen Frau das letzte freie Bett im Zimmer zuwies. Sie war vielleicht 155 cm groß, sie schnüffelte höchstens an der Höhe der Matratze des oberen Bettes. Zickend zerrte sie den, vorher mittig stehenden, Stuhl an das Hochbett heran, schmiss ihren Rucksack darauf und meckerte, dass sie nicht oben schlafen könne. Der Wiener Gerhard zuckte nur mit den Schultern und nuschelte, wer zu spät kommt. Wenn sie so weiter macht, bekommt sie von uns noch ein Halstuch um – ein orangenes Halstuch. Der Mann mit der Mütze hatte sich bereits verdrückt. Ich ging lieber die Handtücher aufhängen.

Zurück im Zimmer, sah ich, dass die junge Pilgerin oben im Bett saß. Immerhin sie war hinauf gekommen. Der Wiener stand neben dem Hochbett, hatte nun ein mitleidiges Gesicht aufgelegt und berichtete. Sie ist Amerikanerin, sei heute gestartet und gleich 40 km gelaufen, natürlich taten ihr die Füße weh. Bei dem Gehörten zuckten meine Zehen. Dabei würde sie einen Rucksack, der ein Gewicht von ca. 20 kg hatte, mit sich schleppen. Nun sei Gerhard dabei, mit ihr den Inhalt ihres Rucksacks zu überprüfen. Heulend strich sie gerade Creme aus einem – hä? – Glastöpfchen in eine kleine Tube. Diese Gesichtscreme brauchte sie unbedingt. Aha, eine andere Prinzessin.

Wir Mädels kennen doch alle diese schicken Glastöpfchen, mit mindestens 1,5 cm dicken, fettem Glasboden und bei der Mengenangabe von 50 ml überlegt man, könnte die Luft mit abgemessen worden sein? Denn für mehr außer Glas ist fast kein Platz. Die Amerikanerin hatte höchstens noch 15 ml Crememenge darin und das Töpfchen wog alleine bestimmt 150g. Na gut, mein Glastöpfchen mit dem Tigerbalm wiegt auch 63 g – das ist das Gewicht von 1 ½ Unterhosen -, mit dem Inhalt von 19,4 g und ich hatte lange überlegt, ob ich den Stinkekram umfüllen sollte. Das hätte aber kein Platikdöschen ausgehalten und ich wäre nicht nur von meinem Mann begleitet worden, sondern auch von einem penetranten Geruch nach Campher und Menthol. Und hätte dann sozusagen Mentholzigaretten geraucht.

Christian kam mit seinem gewaschenen und auf der Wiese getrockneten Schlafsack herein. Na prima, so kannten wir fast alle Mitbewohner des Raumes. Er sah auch überrascht auf die schniefende Pilgerin. Mir fällt jetzt auf, dass ich den Wiener nur in dem Zimmer gesehen hatte, nicht auf der Terrasse, nicht beim Essen und im Garten auch nicht – hm – verwunderlich. Neben dem Holztor am Eingang gab es noch einen alten Kornspeicher mit neuem Nebenraum wo wohl noch mindestens 36 Pilger unterkommen konnten. Also wir wollen mal schön zufrieden mit der Nachtstatt sein.

Wir überließen dem Wiener die psychologische und aufklärende Betreuung der jungen Frau und gingen hinunter um Speis und Trank zu uns zu nehmen. Unsere “Erstpilger“ aus Pamplona waren auch hier gelandet. Es sind Spanier aus Barcelona. Sie wäre überglücklich sich endlich englisch unterhalten zu können. Ihr Mann könnte kein englisch – hallo – ich auch nicht. Ihr spanischer Mann sagte kein Wort, seine Körperhaltung strahlte eine Art Stolz aus, fast möchte ich behaupten, eine gewisse Eleganz. Die Spanierin erzählte Wolfgang eine Menge. Ich hatte nur verstanden, dass sie den Tag noch weiter nach Frómista wollten. Zu Hause wollte ich von Wolfgang wissen, was sie ihm denn so alles berichtet hätte. Er weiß es nicht mehr meint er, ich glaube ihm kein Wort. Na, denn soll er das doch für sich behalten. Ich hätte auch zu gerne gewusst, wieso sie immer so wenig Gepäck bei sich trugen. Vielleicht hätte ich sie gefragt: Ach, wir treffen uns so oft, könnt ihr unser Gepäck auch mitnehmen lassen?

Die Frankfurter, dünner Mann und dunkelrothaarige Frau, sind auch in der Albergue eingetrudelt. Sie meinte, sie wären wieder in der Mittagshitze und bis in den Nachmittag hinein gelaufen, weil er immer noch nicht vor 8.30 Uhr aufstehen würde. Sie würde zu gerne früher starten. Es hatte sich nichts geändert. Der Frankfurter meinte noch, dass seine Frau so gerne am Zielort einen Kaba trinken würde. Nirgends wäre ein Kaba zu bekommen. Kein Spanier würde begreifen, was damit gemeint ist. Alle würden ihn nur komisch ansehen, wenn er einen Kaba bestellte. Ich dachte so bei mir, Mensch, bestell doch einfach eine Schokolade, chocolate wird doch fast genauso ausgesprochen. Er sprach weiter, schließlich wären sie doch in dem Gebiet, wo die Firma Freixenet ihren Cava herstellt. Da strich ich mir mit der Hand die imaginären Schweißperlen ab. Cava, er meinte die ganze Zeit Sehekt! Und nicht Kaba, Kakao. Insgeheim freute ich mich, dass ich einmal im richtigen Moment, mein vorlautes Mundwerk verschlossen hielt. Cava wird wie Kaba ausgesprochen – sogar ich hatte etwas im Spanisch-Kurs gelernt. Jaha!!

17.08.2011 Gestern hatten wir Hochzeitstag. Nachdem ich endlich von der Arbeit zu Hause eingetrudelt war, wollten wir zusammen nett essen gehen. Beschlossen in einem Nachbarort ein angesagtes Restaurant zu besuchen. Für einen Dienstag war es rappeldicke voll. Auch diesmal entschied ich mich für ein Rumpsteak mit Kräuterbutter und Pfifferlingen. Das von mir mit Kräuterbutter beschmierte Stück Fleisch schmeckte seltsam. Die Bedienung kam gerade, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung ist. Ich wiegte, so als Zeichen – och, ich weiß nicht -, meinen Oberkörper. Also, wenn etwas nicht ok wäre, sollte ich das jetzt sagen und nicht später, diese Worte kommen nicht gerade leise aus ihrem Mund. Wolfgangs Geschmacksknospen melden beim Probieren, keine besonderen Vorkommnisse. Aber die sind auch nicht so – eingebildet oder ausgebildet – wie meine. Sagte zur Kellnerin, alles ist gut. Esse weiter, schnupper dies, schnupper das. Die Kräuterbutter hat einen tranigen Nachgeschmack, lasse sie weg und endlich schmeckt das Essen gut. Daheim, zwei Stunden später, spürte ich ein Trommeln im Innenraum meines Körpers. Den Rest des Abends verbrachte ich in holländischer Sitzhaltung. Zurück zum Camino.

An der rechten Mauerseite stand auch ein Tisch mit Stühlen. Dort saß eine ältere Frau. Ich nahm an, dass es sich um die Großmutter des jungen Herbergsvaters handelte. Sie konnte sehr schlecht laufen und wurde liebevoll von dem jungen Mann umsorgt, wenn er nicht gerade dabei war, die immer noch ankommenden Pilger zum Kornspeicher zu führen. Dieser Speicher hatte eine besonders große “Aufnahmekapazität“, denn kein Pilger wurde abgewiesen. Jeder müde Wanderer wurde dorthin begleitet.

Mein Mann hatte zum wiederholten Male sich die folgenden Strecken durchgelesen. Es käme bald die Etappe, die 18 km durch die Meseta von Carrión de los Condes bis nach Calzadilla de la Cueza geht, eine besonders schlimme Etappe. Er sah immer vom Buch auf das Bein, vom Bein auf das Buch. Es gäbe dort nix, keine Bar, keine Unterkunft, einfach nix. Sehr lang – er meinte zu lang. Manchmal dachte ich so, müsste man den Outdoor einfach wegwerfen und alles auf sich zukommen lassen.

Die Pilgerin, die uns wieder auf den richtigen Weg brachte, war auch mit ihrer Mitpilgerin in der Herberge untergekommen. Das Ihre Mitläuferin blind war, hatten wir auf dem Weg nicht mitbekommen. Aber hier in der Albergue, benutzte sie auch ihren Stock, einen weißen Stock. Ein gut gerundeter junger Mann gehörte zu ihnen. Er konnte nicht mehr laufen, seine blasenlastigen Füße machen nicht mit. Er wolle versuchen bis 100 km vor Santiago de Compostela mit dem Bus weiterzufahren. Aber die letzte 100 km will er dann wieder pilgern, ganz langsam, um anzukommen und so sein Ziel zu erreichen.

Ein Brite, so wie man sich einen Briten während der Kolonialzeit vorstellt, in Khakihemd und -hose, rauchte seine Pfeife und blickte gemütlich aus seinem runden, geröteten Gesicht auf das Treiben vor dem Haupthaus. Schon vor 19.00 Uhr flitzten viele Pilger hungrig in die Herberge, um ja einen Platz für das Essen zu ergattern. Fast wie in einem Urlaubshotel, wenn die Rentnerband sich eine halbe Stunde vor Essenszeit vorm Speisesaal versammelt, damit sie ja nix verpassen. Man muss einfach Erster sein. Wir nicht. Na ja, diesmal warten wir geduldig, bis die rechte Zeit gekommen ist. Dafür wurde für uns das Zimmer mit dem Hinweis – Privado – geöffnet, das ist doch nett.

19.08.2011 Hatte ich am Freitag den 12., es war wirklich nicht der 13., geschrieben Allitsche, Thema ist erledigt. Kurz nachdem ich Mittwoch meine Tagesseite abgeschlossen hatte, stand ich nichts ahnend in der Küche. Unser Nachbar Reinhard winkte mir vom Weg aus zu. Er hörte nicht auf zu winken, also wollte er etwas anderes, als nur grüßen. Ich öffnete die Haustür, um zu erfahren, was denn nun los sei. Reinhard hätte ein Paket für uns. Während ich ihm auffällig folgte, dachte ich nur – oh nein – bitte nicht – bitte nicht Allitsche.

Doch! Ein Paket von TelefónicaAlice. Betrübt öffnete ich auch noch den Briefkasten, zur Krönung lag dort ein Brief von Alice. Der Inhalt: Wir freuen uns, dass Sie sich für die Option Alice TV entschieden haben. Die Freischaltung der Option Alice TV wird am 12.08. erfolgen. Die benötigten technischen Geräte senden wir Ihnen rechtzeitig zu. Unterschrieben war der Brief mit Alexander Groß. Der hatte auch die anderen Briefe unterschrieben. Ich glaube der Computer heißt Alexander Groß oder das ist der Hausmeister. Ohne das Paket zu öffnen, bin ich zur Post, natürlich bevor ihre Schalterzeiten begannen. So hatte ich mehr von dem Paket, mehr Freude, denn ich durfte mehrere Male das Paket durch die Straßen von Bargteheide tragen. Da geh ich doch lieber wieder auf den Weg zurück, obwohl, Telefónica ist eine spanische Gesellschaft. Zurück nach Spanien.

Schnell waren viele Plätze in diesem Raum von Pilgern eingenommen. Mir gegenüber saßen ein Schwede, die junge Frau mit den schwarzen, kurzen Haaren und Christian. Der Brite ließ seine Pfeife abkühlen und nahm neben Christian Platz. Meine Nachbarin war eine zierliche junge Deutsche. Sie berichtete, dass sie ihren Arbeitsplatz, als Ärztin im Krankenhaus, gewechselt hatte und sich so eine Auszeit zwischen den Beschäftigungen nahm. Sie ist so zart und klein, dass ich überlegte, ob der Rucksack besser sie trägt, als umgekehrt. Wolfgangs Gegenüber ist Australier. Ich hatte ihn schon im Garten auf einer Steinbank im Yoga-Sitz meditieren gesehen. Er muss der Sonne oft ohne Schutz ausgesetzt gewesen sein. Seine nicht vom ausgeblichenen Fischerhemd bedeckte Haut, ist zerknitterter als meine. Fettdepots besaß er keine, die Schrubbelhaut lag direkt auf den Knochen. Sein Alter konnte ich nicht einschätzen. Er fragte uns, ok eher Wolfgang, aus, woher – wohin – wieso und bewunderte Wolfgangs ausgezeichnetes Englisch. Pah! Angeber.

Mit der Schwarzhaarigen und Christian diskutierte ich über die unruhigen Nächte in den Herbergen. Die Beiden und die Ärztin würden sich mit Musik aus dem iPod in den Schlaf lullen lassen und so nichts hören. Ach, ihr Glücklichen. Mit Christian schloss ich einen Deal. Er wurde von mir zum Wächter des offenen Fensters erkoren. Sozusagen die Frischluft mit seinem Leben, seine Muckis reichen auch, verteidigen. Auf unserer Seite des langen Tisches, wurde geschnattert und gelacht. Am anderen Ende nahmen Franzosen vis-a-vis dem Briten Platz. Da hätte er auch die Pfeife im Mund behalten können. Denn sonst “bewegte“ sich dort wenig. Eine lila Fleecejacken-Französin trug ihren Kopf ziemlich hoch, na ja, war ja auch Lippenstift aufgetragen, da ist man schon etwas “Besseres“. Dem Wein wurde schon einige Zeit zugesprochen, da kam das Essen in getöpferten Schüsseln, passend zu den Tellern und Weinbechern auf den Tisch. Der Australier folgte dem Schweizer Schlafrezept, viel Wein guter Schlaf. Die lila Französin konnte auch sprechen, sie sagte bei jedem Teller: non – non – non. Sie hatte sich wohl ein anderes Gericht bestellt. Dann eben non.

20.08.2011 Meine kleine Allitsche sendete, nach einem nochmaligen Telefonat, eine E-Mail: Wunschgemäß werden wir Alice TV für Ihren Anschluss am 18.08.2011 wieder deaktivieren. Ach, unterschrieben hatte wieder der Hausmeister, Alexander Groß, den es ja gar nicht gibt. Bin schon gespannt auf das nächste Paket und Schreiben: vielen Dank für Ihren Auftrag……………..bla – bla – bla. Zurück zum anderen spanischen Thema.

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9783752962598
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