Читать книгу: «Unter Der Sommersonne», страница 3

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Franck versuchte zu verstehen, was der Grund für ihr Verhalten gewesen war, das diese Verletzung an ihrer Lippe verursacht hatte. Begehrte sie ihn so leidenschaftlich? Sein spontaner Versuch hatte mit einem Misserfolg geendet. Er hatte im letzten Augenblick kalte Füße bekommen, nur wenige Zentimeter von diesem Mund entfernt, der ihn verhöhnte und den er begehrte. Es war die einmalige Gelegenheit gewesen, auf die er von dem Augenblick an gewartet hatte, als er ihre Finger umschloss. Er hatte den Schlüsselmoment für eine Beziehung verpasst, den Startschuss, der es ermöglichte einen Schritt weiterzugehen. Denn erst wenn dieser wichtige Akt stattgefunden hatte, der einer Einladungskarte gleichkam und den Zugang zu einer großen beginnenden Leidenschaft gewährte, konnte eine Liebesbeziehung aufgebaut werden. Warum war es so kompliziert, sich zum ersten Mal zu küssen? Warum war es so beängstigend, wo doch jeder in der Lage war, zu erkennen, wann eine Person nur noch darauf wartete, dass es geschah? Ebenso wie er erkennen konnte, wann Lippen bereit waren sich mit seinen zu vereinen, war er in der Lage zu spüren, dass sich ihr Körper danach sehnte, sich in seine Arme zu schmiegen.

Jeder Mann wäre beim Anblick dieses Mundes und dieser vollen und glänzenden Lippen zusammengebrochen. Bevor der Abend zu Ende ging, musste Franck sie liebkosen. Er begehrte alles an ihr und verbot sich, sie genauso ungebunden wieder gehen zu lassen, wie sie gekommen war, da er wusste, dass er sie vielleicht nie wiedersehen würde, wenn er sich nicht so verhielt, wie es von ihm erwartet wurde. Er spürte, dass er diesem Treffen einen unvergesslichen Stempel aufsetzen musste.

Sie hatten ihren Weg auf der Suche nach einem Restaurant fortgesetzt und angenommen, dass zufällig eines vor ihnen auftauchen würde. Franck war in diesem Viertel, das er nicht kannte verloren. Sie liefen auf gut Glück weiter.

Sie waren ein zweites Mal mit der gleichen Absicht stehen geblieben. Sie betrachteten sich aufmerksam. Das Verlangen wurde größer. Sie verschlangen sich mit den Blicken. Keiner von ihnen hatte es gewagt, diese unbeschreibliche, unsichtbare Grenze zu überschreiten. Nur wenige Zentimeter trennten sie von einer Liebesbeziehung. Es war zu dumm! Franck war sich bewusst, dass Svetlana auf gar keinen Fall den ersten Schritt machen würde. Es lag an ihm zu handeln, er musste ihr zeigen, dass er den Mut besaß, sie zu küssen, um ihr auf diese Weise zu bestätigen, dass es zwischen ihnen dieses natürliche Verlagen gab, dass zwei Menschen empfinden, die sich gefallen und die sich unwiderstehlich zueinander hingezogen fühlen.

Franck hatte ein ähnliches Zögern wie beim ersten Versuch verspürt. Sie hatten sich wieder auf den Weg gemacht… Was war los? Franck spürte, dass Svetlana nur noch auf seine kühne Initiative wartete. Worauf konnte sie also hoffen? Er hatte zwei perfekte Gelegenheiten verstreichen lassen. Die dritte wäre die letzte und er musste alles aufbieten. Andernfalls konnte er der schönen Svetlana Lebewohl sagen: sie würde nichts mehr von diesem Versager hören wollen.

Alles an dieser jungen Frau bezauberte ihn: ihr Äußeres, ihr Benehmen, ihre Persönlichkeit. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart wohl, weil er Vertrauen zu ihr gefasst hatte. Wovor hatte er also Angst? Franck hatte gerade beschlossen, dass dieser Kuss im letzten Augenblick stattfinden sollte, damit ihm jämmerliche Versuche erspart blieben, die er ohne es zu wollen in den Sand setzen würde. Nach dem Abendessen und vor allem nachdem er etwas getrunken hatte, müsste sich sein Selbstvertrauen stärker bemerkbar machen.

Nach einer Weile war ein indisches Restaurant vor ihnen aufgetaucht. Die angeschlagenen Preise erwiesen sich als sehr vorteilhaft für Francks Geldbeutel. Svetlana schien allerdings von dem Gedanken, dort zu essen nicht sehr angetan zu sein. Außerdem wirkte der Ort wenig romantisch. Sie waren weiter geschlendert, bis sie zu einer sehr viel belebteren Kreuzung kamen. Um den Platz herum gab es mehrere Cafés und Restaurants. Das erste, dass sie aufgesucht hatten, schloss gerade die Türen für die Nacht. Die Wirtin war untröstlich. Sie hatten die Straße überquert, um in das Café auf der gegenüberliegenden Seite zu gehen. Die Fassade sah nicht sehr vertrauenserweckend aus, aber im Inneren war es sehr edel. Sogar etwas zu edel… Franck war klar, dass die Rechnung gesalzen sein würde. Egal! Die Frau in seiner Begleitung war jede Ausgabe wert. Er hatte nicht vor, sie sofort nach einem kurzen Abend zu bespringen. Nein! Er hatte sich vorgenommen, sie zu erobern und sie zu seiner nächsten Freundin zu machen.

Eine Kellnerin hatte sie in einer ruhigen und gemütlichen Ecke untergebracht. Um den Tisch standen zwei Lederbänke. Sie hatten sich unterhalten, bestellt, gegessen und getrunken. Das Verführungsspiel erreichte seinen Höhepunkt: Finger, die einander suchten, freudiges Lächeln, das auf strahlende Blicke folgte, klopfende Herzen, fesselnde Gespräche. Der Zauber entfaltete sich nach allen Regeln der Kunst.

Nachdem sie die horrende Rechnung bezahlt hatten, hatten sie sich auf die Suche nach einer Metro-Station gemacht. Svetlana wohnte in Montparnasse. Deswegen hatten sie die gleiche Linie genommen. Dadurch hatte Franck die Gelegenheit bekommen, sie bis nach Hause begleiten zu können.

Svetlana lebte in einem Wohnheim für junge Arbeitnehmerinnen. Das Zimmer war winzig. Die Miete war zwar für ein einzelnes Zimmer hoch, man konnte sich aber der Illusion hingeben, dass sie für diese Stadt akzeptabel war. Vor dem Tor des Gebäudes ergriff Franck als erster das Wort: „Ich habe einen sehr schönen Tag verbracht und ich…“

Er hatte keine Zeit den Satz zu beenden da streiften sich schon ihre Lippen, stießen aufeinander, drückten sich ein. Sie hatten sich gegenseitig angezogen. Genau in diesem Augenblick war eine Situation entstanden, die die kommenden Tage auf den Kopf stellen würde.

Ihre Zungen hatten Gefallen aneinander gefunden. Speichel wechselte den Besitzer. Ihre Körper waren miteinander verschmolzen. Mit diesem Kuss wurde sanft und genussvoll jede Menge Zärtlichkeit ausgetauscht, die sich in Feingefühl mit einer herben Note verwandelte. Nachdem sie sich so sehr begehrt hatten, war dieser Moment wie eine Erlösung für sie gewesen.

Svetlana hatte ihm mehrfach gesagt, dass sie reingehen müsste. Unter der Wochen wurden die Türen um ein Uhr morgens vom Hausmeister abgeschlossen. Am Wochenende blieben sie bis zwei Uhr geöffnet und sie näherten sich dieser Uhrzeit. Franck wollte sie nicht loslassen. Svetlana wollte nicht zu sich raufgehen. Der Augenblick des Glücks zog sich in die Länge.

Bevor sich ihre Arme endgültig entknoteten und ihre Lippen sich endgültig voneinander lösten, hatte Svetlana Franck gefragt, wann sie sich wiedersehen könnten.

Am nächsten Tag wollte sie abreisen, um sich Brüssel anzusehen. Sie würde erst am Dienstagabend wiederkommen. Da ihr Zug erst ziemlich spät abfahren würde, hatte Franck ihr vorgeschlagen, sie zum Bahnhof zu begleiten. Er würde sie hier abholen, sobald er mit seinem Tagwerk fertig wäre. Svetlanas Augen hatten an Stelle ihres Mundes geantwortet und sie hatte gelächelt, bevor sie das Treffen am nächsten Tag mit Worten bestätigte. Sie hatten sich ein letztes Mal geküsst.

Franck würde seinerseits für die Dauer von drei Wochen einen Gelegenheitsjob als Concierge und Wachmann in einem Wohnhaus antreten. Es handelte sich hierbei um eine Arbeit, die ihm keinerlei Befriedigung verschaffte. Dreck wegmachen und Mülltonnen rausstellen ermöglichte ihm nicht, sich so zu entfalten, wie er das wollte. Nur die Bezahlung erschien, dank einer zusätzlichen Prämienzahlung zum Vertragsende einigermaßen anständig. Diese wog den Vorteil, den ein festangestellter Hausmeister hatte auf, der darin bestand, dass er bei seiner Tätigkeit über eine vergünstigte, ja beinahe kostenlose Dienstwohnung verfügte. Dieses Privileg konnte sich im Herzen von Paris und bei einigen Wohnhäusern als Luxus herausstellen; eine Gunst, die anständige Arbeitgeber ihren Angestellten erwiesen, angesichts der astronomischen Höhe der Mieten in dieser gentrifizierten Stadt. Ein nicht zu leugnender Anreiz für manch einen festangestellten Concierge.

Ab jetzt gab es diesen Bonus aber nicht mehr. Er war von einer Regierung abgeschafft worden, die neue Gesetzestexte verabschiedet hatte und die meinte, dass diese Menschen – diese Aushilfskräfte, diese Gelegenheitsarbeiter – zu viel Geld verdienten, was sie erst recht in eine wirtschaftliche Unsicherheit stürzte. Seither gab es keine finanzielle Motivation mehr. Was fortbestand, war eine Art von Ekel: einerseits gegenüber der Regierung, die das Proletariat unterdrückte und nur im Interesse der höchsten Finanzwelt handelte, von der sie selber vollständig abhängig war – fast wie freiwillige Sklaven – und andererseits gegenüber der Arbeit, sobald diese im Widerspruch zur Erfüllung unserer wichtigsten Wünsche stand. Mit ihrer exzessiven Sparpolitik haben unsere Politiker eine Denkweise legitimiert und verankert, die dazu führt, dass sich ungesunde Praktiken entwickeln können. Ganz zu schweigen von der Entmutigung eines Arbeitslosen angesichts einer Arbeit, deren Bezahlung sich auf bedauerliche Weise dem Mindestlohn annähert. Wer konnte in Paris mit einem so niedrigen Lohn von ungefähr tausend Euro netto im Monat auskommen? Die Monatsmiete für ein anständiges 1-Zimmer-Appartement beträgt mindestens 700 Euro. Meistens liegt sie um die 800 Euro. Die Rechnung ist einfach und schnell gemacht. Ein erbärmliches Einkommen kann kein ehrliches Dasein ermöglichen. So ein Einkommen sichert gerade mal das Überleben.

Das Leben eines Menschen bedeutet nicht viel. Das einzige was zählt, ist die Anhäufung von Reichtümern, von Privilegien… Wenn der kleine Mann auf der Straße landet oder verhungert, hat das keine große Bedeutung… Wenn man ein Nichts ist, tut man gut daran schnell wieder zu Nichts zu werden… Politiker sind die Freunde der Reichen. Hand in Hand verteidigen sie nicht die Interessen des Volkes. Sie sind gerade einmal in der Lage lange und schöne Vorträge zu halten, um die Massen noch mehr einzulullen, die anfangen könnte sich zu rühren, sich zu empören oder sogar den Wunsch haben könnte zu revoltieren. Im besten Fall schaffen sie es, ein wenig Verachtung für den Pöbel aufzubringen. Selten mehr. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt neue Waffenverträge auszuhandeln oder sich an neuen Kriegen zu beteiligen. Die Bürger schreien vielstimmig „Stopp!“ Sie hören nicht hin und ignorieren das aufgebrachte Volk. Die Kluft zwischen der Regierung, die den Kontakt zur sozialen Realität verloren hat und der Bevölkerung ist unverzeihlich. Diese Politiker und Wirtschaftsbosse sind unser Ruin. Sie sind für all das Elend in einem Land verantwortlich.

Franck hatte die junge Frau dabei beobachtet, wie sie das Gebäude betrat. Sie war jetzt offiziell seine neue Freundin. Danach hatte er sich auf den Weg nach Hause gemacht, 30 Minuten Fußmarsch bis zur Metro-Station Denfert-Rochereau. Unterwegs hatte er ein Lächeln auf den Lippen, seine Augen blitzten und im Kopf ging er den gemeinsamen Abend noch einmal durch. Am nächsten Morgen erwartete Franck etwas ganz anderes. Er musste früh aufstehen, die Ärmel hochkrempeln und ohne Überzeugung, Leidenschaft und Freude ackern, wie ein Roboter, ein lebender Toter.

Svetlana hatte soeben einen so außergewöhnlichen Tag erlebt, wie sie bis dahin noch nicht viele erlebt hatte. Sie hatte noch nicht viele Männer gekannt. Ihre Erfahrungen waren alle nur von kurzer Dauer gewesen. Sie setzte eine zarte Hoffnung in dieses Treffen. Was gab es romantischeres als zwei Menschen, die in zwei sehr unterschiedlichen Universen aufgewachsen waren und die es schafften, sich zu finden? Franck war es gelungen sie mit seiner Natürlichkeit, seiner Freundlichkeit und seiner Fähigkeit zuzuhören zu verführen. Er hatte sich aufrichtig für sie interessiert. Bevor sie sich auch nur zum ersten Mal geküsst hatten, hatte Svetlana gemerkt, dass sie ihm bereits etwas bedeutete. Außerdem hatte sie seine künstlerischen Seite bezaubert. Ein Künstler, der ein wenig gefangen war in seinen Träumen und seinem Leben, aber ein Original, auf das sie nicht jeden Tag treffen würde.

Svetlana lag in ihrem Bett, führte eine Hand über ihre Lippen spazieren und ließ die Ereignisse des Tages, der sie überwältigt hatte, noch einmal vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Sie fragte sich, warum ihre vorherigen Begegnungen kein so heftiges Verlangen hervorgerufen hatten. Was war anders an diesem Franzose, der doch auf den ersten Blick so normal wirkte? Franck war die Art von großem, schlanken und braunhaarigen jungem Mann mit einem Allerweltsgesicht und kurzen Haaren, dem man in allen Städten begegnen konnte. Ein drei-Tages-Bart versteckte die etwas eingefallenen Wangen und verlieh ihm, je nachdem wie lange die letzte Rasur zurücklag, dieses etwas schlampige oder verwegenen Aussehen, weit entfernt von den engelsgleichen Normen eines glatthäutigen Bürokraten. Franck hatte sich ihr gegenüber so zuvorkommend und aufmerksam gezeigt, dass sie gar nicht anders gekonnt hatte, als ihm zu verfallen. Hatte sie gerade jemanden kennengelernt, der sie wunschlos glücklich machen, und der sie neue und schöne Gefühle entdecken lassen würde? Der Mann, der ihr Leben prägen würde? Derjenige, in den sie sich wirklich verlieben würde? Svetlana verspürte ein starkes Bedürfnis, ihn schnell wiederzusehen, um das, was sie fühlte zu bestätigen. Sie hatte es auch eilig, wieder in seinen Armen zu liegen. Sie begann zu träumen und zu hoffen… Svetlana hatte noch niemanden mit Leidenschaft geliebt. Im geheimen sehnte sie sich danach, dass sich dieses Wunder ereignen würde. Warum nicht jetzt? War es riskant, sich Hals über Kopf auf einen Franzosen einzulassen, der mehr als 7000 Kilometer von ihr entfernt lebte? Knallte sie in eine Wand, ohne sich davon wieder erholen zu können? Mit dieser Unmenge an Fragen, die an ihr zerrte, zermarterte sie sich ihren Kopf. Sie konnte nicht einschlafen. Obwohl sie im Innersten aufgewühlt war, fühlte sie sich ruhig. Noch kein Mann hatte so ein gekonntes Verführungsspiel an den Tag gelegt und das Verlangen im Laufe eines Tages derart gesteigert. Das Glück hatte sich soeben offenbart. In diesem Augenblick hatte Svetlana gespürt, dass es dieses Mal anders sein würde als bei ihren vorherigen Beziehungen.

3.

Nachdem er Zuhause angekommen war, und bevor er schlafen ging, hatte Franck geduscht. Erschöpft, aber glücklich, war er nach nicht einmal 4 Stunden Schlaf wieder aufgestanden. Ausnahmsweise war der Grund für die schlaflose Nacht nicht der nervtötende Nachbar auf seinem Stockwerk. Der benahm sich wie der Herr über das ganze Wohnhaus. Die anderen Bewohner waren ihm egal und er brachte seine Verachtung für sie zum Ausdruck indem er sie überheblich von oben herab musterte.

Bei der Arbeit angekommen, hatte Franck im Gebäude als allererstes den Abstellraum für die Mülltonnen kontrolliert. Das Chaos, das dort vom Wochenende übriggeblieben war, zwang ihn, etwas Ordnung zu machen. Der Abfall quoll aus allen Tonnen bis auf den Boden. Bei so einem Anblick konnte schnell Verbitterung entstehen. Dann hatte er sich an die Reinigungsarbeiten gemacht. Er hatte den Eingangsbereich gefegt und gewischt, um den Dreck, der sich dort angesammelt hatte zu beseitigen. Es war schwer möglich, sich noch weiter von seinen größten Träumen zu entfernen. Im Laufe der Jahre hatte er allmählich begriffen, dass er es wohl nie schaffen würde, von seiner Arbeit als Fotograf zu leben. Zu diesem Zeitpunkt wusste er es noch nicht, aber die Zukunft hielt etwas anderes für ihn bereit, etwas, das ihn mehr erfüllen würde.

Je weniger Kontakt er in den Wohnhäusern zu den Bewohnern hatte, umso besser verlief seine Zeit dort. Es gab immer jemanden, der ihn an sein Schicksal erinnerte, selbst wenn es nicht absichtlich geschah. Es reichten ein paar unüberlegte Worte, um seine Selbstachtung zu torpedieren. Es war besser ein Unbekannter zu bleiben, sich nicht zu sehr auszuliefern, zu schuften wie ein Ochse, so wenig wie möglich über seine Ambitionen zu sprechen, auch wenn sich die neugierigsten Leute meistens als die Nettesten entpuppten. Die Probleme entstanden durch den Klatsch, der sich sehr schnell verbreitet. Jemandem anzuvertrauen, dass man als Künstler erfolgreich sein wollte, während man seit vielen Jahre Eingangshallen putzte, konnte sich als heikel herausstellen und als das Hirngespinst eines Verrückten verstanden werden, der nicht mehr mit beiden Füssen auf dem Boden der Realität steht, fernab von allen wirtschaftlichen Gegebenheiten.

Nachdem er mit putzen fertig war, hatte er sich auf das Schlafsofa gelegt, um auf den Postboten zu warten und hatte versucht, seine Müdigkeit abzuschütteln.

Sobald die Post eingetroffen war, hatte er die Briefumschläge sortiert und sie dann an die Bewohner verteilt. Danach bestand seine Beschäftigung nur noch darin, anwesend zu sein und abzuwarten, ob jemand seine Dienste benötigte oder ob er irgendwelche Streitigkeiten zwischen den Bewohnern schlichten musste, die aber selten vorkamen.

Es hatte 20 Uhr geschlagen und damit das Ende des Arbeitstages angekündigt. Franck hatte sich beeilt die Tür abzuschließen, um dann zur Metro zu sprinten, in Richtung Montparnasse. Als er bei Svetlanas Adresse angelangt war, hatte er sie angerufen. Sie war beinahe fertig. Es dauerte trotzdem noch fast 10 Minuten, bis sie herunterkam. Sie hatten einander angelächelt. Svetlana hatte sich in seine Arme geworfen und sie hatten sich zärtlich geküsst. Franck hatte ihre Hand genommen und sie waren wieder zum Bahnhof Montparnasse gegangen, um von da aus zum Nordbahnhof zu fahren.

Sie saßen nebeneinander und Svetlana hatte ihren Kopf an Francks Schulter gelehnt. Er streichelte ihre Haare. Sie wirkten wie ein junges, sehr verliebtes Paar. Dabei lag ihr erster Kuss nicht einmal 24 Stunden zurück. Franck schätzte diese Momente, die nach nichts aussahen, die ihm aber im Laufe eines Lebens magisch vorkamen. Sie waren selten und deswegen umso wertvoller.

Ihr Anblick war so harmonisch, dass er an ein anrührendes Gemälde erinnerte, das man sich einfach anschauen musste. Ihnen gegenüber saß ein Mann, der sie beobachtete. Er hatte gerötete Augen, als wäre er von einer tiefen Traurigkeit überwältigt worden. Franck hatte ihn mit einem flüchtigen Blick taxiert. Er hatte jedenfalls diesen Schluss daraus gezogen. Um sich zu vergewissern, hatte er noch einen Blick auf den Mann geworfen, der sie weiterhin aufmerksam betrachtete. Dieses Verhalten irritierte ihn. War es ihr warmherziger Umgang miteinander, der ihn in diesen Zustand versetzt hatte? Erinnerte er sich vielleicht an eine Frau, die er früher einmal gekannt und geliebt hatte, bevor sie ihn verlassen hatte? Franck hatte Mitleid mit diesem Fremden. Aber so hatte jeder sein eigenes Päckchen zu tragen. Franck hatte in der Vergangenheit auch schon einmal die schmerzhafte Erfahrung einer solchen Enttäuschung gemacht und sich verlassen und allein gefühlt als seine Liebe zurückgewiesen worden war. Er wusste, was für eine schwere Prüfung die Einsamkeit sein konnte. Ihm war bewusst, dass, je länger das Leid andauerte, die Freude umso größer sein würde, wenn das Glück wieder in unser Leben zurückkehrte.

Der Thalys stand schon bereit. Franck hatte Svetlana bis zu ihrem Wagon begleitet. Dort hatten sie sich geküsst und ihre Trennung auf diese Weise um einige Minuten hinausgezögert. Die Reisenden stiegen in den Zug, während ihre Küsse kein Ende nahmen. Ein Zugbegleiter wartete neben der Tür. Der Zug würde jeden Augenblick abfahren. Svetlana hatte sich aus den Armen, die sie fest umschlossen, befreit. Sie hatte Franck ihre rosa Jacke überlassen. Die Wettervorhersagen hatten warmes und drückendes Wetter angekündigt. Sie hatte ihn gebeten, sie ihr bei ihrer Rückkehr wiederzugeben. Das war eine Möglichkeit, um herauszufinden, wie sehr sie sich bereits vertrauen konnten. Würde Franck sie abholen kommen und würde er ihre Jacke mitbringen oder würde er sie vergessen? Würde sich dieser Mann als vertrauenswürdig und zuverlässig erweisen oder würde er sich ganz im Gegenteil als ein weiterer Spaßvogel unter den vielen Pariser Playboys entpuppen. Ein einfacher Test, der erste Antworten liefern würde.

Franck hatte ihr zum Abschied kurz gewunken, dann war Svetlana im Inneren des Zuges verschwunden.

Mit der Jacke über dem Arm war Franck zurück zur Metro gegangen. Er passte ganz besonders auf das wertvolle Kleidungsstück auf, das sie ihm gerade überlassen hatte.

Als er die Treppe hinaufgekommen war, war sein heiteres Lächeln verflogen. Er hatte sich Auge in Auge mit drei breitschultrigen und mit Sturmgewehren bewaffneten Militärs wiedergefunden, die ihn anstarrten. Diese rosa Jacke über seinem Arm machte einen verdächtigen Eindruck! Was versteckte diese Schwuchtel darunter?

Diese Schreckgespenster, die durch die Pariser Bahnhöfe streiften, stellten eine unangenehme zweifache Bedrohung im Stadtbild dar, zum einen wegen ihrer Gewehre und zum anderen wegen ihrer grünlichen Uniformen – die die Farbe von Dünnschiss an schlechten Tagen hatten – und verewigten dadurch Jahr für Jahr einen sehr traurigen Aufmarsch. Die Zurschaustellung von Sicherheitsmaßnahmen kann nichts Gutes hervorbringen. Selbst wenn sie den Franzosen die Illusion von Sicherheit vorgaukeln, verbreitet die Regierung bei den Bürgern damit doch vor allem Angst und Schrecken und ruft vielleicht sogar eine gewisse Ablehnung hervor. Die besten Ergebnisse erzielt man mit versteckten Schutzmaßnahmen. Auf diese Weise gibt es weder Provokationen noch Verärgerung, so wie es die Zivilpolizei bei ihrer Arbeit vormacht, die über ganz Paris verteilt oder verdeckt tätig ist. Es ist nicht nötig, noch mehr zu unternehmen und den Bewohner – sowie den Touristen – ein wirklich hässlichen Bild vor die Nase zu halten: das Bild von einem Frankreich, das Angst hat, einem Frankreich in der Defensive, das seit 2005 in der zweithöchsten Warnstufe des Antiterrorplans Vigipirate feststeckt! Waren diese Soldaten denn überhaupt in der Lage einen Terroristen von einem ganz gewöhnlichen Bürger zu unterscheiden? Sicherlich würde ein Terrorist ungestraft vor ihren Augen vorbeispazieren, da er inmitten einer Menschenmenge unauffindbar wäre. Ob das nun unserer Regierung gefällt oder nicht …

Diese Soldaten gaffen blöde herum. Sie selber sind genervt davon, stundenlang herumzulaufen. Sie haben jedoch kaum eine andere Wahl. Diese jungen Menschen müssen sich lächerlichen Vorschriften unterwerfen. Sie machen nur ihren Job und ihre Vorgesetzten verlangen von ihnen, sich zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort einzufinden und dort so langsam wie möglich ihre Runden zu drehen. Als Dreingabe erhalten sie am Monatsende für dieses geschmacklose und beunruhigende Schauspiel eine klägliche Bonuszahlung. Das genaue Gegenteil von einer zivilisierten und friedlichen Gesellschaft.

Wieder Zuhause, verbrachte er den Abend wie es für einen eingefleischten Junggesellen üblich war. Ein ekelhaftes Essen, das schnell in der Mikrowelle zubereitet wurde, eine erfrischende Dusche, sich im Anschluss daran einen runterholen, einen Hollywood Blockbuster angucken und dann ab ins Bett.

Am nächsten Morgen das ganze Spiel von vorn. Der gleiche uninteressante Arbeitstag erwartete ihn. Am Abend konnte ihm jeder die Freude vom Gesicht ablesen. Svetlanas Jacke wieder über dem Arm, wartete er sehnsuchtsvoll auf dem Bahnsteig. Der Thalys war gerade zum Stehen gekommen. Eine Menschenmenge drängte sich nach vorn, um nach Angehörigen Ausschau zu halten. Franck hatte mehrmals seinen Standort wechseln müssen, sonst hätte Svetlana ihn vielleicht nicht gesehen, wenn er verdeckt von den Leuten an der gleichen Stelle stehen geblieben wäre. Als sie auftauchte, konnte Franck ihr strahlendes Lächeln erwidern und ihren offenen und ehrlichen Blick, der bei jedem jungen Mann den Wunsch geweckt hätte, so von einem Mädchen angesehen zu werden. Svetlana hatte sich direkt auf Francks Mund gestürzt. Sie verbarg ihre Freude, ihn wiederzusehen nicht. Ihr Kuss hatte sich in die Länge gezogen, so, als ob diese kurze Trennung ihr Zusammengehörigkeitsgefühl und ihre Geduld auf die Probe gestellt hätte. An jenem Tag hatte Franck festgestellt, dass sie bereits beide ineinander vernarrt waren, und zwar nicht nur ein bisschen: an jenem Tag hatte er angenommen, dass ihre Beziehung weit über das von nun an bedrohliche Ablaufdatum hinaus bestand haben würde; an jenem Tag hatte er sich getäuscht. Er hatte Recht in Bezug auf die Leidenschaft, die er zu entwickeln begann, auf das Leuchten, das er in diesen blauen Augen, die ihn verschlangen, sah, auf dieses strahlende Lächeln, das ihm zeigte, was das Herz dieser jungen Frau fühlte, ohne dass ihr Mund es aussprach, auf die samtweichen und zärtlichen Hände, die auf seinem Gesicht verweilten, auf den Kuss, der wie eine Süßigkeit zwischen seinen Lippen schmolz. Er hatte das alles richtig erkannt, nur die elementarste Tatsache hatte er außer Acht gelassen: er hatte geglaubt, dass die Liebe im Laufe der Zeit wachsen würde. Er hatte nur Recht, was die Intensität ihrer Beziehung betraf, ohne auch nur eine Sekunde lang daran zu denken, dass es möglich sein könnte, dass all dieses Glück in wenigen Wochen der Vergangenheit angehören würde. Wie hätte er in diesem Moment der Glückseligkeit die Katastrophe vorhersehen können, die auf ihn zukam.

Wenn man vom Glück umgeben ist, denkt man wie ein Narr, dass es einen auf immer begleiten wird. Das ist ein bedauerlicher Irrtum. Im Leben ist nichts für immer beständig, nicht das Gefühlsleben, nicht die Freundschaften, nicht die Arbeit und nicht einmal das Geld. Nichts existiert ewig. Jede Wohltat währt nur einen Moment, jede gute Sache überlebt nur eine gewisse Zeitspanne, jeder Besitz generiert nur für eine begrenzte Dauer Wohlstand. Die gute Phase geht zu Ende. Von nun an drängt sich das Gegenteil auf, ist der Spielverderber und löst die einstmals goldenen Zeiten ab. Die glücklichen Momente werden immer als zu kurz empfunden. Das gleiche gilt aber genauso für das Gegenteil, auch eine schmerzliche oder eine schwierige Zeit wird vom Glück abgelöst. Alles wird sich für denjenigen zum Besten wenden, der abwarten kann, der weiter an sich oder an der Verwirklichung seiner Träume arbeitet, der mit aller Kraft an seinen Zielen festhält.

Als sie wieder einen klaren Kopf hatten, nachdem sie in der Bahnhofshalle in der Nähe der Züge im Kreis gelaufen waren, ohne mitzubekommen, wohin sie gingen, weil sie viel zu glücklich waren, wieder zusammen zu sein, hatte Frank Svetlana vorgeschlagen, gemeinsam bei ihm zu Hause zu Abend essen. Sie hatte die Einladung freudig angenommen. Die Spritztour ins Ausland hatte es ihr anscheinend sehr angetan. Unterwegs hatte sie ihm erzählt, was sie alles gesehen hatte: den Königspalast, die Grand-Place, das Europa-Parlament… kurzum alles was es an touristischen Orten gab, die sie jedoch vollständig verunsichert hatten, weil alles so ganz anders war als in ihrem Geburtsort. Sie war begeistert, strahlte und war hinreißend. Insgeheim war sie schon ein bisschen verliebt. Das Leben nahm eine wunderbare Wendung.

Svetlana hatte keinen Hunger. Deswegen war das Essen nicht sehr reichhaltig ausgefallen. Franck hatte eine Flasche Weißwein aufgemacht. Dazu hatten sie sich ein paar Scheiben Lachs schmecken lassen.

Svetlana war es nicht gewöhnt abends viel zu essen. Normalerweise tat sie sich lieber an etwas Obst gütlich, was ihr gesünder für ihr körperliches Gleichgewicht erschien. Sie verglich sich oft mit ihrer Mutter, die eine schlankere Figur hatte. Auch wenn sie keine Komplexe hatte, fand sie sich nicht dünn genug.

Sie saßen nebeneinander auf dem Bett. Der Tisch stand vor ihnen. Svetlana brachte Franck einige Wörter auf Russisch bei. Er wiederholte sie, vergaß sie aber fast sofort wieder. Franck war kein Sprachtalent ganz im Gegensatz zu Svetlana. Französisch würde die einzige Sprachen sein, die er beherrschte. Sie hatte ihn gebeten "Ya lyublyu tebya“ auf Russisch zu sagen, was „Ich liebe dich“ bedeutete. Die Aussprache war ihm schwer gefallen. Svetlana hatte ausgelassen gelacht. Der Akzent amüsierte sie. Sie prustete laut los, ohne sich bremsen zu können. Lust überkam Franck. Plötzlich hatte er sich auf sie gestürzt und sie ungestüm geküsst. Svetlana hatte sich überwältigt von diesem Verlagen mitreißen lassen und sie waren über die Matratze gerollt.

Franck hatte den hemmungslosen Kuss genutzt, um seine Hände weiter nach unten gleiten zu lassen. Svetlana hatte sie aufgehalten und weggeschoben, bevor sie Franck ausfragte. Sie wollte wissen, was er von ihr erwartete. Auch wenn ihr die Situation eindeutig erschien, fragte sie sich, warum er ihr vorgeschlagen hatte, mit zu ihm nach Hause zu kommen. Franck hatte ihr erklärt, dass sie ihn im Park erobert hatte, dass ihre Natürlichkeit und ihre Spontanität ihn berührt hatten. Sie gefiel ihm ganz einfach. Svetlana hatte gelächelt und „einverstanden“ gesagt. Nur ein Wort, mit dem sie ihm ihre Einwilligung für das gab, was er bereits begonnen hatte. Sie hatte wieder angefangen ihn zu küssen, dann hatte sie ihn gefragt, ob sich die Beziehungen in Frankreich immer so schnell entwickelten. Franck hatte sich seinerseits darauf beschränkt zu lächeln, bevor seine Hand weiter zu ihrer Brust hochwanderte.

Svetlana spürte, dass Franck es ehrlich meinte. Aus diesem Grund hatte sie zugestimmt, an diesem Tag einen Schritt weiterzugehen. Sie hatte es nie eilig gehabt, mit jemandem zu schlafen. Sie fühlte sich wie verwandelt. Sie meinte, dass sie sich wie ein übereifriger Mann mit einer glühenden Libido benahm. Normalerweise entwickelte sich aus aufeinanderfolgenden Dates eine Beziehung, die zu mehr Intimität führte. Die Franzosen erschienen ihr sehr selbstsicher, sehr auf Sex fixiert. Der weltweit verbreitete Ruf des french-lovers kam ihr nicht anmaßend vor. Svetlana konnte sich gerade selber davon überzeugen und berauschte sich in vollen Zügen an diesem Genuss à la française.

287,83 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 октября 2021
Объем:
310 стр.
ISBN:
9788835428862
Чтец:
Правообладатель:
Tektime S.r.l.s.
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