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Manfred Faschingbauer

Bayerisch Kalt

Kriminalroman


Zum Buch

Blutiger Herbst im Bayerwald Kriminaloberkommissar Moritz Buchmann fühlt sich endlich im Bayerischen Wald angekommen. Doch das Verbrechen gönnt ihm keine Pause. Ein vermeintlicher Verkehrsunfall entpuppt sich als grausamer Mord am Geschäftsführer der Green Mountain Electronics (GME). Während Moritz und seine Regensburger Kollegin Melanie Güßbacher die Ermittlungen aufnehmen, schlägt der Täter erneut zu. Obwohl die Zusammenhänge zwischen den Opfern nicht zu übersehen sind, stehen die Ermittler vor einem Rätsel. Stecken die dubiosen Eigentümer der GME hinter den Taten? Haben sich die Toten mit dem organisierten Verbrechen angelegt? Oder ist der Gesuchte ein psychopathischer Einzeltäter? Unaufhaltsam werden die Ermittler in einen Strudel der Gewalt und Angst gerissen. Moritz muss erleben, wie sich sein Fall zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit entwickelt. Und während die Katastrophe scheinbar nicht mehr abzuwenden ist, führen ihn die Ereignisse zurück in die dunkelsten Tage seines Lebens.

Manfred Faschingbauer, 1963 in Bad Kötzting geboren, lebt mit seiner Familie in Blaibach im Bayerischen Wald. Die dramatischen Ereignisse während des Höhepunkts der Flüchtlingswelle im Sommer 2015 sind für ihn Anlass, Moritz Buchmann erneut in seiner Heimat auf Mördersuche zu schicken. Er lässt seinen Kriminaloberkommissar dabei einen Weg von Zweifel und Angst gehen, der ihn an seine persönlichen Grenzen führt. Nach »Osserblut« ist »Bayerisch Kalt« sein zweiter Kriminalroman im Gmeiner-Verlag.

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Bayerisch Tot (2020)

Osserblut (2017)

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Alle Rechte vorbehalten

3. Auflage 2020

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © gualtiero boffi / shutterstock

und © lomographic/photocase.de

ISBN 978-3-8392-5752-4

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog

August 2015

Das Mädchen hatte Angst.

Angst vor der Dunkelheit.

Angst vor dem Sterben.

Ein vertrautes Gefühl. Kaum sechs Monate waren vergangen seit jener ersten Begegnung mit dem Tod. Auch damals war es dunkel gewesen. Auch damals hatte ihr die Hitze den Atem genommen. Dann waren die Stimmen gekommen. Ihnen waren Gesichter gefolgt und Hände, die sie aus den Trümmern ihres Elternhauses gezogen hatten.

Jetzt lauschte sie wieder in die Dunkelheit, suchte nach Stimmen. Doch sie kamen nicht. Nur das beständige Rauschen vorbeifahrender Autos drang in ihr Gefängnis. Alle anderen Geräusche waren verstummt. Das Schluchzen der Erwachsenen, das Weinen der Kinder, das Röcheln nach Luft. All das war immer leiser, immer weniger geworden, je öfter der Tod jemanden geholt hatte.

Ja, sie waren alle tot! Sie wusste, dass es viele waren. Nach und nach waren sie gestorben. Männer und Frauen, Jungen und Mädchen. Manche erlagen der Hitze, manche ihrem schwachen Herzen. Die meisten aber waren erstickt.

Ein gnädiger Tod, verglichen mit Khasibs Schicksal. Er war ihr Bruder gewesen. Er wurde nur drei Jahre alt.

Das Mädchen erinnerte sich an das große Fest, das ihr Vater gegeben hatte, als ihre Mutter Zwillinge geboren hatte. Jungen! Das nächste Fest zu Ehren der beiden würde eine Beerdigung sein.

Khasib und Alim. Verbrannt und erdrückt!

Sie wusste nicht, wie es passiert war. Als die Lichter der Handys langsam erloschen waren, hatte jemand versucht, mit einem Feuerzeug die Dunkelheit zu vertreiben. In der drückenden Enge des Wagens griff die Flamme nach dem kleinen Jungen. Eine Gefahr, die unter normalen Umständen leicht zu bannen gewesen wäre. Im Chaos der Todgeweihten war es jedoch niemandem gelungen, das Baumwollshirt des Kindes schnell genug zu löschen. Alle versuchten nur, Abstand zwischen sich und den Flammen zu halten. Und dabei hatten sie auch Alim getötet.

Alim! Auch er ihr Bruder, auch er drei Jahre alt. Zerquetscht zwischen sterbenden Leibern und der Wand des Wagens.

Vielleicht hatten sie ihn nicht einmal bemerkt. Vielleicht hatte die Angst sie gleichgültig gemacht gegenüber einem kleinen Jungen, der einer von ihnen und doch ein Fremder für sie war.

Die beiden Zwillinge waren fast zeitgleich zur Welt gekommen und fast zeitgleich waren sie gestorben. Und doch so unterschiedlich. Während Alim lautlos und still gegangen war, hallten Khasibs gellende Schreie noch immer in ihrem Kopf.

Es waren diese Schreie, die ihr Tränen in die Augen trieben. Nicht ihr eigenes Schicksal, nicht ihr naher Tod. Sie wusste, ihre beiden Brüder wären nicht auf diese Weise gestorben, wäre Bassam noch am Leben gewesen. Schließlich war er als Ältester ihrer Familie für seine Geschwister verantwortlich gewesen. Eine Verantwortung, die den 15-Jährigen dazu getrieben hatte, mit einigen anderen der Eingeschlossenen zu versuchen, die Hecktüren des Wagens aufzubrechen. Ein vergebliches Unterfangen, das er mit einem gebrochenen Taschenmesser und einer von der abspringenden Klinge aufgeschlitzten Schlagader bezahlt hatte.

Und wieder war es keinem der eng beieinander stehenden Gefangenen gelungen, einem der ihren zu helfen. Sie alle hatten zugesehen, wie Bassam mitten unter ihnen verblutete.

Irgendwann hatten sie alle Fluchtversuche aufgegeben. Sie hatten aufgegeben, mit ihren Handys jemanden zu erreichen, sie hatten aufgegeben zu beten, aufgegeben zu leben. Sie starben im Dunkeln, während draußen die Sonne auf ihr Gefängnis herabbrannte.

Hitze und der Gestank nach Urin, Schweiß und Verwesung raubten dem Mädchen das Bewusstsein.

Nur sie war noch am Leben. Noch einmal hörte sie die Stimmen. Die Stimmen, wie jene, die sie damals gerettet hatten und die jetzt nicht kamen. Noch einmal zog der lange Weg ihrer Reise an ihr vorbei. Länder und Städte, deren Namen in ihrem Leben aufgetaucht und wieder verschwunden waren. Die Zeit des Schreckens auf dem kleinen Boot, die Nächte im Freien und die Tage auf der Straße. Noch einmal erinnerte sie sich an ihren letzten Geburtstag. Ein paar Tage waren seitdem erst vergangen. Die Menschen, die sie an diesem Tag in ihr Haus aufnahmen, hatten ihr einen Kuchen gebacken. Fünf Kerzen hatte sie ausgeblasen. Das Mädchen wusste, dass es keine sechste mehr geben würde. Sie wusste, dass sie jetzt sterben würde.

Langsam wich die Angst. Die Schreie ihres brennenden Bruders blieben hinter einer Wand aus Watte zurück. Das Schwarz, das sie seit Stunden umgab, drang langsam in sie ein. Sie war bereit, in die Dunkelheit zu gehen.

Und die Dunkelheit kam!

Erstes Kapitel
- Feuer -
Montag, 03.10.2016
Ich

»Komm schon! Wir schauen noch am Fußballplatz vorbei.«

Claudia nimmt meine Hand und zieht mich dorthin, wo Pfiffe und Schreie das sportliche Aufeinandertreffen des heimischen TSV Kirchbach mit einem mir unbekannten Gegner verraten. Noch vor nicht einmal zwei Jahren zeugten erbitterte Streitgespräche zwischen mir und Marcel von meiner Fußballbegeisterung. Ich, ein Bayernfan, er, ein waschechter Sechziger. Angesichts dieser Konstellation verwundert unsere langjährige Freundschaft schon ein wenig.

Hier in meiner neuen Heimat geht die angeblich schönste Nebensache der Welt weitgehend an mir vorbei. Ein paar flüchtig überflogene Zeitungsberichte, ein paar aufgefangene Gesprächsfetzen, wenn ich Rosi Geiger einen Besuch abstatte. Immerhin habe ich mitbekommen, dass der TSV dank eines großzügigen Sponsors nach Jahren in den Niederungen unterster Ligen wieder auf dem Weg nach oben ist. Wohl auch deshalb drängen sich die Fans beider Lager dicht an dicht auf der kleinen Tribüne vor dem Vereinsheim.

Alle Augen sind auf das Spielfeld gerichtet, als wir den Platz betreten. Niemand bemerkt uns, was mir wirklich gelegen kommt. Mir wäre es angenehmer, wir würden unseren kurzen Sonntagnachmittagsspaziergang über die Wiesen um Kirchbach allein fortsetzen, doch die Frau an meiner Seite gelüstet es wohl nicht nur nach einem Kaffee aus der Hand der Spielerdamen im Kiosk des Vereinsheims, sondern auch nach einem kurzen Tratsch mit ebendiesen. Ungeniert drängt sie sich durch die Menge und entschwindet meinem Blick. Ich hingegen sehe mich umringt von Männern jeden Alters. Ich versuche, etwas vom Geschehen auf dem Platz mitzubekommen. Gerade wird ein Spieler im weißen Trikot von seinem Gegner mit einem Bodycheck gegen die Bandenwerbung befördert. Eine Szene, die empörte Rufe und nicht druckreife Schimpfwörter nach sich zieht, während die Menge hinter dem linken Tor abfällige Worte und Handbewegungen von sich gibt. Fußball sei schließlich kein Mädchensport und überhaupt sei das gar kein Foul gewesen und der Schiedsrichter halte sowieso zu den Kirchbachern. Wahrscheinlich sei der auch vom neuen Sponsor gekauft. Wenn dem so ist, dann hat dieser aber die Geldbörse nicht weit genug geöffnet, denn auch die Kirchbacher um mich herum haben den Feind des Tages ausgemacht: den eigentlich Unparteiischen, der dem TSV den Elfmeter verweigert habe, als dieser Fünfer, der sowieso ständig nur auf die Beine geht, den Sebastian Schieder umgehauen hat. Und überhaupt liege man nur wegen diesem Kerl in Rückstand und wenn das so weitergehe, dann werde das nichts mit der Kreisligameisterschaft und dem Aufstieg in die Bezirksliga.

Kurz überlege ich, was ich hier in der Provinz eigentlich mache, doch nach wenigen Minuten des unbeteiligten Zuhörens muss ich zugeben, dass sich die Gespräche und Diskussionen der Menschen hier kaum von denen der Anhänger meines Clubs in der Allianz Arena unterscheiden. Spielklasse hin oder her: Fußballfans sind überall gleich.

Ein junger Mann Mitte 20 schiebt sich vom Kiosk her kommend der Gruppe entgegen, die neben mir steht. Bemüht, nichts vom kostbaren Nass zu verschütten, konzentriert er sich auf die zwei Weißbiergläser in seinen Händen. Angekommen reicht er eines weiter, was ihm mit einem knappen »Merci« gedankt wird. Der Aufgabe entledigt lässt er den Blick durch die Runde schweifen und prompt erkennt er mich: »Ah, Herr Kommissar. Auch mal am Fußballplatz? Ham S’ derzeit nichts zum Ermitteln?« Jetzt haben mich auch die anderen bemerkt. Einige grüßen durch ein kurzes Nicken, andere adeln mich mit einem wohlwollenden »Servus«.

Schau einer an! Vielleicht hat es sich ja doch gelohnt, sich mal kurz unters Volk zu mischen. Ich will mich ja nicht gerade bei den Einheimischen hier anbiedern, aber als Außenstehender möchte ich in Kirchbach auch nicht leben. Und das kleine Dorf im Regental ist nun mal zurzeit meine Heimat. Der positive Anstoß zu dieser Entscheidung kam natürlich von Claudia, die zwar noch immer des Öfteren auswärts für ihren Arbeitgeber unterwegs ist, es aber dennoch für angemessen hielt, meinen Wohnsitz in ihr Elternhaus zu verlegen.

Ich wäre aber nicht Moritz Buchmann, gäbe es nicht auch einen negativen Grund für meinen Umzug von meinem geliebten München in die ostbayerische Provinz. Und dieser liegt nun fast eineinhalb Jahre zurück und hat mit drei Toten, einigen Verletzten und noch so manch anderem Ungemach droben im Osserwinkel zu tun. Nicht nur meine Vorgesetzten sind der Meinung, der leitende Ermittler Kriminaloberkommissar Moritz Buchmann hätte da so einiges verhindern können. Nicht alles wohlgemerkt, aber doch so einiges. Ich teile ihre Meinung. Nicht uneingeschränkt, aber es gibt da schon so einige kleine Teufel, die in mir nagen.

Auch wenn Claudia und mein neuer Freund Karl versuchen, mir das Gegenteil einzureden. Die Engel lügen. Es sind die Teufel, die die Wahrheit sagen, auch wenn sie sich immer größere Pausen gönnen. Hin und wieder jedoch, in den Nächten, da meine Gedanken alleine sind, höre ich ihre durchdringenden, leisen Stimmen: Du bist schuld! Daran kann auch die Zwangsversetzung weg aus München nichts ändern.

Die Kriminalpolizeistation Deggendorf hat sich für mich inzwischen zu einem akzeptablen Schauplatz meiner Heldentaten entwickelt. Kein LKA mehr, keine Sondereinsätze. Dafür kleinere und größere Verbrechen bis hinein in den Bayerischen Wald. Ohne Sven als Partner und ohne Melanie. Dafür näher bei Claudia, zu der ich kurz nach meinem Dienstantritt in der Donaustadt zog und damit zum Kirchbacher wurde.

Und als solcher interessiere ich mich selbstverständlich für die örtliche Fußballmannschaft! Was ich sofort unter Beweis stelle: »Wie steht’s denn eigentlich?«

»1 : 3«, kommt die Antwort aus mehreren Kehlen. Die Erklärung für diesen aus Kirchbacher Perspektive inakzeptablen Zustand wird gleich mitgeliefert. Der Schiri, natürlich. Und ein gewisser Nadim. Der nicht einmal hier ist. Das verstehe ich nicht, werde aber augenblicklich aufgeklärt.

»Der Nadim. Das ist unser Iraker«, erklärt ein leicht angetrunkener Jugendlicher, den ich schon mal in Feuerwehruniform gesehen habe.

»Quatsch! Ein Syrer«, wird er prompt verbessert. »Spielt seit dieser Saison beim TSV.«

»Genau«, bestätigt wieder ein anderer. »Der Nadim wohnt in Kötzting und arbeitet drüben beim Lazar.«

»Wo?«

»Na, im Gewerbegebiet drüben in Kreuzbach. Bei der GME. Die haben ihn angestellt, weil er ein super Fußballer ist, der Nadim. Wenn der und der Miro spielen, hat kein Gegner in dieser Liga eine Chance.«

Miro? Auch hier folgt die Erklärung ohne weitere Frage.

»Miroslav Dobry. Unser Tscheche. Der arbeitet nicht beim Grigo, sondern für den Fürsten.«

Anscheinend bin ich heute hergekommen, um mir wirres Zeug anzuhören. Doch dann wendet sich das Blatt. Bürgermeister Alois Huber betritt die Szene. Selbstredend, dass er dem Spitzenspiel seines Vereins beiwohnt. Ich habe ihn bisher nicht bemerkt. Er erkennt meine Irritation.

»Grigore Lazar. Eigentümer der GME und Fußballfan. Er hängt eine Menge Geld in die Mannschaft und hat zudem Nadim Hemedi in seiner Firma beschäftigt. Nadim kam letztes Jahr mit dem Flüchtlingsstrom nach Deutschland und im Herbst nach Kirchbach. Miroslav Dobry spielt auch bei uns. Er ist bei der Arber-Bergbahn beschäftigt und die gehört dem Fürstenhaus Hohenzollern. Natürlich wollten ihn auch andere Vereine, besonders der SV St. Ulrich. Ich weiß ja nicht, wie viel ihm die GME bezahlt, aber wenig ist es nicht.«

Profiverhältnisse in der Kreisliga. Diese Entwicklung habe ich anscheinend verpasst.

»Ja, aber es stimmt nicht, dass der Nadim nur bei uns ist, weil er gut Fußball spielt«, meldet sich der Erste wieder zu Wort. Offensichtlich profitiert auch er von der Neuansiedlung der GME in Kirchbach. »Der Nadim ist ein richtig guter Asyli. Der hat echt was auf dem Kasten. Handwerklich, meine ich und auch im Köpfchen. Bei uns kümmert er sich um alles und besonders um unsere Fahrzeuge. Wir haben ja einen ganz ansehnlichen Fuhrpark. Kleinere Sachen macht da alle der Nadim.«

Ein guter Asyli! Soso!

Und dann passiert es. Der TSV, nein, Miro Dobry schießt ein Tor. Der TSV ist wieder im Spiel. Schlagartig schwenkt die Aufmerksamkeit aller von mir zum Fußballgeschehen. Die Stimmung, zwischendurch am Tiefpunkt, nähert sich dem Siedepunkt und kocht dann endgültig über. Vom Anstoß weg gelingt einem mir unbekannten Spieler – aus der eigenen Jugend, wie mir sofort zugerufen wird – das 3 : 3. Und so endet die Partie dann auch.

Dem lang anhaltenden Applaus und kollektiven Aufatmen folgt der Abmarsch der Menge, die mich mit sich reißt und aus der Sportanlage hinaus auf die Straße spült. Claudia folgt wenige Minuten später. Vorbei an der Autoschlange machen wir uns auf den Weg nach Hause.

»Nicht zu glauben, was in so einem kleinen Dorf alles passiert.« Meine Lebensgefährtin fühlt sich verpflichtet, mich an den Dorfneuigkeiten teilhaben zu lassen. Ob ich das überhaupt will, spielt keine Rolle. Mein Schweigen ermuntert sie, weiter zu erzählen. »Die Verena Lazar hat doch tatsächlich einen Geliebten. Sagen die Jasmin und die Kathy jedenfalls.«

Spielen denn heute alle verrückt? Sogar meine Freundin bombardiert mich mit mir unbekannten Namen. Sie sieht mich kurz an, glaubt Interesse zu sehen, wo keines ist, und meint: »Die Verena ist die Schwester von der Barbara, die mit mir zur Schule gegangen ist. Sie hat diesen Geschäftsführer von der Firma da drüben geheiratet.« Ihr Blick geht in Richtung Kreuzbach. »Seither fährt sie ein großes Auto und spielt die feine Dame.«

»Sagen die Jasmin und die Kathy«, deute ich meine Ansicht über diese brandheißen Informationen an.

Claudia lässt sich jedoch nicht beirren. »Genau! Und jetzt hat sie ein Verhältnis mit diesem Fußballer.«

»Dem Nadim?«

»Nadim? Wer ist das denn? Nein, dem gut aussehenden da. Der die Tore vorhin geschossen hat.«

»Ach so. Der Miro! Es war aber nur ein Tor. Das andere hat ein Jugendspieler aus Kirchbach geschossen.«

Ist sie beeindruckt von meinen Kenntnissen der örtlichen Fußballszene? Kein Fünkchen.

»Na, jedenfalls sieht er gut aus.«

Vielleicht wollen ihn deshalb die Jasmin und die Kathy ja auch und tratschen deshalb das angebliche Verhältnis im Dorf herum? Ich behalte diesen Gedanken jedoch verborgen, will ich doch Claudia kein neues Futter geben, dieses überflüssige Gespräch zu vertiefen.

Fünf Minuten gehen wir schweigend nebeneinander her. Stellt sie sich gerade vor, wie dieser Miro jetzt unter der Dusche aussieht? Gut möglich. Aber den hat sich ja die Verena Lazar, geborene Schweiger, schon geangelt. Sagen jedenfalls die Jasmin-und-Kathy-News. So ein Pech aber auch.

Als wir endlich das Haus ihrer Eltern erreichen, überrascht sie mich mit ihrer Frage: »Wer hat eigentlich gewonnen?«

»Keiner! 3 : 3, unentschieden.«

»Ach so.«

Typisch Frau. Keine Ahnung von Fußball.

Silvian

Langsam wich das Dunkel milchigem Grau. Was zum Teufel war passiert? Der Versuch, sich zu erinnern, wurde von einem stechenden Schmerz bestraft. Stöhnend öffnete er die Augen. Das Stechen wanderte in seinen Brustkorb. Irgendetwas da drinnen musste gebrochen oder gerissen sein. Er lag vornüber auf dem Lenkrad, was nur den Schluss zuließ, dass der Wagen an einem steilen Abhang stand. Die Fensterscheibe hing lose im Rahmen und seine Beine fühlten die Kunststoffverkleidung des Kleinlasters.

Den Grund dafür erkannte er im nächsten Augenblick. Unmittelbar vor ihm entriss das Licht des Vollmondes die raue Rinde eines Baumes dem Halbdunkel. Ein Ast ragte neben ihm ins Führerhaus.

Mann, da hatte er aber noch einmal Glück gehabt. Ein paar Zentimeter, und er wäre aufgespießt worden wie ein Brathähnchen überm Grill.

Sein nächster Gedanke verbannte das kurze Glücksgefühl in eine dunkle Kammer. Von wegen Glück! Er saß gehörig in der Tinte. Warum nur musste er auch wieder fahren wie ein Irrer? Hatte ihn nicht Verena tausendmal gebeten, vorsichtiger zu sein?

Vorsichtig! Das Gegenteil von Lebensfreude. Er liebte es nun mal, schnelle Wagen auszufahren. Dabei musste er zugeben, seine Frau hatte recht. Zumindest heute. Mit diesem Wagen, mit dieser Ladung. Doch was blieb ihm übrig? Sicher, sein Onkel sorgte mit dem Job bei der GME dafür, dass es ihm gut ging. Aber er wollte seiner hübschen Frau noch mehr bieten.

Nein, nicht mehr – alles. Er liebte Verena. Es war seine Pflicht als Mann, ihr zu beweisen, dass sie ohne ihn nicht mehr sein konnte. Deshalb war der Tipp eines der tschechischen Mitarbeiter der GME drüben, in Domažlice, gerade zur rechten Zeit gekommen. Der Zuverdienst sollte ihm die Möglichkeit geben, seiner Frau alles zu bieten.

Und es hatte ja auch wunderbar geklappt.

Bis jetzt! Sollte die Polizei den Kleinlaster der Firma gründlich durchsuchen, würde sie den doppelten Boden im Laderaum finden und darin die Ware. Das wäre sein Ende. Grigore würde ihm das nie verzeihen. Nicht nach allem, was bisher passiert war.

Aber warum war er überhaupt in diese missliche Lage geraten?

Er versuchte, die Zeit ein paar Minuten zurückzudrehen. So furchtbar schnell hatte er die Kurve doch gar nicht genommen. Nun gut, langsam schrieb sich anders, aber er hatte nie das Gefühl gehabt, die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Hatte er nicht sogar abgebremst? Und war das Pedal nicht leer durchgegangen?

Der Schmerz in der Brust wurde unerträglich, das Atmen zur Qual. Er stützte die Hände aufs Lenkrad, biss die Zähne zusammen und drückte sich langsam nach hinten. Besser, viel besser, dachte er.

Er versuchte, den Kopf zu bewegen, und da sah er es. Der Schatten eines Menschen stand direkt neben dem Seitenfenster. Unbeweglich und stumm beobachtete er ihn. Wie lange schon?

Hilfe, dachte er. Dann sagte er es: »Hilfe! Helfen Sie mir hier raus!«

Die Gestalt reagierte nicht. Hörte sie ihn nicht? Er holte tief Luft – so tief es seine schmerzende Lunge zuließ – und wiederholte diesmal lauter: »Helfen Sie mir!«

Endlich kam Bewegung in die Gestalt. Ohne einen Laut von sich zu geben, bückte sie sich. Das Gesicht blieb im Schatten der Nacht verborgen. Nur das Weiß der Augen und der Zähne, die ein Lächeln in diesem Gesicht verrieten, blitzte im Mondlicht auf.

Was soll das? Warum hilft mir der Kerl nicht?, dachte er.

Plötzlich war da etwas anderes, Neues. Ein Gluckern, dann ein scharfer, beißender Geruch. Nässe durchdrang seine Hose, dann seine Jacke. Der nächste Gedanke mündete in Panik.

Benzin!

Der Fremde schüttete Benzin in den Wagen! Er ließ das Steuerrad los, wollte den Türgriff packen, diesen Irren da draußen stoppen, doch es ging nicht. Er verstand nicht warum, aber er konnte seine Hände nicht bewegen.

Was? Warum?

Ein letzter Versuch einer rationellen Analyse der Situation. Wer hat denn meine Hände ans Lenkrad gefesselt? Und warum?

Die Frage, bereits auf seinen Lippen, verließ diese nicht mehr. Sie wurde zurückgehalten von der winzigen Flamme des Streichholzes, die draußen aufflammte und für einen Sekundenbruchteil das Gesicht des Fremden der Dunkelheit entriss.

»Du?«

Seine Stimme wurde zum Krächzen. Nein, durchzuckte es ihn. Nein, bitte nicht das! Seine Augen sogen sich an der kleinen Flamme fest, folgten, wie diese näher kam, zur Fackel wuchs und schließlich zur Sonne wurde. Eine Sonne, die auf seinem Schoß landete.

Sekunden später gellten seine Schreie durch den Wald.

1 057,94 ₽
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Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
Объем:
394 стр. 7 иллюстраций
ISBN:
9783839257524
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
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