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Gewerbesteuer

Das Geschäft im ›Thailandeiland‹ lief prächtig. Nuh Poo Tubkim aber hielt sich am liebsten auf der Fraueninsel im Chiemsee auf. Er sah dem Treiben aus der Ferne zu. Er wusste, dass es besser war, ein Geheimnis aus seiner Person zu machen. Nur selten war er selbst Teil des Geschehens. Doch dann wurde ein wahrhaft imposanter Auftritt daraus.

»Da kommt er«, flüsterte der Waldmeier Sepp dem Moser Hansi zu. Sie saßen am Tresen in der Kneipe und beobachten, was draußen geschah. Ein Mercedes 600 Pullmann in metallic Gold fuhr vor und bog auf den Parkplatz hinter dem Haus ein. Der Sepp und der Hansi beobachteten, wie der Mercedes 600 auf einem Platz abgestellt wurde, der für VIPs reserviert war. Der Fahrer stieg aus und öffnete die Tür am Heck des Fahrzeugs. Dann stieg Nuh Poo Tubkim aus, in all seiner Üppigkeit.

In der Bar stoppte die Musik, und der Guru wurde über die Lautsprecheranlage angesagt wie ein Popstar. Die Gäste und Bediensteten begrüßten ihn mit Applaus und bewunderndem Gejohle. Als er den Raum durchschritt, bedachte er jeden einzelnen Gast mit einem Kopfnicken.

»Pass auf«, sagte der Sepp. »Jetzt setzt er sich hin. Lang bleibt er nie.«

Nuh Poo bestieg wie immer, wenn er das Lokal besuchte, ein kleines, aber schmuckvolles Podest am Kopfende des großen Raums, auf dem ein vergoldeter Sessel mit einem Baldachin thronte. Alle Besucher beobachteten gebannt, wie Nuh Poo Tubkim sich auf dem schweren Brokatstoff breitmachte, als ob er Hof halten würde.

»Jo spinnt der? Is des der Bummipoll?«, fragte der Hansi.

»Der Wer?«

»Na der König von Thailand, Bummipoll heißt der doch.«

»Du meinst den B…h…umibol. Vielleicht is des sein warmer Bruder?«, vermutete der Sepp und kicherte sich weg.

Nach einer Stunde Audienz, in der man mit ihm persönlich reden konnte, erhob sich Nuh Poo Tubkim wieder von seinem Sitz und ging winkend und lächelnd mit rollenden Augen zur Tür. Die Leute waren verzückt von ihm.

Das ›Thailandeiland‹ in Tuntenhausen war inzwischen ein Magnet für die gesamte Region. Die Katoeys animierten die Gäste zum Trinken, ließen sich zu Getränken einladen und waren überaus charmant zu ihnen. Der thailändische Koch war eine Sensation. Einige nahmen die Katoeys, die hier kurz Mädchen genannt wurden, mit in ihre Massageabteile im oberen Stock. Manche Besucher blieben über Nacht. Die Zimmer waren fast immer ausgebucht. Alles lief natürlich legal. Nuh Poo berief sich auf die thailändische Massagelizenz, die jeder Katoey hatte. Was danach war, konnte niemand wissen. Das Wort Prostitution war im Umfeld des ›Thailandeiland‹ tabu. Und was die Mädchen an Nuh Poos gemeinnützigen eingetragenen Verein zur Hilfe thailändischer Waisen und sozial Gestrandeter spendeten, das war freiwillig.

Es hatte Proteste gegeben, ein ortsansässiger Verein hatte eine Demonstration organisiert, zu der viele Menschen aus München angereist waren. Mit dabei waren ein paar Nonnen von der Fraueninsel, vornan marschierte Schwester Irmentrud, die lauthals betete und verbittert gegen den Teufel ins Feld zog. Außerdem hatte die Heilsarmee gesungen.

Als Nuh Poo Tubkim Schwester Irmentrud deshalb sprechen wollte und ihr lächelnd gegenübertrat, war sie ihm mit finsterem Blick begegnet, hatte ihn einfach zur Seite gedrängt und war laut betend weitermarschiert, ohne ein Wort zu ihm zu sagen. Nuh Poo hatte das gewundert. In Thailand ging man mit dem Thema toleranter um. Er fragte sich, warum das so war. In der darauffolgenden Nacht hatten ein paar Burschen dann ein paar Fensterscheiben im ›Thailandeiland‹ eingeworfen, wobei auch Wände, Fenster und der Garten beschädigt worden waren.

Für all die folgenden Reparaturen beschäftigte Nuh Poo ortsansässige Handwerker. Nachdem er den Glaser, den Tischler, den Gärtner und den Maurer bezahlt und mit einem üppigen Trinkgeld verabschiedet hatte, brachte ihn das auf eine Idee. Er wies seine Leute an, in Zukunft nicht mehr im Großhandel zu kaufen, sondern Gebäck nur noch beim Bäcker vor Ort und die Getränke über ortsansässige Getränkemärkte zu beziehen. So machte Nuh Poo Tubkim es mit allen möglichen Handwerkern und Händlern. Sie alle waren in Tuntenhausen und Umgebung beheimatet. Dazu schickte er jedes Mal Jeab und Muu vor. Sie sprachen zwar nur sehr wenig Deutsch, aber Charme und Aussehen waren auf ihrer Seite. Alle hielten sie für zwei zwar überdrehte, aber überaus süße Mädchen. Sie bezauberten und entzückten jeden, mit dem sie redeten. Die eigentlichen Geschäftsverhandlungen führte Charlie anschließend.

Schnell hatten die Leute gemerkt, dass ihnen das neue Lokal am Ortsrand Geld einbrachte. Die Feindseligkeiten ebbten ab. Der Bürgermeister hatte seine anfänglich starken Protestnoten schon längst zurückgezogen. Schließlich hatte der Laden die Gewerbesteuer für den Ort erheblich verbessert. Und so war es gekommen, dass das ›Thailandeiland‹ einfach als exotisches Institut gesehen wurde. Nicht aber als Bordell, wie einige übereifrige Einheimische immer noch hinausposaunten.

Ordenspflicht

Als Sentlinger den kleinen Tagungsraum des Gasthofs Grundler betrat, saßen die Honoratioren der Gemeinde bereits an ihren Plätzen, darunter auch zwei Mitglieder des Vorstands des katholischen Herrenordens. Jeder von ihnen hatte einen Krug mit Bier vor sich stehen.

Abgehetzt sagte Sentlinger in die Runde: »Entschuldigt bitte, aber der Verkehr.«

Murrend nahmen die anderen seine Ausrede zur Kenntnis, obwohl jeder wusste, dass an diesem Abend so gut wie nichts los war auf den Straßen der Region.

»Was soll denn heute überhaupt besprochen werden?«, fragte Franz Paltinger, der Bürgermeister. »Wozu hast du uns geladen, Erwin?«

Sentlinger nahm Platz, bestellte ein Mineralwasser und legte seine Tasche ab. »Es ist euch allen zu Ohren gekommen, dass sich hier eine fremdartige Gastronomie breitgemacht hat. Ein thailändisches Restaurant mit angeschlossenem Massageinstitut.«

»Ja warst schon probieren, ob’s denn auch gut is, des Massieren?«, frotzelte der stellvertretende Bürgermeister Viehwalder unter leisem Gelächter der Anwesenden.

»Bitte bleibt sachlich. Ich habe erfahren, dass dieses Etablissement neben zweifellos gutem Essen auch zwielichtige Dienstleistungen anbietet, die dem Ruf von unserem schönen Tuntenhausen trefflichen Schaden zufügen können.«

»Was denn für einen Schaden?«, rief der Gemeindekämmerer.

»Schaden an unserer heiligen Tradition, den Katholizismus zu wahren und zu schützen.«

»Erwin, die Zeiten ändern sich«, sagte der Bürgermeister. »Du weißt selbst, dass der Papst zu Toleranz aufgefordert hat. Andersgläubigen gegenüber.« Er räusperte sich. »Dieses Restaurant schadet unserer Gemeinde nicht, es …«

Er kam nicht zum Ende, denn der Pfarrer mischte sich vehement ein. »Schweigt! Alle! Das alles passiert im Schatten unserer Basilika, einem der heiligsten Orte, die Bayern zu bieten hat. Es kann nicht sein, dass sich dort Schluder, Sünde und Verderben breit machen. Wir müssen etwas tun. Weihmiller, sag was.«

Weihmiller, der Chef des Ordnungsamts, wand sich. »Wir können nichts tun«, kommentierte er. »Der Gewerbeantrag ist vorschriftsmäßig eingereicht, der Besitzer hat einen deutschen Pass, und alles, was dort gemacht wird, ist in bester Ordnung.«

»Trotzdem, es geht nicht, dass sich hier ein Bordell breitmacht«, schimpfte Sentlinger.

»Mit Verlaub, Erwin, aber es ist kein Bordell«, warf Weihmiller ein. »Prostitution ist nicht angemeldet und wird nach unserem Wissen dort auch nicht betrieben.« Er betrachtete Sentlinger herausfordernd.

»Hast einen Test g’macht, Weihmiller? Was ham sie denn dir genau massiert?«, rief Grundler, der Wirt.

»Dass du ned willst, dass jemand besser kocht als du, is ja klar, Grundler«, rief Viehwalder. »Du hast Angst um deine Knödel und dein Sauerkraut.«

»Sünde, Sünde!«, rief der Pfarrer. »Alles Sünde.«

»Nochmal, das ist ein ganz normales Restaurant. Und ein Gesundheitsbetrieb«, erläuterte Weihmiller. »Da ist nichts zu beanstanden.«

»A Puff is des, und nix anderes!«, schnarrte Grundler in derbem Tonfall.

»Und selbst wenn. Ein Bordell lässt sich in Deutschland nicht verhindern«, erläuterte Haarthaler, Schatzmeister des katholischen Herrenordens und Staatssekretär im Finanzministerium. »Unsere Gesetze fördern sowas ja direkt. Selbst wenn es so wäre, wir hätten kaum eine Chance, sowas zu verbieten! Deutschland ist mittlerweile europaweit das Eldorado für Bordellbetreiber.« Er lehnte sich zurück, kreuzte die Arme und starrte sein Bierglas an.

»Abgesehen davon, der Betrieb tut unseren Gemeindefinanzen außerordentlich gut«, warf der Kämmerer ein. »Der Fleischhacker lebt, die Bäckerei lebt, der Blumenhändler, der Gemüsetürke. Selbst der Matterer mit seinem heruntergekommenen Porzellanladen macht wieder Geschäfte. Was wollt ihr eigentlich? Das ist für uns das Beste, was passieren konnte!«

»Wir müssen handeln«, sagte Hartmut Eberling, ehemaliger Landwirtschaftsminister und Vorsitzender des katholischen Herrenordens. »Erwin hat Recht. Selbst schon der Anflug von Ruchlosigkeit schadet uns doch enorm. Ich sehe es als unsere Pflicht, diesen Leuten das Handwerk zu legen.«

»Handwerk is gut«, kicherte Viehwalder.

»Wenn ich bedenke, dass dort Männer in Frauenkleidern anderen Männern zutiefst sündhafte Freude anbieten!«, sagte der Pfarrer geifernd. »Allein der Gedanke, dass sich nacktes Fleisch gleichgeschlechtlicher Geschöpfe einander nähert und Dinge vollbringt, die der Herrgott niemals für gutheißen könnt.« Dabei trug er jedes Wort in gequältem Ton und mit angeekelter Miene vor.

»Geh, jetzt seien S’ doch ned so empfindlich, Herr Pfarrer! Das gibt’s doch jeden Tag in allen Klöstern rund um die Welt bei euch Katholiken«, sagte Peter Rauwald vergnügt, der Vertreter des Wirtschaftsforums, der im Nachbarort eingeheiratet hatte. Jeder wusste, dass er als fränkischer Protestant die katholischen Traditionen der Gegend für verlogen hielt. »Da könnt ihr vielleicht noch einiges lernen«, sagte er belustigt und erntete schadenfrohe Heiterkeit.

»Es hat doch gar keinen Sinn, weiter zu diskutieren«, warf der Bürgermeister mürrisch ein. »Ich lehne das komplett ab. Wir haben keine gesetzliche Grundlage, solange dort nicht nachweislich illegale Prostitution betrieben wird.«

»Meine Herren«, sagte Sentlinger laut, »ich beantrage eine Abstimmung darüber, wie wir weiter vorzugehen gedenken. Die Gemeinde könnte anstreben, dem Betrieb Thailandeinland die Lizenz zu entziehen.«

»Wir könnten ja alle mal hingehen und eine Testreihe machen«, schlug Rauwald amüsiert vor, »ob die da noch was anderes anbieten als nur gesundheitsfördernde Dienstleistungen.«

Der niedergelassene Arzt lachte. »Was der Gesundheit förderlich ist, das ist ja von Fall zu Fall verschieden.«

»Herr Doktor Trieben, was gibt’s denn da zu lachen?«, fragte Hartmut Eberling scharf. »Sie betreuen doch als Hausarzt die Thailänder. Waren da ned zuletzt so ein paar von den Madeln bei Ihnen? Was wollten die denn?«

»Tut mir leid«, sagte Trieben und hob die Hände. »Die ärztliche Schweigepflicht verbietet mir, über meine Patienten zu reden.«

»Erwin, sei mal realistisch«, mahnte Bürgermeister Paltinger. »Das müssten wir sehr gut begründen. Und der Thai hat Müller-Westermann im Boot. Und der kennt die besten Anwälte. Vergiss es! Ich sehe da keine Chance.«

»Der Bürgermeister. So, so«, ätzte Grundler, der Wirt. »Auch schon verführt und dem schnöden Mammon hörig.« Enttäuscht winkte er ab.

Rauwald sah den Wirt an, dann den Pfarrer und schließlich Sentlinger. »Jetzt seid’s doch mal ned so scheinheilig. Wenn die Deutschen es in Thailand treiben wie die Karnickel, das ist euch egal. Aber wehe, wenn es sich im schönen Bayern abspielt, huijuijui! Dann muss der Katholizismus herhalten, um die … ›Eindringlinge‹ wieder aus dem schönen Bayernland zu vertreiben.«

»Wer da eindringt, sind ja wohl die Bayern, nämlich in die Thailänder«, rief Viehwalder dazwischen, suchte die Augenpaare der anderen Anwesenden grinsend ab und sorgte erneut für Gelächter.

»Wir verdienen alle genug an dem Laden«, fuhr Rauwald fort, »lasst sie gewähren. Ich bin überzeugt davon, irgendwann verschwinden die auch wieder. Also, gehen wir zur Abstimmung.«

Sentlinger stellte die Frage. »Also, verehrte Honoratioren der Gemeinde. Wollt ihr Schamlosigkeit und Sünde weiterhin dulden in unserem heiligen Bayern? Wollt ihr für Schimpf und Schande weiterhin den Weg geebnet sehen in unserem Land? Wollt ihr Moral und Sitte den Rücken kehren hier in Tuntenhausen? Dann sagt Ja und stellt euch gegen mich und den katholischen Herrenorden. Wollt ihr aber Anstand und Ehre, Keuschheit und Reinheit bewahren, dann sagt Nein und erhebt eure rechte Hand.«

Außer Sentlinger hoben der Pfarrer, der Vorsitzende und der Schatzmeister des katholischen Herrenordens sowie der Wirt die Hand.

»Grundler, du hast kei Stimmrecht net!«, beschwerte sich Viehwalder. Der Wirt senkte seine Hand und verließ schnaubend den Raum.

Sentlinger beäugte einen nach dem anderen. Doch sie blieben standhaft.

»Erwin, es hat keinen Sinn«, sagte der Bürgermeister. »Ich weiß nicht, was dich in dem Fall antreibt.«

»Wird wohl seine heilige Schwester sein«, spottete Viehwalder. »Sie verlangt wohl von ihm, den Teufel mit unserer Hilfe zu vertreiben.« Gelächter setzte ein.

»Erwin, es bringt nichts«, sagte der Bürgermeister und versuchte zu beschwichtigen. »Sieh es ein. Wir werden nichts tun können, was unserem Gewerberecht wiederspräche.«

Sentlinger ließ die Hand sinken. Er seufzte und warf den anderen enttäuschte Blicke zu. Er fühlte sich und seine Sache verraten. Wortlos stand er auf, nickte und verließ frustriert den Raum.

Liese

Sentlinger stand am Fenster und sah hinaus. Die Niederlage gestern hatte ihn arg gebeutelt. Er hatte sich ausgemalt, in Tuntenhausen eine Front schaffen zu können, so dass Nuh Poo von selbst aufgeben und Deutschland und damit auch die Fraueninsel wieder verlassen würde. Er dachte mit Grauen daran, wie er seiner Schwester beibringen sollte, dass er keine Unterstützung gefunden hatte.

»Irgendwas stimmt doch nicht. Was ist Ihnen denn über die Leber gelaufen?«, fragte Liese, als sie Sentlinger den Morgentee brachte.

Sentlinger sah geknickt zu Boden, die Hände auf dem Rücken verschränkt. »Manchmal muss man Niederlagen einfach hinnehmen. Die Abstimmung von gestern steckt mir immer noch in den Knochen.«

»Worum ging es denn?«, fragte sie, ohne zu neugierig wirken zu wollen.

»Eine üble Sache, da sind ein paar Leute aufgetaucht, die unbayerische Umtriebigkeit zeigen. Wir müssen das verhindern. Ich werde darum kämpfen, auch wenn wir vom Herrenorden mit meinem Antrag unterlegen sind.« Dann sah er wieder zum Fenster hinaus. Liese beobachtete ihn kurz, sah zu Boden und verließ den Raum.

Sentlinger war kein Politiker, der sich gern den Massen hingab. Er arbeitete lieber im Hintergrund. Und sein Ministerpräsident wusste das zu schätzen. Sentlinger ließ niemand gern an sich heran. Es gab nur wenige Ausnahmen: seine Schwester, seine Sekretärin und seine Ärztin. Zu ihnen hatte er ein mehr oder weniger früherotisches Verhältnis. Aber das sollte niemand von ihnen wissen.

Andere Menschen waren und blieben ihm fremd. Vor vielen hatte er sogar Angst. Sexuelle Gefühle versuchte er erst gar nicht zu zeigen, obwohl er sie hatte wie jeder andere Mensch. Aber er empfand sie als peinigend. Der bloße Gedanke an Sex bereitete ihm Unbehagen. Deshalb ging er lieber zu Prostituierten, die konnte er sogleich wieder verlassen, bevor er sie hassen musste. Aber seine Neigungen hatten sich im Laufe seines Lebens gewandelt. Denn in den letzten Jahren hatte sich in ihm zunehmend die Zuneigung zu Männern durchgesetzt, wenn sie wie Frauen aussahen. Das war der Grund, warum er bis heute ledig geblieben war. Er lächelte bei dem Gedanken, wie wunderbar es ihm jeweils ergangen war, wenn er sich in Thailand bei Nuh Poo Tubkim aufgehalten hatte.

Die Minuten des Innehaltens waren vorbei. Der tägliche Kampf konnte beginnen. Er setzte sich an den bulligen Schreibtisch, nahm eine Nagelfeile aus der Jacketttasche und feilte sich die abgekauten Nägel, so gut es ging. Dann rief er: »Liese, was haben wir heute?«

Um seine Stimme souverän zu halten, klang er unfreundlich. »Liese, wo bleibst du denn?«, schimpfte er. Nach dem Streit mit seiner Schwester und seiner Niederlage von gestern Abend spürte er jetzt ein nicht enden wollendes Verlangen. Liese! Ein wonniger Schauer überkam ihn.

Liese betrat erneut sein Büro. »Bin doch schon da«, sagte sie lächelnd. Sentlinger schluckte leise und war aufgewühlt. Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus. Sie war Ende Vierzig und trug mittellanges, fast schwarzes Haar. Ihr Gesicht zeigte die ersten Falten, ihre Haut war fahl. Während der Arbeit war sie ungeschminkt, weil Sentlinger sich vor ein paar Jahren anzüglich dazu geäußert hatte. Ihre blauen Augen versteckte sie hinter einer altmodisch großen Brille. Ihre wohlgeformten Beine waren heute mit einem langen, eng anliegenden Rock bekleidet, der an der Seite geschlitzt war. Bei jedem ihrer Schritte wurde ihre Wade sichtbar, die in einem glänzenden Nylonstrumpf steckte. Sie trug außerdem eine bis zum Hals geschlossene dunkelblaue Bluse. Und gerade das machte Sentlinger fast verrückt.

»Setz dich«, sagte er. Sie ging hinüber zu dem Stuhl vor seinem Schreibtisch. Heute würde er es versuchen. Liese musste doch förmlich überschäumen vor verdrängter Lust. Seine Phantasie geiferte. Dann, wie auf einer milchigen Leinwand, sah er seine Schwester für den Bruchteil einer Sekunde aufblitzten, deren Protest er sogleich mit einem heftigen Zungenschnalzen und einer ungewollten Wischbewegung aus seinem Kopf verscheuchte. Er wandte sein Gesicht ab, doch Liese hatte sein Gedankenruckeln bemerkt.

»Liese, heute hast du etwas Wunderbares angezogen. Deine Schuhe, so schön elegant.« Sein Lächeln war teigig wie Hefe.

»Äh«, sagte Liese verlegen, »die hatte ich ja letzte Woche schon an.« Sie ließ sich seine Anzüglichkeiten gefallen und beobachtete ihn, wie ein Geißlein den bösen Wolf angesehen haben mochte.

»Ehrlich?«, fragte Sentlinger aufgesetzt freundlich. »Ich muss Zwetschgen vor den Augen haben«, sagte er und lachte viel zu laut und so künstlich wie ein Wackelpudding. »Schön, Liese, das passt so … so hübsch zu deinen Beinen.« Gerade wie der Rohrstock seiner Schwester stand er jetzt da und schlug die Hände zusammen wie ein senil gewordener Patriarch.

Liese sah kurz zu Boden und fragte dann: »Was kann ich heute tun, Herr Staatssekretär?« Die Peinlichkeit, die sie empfand, war ihrer Stimme anzumerken.

»Nun mal langsam mit den jungen Pferden ...« Er lächelte sie an, doch seine Freundlichkeit hatte etwas Bedrohliches. »Wir haben ja Zeit.« Mit einem verklärten Gesicht, das ihr beinahe Angst machte, und federndem Gang ging er unbeholfen auf sie zu.

Liese stand auf und wich einen Schritt zurück. Sie stolperte. »Ich muss noch viel erledigen. Ihre Arztrechnungen und die Gastronomieabrechnungen müssen bezahlt werden.« Liese wusste, dass es sich um Rechnungen aus zweifelhaften Begegnungen handelte. Er ließ sich tatsächlich diese Rechnungen zusenden. Kreditkarten konnte er nicht ausstehen. »Und, ein … « Sie hob ihre Brille und sah auf einen Zettel, den sie unter ihrem Block festhielt, »… ein Herr Hausmayr hat angerufen.«

Schlagartig wurde Sentlinger aus seinem Zustand herausgerissen. Er räusperte sich. »Ah, ja? Dann machen Sie mal«, brummte er und schnalzte mit den Lippen.

Liese verließ sein Büro und atmete hörbar auf.

Leidenschaft

Sentlinger betrat das ›Thailandeiland‹ durch den Hintereingang, wo er diskret von Charlie empfangen wurde. Charlie hatte trotz des beträchtlichen Gewichts ein schön geschnittenes, sanftes Gesicht. Heute hatte er sich geschminkt, trug eine weite geblümte Bluse, eine fliederfarbene Hose und feine Wildlederschuhe. Er lächelte, als er Sentlinger sah. »Schön, dich wiederzusehen, mein Meister.« Er verneigte sich vor ihm. »Der Guru ist nur wegen dir heute wieder hergekommen«, sagte Charlie und strahlte ihn an.

Sentlinger durchfuhr ein Schauer. Ihm war die Begegnung mit Charlie unangenehm.

Charlie nutzte den Wirbel um den Guru, der sich gerade mal wieder feiern ließ, um Sentlinger unbemerkt in ein Etablissement im ersten Stock zu führen. Hier wurde er von Jeab und Muu empfangen. Als Sentlinger die beiden sah, verschlug es ihm den Atem. Sie lächelten ihn an und strahlten um die Wette. Wie schön sie waren, dachte er. Ihr Anblick traf ihn bis ins Mark. Beide trugen Frauenkleidung, wie man sie in einem Haus wie diesem erwarten würde. Sie waren dezent geschminkt und bewegten sich so, dass kein Mensch vermuten würde, dass es sich um zwei Männer handelte. Allein das Wissen darum aber machte Sentlinger schier verrückt. Perfekte Ladyboys, dachte er, wunderschön. Sein Gesicht verklärte sich, und in ihm begann die Leidenschaft zu rasen.

Charlie bemerkte seine Verzückung und fragte: »Können wir dir etwas Gutes tun?«

Sentlinger schreckte auf. Diese plötzliche Unterbrechung ließ ihn aus seinen Gedanken fallen. Er stammelte: »Ähh … nein … nichts.« Er schluckte trocken.

»Einen Drink?«, fragte Charlie.

»Ja, das wäre gut. Bring mir ein Bier.«

Schnell gab Charlie den beiden ein Zeichen. Sie lächelten höflich, drehten sich um und verschwanden.

Charlie ging einen Schritt auf ihn zu. »Es freut mich, dir wieder dienen zu können. Wie geht es dir, Meister?«, fragte er mit demütigem Blick.

Sentlinger war sichtlich nervös. »Gut, danke, Charlie. Schön auch, dich zu sehen.« Er drehte sich zum Fenster und fragte: »Seit wann bist du hier?«

Charlie ging einen Schritt zurück und sagte leise: »Seit der Guru angekommen ist. Ich wollte mich schon früher …«

Sentlinger schoss herum. »Wage es nicht, mich hier zu kontaktieren!«, herrschte er ihn an. »Wenn wir was miteinander zu schaffen haben, dann melde ich mich bei dir. Verstanden? Du hältst dich zurück.«

Charlie nickte und sah zu Boden.

»Und jetzt lass mich alleine!«

Charlie nickte erneut, verneigte sich und verließ den Raum. Unmittelbar danach klopfte es an der Tür. Jeab und Muu kamen mit einer Flasche Mineralwasser und einem Bier zurück. Sentlinger spürte, wie sein Kreislauf wieder angeworfen wurde. Er ließ sie die Getränke auf den kleinen Tisch stellen und nahm in einem der Plüschsessel Platz. Als Jeab sich zum Tisch hinabbeugte, streichelte Sentlinger ihm vorsichtig mit der linken Hand über den Oberschenkel. Jeab lächelte. Muu kam hinzu, stellte das Bier ab und streichelte Sentlingers Wange. Sentlinger fuhr auch ihm mit der anderen Hand unter den Rock und erfasste die Vorderseite von Muus Slip. Dort spürte er die Wölbung, die den Unterschied zwischen einer Frau und diesem für ihn wundervollen Geschöpf klarstellte. Sentlinger war derart verzückt von den beiden Katoeys, dass er nicht merkte, dass die Tür aufging und Nuh Poo Tubkim hereinkam.

»Lass dich umarmen, mein lieber Freund«, sagte er überschwänglich und ging auf Sentlinger zu. »Wir haben uns lange nicht gesehen, und ich bin froh, dass wir uns hier treffen können. Wie schön es ist, dich zu sehen.«

Sentlinger fuhr hoch, drängte die beiden Katoeys zur Seite und sortierte sich schnell.

»Ich sehe, meine beiden schönsten Mädchen haben dich bereits herzlich empfangen, so wie es dir, mein alter Freund, gebührt. Und Charlie hast du sicher auch schon begrüßen können.«

Sentlinger stand wie angewurzelt da und stopfte sich das Hemd in die Hose. Nuh Poo kam auf ihn zu und umarmte ihn.

»Wie geht es dir, Erwin?«

»Gut, sehr gut, bei dem Empfang!«, sagte Sentlinger süffisant und betrachtete die beiden Katoeys, die ihn immer noch anlächelten.

»Ja, die beiden sind meine Schätze«, sagte Nuh Poo und verdrehte verzückt die Augen. »Sie sind mir die Liebsten. Magst du sie auch?«

Sentlinger überkam eine Wallung. Wie wunderbar sie waren. Er nickte und schluckte dabei.

Nuh Poo grinste ihm schelmisch zu und hob den Finger. »Du bist kein Kostverächter, oder wie sagt man? Du magst die beiden, oder?«

Sentlinger nickte verhalten. Er nahm sich wieder zusammen. Ein paar Sekunden sagten beide nichts. Nuh Poo spürte, dass eine eigenartige Spannung in der Luft lag. Dann platzte es aus Sentlinger heraus: »Poonish, wie kommst du dazu, einfach hier aufzutauchen? Bist du verrückt geworden? Was treibst du hier?«, fragte er zischend. »Und gerade hier in Tuntenhausen! Das ist der Sitz des katholischen Herrenordens! Und ich bin der Ehrenvorsitzende.«

»Was bedeutet das?«, fragte Nuh Poo lächelnd.

»Das ist ein heiliger Ort. Einer der heiligsten Orte Bayerns. Ihr müsst hier wieder weg.«

Nuh Poo gab den beiden Katoeys ein Zeichen, woraufhin sie sich lächelnd zurückzogen.

»Bitte setzt dich«, sagte der Guru und bot Sentlinger wieder einen Platz an, bevor er sich theatralisch in den anderen Sessel fallen ließ. Dann breitete er die Arme aus. »Ich bringe euch lieben Deutschen meine Mädchen hierher. Ihr braucht nicht mehr zu reisen. Verstehst du, Erwin? Ihr könnt jetzt alles hier bei euch haben.« Er glänzte über das ganze Gesicht und rollte enthusiastisch mit den Augen.

»Aber die Deutschen wollen nach Thailand reisen, wir wollen das hier nicht haben.«

Nuh Poo lächelte sanft. »Aber Erwin, sieh doch, wie sie alle kommen. Das Haus ist voll, meine Mädchen sind gefragt. Als Gesprächspartner und Gesellinnen. Sie sprechen ein bisschen Deutsch, sie sind ausgebildet. Ich habe ihnen alles beigebracht über das Land und seine Männer. Was die Deutschen so mögen.«

»Poonish, hör zu, das ist doch etwas ganz anderes, ob du das in Thailand machst oder hier bei uns! Bitte hör auf damit. Das gibt einen Skandal.«

»Wieso Skandal? Was heißt das? Ich habe Familie hier, und die möchte ich bald kennenlernen. Du wirst mich zu ihnen führen, so wie du es mir versprochen hast, als ich noch ein kleiner Junge war.«

Sentlinger räusperte sich. »Ja, das ist schon lange her. Damals habe ich mich um dich gekümmert, weil dein Vater ein guter Freund von mir war und ich das deiner Mutter versprochen hatte. Aber jetzt?«

Nuh Poo beugte sich vor. »Versprochen? Geschworen hast du es. Beim Tod meines Vaters. Ich will sie alle kennen lernen.«

Sentlinger baute sich vor Nuh Poo auf und musterte ihn von oben bis unten. »So kann ich dich doch nicht vorstellen. Das wollen deine Verwandten doch … gar nicht.«

»Warum weigerst du dich?«, fragte Nuh Poo verärgert.

Sentlinger seufzte. »Sie leben ja alle nicht mehr. Bis auf die Schwester deines Vaters. Aber die will dich nicht sehen«, log er. Sein Gesicht wurde hart. »Sie weiß um deine Leidenschaften, und damit will sie nichts zu tun haben.«

Nuh Poos Ärger verwandelte sich in Traurigkeit.

Sentlinger hob die Schultern und schwieg.

Nuh Poo lehnte sich zurück und senkte den Blick. Er atmete tief durch. »Für die Rubine, die du regelmäßig bei mir abgeholt, dann in deinem Diplomatengepäck mitgenommen und ihnen übergeben hast, dafür war ich ihnen gut genug. Fast jedes zweite Jahr warst du bei mir, seit ich diese Steine habe. Reich müssen sie damit geworden sein. Und jetzt wollen sie mich nicht einmal sehen?« Er lauerte auf Sentlingers Reaktion.

Sentlinger breitete die Arme aus und lächelte gequält. »Sieh mal, Poonish, es ist so. Ich habe die Rubine jedes Mal in ihrem Auftrag verkauft, und das Geld ist mittlerweile ausgegeben. Einfach weg.«

»Soll ich dir das wirklich glauben, Erwin? Ich habe auch immer dafür gesorgt, dass es dir gut ging, wenn du in Bangkok warst, dir immer angenehme Liebschaften besorgt. Du hast auch ein paar Rubine bekommen. Und Charlie, dein Liebling, war er nicht immer gut zu dir?«

»Charlie«, zischelte er. »Lass mich in Ruhe mit Charlie. Er soll mich hier nicht ansprechen. Sorg dafür, dass er sich zurückhält. Wenn mich jemand mit ihm sehen würde …«

»Aha, ist er dir nicht mehr genehm?«, fragte Nuh Poo streng. »Du hast es immer gut gehabt durch ihn, durch mich und durch meine Mutter!«

Sentlinger antwortete jetzt sanfter. »Du darfst das nicht falsch verstehen, Poonish, in Deutschland ist das alles anders. In Thailand ist … das nicht so schlimm, was dich angeht.« Sentlingers Stimme wirkte gehetzt. »Deutschland ist da eher … nicht so tolerant. Eher verstockt, konservativ, sehr verschämt. So etwas hat bei uns keine Tradition! Darum reisen so viele deutsche Männer ja nach Thailand.«

»Und wieso hast du mir das früher nicht erzählt?«, fragte Nuh Poo vorwurfsvoll.

»Weil ich dich schonen wollte. Ich wollte dich nicht verletzten. Ich habe ja nicht ahnen können, dass du tatsächlich mal hierherkommst. Und jetzt auch noch mit einem ganzen Tross von Katoeys.« Er lachte kraftlos. »Ja geht’s denn noch?«

Nuh Poo machte ein beleidigtes, aber stolzes Gesicht. Er stand auf und sagte zu Sentlinger: »Du redest Unsinn. Die Deutschen lieben uns. Ich werde dir zeigen, dass du Unrecht hast. Melde dich, wenn du dich wieder gefangen hast. Du weißt, die Liebe ist das größte Geschenk, das uns mein Vater mitgegeben hat.«

»Hör zu, Poonish, ich bekomme Druck von allen Seiten. Deine Familie will dich nicht sehen. Auf der Insel mögen sie nicht, dass du dort Häuser gekauft hast. Sie wollen euch nicht haben.«

»Viele Menschen dort sind freundlich zu uns. Bis auf diese Nonnen.«

»Ja!«, zischte Sentlinger, »und ganz vornweg meine Schwester.« Das war ihm herausgerutscht. Er räusperte sich.

»Deine Schwester? Wer ist deine Schwester?«, fragte Nuh Poo drängend.

»Na ja, die stellvertretende Chefnonne, Schwester Irmentrud.«

»Dann kann ich doch sicher mit ihr reden«, sagte Nuh Poo.

»Ich denke, das ist keine gute Idee. Sie führt doch die Proteste gegen dich an«, erklärte Sentlinger mit bedauerndem Blick. »Poonish, sei vernünftig. Zieh dich zurück.«

Nuh Poo saß geknickt vor ihm. Und irgendwie tat er Sentlinger leid. Doch jetzt war der rechte Moment, dachte Sentlinger, um das Thema anzuschneiden, weswegen er eigentlich hergekommen war. »Und außerdem machst du Dinge, die du nicht tun solltest. Du verkaufst Mogok-Rubine. Illegal. Richtig?«

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