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Sommerkleidchen

Nuh Poo Tubkim hatte in seiner Heimat eine Lücke geschlossen. Er hatte in Thailand eine Sekte gegründet, deren Jünger ausschließlich Katoeys waren. Und er war ihr Guru. Die Kombination aus seiner persönlichen Neigung, dem Geschäftssinn und seinem Charisma hatten ihn reich gemacht. Die Katoeys, wie man in Thailand Transsexuelle und Transvestiten nannte, lagen ihm zu Füßen. Seit jeher waren die Katoeys in Thailand zwar als dritte Geschlechtsform anerkannt, doch zunehmend waren sie wegen der westlich gesteuerten Sexindustrie in seinem Land in Bedrängnis geraten. Nuh Poo Tubkim aber hatte ihnen das gegeben, was die Weltreligionen ihnen beharrlich verweigerten, nämlich eine spirituelle Heimat.

Seine Sekte hatte Nuh Poo Tubkim aus Werten des Buddhismus einerseits und der Disziplin des Katholizismus andererseits erbaut. Die jeweilige Lehre über die Liebe hatte er zu seinen Gunsten umgedeutet. Das machte ihn so gut wie unangreifbar und äußerst erfolgreich. Jetzt saß Nuh Poo Tubkim in seinem neuen Haus auf der Fraueninsel und hielt Rat mit zehn seiner Katoeys, die um ihn herum auf dem Boden saßen.

»Wir brauchen also einen Ort in unserer Nähe, an dem wir das machen können«, sagte Guru Nuh Poo. »Ich plane eine große Bar mit Musik, schönen Getränken und außergewöhnlichen Speisen. Dort sollen sich alle wie zuhause fühlen. Es soll ein Ort sein, wohin unsere lieben deutschen und österreichischen Männer pilgern sollen. Sie können euch direkt hier in Deutschland verehren und sich von euch verwöhnen lassen. Wir holen noch mehr von uns hierher. Lauter liebe Katoeys.«

Ein Raunen ging durch den Raum, seine Jünger quiekten, freuten sich und klatschten in die Hände.

»Das wird wunderbar«, rief Nuh Poo und nickte begeistert mit dem Kopf. »Die Männer hier sind spendabel, fromm und lieben gern. Sie sind katholisch, so wie mein Vater es war. Und das heißt doch, dass sie das Lieben hier schon sehr früh lernen. Denn sie kommen zahlreich zu uns nach Thailand. Sie werden nun nicht mehr so weit zu reisen brauchen. Sie werden zu uns pilgern und teilhaben an unserem schönen Leben. Und Geld haben sie auch.« Nuh Poo sah jetzt zweien seiner Jünger besonders tief in die Augen. »Nun fehlt uns noch der richtige Ort«, sagte er zu den beiden.

Die zwei verneigten sich verschämt und geehrt zugleich. Alle wussten, dass sie in den Augen ihre Gurus etwas Besonderes waren. Thapakorn Kung und Boonipat Kosiyabong liebten sich ehrlich und innig. Seit sie sich über ihren Guru kennengelernt hatten, waren sie unzertrennlich. Sie stammten beide aus unterschiedlichen Provinzen. Thapakorn kam aus dem Osten an der Grenze zu Laos, Boonipat war im Norden in Lampang aufgewachsen. Als sie ihre Neigung entdeckten, wussten sie noch nichts voneinander. Schließlich kamen sie fast zur selben Zeit im Alter von etwa siebzehn Jahren nach Bangkok.

Sie gerieten schnell in die Prostitution und stürzten ab. Zwei sehr ähnliche Schicksale nahmen unabhängig voneinander ihren Lauf. Für wenig Geld sahen sich beide gezwungen, sich in einem billigen Bordell zahlungskräftigen Touristen hinzugeben. Italiener, Briten und Deutsche waren ihre Freier. Natürlich gab es auch Amerikaner, Franzosen und ein paar Österreicher.

Irgendwann hörten beide mit einem Abstand von einem halben Jahr von Guru Nuh Poo Tubkim, der sich um das Seelenheil der Katoeys kümmere. Sie gingen zu ihm, und Guru Nuh Poo schloss erst Thapakorn und später auch Boonipat in sein Herz.

Guru Nuh Poo hatte sie sogar auf eine Schule geschickt. Für sie war der Guru Retter, Vater und Gott zugleich. Und so ging es allen, die zu seinem engsten Kreis gehörten. Thapakorn war der Jüngste unter ihnen, weshalb er schnell von den anderen Jeab gerufen wurde, das Küken. Und Boonipat, der sich am liebsten frivol komisch ausdrückte und immer ein bisschen anzüglich wirkte, bekam den Rufnamen Muu, was so viel wie Schweinchen hieß.

Jetzt saßen Jeab und Muu mit verschränkten Beinen und in geblümten Sommerkleidchen vor ihrem Guru und hörten aufmerksam zu, was er ihnen zu sagen hatte.

Nuh Poo lächelte in die Runde. Direkt an Jeab und Muu gerichtet, sagte er: »Sucht nach einem richtigen Ort für unser Vorhaben. Es soll zwischen München und unserem Zuhause hier sein. Denn in München wohnen viele Männer, die uns besuchen möchten.« Nuh Poo sagte das sehr bedächtig. »Der Ort soll unserer würdig sein. Ich weiß, es muss diesen heiligen Ort geben. Er wartet auf uns und ist für uns vorbestimmt. Wir müssen ihn nur entdecken!«

Die anderen Katoeys applaudierten, warfen Jeab und Muu überschwängliche Handküsse zu und gratulierten den beiden Auserwählten. Sie umarmten und küssten sie. Jeab Thapakorn Kung und Muu Boonipat Kosiyabong hatten also von ihrem Guru den Auftrag bekommen, das Land zu erkunden und einen würdigen Ort zu finden, an dem der Guru seine Bar und sein heiliges Massageinstitut eröffnen konnte.

Lexikon

Jeab und Muu nahmen eine Kamera, eine Karte und ein Notebook mit. Sie bestiegen das kleine Fährschiff und stellten sich an den Bug, um im Fahrtwind das duftende Maiwetter zu genießen. Der Bootsführer und sein Matrose staunten über die beiden exotischen Mädchen in ihren hübschen Sommerkleidern, ihren dunklen Nylons und den ungewöhnlich großen, hochhackigen Schuhen. Jeab und Muu winkten ihnen freundlich lachend zu.

In Prien gingen sie an Land und bestiegen das Taxi, das Guru Nuh Poo bestellt hatte. Die Taxichauffeurin war eine dickliche ältere Dame, die sie sehr freundlich begrüßte und fragte, wohin denn die Fahrt gehen solle.

Muu bat sie auf Englisch, sie möge ganz einfach über Land Richtung München fahren. Sie würden ihr dann sagen, wenn sie anhalten solle, und Jeab drückte ihr hundert Euro Trinkgeld vorab in die Hand. »It is a tip«, sagte Muu freundlich lächelnd. Die Fahrerin war hocherfreut. »Na dann ...«, antwortete sie und fuhr grinsend los.

Das Taxi fuhr nach Westen. Sie passierten südlich des Simssees das Ortsschild Riedering. Muu hatte das Notebook auf seinen Oberschenkeln und ein Internetlexikon aufgerufen. Deutsch-thailändisch. Nuh Poo hatte ihnen beigebracht, dass deutsche Wörter oft zusammengesetzt waren. Muu gab also das Wort ›Ried‹ ein. Sie konzentrierten sich auf den Bildschirm. Dort wurde das Wort ›Gok‹ ausgegeben, was auch so viel wie Rattan oder Schilf bedeutete. »Gok?«, fragte Jeab überrascht. »Gok!«, antwortete Muu und grinste. Beide nickten und wiederholten »Gok!«, lachten leise und schüttelten den Kopf. Nein, Riedering war nicht der richtige Ort für sie. Die Taxifahrerin drehte sich nur kurz um, lächelte mit und fuhr einfach weiter.

Sie überquerten den Inn. Als sie Rosenheim auf dem Schild sahen, gab Muu ›Rosen‹ ein. Wieder sahen beide gespannt auf den Bildschirm. Ein staunendes Raunen kam von beiden. »Gulaap, ah«, sagte Jeab und zeigte beiläufig auf die Blume seines Kleides. Sie nickten. Dann gab Muu ›heim‹ ein. »Ah, Rosen-heim, Gulaap baan!«, freute sich Jeab. ›Baan‹ stand für ›Haus‹ oder ›Heim‹. Trotz des schönen Namens fuhren sie weiter.

Nach einigen weiteren Versuchen mit den Ortsnamen Kolbermoor, Bad Aibling, Thalacker und Fuchsholz kamen sie schließlich zu einem weiteren Ortsschild. Muu tippte ›Tunten‹ ein. Wie elektrisiert schrie Muu auf, so dass die Taxifahrerin auf die Bremse trat und den Wagen an den Straßenrand fuhr. Das Lexikon hatte ›Tunte‹ gefunden und das thailändische Wort ›Katoeye‹ angezeigt. Jeab riss die Augen auf und saß mit offenem Mund da. Jetzt schrien beide kreischend auf. »Tun-ten-hau-sen, Katoeye baan!«, schrie Jeab laut. »Katoeye baan!«, wiederholte Muu.

Am Ortseingang fuhren sie am Rathaus vorbei. Vor dem Rathaus standen an die dreißig Menschen in bayerischen Trachten.

»A bayerische Hochzeit«, sagte die Taxifahrerin lächelnd, verlangsamte das Tempo und hupte. Muu und Jeab sahen sie fragend an. »Bavarian Wedding«, sagte sie grinsend.

Jeab und Muu gaben ein lautes »Ahh« von sich und winkten und lächelten um die Wette. Sie sahen, wie gerade zwei Männer, die mit breiten ausladenden Hüten und langen braunen Trachtenjacken mit glänzenden Silberknöpfen sowie Lederhosen bekleidet waren, das Rathaus verließen und auf die Menschenmenge zugingen. Der eine hatte sich bei dem größeren eingehängt und hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Sofort brach Jubel aus, und das Brautpaar wurde mit Reis beworfen.

»Jetzt heiraten a schon die Schwulen in Tuntenhausen«, sagte die Taxifahrerin unter Kopfschütteln. »Eingetragene Partnerschaft heißt des jetzt«, sagte sie zu Jeab und Muu und trat aufs Gaspedal.

Muu und Jeab lachten und konnten ihr Glück kaum fassen. Sie waren außer sich vor Freude. Das musste der Ort sein, den der Guru geweissagt hatte. Sie waren felsenfest davon überzeugt, ihren vorbestimmten Ort gefunden zu haben. Der Guru hatte wie immer Recht gehabt. Jeab legte der Taxifahrerin seine Hand auf die Schulter und bat sie, weiterzufahren. Sie wollten sich den Ort ansehen. »Sightseeing … Katoeye baan«, rief Muu laut, fuchtelte mit der Hand und nickte der Fahrerin lächelnd zu. Sie nickte ebenfalls und fuhr langsam durch den Ort. Die beiden hingen mit den Köpfen aus dem Fenster und staunten über die wunderbaren Gebäude, die aufgeräumten Straßen und all diese sauberen Menschen.

Sie diskutierten aufgeregt, was sie gerade alles erlebten. Merkwürdig fanden sie, dass sie gar keine Katoeys entdeckten. Aber wahrscheinlich kleideten sie sich hier anders. Eben mit großen Hüten, langen Jacken und Hosen aus Leder, wie die beiden, die eben geheiratet hatten. Oder vielleicht waren sie alle getarnt, wenn sie ihre Häuser verließen. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie hauptsächlich versteckt hinter den Mauern der Häuser leben würden.

Hinter der Ortschaft fuhren sie an einem großen Gasthof vorbei. ›Zur Schwemme‹ stand in altdeutschen Lettern über der Tür. Darunter ein Schild ›zu verkaufen‹.

»For sale«, übersetzte die Taxifahrerin.

»Ah, for sale«, sagte Muu zu Jeab. Muu tippte ›Schwemme‹ ein. »Djam nuuan maak«, las Muu vor.

Jeab staunte. Das Wort stand auch für Unbegrenztheit und Unendlichkeit. Das musste es sein. Sie hatten ihren heiligen Platz in einem heiligen Ort gefunden.

Sie stiegen aus, liefen um das Objekt herum, machten durch die Fenster unzählige Fotos von den Räumen und allen Schildern, auch vom Ortsschild. Dann ließen sie sich nach Prien zurückbringen, gaben der Taxifahrerin noch einmal reichlich Trinkgeld und bestiegen die Fähre. Sie umarmten sich und wussten, dass sie alles richtig gemacht hatten.

Loyalität

Nachdem Adnan Curri erneut aus seinem Dorf geflohen war, tauchte er wieder in Tirana unter. Seine Mutter hatte er nie wiedergesehen. Das Gefühl der Ungerechtigkeit und der Hass gegenüber der heimatlichen Tradition in den ›Verwunschenen Bergen‹ Albaniens brannten sich mit jedem Tag tiefer in seine Seele.

In Tirana überließ er sich vollkommen seinen Herren. Sie unterrichteten ihn darin, wie man Menschen unterdrückt, erpresst und mit Messern tötet. Sie brachten ihm Techniken bei, wie man seine Zweifel und Skrupel durch meditative Übungen überwinden kann, wie man jedes Mitgefühl ausmerzt. Sie zeigten ihm, wie man Menschen zum Reden bringt. Nach einem weiteren Jahr in Tirana war er ein entwurzelter und anderer Mensch. Sie hatten ihm dabei geholfen, seine Gewissensbisse zu verbannen, die er nach Qamils Tod mit sich herumgetragen hatte.

Einer seiner Kameraden aus Tirana hatte es nach Wien geschafft. Petrit schickte ihm irgendwann Geld und genaue Informationen, wie auch er es nach Österreich schaffen könnte. Adnan hatte über die letzten beiden Jahre Deutsch gelernt und zögerte keinen Augenblick. Er floh aus Tirana über die Berge in den Kosovo und begab sich nach Priština, wo er Anfang Mai 2014 einen Schlepperbus bestieg. Er gab sich als Kosovo-Albaner und somit als Flüchtling aus, der keine Papiere besaß.

Der Bus brachte ihn nach Serbien. Östlich von Subotica in der nördlichen Provinz Vojvodina, kurz vor der ungarischen Grenze, überließen die Schlepper die Leute aus dem Bus sich selbst. Adnan tat das einzig Richtige, er setzte sich von der Gruppe der anderen Flüchtlinge ab.

In der Abenddämmerung schlug er sich nach Osten durch, wie es ihm sein Freund Petrit detailliert aufgeschrieben hatte. Bei der ersten Gelegenheit hielt er auf einer einsamen Straße einen Radfahrer an, der ihm entgegenkam. Er fragte ihn nach dem Weg. Der Mann begann freundlich, ihm die Strecke zu erläutern. Doch dann wurde er skeptisch und fragte, was er an der Grenze zu Ungarn wolle. Ohne zu zögern, schlug Adnan Curri den Mann mit einem Hieb vom Rad. Er ließ ihn bewusstlos am Straßenrand liegen, hob das Rad auf und setzte seinen Weg mit dem Fahrrad fort.

Bald kam er ans Ufer der Theiß, die er noch in Serbien bei Novi Kneževac über die einzige Brücke überquerte. Er folgte dem Lauf des Flusses nach Norden, wo er ihr eiskaltes Wasser schließlich durchschwamm, um unbemerkt auf die ungarische Seite zu wechseln.

Nach langem Fußmarsch kam er durchfroren und entkräftet ins ungarische Szeged. Am nächsten Morgen bestieg er einen Zug, der ihn nach zweimaligem Umsteigen nach Sopron brachte. Von dort aus passierte er schließlich die offene Grenze ins Burgenland. Endlich, er war in Österreich. Aus Klingenbach, dem ersten österreichischen Ort, rief er Petrit an, der ihn eineinhalb Stunden später mit einem Mercedes abholte und ihn herzlich begrüßte.

Mit Petrits Hilfe konnte er in Wien schnell Fuß fassen. Petrit besorgte ihm immer wieder Jobs, die mit Einbruch und Diebstahl zu tun hatten. Petrit riet ihm, den Menschen gegenüber härter und kompromissloser aufzutreten. »Wenn du keine Härte zeigst, verlierst du alles. Man muss die Härte in deinen Augen sehen.« Adnan begriff, was Petrit meinte, und lernte schnell, dass die Menschen ihn umso mehr fürchteten, je gnadenloser er sie ansah und je weniger er mit ihnen sprach.

Dann hatte Petrit ihn an Heimo Cerny vermittelt. Cerny, der Juwelenhändler, mochte Adnan vom ersten Augenblick an. Er schätzte seine klugen Augen und seine schnelle Auffassungsgabe. Für Cerny war er wie ein ungeschliffener Edelstein, den es zu bearbeiten galt. Nach einem halben Jahr besorgte er ihm österreichische Papiere. Cerny wusste, dass er sich damit Adnan Curris immerwährende Loyalität gesichert hatte.

Cerny nannte Adnan nur bei seinem Nachnamen. »Curri, das klingt so wunderbar nach indischem Essen«, hatte Cerny lustvoll gesagt und sich die Hände gerieben. Gleich hatte er hinterhergeschoben, dass er, wenn er Curri sehe, sofort Appetit auf Chicken Vindaloo bekäme.

Schnell hatte Curri das Geschäftsmodell seines neuen Chefs kennengelernt. Ohne Cerny konnte man im deutschsprachigen Raum kaum Rubine verkaufen. Der Mann galt als Rubinexperte und verfügte am Markt über eine unbezahlbare Glaubwürdigkeit.

Curri hatte schnell festgestellt, dass Heimo Cerny kein sehr mutiger Mann war. Ja, arrogant war er, überheblich, geschäftstüchtig. Aber eben nicht sehr mutig. Curri erledigte jetzt für Cerny unangenehme Botendienste und andere Wege. Curri war fortan Cernys Mann für die groben Dinge. Im Herbst 2014 wurde Adnan Curri unwiderruflich Österreicher. Und ab diesem Zeitpunkt war er Cernys zuverlässigste Hand.

Thailandeiland

Als Jeab und Muu auf die Fraueninsel zurückgekehrt waren, zeigten sie vor, was sie gefunden hatten. Sie erzählten von Tuntenhausen, von der Hochzeit, von den netten Menschen dort und von der Schwemme. Sie zeigten Bilder und malten alles mit farbigen Worten und Formulierungen aus.

Der Guru lächelte. Die Blicke von Jeab und Muu hafteten an ihm. Als der Meister sie in den Arm nahm und sie herzte wie seine Kinder, lachten sie erleichtert. »Sei es so«, sagte er. Die anderen Katoeys konnten es kaum erwarten, ihre Begeisterung mit den beiden zu teilen, und gratulierten überschwänglich.

Nuh Poo wurde sofort aktiv. Er telefonierte mit Müller-Westermann und gab ihm den Auftrag, sich mit ihm vor Ort zu treffen und das Gebäude zu besichtigen.

Eine Woche später, nach kurzen Besprechungen und einer Verhandlung mit dem Eigentümer, wurde der Kaufvertrag für die ›Schwemme‹ unterschrieben. Nuh Poo plante, die ›Schwemme‹ in Tuntenhausen sobald wie möglich wiederzueröffnen. Müller-Westermanns Innenarchitekt arbeitete Tag und Nacht. Alle Handwerker wurden vor Ort gebucht. Ihre Bezahlung war fürstlich, so dass sie auch gerne Sonderschichten einlegten. Nur mit dem Namen des Lokals war Nuh Poo nicht zufrieden. Aber es würde sich schon etwas ergeben, dachte er.

Einen Tag später erschien ein Polizist auf der Fraueninsel. Polizeihauptmeister Rödiger von der Wasserschutzpolizei verließ sein Boot und ging geradewegs auf das Haus von Nuh Poo Tubkim zu. Er klingelte und wartete. Der Leibwächter machte ihm die Tür auf.

»Ich möchte den Hausherrn sprechen«, sagte er.

Als er vor Nuh Poo stand, reichte er ihm die Hand und erklärte, dass er einen Antrittsbesuch mache, damit man sich kenne. Er habe ja schon viel von ihm gehört, dem Herrn Hausmayr, aber es wäre doch schön, wenn man sich auch mal gesehen hätte. Nuh Poo erwiderte freundlich lächelnd, dass ihn das sehr freue.

»Sagen S’ mal, wie viele von euch gibt’s denn da schon?«, fragte Rödiger.

Nuh Poo ließ den Polizisten nicht aus den Augen. »Was meinen Sie? Wie viele was?«, fragte er und lächelte erneut.

Polizeihauptmeister Rödiger räusperte sich. »Na, von den Madlbuben. Also, das erzählt man sich ja. Wie viel habt ihr da jetzt schon auf der Insel?«

»Das wechselt. Zehn Freundinnen wohnen eigentlich immer hier bei mir. Aber wir bekommen viel Besuch.« Er drehte sich um und fragte den Leibwächter: »Charlie, wie viele Besucherinnen haben wir gerade hier?«

Charlie trat einen Schritt nach vorn. »Heute werden es elf.«

»Immer wieder Gäste aus Thailand«, sagte Nuh Poo zu Rödiger. »Die reisen aber bald wieder ab. Warum fragen Sie?«

»Ka Wunder ned«, sagte er versonnen und sah auf seinen kleinen Notizblock, den er mehr aus Verlegenheit aus der Hosentasche gekramt hatte.

»Wunder, welches Wunder?«, fragte Nuh Poo neugierig.

»Na, dass die Leut’ hier am Chiemsee die Fraueninsel jetzt schon Thailandeiland nennen …«

Nuh Poos Blick erhellte sich. »Das ist es!«, rief er voller Freude und sah zu Charlie hinüber. Er war aufgesprungen. »Ja, das ist es! Wir haben einen Namen«, jubelte er und sah seine Katoeys der Reihe nach an. Sie applaudierten ihm. Charlie lächelte und sah zu Boden.

»Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist …«, sagte Rödiger verwirrt, hob seine Hand zum Gruß an die Stirn, grinste schief und verließ sie wieder.

Nuh Poo und Charlie beobachteten durch ein Fenster, wie Rödiger auf dem Weg in Richtung Landesteg ging. »Ein guter Mann, dieser Polizist«, sagte Nuh Poo. »Ihm ist der richtige Name zu unserem schönen Haus eingefallen. Er soll für zwei Monate eine Freikarte bekommen.«

Nuh Poo nahm sich drei Tage Zeit, um mit seinen deutschen Beratern die Werbestrategie für die Neueröffnung in Tuntenhausen abzustimmen. Charlie begleitete ihn auf Schritt und Tritt. Schließlich inserierten sie in allen Zeitungen, Käseblättchen und im Internet, kurz bevor eröffnet wurde:

Thailandeiland

Restaurant und Bar

Traditionelle Thai-Massage

Wir bedienen sieben Chakras

Im weiteren Text stand zu lesen: »Bei uns massieren nur thailändische Schönheiten mit Stiel.« Der Schreibfehler war die Idee von Müller-Westermann gewesen.

Nuh Poo hatte außerdem eine Fahne entworfen, die über dem Haus wehen sollte. Er erinnerte sich versonnen an seine Kindertage, als er ein Antiquariat in Bangkok entdeckt hatte, das auf alte Bücher über Europa spezialisiert war. Ihn hatten nur die Bücher über Deutschland interessiert. Oft hatte er in diesen Büchern geschmökert, den alten Kaiser gesehen, die stolzen Bärte und Pickelhauben bewundert. Immer wieder hatte er sich als Kaiser von Deutschland verkleidet und war durch das Bordell seiner Mutter stolziert. Er liebte dieses Bild, das er vom längst untergegangenen Deutschland hatte. Und er erinnerte sich daran, dass die Nationalfarben von Deutschland schwarz, weiß und rot gewesen waren. Das aber war ihm zu streng. Daher entschloss er sich, diese Farben zu modifizieren, sie sollten irgendwie pastelliger wirken. Ihm fiel das berühmte deutsche Speiseeis ein, das seine Mutter ihm zum ersten Mal mitgebracht hatte, als er sechs Jahre alt war. Es war eine deutsche Spezialität, die zur glorreichen deutschen Kaiserzeit erfunden und dem berühmten Fürsten Pückler gewidmet war. Die Flagge, die künftig über dem stolzen ›Thailandeiland‹ gehisst werden würde, sollte in diesen Farben wehen. Die riesige Trikolore in den Farben Schoko, Vanille und Erdbeere wurde am Eröffnungstag von Charlie hoch oben auf dem Dach gehisst und wehte seitdem würdevoll und weithin sichtbar an ihrem hohen Fahnenmast.

Das ›Thailandeiland‹ war von Beginn an ein Erfolg. Allabendlich strömten Transvestiten, Schwule, Lesben sowie Liebhaber und Liebhaberinnen von Transvestiten, Schwulen und Lesben aus ganz Bayern und Österreich hierher. Der Parkplatz hinter dem Haus war abgeschirmt. Die Bar und das Restaurant waren nur durch den Hofeingang zu betreten. Für die Einheimischen hatte Nuh Poo auf den Rat von Müller-Westermann vorn eine ganz normale Kneipe errichten lassen, an deren Theke sich vor allem die Landjugend die Biergläser in die Hand gaben. Die Fenster zur Straße hin waren abgedunkelt, ein breites Sichtfenster aber gestattete einen offen Blick in Bar und Restaurant.

399
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9783969690000
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