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4.2.3 Der Einfluss von Sprachniveau, recency of use und weiteren Faktoren

Neben den eben diskutierten Aspekten der genetischen Verwandtschaft und der (Psycho-)Typologie hat die Transferforschung zahlreiche weitere Einflussfaktoren eruiert. So gibt es beispielsweise Untersuchungen, die sich mit dem Einfluss des zielsprachlichen Sprachniveaus beschäftigt haben. Mehrere Autoren nehmen diesbezüglich an, dass es vor allem in den Anfangsstadien des Zweit-/Drittspracherwerbs vermehrt zu Transferphänomenen kommt, da das Bedürfnis, Wissenslücken in der Zielsprache zu füllen, größer ist als bei fortgeschrittenem Sprachniveau (vgl. De Angelis 2007: 33; Williams/Hammarberg 1998: 323–324). Bezüglich des L3-Erwerbs spielt auch das Sprachniveau in der L2 eine wichtige Rolle. Bisher gibt es allerdings nur wenige experimentelle Studien, die diese unabhängige Variable systematisch untersucht haben (vgl. De Angelis 2007: 34). Eine der wenigen Ausnahmen stellt die Studie von Tremblay (2006) dar, in welcher sie den Einfluss des Sprachniveaus in der L2 Französisch auf die Sprachproduktion in der L3 Deutsch untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass der Einfluss der L2 mit steigendem L2-Niveau zunimmt. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit weiteren empirischen Untersuchungen (vgl. z. B. Aribas/Cele 2019) und theoretischen Annahmen mehrerer Autoren, die wie Tremblay davon ausgehen, dass ein hohes Sprachniveau in der L2 vermehrt zu Transferphänomenen in der L3 führt (vgl. Hammarberg 2001: 23; Jarvis/Pavlenko 2010: 201; Sanz et al. 2015: 247). Müller-Lancé (2006b: 461) geht sogar so weit, zu sagen,

daß die individuelle Kompetenz in einer Transfersprache viel wichtiger für deren Nutzung ist als ihre Ähnlichkeit zur Zielsprache. Nicht die ähnlichste, sondern die bestbeherrschte Fremdsprache wird also überwiegend für interlinguale Strategien genutzt.

Auch Ringbom (2001: 59) misst dem Sprachniveau in der L2 vor allem im Bereich der Grammatik eine große Bedeutung zu. Ein solches führt – so der Autor – vermehrt zu Transfer und ist für prozeduralen Transfer gewissermaßen Voraussetzung. Ringbom und Jarvis (2009: 111) nehmen sogar an, dass nur jene grammatikalischen Strukturen, die gut internalisiert oder vollständig automatisiert in der Lernersprache der L2 vorliegen, in die L3 transferiert werden können.

Ein weiterer Faktor, der einen wesentlichen Einfluss auf Transfer haben kann, ist die sogenannte recency of use. Dieser englischsprachige Ausdruck bezieht sich auf die letztmalige Verwendung und den damit einhergehenden Aktivierungsgrad einer Sprache. Laut Hammarberg (2001: 23) hat eine Sprache, die erst kürzlich verwendet wurde, eine hohe recency und wird somit auch leichter als Transferbasis aktiviert. Diesbezüglich zeigen die Ergebnisse einer Studie von Dewaele (1998), dass Lernende unterschiedlicher Sprachenfolgen auf verschiedene Transferbasen für die Produktion morpho-phonologisch adaptierter Lexeme zurückgreifen. Er interpretiert diese Gruppenunterschiede im Einklang mit den Annahmen Hammarbergs dahingehend, dass jene Sprache als Transferbasis herangezogen wird, die den höchsten Aktivierungsgrad aufweist (vgl. Dewaele 1998: 488).

Neben dem Sprachniveau und der recency of use spielt auch die Formalität des Kontextes eine wesentliche Rolle. Diesbezüglich widmet sich Dewaele (2001) der Frage, ob der Wechsel zwischen einer formellen und einer informellen Situation (mündliche Prüfung vs. angenehme Atmosphäre) einen Einfluss auf Transfer hat. Seine Ergebnisse demonstrieren, dass die Teilnehmer in der informellen Situation dem multilingualen Ende des Kontinuums der Sprachmodi (language mode hypothesis; vgl. Grosjean 1992) näher sind und sich dementsprechend eine höhere Anzahl an code-switching-Phänomenen findet als in der formellen Situation (vgl. Dewaele 2001: 79). Transfer scheint also in formellen Situationen seltener stattzufinden als in informellen.

Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass die Art des Spracherwerbs (d. h. gesteuert vs. natürlich) einen Einfluss auf Transfer haben kann (vgl. Hammarberg 2009: 18). Jarvis und Pavlenko (2010: 206) nehmen beispielsweise an, dass Transfer eher in ungesteuerten Kontexten stattfindet,

because classroom learners experience and use the target language in a setting that increases their awareness of the differences between their native and target languages, and encourages them to adhere to the norms of the latter.

Diese Annahme steht im Einklang mit Ergebnissen einer Studie von Eibensteiner und Koch (2018). Sie untersuchen die mündliche Sprachproduktion von polyglotten Sprachlernexperten im Vergleich zu schulischen L3-Lernern des Spanischen. Ihre Ergebnisse zeigen, dass lediglich die polyglotten Probanden das perfecto compuesto in Kontexten verwenden, in denen das perfecto simple verwendet werden sollte. Diese Übergeneralisierung findet sich bei den schulischen Fremdsprachenlernenden nicht. Die Autoren führen dies unter anderem darauf zurück, dass im schulischen Kontext der Fokus vermehrt auf der sprachlichen Korrektheit liegt. Die polyglotten Sprecher hingegen haben eine primär kommunikative Orientierung, was die grammatikalische Korrektheit eher zweitrangig macht (vgl. Eibensteiner/Koch 2018: 39).

Dieses Unterkapitel hat eine überblicksartige Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstands im Hinblick auf verschiedene Einflussfaktoren gegeben. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es noch zahlreiche andere Einflussfaktoren gibt. Dazu zählen unter anderem die Dauer von Auslandsaufenthalten (vgl. De Angelis 2007: 37–38), die Frequenz einer sprachlichen Konstruktion (vgl. Jarvis/Pavlenko 2010: 183–184) oder Unterschiede in der Sprachverwendung (z. B. mündlicher vs. schriftlicher Sprachgebrauch; vgl. Hammarberg 2009: 18). Auf diese und weitere Faktoren wird nicht näher eingegangen, da sie für die vorliegende Arbeit nicht von großer Relevanz sind. Der viel untersuchte L2-Status, der davon ausgeht, dass im L3-Erwerb vor allem das L2-System transferiert wird, wird in Kapitel 4.3.2 behandelt. Nachdem sich die zweite Phase der Transferforschung mit der Identifizierung der eben beschriebenen Einflussfaktoren beschäftigt hat, versucht die dritte Phase, Transfer zu modellieren und empirisch zu überprüfen (vgl. Jarvis/Pavlenko 2010: 4–8). Die Forschung in dieser Phase ist stark empirisch orientiert und hat zu unterschiedlichen Transfermodellen geführt, die im nächsten Kapitel dargestellt werden.

4.3 Transfermodelle

Nachdem im letzten Kapitel unterschiedliche Einflussfaktoren herausgearbeitet wurden, wird nun auf Modelle eingegangen, die Transfer mehr oder weniger intensiv in ihre Überlegungen integrieren. Es wird versucht, eine Kategorisierung vorzunehmen, deren Grundidee auf der Einteilung von Jarvis (2016: 29) beruht. Im Wesentlichen können vier theoretische Frameworks unterschieden werden:

1 HOLISTISCHE MEHRSPRACHIGKEITSMODELLE versuchen primär, individuelle Mehrsprachigkeit bzw. den multilingualen Spracherwerb zu modellieren. Damit geht einher, dass sie sich nicht ausschließlich für Transfer interessieren, dieser aber eine prominente Rolle einnimmt. Multilingualer Spracherwerb wird als komplexer und dynamischer Prozess verstanden, der zu einer mehrsprachigen Kompetenz führt, welche multi- von monolingualen Lernenden unterscheidet. Zu dieser Kategorie zählen das multicompetence-Framework von Cook (1992), aber auch das Mehrsprachenverarbeitungsmodell (vgl. z. B. Meißner 2004) sowie das Dynamic Model of Multilingualism von Herdina und Jessner (2002).

2 L2-STATUS-FAKTOR-MODELLE interessieren sich vor allem für die Frage, ob im L3-Erwerb primär die L2 oder die L1 als Transferbasis herangezogen wird. Basierend auf psycho- und/oder neurolinguistischen Erkenntnissen (z. B. den Argumenten der deklarativ-prozeduralen Modelle von Ullman 2001 und Paradis 2009) argumentieren sie, dass beim Erwerb einer Drittsprache primär das L2-System transferiert wird.

3 GENERATIVISTISCHE MODELLE gehen von der Existenz einer Universalgrammatik aus und verorten sich im weitesten Sinne in der Full Transfer Full Access Hypothesis (vgl. Schwartz/Sprouse 1996). Zu ihnen zählen gängige L3-Modelle, wie das Typological Primacy Model (vgl. Rothman 2010a) oder das Cumulative Enhancement Model (vgl. Flynn et al. 2004), die weit über das generativistische Framework hinaus rezipiert werden.

4 MODELLE DES KONZEPTUELLEN TRANSFERS sind im Bereich der kognitiven Linguistik angesiedelt und interessieren sich hauptsächlich für den Transfer von mentalen Konzepten. Sie gehen im Wesentlichen auf das sprachliche Relativitätsprinzip zurück (vgl. Whorf 2012). Zu ihnen zählen beispielsweise das thinking-for-speaking-Framework (vgl. Slobin 1991) oder die Conceptual Transfer Hypothesis (vgl. Jarvis 2011).

Einige Modelle befinden sich an der Schnittstelle zwischen verschiedenen Frameworks und sind daher nur schwer zuzuordnen. Die nachfolgenden Betrachtungen sollen eher einen allgemeinen Überblick verschaffen, als eine vollständige Beschreibung und Kategorisierung liefern. Des Weiteren wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es werden nicht alle in der Literatur vorhandenen Modelle diskutiert. Beispielsweise wird auf bekannte Sprachproduktionsmodelle (vgl. u. a. De Bot 2012, 2015) oder Modelle, welche eher soziolinguistisch ausgerichtet sind (vgl. Aronin/Ó Laoire 2004), nicht weiter eingegangen.

4.3.1 Holistische Mehrsprachigkeitsmodelle
4.3.1.1 Das Dynamic Model of Multilingualism

Das psycholinguistische Dynamic Model of Multilingualism (DMM) versucht, die Komplexität der individuellen Mehrsprachigkeit zu modellieren (vgl. Herdina/Jessner 2002). Multilingualer Spracherwerb wird als ein hochkomplexer, dynamischer und adaptiver Prozess angesehen, der von ständigen Veränderungen und einem nicht linearen Wachstum geprägt ist (vgl. Jessner 2006, 2008a: 272–277, 2008b: 25–26, 2014: 178–180; Jessner et al. 2016b: 159–161). Die Aneignung mehrerer Sprachen hängt von psychologischen und sozialen Faktoren ab, wobei den wahrgenommenen Kommunikationsbedürfnissen (en. perceived communication needs) eine besondere Rolle zukommt. Sie werden sogar als „driving force“ (Jessner 2008a: 273) des Spracherwerbs und der Sprachverwendung angesehen.

Das DMM geht von der Entwicklung individueller Sprachsysteme aus, die gemeinsam ein holistisches psycholinguistisches System bilden. Der weitere Verlauf sowie die Stabilität der einzelnen interdependenten Sprachsysteme hängen von der Zeit und der Energie des Sprechers ab, die entsprechende(n) Sprache(n) weiterhin zu verwenden. Darüber hinaus spielen Faktoren wie die wahrgenommenen Kommunikationsbedürfnisse, die Anzahl der im System vorhandenen Sprachen, das Alter zu Beginn der Sprachaneignung, das Sprachniveau und die Zeitspanne, über welche das System stabil gehalten werden muss, eine wesentliche Rolle. Wird nicht genug Zeit und Energie investiert, kommt es zu Spracherosion oder sogar zum Sprachverlust:

[T]he learner will gradually lose access to knowledge if not enough time and energy is spent on refreshing the knowledge of an L2 or L3 so that positive growth can counteract the negative growth that eventually results in language attrition or gradual language loss (Jessner 2008a: 274).

Der holistische Ansatz ist notwendig, um den dynamischen Interaktionen zwischen den einzelnen Sprachsystemen gerecht zu werden bzw. um den multilingualen Spracherwerb als komplexes System an sich zu verstehen. Obwohl sich das DMM in der dynamischen Systemtheorie, der Chaos- und der Komplexitätstheorie verortet (vgl. z. B. Larsen-Freeman 1997), gibt es gewisse Parallelen zu Cooks (1992) Idee der multicompetence. Auch er will das bi-/multilinguale System in seiner Gesamtheit begreifen und sieht eine mehrsprachige Person nicht als die Summe mehrerer monolingualer, sondern als Besitzer eines eigenständigen holistischen Systems. Dieses besteht aus zwei oder mehreren Subsystemen und entwickelt dadurch Fähigkeiten, die es sowohl qualitativ als auch quantitativ vom monolingualen System unterscheiden. Jessner (2008a: 275; Hervorhebung durch den Verfasser) definiert diese mehrsprachige Kompetenz, die sowohl im DMM als auch in Cooks Framework eine wesentliche Rolle einnimmt,

as the dynamic interaction among the various psycholinguistic systems […] in which the individual languages […] are embedded, crosslinguistic interaction, and what is called the M(ultilingualism) factor. The latter refers to all the effects in multilingual systems that distinguish a multilingual from a monolingual system.

Alle Aspekte, die ein multilinguales von einem monolingualen System unterscheiden, sind Bestandteil dieses ‚M(ultilingualismus)-Faktors‘. Neben einer dynamischen Interaktion der psycholinguistischen Systeme und der crosslinguistic interaction, zu der Jessner (2006: 34) Transferphänomene im weitesten Sinne zählt (d. h. inklusive code-switching-Phänomenen und Entlehnungen), nimmt der M-Faktor eine zentrale Rolle in der Definition der mehrsprachigen Kompetenz ein. Neben beispielsweise metakognitiven Lernstrategien ist sein vermutlich wichtigster Bestandteil das metasprachliche Bewusstsein (vergleichbar mit der understanding-Komponente in Schmidts noticing-Hypothese; siehe Kapitel 3.1), das Jessner (2014: 175) sogar als den „key factor of multilingual learning“ bezeichnet (vgl. auch Cenoz 2013: 75–76).

Aufgrund des hohen Stellenwertes des metasprachlichen Bewusstseins im DMM wird kurz auf die in der vorliegenden Arbeit verwendete Definition eingegangen. Falk, Lindqvist und Bardel (2015: 229) unterscheiden zwischen metasprachlichem Wissen und metasprachlichem Bewusstsein. Ersteres definieren sie als „the conscious knowledge about the linguistic rules of a particular language“. Es handelt es sich somit um explizites Wissen, das auf sprachliche Aspekte beschränkt ist. Metasprachliches Bewusstsein hingegen ist die Fähigkeit des Lerners über sprachliche Phänomene zu reflektieren und diese im Vergleich mit anderen Sprachen zu bearbeiten. Laut Jessner (2006: 59) wirkt sich das metasprachliche Bewusstsein beispielsweise positiv auf die Entwicklung eines multilingualen Monitors aus, welcher die Kontrolle über die sprachlichen Äußerungen übernimmt. Des Weiteren ist er für die Kontrolle bzw. die Aktivierung und Separation der verschiedenen Sprachsysteme verantwortlich, beispielsweise indem er negative Transferphänomene identifiziert und eliminiert. Je mehr Sprachen im System vorhanden sind und je besser das metasprachliche Bewusstsein ausgeprägt ist, desto besser agiert der multilinguale Monitor.

Bi- und multilinguale Personen haben aufgrund des stärker ausgeprägten metasprachlichen Bewusstseins außerdem ein höheres Bewusstsein in Bezug auf Formen, Bedeutungen und Regeln einer Sprache. Darüber hinaus beziehen sie Informationen unterschiedlicher Sprachen mit ein und verwenden diese zur Hypothesenbildung in der Zielsprache (vgl. De Angelis 2007: 122). Vertreter des DMM gehen deshalb davon aus, dass sich alle eben genannten Faktoren positiv auf den Lernprozess einer neuen Sprache auswirken (vgl. Jessner 2008a: 275).

Das Dynamic Model of Multilingualism hat eine stark psycholinguistische Orientierung. Das Mehrsprachenverarbeitungsmodell (vgl. Meißner 2004), das im nächsten Kapitel behandelt wird, geht ebenfalls davon aus, dass sich eine mehrsprachige Kompetenz positiv auf den Erwerb weiterer Sprachen auswirkt. Es nimmt eine primär didaktische Perspektive ein und befasst sich mit der Frage, wie die mentalen Dispositionen einer multilingualen Person für das institutionelle Lernen und Lehren weiterer Sprachen zielführend eingesetzt werden können.

4.3.1.2 Das Mehrsprachenverarbeitungsmodell und weitere Ansätze der deutschsprachigen Romanistik

Das Mehrsprachenverarbeitungsmodell (auch Gießener Interkomprehensionsmodell; vgl. Meißner 2004) verortet sich im Kontext der Mehrsprachigkeits- und Interkomprehensionsdidaktik der deutschsprachigen romanistischen Forschung (vgl. Bär 2009; Fäcke/Meißner 2019; Klein/Stegmann 1999; Meißner/Reinfried 1998; Meißner 2008; Reimann 2016; Reinfried 1998). Diese didaktische Schule baut „auf einem kognitivistisch-konstruktiven Lernbegriff [auf], in dessen Fokus die Inferenz steht“ (Méron-Minuth 2018: 53; vgl. auch Meißner/Reinfried 1998: 15–18; Vetter 2008: 104). Inferenz wird dabei unter anderem als die Fähigkeit des Lerners aufgefasst, sein vorhandenes sprachliches Vorwissen für den Transfer in eine neue Sprache zu nutzen (vgl. Méron-Minuth 2018: 53–54). Wie im Dynamic Model of Multilingualism wird also angenommen, dass Sprachen nicht getrennt, sondern miteinander vernetzt abgespeichert werden (vgl. Bär 2011: 137–138; Müller-Lancé/Riehl 2002; Müller-Lancé 2013: 17–24, 2017: 57–69). Diese Annahme wird sowohl von psycho- als auch von neurolinguistischen Studien empirisch untermauert. Aus einer psycholinguistischen Perspektive führt Cook (1992: 566–571) an, dass die L1 wie auch die L2 auf einem gemeinsamen, übergeordneten mentalen Lexikon beruhen. Laut Cook sind auch code-switching-Phänomene ein Indiz dafür, dass Sprachen nicht getrennt voneinander gespeichert werden. Aus neurolinguistischer Sicht nimmt beispielsweise die subset-Hypothese an (vgl. Paradis 1985: 23–24), dass die einzelnen Sprachen Teil eines übergeordneten Sprachsystems sind, dass aber jede Sprache ein eigenes Subsystem bildet, das getrennt aktiviert oder inhibiert werden kann (vgl. auch Green 1998). Auch neuere neurolinguistische Studien zeigen, dass sich für die L2 und die L3 neuronale Aktivierungen in ähnlichen Hirnarealen finden (vgl. Van den Noort et al. 2014: 195).

Die Mehrsprachigkeitsdidaktik baut auf diesen Erkenntnissen auf und plädiert aus einer fremdsprachendidaktischen Perspektive für eine Nutzung des gesamten sprachlichen Repertoires der Lernenden. Im Mehrsprachenverarbeitungsmodell wird der Lernprozess wie folgt beschrieben: Beim Kontakt mit einer neuen Sprache wird nach einer kurzen Phase des ersten Eindrucks der Dekodierungs- und Spracherwerbsapparat aktiviert und der Lernende beginnt, das neue Sprachsystem nach Transferbasen abzusuchen (vgl. Meißner 1998: 46–50). Dabei dekodiert er „nicht nur bedeutungshaltiges lexikalisches Material, sondern [erkennt] auch weitere Regularitäten“ und erstellt eine sogenannte Spontangrammatik:

[Diese] spiegelt Identifikations- und interlinguale Korrespondenzmuster, die ein Individuum als Sprachhypothesen zwischen ihm aus unterschiedlichen Sprachen bekannten Schemen und einer neuen lingualen oder semantischen bzw. thematischen kognitiven Entität generiert (Meißner 2004: 43).

Demnach nimmt der Lernende sprachstrukturelle Ähnlichkeiten wahr und stellt darauf aufbauend Hypothesen über die Funktion der Zielsprache auf, die er im Anschluss mithilfe des Inputs langsam überprüfen und in seine Lernersprache integrieren bzw. im Mehrsprachenspeicher im Langzeitgedächtnis abspeichern kann. Dieser Mehrsprachenspeicher beinhaltet nicht nur Sprachdaten, sondern auch Lernerfahrungen und einen didaktischen Monitor. Dieser agiert primär bewusst und kann durch kognitives Lernen und das Prinzip der Bewusstmachung (vgl. Bär 2009: 33–36) trainiert werden und so zu einem schnelleren Spracherwerb führen.

Transfer nimmt im Verständnis dieser Ansätze eine wesentliche Rolle im multilingualen Spracherwerb ein. Die Nutzung aller dem Lernenden zur Verfügung stehenden sprachlichen Ressourcen soll zum Aufbau einer mehrsprachigen Kompetenz und zu einem schnelleren Erwerb weiterer Sprachen führen. Es werden üblicherweise unterschiedliche Transfermerkmale unterschieden (vgl. Bär 2009: 46–47):

1 Typ: Identifikations- und Produktionstransfer

2 Richtung: pro- und retroaktiver sowie onomasiologischer und semasiologischer Transfer

3 Reichweite: intra- und interlingualer Transfer

4 Kategorien: Form-, Inhalts- und Funktionstransfer sowie pragmatischer und didaktischer Transfer

Bezüglich der Wahl der Transferbasis greifen Lernende primär auf eine nahverwandte, mental hinreichend verfügbare Sprache zurück. Reinfried (1998: 33) behauptet sogar, dass es beispielsweise

[f]ür einen deutschen Muttersprachler, der zuerst die französische Sprache und anschließend die spanische oder italienische Sprache erlernt, […] nur wenige markierte grammatische Bereiche [gibt], die wegen ihrer Formen- oder Funktionsvielfalt schwierig sind.

Wenn L3-Lernende des Spanischen über ein ausreichend hohes Sprachniveau und einen hinreichenden Aktivierungsgrad im Französischen verfügen, sollten sie in den meisten Grammatikbereichen von dieser nahverwandten L2 profitieren können. Dieser Rückgriff auf entsprechende Transferbasen ist ein natürlicher Lernprozess, der durch eine entsprechende mehrsprachigkeitsdidaktische Herangehensweise gefördert werden kann (vgl. z. B. Strathmann 2010).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl das Dynamic Model of Multilingualism als auch das Mehrsprachenverarbeitungsmodell Transfer als Teilkomponente eines größeren Ganzen sehen. Bei den im nächsten Unterkapitel behandelten Modellen hingegen handelt es sich um Transfermodelle im engeren Sinn. Sie basieren auf der Annahme, dass Transfer im L3-Erwerb primär aus der Zweit- und nicht aus der Erstsprache stammt.

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