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Читать книгу: «Aus dem Leben listiger Großmütter», страница 3

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5.

Lisbeth erwachte früher, als gewohnt. Im Bad war es ziemlich kühl. Sie bemerkte gleich, dass der Heizkörper keine Wärme abstrahlte und dachte mit Schrecken, dass es momentan kaum möglich wäre, einen Monteur kommen zu lassen. Was konnte sie tun? Vielleicht erst einmal der Kellerassel etwas Licht spendieren, d.h., die Sicherung wieder einschalten. Darauf war dreierlei zu hören: Gestöhne und Gejaule aus dem Gefängnis, ein beruhigendes Bullern des anspringenden Brenners und kurz danach die Klospülung. Letzteres war besonders beruhigend, denn wenn sich der Gefangene entschlossen hätte, im Keller eine Sauerei zu veranstalten, hätte er selbst zwar am meisten darunter zu leiden gehabt, aber die Wärterin des Gefängnisses wäre auch ziemlich ratlos gewesen. So konnte sie in Ruhe frühstücken und dabei einige Brote für den Gast vorbereiten. Auch Kaffee kochte sie für zwei, dachte überhaupt an alles und begab sich mit einem gut aber einfach gefüllten Korb in den Keller, wo sie mit freundlicher Singstimme

„Früh-stück“ rief, etwa in den Tönen f-c.

Zu ihrem Missfallen hockte ihr Gast, nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet, auf der unbezogenen Schaumstoffmatratze. Immerhin, er rappelte sich hoch und griff nach dem Pappbecher, den Lisbeth mit Hilfe einer länglichen Schachtel durch das Fensterchen geschoben hatte. Nein, Milch und Zucker wollte er nicht. Er nahm auch die Brote, machte eine etwas angewiderte Visage und fragte schließlich: „Gibt es denn hier keine Wurst?“ „Nächstes Mal, vielleicht“, sagte Lisbeth, „dann weiß ich ja für die Zukunft Bescheid. Und bitte, beziehen sie doch die Matratze, das habe ich Ihnen gestern schon gesagt, und ziehen sie nachts den Schlafanzug an. Übrigens, eine frische Zahnbürste und Zahnpasta finden Sie im Spiegelschrank.“

Sie ließ ihn für eine halbe Stunde allein. Als sie wieder zum Gefängnis ging, erinnerte sie sich an ihre Söhne, die sich ja das Bad teilten, also hintereinander benutzten, und der jeweils Zweite sagte dann, jedenfalls manchmal, das was sie jetzt kühn zitierte: „Hier stinkt es ja, wie im Affenpuff “, worauf der Gefangene sie halb verwundert und halb erschrocken ansah. „Ja, glotzen Sie nicht so! Unter dem Lichtschalter ist ein Drehknopf. Da können sie den Ventilator doller stellen. Und sie sollten und dürfen auch duschen. Frische Handtücher finden sie in der Truhe, aber das wissen sie ja schon. Es tut mir wirklich leid, dass ich ihnen keine 30000 Euro überlassen konnte.“ Nach dieser Einlassung stieg Lisbeth wieder nach oben, beschwingt, so wie sie sich als kleines Mädchen gefühlt hatte, nachdem sie zum ersten Mal vom Dreimeterbrett gesprungen war.

Als sie nach einer Weile wieder an der Kellertreppe lauschte, hörte sie tatsächlich Duschgeräusche und kurz danach den Ventilator auf voller Pulle, wie sich die Jungs auszudrücken pflegten.

Beim nächsten Besuch am Gefängnis steckte in dem dunkle Arbeitsanzug gar nicht mehr der stramme Pseudopolizist vom vorigen Tag sondern mehr ein vom Leben gezeichneter Jüngling, traurig auf der Truhe sitzend. Seine Haare waren nach der Dusche pechschwarz.

Lisbeth hatte das Gefühl, dass sie ihn irgendwo schon einmal gesehen hätte.

„Haben sie wenigstens eine Kippe?“ fragte er.

„Eine was?“

„Eine Kippe, Mann, eine Lusche, eine Zi-ga-rette!“

„In diesem Haus wird eigentlich nicht geraucht, da ist zwar noch eine Pfeife von meinem Mann aber kein Tabak.“

„Ich dachte, in diesem Haus wird nicht geraucht.“

„Schon, aber nur auf der Terrasse. Da können sie nicht hin, vielleicht später als Freigänger.“

„Ihre blöden Witze kotzen mich an!“

„Na, na, na, gerade wollte ich sie dafür loben, dass sie die Matratze bezogen und sogar geduscht haben.“

„Wo ist überhaupt ihr Mann?“

„Gestorben vor sieben Jahren.“

„Tut mir leid. Wie ich sie kennengelernt habe, ist er wohl hier in ihrem Privatknast verendet.“

Das verschlug Lisbeth doch etwas die Sprache, aber zugleich versuchte sie, sich in die Situation ihres unfreiwilligen Gastes zu versetzen: Was hatte sich in seinem krausen Gehirn aufgestaut? Eine Welt voll Gier, Betrug und Rache. Es war doch nur eine ganz kleine Prise Rache und ein wenig Sühne, was sie ihm zumuten wollte. Das musste sie mit ihm besprechen. Derweil hörte sie wieder:

„Wat is denn nu mit ner Kippe?“

„Ich denke darüber nach.“

Bei ihrem nächsten Besuch am Gefängnis sagte Lisbeth: „So, Herr Fack, oder wie sie auch immer heißen, wir müssen mal über ihre Zukunft nachdenken: Wie ich sehe, haben sie sich nicht für einen Hungerstreik entschieden. Das ist vernünftig, denn bei mir werden sie ganz ordentlich versorgt. Die Würde des Menschen muss gewahrt bleiben, oder wie sehen sie das?“

„Leck mich!“

„Das werde ich nicht tun. Nehmen wir mal an, sie machen einen Hungerstreik und verrecken hier. Vielleicht gelingt es mir, sie nach oben zu schleifen. Sie wären dann ja etwas leichter. Dann würde ich sie im Garten vergraben. Später, wenn ich selbst gestorben bin, und ein neuer Besitzer des Hauses im Garten wühlt, findet er eine Leiche, aber man weiß nicht, von wem, denn sie werden ja nicht vermisst.“

„Ich habe schon mal gesagt, dass mich ihre Witze ankotzen!“

„Ich weiß, ich weiß, deswegen ziehen wir einen Hungerstreik gar nicht in Erwägung. Zweite Möglichkeit: Ich rufe jetzt die Polizei. Das Dumme ist, dass Sie sich da irgendwie rausreden, und ich stehe am Ende schlechter da, als sie.“

„Das sag ich ja. Deswegen lassen sie mich einfach raus.“

„Dritte Möglichkeit: Ich rufe bei der Zeitung an, ein Reporter kommt, ich zeige ihm das Gefängnis - Sie hocken noch immer da drin- und erzähle die ganze Geschichte von Anfang an. Der Reporter hat eine Story, und danach geht es richtig los. Riesen Balkenüberschrift auf der Titelseite der Bildzeitung: Rentnerin sperrt Enkeltrick- Betrüger ein. Dazu tolle Bilder, hier durch dieses Fensterchen fotografiert, und Sie sitzen auf der Truhe. Ja, das machen wir.“

„Das machen wir bitte nicht!“

„Ihr Gesicht ist natürlich unkenntlich gemacht. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat. Ich hoffe, auch sie wissen das zu schätzen.“

„Recht und Gerechtigkeit ist zweierlei.“

„O, wo haben sie denn das aufgeschnappt? Aber lassen sie mich weiter spinnen: Ich bin der Star in der einen oder anderen Talkshow. Der Moderator beugt sich Viertelkreis-artig zu mir rüber: Erzählen Sie doch unseren Gästen, wie Sie auf Schauspielmodus umgeschaltet und die kühne Idee mit dem Kellergefängnis realisiert haben, und darauf sage ich schnippisch: Ich bin kein Smartphone, das auf einen oder den anderen Modus umschaltbar ist.“

„Das ist wohl ihr höchstes Glück: Sich auf meine Kosten lustig zu machen.“

„Sie haben Recht, das ist eigentlich nicht meine Art. Andererseits, nehmen wir einmal an, der Coup mit den 30000 Euro wäre Ihnen geglückt. Dann hätten Sie sich lustig gemacht, zusammen mit Ihrer Komplizin. 1000 Euro hätten Sie schon am selben Abend verjubelt, doch jetzt steckt Ihre Komplizin schon mit einem anderen Ganoven unter einer Decke, und das meine ich wörtlich.“

„Fuck!“

„Ja, Herr Fack. Ich bringe Ihnen noch die Zeitung, und dann muss ich für eine Weile weg, allerlei Besorgungen machen, alles Ihretwegen.“

6.

Für ihren Einkauf wählte sie eine Tasche mit Rädern, auch Kartoffelbagger genannt. So ein Gerät hatte ihr irgendein wohlmeinender Mensch geschenkt, aber sie fand es keineswegs schick und benutzte es sehr selten. Doch heute war ihre Einkaufsliste sehr umfangreich. Als sie gerade aufbrechen wollte, klingelte es. Sie schlich ins Wohnzimmer und schob die Gardine ein winziges Stück zurück: Uschi. Das hatte sie sich schon gedacht. Sie durfte nicht hereinkommen, und das gemeinsame Cappuccino- Trinken musste heute auch ausfallen. Stattdessen schob sie ihren Kartoffelbagger zur Terrassentür hinaus durch den Garten zu einer Pforte, die sie auf- und zu schließen musste, dann durch einen schmalen Weg zu einem privaten Parkplatz und von da durch ein Tor zur Straße. Ihr wurde bewusst, dass sie sich nicht mehr so ängstlich und zögerlich bewegte, wie kurz zuvor, als sie das vermeintliche Geld abholte. Ich schreite, dachte sie, so wie sich alle fortbewegen bei Theodor Fontane. Auf dem Gehsteig kam ihr ein Mann mittleren Alters entgegen, die Ellenbogen, gewinkelt, bildeten links und rechts vom Bauch ein Dreieck. Lisbeth ging stur geradeaus, war sie doch Herrin über einen Gefangenen, und sah im Vorbeigehen das überraschte Gesicht des Kerls, der seine Dreiecke notgedrungen einklappte.

Zuerst steuerte sie einen Second-Hand-Shop an, wo sie drei T-Shirts, ein Sweatshirt und eine Trainingshose erstand, Unterhosen und Socken fand sie nicht dort, aber in einer Grabbelkiste in einem Kaufhaus. Dazu kamen Plastikbestecke, längliche Pappteller, Pappbecher und eine einfache Uhr. Dann ging es in den gewohnten Supermarkt, ihr Einkauf hatte aber eher ungewohnte Komponenten: Bier aus Dosen, kleine Sprudelflaschen aus Plastik, Fertigpommes, Pizzas und Ketchup (große Flasche) und Wurst. An der Kasse mussten noch Zigaretten beordert werden, und das machte sie etwas zögerlich: „Lass mal ne Ladung Kippen rüberwachsen“, klänge wohl cool, aber das würde man ihr nicht abnehmen. Man kannte sie ja, wenn auch nur flüchtig. „Legen sie bitte noch zwei Schachteln Zigaretten dazu“, sagte sie, „aber ich weiß nicht, welche meine Handwerker bevorzugen.“ Sie kaufte dann noch je eine Schachtel Marlboro und Lucky Strike, weil die gern genommen würden. Na dann.

Für den Heimweg wählte Lisbeth dieselbe Route durch den Hintereingang; wuchtete dabei mühsam den Kartoffelbagger über die ein- oder andere Stufe.

Mit den neu erstandenen Klamotten stieg sie sogleich zu ihrem Gast, der leichtbekleidet und faul auf der Matratze lag.

„Könnten Sie mal ihren Hintern erheben und ihre Wäsche entgegennehmen ? Ein bisschen Sport könnte Ihnen auch nicht schaden: Liegestütze, Kniebeugen und so. Das macht einen schöneren Rücken, als so ein Arschgeweih.“

„Selber Hängearsch!“

„Zugegeben, mein Hintern ist nicht mehr das, was er mal war, aber meine Beine sehen immer noch sehr gut aus; na ja, jedenfalls, wenn ich Stützstrümpfe anhabe.“

Damit ließ sie ihren Gast allein. Wie sehr sie es auch genoss, ein wenig ordinär zu sein, musste sie sich doch ermahnen, gelegentlich wieder runterzukommen, wie man jetzt zu sagen pflegt, aber eigentlich war es umgekehrt: Sie sollte wieder raufkommen in ihre tägliche Welt, die gepflegt war, beinahe wie der Vorgarten der Nachbarn linkerhand. „Egal jetzt“, dachte sie, „bald ist Mittag, und da ist noch ein bisschen zu tun.“

Um viertel nach eins brachte sie ihrem Gast eine Ladung Pommes mit Bratwurst, Senf und sehr viel Ketchup, worauf der mit einer gewissen Zufriedenheit reagierte. Darauf schob sie auch noch eine Dose Bier hinterher. 20 Minuten später brachte Lisbeth Kaffee und eine Zigarette, aber mit letzterer war es nicht so einfach: Sie mochte ihm keine Streichhölzer anvertrauen. Schon beim Öffnen der Packung stellte sie sich etwas unbeholfen an, worauf sie ein verächtliches „Mann, Mann, Mann“ zu hören kriegte, und nachdem sie endlich einen Stängel rausgefummelt hatte, rauchte sie den an, hüstelte bedenklich, und schob ihn auf einer Schachtel durch das Fensterchen. Hinterher kam noch ein Blechdöschen mit Deckel als Aschbecher.

„Haben sie nie geraucht?“ fragte er.

„Nur einmal eine Tüte, aber das ist lange her.“

„Cool! Aber sagen sie, wenn sie schon Staatsanwalt, Richter und Gefängniswärter in eins sind: Wie viele Jahre haben sie mir denn zugedacht?“

„Ihnen geht es hier doch gut, oder nicht?“

„Ich möchte meinen Anwalt sprechen.“

„Geht in Ordnung. Reichen sie mir bitte ihren Müll, und Schmutzwäsche schmeißen sie einfach raus.“

„Noch einmal: Wie lange?“

„Haben sie schon einmal vom Stockholm Syndrom gehört? Nein? Dann erzähle ich ihnen das mal: In einer Bank in Stockholm hatte eine Gruppe von Räubern vier Geiseln genommen. Die waren total in deren Gewalt und bangten um ihr Leben. Trotzdem entwickelte sich zwischen den Räubern und den Geiseln ein merkwürdiges Vertrauensverhältnis, beinahe eine Zuneigung, die noch bestehen blieb, als die Räuber schon überwältigt und die Geiseln befreit waren. Das ist lange her, so um 1973.“

Damit entfernte sich Lisbeth. Sie hatte dasselbe gegessen wie ihr Gast, der Einfachheit halber, aber nicht mit übertriebenem Appetit. Da aus dem Keller keine verdächtigen Geräusche kamen, gönnte sie sich ein Mittagsschläfchen.

Als sie sich wieder aufgerappelt hatte, lauschte sie noch einmal an der Kellertreppe. Offenbar hatte ihr Gast das Klappen der Tür bemerkt, denn er rief: „Noch ne Kippe, bitte!“ „Heute Abend“, rief sie zurück, „wir müssen uns das langsam abgewöhnen.“

Sie beschloss, bei Uschi Tee zu trinken. Mittwoch, ein günstiger Tag, Oskar wäre bei seiner Gesellschaft für Heimatkunde und Frühgeschichte. Ihr Thema war ein anderes: Bücher, Neuerscheinungen, Bestseller, Buchpreisträger und Short Lists.

Es machte Spaß, sich auszutauschen: schon gelesen, noch nicht gelesen, vielleicht zu empfehlen, Daumen nach oben, Daumen nach unten. Hatte eine von beiden ein nicht zu empfehlendes Buch gelesen, hatte sie die Aufgabe, der Freundin den Schmöker in Kürze ironisch zusammenzufassen. Da war Oskar nicht zu brauchen: Wie sollte er denn die neusten Erkenntnisse über die Schlacht im Teutoburger Wald in wenigen Sätzen darstellen, dazu noch ironisch?

Uschi meinte, dass in den meisten Neuerscheinungen alles zu flach gehalten würde: Zu viel alltägliche Befindlichkeit, Resignation, aber keine großen Gefühle, Aufstiege, Abstürze und alles das, ohne kitschig zu sein. So etwas möchte sie mal wieder lesen.

Auf dem Heimweg dachte Lisbeth daran, dass ihr Gefangener keinerlei Unterhaltung genoss. Einen Fernseher konnte sie ihm nicht zukommen lassen. Ein Radio, das durch die kleine Öffnung passt, müsste sie noch besorgen. Indessen brachte sie die Unterhaltung mit Uschi auf das Nächstliegende: Lesen, der Typ kann doch lesen, hoffentlich, und sie hatte auch schon eine Idee, was: Ein Roman, dick genug und so, wie Uschi es mag. Sie hatte ihn doppelt, einmal als gebundenes Exemplar im Bücherschrank und einmal in Form von zwei Bänden im Paperback Format, ziemlich zerlesen auf mehreren Urlauben. Auf den zerknitterten Deckeln konnte man gerade noch eine sehr schöne Frau neben einer Dampflok erkennen. Den ersten Band von denen reichte sie ihrem Gast durch das Fensterchen:

„ Hier haben Sie was zu lesen. Wenn Sie das durchhaben, kommt noch ein zweiter Band.“

Allein, er nahm das Buch nicht entgegen, sondern ließ es einfach auf den Boden plumpsen. Sie sagte: „Einen Fernseher kann ich hier leider nicht installieren. Ich kann Ihnen höchstens ein winziges Radio besorgen, das hier durch passt. Das würde schrecklich krächzen, ein Schreblomat, wie mein Sohn solche Dinger nannte. Also nee, lesen ist da schon besser, und Sie tun was für ihre Bildung, versuchen Sie es.“ „Ich brauche kein Radio, sagte er, wenn ich Musik haben will, spiele ich Trompete.“ Darauf holte er einen Kamm aus dem Spiegelschrank, blies darauf, und das klang erstaunlich echt.

Als sie später das Abendbrot brachte, lauter Schnitten mit Wurst und noch ein Bier, saß er tatsächlich lesend auf der Truhe. „Hören sie mal“, sagte er, während er seine Brotzeit entgegennahm, „was soll das heißen: Alle glücklichen Familien gleichen einander; jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Weise unglücklich. Das ist doch genau umgekehrt: Alle unglücklichen Familien gleichen einander. Mutter sitzt an der Kasse im Supermarkt oder geht putzen. Es reicht vorn und hinten nicht. Die Geschwister jammern rum und der Alte? Wenn man Glück hat, hat der sich dünne gemacht, wenn man Pech hat, sitzt er den ganzen Tag vor der Glotze, raucht, säuft und verteilt täglich Prügel für alle.“

„Und die glücklichen?“ fragte Lisbeth.

„Die haben genug zum Leben und mögen sich gegenseitig, oder sie haben sehr viel Knete, dann ist das Übrige egal. Jedenfalls, ganz unterschiedlich.“

„Das ist ja das Gute beim Lesen. Man kann sich zu allem seine eigenen Gedanken machen. Aber ob das Übrige wirklich egal ist, erfahren die Leser, wenn sie weiter lesen.“

Nach dieser Rede entfernte sich Lisbeth, kam aber bald darauf wieder, um Müll einzusammeln und eine Zigarette warm zu machen, auf die Dauer gäbe es aber nur eine pro Tag und später gar keine mehr.

Dann wünschte sie eine gute Nacht und viel Vergnügen bei der Lektüre, sie kam aber noch einmal zurück und brachte ihrem Gast eine Mundharmonika: „Hier, die gehört meinem Sohn, der hat sich nie richtig mit ihr angefreundet, vielleicht haben Sie Spaß damit.“ Der Gefangene nahm sie entgegen, spielte eine Reihe von schrillen Tönen, blies sie dabei von allen Seiten durch und bewegte die Mechanik. Dann sagte er: „Kein Spitzeninstrument, aber besser als nichts.“

7.

Naturgemäß wachte der Gefangene – er hieß übrigens Mario, aber das verriet er nicht- sehr früh auf. Trotz des leise surrenden Ventilators war die Luft im Kellergefängnis nicht die frischeste, und der Mangel an Tageslicht machte ihm zu schaffen. Er hatte alle möglichen Pläne erwogen, um sich aus seiner misslichen Lage zu befreien, aber alle würden so enden, dass er entweder von der Polizei abgeholt würde, oder dass die Alte zu Schaden käme, und er selbst in diesem verdammten Verlies verhungern müsste. Da war es schon besser, geduldig auszuharren und auf die Gnade der Verrückten zu hoffen. Manchmal ertappte er sich sogar dabei, dass er Verständnis für seine Wächterin aufbrachte, oder noch peinlicher, dass er ihrem aufmunternden Morgengruß und dem Geruch von frischem Kaffee entgegenfieberte. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit gab es einen Menschen, der sich um ihn kümmerte, für Verpflegung und frische Wäsche sorgte, und alles das ohne übertriebene Strenge, ohne Geschimpfe, ohne Ermahnungen und ohne irgendetwas aufzurechnen. Und dabei gab es doch so einiges in seinem Leben, was bestimmt nicht den Beifall der Alten finden würde.

Lisbeth erwachte etwas später. Ihr fremder Gast hatte nun schon die dritte Nacht in seinem Gefängnis zugebracht, hoffentlich unbeschadet und sicher verwahrt. Als sie in den unteren Flur kam hörte sie ihn schon spielen. Sie öffnete leise die Tür zur Kellertreppe und lauschte, verwundert über den Reiz der wehmütigen Melodien, die er der Mundharmonika entlocken konnte. Sie frühstückte gemütlich, wenn auch nicht ganz so entspannt wie früher, und bereitete das Frühstück für ihren Gast vor, wobei sich schon eine gewisse Routine entwickelte, die aber nach und nach noch perfektioniert wurde. Inzwischen gab es außer den gewünschten Wurstbroten und dem Kaffee noch einen geschälten Apfel, eine Vitamin D- Tablette und danach die NOZ (neue Osnabrücker Zeitung) vom Vortag sowie eine Zigarette im Eintausch gegen den entstandenen Restmüll. Gegen die Tablette hegte der Gast allerdings erhebliches Misstrauen, und erst als Lisbeth ihm klar gemacht hatte, dass sie zur Erhaltung seiner Gesundheit unbedingt erforderlich sei, und dass im Falle seiner Erkrankung sofort die Polizei eingeschaltet werden müsse, schluckte er sie.

Sie erinnerte ihren Gast auch daran, den Frühsport nicht zu vergessen, Zeit genug hätte er ja, und wenn er die Zeitung durchhätte, könnte er in dem Buch weiterlesen. Nein, in dem Buch wäre zu wenig Action, meinte Mario – seinen Namen verriet er immer noch nicht - sonst wäre alles sehr anschaulich beschrieben, mit Gefühlen und Konflikten, wie in dem Leben bei seinen Leuten. Es wäre bestimmt so ein gutes Buch, und wie er sie kennengelernt habe, würde sie ihm sowieso kein anderes geben. Im Übrigen wäre er überhaupt sehr schlecht im Lesen. „Dann haben Sie ja reichlich Gelegenheit, das zu üben“, meinte Lisbeth, während sie darüber nachdachte, wen er wohl mit seinen Leuten meinte.

Es gab ein Problem: Fast täglich schaute Uschi gegen zehn Uhr vorbei: Dann machten sie sich einen Cappuccino und klönten ein bisschen: ein morgendliches Ritual. Am Vortag hatte sich Lisbeth schon einen leichten Mantel übergeworfen und Uschi an der Tür abgefangen. „Du, ich habe einen Friseurtermin“, sagte sie, „lass uns zusammen gehen und vorher noch einkehren.“ „Ok“, sagte Uschi, „aber dein Haar sieht doch noch sehr gut aus.“

„Nicht so gut wie deine rote Pracht.“

„Die ist schwer in der richtigen Farbe zu halten. Das kann ich dir flüstern.

Übrigens, hat hier einer geraucht?“ „Ach ja, der Heizungsmann war da, du weißt ja, die können es einfach nicht lassen.“

So ließ sich Uschi noch einmal abwimmeln, aber länger ging es nicht. Als sie jetzt wieder an der Tür stand, bemerkte sie sofort, dass Lisbeths Haare unverändert waren, und es roch aus dem Haus immer noch leicht nach Zigarette. „Was ist los mit dir“, fragte Uschi, „warst du wirklich beim Friseur, und ist da immer noch der Heizungsmonteur, oder wahrst du ein großes Geheimnis: Herrenbesuch oder so?“ In dem Moment war leise Musik aus dem Keller zu hören. „So ähnlich“, murmelte Lisbeth, „komm rein, ich muss Dir etwas anvertrauen.“

„Da bin ich aber gespannt.“

„Versprich mir, dass Du niemandem etwas verrätst, wirklich niemandem.“

„Tue ich nicht, ich schwöre es.“

„Ich habe jemanden eingesperrt, im Bad, im Keller, du kennst doch unser Gefängnis.“

„Du hast was?“

„Genau das. So einen Enkeltrick Betrüger und angeblichen Polizisten, der mich um 30000 Euro erleichtern wollte.“

„Ich fall vom Stuhl, Lisbeth, das musst Du mir genauer erklären.“

Und das tat sie, in Kürze zunächst, bevor sie zusammen dem Kellergefängnis einen Besuch abstatteten.

„Da haust er, alles in allem gut versorgt, nicht wahr Herr Fack ?“

„Ich heiße nicht Fack.“

„Ich weiß, aber einen richtigen Namen wollen sie mir nicht nennen. Stattdessen rufen sie immerzu Fack.“

„Mann, Mann, Mann, jetzt sind da schon zwei alte Schachteln. Ich dreh noch durch.“

Da sprang Uschi gleich ein:

„Zwei junge Frauen wären Dir wohl lieber.“

„Was will die rothaarige Alte noch, und warum sagt sie Du zu mir?“ fragte Herr Fack. Darauf Uschi: „Du willst doch einen Anwalt, da musst Du mit einer Hexe vorliebnehmen.

Das Gericht zieht sich zunächst zurück.“

Danach begaben sich die Freundinnen in die Küche. Lisbeths Bericht erforderte mehrere Cappuccinos, sodass Oskar, als er mittags nach Hause kam, seine Frau in sehr aufgekratzter Stimmung antraf, das Essen war allerdings alles andere als fertig.

Am nächsten Morgen ging Uschi allein zu ihrem Mandanten. Wie es sich für einen Anwalt gehört, musste sie versuchen, ein gegenseitiges Vertrauen herzustellen, aber das erwies sich als schwierig. Sie begann mit:

„Also, wie heißt Du? Fack ist ja wohl nicht Dein richtiger Name.“

„Sag ich nicht, und wenn Du mich Fuck nennst, sage ich Hexe zu dir.“

„Für dich immer noch Sie! Ich bin mit Sie anzureden. Unsere Positionen sind sehr unterschiedlich. Da musst du Dich schon drauf einlassen, wenn ich Dich hier rausboxen soll. Du denkst wohl, die Richterin ist milde, weil sie Dir sogar Bier und Zigaretten gibt und ein liebes Gesicht hat, aber ich verrate Dir: Sie ist sehr, sehr verärgert: Ihr habt sie auf fiese Weise betrügen, und dabei die Liebe zu ihrer Enkeltochter ausnutzen wollen. Ich glaube nicht, dass sie Dich so schnell frei lässt.“

„Fuck, Mann, wir haben Scheiße gebaut.“

„So Fack, jetzt hörst Du mal auf damit und sagst mir Deinen richtigen Namen, sonst kommen wir hier nicht weiter. Und was die Scheiße betrifft, hättet Ihr das ganz anders gesehen, wenn Euer Coup geglückt wäre.“

„Hexe!“

„Deinen Namen bitte, oder gib mir Deinen Ausweis, oder Dein Handy. Dann laden wir es auch auf.“

„Leck mich.“

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23 декабря 2023
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