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Читать книгу: «Aus dem Leben listiger Großmütter», страница 2

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3.

Lisbeth ging gleich nach draußen und schloss die Haustür hinter sich. Die Uniformen erwiesen sich als dunkelblaue Arbeitsanzüge, wie man sie in jedem Baumarkt kaufen konnte. Auf die Brusttaschen waren rote Schilder geklebt oder genäht mit der Aufschrift: Polizei. In der einen Uniform steckte ein Mann, mittelgroß und mittelbreit, um das Kinn herum etwas bärtig, leicht ergraut, und auf dem Kopf saß eine von den üblichen Schirmmützen, aber ohne Beschriftung. Seine junge Begleiterin war ebenso bekleidet. Aus ihrer Mütze hing ein blonder Pferdeschwanz.

„Guten Tag, Frau Ewald, da sind wir schon“,

sagte der vermeintliche Polizist. Darauf Lisbeth, als wäre sie stolz auf ihre souveräne Art, mit der Situation umzugehen:

„Darf ich bitte ihren Ausweis sehen?“

„Selbstverständlich.“

Er holte in der Tat ein kleines Kärtchen aus der Tasche, hielt es für den Bruchteil einer Sekunde hin und verstaute es wieder.

„Ich schätze es ja so, wenn alles seine Korrektheit hat“, heuchelte Lisbeth, „richtige Polizei mit scharfen Waffen!“ Dabei sah sie aber keine Halfter und entdeckte auch sonst keine verdächtigen Ausbuchtungen der Hosentaschen.

„Hat ihre junge Kollegin denn auch einen Ausweis?“

„Ich bitte sie, sie sind ja eine ganz Genaue, es genügt doch wohl“…

In dem Moment näherte sich auf dem gegenüberliegenden Gehsteig eine Aktentasche an einem Arm und darüber ein erstaunter Blick, Oskar. Lisbeth grüßte vernehmlich und sagte:

„Das ist unser Nachbar, er kommt gleich rüber um mich zu beraten, der Immobilienkauf, sie wissen ja, aber das hat sich ja jetzt erledigt.“

Doch sogleich merkte sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte, denn jetzt hatten die beiden Strolche keine Zeit mehr zu verlieren, jetzt würden die beiden unverrichteter Dinge verschwinden. Sie sah der jungen Frau in die Augen und bemerkte:

„Sie sagen ja gar nichts.“

Aus gutem Grund sagte sie nichts, und dann passierte etwas, das beinahe die ganze Aktion zum Platzen gebracht hätte, auf beiden Seiten, denn der Komplize sagte tatsächlich:

„Hol schon den Wagen.“

Gut, er sagte nicht: Hol schon mal den Wagen, aber auch so hatte Lisbeth Mühe, ein Lachen zu verkneifen. Als ihre Jungs in Münster studierten und nach einem reichlichen Mittagessen bei Muttern am späten Sonntagnachmittag wieder in Richtung ihrer Buden aufbrachen, war es stets das Signal, mit dem Konrad zum Aufbruch blies: Justus, hol doch schon mal den Wagen (der Wagen war ein älterer Polo).

Die junge Frau entfernte sich tatsächlich in Richtung Straße. Lisbeth sagte:

„Dann hole ich jetzt den Umschlag.“

Ihr Plan war, ins Haus zu gehen, hinter sich die Tür zu schließen und sofort die Polizei zu rufen, aber es kam anders: Als sie die Tür öffnete schob sie der Mann mit impertinenter Dringlichkeit vor sich her. Sie sagte schnell:

„Sie werden verstehen, dass ich das viele Geld sicher versteckt habe. Ich zeige es Ihnen. Bitte folgen Sie mir. Die Tür machen wir lieber zu, sonst kommt unser Nachbar, den sie eben gesehen haben, noch rein, und der ist schrecklich neugierig.“

Dann stieg sie die Kellertreppe hinab, das Geländer sicher im Griff haltend, öffnete die schwere Eisentür zum Badezimmer und machte das Licht an.

„Da in der Truhe“, flüsterte sie, um ihrer Stimme einen geheimnisvollen Klang zu geben, „unter den Handtüchern.“

Der Mann öffnete die Truhe sofort, wühlte sich mit seiner Hand durch die Handtücher und fand den Umschlag, der sich ziemlich gut anfühlte. In dem Moment hörte er, wie die Tür ins Schloss fiel und ein Schlüssel gedreht wurde.

Er sprang sofort zurück, rüttelte am Griff und schrie:

„Was soll das? Sind sie verrückt? Ich bin die Polizei!“

Er griff in den aufgerissenen Umschlag, doch ihm schwante schon, was darin stecken würde: nichts als ein Haufen Papier.

„Damit kommen sie nicht durch“, schrie er, „das ist Gewalt gegen Beamte,

wir werden sie anzeigen wegen Irreführung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Dafür gibt es empfindliche Strafen.“

„Zeigen sie doch bitte noch einmal ihren Ausweis, ich konnte ihn noch nicht richtig begutachten.“

Das tat er nicht. Stattdessen brüllte er:

„Meine Kollegin wird mich hier rausholen.“

In dem Moment schellte es, worauf der vermeintliche Polizist ein dreckiges Lachen von sich gab, aber dann fiel ihm ein, dass er einen Fehler gemacht hatte: Er hätte sich nicht darauf einlassen dürfen, dass die Haustür geschlossen wurde. Durch eine offene Tür wäre seine Partnerin unbemerkt hineingeschlüpft und könnte die alte Schachtel fesseln und knebeln nach allen Regeln der Kunst. Geld gab es dann trotzdem nicht, aber ein bisschen Schmuck absahnen wäre ja noch drin gewesen. Allerdings, er hätte dazu keinen Mut.

Lisbeth ging zur Haustür, öffnete sie aber nicht, sondern schaute aus einem Fenster im oberen Stockwerk.

„Hallo.“

„Wo ist denn mein Kollege?“

Lisbeth meinte ziemlich klar die Stimme der vermeintlichen Lena zu erkennen.

Sie rief:

„Ihr Kollege hat den Umschlag mit dem Geld an sich genommen. Er ist aus dem Hinterausgang raus, aus Sicherheitsgründen, sagte er. Ich will doch sehr hoffen, dass alles seine Richtigkeit hat. Mein Gott, das viele Geld!“

„Fuck, fuck, fuck!“ Das war alles, was von der so genannten Kollegin noch zu hören war, dann rannte sie ein Stück auf der Suche nach Hinterausgängen, besann sich aber und brauste mit dem Auto davon.

Lisbeth schlich sehr leise in den Keller zurück, traute sich aber nicht bis vor die Tür des Badezimmers, das die Kinder immer als Knast bezeichneten, denn die kriminelle Energie, die sie in dem Raum verschlossen hatte, flößte ihr plötzlich Schauer ein. Allein, außer, dass ab und an vergeblich die Türklinke betätigt wurde, geschah nichts. Dann hörte sie ein Handy, und daraus sofort etwas, das sie natürlich nicht verstehen konnte, aber es hörte sich deutlich wie ein heftiges Geschimpfe an. Immerhin, aus dem, was ihr Gefangener sagte, also dem halben Dialog, ließ sich schon genug entnehmen:

„Nein, ich sag dir, ich bin nicht mit dem Geld abgehauen.“

„Das musst du mir glauben, da war gar kein Geld.“

„Weil die Alte uns ausgetrickst hat.“

„Weil ich keine Kanone dabei hab, verdammt noch mal.“

„Hätte, hätte, hätte.“

„Hörst du mich? Hier ist ein Scheißempfang, und ich sag‘s dir nochmal: Ich bin nicht mit dem Geld abgehauen.“

„Weil ich in einem Scheißbadezimmer eingeschlossen bin, und die Tür ist aus Scheißeisen.“

„Lächerlich sagst du. Mir ist überhaupt nicht nach Lachen zu Mute.“

„Und wenn du mir tausend Mal nicht glaubst! Ach, leck mich doch! Fuck!“

Jetzt machte sich Lisbeth geräuschvoll bemerkbar:

„So, so, Herr Fack, jetzt aber mal ehrlich.“

„ Ich heiße nicht Fuck, wie kommen sie darauf? “

„Sie haben sich doch eben am Handy mit Fack gemeldet, und wie ich durch das Fensterchen sehen kann, haben sie das Handy noch in der Hand.“

Dabei hatte Lisbeth nur für einen kurzen Augenblick durch das Fenster gesehen, furchtsam zurückweichend, denn mehr und mehr wurde ihr die Absurdität der Situation bewusst, und sie besorgte sich um ihre eigene Sicherheit.

„Was reden sie fürn Quatsch!“

„Wieso Quatsch. Ich habe Ihrer Kollegin gesagt, sie seien mit dem Umschlag voller Geld aus dem Hinterausgang raus, und da hat sie dreimal nach ihnen gerufen: Fack, Fack, Fack.“

„Man! Fuck! Haben sie das wirklich gesagt?“

„Natürlich Herr Fack, sie geben ja selbst zu, dass sie so heißen, oder ist das nur ihr Künstlername? Dann zeigen sie mir doch ihren Personalausweis und nicht dieses lächerliche Stück Pappe von eben.“

In dem Moment meldete sich ihr Telefon. Lisbeth eilte nach oben und griff zum Hörer.

„ Ja, Ewald.“

„Hier ist Lena.“

„Du Miststück, dich erwisch ich auch noch.“

„Aber Großmama.“

O weh, das hatte Lisbeth noch mit halbem Ohr gehört, als sie die Beenden-Taste drückte. Das war ja die richtige Lena! Was tun? Sie atmete mehrmals durch und versuchte dann zurückzurufen, aber es ertönte das Besetzt- Zeichen. Dann versuchte sie es mit dem Handy, mit demselben Erfolg, doch es wurde ihr angeboten, eine SMS zu schicken. Auch das gelang nicht, denn das blöde Dings wollte immer was Anderes schreiben, als sie vorhatte. Ihr Sohn Konrad würde jetzt sagen: Typische Tyrannei der künstlichen Intelligenz über die natürliche.

Lisbeth war erschöpft. Aus dem Gefängnis hörte sie es rumpeln. Sie nahm den Hörer mit ins Wohnzimmer, verschloss alle Türen und ließ sich in einen Sessel fallen. Jetzt sollte sie die Polizei rufen, aber was würde passieren? Die Beamten kämen und fänden im Keller einen Mann im Klempneranzug. Das Schildchen mit der Aufschrift „Polizei“ hätte er schon längst entfernt. Der Kerl würde dreist behaupten, er wäre wegen einer geplanten Renovierung des Bads gerufen worden, aber die verrückte Alte habe ihn plötzlich eingesperrt. Dass sie verrückt geworden wäre, würde am Ende auch ihre eigene geliebte Enkeltochter bestätigen. Andererseits, den Typen einfach zu entlassen, kam auch nicht in Frage. Er würde sich rächen, er würde sie ausrauben und, schrecklichste aller Vorstellungen, er würde sie foltern.

Noch einmal versuchte Lisbeth, ihre Enkeltochter anzurufen, aber die Leitung war immer noch besetzt. Dann wagte sie sich doch auf den Flur, und weil sie aus dem Keller ein Gerumpel hörte, ging sie in den Vorgarten und lauschte, ob das wohl auf der Straße zu hören wäre, aber weil die ehemalige Ölleitung mit mehreren Kurven quer durch den Keller verlief, war allenfalls ganz schwach das Surren des Ventilators vernehmbar. Auf die Installation dieses Quirls war Helmut ja besonders stolz. Er saß irgendwo außerhalb des Bads, wo man gut „rankam“, und war synchron mit der Beleuchtung geschaltet. Jetzt fiel Lisbeth ein, dass sie schon früher festgestellt hatten, dass Konrads Duschraumgesänge von der Straße aus nicht zu hören waren.

Wieder schellte das Telefon. An der Leitung war Justus:

„Sag mal, Mama, was ist los? Eben hat uns Lena angerufen und die ganze Zeit geweint. Du hättest sie ausgeschimpft, ein Miststück genannt und aufgelegt.“

„Ja, es tut mir so leid, ein schreckliches Missverständnis!“

„Mama, alles in Ordnung bei dir?“

„Ja, nein, ich bin noch ganz durcheinander. Du hast doch sicher schon von solchen Enkeltrick-Betrügern gehört. Erst vor einer Woche wurde in unserer Zeitung vor denen gewarnt, und denk mal, einen haben sie wirklich geschnappt.“

„Denn ist ja gut.“

„Nichts ist gut. So eine hat bei mir angerufen und mit heiserer Stimme nur „hallo“ gesagt, und ich dumme Nuss dann: „Lena, bist du es?“

„Und dann?“

„Dann hat diese Person mich permanent angerufen, so getan als wenn sie Lena wär, mich vollgeschleimt, und irgendwann wollte sie Geld. Darauf falle ich natürlich nicht rein, Ich hab ja sofort gemerkt, dass da was nicht stimmt.“

„Mann, Mann, Mann!“

„Dann wollte ich die Polizei anrufen, damit diese Person geschnappt wird, und in dem Moment ruft Lena an, unsere richtige liebe Lena.“

„Ach, so ist das! Sollen wir vorbeikommen? Die ganze Aufregung ! Schaffst du das?“

Lisbeth war froh, dass Justus mit Familie in Hannover wohnte und nicht mehr in Münster, denn aus Münster wäre er sicher gekommen. So viel Unwahres hatte sie ja nicht erzählt, aber umso mehr Wahres verschwiegen. Sie sagte:

„Ich komm schon zurecht, ich geh gleich zu Uschi und Oskar rüber, um den Schrecken zu verdauen, aber bitte, tue mir einen Gefallen, ruf Lena an und erklär ihre alles. Ich melde mich später bei ihr. Noch bin ich zu aufgewühlt.“

Lisbeth ging leise zur Kellertreppe, lauschte und hörte das Geräusch vom Urinieren und Flatulieren, das ja im Allgemeinen nicht den Wohlklängen zuzuordnen ist, aber in diesem Fall löste es bei ihr ein Gefühl von etwas mehr Sicherheit aus. Dann ging sie beherzt hinunter, vorbei am Gefängnis, und rief:

„Ich mache jetzt meine Wäsche“, das Wort Wäsche beinahe singend wie eine kleine Terz: f-d, und verschwand im anderen Kellerraum.

Nach einer Weile näherte Lisbeth sich wieder der eisernen Tür, einen Korb mit trockener und gebügelter Wäsche haltend. Der Gefangene, der offenbar gelauscht hatte, um irgendetwas für seine Situation Zweckdienliches zu erfahren, hatte aber keinen Plan entwickelt und fing von Neuem an:

„Wie soll das weitergehen? Lassen sie mich hier raus! Das werden sie noch bereuen.“

„ Ich kann sie nicht rauslassen. Sie würden mich niederschlagen, foltern, ausrauben oder was weiß ich.“

„Ich verspreche Ihnen, dass ich das nicht tue.“

„Auf das Versprechen eines Enkeltrick-Betrügers kann ich nichts geben. Nebenbei, wenn sie draußen sind, werden sie gejagt von ihren Komplizen. Die werden auf sie einprügeln, und sie liegen auf dem Boden und jaulen: „Da war kein Geld, da war kein Geld.“

„Das lassen sie mal meine Sorge sein.“

Lisbeth wunderte sich, dass der Mann mehr und mehr mit einer jugendlichen Stimme sprach, wie ein zwanzigjähriger. Schließlich sagte sie: „Ich mache ihnen einen Vorschlag: Ich verlasse das Haus und rufe nach zehn Minuten die Polizei. In der Zwischenzeit nehmen sie ihre Kanone, schießen die Tür auf und verschwinden. So ein spektakuläres Ding würde sicher groß in der Zeitung stehen, und ihre Komplizen müssten ihnen glauben. Ob sie danach noch an irgendeinem Ding beteiligt werden, ist natürlich fraglich.“

Darauf schleppte Lisbeth den Wäschekorb nach oben, stellte ihn ab und verließ das Haus. Vor die Haustür legte sie ein Stöckchen. Dann ging sie rüber zu Uschi und Oskar.

4.

Uschi merkte sofort, dass ihre Freundin nervös war, etwas hastig in ihren Bewegungen und unkonzentriert beim Gespräch. Dann wollte Oskar wissen, was das für Leute waren an ihrer Tür, die in den dunkelblauen Anzügen. „Erzähle ich gleich“, sagte Lisbeth, um Zeit zu gewinnen. Dabei fragte sie sich, wie viele Geschichten noch zu erfinden wären bevor das Lügengebäude zusammenbricht.

Jetzt wäre es gut, eine Komplizin zu haben, so eine wie Uschi, aber, wie gesagt: Vorsicht. Uschi ihrerseits schlug vor, erst einmal einen Tee zu trinken. Obwohl es schon fünf Uhr vorbei war, und Lisbeth nach einem späten Tee schlecht schlafen konnte, fand sie das eine gute Idee. Inzwischen hatte sie sich eine Geschichte zurechtgelegt: Die Beiden in den dunkelblauen Anzügen wären Handwerkshausierer. Sie hätten schon mehrmals am Nachmittag bei ihr angerufen und wären schließlich persönlich gekommen, um ihr eine neue Haustür aufzuschwatzen. Die alte Tür wäre nicht sicher und so weiter. Es hätte sie Mühe und Nerven gekostet, die Typen loszuwerden. „Ich habe gesehen, wie die Frau auf der Straße gerannt und dann mit dem Auto davongefahren ist“, sagte Oskar, „aber den Mann habe ich gar nicht mehr gesehen.“ „Weiß auch nicht“, sagte Lisbeth und hoffte, dass Oskar nicht nachhaken würde, denn das tat er gerne mal.

Es war dunkel geworden. Lisbeth nahm das Angebot ihrer Freunde, sie bis an ihre Haustür zu begleiten, gerne an.

Wie erwartet, lag das Stöckchen vor der Tür noch an derselben Stelle. Sie betrat das Haus und lauschte. Als nichts zu hören war, machte sie Licht und öffnete leise die Tür zur Kellertreppe. Jetzt hörte sie doch etwas, nämlich: „Mann, Mann, Mann.“

„Alles im grünen Bereich“, hätte Helmut jetzt gesagt, andererseits, der gute Helmut wäre wohl niemals in die Situation geraten, in der sie sich befand.

Das Telefonat mit der richtigen Lena wirkte wie Balsam auf die Seele, wenn es erlaubt ist, dieses Klischee zu verwenden. Lena war schon von ihrem Vater informiert, so brauchte Lisbeth nur wenige Worte, um ihre Enkeltochter vollends zu beruhigen. Aber dann wollte Lena ganz genau wissen, wie sich alles zugetragen habe und konnte nicht oft genug die Großmama bewundern für ihren Mut. „Ach, Kindchen“, sagte Lisbeth, „Leider sind uns ja die Gauner nicht ins Netz gefallen.“

„Hast du noch Angst vor denen? Soll ich zu dir kommen?“

Schon wieder eine brenzlige Situation.

„Das freut mich zwar immer, aber du hast doch sicher genug mit deinem Studium zu tun.“

„Das kannst du laut sagen“, meinte Lena.

Danach gingen noch viele liebe Worte hin und her, ehe die Hörer aufgelegt wurden.

Lisbeth ließ sich in einen Sessel fallen. Mit wem könnte sie über die nächsten Schritte nachdenken? Wer weiß, was hier im Hause vor sich geht? Natürlich, der Kerl da unten im Gefängnis: Früher oder später müssten sie gemeinsam einen Plan entwerfen: Eine absurde Idee. Nach einer Weile war Lisbeth eingenickt.

Sie steht am Fenster und hört es rufen: Hier ist die Polizei! Frau Ewald, geben sie auf und lassen sie die Geisel frei. Sie aber schreit: Ich denke nicht daran, bevor er mir verrät, wo er Lena versteckt hält. Die Polizei rückt näher, die Uniformen sind blaue Arbeitsanzüge vom Baumarkt, und da erkennt sie die beiden Polizisten: Helmut und Oskar.

Lisbeth schreckte auf, sie musste sich etwas sammeln, und dann entschloss sie sich zu einigen praktischen Maßnahmen: Sie suchte ein Spannlaken und einen Schlafanzug heraus und stieg damit zum Gefängnis.

Durch das Fensterchen sah sie die geballte beleidigte Frustration, auf der Truhe sitzend, bevor sie das Spannlaken hindurch stopfte, in aller Vorsicht, damit nicht ein flinker Griff von innen ihre Hände erfassen könnte.

„Würden sie bitte die Schaumstoffmatratze beziehen. Da wollen ja auch noch andere drauf schlafen.“

„Andere? Sperren sie hier regelmäßig Leute ein?“

„Schon möglich, aber ich meinte eigentlich Gäste, die oben wohnen, und so viel ein- und ausgehen dürfen, wie sie wollen.“

„Sie sind total verrückt, wie lange soll das so weiter gehen?“

„Das müssen wir bei Gelegenheit besprechen. Ach, und hier habe ich noch einen Schlafanzug von meinem Mann. Vielleicht etwas weit, aber feinste Baumwolle. Socken und Unterwäsche werde ich noch besorgen. Ach ja, Abendbrot um 19 Uhr.“

„Was für ein Irrsinn! Außerdem habe ich keine Uhr.“

„Nehmen sie doch ihr Handy.“

„Alle“, schimpfte er, während Lisbeth wieder nach oben stieg. Sie fand eine längliche Schachtel, machte ein paar Stullen fertig und legte eine kleine Flasche mit Mineralwasser bereit. Um Punkt 19 Uhr erschien sie wieder vor dem Gefängnis, sie rief: „Abendbrot“, und schmiss die Wasserflasche hinein. Wie zu erwarten, wollte der Gefangene die Stullen nicht entgegennehmen. Lisbeth hatte vorsorglich eine Tüte mitgenommen. Sie verpackte die Stullen darin. Dann nahm die Tüte denselben Weg wie die Wasserflasche.

„Für heute habe ich genug von ihnen“, sagte sie noch, „um 10 Uhr ist Bettruhe. Frühstück gibt es morgen um acht.“

Sie wuselte noch ein wenig im Haushalt, nichts von Dringlichkeit, wie man es manchmal tut, wenn man einem größeren Ereignis entgegensieht, einer Einladung einer Opernaufführung oder so ähnlich: Man ist geduscht, frisiert oder rasiert, je nachdem, die Kleidung liegt schon bereit, aber es bleiben noch anderthalb Stunden. Sie hatte keine Lust, zu lesen, Musik zu hören, Klavier zu spielen, oder gar den Fernseher anzustellen. Ab und zu lauschte sie an der Kellertreppe, es war aber nichts Verdächtiges zu hören. Um 10 Uhr ging sie zum Sicherungskasten und knipste den Stromkreis für die Kellerbeleuchtung aus.

„Heu. heu, heu“, drang es aus dem Keller. Sie kümmerte sich nicht darum.

Um Mitternacht war Lisbeth noch nicht eingeschlafen. Sie wälzte sich im Bett hin und her, drehte mehrmals die Decke um, weil es ihr mal zu warm und mal zu kalt war, und regelmäßig lauschte sie im Flur oder schaute aus dem Fenster, ob vielleicht irgendwelche Gestalten am Haus herumlungerten. Sie wunderte sich auch über sich selbst: Wie konnte nur alles so kommen. Hätte sie doch den Umschlag gleich in der Hand gehabt, als die beiden Pseudobeamten auftauchten.

Sie hätte ihn übergeben mit der Bitte, diesen ungeöffnet zur Bank zu bringen. Die Enttäuschung der beiden hätte sie noch auskosten können, bevor sie die Tür zugeknallt hätte. Ja, hätte, hätte, hätte.

Was für eine verrückte Idee, die Schaumstoffmatratze in den Keller zu schaffen. Andererseits: „Hier spricht die Polizei“, hatte er gesagt, wer soll denn darauf reinfallen? Das ist ja geradezu beleidigend, so zu sagen, dummer als die Polizei erlaubt. Dazu noch dieses platte: „Hol schon den Wagen.“

Lisbeth erinnerte sich an Konrads Studium in Münster: Germanistik und noch so allerlei, ach, wie lang ist es her. Er sollte eine Seminararbeit schreiben zum Thema: Was kann die Lyrik zur Identität eines Landes beitragen? So, oder so ähnlich. Das Wort Leitkultur war damals noch nicht geboren. Konrad war totunglücklich damit, und Helmut, der immerhin ein gestandener Studienrat war, konnte ihm auch nicht helfen: Was der meinte, war alles nicht schräg genug. Bei dem Gedanken musste Lisbeth etwas schmunzeln und vergaß dabei fast ihr Problem. Dann hatte Konrad eine geniale Idee: Er schrieb eine durchnummerierte Liste von Zitaten auf eine große Tafel, stellte die auf dem Prinzipalmarkt auf und verteilte Handzettel. Dort konnte das Publikum aufschreiben, wer wohl die Urheber dieser Zitate wären. Lisbeth konnte sich noch an einige Nummern aus der Liste erinnern, weil Konrad sie mit seinem Vater ausführlich und vielfach hin- und her diskutiert hatte. Auf die erste und die letzte Nummer wollte ihr Sohn nicht verzichten:

Warum rülpset und furzet ihr nicht?

Er ist nur halb zu sehen…

Da stand der alte Zecher…

Das ist der Mensch in seinem Wahn.

Alte Zeiten, linde Trauer…

Uralte Wasser steigen…

Was stört mich Weib, was stört mich Kind?

Nicht sein kann, was nicht sein darf.

Du musst dein Leben ändern.

Die Götter halten die Waage…

Ein Suahelischnurrbarthaar..

Harry, hol schon mal den Wagen.

Das Ergebnis der Erhebung war, dass fast alle das letzte Zitat zuordnen konnten, 30 Prozent auch das erste (was ungefähr dem Prozentsatz der Lutheraner in Münster entsprach), aber dazwischen war die Trefferrate ziemlich gering. Immerhin, Konrad war der King mit seiner Seminararbeit. Es wurde noch diskutiert, ob das erste Zitat nicht nur Legende wäre, und auch das letzte wäre in genau der Form nur sehr selten zur Anwendung gekommen. Der Professor indessen dozierte, dass Legende und Wirklichkeit nicht zu trennen seien, das läge schon in dem Wort Wirklichkeit, so zu sagen, das Wirkmächtige sei entscheidend, was wiederum ein allgemeines Gähnen im Auditorium hervorrief, denn das hatte er schon öfter gesagt, ebenso wie die Professoren für Theologie, Philosophie und die Professorin für neue Geschichte.

Die Erinnerungen berührten sie sanft. Konrad, das Schlitzohr, war ihr Sohn, von wem hat er das wohl. Dann fiel ihr ein, dass so eine Umfrage heute nicht mehr sinnvoll wäre, weil alle gleich ihr Smartphone zücken würden. Endlich fiel Lisbeth in einen leichten Schlaf.

399
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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
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202 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783962298166
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