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1.6Die Gruppe im Spannungsfeld gesamtgesellschaftlicher Kräfte

Im folgenden Beispiel einer ostschweizerischen Sonderschule können wir diese Zusammenhänge deutlich sehen. Es handelt sich um eine große "Sonderschule" mit angeschlossenem Internat, und es wurde bemängelt, daß die Zusammenarbeit zwischen den Lehrern bzw. Lehrerinnen und den Erziehern bzw. Erzieherinnen mangelhaft und das Betriebsklima allgemein schlecht sei. Der Betriebsberater stellte folgende Ursachen für die Probleme fest:

Die Lehrer und Lehrerinnen dieser Schule nahmen zahlreiche Privilegien in Anspruch, genossen höheres Ansehen und erfreuten sich einer großzügigeren finanziellen Honorierung als die ErzieherInnen des Internats. Der soziale Status der LehrerInnen war zudem beträchtlich höher. Diesen Statusunterschied wollten die ErzieherInnen nicht mehr hinnehmen.

Während die Erziehungspersonen früher eher die Aufgabe von "LückenbüßerInnen", "PausenfüllerInnen" oder von "Hüetimeitlis" bzw. "Hüetibubis" innehatten, repräsentierten sie jetzt das Berufsbild qualifizierter SozialpädagogInnen, die während der unterrichtsfreien Zeit einen in der Schulbeschreibung klar definierten Erziehungsauftrag zu erfüllen hatten. Dieser Wandel in der Aufgabenstellung an die SozialpädagogInnen war die Folge eines allgemeinen gesellschaftspolitischen Wertewandels, in dem die erzieherischen, pflegerischen, sozialen bzw. therapeutischen Möglichkeiten neben den schulbezogenen Leistungskategorien aufgewertet wurden. In diesem Sinne waren es also großgruppendynamische bzw. gesellschaftliche Probleme, mit denen sich die LehrerInnen bzw. ErzieherInnen an der "Front" der Sonderschule konfrontiert sahen, denn ähnliche Auseinandersetzungen waren aus dem Gesundheitswesen (zwischen den ÄrztInnen und dem Pflegepersonal) und aus der Berufswelt (zwischen den AkademikerInnen und den MitarbeiterInnen mit praxisbezogener Berufslehre) bekannt.

Mit dem Aufdecken dieser Zusammenhänge zwischen dem externen gesellschaftlichen Wertewandel und der internen Gruppendynamik waren die Probleme dieser Sonderschule leider nicht gelöst. Es zeigte sich bald, daß die Konflikte zwischen den Berufsgruppen unterschwellig noch aus anderen Quellen genährt wurden:

In allen Konferenzen wurde eine auffällige Konfliktscheu beobachtet. Von zuoberst bis zuunterst in der Betriebshierarchie schien die Tendenz vorzuherrschen, die gefühlsmäßige Seite aller Interaktionsvorgänge abzuspalten und als sogenannte Selbstverwirklichungs-, Selbsterfahrungs- oder gar Therapiebedürfnisse zu desavouieren. Mit diesem Argument wurden alle Gefühle, die angst machten, abgewehrt bzw. verdrängt. Aber mit verdrängten Gefühlen ist es wie mit den Köpfen einer Hydra: je schneller man sie abschlägt, desto schneller wachsen sie nach!

In den Gremien war ein großes Bedürfnis nach Ausdruck und Gestaltung der Emotionen zu spüren. Jede Konferenz verwandelte sich sofort in eine intensiv über die wesentlichen Grundfragen der Institution diskutierende Gesprächsrunde, sobald das Tabu, über Emotionen und Prozesse zu reden, durchbrochen war. Es entstand spontan das Bedürfnis nach zusätzlichen Sitzungen, um die aufgeworfenen Fragen zu Ende zu diskutieren.

Es scheint in allen Gruppen, auch in betrieblichen Arbeitsgruppen, ein unstillbares Verlangen zu geben, sich angemessen und emotional über die wesentlichen Dinge des Lebens, über die Grundfragen des Zusammenlebens und über die Sinnfrage des Arbeitens auszutauschen. Es war interessant, festzustellen, daß die Sachfragen und Konflikte schneller bewältigt werden konnten, wenn Raum für grundsätzliche Diskussionen vorhanden war.

Zwischen der Effizienz, Sachfragen zu lösen, und der unbewußten Gruppendynamik des Gremiums besteht allgemein eine komplexe Wechselwirkung:

Wenn die Lösung der Sachprobleme auf der Sachebene nicht mehr möglich ist, muß das Problem auf der gruppendynamischen Ebene angesiedelt werden. Es sind dann meist Rivalitätstendenzen, Neid- und Eifersuchtsgefühle oder andere Beziehungskonflikte, die die sachbezogene Kommunikation überlagern bzw. stören. Und wenn die Gruppendynamik blockiert ist, liegt das Problem bei den individuellen Anpassungsschwierigkeiten einzelner Mitarbeiter. Diese Probleme könnten nur im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung angegangen werden.

Hier stoßen wir an die Grenzen dessen, was an Konflikten in einer Arbeitsgruppe bewältigt werden kann. Immer wieder gibt es Probleme, die durch persönliche Schwierigkeiten verursacht werden, die im Rahmen eines normalen Arbeitsverhältnisses nicht zu tragen sind und deshalb nicht selten zu einer Auflösung des Arbeitsvertrages führen.

Auf der Suche nach den Gründen für das übervorsichtige und ängstliche Verhalten der Mitarbeiter wurde der Berater bald fündig:

Die schwachen Persönlichkeiten des Schulleiters und des Präsidenten des Stiftungsrates bestimmten das gesamte Kommunikationsverhalten der Institution. Weder Schulleiter noch Präsident waren in der Lage, konstruktive konfliktorientierte Auseinandersetzungen zu führen und zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Der Schulleiter blockierte kritische Stellungnahmen rigide und ängstlich ab und war sowohl im Umgang mit seinen Mitarbeitern als auch mit den Eltern seiner Schüler ungeschickt und hilflos.

Aus letzteren Gründen wurde die Beratung abgebrochen. Der Schulleiter fühlte sich durch das Offenlegen der Probleme bedroht und schob den "Schwarzen Peter" im Rahmen seiner Abwehrhaltung dem Betriebsberater zu.

Auch dieses Beispiel zeigt, daß die Leitung einer größeren Institution schwierig ist und besonderer gruppendynamischer Kenntnisse bedarf. Diese bestimmen in hohem Maße sowohl die Effizienz des ganzen Betriebes als auch die Atmosphäre, in der sich alles Verhalten ereignet. Letztlich hängt alles vom gruppendynamischen Leiter bzw. von der Leiterin und seiner bzw. ihrer Fähigkeit ab, das soziale Handeln zu reflektieren. Betriebliche Probleme können nicht gelöst werden, wenn die auf die Gruppen und deren Umwelt bezogene Reflexion fehlt. Leiter bzw. Vorgesetzte müssen sich in Frage stellen lassen.

Das obige Beispiel führt uns noch einen weiteren wichtigen Aspekt vor Augen: Die ersten Fallstudien bezogen sich auf Schulklassen. Diese sind in ihrer Struktur relativ homogen und in ihrer Größe begrenzt. Im Gegensatz dazu gibt es neben kleinen Betrieben auch mittelgroße Unternehmungen oder Großbetriebe. Betriebliche Gruppen scheinen in ihrer Größe keine Grenzen zu kennen. Aber welches ist der entscheidende gruppendynamische Unterschied zwischen einer Schulklasse und einer betrieblichen Gruppe?

In der Schule haben wir verschiedene Strukturen vorgefunden, z.B. die "Viererbande" in der Berufsaufbauschule oder die Untergruppen der Lehrlinge in der Berufsschule, die einen eher zufälligen, "nichtformellen" Charakter hatten.

Diese waren in ihrer Zusammensetzung flexibel und in Abhängigkeit von den gruppendynamischen Interaktionen stets veränderbar. Im Gegensatz dazu gibt es in Betrieben starre "formelle" Organisationsstrukturen.

1.7Der Gegensatz zwischen der "formellen" und "informellen" Gruppendynamik

Das besondere in der betrieblichen Gruppendynamik ist das unkoordinierte Gegeneinander bzw. Miteinander zwischen der "formellen" und der "informellen" Personalstruktur. Die "formelle" Struktur ist von der Betriebsleitung her gegeben und kennzeichnet die Hierarchie bzw. die Arbeitsteilung des Betriebes. Sie ist das Ergebnis betriebsorganisatorischer bzw. betriebsökonomischer Überlegungen und wird von oben nach unten im Organigramm hierarchisch organisiert.

Unter der Ebene der Eigentümer steht der Vorstand bzw. die Direktion oder die Geschäftsführung des Betriebes, die der Eigentümerversammlung Rechenschaft schulden. Schon hier ist das freie Spiel der Gruppendynamik eingeschränkt, weil diese Gremien von den Eigentümern abhängig sind.

Noch größer ist die Einschränkung auf der mittleren Ebene. Die mittlere Führungsschicht wird von der oberen ausgewählt. Die hochqualifizierte mittlere Führungsschicht muß fachspezifisch ausgebildet und angemessen fortgebildet werden, was der freien Fluktuation ökonomisch Grenzen setzt. Zudem sind alle Arbeits- bzw. Kündigungsbedingungen in relativ unflexiblen Verträgen fixiert.

Auf der untersten Ebene, auf der Ebene der Arbeiter und Angestellten, ist die Fluktuation wieder höher. Die Flexibilität wird aber auf der einen Seite durch Arbeitsverträge, Gesamtarbeitsverträge, gewerkschaftliche Absprachen und auf der anderen Seite durch Organigramme, Stellenbeschreibungen, Pflichtenhefte usw. eingeschränkt.

Zusammenfassend betrachtet stehen dem freien Spiel der betrieblichen Gruppendynamik viele Hindernisse entgegen, die zudem ein beachtliches Beharrungsvermögen aufweisen. Dieses Beharrungsvermögen ergibt sich aus der Tatsache, daß über die Belange bzw. die Zusammensetzung der betrieblichen Gruppen auf einer anderen Ebene entschieden wird als auf der Ebene der direkt Betroffenen. Sie ist das Ergebnis der hierarchischen Betriebsstruktur, die sich nach wie vor in den meisten Produktions- und Dienstleistungsbereichen hält, vielleicht gerade wegen der Probleme, die sich aus einer freien Entfaltung der Gruppendynamik ergeben würden.

Neben der "formellen" Gruppendynamik entwickelt sich auf allen Ebenen des Betriebes eine "informelle", vom offiziellen Organigramm nicht erfaßte Gruppendynamik. Diese ist das Ergebnis eines multifunktionalen und komplexen Prozesses, in den z.B. persönliche, politische, technische, wissenschaftliche, religiöse, ethnische u.a. Einflüsse hineinwirken. Die "informelle" gruppendynamische Struktur ist den Betriebsangehörigen in der Regel weder voll bewußt, noch anhand einfacher Methoden in ihrer ganzen Differenziertheit darstellbar. Trotzdem ist sie existent und durchdringt bzw. beeinflußt alle Vorgänge in einem Betrieb.

Während "formelle" Strukturen durch Organisation, Organigramme, Schemata, Hierarchien, Ebenen, Linien, Stäbe, Verantwortlichkeiten, Kompetenzen usw. charakterisiert und beschrieben werden, läßt sich die "informelle" Struktur eher durch Begriffe wie Rollen, Beziehungen, Interessen, Sympathien, Übertragungen, Projektionen, Verflechtungen, Einfluß, Konkurrenz, Rivalitäten, Neid usw. kennzeichnen.

In der "formellen" Organisation haben Mitarbeiter auf der gleichen Ebene ähnliche Verantwortlichkeiten und Kompetenzen. Die "informelle" Verflechtung hingegen hält sich wenig an "formelle" Befugnisse und hierarchische Informationswege. Die "informellen" Beziehungen greifen über alle Ebenen hinweg, die Gruppen stehen zu den "formellen" Ebenen schief, sind kreuz und quer verflochten und verhängt, wobei die "formellen" Weisungslinien verzerrt und die Ebenen vertauscht werden können.

Zum Beispiel kann der Chef, wie er im Organigramm bezeichnet und mit Kompetenz bzw. Verantwortung ausgestattet ist, durchaus abhängig sein von einer Sekretärin, mit der er privat liiert ist. Ein unfähiger Abteilungsleiter kann seine "formelle" Befehlsgewalt nach kurzer Zeit an einen Kollegen oder Untergebenen verlieren, und wie das Beispiel "Kleinbetrieb" gezeigt hat, war der eigentliche "informelle" Leiter des Betriebes nach wie vor der "zeitunglesende" Seniorchef und nicht seine Söhne, die sich gegen den Vater nicht durchsetzen konnten.

Hier möchte ich das Beispiel einer kleinen "Transportabteilung" eines schweizerischen Kommunikationsbetriebes einfügen, das die mögliche emotionale Verwirrung und die organisatorische Kollision eines "informellen" Beziehungskonflikts eindrücklich belegt:

"Die Abteilung war für den Einsatz bzw. die Ausbildung der Chauffeure und für den Unterhalt der Fahrzeuge zuständig und bestand aus dem 61jährigen Transportchef, einem neu angestellten 36jährigen Disponenten und einer 58jährigen Sekretärin.

Dem neuen Disponenten wurde schon bei seiner Anstellung signalisiert, daß er ein schwieriges Erbe anzutreten hätte. Das Scheitern seines Vorgängers sei kein gutes Omen.

Tatsächlich schlug ihm schon am ersten Arbeitstag eine Welle von Ablehnung entgegen. Der Chef machte aus seinem Mißtrauen keinen Hehl und die Sekretärin, die die Fahrschule leitete, saß wie auf Nadeln, sie schien die persönliche Nähe des neuen Mitarbeiters nicht zu ertragen. Sie explodierte beim kleinsten Anlaß, empörte sich über jede Unregelmäßigkeit und lief beim kleinsten Fehler zu ihrem Chef, der den verängstigten Disponenten erbost zur Rede stellte."

Die Analyse der Situation zeitigte schließlich folgende Ergebnisse:

"Die Sekretärin war eine langjährige Mitarbeiterin des Betriebes, die alle Tätigkeiten aus dem "effeff" kannte. Sie vertrat bei Abwesenheit sowohl den Chef als auch den Disponenten kompetent. Privat war sie aber einsam und unglücklich. Ihre Ehe war vor Jahren geschieden worden und mit ihrer Familie, mit ihren Brüdern lag sie im Streit. Sie fühlte sich durch die Neueinstellung sowohl in ihrer beruflichen Stellung als auch in ihrem einzigen intakten Lebensbereich bedroht.

Sie übertrug ihre Aggression gegen ihren jüngeren Bruder auf den Disponenten und die Ablehnung des Vaters auf den Chef. Und die Spannung löste beim Disponenten eine Gegenübertragung aus. Die Sekretärin erinnerte ihn an seine strenge Mutter, mit der er sich nie auseinandergesetzt hatte.

Da sich sowohl der Chef als auch der Disponent nicht gegen die heranflutende Wut wehren konnten, geriet die Sekretärin unbewußt zur gruppendynamischen Leiterin und der Disponent zum Sündenbock der Transportabteilung. Die Sekretärin war es, die entschied und den Umgangston bestimmte."

Dieses Beispiel zeigt die Kollision zwischen der "formellen" Organisation der Betriebsabteilung und den Strukturen der "informellen" Gruppendynamik: Der "formelle" Abteilungsleiter wurde im Rahmen der Betriebsdynamik zum "informell" abhängigen Mitarbeiter, die "formelle" Sekretärin zur "informellen" Chefin und der "formelle" Disponent zum "informellen" Sündenbock!

In der "informellen" Betriebsstruktur wirken die gleichen gruppendynamischen Mechanismen wie in der gruppendynamischen Studiengruppe oder z.B. in der Schulklasse. Betriebe, die von ihren "formellen" Leitern, seien es Direktoren, Abteilungsleiter oder Gruppenleiter, nicht kompetent geführt werden, verhalten sich gruppendynamisch wie "leiterlose Gruppen". Sie zerfallen in sich gegenseitig rivalisierende Untergruppen und grenzen, wie im Beispiel angedeutet, Sündenböcke aus, die z.B. in einem quälenden "Mobbing" (RESCH, 1994) bekämpft werden. In diesem Sinne wird "Mobbing" zum Bestandteil eines sehr komplexen Prozesses.

Die kleinsten Einheiten der "informellen" gruppendynamischen Strukturen sind Partnerschaften, Freundschaften, Kollegenkreise, politische Zellen, Hobbygruppen, Lese- bzw. Diskussionszirkel, Eß- und Wohngemeinschaften, sportliche Teams, Fahrgemeinschaften usw. Jeder Mensch, abgesehen von isolierten Außenseitern, hat an solchen Gruppen teil. Statistisch gesehen gehört jeder Erwachsene ca. 30 Untergruppen an. Jede dieser Untergruppen ist in sich entsprechend der gruppendynamischen Rollen "informell" strukturiert, es gibt einen Leiter oder mehrere Leiterrivalen, Mitläufer, Spezialisten, Assistenten, Gegenleiter, Sündenböcke, Außenseiter, Prügelknaben usw., wobei die Rollencharakterisierung als auch -verteilung, wie oben beschrieben, das Ergebnis des gruppendynamischen Prozesses ist. Diese interne Strukturierung einer "informellen" Gruppe ist ein wesentlicher "finaler" Aspekt des gruppendynamischen Prozesses, den ich im Laufe dieser Abhandlung, wie oben angedeutet, anläßlich der Schilderung des gruppendynamischen Prozesses differenziert beschreiben werde.

Ein wichtiger Entstehungsfaktor für "informelle" Beziehungen stellen wie im Beispiel "Transportabteilung" die uns schon bekannten Übertragungen dar. Die Menschen replizieren unbewußt ihr eigenes verinnerlichtes Familienmuster in den betrieblichen Gruppen. Sie übertragen die Gefühle, die sie gegenüber ihren Eltern, Geschwistern, Tanten, Onkel, Großeltern, Lehrern usw. hegen, auf Menschen, denen sie im Betrieb begegnen und die sie anhand spezifischer Merkmale an die ersteren erinnern. Schon der Ton der Stimme, die Haar- bzw. Augenfarbe, eine Geste, ähnliche Charakterzüge usw. genügen, um den Übertragungsprozeß auszulösen und die entsprechenden Gefühle zu kanalisieren. Ein Chef, der vielleicht einen ähnlichen Dialekt spricht wie der Vater, wird als Projektionsfigur für Gefühle, die früher dem Vater galten. Eine Sekretärin wird unbewußt als Mutter, Mitarbeiter als Geschwister usw. erlebt. Diese Übertragungen konstituieren neben den "Real-" bzw. "Arbeitsbeziehungen" "Übertragungsbeziehungen", induzieren Konfliktkonstellationen, verstärken Neid- und Eifersuchtsgefühle, führen zu unauflösbaren Spannungen und haben psychosomatische Reaktionen zur Folge, die gerade wegen ihrer Unbewußtheit nicht klar erkannt, nicht richtig zugeordnet und schließlich nur schwer aufgelöst werden können.

Die "formellen" und "informellen" Gruppenstrukturen sind aus oben genannten Gründen nie deckungsgleich. Auch im Beispiel "Sonderschule" waren die Fraktionen "LehrerInnen" bzw. "ErzieherInnen" nicht klar abgegrenzt. Verschiedene LehrerInnen identifizierten sich mit den Anliegen der ErzieherInnen, und mehrere ErzieherInnen waren mit LehrerInnen befreundet. Im Gegenteil, die Positionen widersprechen sich in vielen Fällen deutlich. Solche Widersprüche, insbesondere wenn sie sich auf Vorgesetzte beziehen, können Ursache von großen betrieblichen Schwierigkeiten werden. Ein Vorgesetzter, z.B. der Leiter der "Sonderschule", der anhand der "formellen" Struktur, wie sie sich im Organigramm abbildet, über exakt beschriebene Verantwortlichkeiten und Kompetenzen verfügt, kann seine Kompetenz nicht durchsetzen und seine Verantwortung nicht wunschgemäß wahrnehmen, wenn seine Autorität anhand seiner "informellen" Stellung im Betrieb in Frage gestellt ist. Und die Kommunikation zwischen MitarbeiterInnen kann erheblich erschwert sein, wenn sie "informell" und unbewußt ihre Geschwister aufeinander übertragen. Zudem löst, wie wir das schon in der Beziehung zwischen dem Lehrer und dem Schüler Scharfe festgestellt haben, jede Übertragung eine Gegenübertragung aus. Ein Mitarbeiter, der sich von seinem Kollegen aufgrund einer Bruder-Übertragung abgelehnt fühlt, reagiert mit Recht ungehalten auf diese Ablehnung. Er kann ja nichts dafür, daß er seinen Kollegen z.B. an dessen Bruder erinnert, und kann es auch nicht verstehen, weil diese Prozesse in der Regel unbewußt sind. Der Kollege, von dem er sich abgelehnt fühlt, erinnert ihn vielleicht unbewußt an einen eigenen Verwandten, mit dem er eine schwierige Beziehung hat. So ergibt sich eine wechselseitige Übertragungs-Gegenübertragungs-Konstellation, die nicht transparent und unter den gegebenen Bedingungen nicht aufzulösen ist. Sie kann permanent zu Spannungen, zu Streitereien und schließlich zu einem innerbetrieblichen Konfliktherd führen, der sich negativ auf die ganze Betriebsatmosphäre auswirkt. Wenn sich viele solche unlösbaren Konflikte gegenseitig aufbauen und sich wechselseitig aufschaukeln, kann die ganze Gruppendynamik außer Kontrolle geraten, kollabieren und schließlich in Massenkündigungen, Suizid oder Amok eskalieren.

Hier muß an die Vorfälle des Chefbeamten Günther Tschanun in der Stadtverwaltung Zürich und an den Mitarbeiter einer Computerfirma in Bern erinnert werden, wo psychisch überforderte Vorgesetzte bzw. Untergebene in einem Amoklauf ohnegleichen ihre engsten Mitarbeiter niederschossen.

Die Schwierigkeiten in den Betrieben, insbesondere das Auseinanderklaffen der "formellen" bzw. "informellen" Strukturen, sind überall spürbar und können, wie eben ausgeführt, zu emotionalen Exzessen führen. Es stellt sich deshalb die Frage, wie gruppendynamisch bedingte Konflikte in den Betrieben rechtzeitig erkannt und gelöst werden können.

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