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Читать книгу: «Erzählungen», страница 2

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Der Jockey

Das Rennen nahm ein sehr interessantes und völlig unerwartetes Ende. Nachdem Imperator bis hundert Meter vorm Ziel geführt hatte und der Sieg ihm sicher schien, setzte sich plötzlich Atalanta, die an vierter Stelle lief, von einer wütenden Kraft getrieben, vor und kam in leichtem, scheinbar mühelosem Galopp mit einer Pferdelänge vor Imperator durchs Ziel.

Es war eine ungeheure Aufregung, die Menge drängte an, die Reitknechte sprangen herbei – aber ehe man den Jockey Harsley, der Atalanta geritten hatte, vom Pferde heben konnte, scheute Atalanta, bäumte sich empor und warf den Jockey, der zu geschwächt war, um sich halten zu können, auf den Rasen. Er fiel so unglücklich, daß ein Holzpflock ihm in die Brust drang und er das Bewußtsein verlor. Man schrie nach dem Arzt, nach der Sanitätskolonne, die sofort zur Stelle war und ihn in die Klinik schleppte. Wochenlang rang der Jockey unter entsetzlichen Schmerzen mit dem Tode. Die Lunge wies schwere Verletzungen auf. Er spie Blut. Nacht für Nacht wachte ein Wärter an seinem Bett. Eine Schwester wurde mit ihm nicht fertig, da ihn im Fieber Wutanfälle wie wilde Hunde packten und aus den Kissen zerrten.

Und durch alle seine Fieberträume klang ein Wort, zuerst zaghaft, leise, liebkosend, dann flehender, fordernder: »Tilly«. Und schließlich fand man auch am Tage nur dies eine Wort auf seinen Lippen: »Tilly«. Man versuchte vorsichtig, ihn nach dem Sinn dieses Wortes auszuforschen, aber er erlangte ja nie volles Bewußtsein. »Vielleicht seine Braut«, sagte der Professor. Aber niemand wußte von einer Braut. »Eine Geliebte«, sagte der junge Assistenzarzt und machte ein pfiffig selbstverständliches Gesicht. Man hatte ihn nie wie die andern Jockeys mit Mädchen der Halbwelt oder Damen der Gesellschaft zusammen gesehen. Endlich riet man auf eine heimliche Geliebte. Aber hätte sie sich nicht längst nach ihm erkundigt? Hatte nicht der Unglücksfall, sentimental drapiert, in allen Zeitungen gestanden? Also eine Dame der höheren Kreise, die sich aus dem schützenden Dunkel ihrer Anonymität nicht hervorwagen darf?

Immer stürmischer, klagender, trostloser klang es von den Lippen des Kranken: »Tilly«. In einer größeren Zeitung erschien ein Feuilleton, betitelt »Tilly …«, und dann ein paar Punkte, aber es erfolgte nichts, Tilly machte sich nicht bemerkbar.

Eines Tages, als der Wärter ihm mit einer Trinkröhre das zweite Frühstück – Milch – einzuflößen suchte, sprang er, ehe man ihn halten konnte, aus dem Bette auf, schlug die Glasröhre zur Seite, daß die Milch über das Kopfkissen floß, und lehnte am Fenster. »Tilly«, flüsterte er und stierte hinaus. Unten auf der Straße hatte ein Pferd gewiehert.

Der Wärter meldete dem Professor den Vorfall. Und nun ward es allen klar: er sehnte sich nach einem Pferde namens Tilly. Das war nun bald im Stalle des Herrn v. W., des Brotherrn Harsleys, gefunden. Es war jene Atalanta, die der Jockey für sich Tilly getauft hatte. Und er hatte sie nur für sich so getauft, keiner sonst durfte sie so nennen.

»Wir wollen ihm die Freude gönnen«, sagte der Professor, »er hat sowieso höchstens noch eine Woche.«

Und an einem warmen Morgen fuhr man den kranken Jockey, in Decken gepackt, auf den Hof des Krankenhauses. Ein glasklarer, blauer Himmel wölbte sich über den Gebäuden und glitzerte hinter dem grünen Laub der Linden. Einige Rekonvaleszenten der dritten Abteilung gingen in ihren grauschmutzigen Anstaltskleidern stumm und beschaulich auf den strahlenden Kieswegen.

Plötzlich wurde das Tor am Portierhaus geöffnet und Atalanta von einem Diener hereingeführt. Sie tänzelte mit kleinen, koketten Schritten, schlug mit dem Schwanz und steckte den Kopf steif und gerade in die Sonne. Auf ihrem braunen, glatten Fell spiegelten blitzende Glanzlichter.

Der Jockey hatte die Lider geschlossen.

Als er Atalantas Gang hörte, riß er sie auf und hob freudig die Arme. Nun wieherte sie – ganz nahe bei ihm. Und stand still. Er konnte ihren Kopf greifen. Er zitterte und weinte. Der Wärter richtete ihn in den Kissen auf, da packte er mit beiden Händen ihren Kopf, zog ihn zu sich nieder und küßte ihr breites, heuduftendes Maul, um das in kaum sichtbaren weißen Wölkchen ihr Atem schnob.

»Tilly«, sagte er lächelnd und sank zurück, glückselig aufatmend.

Der Professor gab ein Zeichen: man solle das Tier wieder fortführen. Tilly sah ihn mit einem langen, glatten Blick an und wandte sich scharrend um. Ehe man zur Besinnung kam, schlug sie aus und traf den Jockey mitten auf die Stirn. Er war sofort tot.

»Ein ergreifender Tod«, sagte der alte Professor.

»… von seiner Geliebten ins Jenseits befördert zu werden«, sagte der junge Assistenzarzt und schrieb den Totenschein.

Der Kammerdiener

Im Gefolge des Grafen R., dem sein außerordentliches Vermögen die kostspieligsten Marotten und Vaganzen gestattete, befand sich ein junger Mann, der, anfangs von wenigen beachtet, im Lauf sonderbarer Geschehnisse, die sich erst von rückwärts gesehen als sonderbar herausstellten, für einen Tag wenigstens das Gespräch nicht nur der engeren Umgebung des Grafen, sondern der ganzen Welt bilden sollte. Der Graf hatte ihn auf Grund vorzüglicher Zeugnisse, die er vorwies, als Kammerdiener engagiert. Albert erwarb sich in den ersten Tagen durch seine feinen und stillen Manieren das weiteste Vertrauen des Grafen. Er las ihm seine Wünsche von Blick und Gebärde ab und verrichtete seine Dienste mit fanatischem Eifer, der den Grafen in nicht geringe Verwunderung versetzte, bis er sich allmählich daran gewöhnte, ja die Behutsamkeit und Unaufdringlichkeit seines Wesens nicht mehr entbehren und immer um sich haben mochte. Albert war etwa zweiundzwanzig Jahre alt. Er trug das schwarze, leise bläulich schimmernde Haar in der Mitte gescheitelt, seine hellen Augen wurden von sehr langen Wimpern beschützt, so daß ein scharfer, blitzender Blick zuweilen wie eine Lanze aus dem Dickicht hervorbrach. Die Nase war ein wenig gehöckert: das Gesicht erschien nicht verunstaltet, seine sonst weichen Züge energischer dadurch gezeichnet. Auf der Oberlippe lag ein schwach bläulicher Glanz. Das schönste an ihm waren seine schmalen, kleinen Hände. Der Graf enthielt sich manchmal nicht, sie zu streicheln. »Du bist ein Aristokrat, Albert«, sagte er lächelnd. »Es ist, als wären sie von den Erinnerungen an ihre Väter so krank und blaß.«

»Von ihrer Hoffnung«, erwiderte Albert. Der Graf sah ihn erstaunt an.

Der Graf vertraute Albert auch seine mannigfachen Liebesangelegenheiten. Er gab ihm alle Aufträge mündlich, brauchte nur wenige andeutende Worte zu machen, so begriff ihn Albert völlig. Er war so nicht nur längerer Auseinandersetzungen, sondern auch längeren Nachdenkens, das ihm Albert vordachte, enthoben. Die Mätressen des Grafen sahen den jungen, seiner selbst so bewußten Mann, der wenig redete und immer viel erreichte, nicht ungern. Manch eine verliebte sich in seinen schlanken Gang, der in seiner Gemessenheit etwas Berechnendes, etwas Koketterie offenbarte, und gab ihm verstohlene Winke. Er sah es und lächelte still abweisend und melancholisch.

Eines Morgens, als Albert in das Schlafzimmer des Grafen trat, ihm beim Ankleiden behilflich zu sein, rief ihn der Graf zu sich heran. Er hatte auf der Bettdecke ein rotsamtnes Kästchen liegen, öffnete es durch einen Druck auf einen verborgenen Knopf und entnahm ihm einen goldenen, mit einem riesigen Türkis geschmückten Ring. Ohne etwas zu sagen, griff er nach Alberts Hand und steckte ihn an. Albert zitterte, seine Augen öffneten sich erschreckt, sein Atem keuchte. Dann fiel er vor dem Grafen nieder, Tränen stürzten ihm hervor, und er küßte seine Hände. Dann wieder sprang er plötzlich empor, sah auf den Grafen mit einem entsetzten Blick und stürmte zur Tür hinaus.

Dem Grafen wollte dieser Vorfall einige Tage nicht aus dem Kopf. Derartig überströmende Gefühlsergüsse war er bei seinen Dienern nie gewohnt gewesen, deren Dank für erwiesene Wohltaten sich stets nur äußerlich und kalt gezeigt hatte. War es bei Albert Dankbarkeit, Verwirrung über das kostbare Geschenk, die ihn so aus der Regelmäßigkeit seiner beherrschten und abgezirkelten Bewegungen und Gefühle warfen? Er dachte daran, Albert zu befragen. Er dachte, es wäre psychologisch doch sehr interessant … aber er wagte es schließlich nicht, aus Furcht, ihm unbekannte Wunden seiner Seele ohne Willen aufzureißen. Denn dieser war der erste Diener, der ihm so etwas wie eine Seele zu haben schien. Nach einer Woche hatte er die, wie er endlich meinte, geringfügigen Schmerzen seines Dieners in neuen Abenteuern und Vergnügungen vergessen.

Albert trug den Ring mit einer heiligen Scheu, die ihn nicht aus der Hand gab und auch nicht nachts von den Fingern löste. Vom übrigen Dienstpersonal, von dem er sich, soweit es anging, bisher schon ferngehalten hatte, trennte er sich nun gänzlich, da man, eifersüchtig auf seine bevorzugte Stellung beim Grafen, in groben und gemeinen Worten hinterlistig auf unsittliche Beziehungen zwischen ihm und dem Grafen anspielte. Es tat ihm weh um des Grafen willen, den er so schnöde verdächtigt sah, und er errötete jedesmal heftig, wenn ihm aus dem Hinterhalt wie ein vergifteter Pfeil ein solches Wort zuflog, aber er schwieg dem Grafen gegenüber, um ihm Zorn und Schmerz zu ersparen.

Inzwischen knüpfte der Graf eine Liebschaft an, die ihn in auch bei ihm ungewöhnliche Verschwendung seines Geldes und seiner Kräfte trieb. Er, dessen Alter nun schon auf vierzig ging, steigerte seine Leidenschaft zu solcher Raserei, daß er seiner Sinne nicht mehr mächtig schien und, um ihre Gunst zu gewinnen, Hunderttausende zu opfern bereit war. Vergebens, daß ihm seine Freunde Vernunft zuredeten, vergebens, daß sein Schwager, zugleich sein bester Freund, Baron F. herzureiste und ihn zu besänftigen und ihn mit allen logischen Mitteln von der Torheit zurückzuhalten suchte. Er ließ kein Argument an sich herankommen, und wie ein unreifer, kindisch zum erstenmal verliebter Jüngling hatte er, der in allen Listen und Lüsten der Liebe Umhergetriebene, keine andere Waffe gegen sie als ein monotones: »Ich liebe sie, ich werde sie ewig lieben, und ich gehe ohne sie zugrunde.«

Albert vermittelte auch in diesem Falle die Korrespondenz und die fast täglichen Zusammenkünfte zwischen dem Grafen und seiner Dame. Er machte auch die größten Anstrengungen, das materielle Interesse seines Herrn zu wahren, was ihm nicht nach seiner Hoffnung gelang. Die Dame, Witwe eines mittleren Beamten und aus niederem Stande (ihr Vater hatte eine kleine Brauerei betrieben), war ebenso schön wie leichtsinnig. Sie sah sich durch die Freigebigkeit und willenlose Hingabe des Grafen plötzlich in den Stand gesetzt, alle, auch die unsinnigsten und überflüssigsten Wünsche zu befriedigen, und obgleich sie ihrem Gatten in ihrer sehr kurzen Ehe eine sparsame Hausfrau gewesen war, verlor sie jetzt jegliches Maß und Übersicht und ließ die Goldstücke zu Tausenden durch ihre kleinen Hände rollen. Ein scheinbar unerschöpfliches Vermögen kann so verrinnen wie ein Fluß in der Wüste.

Albert sah, wenn dem Treiben der Dame nicht Einhalt geboten wurde, den Ruin des Grafen voraus und sann, ihn zu retten. Sein Einfluß bei dem Grafen war in diesem Falle sehr gering. Logik verfing nicht. Er sagte: »Gehe ich zugrunde, so gehe ich mit ihr zugrunde.« So mußte er ein Mittel finden, auf die Dame irgendwie einzuwirken. Der Zufall brachte ihm hier erwünschte Hilfe.

Die Dame, der überspannten Liebkosungen des Grafen müde – ihre Liebe zu ihm war ja immer nur recht oberflächlich und durch sein Vermögen sehr mitbestimmt gewesen –, verlangte nach Zerstreuungen und Abenteuern, die alle Theater- und Varietélogen, die ihr der Graf zur Verfügung stellte, nicht gewähren konnten. Da sie täglich Gelegenheit hatte, Alberts sehr bescheidenes, aber unbeugsames Auftreten zu bewundern, das durch die verkniffene Selbstzucht, die er übte, noch gesteigert wurde, argwöhnte sie in ihm, was Bildung in den Dingen der Welt anbetraf, einen ihr Verwandten. Der Graf dünkte sie hin und wieder von einer beängstigenden Feinheit des Geschmacks in Sachen der Kunst, der Musik zum Beispiel, und so fühlte sie sich bald zu Albert im rechten Sinne des Wortes hingezogen. Er hielt ihres Schicksals Fäden in seiner Hand gespannt.

Sobald Albert diese Stimmung der Dame erkannte, war er darauf bedacht, sie zu erhalten und klug zu schüren. Er sah, wenn er mit ihr sprach, ihr gerade und forschend ins Gesicht, und sie sog eine dunkle Wollust aus seinen Blicken, daß sie oft in der Rede stockte und nicht weiter wußte. Er achtete darauf, zufällig ihre Hand zu berühren, was ihre Lippen zittern machte, und trieb sie also in eine Leidenschaft, nicht weniger glutvoll und schrankenlos als die, welche der Graf zu ihr fühlte.

Als Albert die Dame sich fügsam genug glaubte, trat er eines Nachmittags in ihr Boudoir, und ohne weitere Vorrede sagte er ihr mit einer Festigkeit, welche die Traurigkeit seiner Blicke milderte: er wolle ihrer Sehnsucht zu Willen sein, sofern sie sich ihm eidlich verpflichte, er sagte das Wort »eidlich« zweimal, während er auf seine Hände sah, die die Dame mit bangem Entzücken anstarrte, eidlich verpflichte, das Vermögen des Grafen fürder zu schonen und über eine bestimmte Summe monatlich nicht hinauszugehen, indem er ihr die notwendigen Folgen einer weiteren Verschwendung in schwarzen Bildern vor Augen führte. Die Dame, obgleich sie das Erniedrigende ihrer Lage dumpf ahnte, war dennoch von Begierde so geschwächt, daß sie ohne weiteres einwilligte, den ihr vorgesprochenen Schwur nachsprach und weinend, in einen Sessel sank. Albert trat auf sie zu, küßte sanft ihr Haar und versprach, in einer der nächsten Nächte ihr seine Liebe zu schenken. »Gib mir ein Pfand«, sagte sie unter Tränen, da sie fühlte, daß er ihr vielleicht noch entgleiten könnte. Er ließ ihr den vom Grafen ihm geschenkten Ring zum Pfand und verabschiedete sich.

Der Graf erinnerte sich nicht, seinen Diener je so aufgeräumt und fröhlich gesehen zu haben wie diesen Abend beim Auskleiden. Albert erzählte ihm die lustigsten Schnurren von der Umgebung, von den Freunden des Grafen und porträtierte einige in ihren menschlichen Schwächen und Albernheiten so gut, daß der Graf aus dem Lachen nicht herauskam. Am Ende aber wurde Albert ernst, und als er ihm gute Nacht wünschte, war er von heftiger Unruhe befallen. Er zögerte, dann packte er wild die Hand des Grafen und bedeckte sie mit vielen Küssen. Der Graf, dem die Hitze und Inbrunst der Küsse unheimlich vorkam, zog seine Hand schnell zurück.

Am nächsten Morgen trat Albert, der den Grafen noch im Schlafzimmer vermutete, ohne anzuklopfen in sein Arbeitszimmer. Wie Loths Weib blieb er erstarrt am Türpfosten stehen. Er hatte den Grafen und die Dame in einer intimen Liebkosung überrascht. Die Dame, glutrot vor Scham, vor ihrem wirklichen Liebhaber sich so bloßgestellt zu haben, verbarg schluchzend den Kopf in den Kissen des Diwans. Der Graf aber fuhr empört auf, und indem er in seiner Verlegenheit und Wut, daß Albert noch immer in der Tür stand, keine Worte fand, wies er ihn mit hastiger, zorniger Handbewegung, in der der Ekel zitterte, hinaus.

Albert aber stand steif und erstarrt, die Augen gläsern und leer wie zwei tote Kugeln auf den Grafen gerichtet. Dann begann sein Leib zu beben und sich zu krampfen, seine Nasenflügel vibrierten, er riß mit beiden Händen an der Portiere, und mit einem entsetzlichen Schrei biß er sich in sie hinein, um mitsamt der Portiere, die sich von ihrer Stange löste, polternd zu Boden zu fallen.

Der Graf trug die ohnmächtig gewordene Dame in das Nebenzimmer und gab den inzwischen vom Lärm herbeigerufenen Leuten Anweisung, Albert in sein Zimmer zu bringen und sofort einen Arzt zu holen.

Albert lag wie tot auf der Matratze. Vor seinen Lippen schimmerte bläulichweiß ein Anflug von Schaum, die Farbe der Hände und des Gesichts war gelblich-grau.

Der Arzt kam. Bei der Untersuchung war nur der Graf noch zugegen. Als der Arzt Albert das Hemd aufriß, wandte er sich plötzlich mit einem verwunderten und fragenden Blick an den Grafen.

»Es ist ein Mädchen«, sagte er leise.

Da schlug Albert die Augen auf, und als er den Grafen sah, lächelte er ein wehmütiges Lächeln, das um Verzeihung bat: »Der Ring …«

Es war ihr letztes Wort. Am Abend starb sie. Sie hatte den Anblick, den Geliebten leiblich in den Armen eines andern Weibes ruhen zu sehen, nicht überleben können. Für eine Woche bildete das Schicksal dieses Mädchens, von den Zeitungen phantastisch aufgeputzt, das Tagesgespräch der ganzen Welt. Der Graf aber wurde in seinem Tiefsten erschüttert und verfiel in eine Melancholie, aus der ihn kein Weib mehr zu retten vermochte. Er gab ihr den Ring mit ins Grab und mit dem Ring sein eigenes Leben.

Der braune Teufel von Adrianopel

Eine bulgarische Kriegsgeschichte

Also, Kinder, da soll mir keiner etwas vormachen: ich habe bei Lule Burgas mitgeschlachtet und sieben moslemischen Schweinehunden und Antialkoholikern – Wasileff, schmeiß mir mal deinen Schnapsbehälter herüber – die Gedärme aus dem Leibe geholt, bin dann leicht verwundet vor Adrianopel gelegen, bis man sich bemüßigt fand, in meinen Oberschenkel ein Auge zu schießen, blaugrau, mausgrau mit einem schönen roten Streifen und einem eitergelben Rand. Weswegen sie mich denn hier ins Lazarett schleppten, weil ich nicht mehr gehen konnte, ein Haufe warmes Fleisch, sonst nichts. Jetzt fühle ich mich ja wieder wohl, kuhwohl – wenn nur dein Schnaps besser wäre, Wasileff –, aber, beim Barte meines Urahnen: ich möchte nicht noch einmal durchmachen, was ich durchgemacht habe. Wenn die Luft draußen vor Adrianopel auch ein wenig frischer, eigentlich verflucht frischer wehte als dieser dichte, kranke Lazarettstank hier: ich atme ihn wie Rosenodeur ein und fasse meine Eindrücke zusammen in den patriotischen Ruf: ›Hoch Groß-Bulgarien!‹ – aber laßt mich von jetzt ab damit zufrieden. Ich habe meine Schuldigkeit getan. Prost, Wasileff, auf daß Anita und das Vaterland wieder Kinder bekomme!

Aber ich wollte euch noch die Geschichte erzählen, wie mein Oberschenkel plötzlich ein Loch bekam, ein schönes rundliches Loch. Als ich es damals zuerst bemerkte, fiel ich nicht etwa gleich um und um. O nein, meine Brüder, so leicht fällt ein Georgeff nicht, es sei denn, er wäre besoffen. Aber ich war damals alles andere als besoffen. Nüchtern war ich, verflucht nüchtern.

Also, als ich das kleine schwarze Loch sah, dachte ich zuerst, es wäre Spaß, und klebte eine Briefmarke drüber – eine Briefmarke mit dem Bildnis unseres erlauchten Zaren. Ich hatte sie mir für einen Brief an meine Liebste aufgespart – Wasileff, grinse nicht –, nun ergab sich jedoch eine bessere Verwendung dafür. Am Abend wollte ich das Loch, das schöne, kleine, schwarze Loch gerade dem Sanitätssoldaten zeigen, als ich auch schon dalag, einfach dalag. Blutvergiftung, versteht ihr, Blutvergiftung, und es wäre beinah verteufelt abgegangen. Aber der heilige Sebastian hat nicht gewollt, daß ich, ein Georgeff, so schmählich abkratze, und hat mich noch gehalten und Fürsprach eingelegt beim lieben Tode. Und so leb ich denn noch – jenem kleinen braunen Schwein zum Trotz.

Wer aber, meine Brüder, meint ihr wohl, war jenes kleine braune Schwein? Und von wem hab ich wohl den Schuß in den Oberschenkel spendiert erhalten, meine Brüder? War es ein Türke, ein regulärer türkischer Soldat, welcher, von seinem Standpunkt im Recht, meinen geliebten Oberschenkel sich als Schießscheibe erwählt hatte? War es ein lungernder Strolch, welcher mich im Besitze von Reichtümern vermutete und sich als deren Erbe betrachtete? War es ein freundnachbarschaftlicher Serbe, meine Brüder – im Vertrauen, meine Brüder, ich traue diesen serbischen Mißgeburten alles zu und noch einiges außerdem. – Weit gefehlt, meine Brüder … ein Schwein war es, ein kleines braunes Schwein, ein Trüffelschwein sozusagen war es, welches mich in den Oberschenkel schoß. Mit meinem eigenen Gewehr. Jawohl. Und aus zehn Schritt Entfernung. Das nennt man Krieg. Und Kriegesruhm. Also, meine Brüder, um in der ordentlichen Beschreibung der Geschehnisse fortzufahren: es war ein Donnerstag, und ich stand abends auf Vorposten. Ihr mögt es glauben oder nicht, Donnerstag ist für mich immer so eine Art Unglückstag gewesen, und ich hatte schon eine Ahnung, wußte aber natürlich nichts Bestimmtes, insonderheit war mir das kleine braune Schwein noch nicht im entferntesten in den Sinn gekommen. Wunderbar sind die Wege des Schicksals, das man mit Recht den Gott der verzweifelten Menschen nennt.

Ich stand also auf Vorposten, patrouillierte vor der Erdhütte, in der unsere Korporalschaft kampierte, und es pfiff ein verflucht eisiger Wind, der nadelspitze Hagelkörner niederwehte, die sich bis zu einem veritablen Hagelsturm ausbildeten, der in der Dunkelheit – es war elf Uhr – auf mich niederprasselte, daß mir Hören und Sehen verging. Ich mache meine Ronde, entferne mich bis auf hundert, zweihundert Schritte von der Feldwacht – als ich plötzlich ein Wimmern durch den Sturm vernahm, das klägliche Wimmern einer … menschlichen Stimme? Oder war es die Stimme eines Tieres? Diese Ungewißheit machte mich verdammt nervös, und ich beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. Pürschte mich also vorsichtig auf das Geräusch zu. Unaufhörlich dieser bald wimmernde, nun schnaufende, jetzt kreischende Laut … Ganz nah bin ich ihm jetzt.

»Wer da?« brülle ich und spanne den Hahn.

Keine Antwort.

Immer nur das gleiche pfeifende Wimmern, wie wenn eine Lunge sich hinausstößt.

Jetzt bin ich dran und laß meine elektrische Taschenlampe spielen. Und was, meine Brüder, sah ich da? Angebunden mit Stricken an einen Baumstumpf? Eine Ziege? Einen Hammel? Nein, einen Menschen … ein Weib. Jawohl, ein Weib. Schön wie der liebe Gott, mit den Haaren eines Erzengels, aber mit den Augen des Teufels. Den sah ich leider zuerst nicht, weil mich das andere, trotz meiner elektrischen Taschenlampe, blendete. – Ein Weib, in diesem Sauwetter auf offenem Feld, festgebunden an einen Baum. Nur zwei Stunden – und sie erfriert.

Ich, sehr höflich und galant, wie es die Georgeffs von je an sich haben, verbeuge mich und frage freundlich: »Wer bist du, meine holde Taube, mein süßes Schwein?« Ich erhalte keine Antwort, nur einen entsetzten Blick aus wundervollen Augen, so daß mich der letztgenannte Kosename fast reute. »Jungfrau«, fahre ich fort, »wer sind Sie?« Und schneide sie mit dem Bajonett los.

Da wankte sie – konnte vor Kälte und Aufregung kaum stehen – an meine Brust, und nun sah ich, daß es eine Türkin war, eine leibhaftige Türkin, welche natürlich kein Wort unserer ehrenwerten bulgarischen Muttersprache verstand. Ich stützte sie also liebreich, sie erwärmte in meinen Armen merkwürdig schnell, wie ich verwundert konstatierte … und auf einmal kroch sie an mir herauf, aus ihrem kleinen Mund fuhr spitz ihre Zunge empor und küßte und leckte meinen Hals. Das war mir, der ich seit sechs Wochen kein Weib am Busen genährt hatte, nun keineswegs unangenehm. Und ich küßte sie, weil ich sehr groß bin, auf die Stirn. »Hoh«, flüsterte sie auf einmal, »hoh« und zerrte mich am Mantel.

Sie zeigte ins Dunkel.

Sollte sie eine Verräterin sein? dachte ich und folgte vorsichtig. Nach zehn, zwölf Schritten standen wir – was glaubt ihr, meine Brüder, wovor? – vor einem Wagen, einem Wagen mit Verdeck, der da im Drecke steckte. Sie sprang katzengeschwind in den Wagen und unters Verdeck und winkte mir. Ich wie ein Panther hinterher. Lehne mein Gewehr an die eine Seitenwand des Wagens und will sie gerade an mich ziehen – als ich noch einmal wie zufällig ihren Augen begegne. Diese Augen aber stießen mich fast körperlich zurück. Denn ein unauslöschlicher Haß flammte aus ihnen, der mich plötzlich auf den Schlag ernüchterte und mir das Blut in den Adern wie dicke Milch gerinnen ließ.

Kaum hatte das kleine braune Schwein das bemerkt – die Weiber, meine Brüder, haben verdammt feine Instinkte –, als sie nach meinem Gewehr griff und auf mich zielte. Grinsend, höhnend. Ihr glaubt nun, meine Brüder, sie habe nach meinem Herzen oder nach meinem Kopfe gezielt. Weit gefehlt. Ihr kennt das kleine braune Schwein nicht. Nein, sie zielte auf meinen Unterleib, ihr wißt schon, wohin, und es ist allein dem heiligen Sebastian oder der Mutter Maria zu danken, daß sie vorbei und den Oberschenkel traf. Was ich hier des langen und breiter, auseinandersetze, meine Brüder, das ereignete sich in drei Sekunden. Ich sprang sofort zur Seite und suchte ihr seitwärts beizukommen. Zu spät. Der Schuß saß. Und ich Esel hatte ihn wohl verdient. Das kleine braune Schwein aber war im Dunkeln verschwunden. Gottseidank kriegte ich mein Gewehr noch zu packen, sonst wär ich bei meinem Leutnant übel angefahren.

Wer aber glaubt ihr, meine Brüder, daß das kleine braune Schwein war? Man hat sie später gefangen und standrechtlich erschossen. Wißt ihr, weshalb? Dieses Wimmern in der Nacht vor dem Vorposten war ein Trick von ihr, auf das auch jeder Hammel hereinfiel.

Und dann, meine Brüder? Dann übte sie an jedem ihre Kunst des Hasses und der Vernichtung. Womit, meine Brüder? Mit dem Dolch? Mit dem Gewehr, wie bei mir Esel? O nein! Mit ihrem Leibe!! Einfach mit ihrem Leibe!!! Sie hat nicht weniger als fünfhundert der Unsern mit ihrer verfluchten, dreckigen, unheilbaren Seuche angesteckt. Vorsätzlich. Aus Rache. Das nenne ich Patriotismus, meine Brüder. Sie hat exakter gearbeitet als eine Haubitzenbatterie. Das kleine braune Schwein. Der braune Teufel von Adrianopel, wie wir sie dann nannten.

Prost, meine Brüder! Wasileff, dein Schnaps und meine Erzählung ist am Ende.

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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
130 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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