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Memo an den Genossen Xi Jinping: „Vorbereitung auf die große Auseinandersetzung mit Amerika“
1. Januar 2020

In 20 Jahren jährt sich zum 200. Mal der Jahrestag der erniedrigendsten Phase der chinesischen Geschichte. Wir, das chinesische Volk, wurden von den Briten gezwungen, als Bezahlung für unseren kostbaren Tee Opium zu akzeptieren. Wie Genosse Xi sagte: „Der Opiumkrieg von 1840 stürzte China in die Dunkelheit innerer Unruhen und ausländischer Aggression. Das vom Krieg geplagte Volk musste mitansehen, wie sein Heimatland zerrissen wurde, und es lebte in Armut und Verzweiflung.“14 Wir waren schwach. Wir haben 100 Jahre der Erniedrigung erlitten, bis der Vorsitzende Mao bei der Gründungszeremonie für die Volksrepublik China erklärte: „Das chinesische Volk hat sich erhoben.“15

Heute sind wir stark. Keine Macht kann China erniedrigen. Wir befinden uns auf dem Weg zu einer nationalen Verjüngung. Bei der Eröffnung des 19. Parteitags der KPCh inspirierte Genosse Xi uns mit seiner Erinnerung: „Das Hauptthema dieses Parteitags lautet: Die ursprüngliche Zielvorstellung im Kopf behalten, die Mission beherzigen, das große Banner des Sozialismus chinesischer Prägung hochhalten, den entscheidenden Sieg der umfassenden Vollendung des Aufbaus einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand erringen, um große Siege des Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter kämpfen und ununterbrochen nach Verwirklichung des chinesischen Traums des großartigen Wiederauflebens der chinesischen Nation streben.“16

Dennoch sehen wir uns jetzt der größten Herausforderung auf dem Weg zu Chinas Verjüngung ausgesetzt. Wir hatten gehofft, dass das „schöne Land“ weiterschlafen würde, während China aufsteigt. [Anm. d. Übers.: Auf Mandarin heißt Amerika meiguo (), wörtlich „schönes Land“.] Leider jedoch ist es mittlerweile erwacht. Wir müssen uns auf eine intensive Auseinandersetzung in den nächsten paar Jahrzehnten vorbereiten, bevor wir unser Ziel der nationalen Verjüngung erreichen.

Es wäre ein gewaltiger strategischer Fehler, die großen Stärken Amerikas zu unterschätzen. Das chinesische Volk fürchtet Chaos. Es ist die eine Kraft, die China in der Vergangenheit in die Knie gezwungen hat und großes Leid über das chinesische Volk brachte. Ganz offenkundig erleidet Amerika derzeit Chaos. Präsident Donald Trump war eine polarisierende und spaltende Persönlichkeit. Seit dem Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 war die amerikanische Gesellschaft niemals derart gespalten.

Chaos sollte ein Zeichen von Schwäche sein, doch für Amerika ist es ein Zeichen von Stärke. Das Chaos ist die Folge davon, dass die Menschen lautstark darüber streiten, welche Richtung Amerika einschlagen sollte. Dass die Menschen so laut streiten, liegt daran, dass sie glauben, das Land gehöre ihnen und nicht der Regierung. Dieses Besitzgefühl sorgt beim amerikanischen Volk für ein gewaltiges Maß an individueller Befähigung. Die chinesische Kultur schätzt gesellschaftliche Harmonie höher als die Befähigung des Einzelnen. In Amerikas Kultur ist es genau andersherum.

Dieses Gefühl der individuellen Befähigung hat es der amerikanischen Gesellschaft erlaubt, einige der mächtigsten Personen auf dem Planeten Erde hervorzubringen. In vielen Gesellschaften wird der Nagel, der hervorsteht, flach gehämmert. Ein chinesisches Sprichwort besagt: „Ein hoher Baum steht im Wind“ (shù dà zhāo fēng, ) – eine Person in herausragender Position muss sich darauf einstellen, Angriffen ausgesetzt zu sein. In Amerika wird der hohe Baum verehrt. Bei den Amerikanern, die am meisten bewundert und respektiert werden, handelt es sich deshalb um erfolgreiche Individuen wie Bill Gates von Microsoft, Steve Jobs von Apple oder Jeff Bezos von Amazon.

Selbst Mark Zuckerberg und Elon Musk werden weiterhin bewundert, obwohl doch ihre Unternehmen Facebook beziehungsweise Tesla viel Kritik einstecken müssen. Wenn es darum geht, starke Individuen hervorzubringen, verfügt keine Gesellschaft über ein dermaßen förderliches Klima wie Amerika.

Diese große Stärke Amerikas kann unsere Gesellschaft nicht kopieren. Dass sich China nach 100 Jahren wieder erhoben hat, liegt an einer alles überragenden Figur wie Mao Zedong. Amerikas Gesellschaft bringt viele Mao Zedongs hervor.

Amerikas zweiter großer strategischer Vorteil besteht darin, dass das Land Zugriff auf die klügsten Köpfe der Menschheit hat. Mit 1,4 Milliarden Menschen ist Chinas Bevölkerung viermal so groß wie Amerikas, theoretisch kann sich China also aus einem größeren Pool an Talenten bedienen als Amerika. Doch wie Lee Kuan Yew so klug anmerkte, verfügt Amerika über die Fähigkeit, die besten Talente aus der ganzen Welt anzulocken. Anders als die meisten Länder akzeptiert Amerika im Ausland geborene Menschen bereitwillig, wenn diese in Amerika erfolgreich sind. Das ist der Grund, warum in den vergangenen Jahren viele große Unternehmen Chefs hatten, die zwar amerikanische Staatsbürger waren, aber nicht in den USA geboren sind, beispielsweise Indra Nooyi von PepsiCo, Sundar Pichai von Google, Satya Nadella von Microsoft und Andy Grove von Intel. Es ist kein Nachteil, im Ausland geboren zu sein. Ganz anders die Situation in China: Keine größere chinesische Firma oder Institution wird von einer nicht in China geborenen Person geführt.

Amerikas dritter großer strategischer Vorteil sind seine starken Institutionen. Amerika glaubt an die Befähigung des Einzelnen und ermutigt dazu, aber es verlässt sich nicht auf starke individuelle Anführer, sondern darauf, dass starke Institutionen die Gesellschaft schützen. Es war wirklich brillant von den Gründern der amerikanischen Republik, eine Verfassung mit dem System von Checks and Balances zu entwerfen. Präsident und Kongress werden demokratisch gewählt und besitzen viel Macht, aber ihr Handeln wird von anderen Institutionen beobachtet, etwa den freiesten Medien der Welt und dem Obersten Gerichtshof. Als der Oberste Gerichtshof erklärte, das Einreiseverbot, das Präsident Donald Trump gegen Muslime verhängte, verstoße gegen die Verfassung, konnte Trump nicht mithilfe des Militärs das Oberste Gericht stürzen (wie es viele Präsidenten in vielen anderen Ländern getan haben). In Amerika ist die Rechtsstaatlichkeit stärker als die jeweils amtierende Regierung.

Die Stärke der amerikanischen Institutionen und der Rechtstaatlichkeit erklären, warum die ganze Welt dem amerikanischen Dollar vertraut. Auf diesem Glauben an den US-Dollar beruht sein Status als primäre globale Leitwährung. Auf diese Weise kommt Amerika in den Genuss des „exorbitanten Privilegs“, zum Finanzieren seiner Haushaltsdefizite und Leistungsbilanzdefizite einfach Geld drucken zu können. In den vergangenen Jahren hat Amerika darüber hinaus den Dollar als mächtige Waffe dafür eingesetzt, andere Länder zu sanktionieren oder unter Druck zu setzen. China verfügt über keine derartige Waffe.

Unsere Wirtschaft war früher nur ein Zehntel so groß wie die amerikanische. Inzwischen sind es über 60 Prozent.17 Unser Land betriebt mehr Handel mit dem Rest der Welt als Amerika. Wir haben einen Anteil von 10,22 Prozent an den globalen Gesamtimporten und 12,77 Prozent an den globalen Gesamtexporten, während der Anteil der USA an den globalen Importen 13,37 Prozent und an den globalen Exporten 8,72 Prozent beträgt.18,19 Betrachtet man hingegen die globalen Handelstransaktionen, entfallen noch immer 41,27 Prozent aller Transaktionen auf den Dollar, während der Renminbi (RMB) 0,98 Prozent ausmacht.20

Warum ist das so? Weil Länder und wohlhabende Personen an den Dollar glauben. Der Renminbi kann den Dollar bei globalen finanziellen Transaktionen nicht ablösen, denn dazu müssten wir den Renminbi zu einer frei konvertierbaren Währung machen. Dieser Schritt ist auf absehbare Zeit für unsere Volkswirtschaft nicht zu realisieren, insofern wird der Dollar noch auf viele Jahrzehnte hinaus die wichtigste globale Währung darstellen.

Amerikas vierter großer strategischer Vorteil besteht darin, dass das Land über die besten Universitäten der Welt verfügt. In der langen Geschichte der Menschheit waren die erfolgreichsten Gesellschaften stets jene, die unterschiedliche Gedankenschulen gefördert haben.

In Chinas kreativster Periode entstanden viele Gedankenschulen gleichzeitig – Konfuzianismus, Taoismus, Legalismus. Heute ist Amerika weltweit führend, wenn es darum geht, unterschiedliche Ansichten zu fördern. Amerikas Universitäten haben die stärksten intellektuellen Ökosysteme der Welt erschaffen. Diese Kultur, althergebrachtes Wissen infrage zu stellen und zu kritisieren, fördert wiederum Kreativität und Innovation. Auf einem Gebiet nach dem anderen bringt Amerika aus diesem Grund mehr Nobelpreisträger hervor als jedes andere Land. In den 1980er-Jahren gab es eine Phase, da schien es, als ob Japan wirtschaftlich an Amerika vorbeiziehen könnte. Doch selbst auf dem Höhepunkt seiner Erfolge brachte Japan vergleichsweise wenige Nobelpreisträger hervor. An amerikanischen Universitäten lehren Hunderte Wissenschaftler, die mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.

Diese großartigen Universitäten erfüllen eine weitere wichtige Aufgabe für Amerika. Sie sind der Kanal, über den die klügsten Köpfe der Welt angelockt werden, nach Amerika zu kommen, um dort zu leben und zu arbeiten. Diese großartigen Universitäten, Hochschulen wie Harvard, Yale, Stanford und Columbia, schauen, wenn sie Lehrkräfte einstellen, nicht auf die Nationalität oder ethnische Zugehörigkeit einer Person. Sie wählen die Besten ihres Fachs aus, egal woher sie kommen. Wenn es darum geht, Talente aus aller Welt anzulocken und zu halten, können im Rest der Welt nur wenige Universitäten mit den amerikanischen Unis mithalten. Das einzige Land, das eines Tages eine größere Bevölkerung als China haben könnte, ist Indien. China wird nicht imstande sein, die besten Talente aus Indien anzulocken. Amerika ist das gelungen und wird es auch weiterhin gelingen. Das wird eines Tages zu einem symbiotischen Verhältnis zwischen Indien und Amerika führen. Amerika und Indien sind die größten Wettbewerber, mit denen sich China in Zukunft wird auseinandersetzen müssen, und diese beiden Länder finden möglicherweise zusammen und kooperieren. Wir müssen jetzt hart daran arbeiten, dass es nicht so weit kommt.

Amerikas fünfter großer strategischer Vorteil erklärt auch den außergewöhnlichen Erfolg seiner Hochschulen: Amerika ist Teil einer großen Zivilisation – der westlichen Zivilisation.

Seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte war unsere Zivilisation auf Augenhöhe zu vielen westlichen Zivilisationen. Tatsächlich haben wir mehr Produkte erfunden als sie – das Schießpulver, den Kompass, das Papier, die Druckkunst.21 Dennoch fiel unsere Zivilisation hinter den Westen zurück, während dieser die großartige Renaissance durchlebte, die Aufklärung und schließlich die Industrielle Revolution. All dies mündete nach dem Opiumkrieg von 1840 in das große Jahrhundert der Erniedrigung. Insofern wäre es ein strategischer Fehler, die Stärke und die Vitalität der westlichen Zivilisation zu unterschätzen.

Mitglied der großen westlichen Zivilisation zu sein, bringt für das amerikanische Volk viele Vorteile mit sich. Es verleiht ihm ein genauso großes kulturelles Selbstvertrauen, wie es bei unserem Volk der Fall ist. Amerika ist jedoch nicht das einzige Mitglied dieser Zivilisation.

Die großen Staaten Europas sowie Australien, Kanada und Neuseeland gehören ihr ebenfalls an. Insofern wird Amerika bei einer geopolitischen Auseinandersetzung nicht allein dastehen. Zwischen allen Mitgliedern der westlichen Zivilisation herrscht ein großes gegenseitiges Vertrauen und das gilt im Speziellen für die angelsächsischen Mitglieder der „Five Eyes“-Allianz, einer Kooperation der Geheimdienste von Australien, Kanada, Neuseeland, Vereinigtem Königreich und Vereinigten Staaten. Wenn sich der geopolitische Konkurrenzkampf zwischen unseren Ländern aufheizt, werden sich die anderen Mitglieder des Westens hinter Amerika stellen und ihm helfen, indirekt oder direkt.

Abschließend möchte ich sagen: Während wir unser großes Ringen mit Amerika beginnen, wäre unser größter strategischer Fehler der, die Macht und Stärke des Landes zu unterschätzen. Dieses Land tauchte vor 250 Jahren aus dem Nichts auf. Es ist viel jünger als wir. Doch trotz seiner Jugend (oder vielleicht auch deshalb) besitzt Amerika eine der dynamischsten Gesellschaften, die die Menschheit je gesehen hat. Bereiten wir uns auf den größten geopolitischen Wettstreit aller Zeiten vor. Wollen wir unser historisches Ziel erreichen und bis 2049 unsere nationale Verjüngung abgeschlossen haben, werden wir diesen Wettstreit für uns entscheiden müssen.22

Dieses Memo mag fiktiv sein, aber ich denke, es gibt exakt wieder, wie die chinesische Elite Amerika sieht. Es herrscht dort echter Respekt für die großen Stärken, über die Amerika verfügt. Selbst Huawei-Gründer Ren Zhengfei hat öffentlich seinen Respekt für Amerika bekundet, obwohl die Amerikaner seine Tochter verhaftet haben und sein Unternehmen in Amerika massiv Prügel einstecken musste. Infolgedessen wird die chinesische Führung gewaltige Anstrengungen unternehmen, einen ausgewachsenen geopolitischen Wettstreit mit Amerika so lang wie möglich hinauszuzögern. Es ist ein Paradoxon des großen geopolitischen Wettstreits, der sich in den kommenden Jahrzehnten zwischen Amerika und China abspielen wird, dass diese Auseinandersetzung genauso unvermeidlich wie vermeidbar ist. Unvermeidlich ist sie, weil viele der politischen Entscheider, die für das taktische Vorgehen verantwortlich sind, von einer Psychologie besessen sind, laut der Wettbewerb zwischen großen Mächten stets ein Nullsummenspiel ist. Das bedeutet: Wenn China seine Marinepräsenz im angrenzenden Südchinesischen Meer verstärkt, wird die US Navy dies als Niederlage ansehen und ihrerseits ihre Präsenz in der Region verstärken. Ich hoffe, hier aufzeigen zu können, dass es keinen grundlegenden Interessenkonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China gibt, wenn es darum geht, die Freiheit der Schifffahrt in den internationalen Gewässern zu gewährleisten. Tatsächlich hat China sogar ein stärkeres Interesse an der Freiheit der Schifffahrt als Amerika.

Ein zentrales Ziel dieses Buchs ist es, den dichten Nebel der Missverständnisse, der die chinesisch-amerikanischen Beziehungen einhüllt, fortzublasen, damit beide Seiten besser die zentralen Interessen der anderen Seite begreifen (wenn schon nicht gutheißen) können.

Nun sorgt ein besseres Verständnis nicht automatisch für Frieden und Harmonie. Aus rein ideologischen Gründen muss jede amerikanische Regierung Sympathie für die Demonstranten in Hongkong bekunden, die mehr Rechte einfordern. Die öffentliche Meinung in Amerika verlangt, dass die Vereinigten Staaten die Demonstrationen unterstützen. Eine gewiefte amerikanische Regierung sollte der öffentlichen Meinung jedoch als Gegengewicht ein fundiertes Verständnis für die zentralen Interessen der chinesischen Führung entgegenstellen. Ein chinesischer Anführer, der den Anschein erweckt, Schwäche im Umgang mit Territorien zu zeigen, die China im 19. Jahrhundert im Augenblick seiner größten Schwäche entrissen wurden, wird von seinem Volk abgeurteilt werden und rasch sein Amt verlieren.

Insofern hoffe ich, dass die Leser meines Buchs nach der Lektüre ein besseres Verständnis der Dynamiken besitzen, die beide Seiten antreibt. Das Buch lässt Raum für einen möglicherweise optimistischen Abschluss. Wenn wir daran glauben, dass wir in einem Zeitalter der Vernunft leben, in dem nüchterne, rationale Schlussfolgerungen und ein geopolitisches Verständnis für die zentralen Interessen des Gegenübers die öffentliche Politik bestimmen, dann ist es beiden Seiten möglich, eine Langzeitpolitik auszuarbeiten, die verhindert, dass die Länder unaufhaltsam auf einen so schmerzhaften wie unnötigen Zusammenstoß zusteuern.

Eine wichtige Statistik sollten die Anführer in Amerika wie auch in China ständig im Hinterkopf behalten: In Amerika leben 330 Millionen Menschen, in China sind es 1,4 Milliarden. Das sind gewaltige Zahlen, aber die Summe von 1,7 Milliarden macht keine 25 Prozent der Weltbevölkerung aus. Innerhalb der restlichen 75 Prozent ist vielen Menschen inzwischen klargeworden, dass die Menschheit auf einem kleinen, engmaschig verknüpften und stark bedrohten Planeten lebt, von dem wir alle abhängig sind. Insofern wird der Rest der Welt wenig Nachsicht zeigen, sollten Amerika oder China extrem oder irrational handeln.

Amerikas Gründungsväter haben in der Unabhängigkeitserklärung verlangt, dass das amerikanische Volk „Anstand und Achtung für die Meinungen der Menschheit“ zeigt. Wann gab es je einen besseren Zeitpunkt als heute, diesen Rat anzunehmen? Die Welt ist ein komplizierter Ort. Dieses Buch wird die Komplexität durchdringen und Empfehlungen für den Umgang mit ihr abgeben.

Auf dem Weg zum freudigen Zielpunkt dieser optimistischen Schlussfolgerung müssen wir zunächst durch freudloses Territorium reisen. Deshalb befasst sich dieses Buch zunächst mit einer Analyse der wichtigsten strategischen Fehler, die China und Amerika begangen haben. Viele der schmerzhaften Beobachtungen, die ich hier mache, könnten beim chinesischen Publikum genauso für Unbehagen sorgen wie beim amerikanischen. Doch China und Amerika können nur dann lernen, zusammenzuarbeiten, wenn sie erkennen, wo beide Seiten falschlagen. Deshalb wird unsere Reise an diesem Punkt beginnen.

Kapitel 2
CHINAS GRÖSSTER STRATEGISCHER FEHLER

Chinas größter strategischer Fehler bestand darin, mehrere große Wählergruppen in Amerika zu verprellen, ohne sich vorher gründlich zu überlegen, welche Folgen das haben könnte. Professorin Susan Shirk zählt zu Amerikas bekanntesten Sinologinnen. Sie beobachtete, dass niemand China in Schutz genommen habe, als Präsident Trump seinen Handelskrieg gegen China verkündete: „Obwohl die USA und China am Rand einer wirklich feindlichen Beziehung stehen, ist keine Gruppe an die Öffentlichkeit gegangen und hat sich für das amerikanisch-chinesische Verhältnis ausgesprochen, ganz zu schweigen davon, dass jemand China verteidigt hätte. Keine Unternehmen, keine China-Gelehrten und schon gar nicht jemand aus dem Kongress.“1 Ganz anders war das in den 1990er-Jahren, als es darum ging, China vom Meistbegünstigungsprinzip auszunehmen. Damals regte sich an verschiedenen Ecken der Geschäftswelt Protest.

Es überrascht, dass China sich von Amerikas Geschäftswelt derart entfremdet hat. Amerikas Unternehmen konnten und können bis heute gewaltige Gewinne in China erzielen, insofern sollten sie sich zumindest in der Theorie doch vehement für ein gutes Verhältnis zwischen USA und China einsetzen. Tatsächlich verfolgen Amerikas Geschäftsleute keinerlei ideologische Ziele. Was sie interessiert, sind ausschließlich die Geschäftszahlen ihrer Unternehmen. Sie wollen bloß einfachen Zugang zum gewaltigen chinesischen Markt, um dort Umsatz und Gewinne steigern zu können. Zahlreiche amerikanische Unternehmen haben in der Vergangenheit von China profitiert und trotzdem sprang praktisch keines China gegen Trumps Angriffe zur Seite. Was ist da schiefgelaufen? Die Geschichte ist kompliziert. Um zu begreifen, wie es zu dieser Entfremdung mit der amerikanischen Unternehmenswelt kam, sollten wir uns zunächst Erfolgsgeschichten von US-Konzernen wie Boeing, General Motors (GM) und Ford in China ansehen.

Boeing hat enorm vom chinesischen Markt profitiert. Das Unternehmen hat dort über 2.000 Flugzeuge verkauft und der Umsatz in China hat sich von 1993 bis 2017 von 1,2 Milliarden auf 11,9 Milliarden Dollar verzehnfacht, wodurch der Anteil des Geschäfts mit Verkehrsflugzeugen an Boeings Gesamtumsatz von 5,7 auf 21 Prozent kletterte.2,3 Im November 2018 teilte Boeing mit: „Chinas Flotte an Verkehrsflugzeugen wird sich im Verlauf der nächsten 20 Jahre voraussichtlich mehr als verdoppeln. Boeing prognostiziert, dass China bis zum Jahr 2038 7.690 neue Flugzeuge im Gesamtwert von 1.200 Milliarden Dollar benötigen wird.“4 Natürlich hat Boeing durch China gewaltige Gewinne erzielt und viele Arbeitsplätze für amerikanische Arbeitnehmer erschaffen. Genauso wichtig: Die Nachfrage aus China hat Boeing geholfen, raue Zeiten zu überstehen. In einem Bericht heißt es: „Der chinesische Markt gewann für Boeing noch zusätzlich an strategischer Bedeutung, als das Unternehmen in den frühen 1990er-Jahren während einer globalen Rezession gezwungen war, die Produktion zu kürzen und Stellen abzubauen. Inmitten der wirtschaftlichen Flaute blieb das Geschäft in China konstant. 1990 erhielt Boeing einen Auftrag für Flugzeuge im Wert von neun Milliarden Dollar, lieferte 1992 sein 100. Flugzeug nach China und gerade einmal zwei Jahre später bereits das 200. 1993 erwarb China ein Sechstel sämtlicher Flugzeuge, die Boeing verkaufte.“5

Mit Airbus besitzt Boeing nur einen einzigen ernsthaften Wettbewerber auf der Weltbühne, insofern ist der Erfolg auf dem chinesischen Markt wenig überraschend im Vergleich zu dem Erfolg, den Amerikas Pkw-Bauer in China hatten. Amerikanische Automobilhersteller zählen nicht zu den konkurrenzfähigsten der Welt. Selbst auf dem heimischen Markt waren sie in den 1980er-Jahren der Konkurrenz aus Japan dermaßen stark unterlegen, dass sogar Präsident Ronald Reagan, ein eingeschworener Befürworter freier Märkte, der staatliche Interventionen eigentlich verabscheute, die Japaner stark unter Druck setzte, bis sie freiwilligen Exportbeschränkungen zustimmten. Wäre Reagan seiner Ideologie der freien Märkte treu geblieben, hätte er japanischen Pkw-Herstellern uneingeschränkten Zugang zu den amerikanischen Verbrauchern gestatten müssen. Hätte er das getan, hätte es durchaus dazu kommen können, dass die amerikanische Automobilindustrie mit wehenden Fahnen untergegangen wäre.

Warum also haben die vergleichsweise wenig konkurrenzfähigen amerikanischen Automobilhersteller in China derart gut abgeschnitten? Ihr Erfolg ist erstaunlicher und weniger absehbar als Boeings. Insbesondere GM hat eine echte Erfolgsgeschichte geschrieben. 2018 verkaufte der Konzern 3,64 Millionen Fahrzeuge in China, 2017 steuerte der dortige Markt 42 Prozent zum Gesamtumsatz des Konzerns bei.6 2013 nannten das Magazin Forbes und Jonathan Brookfield von der Universität Tufts einen Grund für den Erfolg von GM in China: die Gemeinschaftsunternehmen, die man mit einheimischen Herstellern betrieb. Bei Forbes hieß es: „Partnerschaften vor Ort sind für alle Unternehmen, die ihre Präsenz im Ausland ausbauen, von großer Bedeutung. Das gilt umso mehr in China, wo die einheimischen Partner über enge Verbindungen zur Kommunistischen Partei verfügen – und die bestimmt, wer in welchem Geschäftsfeld aktiv sein wird und für wie lange.“7 Und Brookfield merkt an, dass ein zentraler Baustein für den „langfristigen Erfolg (von GM) in China“ die Partnerschaft von GM mit Shanghai Automotive Industry gewesen sei: „So wichtig war das Geschäft, dass der damalige Vizepräsident Al Gore und Chinas Ministerpräsident Li Peng 1997 bei der förmlichen Unterzeichnung des 50:50-Joint-Ventures anwesend waren. 1999 verkaufte Shanghai GM Buicks so schnell, wie es sie herstellen konnte.“8

Diese Unternehmen hatten sich auf anderen globalen Märkten, wo ein starker Konkurrenzdruck herrschte, nicht etablieren können, warum also gelang das in China? Die glaubwürdigste Theorie für den Erfolg auf dem chinesischen Markt: Chinas Regierung traf aus politischen Gründen die Entscheidung, sich bei der Versorgung seines Volks mit Autos nicht ausschließlich auf Hersteller aus Europa und Japan zu verlassen. Angesichts des komplizierten und häufig belasteten Verhältnisses zwischen China und Japan wäre es politisch nicht tragbar gewesen, dass sich China abhängig von Automobilen aus Japan macht. Insofern wäre es nicht überraschend, sollte die chinesische Regierung die Regeln auf dem Automarkt dahingehend manipuliert haben, dass amerikanische Pkw-Hersteller in den Genuss besonderer Vorteile kamen.

Der Entschluss der chinesischen Regierung, Platz für amerikanische Autos zu schaffen, hat dazu geführt, dass GM und Ford in China gewaltige Gewinne erzielten. Ihre Erlöse auf dem dortigen Markt waren höher als die auf dem US-Markt. CNN berichtete am 7. Februar 2017: „China ist jetzt GMs größter Markt. Das dortige Umsatzwachstum hat den Konzern in eine Größenordnung geführt, die er nicht einmal damals erzielt hat, als er der weltgrößte Pkw-Hersteller war. Während der Absatz des Konzerns in den USA leicht zurückging, der erste Rückgang auf GMs Heimatmarkt seit 2009, meldet GM das vierte Jahr in Folge einen Rekord beim Gesamtabsatz. Der amerikanische Automarkt hat nach sieben Jahren Wachstum in Folge seinen eigenen Rekord aufgestellt, könnte 2016 aber seinen Höhepunkt überschritten haben. Die Rekordabsätze des vergangenen Jahres verhalfen GM mit 12,5 Milliarden Dollar, einem Plus von 16 Prozent, zu einem Rekord beim Betriebsgewinn. Gerade einmal sieben Jahre zuvor hatte GM staatliche Finanzhilfe in Anspruch nehmen und ein Konkursverfahren durchlaufen müssen.“9 Kurzum: China hat mit GM einer der großen Wirtschaftsikonen Amerikas zu neuer Blüte verholfen.

Boeing und GM gehören zu den größten Produktionsunternehmen der amerikanischen Wirtschaft. Sie haben auf dem chinesischen Markt gewaltige Gewinne erzielt, insofern hätten sie eigentlich zu den lautesten Stimmen zählen sollen, die sich für eine Win-win-Beziehung zwischen Amerika und China starkmachen. Tatsächlich war die Geschäftswelt in den USA in den frühen Jahren der chinesisch-amerikanischen Beziehungen zuversichtlich und optimistisch, was China anging. Als Präsident Bill Clinton 1993 versuchte, die Frage, ob China weiterhin in den Genuss des Meistbegünstigungsprinzips („Most Favoured Nation“-Status) kommen sollte, an Menschenrechtsfragen zu koppeln, meldete die New York Times: „Viele amerikanische Unternehmen […] haben im Weißen Haus und im Kongress vehement für eine Verlängerung von Chinas Privilegien geworben und darauf verwiesen, dass Milliarden Dollar in Exporten genauso wie Tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel stünden.“ Weiter argumentierten sie, „wenn man Handelsprivilegien dafür nutze, Menschenrechte und Rüstungsgeschäfte anzusprechen, werde das nur wenig dazu beitragen, die Chinesen zu überzeugen. Einige Manager argumentierten zudem, dass es den Vereinigten Staaten beim Durchsetzen ihrer politischen Ziele helfen könne, wenn man an China verkaufe.“10

Ein anderer Bericht dokumentiert, wie wichtig Boeing dafür war, Chinas Status als „Most Favoured Nation“ (MFN) zu bewahren: „Als sich [in den 1990er-Jahren] Interessengruppen bildeten, die den Kontakt mit China abbrechen wollten, spielten Boeing und zahlreiche andere US-Unternehmen eine zentrale Rolle, als es darum ging, den Kongress davon zu überzeugen, den MFN-Status zu verlängern. Boeing stand an der Spitze der ‚Corporate Foreign Policy‘ und bei einigen als das in Sachen China versierteste Unternehmen im Land und als ‚Quarterback‘ dieser Anstrengungen. Ein Senatsmitarbeiter sagte, Boeing habe auf dem Capitol Hill einen Full Court Press für MFN organisiert.“11 [Anm. d. Übers.: Ein Full Court Press, deutsch auch: Ganzfeldpresse, ist eine Verteidigungstaktik aus dem Basketball.]

Betrachtet man also, mit welchem Engagement sich amerikanische Unternehmen in der Vergangenheit für ein gutes Verhältnis zwischen China und USA eingesetzt haben, ist es wirklich schockierend, was geschah, als Präsident Donald Trump im Januar 2018 überraschend einen Handelskrieg gegen China vom Zaun brach: In der amerikanischen Unternehmenswelt wurden keine einflussreichen Stimmen laut, die versuchten, ihn davon abzubringen. Im Grunde gab es in Amerika praktisch überhaupt keine Stimmen, die versuchten, Trump von seinem Vorhaben abzubringen. Stattdessen stellte Trump (möglicherweise zu seiner eigenen Überraschung) fest, dass er für sein Vorgehen breite und weitreichende überparteiliche Rückendeckung erhielt. Selbst führende Demokraten hießen den Schritt gut. Senator Chuck Schumer sagte: „Wenn es darum geht, wie hart man gegen Chinas Handelspraktiken durchgreift, stehe ich Trump näher als Obama oder Bush.“12 Die Kongressabgeordnete Nancy Pelosi sagte: „Die Vereinigten Staaten müssen gegen Chinas schamlos ungerechte Handelspolitik stark, klug und strategisch vorgehen. Es ist noch deutlich mehr vonnöten, um die ganze Bandbreite von Chinas schlechtem Verhalten abzudecken.“13 Selbst ein gemäßigter und moderater Kommentator wie Thomas Friedman sprach Trump seine Unterstützung aus. Friedman stimmte mit Trump darin überein, dass sich China nicht an die Regeln gehalten habe, und schrieb: „Aus diesem Grund lohnt es, sich auf diesen Kampf einzulassen. Die Tatsache, dass Trump diesen Angriff anführt, sollte nicht davon ablenken, wie wichtig es ist, dass sich die USA, Europa und China auf dieselben Regeln für 2025 einigen – bevor es wirklich zu spät ist.“14

Erstaunlich in diesem Zusammenhang ist, dass die amerikanischen Handelskammern in Schanghai und Peking ihr Leid 2018 öffentlich beklagten. Die amerikanische Handelskammer in Schanghai schrieb 2018 in ihrem China Business Report: „Die Teilnehmer der Befragung glauben, dass die Politik der chinesischen Regierung einheimische Unternehmen begünstigt (54,5 Prozent). 60 Prozent der Befragten sagten, Chinas regulatorischem Umfeld mangele es an Transparenz und es sei keine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr festzustellen. Fehlender Schutz geistigen Eigentums und Durchsetzung entsprechender Bestimmungen (61,6 Prozent), der Erwerb erforderlicher Lizenzen (59,5 Prozent) sowie Datensicherheit und Schutz von Geschäftsgeheimnissen (52 Prozent) stehen ganz oben auf der Liste regulatorischer Hindernisse.“

Im selben Bericht heißt es auch: „Obwohl unsere Mitglieder vergleichsweise optimistisch sind, blicken sie doch verhalten in die Zukunft. Die staatliche Beschaffungspolitik bevorzugt weiterhin einheimische Unternehmen und könnte sogar strenger werden, wenn ‚Made in China 2025‘ und andere politische Initiativen eine Einkaufspolitik festschreiben, bei der einheimische Unternehmen an erster Stelle kommen. In strategisch wichtigen Geschäftsfeldern verspüren amerikanische Unternehmen Druck, sich auf einen Technologietransfer einzulassen. Diese Politik und diese Praktiken fachen wiederum eine Nachfrage nach Gegenseitigkeit im Handelsverhältnis zwischen USA und China an, auch wenn unsere Mitglieder grundsätzlich die Verwendung von Strafzöllen als Vergeltungsmaßnahme ablehnen.“15

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9783864707742
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