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Die zahlreichen in der bisherigen Forschung diskutierten Aspekte der Schriftlichkeit geben Anhaltspunkte für mögliche Attribute eines Frames. Am Schreiben sind diverse Personen beteiligt, wobei mehrere Aufgaben von einer Person ausgeführt werden können: SCHREIBER, KOMPILATOR, KOMMENTATOR, AUTOR und AUFTRAGGEBER. Zu diesen Menschen gehören die Körperteile HAND, AUGE, OHR, ZUNGE und Hirn, als Organ für das GEDÄCHTNIS. Zum Schreiben werden diverse materielle Objekte benötigt wie SCHREIBWERKZEUG, SCHREIBMATERIAL, SCHRIFTTRÄGER, mit denen der Schreiber das SKRIPT produziert. Beim Abschreiben, Kompilieren, Kommentieren, Verfassen und Übersetzen dürfen auch QUELLE, der darin überlieferte STOFF und der zu schreibende INHALT nicht vergessen werden. Zwischen QUELLE und TEXT bzw. SKRIPT steht das GEDÄCHTNIS, in dem Elemente der Vorlage, des Diktats, des Exzerpts, der mündlichen und schriftlichen Quellen abgespeichert werden. Der TEXT besteht aus einem INHALT, einer Form, der TEXTSORTE, und manifestiert sich visuell im SKRIPT, ist aber primär als immateriell einzuordnen, ebenso die SPRACHE und das SCHRIFTSYSTEM. Der AUFTRAGGEBER gibt nicht nur die Arbeit in Auftrag, sondern hat auch Einfluss auf die QUELLE und den INHALT.

Das nachfolgende Analysekapitel beginnt bei der Schrift, d.h. bei den Verben, welche gemäss den obigen Erkenntnissen für das Konzept SCHREIBEN stehen: rísta, rita, ríta, skrásetja und skrifa. Die Lexeme werden alphabetisch angeordnet, was auch die drei Verben dikta, segja fyrir und setja saman betrifft, welche zum Konzept VERFASSEN gehören. Das Verb gera umfasst wahrscheinlich beide Konzepte, weshalb dieses zuletzt analysiert wird.

2. rísta

Das häufigste Verb für das runische Schreiben ist laut Spurkland (1994, 2004) rísta ‚einschneiden, schnitzen, ritzen‘ (vgl. Baetke 2002: 503). Fritzner (1886–96: III, 117) geht auch auf die syntagmatischen Relationen ein, welche in Spurklands Untersuchungen keine Rolle spielen. Er unterscheidet beim Akkusativobjekt zwischen a) „Stedet som gjennemfures“ ‚der Ort, der durchfurcht wird‘ und b) „Retningen eller Virkningen“ ‚die Richtung oder Wirkung‘, wozu er Belege mit dem Thema „rúnar“ ‚Runen‘ anführt. In Fritzner/Hødnebø (1972: 291) wird hervorgehoben, dass rísta oft in Runeninschriften belegt ist.

Der einzige Beleg in Bezug zu etwas Schriftlichem im vorliegenden Korpus befindet sich in der Sturlunga saga und ist nur in Papierabschriften der Reykjarfjarðarbók erhalten: „Þá fanz vísa þessi at Sauðafelli, ristin á kefli: […]“ (StS1 480). ‚Dann wurde diese Strophe in Sauðafell auf einem Holzstäbchen geschnitzt gefunden: […]‘ (Übers. KM). Das Verb rísta ist als Partizip Präteritum ein Attribut zum Substantiv vísa ‚Strophe‘ einem Wert für das Attribut TEXTSORTE. Das Präpositionalobjekt mit á verweist auf das Attribut SCHRIFTTRÄGER mit dem Wert kefli. Im Hauptsatz wird der Ort Sauðafell genannt, wo Órœkja Snorrason durchreist, der auch in der nachfolgend zitierten Strophe vorkommt, so dass dieser wahrscheinlich das Agens ist. Órœkja ist ein Laie und ein Mitglied der Magnatenfamilie der Sturlungen, d.h. er konnte wahrscheinlich lesen und möglicherweise auch schreiben. Für das Attribut SCHREIBER und möglicherweise auch den AUTOR könnte ein im Text nicht explizit genannter Wert sturlungr ‚Sturlunge‘ eingesetzt werden. Im Vordergrund steht hier aber das Herstellen der Inschrift, während die Strophe höchstwahrscheinlich oral konzipiert wurde, so dass die Textsorte hier metonymisch für das SKRIPT steht. Der INHALT der Strophe wird in der Erzählung zitiert. Ihre SPRACHE ist Altisländisch. Es gibt hier keine Anhaltspunkte zum Schriftsystem. Wenn man der Einteilung in runacy und literacy folgt, muss es sich um Runen handeln, es spricht aber nichts dagegen, dass lateinische Buchstaben in Holz eingeritzt werden können. Somit ist hier primär der Schriftträger Holzstäbchen und das Schreibwerkzeug – möglicherweise ein Messer, das von den im Skriptorium gebrauchten Schreibwerkzeugen Feder und Griffel abweicht, für die Wahl des Verbs rísta entscheidend war. Anhand dieses Kontextes kann rísta nur in Bezug auf das Schreibmaterial von rita/ríta unterschieden werden. Die Konstruktion rísta e-t á e-u verbindet die Attribute SCHREIBER mit dem Wert sturlungr, SKRIPT mit dem Wert vísa und SCHRIFTTRÄGER mit dem Wert kefli.

Ein vergleichbares Verb grafa ‚graben; eingraben, -ritzen, gravieren‘ (vgl. Baetke 2002: 207 und Fritzner 1886–96: I, 627f.) befindet sich in der Laurentius saga biskups, wo ebenfalls ein Text in ein hartes Material eingetragen wird. Die A- und B-Redaktion unterscheiden sich hier, so dass beide nacheinander zitiert werden:

A: „enn Lauc(encius) let bua hann og diktade sialfur þau vers sem þar eru grafinn aa“ (LSB 93).Aber Laurentius liess sie [= die Schale] bearbeiten und verfasste selbst die Verse, welche darauf eingraviert sind‘ (Übers. KM).

B: „liet L(aurencius) hann bva Jons bolla Hola biskups […] ok diktad<i> þau uers sem grafinn eru aa honum“ (LSB 93).Laurentius liess ihn [= Stefán Hauksson] die Schale Jóns, des Bischofs von Hólar, bearbeiten […], und verfasste die Verse, welche auf ihr eingraviert sind‘ (Übers. KM).

Das Verb ist in beiden Belegen im Passiv und die Relativpartikel sem, welche auf vers im Hauptsatz, also die TEXTSORTE, verweist, steht als Subjekt. Im Präpositionalobjekt mit á e-u ist der SCHRIFTRÄGER bolli ‚Schale‘ enthalten. Diese Schale ist heute nicht mehr erhalten, kommt aber in drei Güterverzeichnissen der Kirche von Hólar vor (vgl. Grímsdóttir 1998: 365, Anm. 2). Das Agens ist eine Leerstelle, ergibt sich aber aus dem Kontext, nämlich Stefán Hauksson, ein Meister (meistari) in der Goldschmiedekunst, Gravur und dem Zeichnen (vgl. LSB 93). Sein Handwerk impliziert einen Wert Metall, der das Material des Schriftträgers entsprechend einschränkt. Hier ist der SCHREIBER vom AUTOR, der eindeutig der Bischofskandidat Laurentius ist (vgl. Kap. II.5.2.c.), zu unterscheiden. Deshalb muss die TEXTSORTE vers hier wieder metonymisch als SKRIPT verstanden werden. Wie beim Holz wird auch für das Schreiben auf Metall ein anderes Verb verwendet, wobei hier wahrscheinlich nicht mit Runen zu rechnen ist, obwohl es durchaus Runeninschriften in Kirchen und auf liturgischen Gegenständen gibt (vgl. Düwel 2007: 153–166, 172). Dieser Beleg zeigt wiederum, dass die Materialität in der Wortwahl entscheidend ist. Wie rísta e-t á e-u verbindet auch grafa e-t á e-u die Attribute SCHREIBER mit dem Wert meistari, SKRIPT mit dem Wert vers und SCHRIFTTRÄGER mit dem Wert bolli.

Da rísta im vorliegenden Korpus nur einmal belegt ist, lohnt sich ein Exkurs in die von Spurkland (1994, 2004, 2005) untersuchten norwegischen Runeninschriften und ins ONP (rísta). Spurkland zitiert in seinen Untersuchungen einige davon. Die Valenz der Belege ist relativ einheitlich und besteht aus Agens und Thema. Ersteres bezieht sich auf das Attribut SCHREIBER mit drei männlichen Personennamen als Werten (vgl. Spurkland 1994: 8; 2004: 338; 2005: 141). Dazu passt das Appellativ maðr ‚Mann‘ in einem Beleg (vgl. Spurkland 1994: 11). Letzteres enthält in vier Belegen das Wort rúnar ‚Runen, Schriftzeichen‘ (vgl. Baetke 2002: 507), einen Wert für das Attribut SKRIPT (vgl. Spurkland 1994: 8, 11; 2004: 338; 2005: 141). Dass das Präpositionalobjekt á e-u fehlt, erklärt sich durch die unterschiedliche Kommunikationssituation der Inschrift, wo der SCHRIFTTRÄGER bereits vor Augen liegt.

Die Belege aus dem ONP (rísta) stimmen in der Valenz ebenfalls weitgehend überein. Die Konstruktion rísta e-t á e-t/-u verbindet die Attribute SCHREIBER, SKRIPT und SCHRIFTTRÄGER. Für das Attribut SCHREIBER lässt sich ebenfalls der Wert maðr nachweisen (vgl. Einarsson 2001: 144), aber auch kerling ‚Frau‘ (vgl. Jónsson 1936: 250). Der häufigste Wert für das SKRIPT ist ebenfalls rúnar (z.B. vgl. Einarsson 2001: 144 und Jónsson 1936: 250). Rúnar muss nicht unbedingt ‚Runen‘ bedeuten, sondern bezeichnet jegliche Art von Schriftzeichen (vgl. Baetke 2002: 507). In Spurklands Inschriften sind es ganz offensichtlich Runen, in den Belegen aus der Sturlunga saga und den Isländersagas kann dies nicht nachgeprüft werden. Die Textsorten vísa und kvæði lassen sich auch belegen (vgl. Einarsson 2001: 149, Jónsson 1936: 216). Der häufigste Wert als Schriftträger ist kefli (z.B. Einarsson 2001: 149, Jónsson 1936: 203). Diese Belege aus dem 14. Jh. und aus der Zeit um 1500 zeigen, dass der frühneuzeitliche Beleg aus der Sturlunga saga in seiner Valenz und Semantik mittelalterliche Entsprechungen hat. Diese gehen aber noch darüber hinaus. Ausserhalb dieses Kernframes gibt es weitere Ergänzungen, die an andere verba scribendi erinnern: vel für die QUALITÄT (vgl. Jónsson 1936: 216), ein Dativobjekt für den EMPFÄNGER (vgl. Einarsson 2001: 144) oder eptir e-u für die QUELLE, in diesem Kontext das mündliche Diktat einer Person (vgl. Jónsson 1936: 203). In der Valenz und in der Zusammensetzung des Frames unterscheidet sich rísta also nicht wesentlich von den übrigen verba scribendi. Auffälligste Unterschiede sind, wie oben schon festgestellt, die Werte des Attributs SCHRIFTTRÄGER und evtl. des SCHRIFTSYSTEMS, sofern es sich bei rúnar tatsächlich um Runen handelt. Dieser Wert könnte durchaus eine Abweichung vom Default markieren, aber er kommt schon in den Inschriften im älteren Futhark vor, wo er tatsächlich den Defaultwert darstellt. Er dürfte sicher auf die Schriftlichkeit hinweisen, weil diese nicht unbedingt Teil des Konzepts von rísta bildet, das einfach ‚ritzen‘ bedeutet. Somit unterscheidet sich rísta – ähnlich wie grafa – vor allem in der Materialität, nicht nur in Bezug auf den Schriftträger, sondern auch auf die Schreibwerkzeuge. Ausserhalb dieser Materialität und Technik verhält es sich wie andere verba scribendi und weist auch die gleichen Attribute und Ergänzungen auf, wenn auch in einem kleineren Umfang.

3. rita/ríta

Die Verben rita und ríta stehen im Gegensatz zu rísta für das Schreiben mit lateinischen Buchstaben und entsprechen semantisch wohl lat. scribere. Die beiden Verben werden hier zusammengefasst, weil sie nicht in allen Konjugationsformen unterschieden werden können und in den Handschriften die Länge des Stammvokals nicht immer durch einen Akzent markiert ist. Zudem ist ein Teil der Formen ohnehin homophon.1 Die beiden Verben sind laut Baetke (2002: 503) synonym, mit der Bedeutung ‚schreiben, aufzeichnen, berichten‘, „rita/ríta til e-s“ bedeutet ‚an jdn. schreiben‘. Etwas differenzierter ist allerdings Fritzner (1886–96: III, 118f.): Beide Verben teilen bei ihm die Bedeutung ‚schreiben‘ („skrive“). Er führt viele unübersetzte Zitate an, gibt aber keine Anhaltspunkte zu den syntagmatischen Relationen. Abgesehen von „klerkr“ ‚Geistlicher‘ und „ritari“ ‚Schreiber‘ sind nur Personennamen und Pronomina zu finden. Als Thema gibt es „bók“ ‚Buch‘, „bréf“ und „rit“ ‚Brief‘ als Schriftträger, „stafr“ ‚Buchstabe‘ und „orð“ ‚Wort‘ als sprachliche Zeichen, sowie „saga“ ‚Geschichte‘ „þáttr“ ‚Erzählung‘ als Textsorten, sowie „æfi“ und „líf“ ‚Leben‘ als Inhalt. Schriftträger und Texte kommen auch als Ort vor wie „á bók“ ‚auf dem Buch‘, „í sögu“ ‚in der Geschichte‘, „í guðspjöllum“ ‚in den Evangelien‘ und „undir sínum innsiglum“ ‚unter seinen Siegeln‘. Zwei instrumentale Dative verweisen auf den Körper „höndum“ ‚mit den Händen‘ und sprachliche Zeichen „gullstöfum“ ‚mit Goldbuchstaben‘. Die Kausativkonstruktion „láta ríta“ enthält einen König („konungr“) im Subjekt als Auftraggeber.

Das Lemma ríta hat zusätzlich die Bedeutung ‚ritzen‘ („ridse“) mit dem Beispiel „borgarveggi […], er stafsbroddrinn hafði á ritit“ ‚die Stadtmauern […], auf welche die Speerspitze geritzt hatte‘ (Übers. KM). Das Subjekt stafsbroddr ‚Stabspitze‘ ist hier ein Schreibwerkzeug und borgarveggir ‚Stadtmauern‘ in einem Präpositionalobjekt mit á ‚auf‘ der Schriftträger. Das Lemma rita hat dafür die zusätzliche Bedeutung ‚aufschreiben, zählen, rechnen‘ („opskrive, tælle, regne“), welche sich anhand der syntagmatischen Relationen nicht deutlich von ‚schreiben‘ abgrenzen lässt. Entscheidend für die Wahl dieser Bedeutung scheinen die Substantive „fé“ ‚Vieh, Besitz‘ und „tal“ ‚Zahl‘ gewesen zu sein. Verschiedene bekannte Aspekte des Schreibens kommen als Attribute bei rita bzw. ríta in verschiedenen Ergänzungen vor: SCHREIBER als Agens, TEXT und SCHRIFTTRÄGER als Thema oder Ort, SPRACHZEICHEN als Thema oder Instrument, KÖRPER und SCHREIBWERKZEUG als Instrument und AUFTRAGGEBER als Causer. Die zusätzlichen Bedeutungen ‚ritzen‘ und ‚aufzählen‘ sind vom SCHREIBWERKZEUG und SCHRIFTTRÄGER bzw. vom INHALT abhängig, d.h. diese Bedeutungsverengung erfolgt aus den Werten der jeweiligen Attribute. Da Fritzners Zitate nur eine Auswahl darstellen ist es nicht möglich, diese verschiedenen syntagmatischen Relationen, Attribute und Werte zu verallgemeinern, sie geben aber interessante Anhaltspunkte für die weitere Analyse.

Das starke Verb ríta geht etymologisch auf das urnord. *wrītan zurück, das wichtigste verbum scribendi in den Runeninschriften des älteren Fuþarks (vgl. Schulte 2002: 661). Die Verwendung des anord. ríta für das lateinische Alphabet ist wahrscheinlich vom Kognaten aengl. wrītan beeinflusst (vgl. Spurkland 1994: 4–7). Das Verb ist gemeingermanisch und hat neben dem Altenglischen auch die Kognaten as. wrītan und ahd. rīzan (vgl. Blöndal 2008: 767). Das Verb ríta ist seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts handschriftlich belegt. Jedoch sind die meisten dieser Handschriften nur noch in Abschriften erhalten. Der einzige Beleg vor 1200 stammt aus der Handschrift GKS 1812 4to von ca. 1192 (vgl. ONP ríta). Das schwache Verb rita ist erst seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts handschriftlich belegt (vgl. ONP rita) und ist ebenfalls gemeingermanisch mit den Kognaten aengl. writian (vgl. Blöndal 2008: 767) und ahd. rizzōn ‚(an-, ein-)ritzen‘ (vgl. Schützeichel 2004: VII, 454). Alle drei gehen auf urgerm. *writōn zurück. Es handelt sich entweder um eine deverbale Intensitivbildung zu urgerm. *wrītanan oder um eine denominale Ableitung zu urgerm. *writiz (vgl. Orel 2003: 473).

Es lässt sich soweit festhalten, dass die beiden Verben weitgehend synonym sind und sich morphologisch und graphisch nicht immer differenzieren lassen, so dass mit einer Reihe ambiger Belege zu rechnen ist. Ausserdem ist das unterschiedliche Alter der Verben in Betracht zu ziehen. Für die Analyse im Korpus stellen sich folgende Fragen: Wird ríta im Laufe der Zeit von rita abgelöst und kann eine nähere Betrachtung der syntagmatischen und semantischen Relationen die Frage nach der Synonymie beantworten?

3.1. Jóns saga helga

Die Jóns saga helga ist in zwei unterschiedlichen Redaktionen überliefert, die sich im Alter, stilistisch und inhaltlich unterscheiden (s. Kap. I.3.2.). Deshalb werden sie getrennt behandelt. Das Vorkommen gleicher Inhalte erlaubt einen Vergleich, bei dem aber berücksichtigt werden muss, dass die Lexeme unter Umständen nicht die gleichen Konzepte enthalten.

3.1.1. S-Redaktion

In der S-Redaktion ist rita siebenmal belegt, wobei in zwei Belegen auch ríta in Frage kommt. Es gibt jedoch keinen eindeutigen Beleg von ríta, so dass es sich auch bei diesen ambigen Fällen um rita handeln dürfte. Im Folgenden wird in der Analyse eindeutiger Fälle rita bzw. ríta und bei den ambigen rita/ríta geschrieben.

Als erstes soll hier eine ausführlichere Szene betrachtet werden, in der rita zweimal belegt ist: Ein ehemaliger Schüler Bischof Jóns kommt als Priester („prestr“) und guter Schreiber („ritari góðr“) ohne Namen zu ihm: a) „hann hafði með ser bok er hann hafði ritað. ok giorfva presti einvm þeim er þaðan var langtt ibrvt“ (JSH 27). ‚Er hatte ein Buch bei sich, das er geschrieben und für einen Priester gemacht hatte, der weit weg war‘ (Übers. KM). Das aktive Verb rita hat ebendiesen Priester und Schreiber als Subjekt und als Akkusativobjekt bók ‚Buch‘, vertreten durch die Relativpartikel er. Es ist nicht sicher zu entscheiden, ob das Dativobjekt presti einum allein zum Verb gera ‚machen‘ gehört oder auch zu rita. Aus der Erzählung ergibt sich, dass das Buch auf jeden Fall einen Käufer hat, in dessen Auftrag der Schreiber es geschrieben hat. Für den Preis braucht der Schreiber, wie er es mit dem Käufer vereinbart hat, eine Bewertung Bischof Jóns. Das Verb rita rekurriert im folgenden Satz im Passiv: b) „Enn byskvp hyggR at bokinni ok lofvaði miok ok mællti siðan. Goð er þessi bok ok vel ritvð“ (JSH 27f.). ‚Aber der Bischof betrachtete das Buch und lobte es sehr und sprach: „Gut ist dieses Buch und gut geschrieben“‘ (Übers. KM). Das Lexem bók ist nun Subjekt, aber das Verb hat hier noch eine weitere Ergänzung, das Adverb vel ‚gut‘, welches den Modus des Schreibens beschreibt.

Das Verb rita hat in diesen beiden Belegen zusammen vier Ergänzungen, im ersten sind es drei: Subjekt, Akkusativ- und Dativobjekt, welche für die thematischen Rollen Agens, Thema und Dativ stehen, und im zweiten sind es zwei: Subjekt und Adverb, welche für die thematischen Rollen Thema und Modus stehen. Das Thema ist in beiden Belegen identisch. Zu den thematischen Rollen passen vier Attribute im Frame: Der im Kontext als ritari bezeichnete SCHREIBER zum Agens mit einem Wert prestr, der SCHRIFTTRÄGER zum Thema mit dem Wert bók, der AUFTRAGGEBER zum Dativ mit dem Wert prestr und die QUALITÄT zum Modus mit dem Wert vel. Hier lässt sich auch ein erster Constraint feststellen, denn sowohl der SCHREIBER (ritari) als auch der SCHRIFTTRÄGER (bók) haben im Kontext das Adjektiv góðr ‚gut‘ als Attribut, welches als Wert für ein Attribut FÄHIGKEIT im Attributframe des SCHREIBERS und für die QUALITÄT im Attributframe des SCHRIFTTRÄGERS betrachtet werden kann und den gleichen Wert hat wie die QUALITÄT im Frame von rita, denn vel ist das Adverb zum Adjektiv góðr.

Im nächsten Beleg hat rita andere Ergänzungen und die thematischen Rollen sind teilweise verschoben:

c) En hinn næsta dag eptir þaa komv afvnd. heilags J(ons) byskvps þeir menn er þaa vorv nykomnir af hafi ok færðv honvm bok eina. aa þeiri bok var sa atbvrðr ritaðr er aa þessv landi var þaa miok okvnnR (JSH 26).

Aber am nächsten Tag danach kamen jene Leute zu Bischof Jón, die eben gelandet waren, und brachten ihm ein Buch. Auf diesem Buch war jenes Ereignis aufgeschrieben, welches in diesem Land sehr unbekannt war (Übers. KM).

Das Verb ist hier passiv und hat atburðr ‚Vorfall, Ereignis, Vorgang‘ (vgl. Baetke 2002: 30) als Subjekt. Das Präpositionalobjekt mit á þeiri bók ‚auf diesem Buch‘ enthält das Substantiv bók, das oben schon als Thema und Wert für den SCHRIFTTRÄGER vorgekommen ist. Das Thema nimmt bei diesem Beleg hingegen wegen des Passivs die Position des Subjekts. Zum Attribut SCHRIFTTRÄGER mit dem Wert bók kommt nun ein neues hinzu, nämlich der INHALT mit dem Wert atburðr. Der Schriftträger als Ort ergibt bei rita mehr Sinn, weil man ja nicht den Schriftträger schreibt, sondern das Skript. In den vorherigen beiden Belegen verhält es sich eher so, dass bók sich metonymisch vom Schriftträger zum Skript verschoben hat. Der Text wiederum hat einen Inhalt, der beim vorherigen Beleg nicht bekannt ist, aber hier ein Ereignis umfasst, so dass es sich wiederum um eine Metonymie handelt. Der Schreiber des Buches ist dagegen unbekannt, denn er bildet wegen des Passivs im Satz eine Leerstelle und ist auch nicht aus dem Kontext erschliessbar. Das gleiche gilt für die Qualität des Buches. Weil das Buch Jón übergeben worden ist, hat es folglich einen Empfänger bzw. Besitzer, der aber nicht Auftraggeber ist.

Im nächsten Beleg ist das Lexem atburðr wiederum eine Ergänzung von rita/ríta, wobei es sich nicht um dasselbe Ereignis handelt. Wegen des Infinitivs käme hier auch ríta in Frage:

d) þaa heitR diakniN avðrv sinni aa hinn h(eilaga) J(on) byskvp. at syngia hatiðar d(ag) hans allan psalltara ok rita nv atbvrðinn ef heit hans væri heyrtt (JSH 44).

Dann ruft der Diakon ein andermal den heiligen Bischof Jón an, dass er an seinem Festtag den ganzen Psalter singe und das Ereignis aufschreibe, wenn sein Versprechen erhört werde (Übers. KM).

Hier ist rita/ríta Teil eines Infinitivsatzes, dessen Agens identisch mit dem Hauptsatz ist, d.h. der Diakon (djákninn). Das Ereignis (atburðinn) ist Akkusativobjekt und hier wie oben Thema. Das Attribut SCHREIBER bekommt bei diesem Beleg einen neuen Wert djákni, ebenfalls ein Rang eines Geistlichen, während das Attribut INHALT den gleichen Wert atburðr hat. Die Attribute SCHRIFTTRÄGER, AUFTRAGGEBER und QUALITÄT bilden hier Leerstellen, die sich auch nicht mithilfe des Kontextes füllen lassen.

Die beiden nächsten Belege haben die Ergänzung með innsigli ‚mit einem Siegel‘ gemeinsam und stammen aus demselben Kapitel VII, das von Jóns Weihe zum Bischof handelt. Weil sich herausstellt, dass Jón schon einmal verheiratet war, braucht er einen Dispens des Papstes, um zum Bischof geweiht werden zu können. Der Erzbischof von Lund sagt zu Jón: e) „ok ver mvnvm rita með þer með vorv innsigli oc tia pafvanvm þitt mal“ (JSH 14f.). ‚Und wir werden dir ein Schreiben mit unserem Siegel mitgeben und dem Papst deine Angelegenheit darlegen‘ (Übers. KM). Subjekt und Agens ist der Erzbischof von Lund. Dieser wäre folglich der SCHREIBER, allerdings hatten Erzbischöfe Sekretäre, welche die Aufgabe des Schreibens übernahmen (vgl. Ludwig 2005: 150–52), so dass das Agens eher für ein Attribut AUFTRAGGEBER oder ABSENDER steht. Ein Akkusativobjekt fehlt. Im selben Satz ist das Verb tjá ‚darlegen‘ enthalten mit dem Substantiv mál ‚Angelegenheit‘ im Akkusativobjekt, das als Wert für den INHALT stehen könnte, und dem Lexem páfi ‚Papst‘ im Dativobjekt für den EMPFÄNGER. Rita/ríta hat bei diesem Beleg noch zwei weitere Ergänzungen, die Präpositionalobjekte með váru innsigli ‚mit unserem Siegel‘ und með þér ‚mit dir‘. Das Personalpronomen in letzterem verweist auf Jón, welcher den Brief dem Papst überbringt und damit Bote ist. Daraus erfolgt ein neues Attribut BOTE mit dem Wert Jón. Das Siegel ist ein Meronym des SCHRIFTTRÄGERS, der aber eine Leerstelle bildet. Bei innsigli handelt es sich nicht um einen Wert, sondern bezeichnet ein weiteres Attribut SIEGEL. Das Possessivpronomen várr ‚unser‘ determiniert dieses und verweist auf den ABSENDER zurück. Der Wert von SIEGEL ist demzufolge Siegel des Erzbischofs. Der SCHRIFTTRÄGER oder das SKRIPT rit ‚Schreiben, Schriftstück, Brief‘ (Baetke 2002: 503) wird erst bekannt gegeben, als Jón vor dem Papst steht, wo rita bereits ein weiteres Mal eindeutig belegt ist:

f) Ok er *pafvi hafði seeð ritið. þaa veitir hann þat þeckiliga er hann var litillatliga beðin […] ok ritar til hans með sinv innsigli ok gefR honvm leyfvi aa at vigia hinn helga Ion til byskvps (JSH 15).

Und als der Papst das Schreiben gesehen hatte, gewährt er es nachsichtig, worum er demütig gebeten wurde […] und schreibt an ihn [= Erzbischof] mit seinem Siegel und gibt ihm die Erlaubnis, den heiligen Jón zum Bischof zu weihen (Übers. KM).

Subjekt ist der Papst (páfi) und aus den gleichen Gründen wie oben eher ABSENDER als SCHREIBER. Das Akkusativobjekt bleibt wiederum leer, hinzukommt aber das Präpositionalobjekt til hans ‚zu ihm‘, welches wieder auf den EMPFÄNGER des Schreibens, den Erzbischof von Lund referiert. Der INHALT des Schreibens wird wiederum im nachfolgenden Satz paraphrasiert. Das SIEGEL ist ebenfalls in einem Präpositionalobjekt mit með enthalten, determiniert durch das reflexive Possessivpronomen sinn, welches auch bei diesem Beleg auf den ABSENDER páfi zurückverweist, so dass der Wert Siegel des Papstes lautet. Der SCHRIFTTRÄGER bzw. das SKRIPT bréf wird wiederum erst erwähnt, als der BOTE Jón in Lund ankommt (vgl. JSH 15). Die Rollenverteilung unterscheidet sich in diesem Kapitel deutlich von den ersten drei Belegen: Das Agens steht für den ABSENDER. Der geistliche Rang der Person stellt einen Constraint dar, weil ranghohe Geistliche zwar schreiben können, aber über Sekretäre verfügen, welche diese Aufgabe übernehmen. Das leere Thema ist hier möglicherweise das Attribut BOTSCHAFT mit dem Wert mál. Es ist in der Korrespondenz besser von Botschaft zu sprechen als von Inhalt. Im Brieftext ist tatsächlich ein Inhalt festgehalten, jedoch geht es in der Korrespondenz primär um das Mitteilen einer Botschaft in schriftlicher Form. Der SCHRIFTTRÄGER bildet eine Leerstelle, ist aber aus dem Kontext bekannt, mit den Werten rit und bréf. Der EMPFÄNGER ist in der Ergänzung til e-s oder im Dativobjekt enthalten mit den Werten páfi und erkibiskup. Die Ergänzung til e-s erwähnt auch Baetke (2002: 503) für die Korrespondenz. Ausserdem gibt es die Attribute BOTE und SIEGEL im Objekt með e-m bzw. e-u. Die unterschiedliche Konstellation von Attributen hängt mit der Korrespondenz zusammen, worauf insbesondere die Attribute BOTE, EMPFÄNGER und SIEGEL hinweisen. Bei der Korrespondenz ist Schreiben nur eine von mehreren Handlungen. Darauf weisen auch Fillmore/Atkins (1992: 100f.) bei nengl. write to someone hin. Es handelt sich demzufolge um eine Synekdoche.

Der letzte Beleg von rita ist etwas schwieriger zu analysieren, weil es nur eine Ergänzung hat: g) „þat var hinna ellri manna hattR at kenna hinvm yngrvm. En hinir yngri ritvðv þaa er nams varð imilli“ (JSH 21). ‚Es war die Art der Älteren, die Jüngeren zu unterrichten. Die Jüngeren schrieben neben dem Unterricht‘ (Übers. KM). Diese Ergänzung ist das Subjekt hinir yngri ‚die Jüngeren‘, hier wahrscheinlich wieder Wert des Attributs SCHREIBER. Das Adjektiv yngri bezieht sich auf das vorher genannte „menn til læringar“ (JSH 21) ‚Leute zum Unterrichten‘, wodurch ein neues Attribut, der ZWECK ins Spiel kommt, das aber keine Ergänzung von rita ist. Das Schreiben ist bei diesem Beleg Teil der Ausbildung. Darauf verweist auch das im abhängigen Temporalsatz enthaltene mit læring ‚(geistliche) Unterweisung, Unterricht‘ (vgl. Baetke 2002: 397) synonyme Lexem nám ‚Unterricht, Lehre‘ (vgl. Baetke 2002: 437). Die Attribute SCHRIFTTRÄGER und INHALT bleiben leer. Ihre Werte lassen sich jedoch über Constraints inferieren, weil im Rahmen des geistlichen Unterrichts bestimmte Texte abgeschrieben wurden. Der unerfahrene Schüler beschränkt wohl auch die Qualität des Skripts.

Das Verb rita hat in der S-Redaktion folglich zwei Frames:

1 Den Schreibframe evozieren die Konstruktionen rita e-t e-m und rita e-t á e-u. Erstere referiert auf die Attribute SCHREIBER (ritari) als Agens mit den Werten prestr und djákni, AUFTRAGGEBER als Dativ mit dem Wert prestr und SKRIPT als Thema mit dem Wert bók. Nicht zu vergessen ist die QUALITÄT als Adverb mit dem Wert vel. Letztere wiedergibt die Attribute SCHREIBER, der wegen des einzigen Belegs im Passiv eine Leerstelle bildet, INHALT als Thema mit dem Wert atburðr und SCHRIFTTRÄGER als Ort mit dem Wert bók. Da die beiden Konstruktionen zwei verschiedene Attribute verbinden, ergeben sich unterschiedliche Konzepte: rita e-t e-m bedeutet ‚ein Skript für jemanden erstellen‘ und rita e-t á e-u ‚etwas auf einem Schriftträger festhalten‘.

2 Die Konstruktionen rita með e-m / með innsigli sínu / til e-s evozieren hingegen den Korrespondenzframe, welcher aus den Attributen ABSENDER als Agens mit den Werten erkibiskup und páfi, EMPFÄNGER als Ziel (til e-s) mit dem Werten erkibiskup, BOTE (með e-m) mit dem Wert Jón und dem SIEGEL (innsigli). Unsicher sind die BOTSCHAFT mál als Thema und der EMPFÄNGER páfi als Dativ. INHALT und SCHRIFTTRÄGER sind Leerstellen, die sich mithilfe des Kontexts füllen lassen. Für letzteren gibt es die Werte bréf und rit, für ersteren gibt es keine Lexeme als Werte, sondern Sätze. Der SCHREIBER bildet in beiden Belegen eine Leerstelle. Auch für diese Konstruktionen gibt es unterschiedliche Konzepte: rita með e-m bedeutet ‚jemandem einen Brief mitgeben‘, með innsigli e-s ‚einen Brief mit seinem Siegel ausstellen‘ und rita til e-s ‚jemandem schreiben, d.h. einen Brief senden‘.

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