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Als er die Treppe herunterkam, schlug mein Herz sofort schneller. Mit den blonden Haaren, den symmetrischen Gesichtszügen und seiner irgendwie ungewöhnlich perfekten Erscheinung erinnerte er mich nach wie vor an Barbies Ken. Er trug ein ärmelloses weißes T-Shirt, das seine muskulösen braunen Arme unterstrich, und hellblaue Jeans, die seine sportliche Figur betonten. Mit der lässig über die Schulter geschwungenen Tennistasche und dem distanzierten Gesichtsausdruck glich er mehr einem Tennisprofi oder einem Schauspieler als einem australischen Touristen. Sobald er durch den Zoll kam, fielen wir uns in die Arme. Ich war so glücklich, meinen liebevollen Freund wieder bei mir zu haben.

Da die Primarschule Jegenstorf, an der ich nach meinem dreimonatigen Urlaub wieder unterrichtete, noch keine Ferien hatte, war ich tagsüber oft weg. Anfänglich machte ich mir Sorgen, dass Gavin sich allein zu Hause langweilen würde, aber das traf nicht zu, im Gegenteil: Er schien das Alleinsein zu genießen, musste er doch in Australien das Haus mit seinen drei Geschwistern und den Eltern teilen. Er saß auf dem Balkon, hörte Musik und erholte sich. Wenn ich heimkam, gingen wir in den Rapsfeldern spazieren oder spielten im Garten Badminton. Dann kochte ich und machte ihn mit verschiedenen Schweizer Gerichten bekannt. Raclette hatte er gern, aber Fondue mochte er nicht, musste man doch mit den Brotstücken im selben Käse herumrühren wie die anderen, und das fand er schrecklich unhygienisch.

Meine Freunde besuchten Gavin hie und da, wenn sie freihatten. Einmal konnte er mit auf eine Velotour, ein anderes Mal nahm mein bester Freund ihn ein paar Tage mit auf eine Alphütte, wo er lernte, wie man Käse macht. Bei seiner Rückkehr überreichte er mir einen wunderschönen Blumenstrauß, den er selbst gepflückt hatte. Das war etwas Neues für ihn, als Australier war er sonst nicht so vom Blumenpflücken angetan, das war eher etwas für Mädchen. Aber da mein Freund für seine Frau einen Strauß gepflückt hatte, fühlte sich Gavin verpflichtet, auch mir ein paar Blumen zu bringen. Bis heute sind das die einzigen, die ich je von ihm erhalten habe. Er sieht den Zweck von Blumen nicht ein und sagt immer: »Die welken ja ohnehin nach ein paar Tagen.«

An den Wochenenden fuhren wir oft an den See oder in die Berge. Gavin schien das zu genießen, am allerliebsten aber jagte er mich auf dem Tennisplatz herum. Immer wieder war ich erstaunt, wie lange er spielen konnte, ohne müde zu werden. Nach drei Stunden hatte ich mehr als genug, während er den Eindruck machte, problemlos mindestens noch einmal so lange weitermachen zu können. Bereits in der ersten Woche standen wir uns zum ersten Mal auf dem Tennisplatz des TC Thun gegenüber; anschließend wollte ich meiner Mutter meinen australischen Freund vorstellen. Nach drei anstrengenden Sätzen zeigte ich Gavin die Männergarderobe und machte mich unter der Dusche frisch.

Als ich später ins Restaurant kam, hatte er sich noch immer nicht umgezogen. »Hast du vergessen, dass wir heute meine Mutter besuchen?«, fragte ich verwundert. »Nein«, antwortete er fröhlich, machte jedoch keine Anstalten, sich bereit zu machen. Als ich ihn fragte, ob er denn nicht duschen und etwas anderes anziehen wolle, entgegnete er gelassen: »Nein. Ich habe keine frischen Kleider mitgebracht, und ich mag Umkleideräume nicht.« Ich war ehrlich gesagt ein wenig schockiert, wäre es mir doch nicht in den wildesten Träumen eingefallen, ungeduscht und in verschwitzten Tenniskleidern die Eltern eines Freundes zu besuchen. Da ich die Situation jedoch nicht ändern konnte, reichte ich Gavin einfach mein Deo.

Meine Mutter war bezüglich meiner Freunde meist sehr kritisch, von Gavin war sie jedoch von Anfang an begeistert. Sie lachte herzlich über seine Witze, während er seine Bewunderung für ihre Backkünste zeigte, indem er den Kuchen bis zum letzten Krümel aufaß. Ich war stolz auf meinen Australier und glücklich, dass er sich so gut mit meiner Mutter verstand. Beim Abschied schien sie sich nicht einmal mehr darüber zu sorgen, dass ich sieben Jahre älter bin als er. Sie fand ihn einfach intelligent, charmant, witzig und irgendwie harmlos naiv.

Auch meine Schulkinder mochten Gavin, sie liebten seinen Humor und seine unerschöpfliche Energie. Gelegentlich nahm ich ihn mit in die Turnstunde, und wenn er sie beim Fangenspielen herumjagte, quietschten sie vergnügt. Es überraschte mich immer wieder, wie kindlich er sich dabei aufführte. Er war damals zwanzig Jahre alt, aber beim Herumtollen unterschied er sich kaum von meinen Erstklässlern, und nach einer Ballschlacht glänzten seine Augen genauso wie die der Kinder.

Ich kannte viele Leute, und daher waren wir abends oft zum Essen eingeladen. Alle mochten Gavin, weil er sehr witzig und unterhaltend war. Machte er je einen unpassenden Kommentar, lachten sie einfach und dachten, so seien halt die Australier. Gavin war glücklich in seiner Rolle des lustigen Mannes aus Down Under. Er konnte mehr oder weniger machen, was er wollte. Wenn er barfuß in Shorts durchs Dorf ging, lächelten alle und sagten: »Das ist der Australier, der bei Frau Widmer wohnt.« Er hätte ohne weiteres in der Badehose einen Schneemann bauen oder kopfüber von einem Kronleuchter hängen können, die Leute hätten nur gedacht: Was diesem Australier nur wieder einfällt!

Einmal holte mich Gavin von der Schule ab und kam ins Klassenzimmer, als ich mich gerade von der besorgten Mutter eines Schülers verabschiedete. Anstelle von »Goodbye« oder »Auf Wiedersehen« sagte er »Adios amigos« zu ihr. Eine plötzliche Stille füllte den Raum, war dies doch ein Abschiedsgruß, den man für Freunde oder Verwandte verwendet, aber nicht für Unbekannte. Die Mutter schien erst konsterniert zu sein. Dann fiel ihr wohl ein, dass Gavin kein Schweizer war, denn sie lächelte versöhnlich und zwinkerte mir zu. Einmal mehr glaubten wir, dass Gavin sich so ungewöhnlich verhielt, weil er Australier war.

Auch mein Bruder mochte Gavins Humor und Unbeschwertheit. Eines Abends waren wir bei ihm und seiner Frau zum Abendessen eingeladen. Ursprünglich wollte ich eine gute Flasche Wein mitbringen, aber Gavin bestand auf einer großen Schachtel Schokoküsse. »Wein mag ich nicht«, erklärte er, »Schokolade schon.« In Australien war es damals nicht üblich, Gastgebern ein Geschenk mitzubringen. Vielmehr trug man etwas zum Essen bei, nahm zum Beispiel einen Salat oder ein Dessert mit. Ich war deshalb einverstanden. Aber als Gavin bereits im Zug ein paar Schokoküsse aß, war ich schockiert. Er lächelte nur nonchalant und meinte: »Sie werden uns die nachher ohnehin anbieten, warum soll ich dann nicht jetzt schon ein paar davon essen?« Am liebsten hätte ich die Schachtel versteckt und meinem Bruder nichts mitgebracht, aber Gavin wollte nichts davon wissen. Als er später meiner Schwägerin die Süßigkeiten überreichte, blieb mir keine andere Wahl, als mich einfach für die angebrochene Schachtel zu entschuldigen. Zu meiner Erleichterung fand mein Bruder das Ganze jedoch höchst witzig und lachte nur fröhlich.

Als endlich Sommerferien waren, liehen wir uns von Freunden ein Zelt aus und fuhren zusammen nach Korsika. Es war wunderschön. Wir spielten Tennis, schwammen im Meer und gingen abends essen. Gavin war nach wie vor aufmerksam, aber ich wunderte mich immer wieder, wie selten er Freude oder Aufregung zeigte. Ich selbst war sehr leicht zu begeistern. Sahen wir einen schönen Sonnenaufgang, konnte ich richtig ausflippen, Gavin jedoch schien von so etwas kaum berührt. Sagte ich: »Wow, das ist ein super Sandstrand und dort verkaufen sie auch die Eiscreme, die wir so lieben«, nickte er bloß und sagte: »Ja.« Gefühlsausbrüche lagen ihm fern, außer auf dem Tennisplatz. Nach einem guten Ballwechsel strahlte er wie ein Kind und redete nachher noch stundenlang von seinem gelungenen »Topspin« und dem gut platzierten »Lob«. In allen anderen Situationen hielt er seine Gefühle unter Kontrolle und schien in Gedanken oft woanders zu sein. Gern hätte ich gewusst, wo, war mir aber sicher, dass ich ihn mit der Zeit besser kennen lernen würde.

Eines Abends in einem Restaurant in der Hafenstadt Calvi änderte sich sein Verhalten plötzlich. Wir hatten eine Pizza bestellt, und als der Kellner sie brachte, schaute Gavin sie kritisch an. »Es ist zu wenig Schinken darauf im Verhältnis zum Käse«, sagte er gereizt. »Außerdem ist die Pizza zu klein und der Rand leicht angebrannt.« Ich war verwundert. In meinen Augen unterschied sich diese Pizza nicht von den anderen, die wir bisher gegessen hatten. Und ehrlich gesagt genoss ich einfach den Mondschein auf der Restaurantterrasse, und das Schinken-Käse-Verhältnis fiel mir in keiner Weise negativ auf. Gavin fing an zu essen, aber mit jedem Bissen verschlechterte sich seine Laune. Schließlich nahm er die ganze Pizza, stürzte sie kopfüber auf den Tisch und beschwerte sich lauthals auf Englisch über die miserable Qualität und den Preis. Ich traute meinen Augen nicht, hatte ich doch Gavin bisher nur ruhig und nett erlebt; dass er sich so grauenhaft über eine Kleinigkeit aufregen konnte, hätte ich nie gedacht. Zum Glück sprach ich recht gut Französisch und konnte mich beim Kellner für sein Benehmen entschuldigen. Das Ganze war mir unverständlich und äußerst peinlich, zerstörte es doch die romantische Atmosphäre des kleinen Hafenrestaurants. Gavin fühlte sich jedoch in keiner Weise schuldig. Was verlangten die auch so viel Geld für dieses erbärmliche Stück Teig mit der unausgewogenen Schinken-Käse-Mischung!

Auf dem Heimweg ereiferte er sich noch einmal im Detail über die Unverschämtheit des Restaurants. Was glaubten die ihren Gästen vorsetzen zu können! Während ich lieber den schönen Abend genossen hätte – eine Pizza blieb doch immerhin eine Pizza –, war für Gavin offensichtlich die Qualität einer Speise, deren Geschmack und Textur vorrangig. Das merkte ich auch später immer wieder. Zurück beim Zelt, hatte er sich aber wieder beruhigt.

Zwei Tage bevor unsere Ferien in Korsika zu Ende waren, saßen wir in einem kleinen Restaurant am Strand und wurden uns plötzlich bewusst, dass Gavin bald die Rückreise nach Australien antreten musste. Der Gedanke an einen erneuten Abschied fiel uns schwer; wussten wir doch, dass es dieses Mal länger dauern würde, bis wir uns wiedersahen. Wir hatten die drei Monate zusammen sehr genossen und konnten uns nicht vorstellen, wieder auf verschiedenen Kontinenten zu leben.

»Willst du mich heiraten?«, fragte Gavin plötzlich, und ich verschluckte mich vor Überraschung fast an meiner Cola. Da war kein unnötiges Drumherum, kein Ring und kein Sich-auf-die-Knie-Werfen, einfach bloß eine schlichte Frage an einem schönen Strand. Ich schaute ihn an, wie er so vor mir saß mit seinen grünen Augen, den blonden Haaren und der braun gebrannten Haut; dann sagte ich einfach Ja. Wir waren beide jung und verliebt und hatten keine Ahnung, was eine Ehe an Pflichten und gegenseitigen Erwartungen mit sich bringen würde. Wir wussten nur, dass wir uns nicht wieder trennen wollten.

Ich überlegte damals nicht, dass mein Entschluss einen Landeswechsel bedingen würde und dass ich somit Abschied nehmen musste von meiner Familie, meinen Freunden, meinem Beruf und meiner Heimat. Später, als alles so schwierig wurde und ich im fernen Australien so schrecklich Heimweh bekam, fragte ich mich immer wieder, warum ich damals so unbesorgt alles aufgegeben hatte für einen Mann, den ich kaum kannte. Über alle Bedenken und Warnungen hatte ich nur gelacht, zu groß war der Reiz, in einem fernen Land zu leben, dessen Natur mich faszinierte. Angst hatte ich keine und als Optimistin auch nicht den geringsten Zweifel, dass Gavin sich gut um mich kümmern würde.

Wir haben alle Stärken und Schwächen. Meine Schwäche liegt darin, dass ich im Leben oft kopflos meinem Herzen folge. Ich bin wie ein Schmetterling, fliege von Blume zu Blume, genieße den Duft, die frische Luft und die Freiheit, ohne mir große Gedanken zu machen, wohin mich mein Weg führt. Lande ich mal in einer dunklen Ecke des Gartens, ändere ich einfach meine Richtung und fliege wieder ans Licht. Werde ich nass, schließe ich meine Flügel für eine Weile und warte, bis die Sonne wieder scheint. Gavin hingegen überlegt sich seine Entschlüsse sehr genau. Er ist wie ein Zug, der exakt von einer Station zur nächsten fährt. Jede Weichenstellung ist gut durchdacht und geplant.

Als ich mich vor 27 Jahren entschloss, Gavin zu heiraten und mit ihm nach Australien auszuwandern, hatte ich keine Ahnung, dass mich mein Schmetterlingsverhalten gerade in einen ganz düsteren Teil des Gartens führte, aus dem ich jahrelang nicht zurück an die Sonne finden würde. Damals am Strand in Korsika legte ich einfach glücklich meine Hand in die von Gavin und freute mich auf unser gemeinsames Leben.

6

Wieder zu Hause, erzählte ich allen von unseren Hochzeitsplänen. Meine Freunde freuten sich zwar für uns, schienen jedoch überrascht von unserem Entschluss, so schnell heiraten zu wollen; schließlich kannten wir uns erst seit fünf Monaten. Verliebt und begeistert von der Idee, nach Australien auszuwandern, ignorierte ich ihre besorgten Blicke und fing an, die bevorstehende Hochzeit zu planen. Erst Jahre später wurde mir bewusst, dass mein damaliger Entschluss für meine Mutter sehr schmerzhaft gewesen sein musste, hatte sie doch erst zweieinhalb Jahre zuvor ihren Mann verloren. Als Gavin und ich ihr mitteilten, dass wir heiraten und anschließend in Australien leben wollten, zeigte sie aber weder Trauer noch Schmerz, sondern nur Freude. Gavin machte mich offensichtlich glücklich, und das bedeutete ihr viel.

Ein großes Hochzeitsfest wollten wir alle nicht. Ohne meinen Vater konnten wir uns so etwas gar nicht vorstellen. Nur ein paar Monate vor seinem Tod hatte er gesagt: »Wenn du einmal heiratest, Katrin, dann machen wir ein Riesenfest.« Wir beide liebten solche Anlässe und freuten uns damals bereits gemeinsam auf eine schöne Feier mit vielen Gästen, toller Musik, witzigen Reden und fröhlichem Gelächter. Nach seinem Tod hatte ich keine Lust mehr darauf – ohne ihn wäre es wie eine Torte ohne Zucker gewesen. Später habe ich mich oft gefragt, ob er mich wohl so einfach nach Australien hätte ziehen lassen. Ich werde es nie erfahren; aber wäre ich damals nicht ausgewandert, wüsste ich nicht, was ich heute weiß, und hätte wohl auch nie als psychologische Beraterin so vielen Leuten geholfen.

Gavin und ich entschlossen uns für eine schlichte Trauung mit anschließendem Aperitif. Seiner Familie war es leider nicht möglich, an der Feier teilzunehmen, da die Reise von Australien zu weit war und die Mutter gerade gesundheitliche Probleme hatte. Ihm schien ihre Abwesenheit nichts auszumachen. Am 23. Oktober 1987 heirateten wir auf dem Standesamt in Jegenstorf, und eine Woche später fand in Thun die kirchliche Trauung statt.

Die Scherzligkirche war zum Platzen voll mit Leuten, die den schönen Tag mit uns verbringen wollten. Glücklich, meine Schüler, meine Freunde und meine Verwandten unter den Gästen zu sehen, wusste ich nicht, ob ich vor Aufregung zitterte oder wegen des sommerlichen Hochzeitskleids, das ich von einer Freundin ausgeliehen hatte – mir war damals nicht bewusst gewesen, wie kalt es im Oktober in der Schweiz schon sein konnte; ich hatte mich einfach darüber gefreut, dass mir das hübsche Kleid so gut passte.

Endlich war es so weit: Die Orgel fing an zu spielen, und Gavin und ich machten uns auf den Weg zum Altar, wo der Pfarrer auf uns wartete. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was in diesem Moment in mir vorging, aber ein lieber Freund schickte mir später eine Karte, in der meine Gefühle bestens beschrieben waren: »In deinen Augen spiegelte sich eine solch tiefe Freude, wie ich sie noch nie bei jemandem gesehen habe. Du hast ganz eindeutig die Liebe deines Leben gefunden, Katrin.« Er hatte recht, ich war sehr glücklich an diesem herbstlichen Tag in der kleinen Kirche am Thunersee. Am Arm von Gavin und im Kreis meiner Lieben fühlte ich mich warm und geborgen. Erst sangen meine Schüler englische Lieder, dann hielt der Pfarrer eine wunderschöne Predigt. Schließlich war es Zeit für das Jawort.

Zuerst fragte der Pfarrer mich, und ich sagte ohne zu zögern Ja. Als er Gavin auf Englisch die gleiche Frage stellte, gab er keine Antwort. Eine peinliche Stille breitete sich in der Kirche aus, und die Gäste hielten gespannt den Atem an; aber Gavin sagte immer noch nichts, sondern runzelte nur die Stirn, als ob er das Ganze noch einmal überdenken müsste. Der Pfarrer sah ihn verwundert an, räusperte sich und wollte gerade zum zweiten Mal fragen, als Gavin nach einem tiefen Seufzer endlich »Okay« sagte. Nicht »Yes« oder »I will«, sondern einfach »Okay«. Dann riss er mich in die Arme und küsste mich so inbrünstig und wild, dass meine arme Großmutter fast vom Stuhl fiel. Ein Aufatmen ging durch die Menge, und ich fragte mich, warum er sich wohl so komisch verhalten hatte. »Ich wollte deinen Bruder zum Lachen bringen«, erklärte er mir später, »ich weiß doch, wie sehr er meine Witze mag.«

Damals hatte ich keine Ahnung, warum Gavin so total unberührt schien von den Festivitäten. Er war zwar fröhlich und nett, aber in keiner Weise anders als an jedem anderen Tag. Ich selbst war zu Tränen gerührt, als wir aus der Kirche traten und unter einem Tor aus Rosen durchschritten, das meine Schüler gemacht hatten. Es gab für mich nichts Schöneres, als diesen Tag mit meinen Lieben zu verbringen.

Nach der Hochzeitszeremonie spazierten wir zum Aperitif in den Schadaupark. Als wenig später die Sonne über dem See unterging, sah ich glücklich meinen neuen Ehemann an und freute mich auf unser gemeinsames Leben. Meine Freunde waren nach wie vor ein wenig besorgt und fragten mich, ob ich denn keine Bedenken hätte, in ein Land zu ziehen, wo ich außer Gavin niemanden kannte. Ich aber lachte nur und sagte, dass ich sie zwar sehr vermissen würde, wir uns aber doch gegenseitig besuchen könnten. Angst vor dem bevorstehenden Abenteuer hatte ich keine, im Gegenteil. Ich träumte von einem schönen Haus am Meer, einer großen Familie und vielen tollen Erlebnissen mit Gavin. Nie hätte ich mir vorstellen können, wie sehr mir meine Familie und meine Freunde einmal fehlen würden.

Da wir nach der Trauung kein formelles Hochzeitsfest hatten, wollte ich eine Woche später eine Waldhüttenparty für meine Freunde und die Familie geben. Als begeisterte Köchin hatte ich mir vorgenommen, die Speisen alle selber zuzubereiten. Das war zwar eine Riesenaufgabe, aber eine, die ich mir ohne weiteres zutraute. Es war ja nicht mein erstes Fest, im Gegenteil, ich feierte meine Geburtstage meist im Freundeskreis und genoss es von ganzem Herzen, gesellige Abende zu organisieren. Schon Wochen vorher hatte ich mit den Vorbereitungen begonnen. Etliche Kuchen und Desserts waren bereits in der Tiefkühltruhe und warteten bloß noch darauf, dekoriert zu werden. Am Vorabend des Festes bereitete ich dann die Salate und Aperitif-Häppchen zu. Da ich immer noch unterrichtete, musste ich meine Zeit sorgfältig einteilen, damit alles rechtzeitig fertig wurde. Gavin hatte einige Wochen zuvor einen Job als Kellner angenommen. Ich verstand, dass ihn die neue Arbeit ermüdete, hoffte aber trotzdem auf ein wenig Mithilfe am Tag unseres Festes. Nach der Schule bereitete ich noch einige Dips und Kleinigkeiten vor. Anschließend fuhr ich mehrere Male in die Waldhütte, um die Speisen dort kühl zu stellen. Dann war es Zeit, den Raum zu dekorieren und Holz für den Kamingrill zu organisieren.

Gavin hatte am Morgen auch gearbeitet und sich danach einfach ins Bett gelegt. Als Kellner musste er sehr viel umherlaufen und alle Bestellungen im Kopf behalten, daher ließ ich ihn erst mal ein wenig ausruhen. Nach einer Stunde fragte ich ihn, ob er mir helfen könne, worauf er sagte, er sei immer noch müde. Geduldig ließ ich ihn weiter im Bett liegen und versuchte es dann ein zweites Mal, aber wieder ohne Erfolg. »Du hast diese Party organisiert, jetzt musst du auch die Arbeit machen», brummte er. Das war korrekt, ich wollte dieses Fest feiern, aber natürlich hatte ich angenommen, er freue sich auch darauf und würde sich zumindest am Schluss an den Vorbereitungen beteiligen. Damit, dass ich alles selber machen musste, hatte ich nicht gerechnet, schließlich waren wir doch jetzt ein Ehepaar!

Gavins Erschöpfung nach ein paar Stunden Arbeit war mir ein Rätsel. In Anbetracht seiner Fitness und seiner erst zwanzig Jahre musste das eine Ausrede sein. Offensichtlich freute er sich nicht auf das Fest und hatte daher keine Lust, mir zu helfen. Ich fand das sehr traurig, aber letztlich blieb mir nichts anderes übrig, als die Vorbereitungen allein zu Ende zu führen. Als ich später unter der Dusche stand, war ich so müde, dass ich am liebsten auch einfach ins Bett gefallen wäre. Der Gedanke an meine Freunde gab mir schließlich die Kraft, mich anzuziehen und mich mit Gavin auf den Weg ins Schulhaus zu machen, wo der Abend mit einer Diaschau über Australien begann. Anschließend fuhren wir alle ins Waldhaus und aßen und lachten bis in den frühen Morgen. Tanzen konnten wir leider nicht, da etwas mit dem Soundsystem nicht funktionierte, aber das machte nichts; ehrlich gesagt wäre ich ohnehin zu müde gewesen. Ein paar Gäste spielten Gitarre, und ich fühlte mich im Kreise meiner Freunde wie immer glücklich und geborgen. Gavin schien auch wieder fröhlich, und die komische Situation am Nachmittag trat mehr und mehr in den Hintergrund. Damals hatte ich sowieso die Tendenz, alles, was mich beunruhigte, zu übersehen und darauf zu vertrauen, dass Gavin mich liebte. Das fiel mir in der Schweiz sehr leicht.

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9783037635780
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