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2.1.1 Die Beziehung zwischen ÄrztIn und PatientIn

Im Rahmen medizinischer Interaktionen sind ÄrztInnen zumeist formal und inhaltlich mächtiger als ihre PatientInnen (vgl. Bechmann 2014: 129ff., Angelelli 2019: 44ff.). In dieser asymmetrischen Gesprächssituation, die von zeitlichem Druck und Wissensunterschieden geprägt ist, versuchen PatientInnen als „gleichberechtigte Gesprächspartner“ (Bechmann 2014: 129) akzeptiert zu werden. In der Literatur zur medizinischen Kommunikation werden verschiedene Modelle der ÄrztInnen-PatientInnen-Beziehung vorgestellt, die vom Rollenverständnis der MedizinerInnen abhängen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Modellen bestehen in der Art der Entscheidungsfindung und der Wahrscheinlichkeit einer compliance oder adherence. Bechmann (2014: 139) beschreibt folgende Beziehungsmodelle: das paternalistische Modell, das abwägende/partnerschaftliche Modell, das interpretative Modell, das informative Modell und das partizipative Modell. Im paternalistischen Modell ist die Asymmetrie besonders stark ausgeprägt. Die PatientInnen werden als Hilfesuchende gesehen, die die autoritären Entscheidungen der ÄrztInnen zu befolgen haben. Dieses Modell ist durch eine auf das Minimum reduzierte Kommunikation (vgl. auch Koerfer/Albus 2015: 123) und eine direktive Gesprächsführung (vgl. Bechmann 2014: 132) gekennzeichnet. Am anderen Ende dieses Kontinuums befindet sich das informative Modell. Hier steht die Entscheidungsfindung den PatientInnen zu, während die ÄrztInnen ExpertInnen sind, die ihre therapeutische Dienstleistung zur Verfügung stellen und die PatientInnen beraten sollen. Das abwägende und das interpretative Modell sind durch eine Begegnung der AkteurInnen auf Augenhöhe gekennzeichnet: In Ersterem werden die Entscheidungen von den ÄrztInnen auf Basis eines kooperativen Dialogs getroffen, während in Letzterem die PatientInnen aufbauend auf der ärztlichen Beratung entscheiden. In der Mitte des Kontinuums befindet sich das partizipative Modell, in welchem im Sinne der biopsychosozialen Medizin ein Austausch von Informationen zwischen den Gesprächsteilnehmenden erfolgt und die PatientInnen in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. „Das Ziel dabei ist es, in einem mehrstufigen Prozess gemeinsam Therapieziele festzulegen und auch gemeinsam zu verantworten“ (Bechmann 2014: 136; Hervorhebungen im Original). Dieses Modell ist auch unter der englischen Bezeichnung shared decision making bekannt und ist interaktiver und narrativer als die anderen Modelle des Kontinuums.

Der Paradigmenwechsel von der biotechnischen zur biopsychosozialen Medizin führte auch zu einer neuen Definition der Kommunikationsbasis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen (vgl. Kaba/Sooriakumaran 2007, Koerfer/Albus 2015: 118). So hat sich die Medizin in den letzten Jahrzehnten vom paternalistischen Modell verabschiedet und das partizipative Modell, das die/der PatientIn als „patient-as-person“ (Kaba/Sooriakumaran 2007: 61) betrachtet, hat sich als Maßstab etabliert.1 Im partizipativen Modell wird zu PatientInnen sowohl im Rahmen der Anamneseerhebung als auch bei der Exploration der subjektiven Einstellungen der PatientInnen gegenüber den möglichen Behandlungen ein narrativer Zugang gesucht (vgl. Koerfer/Albus 2015: 118). Ein solcher Zugang kann nicht mehr mithilfe stark interrogativer Interviews gefunden werden, „sondern sie müssen oft erst im Dialog […] aktiv entwickelt und gegebenenfalls je nach Krankheitsverlauf gesprächsweise überprüft und korrigiert werden“ (Koerfer/Albus 2015: 118). In diesem Zusammenhang heben Elwyn et al. (2012: 1364ff.) folgende drei Schritte, die im Rahmen eines partizipativen Modells berücksichtigt werden sollten, hervor: choice talk, option talk und decision talk. Im ersten Schritt sollen PatientInnen über alle verfügbaren Behandlungsoptionen informiert werden; im zweiten Schritt sollen PatientInnen weiterführende Informationen zu den Optionen erhalten. Im letzten Schritt sollen PatientInnen bei der Entscheidung über die beste Option unterstützt werden.

2.1.2 Institutionelle Kommunikation und Struktur der medizinischen Gespräche

Als Form der institutionellen Kommunikation findet die Kommunikation zwischen ÄrztInnen und PatientInnen in einem kommunikativen Rahmen statt, in dem „bis ins Detail festgelegt [ist], wer was wann und auf welche Weise tut oder unterlässt“ (Kadrić 2009: 149). Das Verhältnis zwischen den Gesprächsteilnehmenden in der institutionellen Kommunikation weist immer eine gewisse Asymmetrie auf. Im Fall der medizinischen Kommunikation ist dies auf einen einfachen Grund zurückzuführen: Während ÄrztInnen „gesund und wissend“ sind, sind PatientInnen „krank und unwissend“ (vgl. Bechmann 2014: 3). Die VertreterInnen der Institution beginnen die Konversation und entscheiden deren Thema und Struktur, während die restlichen Gesprächsteilnehmenden hauptsächlich Fragen zu beantworten haben (vgl. Kadrić 2011: 57). Trotz des partizipativen Modells besitzen ÄrztInnen laut Bechmann (2014: 183) „Vorrechte für interaktive kommunikative Handlungen“. Die Kommunikation mit den Behandelnden ist also unidirektional (vgl. Bechmann 2014: 130), da sie hauptsächlich ärztInnengesteuert ist. Die Richtung der Fragen und Antworten bleibt zumeist dieselbe: Die/der ÄrztIn fragt, die/der PatientIn antwortet.

Laut Bührig und Meyer (2009: 191) übt jede Institution aufgrund ihrer individuellen Abläufe einen starken Einfluss auf die medizinische Kommunikation aus. Werden PatientInnen im Krankenhaus von FachärztInnen unterschiedlicher Abteilungen untersucht, müssen mehrere Anamnesen durchgeführt werden, denn jede/jeder ÄrztIn möchte bestimmte Symptome abklären, die möglicherweise nicht im Fokus vorheriger Untersuchungen standen (vgl. Bührig/Meyer 2009: 191). Abb. 2 veranschaulicht den institutionellen Handlungsraum im Krankenhaus.

Abb. 2:

Handlungsraum in der Institution Krankenhaus (Meyer 2004: 52)

In diesem Handlungsraum befinden sich verschiedene Pragmeme, die sprachliche und mentale Aktivitäten beinhalten und „zusammengefasst als funktionale Einheiten eines gesamten Handlungsablaufs, in die Handlungslinien einzelner Aktanten und in unterschiedliche Sphären eingebettet sind“ (Bührig/Durlanik/Meyer 2000: 15). Mehrere Pragmeme zusammen bilden Hyperpragmeme. Der Aufenthalt beginnt in Anlehnung an Abb. 2 mit der Aufnahme.1 Daran sind in der Regel keine ÄrztInnen, sondern die Verwaltung und das Pflegepersonal beteiligt. In diesem ersten Pragmem kann medizinische Kommunikation im Rahmen der Erledigung von Aufnahmeformalitäten, Zahlungen oder deren Überprüfungen (im Fall von privat versicherten PatientInnen) und der Begleitung in die Station oder Ambulanz erfolgen. Erst nach der Aufnahme findet die Anamnese statt, bei der die PatientInnen mit ÄrztInnen interagieren und die jeweilige Krankengeschichte erzählen. Es folgt der Verdacht, eine Art Prädiagnose der behandelnden ÄrztInnen, die sich in dieser Phase unter Umständen auch mit ihren KollegInnen konsultieren. Während der darauffolgenden Untersuchung kann das Pflegepersonal den ÄrztInnen assistieren. Gewisse Untersuchungen bedingen per Gesetz ein Aufklärungsgespräch, in dem über Risiken, Methoden und Alternativen informiert werden soll (vgl. Bührig/Meyer 2015: 307); zuweilen muss die Untersuchung wiederholt oder um weitere Abklärungen ergänzt werden. Danach wird ein Befund erstellt, an dem wiederum verschiedene ÄrztInnen (zum Beispiel RadiologInnen) mitwirken können (vgl. Bührig/Durlanik/Meyer 2000: 15ff.). Während der Diagnose – dem Ergebnis aus Verdacht, Untersuchung und Befund – werden die PatientInnen wieder stärker kommunikativ einbezogen. Der Diagnose folgt der Therapievorschlag, der zur Entscheidungsfindung eines Aufklärungsgesprächs bedarf. An der anschließenden Therapie sind neben den PatientInnen und ÄrztInnen auch das Pflegepersonal und etwaiges zusätzliches medizinisches Personal wie DiätassistentInnen und PhysiotherapeutInnen beteiligt. Vor der Entlassung, die inhaltlich ähnlich wie die Aufnahme verläuft, wird meist eine Erfolgskontrolle durchgeführt, in der ebenso das Pflegepersonal involviert sein kann (vgl. Bührig/Durlanik/Meyer 2000: 18ff.). Die ärztliche Praxis als medizinische Institution verfügt in der Regel nicht über dieselbe Komplexität wie die Institution Krankenhaus und weist aus diesem Grund nur wenige Pragmeme auf (vgl. Bührig/Meyer 2009: 181ff.). Dennoch kann es auch dort zu einer Kombination mehrerer Pragmeme kommen, falls vor oder nach dem Besuch der Praxis andere SpezialistInnen oder medizinische Institutionen konsultiert werden, die den institutionellen Handlungsraum erweitern.

Die Struktur eines medizinischen Gesprächs folgt meist einem bestimmten institutionalisierten Kommunikationsmodell. Die sogenannten Calgary-Cambridge guides (vgl. vgl. Kurtz et al. 2003: 806, Bechmann 2014: 196ff.) stellen ein für ÄrztInnen entwickeltes Kommunikationsmodell dar, welches mittlerweile als internationaler Maßstab für die evidenzbasierte ärztliche Gesprächsführung gilt. Die Richtlinien beschreiben mehr als 70 Kommunikationsprozesse und sollen den ÄrztInnen insbesondere während der klinischen Ausbildung zeigen, wie die ärztliche Gesprächsführung unter Berücksichtigung der partizipativen Entscheidungsfindung erfolgen sollte (vgl. Kurtz et al. 2003: 805ff., Bechmann 2014: 196ff., Lahmann/Dinkel 2014). Kurtz et al. (2003: 806) schildern die in den Calgary-Cambridge guides definierten Empfehlungen zur Strukturierung des Gesprächsinhalts und Gesprächsablaufs. ÄrztInnen sollen der Kommunikation mit ihren PatientInnen auf der Basis der folgenden fünf Phasen Struktur verleihen, um eine Beziehung zu den PatientInnen aufzubauen:

 Gesprächsinitialisierung

 Informationsakquise

 körperliche Untersuchung

 Befunderklärung und Planung

 Gesprächsabschluss

Im Zentrum der Kommunikation sollen immer die PatientInnen stehen, was nur durch ein angemessenes Kommunikationsverhalten der ÄrztInnen, das die PatientInnen involviert, gelingen kann. Je nach Phase variieren das kommunikative Verhalten und die Fragetechnik der ÄrztInnen (vgl. Bechmann 2014: 182ff., Klüber 2015, Spranz-Fogasy/Becker 2015: 101). Dabei bilden Fragen während der gesamten ÄrztInnen-PatientInnen-Kommunikation, insbesondere bei der Informationsgewinnung, das Hauptinstrument von ÄrztInnen, um zu gesundheitsrelevanten Informationen zu gelangen. In der Sprachwissenschaft finden sich verschiedene Klassifikationen von Fragen. Spranz-Fogasy und Becker (2015: 100ff.) unterscheiden zum Beispiel zwischen geschlossenen und offenen Fragen. Geschlossene Fragen ermöglichen nur Ja/Nein-Antworten und höchstens das Hinzufügen einer Begründung. Offene Fragen bieten hingegen den PatientInnen die Möglichkeit, ihr Wissen einzubringen und sich aktiv am Gespräch zu beteiligen. Sie können in syntaktische Fragen, die mit einem Verb an erster Stelle beginnen, Deklarativsatzfragen, die eine Präsupposition der ÄrztInnen beinhalten, sowie W-Fragen und Präzisierungs- oder Komplettierungsfragen unterteilt werden (vgl. Spranz-Fogasy/Becker 2015: 101). Präzisierungsfragen nehmen die Aussagen der PatientInnen in der Frage wieder auf, um zusätzliche Informationen zu erhalten und somit das Gesagte zu präzisieren. Bei Komplettierungsfragen verwenden die ÄrztInnen für die Fragestellung die im Gespräch gewonnenen Informationen und das eigene Fachwissen, um zu überprüfen, ob sie die Situation und den Beschwerdesachverhalt verstanden haben. Die effiziente Fragenformulierung vonseiten der ÄrztInnen ist entscheidend für den Erfolg der medizinischen Kommunikation sowie ihre Fähigkeit, eine partizipative Beziehung aufzubauen und aktiv und empathisch zuzuhören (vgl. Hale 2007: 37). Die erste Phase des medizinischen Gesprächs, die Gesprächsinitialisierung, dient dem Aufbau der Beziehung zwischen den AkteurInnen: Dabei werden erste Informationen zu den PatientInnen gesammelt und die institutionellen Rollen für die gesamte Interaktion definiert. Die ÄrztInnen stellen offene Fragen, unter anderem zum Grund für die Konsultation, und zeigen sich durch aktives Zuhören interessiert (vgl. Bechmann 2014: 199). In dieser Phase werden auch etwaige Familienmitglieder, die am Gespräch teilnehmen, involviert (Angelelli 2019: 52). Die zweite Phase ist die Informationsakquise, in der die biomedizinischen Daten, die PatientInnenperspektive und die Hintergrundinformationen erhoben werden. Dabei sollen das Problem und der Bedarf erkannt und die Gesamtsituation analysiert werden, wofür abermals die Technik des aktiven Zuhörens angewendet wird: Die ÄrztInnen konzentrieren sich ganz auf den Redebeitrag der PatientInnen und stellen zuerst offene Fragen, um Symptome und Erwartungen zu erheben, bevor sie zu geschlossenen Fragen übergehen, um „faktisch-objektive Hintergrundinformationen“ (Bechmann 2014: 200) zu erhalten und die Problematik einzugrenzen. „Der Arzt arbeitet in seinen Fragen an den Patienten einen mental gegebenen, aus Ausbildung und Erfahrung gespeisten Symptomkatalog ab und greift jeweils nur bestimmte Anteile der Patientenantworten auf“ (Bührig/Meyer 2009: 192). In dieser Phase werden darüber hinaus zahlreiche non- sowie paraverbale Kommunikationsmittel verwendet. Im Alltag werden PatientInnen in medizinischen Gesprächen allerdings relativ bald unterbrochen. Studien (vgl. u.a. Bechmann 2014: 148, Lahmann/Dinkel 2014: 12) zeigen, dass sie im Schnitt meist nur über 18 Sekunden freier Redezeit verfügen, bevor die ÄrztInnen das Wort ergreifen. In der dritten Phase des medizinischen Gesprächs folgt die körperliche Untersuchung anhand dieser Schritte: „Betrachtung des Patienten, Abtasten, Abklopfen oder Abhören von Körperpartien“ (Spranz-Fogasy/Becker 2015: 104). In dieser Phase verwenden ÄrztInnen zumeist Imperativsätze, mit denen die PatientInnen zur Ausführung bestimmter Handlungen aufgefordert werden (vgl. Crezee 2013: 48). Im Rahmen von Routine-Check-ups können nun einzelne Sub-Untersuchungen stattfinden: die Messung von Blut- und Pulswerten, die Auskultation, die Perkussion und die Palpation. Die körperliche Untersuchung stellt eine intime Phase dar, bei der die Diskretion aller Beteiligten wichtig ist. Die ÄrztInnen zeigen sich einfühlsam und führen möglicherweise ein zur Ablenkung dienendes Gespräch, um die Untersuchung angenehmer zu gestalten (vgl. Bechmann 2014: 200). In der vierten Phase erfolgen die Befunderklärung und Planung, in der im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung eine Wissensvermittlung unter Einbeziehung der PatientInnen vorgesehen ist (vgl. Bechmann 2014: 2004). Da Befunde so aufbereitet werden sollen, dass die PatientInnen die Ursachen und Folgen der Krankheit verstehen, wird oft auf unterstützende Medien zurückgegriffen, die den PatientInnen die Situation leichter verständlich machen. Die Informationen sind im Vergleich zu anderen Phasen reduziert, häufig gibt es aber Verständnisfragen seitens der Behandelnden, anhand derer überprüft wird, ob die PatientInnen den Gesprächsinhalt verstanden haben. Falls emotionale Themen besprochen werden müssen, werden nonkonfrontative Strategien bevorzugt, die die Verwendung von Metaphern, das Angebot eigener Hypothesen als Fragen, den Verweis auf Dritte, indirekte Ich-Fragen und Pausen beinhalten (vgl. Bechmann 2014: 205). Die Interaktion endet mit dem Gesprächsabschluss, bei dem eine für den institutionellen Kontext angemessene Verabschiedung erfolgt und eventuell die Therapieschritte oder die nächsten Schritte nochmals kurz zusammengefasst werden. Beim Gesprächsabschluss werden PatientInnenentscheidungen verbal bestärkt und möglicherweise schriftliche Therapieziele ausgehändigt, damit die PatientInnen diese später noch einmal nachschlagen können.

2.1.3 Gesprächsformen und Textsorten der medizinischen Kommunikation

Während ihrer Tätigkeit im Rahmen der dolmetschvermittelten medizinischen Kommunikation werden DolmetscherInnen mit verschiedenen Gesprächsformen und Textsorten konfrontiert, welche in den meisten Fällen der externen Fachkommunikation – der Kommunikation zwischen Fachpersonen und PatientInnen – zuzuschreiben sind (vgl. Bechmann 2014: 170ff., Weinreich 2015). Zu den mündlichen Textsorten gehören alle Gesprächsformen des ÄrztInnen-PatientInnen-Gesprächs (vgl. Weinreich 2015: 394) wie folgt:1

 das Anamnese- und Erstgespräch

 das Aufklärungsgespräch

 das Beratungsgespräch

 das Überbringen schlechter Nachrichten

 das Nachfolge- oder Kontrollgespräch

 das Aufnahme-, Visite- und Entlassungsgespräch

Das Anamnesegespräch stellt in der Regel das Erstgespräch zwischen ÄrztInnen und PatientInnen dar und dient der Erhebung der wichtigsten Daten zur Krankengeschichte sowie zur sozialen Situation der PatientInnen (vgl. Bührig/Meyer 2015: 305). Im Anamnesegespräch wird in der Regel dem Grund für den ärztlichen Besuch nachgegangen (vgl. Crezee 2013: 44ff.).2 In der Anamnese kommt häufig eine sogenannte unidirektionale „Fragebatterie“ (Bührig/Meyer 2015: 306) zum Einsatz: Hierbei formulieren ÄrztInnen ihre Fragen nicht zufällig, sondern sie lenken durch diesen Fragekomplex das Gespräch in eine Richtung, die ihnen ermöglicht, die gewünschten Informationen vonseiten der PatientInnen zu erhalten.3 Durch diese Fragen sollen die Symptome ermittelt werden (vgl. Crezee 2013: 45). Der Präsentationsstil der PatientInnen während ihres Beschwerdevortrages im Anamnesegespräch (vgl. Spranz-Fogasy/Becker 2015) kann aufgrund von Sprach- und Kulturbarrieren die Normalitätserwartungen (vgl. Knapp 1999: 13) der ÄrztInnen enttäuschen. Genauso könnte das systematische Vorgehen der deutschsprachigen ÄrztInnen den Normalitätserwartungen mancher PatientInnen aus anderen Herkunftsländern nicht gerecht werden, da diese auf eine Gesprächseröffnung mittels Small Talk eingestellt sind (vgl. Bührig/Meyer 2015: 305). In die Beschwerdeschilderung fließen das Alltagswissen zu Körper, Krankheit und Gesundheit sowie das semiprofessionelle Wissen der PatientInnen (vor allem im Fall von chronischen Erkrankungen) ein (vgl. Spranz-Fogasy/Becker 2015: 96).

Im Aufklärungsgespräch werden auf Basis der bereits erhobenen Befunde Therapievorschläge gemacht (vgl. Bechmann 2014: 172).4 Diese Gesprächsform ist aus rechtlichen Gründen sehr wichtig, da ÄrztInnen eine Aufklärungspflicht zu Risiken, Heilungschancen und Alternativen obliegt (vgl. auch 1.7). In der deutschen und österreichischen Rechtsprechung wird auf die Notwendigkeit einer „sprachkundigen Person“ (Bührig/Meyer 2015: 307) im Rahmen medizinischer Gespräche – ohne weiter auf diese Person einzugehen – hingewiesen. Nach dem Therapievorschlag werden Risiken und Komplikationen der Therapie erläutert, auf deren Basis die PatientInnen zu entscheiden haben, ob sie die Einverständniserklärung zu einer weiterführenden Therapie unterzeichnen. In dieser Situation ist die Beiziehung ausgebildeter DolmetscherInnen im Sinne der ärztlichen Haftung und der Zufriedenheit sowie des Schutzes der PatientInnen essenziell. Diese Gesprächsform ist geprägt von der Kommunikation über die Risiken der Behandlung. Wie Bührig (2001: 115) und Meyer (2005: 1605) aufzeigen, greifen ÄrztInnen auf bestimmte sprachliche Mittel zurück, die ihnen ermöglichen, Risiken zu thematisieren. So verwenden sie auf Deutsch das Verb „müssen“, um ein neues schwieriges Thema zur Sprache zu bringen: „Ich muss Ihnen sagen“ (Meyer 2005: 1605); das Verb „können“, um mögliche Komplikationen zu beschreiben, zu nennen oder zu erklären: „Sie können eine Lungenentzündung bekommen“ (Meyer 2005: 1605); Temporaladverbien wie „häufig“ oder „normalerweise“, um die Frequenz und die Ernsthaftigkeit zu bestimmen: „Das passiert nicht sehr häufig“ (Meyer 2005: 1605). Hinsichtlich der Dolmetschung ist diese Gesprächsform von fachkommunikativen und terminologischen Herausforderungen geprägt (vgl. Bührig/Meyer 2015: 307). Eine weitere Form des Aufklärungsgesprächs bildet das Gespräch zwischen PatientInnen und AnästhesistInnen (vgl. Klüber 2015). Das aus institutionellen und rechtlichen Gründen stark standardisierte Gespräch (vgl. Klüber 2015: 222) ist für die Wahl der richtigen Narkose entscheidend und dient dazu, vor der Verabreichung die Einverständniserklärung der PatientInnen zu erlangen. Auch in dieser Gesprächsform ist die Einwilligung aus rechtlichen Gründen relevant. Das Gespräch wird um einen standardisierten Fragebogen ergänzt, der entweder vor der Interaktion von den PatientInnen oder während der Interaktion von den ÄrztInnen ausgefüllt wird. Falls die PatientInnen den Fragebogen ausfüllen, helfen ihnen die DolmetscherInnen, indem sie den Inhalt vom Blatt dolmetschen.

Das Beratungsgespräch ist meist ein zeitaufwändiger, gleichberechtigter Dialog (vgl. Bechmann 2014: 172), der dem Erstgespräch entsprechen kann. Bei dieser Gesprächsform agieren die ÄrztInnen im Sinne des partizipativen Modells und nehmen hauptsächlich eine beratende Rolle ein. Schließlich geht es darum, Wissenslücken durch die aktive Miteinbeziehung der PatientInnen zu füllen (vgl. Bührig/Meyer 2015: 309).

Das Überbringen schlechter Nachrichten – in der medizinischen Literatur auch als bad news delivery bezeichnet – ist eine Gesprächsform, die durch einen hohen Grad an Emotionalität geprägt ist (vgl. Bührig/Meyer 2015: 308). Während des Überbringens schlechter Nachrichten können kulturell unterschiedliche Vortragsarten (vgl. Bührig/Meyer 2015: 308, Spranz-Fogasy/Becker 2015: 109) zu unerfüllten Normalitätserwartungen führen. Für ÄrztInnen stellt das Überbringen schlechter Nachrichten eine komplexe Gesprächsform dar: Die Mitteilung beginnt mit der Rekapitulation der vorigen Untersuchungen, damit die PatientInnen den Zusammenhang verstehen können: „Bad news werden also nicht expressis verbis mitgeteilt, sondern vor allem über eine stockende Formulierungsweise mit Zögern, Heckenausdrücken oder Pausen vermittelt“ (Spranz-Fogasy/Becker 2015: 109, Hervorhebungen nicht im Original). Darüber hinaus belegen diskursanalytische Untersuchungen von dolmetschvermittelten Interaktionen, dass DolmetscherInnen schlechte Nachrichten nicht immer konsequent dolmetschen.5 So weisen Butow et al. (2013: 251) in ihrer Studie darauf hin, dass schlechte Nachrichten von den DolmetscherInnen häufig getilgt oder abgeschwächt werden.

Das Kontroll- und das Folgegespräch sind in der Regel kurze Gespräche, in denen die ÄrztInnen mit kurzen und prägnanten Fragen den aktuellen gesundheitlichen Zustand der PatientInnen eruieren (vgl. Menz 2015: 77). Zu Konflikten kann es kommen, wenn sich die Gesprächsbeteiligten unterschiedliche Zeitrahmen für das Gespräch erwarten; von ÄrztInnenseite wird bei einem Kontrollgespräch meist von einer kurzen Unterredung ausgegangen.

Aufnahme-, Visite- und Entlassungsgespräche werden in der dolmetschwissenschaftlichen Literatur nur am Rande erwähnt.6 Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass diese seltener von ausgebildeten DolmetscherInnen verdolmetscht werden. Alle drei Gesprächsformen finden in der Regel innerhalb der Institution Krankenhaus statt,7 sind besonders stark institutionalisiert (vgl. Bechmann 2014: 172ff.) und haben vor allem bei geplanten stationären und ambulanten chirurgischen Eingriffen eine hohe Bedeutung. Im Fall von geplanten Behandlungen erfolgt das Aufnahmegespräch zu den vereinbarten Zeiten und ist für alle Beteiligten – inklusive DolmetscherInnen – mit weniger Stress verbunden als bei Notaufnahmen (vgl. Crezee 2013: 65). Im Aufnahmegespräch sollen die relevanten persönlichen, medizinischen und sozialen Informationen der PatientInnen erhoben werden: Es handelt sich hierbei um eine geplante, zielgerichtete Informationssammlung, bei der die PatientInnen auch die Möglichkeit bekommen, Fragen zu stellen, um gewisse – insbesondere organisatorische – Aspekte zu klären (vgl. Bechmann 2014: 172.). In der Regel wird der/dem PatientIn das Zimmer bzw. das Bett sowie die Einrichtungsgegenstände, die während des Krankenhausaufenthaltes relevant sind, erklärt (vgl. Crezee 2013: 65).8 Das gleichfalls ritualisierte Visitengespräch besteht aus kurzen unidirektionalen und direktiven Fragen, die die ÄrztInnen den PatientInnen stellen, um den gesundheitlichen Zustand während eines stationären Aufenthaltes – möglicherweise nach einem operativen Eingriff – zu ergründen (vgl. Bechmann 2014: 172). Die Möglichkeiten der PatientInnen zur Redeinitiative sind hier sehr eingeschränkt: Meistens antworten sie auf die von den ÄrztInnen gestellten Fragen, „wobei ein Großteil dieser so gestellt wird, dass sie die Antworten bereits vorwegnehmen“ (vgl. Trubel 2004: 162). Bechmann beschreibt diese Gesprächsform als besonders intim und ärztInnenzentriert. Die Dauer der Visite ist häufig begrenzt, und das Gespräch kann durch Störungen und die Nichteinhaltung essenzieller Gesprächskonventionen wie Begrüßung, Vorstellung und Verabschiedung gekennzeichnet sein (vgl. Menz 2015: 81). Aufgrund der Planungsschwierigkeiten von Visitengesprächen ist es nicht immer möglich, eine/einen DolmetscherIn zur Visite beizuziehen. Im Entlassungsgespräch werden die PatientInnen von den ÄrztInnen verabschiedet. Im Rahmen dieses Gesprächs sollen wichtige Informationen zu Folgeuntersuchungen und Heimmedikationen vermittelt werden (vgl. Bechmann 2014: 173). Eine Art Entlassungsgespräch wird aber auch zwischen den Angestellten des Krankenhauses und den PatientInnen geführt, in denen neben organisatorischen auch finanzielle Angelegenheiten angesprochen werden können. Werden die operativen Eingriffe in privaten Einrichtungen durchgeführt, müssen bei der Entlassung die offenen Kosten beglichen sowie weitere Formalitäten erledigt werden.

Unter den schriftlichen Textsorten der medizinischen Kommunikation finden sich unter anderem:

 der Aufnahmebogen

 der Aufklärungsbogen

 der Ernährungsplan

 der Beipackzettel

 der Behandlungsvertrag

 der Entlassungsbrief

 der ärztliche Brief

 der Laborbefund

 der Operationsbericht

 das FachärztInnengutachten

Schriftliche Textsorten können für DolmetscherInnen eine große Herausforderung darstellen, da sie terminologisch komplex sind (vgl. Weinreich 2015: 400). Auf schriftliche Textsorten kann auch im Rahmen des ÄrztInnen-PatientInnen-Gesprächs zurückgegriffen werden, falls beispielsweise während des Aufklärungsgesprächs der Aufklärungsbogen oder während des Aufnahmegesprächs oder der Anamnese ein standardisierter PatientInnenfragebogen verwendet wird (vgl. Bechmann 2014: 174). Üblicherweise werden Fragebögen von den DolmetscherInnen vom Blatt gedolmetscht, können aber wie im Fall des Behandlungsvertrags oder des ärztlichen Briefs auch im Nachhinein auf Anfrage übersetzt werden. Aufnahmebögen dienen in der Regel dazu, die wichtigsten persönlichen und versicherungsbezogenen Daten der PatientInnen bei der Aufnahme ins Krankenhaus zu erfassen. Der Aufklärungsbogen – auf Englisch informed consent form oder agreement to treatment form (vgl. Crezee 2013: 89) – dient als Unterstützung während des Aufklärungsgesprächs sowie als schriftliche Bestätigung über die erfolgte Aufklärung und Einwilligung der PatientInnen. Abgesehen von einigen Ausnahmen (die/der PatientIn ist bewusstlos, ist nicht compos mentis oder steht unter Einfluss von Drogen) ist immer eine schriftliche Einwilligung auf dem Aufklärungsbogen notwendig (vgl. Crezee 2013: 89).9 Aufgrund seiner rechtlichen Natur ist der Aufklärungsbogen meistens standardisiert und wird den ÄrztInnen von Verlagshäusern zur Verfügung gestellt (vgl. Weinreich 2015: 400). Üblicherweise besteht er im deutschsprachigen Raum aus zwei Teilen, die sich über vier Seiten erstrecken. Der erste Teil dient der Beschreibung des Eingriffs und ist inhaltlich und sprachlich fachlich geprägt; Fachbegriffe werden meistens erklärt. Der zweite Teil besteht aus Fragen, welche die für die Behandlung relevanten Informationen über die PatientInnen erheben sollen, und deren Antworten von den PatientInnen anzukreuzen sind. Der Ernährungsplan (vgl. Weinreich 2015: 394) kann als Textsorte von Bedeutung sein, falls den PatientInnen eine spezielle Diät verschrieben wird, um die Therapie zu unterstützen. Beipackzettel sind eine weitere Textsorte, mit der DolmetscherInnen im Rahmen eines Beratungsgesprächs konfrontiert werden können, falls die ÄrztInnen gewisse Informationen zu Medikamenten, die die PatientInnen aktuell einnehmen, benötigen. In den Beipackzetteln finden sich Informationen zu „Anwendungsgebiet, Darreichungsform, Gegenanzeigen, Wechselwirkungen, Dosierungsanleitung, Nebenwirkungen, Gegenmaßnahmen zu Über-/Unterdosierung, Angaben zum Hersteller und Wirkstoff“ (Weinreich 2015: 400). Eine weitere selten thematisierte Textsorte ist der Behandlungsvertrag (vgl. Kletečka-Pulker 2013: 46), der zwischen den VertreterInnen der medizinischen Institution und den PatientInnen abgeschlossen wird und die rechtliche Grundlage für die Behandlung darstellt. Aus dem Behandlungsvertrag ergeben sich Rechte und Pflichten für alle Beteiligten, weshalb es von großer Relevanz ist, dass PatientInnen den Inhalt genau verstehen, bevor sie den Vertrag unterzeichnen. DolmetscherInnen können situationsabhängig den Behandlungsvertrag übersetzen oder vom Blatt dolmetschen. Der Entlassungsbrief wird in der Regel nach einem Krankenhausaufenthalt erstellt und enthält die Eckdaten zum Aufenthalt und zu den durchgeführten Behandlungen.

Ärztlicher Brief, Laborbefund, Operationsbericht und FachärztInnengutachten richten sich in erster Linie an FachexpertInnen und fallen daher in den Bereich der internen Fachkommunikation (vgl. Crezee 2013: 53, Weinreich 2015: 394). Diese Textsorten enthalten Zusammenfassungen von medizinischen Gesprächen oder Eingriffen sowie von diagnostischen Untersuchungen und können wie beim ärztlichen Brief Therapievorschläge beinhalten. Sie werden zumeist von der medizinischen Institution nach Abschluss der Therapie bzw. der Behandlung übermittelt. Ebenso können ÄrztInnen nach einer ambulanten Untersuchung oder einem Beratungsgespräch einen ärztlichen Brief verfassen, obwohl dies in der Praxis in Deutschland und Österreich nicht immer der Fall ist (vgl. Möller/Makoski 2015).10 Der ärztliche Brief wird von Weinreich (2015: 397) als Kommunikationsmedium zwischen ÄrztInnen beschrieben, dessen Inhalt aus Diagnose und Therapieverlauf besteht. Laut Weinreich werden viel Zeit und strukturiertes Denken benötigt, um einen ärztlichen Brief zu verfassen, da die Informationen kurz, aber kohärent zusammengefasst werden sollen. Letztendlich kann der ärztliche Brief auch für die Kostenabrechnung von Bedeutung sein (vgl. Weinreich 2015: 398).

5 224,42 ₽
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506 стр. 45 иллюстраций
ISBN:
9783823302674
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