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1.7 Rechtliche Aspekte des Medizintourismus

PatientInnen, die sich aufgrund einer medizinischen Behandlung ins Ausland begeben, benötigen Schutz: Ihre Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie ihr Selbstbestimmungsrecht sollen gewahrt bleiben (vgl. Reisewitz 2015: 23ff.). Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist in Art. 3 der Charta der Europäischen Union (GRCh) verankert; in Deutschland sind das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zusätzlich in Art. 2 Abs. 2 S.1 GG festgeschrieben (vgl. Reisewitz 2015: 23ff.). Heileingriffe durch ÄrztInnen – auch eine einfache Blutabnahme, eine medikamentöse Heilbehandlung, physikalische Eingriffe oder Impfungen (vgl. Hauer 2014) – stellen Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit dar. Für all diese Heileingriffe ist eine gültige Einwilligung notwendig, damit das Selbstbestimmungsrecht der PatientInnen nicht verletzt wird: Jede/jeder PatientIn „hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob und in welchem Umfang eine medizinische Behandlung an ihm durchgeführt werden soll“ (Reisewitz 2015: 26). Damit diese Entscheidung getroffen werden kann, ist eine genaue Aufklärung über die Chancen und Risiken der vorzunehmenden Behandlung durch die ÄrztInnen notwendig. Falls diese Aufklärungspflicht verletzt wird, liegt ein Aufklärungsfehler vor. Die Aufklärungspflicht sieht des Weiteren vor, dass PatientInnen auch über Behandlungsalternativen informiert werden, „wenn mehrere übliche Behandlungsmethoden mit unterschiedlichen Folgen, Risiken oder Erfolgschancen zur Verfügung stehen“ (Hauer 2014). Eine mangelhafte Aufklärung durch die ÄrztInnen kann zivilrechtliche Folgen haben und den medizinischen Eingriff rechtswidrig machen (vgl. Haspl 2010). Aus der Verletzung der Aufklärungspflicht können sich daher Schadenersatzansprüche für die PatientInnen ergeben: „Grundlage für den deliktischen Anspruch ist, dass durch einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler in absolute geschützte Rechtsgüter – nämlich Leben und Gesundheit – eingegriffen wird“ (Haspl 2010). Neben der zivilrechtlichen besteht auch eine strafrechtliche Haftung sowohl für die ÄrztInnen als auch für den Krankenanstaltsträger. Insbesondere bei Spontanbehandlungen, die während einer Reise erfolgen, kann es zu Verletzungen des Selbstbestimmungsrechts kommen, da sich die PatientInnen im Vorfeld nicht immer ausreichend über Risiken und Chancen des Eingriffs informieren können. Darüber hinaus ist das Risiko einer minderwertigen Behandlungsqualität bei einer Spontanbehandlung höher als im Rahmen einer geplanten Behandlungsreise (vgl. Reisewitz 2015: 31ff.). Um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Aufklärungsfehlern zu reduzieren, muss gewährleistet sein, dass PatientInnen die Aufklärung zur Gänze verstehen. Dies kann in vielen Fällen nur durch die Beauftragung einer/eines DolmetscherIn erreicht werden.

Eine weitere Gefahr stellen Behandlungsfehler dar. Ein Behandlungsfehler tritt auf, wenn nicht der gesamte „Behandlungsvorgang, dem auf die konkrete Maßnahme anzuwendenden fachlichen Standard genügt“ (Reisewitz 2015: 33). Als Behandlungsfehler werden nicht nur Fehler bei operativen Eingriffen, sondern auch falsche Maßnahmen und Entscheidungen seitens der/des ÄrztIn im Laufe der gesamten Behandlung – von der Anamnese über die Therapie und Prophylaxe bis zur Nachsorge – bezeichnet; dies schließt auch Fehler in der Koordinierung oder in der Befunderstellung ein (vgl. Reisewitz 2015: 33). Bei Eingriffen im Rahmen des Medizintourismus ist eine Berufung auf den minderwertigeren Standard der Behandlung am Behandlungsort nicht ausreichend. Ein Behandlungsfehler „liegt vielmehr erst vor, wenn die tatsächlich erbrachte medizinische Leistung hinter dem nach dem anzuwendenden Recht maßgebenden Standard zurückbleibt“ (Reisewitz 2015: 33ff.). Falls die Betroffenen sich noch auf keinen Behandlungsstandard berufen können, werden die Ergebnisse der Grundlagenforschung sowie der angewandten Forschung und die ärztliche Erfahrung herangezogen (vgl. Tanczos/Tanczos 2010: 61ff.). Im österreichischen Bundesgesetz über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte wird Folgendes festgehalten: Eine/ein ÄrztIn „begeht einen Behandlungsfehler – der aber noch nicht zu einem Schaden des Patienten führen muss –, wenn er gegen anerkannte Regeln der medizinischen Wissenschaft (§49 Abs. 1 ÄrzteG) und der ‚ärztlichen Kunst‘ verstößt“ (Tanczos/Tanczos 2010: 61ff.). Lassen sich PatientInnen in einem Krankenhaus behandeln, ergeben sich sowohl für die Einrichtung als auch für die behandelnden ÄrztInnen Pflichten. Die PatientInnen schließen im Vorfeld mit dem Krankenhaus einen Behandlungsvertrag ab, in dem der Umfang der medizinischen Leistung festgehalten ist. Für den Behandlungsfehler haften nicht nur ÄrztInnen, sondern auch das gesamte während der Behandlung tätige medizinische Personal sowie die PatientInnen, die zur Bezahlung der Leistung und Mitarbeit im Sinne eines Behandlungserfolgs verpflichtet sind (vgl. Proissl 2014, Abs. 6). Bei Behandlungsfehlern liegt die Besonderheit des Medizintourismus darin, dass die internationale Zuständigkeit des Gerichts im Falle einer Klage der PatientInnen gegen die ÄrztInnen oder das Krankenhaus nicht immer klar ist (vgl. Reisewitz 2015: 39ff.). So wurden im Fall des von Spickhoff (2010: 60) erwähnten Distanzdelikts einem deutschen Bürger, der sich einer medizinischen Behandlung in der Schweiz unterzogen hatte, von einem Arzt Medikamente verschrieben, ohne dass dieser ausreichend über diese aufgeklärt worden war. Als es zu starken Nebenwirkungen kam, reichte der Patient eine Klage gegen den Arzt vor deutschen Gerichten ein. Das Oberlandesgericht in Karlsruhe und der Bundesgerichtshof „bejahten die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte unter dem Aspekt der Tatortzuständigkeit“ (Spickhoff 2010: 60). Der Erfolgsort in der Schweiz galt demnach als Tatort, da der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dort erfolgt war.

Missverständnisse, die sich in der Kommunikation mit den ausländischen PatientInnen ergeben, können rechtliche und medizinische Folgen haben. Wenn Basisdiagnose und Dokumentation der Krankengeschichte im Herkunftsland in einer anderen Sprache erstellt werden, besteht immer die Gefahr, dass diese z.B. während der Kontaktaufnahme mit dem medizinischen Personal im Ausland missverstanden werden (vgl. Reisewitz 2015: 28). Darüber hinaus nehmen PatientInnen nicht immer ihre gesamte Dokumentation auf die Reise mit, was sich aber in solch einem Fall als problematisch erweisen kann, da dem medizinischen Personal ein umfassender Überblick über die Krankengeschichte der PatientInnen fehlt (vgl. Reisewitz 2015: 28). In diesem Fall wird es schwierig, etwaige gesundheitliche Risiken der PatientInnen zu berücksichtigen und diese entsprechend in die Behandlung einzuplanen. Auch bezüglich der Nachsorge zu Hause oder im Fall eines enttäuschenden Verlaufs oder Misserfolges der Behandlung müssen medizintouristische PatientInnen und VertreterInnen der medizinischen Institution in der Lage sein, miteinander missverständnisfrei zu kommunizieren (vgl. Illing 2009: 98).

1.8 Ethik und Medizintourismus

In Zusammenhang mit dem Medizintourismus rücken auch ethische Fragen insbesondere aus den Bereichen der Sozialethik, der Umweltethik sowie der Medizinethik ins Blickfeld (vgl. Cassens 2013). In der Sozialethik stellt der Zugang zu medizinischer Versorgung ein wichtiges Thema dar. Aus deontologischer Sicht scheint es richtig zu sein, dass die nationalen Gesundheitssysteme sich vorwiegend auf die Versorgung der im Inland ansässigen PatientInnen konzentrieren und sozioökonomische Faktoren der PatientInnen keinen Einfluss auf die Qualität der Behandlung und den Zugang zur Behandlung haben sollen. Das steigende Lebensdurchschnittsalter und die Vorbeugung chronischer oder irreversibler Krankheiten verlangen auch aus utilitaristischer Sicht eine Schwerpunktsetzung auf die im Inland ansässigen PatientInnen (vgl. Cassens 2013: 131). Für die Umweltethik sollten wiederum negative Auswirkungen auf die Umwelt – insbesondere im Rahmen des kostenorientierten Medizintourismus –nicht außer Acht gelassen werden. So kann laut Cassens (2013: 58) der von PatientInnen produzierte infektiöse Müll nicht überall auf der Welt unter Erfüllung zentraleuropäischer Standards entsorgt werden. Im Bereich der Medizinethik gelten die ärztlichen Pflichten, die nicht nur rechtlicher Natur sind, sondern auch in den jeweiligen nationalen Berufsordnungen festgelegt sind:

Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können. (Deutscher Ärztetag 2015: 2)

Auch der Einsatz etwaiger Werbemaßnahmen (beispielsweise für den Medizintourismus) unterliegt einer strengen Regulierung: „Berufswidrige Werbung ist ÄrztInnen untersagt. Berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung“ (Deutscher Ärztetag 2015: 8).

Eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den ethischen Aspekten im Medizintourismus bedarf des Weiteren einer Diskussion zur Angemessenheit der Bezeichnung Medizintourismus. Wie bereits unter 1.1 thematisiert, lehnen einige insbesondere aus dem medizinischen Bereich stammende ForscherInnen (vgl. Connell 2015) bewusst die Verwendung des Terminus Medizintourismus ab, da für sie eine gewisse Komponente des Genusses und der Entspannung vorhanden sein soll, damit von Tourismus überhaupt die Rede sein kann. Viele PatientInnen reisen aufgrund ihrer Verzweiflung „with no thought of tourism in mind“:

These and many similar movements are local and regional, centred on needs rather than wants, of the relatively poor, desperate and frustrated, with family support and loans, and through word of mouth rather than internet connections. These movements have nothing to do with tourism. (Connell 2015: 399)

Die VertreterInnen dieser Position argumentieren, dass Forschende und PraktikerInnen im Bereich Tourismus das Phänomen fast ausschließlich als Marktentwicklung behandeln. Aus diesem Grund werde vorwiegend die Analyse des Angebots, des Vertriebs und der Zielgruppe bevorzugt, während eine Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Implikationen für die nationalen Gesundheitssysteme und deren BürgerInnen vernachlässigt werde. Kirsch (2017: 27) verweist in diesem Zusammenhang allerdings auch auf positive Beispiele wie jenes von Kuba, wo die Gewinne aus dem Medizintourismus in das öffentliche Gesundheitswesen investiert werden.1 Auch das Interesse der Forschenden aus dem medizinischen Bereich liege vielmehr auf der Qualität der Behandlung und auf ethischen Fragen (vgl. Kirsch 2017: 27) und weniger auf der Erarbeitung einer medizintouristischen Strategie. Als häufiger Vorwurf ist zu vernehmen, dass Medizintourismus die Entstehung einer Zwei-Klassen-Medizin fördere (vgl. Connell 2015). Manche KritikerInnen des Terminus Medizintourismus (vgl. u.a. Connell 2011 sowie 2015, Mainil 2012, Botterill et al. 2013) befürchten, dass sich nationale Gesundheitssysteme in Zukunft stärker auf ausländische TouristInnen konzentrieren, da diese eine lukrative Einnahmequelle darstellen. Auch ÄrztInnen könnten zunehmend versuchen, sich aufgrund der besseren Verdienstchancen in diesem hochpreisigen Marktsegment zu positionieren. Connell (2015: 400) vertritt die Meinung, dass im Rahmen der allgemeinen Diskussion zum Medizintourismus den wirtschaftlichen Aspekten mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird als den ethischen Fragen:

Ethical and development issues, at the intersection of political economy and care, have been linked to such activities as stem cell and transplant surgery, fertility treatment and surrogacy, where conventional notions of ‘tourism’ are steeped in irony, some procedures are innovative and risky and others almost literal pilgrimages of last resort. (Connell 2015: 400)

1.9 Kapitelzusammenfassung

In der vorliegenden Studie wird der Medizintourismus als Unterbegriff des Gesundheitstourismus verstanden. Er umfasst geplante, vorübergehende Verlegungen des Wohnortes ins Ausland, um dort gesundheitswiederherstellende ärztliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Der in der Bezeichnung Medizintourismus enthaltene Terminus Tourismus wird also in Anlehnung an die Definition der Welttourismusorganisation als rein temporärer Wohnortwechsel ausgelegt. Weitere relevante Bezeichnungen für den Medizintourismus sind länderübergreifende Gesundheitsversorgung und PatientInnenmobilität.

Eine medizinische Reise kann aus verschiedenen Beweggründen unternommen werden. Meistens zählen dazu Engpässe in der nationalen Gesundheitsversorgung, die Unmöglichkeit, sich vor Ort einer bestimmten hoch spezialisierten Behandlung zu unterziehen, und das Vorhandensein renommierter ÄrztInnen im Ausland. Anders als in klassischen medizinischen Settings sind medizintouristische PatientInnen nicht am Behandlungsort ansässig und benötigen ein Gesamtpaket oder zumindest ein erweitertes Angebot an Dienstleistungen. Häufig treten PatientInnen im Medizintourismus als Privatzahlende auf und stellen hohe Erwartungen an die medizinische Behandlung. Die in Anspruch genommenen Behandlungen sind zumeist spezialisiert und weisen im medizinischen und rechtlichen Sinne eine gewisse „Schwere“ (Reisewitz 2015: 8) auf, da sie Eingriffe in die Unversehrtheit des Körpers bedeuten. Diese Behandlungen sind mit einer Reihe von PatientInnenrechten (u.a. Recht auf Unversehrtheit, Selbstbestimmungsrecht und Recht auf Aufklärung) und ÄrztInnenpflichten (u.a. Aufklärungspflicht) verbunden, die bei Kommunikationsbarrieren zwischen PatientInnen und ÄrztInnen eine Herausforderung darstellen.

Der Medizintourismus hat in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend an wirtschaftlicher Relevanz gewonnen: Jedes Jahr treten Millionen Menschen internationale Reisen an, um sich einer Behandlung im Ausland zu unterziehen. Trotz einer steigenden Tendenz sind die Daten zum Medizintourismus in Deutschland und Österreich nur von begrenzter Aussagekraft: Einerseits fehlt in einigen Fällen nach wie vor eine zentrale Erfassung, andererseits basieren die in Auftrag gegebenen Studien nicht selten auf unterschiedlichen Definitionen des Medizintourismus und berücksichtigen somit auch PatientInnen, die vorwiegend gesundheitstouristische Reisen (z.B. Wellnessbehandlungen) unternehmen. Auch die Europäische Union hat mittlerweile auf das Phänomen des Medizintourismus reagiert. Durch die Einführung der Richtlinie 2011/24/EU, die eine Teilerstattung der medizinischen Kosten für die Auslandsbehandlung ermöglicht, wurde ein Instrument geschaffen, um die PatientInnenmobilität innerhalb der Europäischen Union einheitlich zu regeln.

Am Medizintourismus können neben den AnbieterInnen medizinischer Dienstleistungen (z.B. ÄrztInnen und Kliniken) weitere Stakeholder wie Reise- oder Finanzdienstleistungsunternehmen beteiligt sein. Zu diesen zählen ebenso die sogenannten PatientInnenvermittlerInnen, deren Dienstleistung in der Vermittlung von internationalen PatientInnen an Kliniken besteht. Da sich die PatientInnenvermittlung in einer rechtlichen Grauzone bewegt, deklarieren VermittlerInnen ihre Tätigkeit zumeist als PatientInnenbetreuung. Sie übernehmen verschiedene Tätigkeiten, die für die PatientInnenanwerbung oder -betreuung notwendig sind – wie die Kontaktherstellung, die Sammlung der Dokumentation und die Zurverfügungstellung translatorischer Dienstleistungen –, falls die ÄrztInnen eine andere Sprache sprechen als die PatientInnen. So arbeiten PatientInnenvermittlerInnen zum Teil mit ausgebildeten DolmetscherInnen zusammen oder übernehmen selbst translatorische Aufgaben, obwohl sie nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen. Mangelt es an Verständigung, kann der Erfolg der Behandlung gefährdet sein und das Risiko für PatientInnen und ÄrztInnen steigen.

2 Dolmetschen in medizinischen Settings unter Berücksichtigung des Medizintourismus

Im vorliegenden Kapitel liegt das Augenmerk auf dem Stellenwert der Kommunikation in der Medizin. In diesem Zusammenhang werden zuerst allgemeine Aspekte behandelt, die für jede Art medizinischer Kommunikation von Relevanz sind: die Beziehung zwischen ÄrztInnen und PatientInnen und die damit verbundenen Asymmetrien, die Struktur von medizinischen Gesprächen, die Gesprächsformen und Textsorten sowie einige ethnomedizinische Aspekte. Dieser Einleitung folgt eine Auseinandersetzung mit der Problematik der Sprachbarrieren im Gesundheitswesen sowie mit den Rollen und Aufgaben von DolmetscherInnen in der medizinischen Kommunikation. Nach diesem einleitenden Überblick, der für jedes medizinische Setting Gültigkeit besitzt, wird der eigentliche Gegenstand dieser Studie behandelt: der Medizintourismus. Der Vorstellung des aktuellen Forschungsstands zum Medizintourismus folgt die Verortung der Tätigkeit von DolmetscherInnen als ExpertInnen in medizintouristischen Settings im Theorierahmen des translatorischen Handelns.

2.1 Medizin und Kommunikation

Wie in allen medizinischen Settings findet medizinische Kommunikation in unterschiedlichen medizinischen Institutionen statt. Roat und Crezee (2015: 243) erwähnen folgende relevante Institutionen: private oder öffentliche Krankenhäuser, Labors für diagnostische Untersuchungen, ärztliche Praxen, Apotheken und Rehabilitationszentren. Alle Szenarien weisen folgende Triade als gemeinsamen Nenner auf: PatientIn, ÄrztIn oder Pflegepersonal und DolmetscherIn. Die Besonderheiten dieser Gespräche bestehen laut Roat und Crezee (2015: 243) in ihrer kollaborativen Natur: Alle Beteiligten möchten das gleiche Ziel erreichen – die Wiederherstellung der Gesundheit der/des PatientIn. Voraussetzung für die Zielerreichung ist die gegenseitige Verständigung, welche in einem mehrsprachigen und mehrkulturellen Kontext nur in jenen Fällen möglich ist, in denen Sprachbarrieren überwunden werden. Falls es zu keiner Verständigung kommt, können die Folgen von Missverständnissen fatal sein (vgl. Roat/Crezee 2015: 243).

Weitere Gesprächsbeteiligte in den medizinischen Institutionen können das Empfangs- und das administrative Personal sein. In so einem Fall handelt es sich überwiegend um institutionelle Kommunikation, die ein gewisses Machtgefälle vom administrativen Personal in Richtung PatientInnen beinhaltet. Die Wirkung einer solchen asymmetrischen Ausgangsposition auf die nachfolgende medizinische Kommunikation wird oft unterschätzt (vgl. Bechmann 2014). Der Erstkontakt mit der medizinischen Institution erfolgt nämlich in den seltensten Fällen mit den ÄrztInnen, die letztendlich die Behandlung durchführen, sondern mit anderen VertreterInnen einer medizinischen Institution oder einer Vermittlungsinstanz. Auf selbst organisierten medizinischen Reisen kann der Erstkontakt durch eine/einen DolmetscherIn hergestellt werden. Auch diese Interaktionen üben Einfluss auf die medizinische Kommunikation aus, da „das Verhalten dieser Akteure immer zugleich als Spiegel des ärztlichen Verhaltens interpretiert wird“ (Bechmann 2014: 156). Werden die PatientInnen unfreundlich behandelt, wird im schlechtesten Fall auf die Behandlung verzichtet oder diese kein weiteres Mal in Anspruch genommen.

Anders als in klassischen medizinischen Settings sind medizintouristische PatientInnen nicht am Behandlungsort ansässig. Sie müssen eine Reise auf sich nehmen, um die medizinische Leistung überhaupt in Anspruch nehmen zu können. Die soziokulturelle Situation der PatientInnen im Medizintourismus entspricht daher nicht unbedingt jener der in der Literatur zum medizinischen Dolmetschen vergleichsweise häufig untersuchten PatientInnen mit Migrationshintergrund (vgl. u.a. Menz et al. 2013, Bührig/Meyer 2015). Im Medizintourismus genießen die PatientInnen zwar zumeist einen besseren Status (vgl. Juszczak 2017: 56), insbesondere wenn sie sich der Behandlung als PrivatpatientInnen unterziehen, dennoch bleibt die Kommunikation – unabhängig von Status und Sprache der PatientInnen – asymmetrisch. PatientInnen haben in den meisten Fällen sowohl inhaltlich als auch formal einen Nachteil gegenüber den behandelnden ÄrztInnen: Inhaltlich verfügen sie nicht über das benötigte medizinische Wissen (vgl. Bechmann 2014: 129), formal haben sie ein geringeres sprachliches Repertoire (vgl. Bechmann 2014: 211).1 Je nach Bildungsgrad, sozialem Status und Herkunft kann der Soziolekt der PatientInnen stark variieren. Manche PatientInnen gelten laut Bechmann (2014: 212ff.) als „schwierige“ PatientInnen. Dazu gehören u.a. PatientInnen mit körperlichen und kognitiven Einschränkungen, Kinder und Jugendliche, PatientInnen aus anderen Kulturkreisen und Religionen. Handelt es sich bei den PatientInnen um Kinder oder Menschen mit kognitiven Einschränkungen, sind sowohl ÄrztInnen als auch DolmetscherInnen auf eine Fremdanamnese angewiesen.

Manche PatientInnen suchen die ärztliche Praxis oder die medizinische Einrichtung allein auf, andere nehmen Begleitpersonen mit (vgl. Angelelli 2019: 26). Dies kann teilweise kulturelle Gründe haben. Im Medizintourismus ist das Vorhandensein von Begleitpersonen nicht selten, da manche PatientInnen auch aus organisatorischen oder praktischen Gründen mit ihnen reisen. Dies trifft insbesondere auf kleine Kinder zu, die mit auf die Reise gehen müssen, falls die Eltern keine andere Betreuungsmöglichkeit finden. Oft nehmen aber auch FreundInnen oder Verwandte, die über bessere Fremdsprachenkenntnisse – meistens der englischen Sprache – verfügen, an der Reise teil, um die PatientInnen während des Auslandsaufenthaltes sprachlich zu unterstützen. Die gleichzeitige Präsenz mehrerer AkteurInnen, die aktiv am Gespräch beteiligt sind, beeinflusst die Kommunikation erheblich, denn Mehrparteiengespräche sind komplex und erfordern eine „Thematisierung der Sprecherrollenvergabe“ (Menz 2015: 79). Diese SprecherInnenrollenvergabe wird zu einer besonderen Herausforderung, wenn die/der PatientIn ein Kind ist. In diesen Fällen gibt es verschiedene, auch den ÄrztInnen bekannte Einflussfaktoren, die die SprecheInnenrollenvergabe bestimmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eher die Eltern in den jeweiligen Gesprächsturns angesprochen werden als das Kind, hängt nicht nur von der Wahl der Anrede durch die ÄrztInnen, sondern auch von Einflussfaktoren wie dem Alter des Kindes und der Adressierung im vorangegangenen Turn ab (vgl. Menz 2015: 79). Die herausfordernde Steuerung des Gesprächs seitens der DolmetscherInnen in solchen Situationen scheint von Amatos (2007b) diskursanalytischer Untersuchung von Mehrparteiengesprächen zwischen einem amerikanischen Arzt und einem italienischen Kind in Begleitung seiner Eltern bestätigt zu werden. Amato stellte fest, dass nicht alle Turns von den DolmetscherInnen wiedergegeben werden, was bewusste Entscheidungen voraussetzt, um die Steuerung des Mehrparteiengesprächs zu ermöglichen. Am häufigsten wurden in den untersuchten Gesprächen die Äußerungen des Arztes gedolmetscht, während an die Dolmetscherin adressierte Äußerungen, Gespräche zwischen dem Arzt und der Mutter sowie Backchannel-Signale, nicht gedolmetscht wurden. Das Gleiche gilt für Gespräche innerhalb der Familie und Kommentare seitens der Familie, welche die adherence2 betreffen, solange sie keine Meinungsverschiedenheiten enthalten (vgl. Amato 2007b: 31ff.). Falls junge Erwachsene zu behandeln sind, ist die Schilderung der Problematik seitens der Elternteile hingegen kritischer zu hinterfragen und als Delegitimieren zu betrachten (vgl. Menz 2015: 79).

5 224,42 ₽
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506 стр. 45 иллюстраций
ISBN:
9783823302674
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