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Mozarts Briefe und die zahlreichen beglaubigten kleinen Züge seines Lebens bieten eine Fülle von Stoff zur Beurteilung und Kenntnis seines Wesens und damit jener Art des schöpferischen Genies, die der naivsten Auffassung des Wesens des Genies entgegenkommt, bei dem man allem Werden und Tun des Betreffenden gegenüber das Gefühl hat: das muß so sein, das mußte so kommen, das ist also auf diese Weise richtig. Eine Erklärung solcher Erscheinungen verlangt man dann gar nicht; weil sie da sind, sind sie notwendig gewesen. Es ist wie mit dem Wunder, das man glauben muß, das man nie erklären kann. Und es ist das Merkwürdige, daß man bei Mozart, ähnlich wie auch bei Raffael, gar nicht nach einer Erklärung verlangt. Wir fühlen diesen Künstlernaturen gegenüber fast nie etwas vom Werden, sondern nur vom Sein. Natürlich haben auch sie sich entwickelt, aber das ist ein so natürliches Wachsen wie das körperliche Zunehmen des Menschen. Es fehlt eben jene sichtbare Entwickelung, zu der schwere oder große Lebenserfahrungen, zu der die Auseinandersetzung mit bedeutenden Kunsterscheinungen oder Kunstpersönlichkeiten veranlaßt. Diese Künstler wachsen, wie der Baum an geschützter Stelle frei in der Natur wächst, sich ausbreitet, Früchte trägt und – zugrunde geht. Es muß so sein. Man hat eigentlich bei Mozart nicht das Gefühl der Trauer, daß sein Leben so früh zu Ende ging. Das beweist, daß unser Erkennen des Wesens der künstlerischen Persönlichkeit Mozarts in ihr nichts finden kann, was der Künstler nicht bereits gegeben hat. Es offenbart sich darin die absolute Vollkommenheit dessen, was er gegeben hat. Wir können auch gar nicht sagen, wie nun der weitere Weg Mozarts wohl ausgesehen haben würde, wie sein Schaffen geworden wäre; kaum, daß man sich einmal vorstellen mag, wie wohl die spätere Entwicklung Beethovens auf den ja doch nur vierzehn Jahre älteren Mozart gewirkt haben würde. Wir müssen uns auch da wieder mit Goethe zufriedengeben: » Der Mensch muß wieder ruiniert werden. Jeder außerordentliche Mensch hat eine gewisse Sendung, die er zu vollbringen berufen ist. Hat er sie vollbracht, so ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter vonnöten, und die Vorsehung verwendet ihn wieder zu etwas anderem. Da aber hienieden alles auf natürlichem Wege geschieht, so stellen ihm die Dämonen ein Bein nach dem anderen, bis er zuletzt unterliegt. So ging es Napoleon und vielen anderen; Mozart starb in seinem sechsunddreißigsten Jahre, Raffael im gleichen Alter, Byron nur um weniges älter. Alle aber hatten ihre Mission auf das vollkommenste erfüllt, und es war wohl Zeit, daß sie gingen, damit auch anderen Leuten in dieser auf eine lange Dauer berechneten Welt etwas zu tun übrig bliebe.«

Für die Beurteilung des künstlerischen Genies ist es sehr fruchtbar, zu sehen, wie bei Mozart dem ausgesprochen dämonisch genialen Schaffen ein hervorragender Kunstverstand sich eint. Man kann das nicht scharf genug betonen, da sogar Richard Wagner urteilen konnte, Mozart habe »in ganz unreflektiertem Verfahren, in ungetrübtester Naivität« geschaffen. Dabei zollte Wagner der genialen Musikernatur Mozarts höchste Bewunderung. Nur, wie so oft bei Wagner, empfindet man auch hier, daß der gewaltige Theoretiker und Kritiker, der er war, für seine meist tiefdringenden Urteile über Musiker nicht genug die geschichtlichen Vorbedingungen der einzelnen Erscheinungen in Anschlag brachte, vor allem dann nicht, wenn es sich um das Verhältnis des Musikers zur Dichtung handelte. Wie gering gerade für uns Deutsche, bei denen das Wiedererwachen des gesamten seelischen Lebens viel früher in der Musik vorging als in der Dichtung, die schöpferischen Anregungen der letzteren für den auf anderem Gebiete tätigen Künstler in der Zeit vor Goethe sein mußten, wird allzuoft von unserer Kunstgeschichtsforschung übersehen, da wir selber so sehr gewohnt find, die Entwickelung des geistigen Lebens des Volkes hauptsächlich nach der Literatur zu beurteilen. Es kommt gerade bei Wagner hinzu, daß bei ihm die urschöpferische Tätigkeit durchaus auf jener Linie des Dichtens sich bewegte, die wir oben für Beethoven näher gekennzeichnet haben. So urteilt Wagner von Mozart in »Oper und Drama«: »Von Mozart ist mit Bezug auf seine Laufbahn als Opernkomponist nichts charakteristischer als die unbesorgte Wahllosigkeit, mit der er sich an seine Arbeiten machte: ihm fiel es so wenig ein, über den der Oper zugrunde liegenden ästhetischen Skrupel nachzudenken, daß er vielmehr mit größter Unbefangenheit an die Komposition jedes ihm aufgegebenen Operntextes sich machte, sogar unbekümmert darum, ob dieser Text für ihn, als reinen Musiker, dankbar sei oder nicht. Nehmen wir alle seine hier und da aufbewahrten ästhetischen Bemerkungen und Aussprüche zusammen, so versteigt alle seine Reflexion gewiß sich nicht höher als seine berühmte Definition von seiner Nase.« Wir werden dagegen gerade bei der Betrachtung von Mozarts dramatischem Schaffen sehen, wie »reflektiert sein Verfahren« gegenüber allen jenen Dingen war, bei denen die Reflexion etwas zu tun hat.

Das letzte Wort Wagners zielt auf jenen als Ganzes sicher unechten Brief vom Jahre 1789, in dem ausführlich über Mozarts Art zu komponieren gesprochen ist. Da der Brief innerlich wahr ist und gewissermaßen das von der äußeren Beobachtung her Erkennbare in Mozarts Schaffensweise zusammenfaßt, sei die wichtigste Stelle auch hier wiedergegeben:

»Wenn ich recht für mich bin und guter Dinge, etwa auf Reisen im Wagen oder nach guter Mahlzeit beim Spazieren und in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, da kommen mir die Gedanken stromweis und am besten. Woher und wie, das weiß ich nicht, kann auch nichts dazu. Die mir nun gefallen, die behalte ich im Kopf und summe sie wohl auch für mich hin, wie mir andere wenigstens gesagt haben. Halt' ich das nun fest, so kommt mir bald eins nach dem andern bei, wozu so ein Brocken zu gebrauchen wäre, um eine Pastete daraus zu machen, nach Kontrapunkt, nach Klang der verschiedenen Instrumente usw. usw. Das erhitzt mir nun die Seele, wenn ich nämlich nicht gestört werde; da wird es immer größer, und ich breite es immer weiter und heller aus, und das Ding wird im Kopf wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ich's hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen, im Geist übersehe und es auch gar nicht nacheinander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen. Das ist nun ein Schmaus! Alles das Finden und Machen geht in mir nun nur wie in einem schönen, starken Traum vor. Aber das Überhören, so alles zusammen, ist doch das Beste. Was nun so geworden ist, das vergesse ich nicht gleich wieder, und das ist vielleicht die beste Gabe, die mir unser Herrgott geschenkt hat. Wenn ich hernach einmal zum Schreiben komme, so nehme ich aus dem Sack meines Gehirns, was vorher, wie gesagt, hineingesammelt ist. Darum kommt es hernach auch ziemlich schnell aufs Papier; denn es ist, wie gesagt, eigentlich schon fertig und wird auch selten viel anders, als es vorher im Kopf gewesen ist. Darum kann ich mich auch beim Schreiben stören lassen, und mag um mich herum mancherlei vorgehen, ich schreibe doch, kann auch dabei plaudern, nämlich von Hühnern und Gänsen und von Gretel und Bärbel und dergleichen. Wie nun aber über dem Arbeiten meine Sachen überhaupt eben die Gestalt oder Manier annehmen, daß sie Mozartisch sind und nicht in der Manier eines anderen, das wird halt ebenso zugehen, wie daß meine Nase ebenso groß und heraufgebogen, daß sie Mozartisch und nicht wie bei anderen Leuten geworden ist. Denn ich lege es nicht auf die Besonderheit an, wüßte die meine auch nicht einmal näher zu beschreiben; es ist ja aber wohl bloß natürlich, daß die Leute, die wirklich ein Aussehen haben, auch verschieden voneinander aussehen, wie von außen, so von innen. Wenigstens weiß ich, daß ich mir das eine sowenig als das andere gegeben habe.«

Dagegen steht jenes Geständnis, das Mozart bei der Einstudierung des »Don Juan« in Prag dem Kapellmeister Kucharcz gegenüber äußerte: »Überhaupt irrt man, wenn man denkt, daß mir meine Kunst so leicht geworden ist. Ich versichere Sie, lieber Freund, niemand hat so viel Mühe auf das Studium der Komposition verwendet als ich; es gibt nicht leicht einen berühmten Meister in der Musik, den ich nicht fleißig und oft mehrmals durchstudiert hätte.«

Den scheinbaren Widerspruch hilft uns wieder Goethe lösen, der von der Produktivität höchster Art, die der Mensch als unverhofftes Geschenk von oben zu betrachten habe, das da übermächtig mit ihm tut, wie es ihm beliebt, und dem er sich bewußtlos hingibt, eine Produktion anderer Art unterscheidet, die irdischen Einflüssen unterworfen ist, und die der Mensch mehr in seiner Gewalt hat. »In diese Region zähle ich alles zur Ausführung eines Planes Gehörige, alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte bereits leuchtend dastehen; ich zähle dahin alles dasjenige, was den sichtbaren Leib und Körper eines Kunstwerkes ausmacht.« Bei der Ausgestaltung der genial erfaßten Idee tritt der Kunstverstand als wichtigste Kraft auf. Die Bedeutung dieser zweiten, von Goethe mit vollem Recht noch in den Bereich des Genialen hineingezogenen Tätigkeit ist so groß, daß vielfach der Kunstbeurteiler in dieser Kraft der Ausführung das Ausschlaggebende sieht. Fast die ganze französische Art des Kunsturteils bewegt sich in diesem Kreise, wobei wir freilich hinzufügen müssen, daß in der Geschichte der romanischen Künste die Erscheinungen, daß diese zweite Art der Produktivität nicht auf der Höhe der ersten steht, sehr selten sind. Wohl aber ist es eine charakteristische Erscheinung der germanischen Kunstgeschichte, daß die Gestaltung eines künstlerisch genialen Gedankens weit hinter dessen ursprünglicher Erfassung zurückbleibt. Wir berühren hier vielleicht das tiefste Problem germanischer Kunstauffassung und damit den entscheidenden Punkt im germanischen Kunstschaffen, für das die Schwierigkeit immer darin liegt, daß die Konzeption so ungeheuer stark ist, daß die Formgebung für jeden einzelnen Fall als neues Problem dasteht. Wir haben nun gerade bei Mozart so stark das Gefühl, daß die Form sich mit dem Inhalt deckt – alles natürlich rein musikalisch verstanden –, daß wir schon daraus auf eine hohe Bildung seines Kunstverstandes schließen können. Während er sonst, wie seine Schwester sagte, zeitlebens in allem ein Kind blieb, war er in allen musikalischen Dingen von einer erstaunlichen Frühreife, auch hinsichtlich des verstandesmäßigen Urteils. Die schroffe Entschiedenheit dieses künstlerischen Urteils wirkt gerade bei seinem so liebevollen Charakter, welcher in allen anderen Dingen das Lobenswerte heraussuchte, doppelt charakteristisch.

Es ist für Mozart charakteristisch, daß wir fast nichts von dieser Arbeit der Produktion merken, in der das innerlich erschaute Werk seine Gestaltung für die Mitteilung an die äußere Welt erfährt. Diese ganze Arbeit wird in einer sonst unerhörten Weise innen vollzogen. Wir haben von Mozart fast keine Skizzen, und die vorhandenen wirken mehr als Notierung wertvoller Einfälle denn als Vorbereitungsarbeiten oder Vorstadien eines bestimmten Kunstwerkes.

Die Gestaltung ist in der Musik, technisch betrachtet, das Aufzeichnen in Noten, also etwas der Schreibarbeit ähnliches. Immerhin wäre es falsch, diese Notenschreibarbeit etwa der Niederschrift eines innerlich fertiggemachten Gedichtes zu vergleichen. Die formale Arbeitsleistung ist in der Musik eine unendlich verwickeltere. Eine Orchesterpartitur mit ihrer Verteilung der Melodieführung und der Tonfarben an die verschiedenen Instrumente kann man viel eher einer Radierung mit ihrer Verteilung von Hell und Dunkel vergleichen als einer Wortniederschrift. Der Dichter arbeitet in den Worten mit festgeprägten Begriffen, für den Musiker dagegen ist ein einzelnes, noch so inhaltreiches Motiv für die letzte Umarbeitung noch schier ein Nichts, nicht mehr als der Gedanke, der erst der Formulierung bedarf. Also wenn bei Dichter und Musiker die Mitteilungsform an die Außenwelt in der Arbeit scheinbar dieselbe ist, so ist die Gestaltung beim Musiker doch ein viel verwickelterer Prozeß. Man mag es sich so vorstellen, wie wenn ein Maler ohne vorangegangene Zeichnung, ohne Untermalung oder dergleichen ein großes Ölgemälde so schüfe, daß er in der einen Ecke anfinge, überall gleich den endgültigen Farbenton hinsetzte und so das ganze Bild glatt hinmalte, wie es vor seinem innern Auge steht. Ein solcher Gedanke wirkt geradezu unsinnig; aber Mozart hat derartiges geleistet. Die Entstehungsgeschichte der Ouvertüre zum »Don Juan« – sie wurde in körperlicher Erschöpfung in der Nacht vor der Aufführung geschrieben – ist ein solches Wunder. Ein anderes Mal hat er ein Orchesterwerk, den ergötzlichen musikalischen Spaß einer »Bauernsinfonie« gleich in Stimmen hingeschrieben, was im Grunde noch erstaunlicher ist als der oben angeführte Fall, weil das nicht nur ein völlig genaues Klangbild voraussetzt, sondern auch ein schier unbegreifliches Gedächtnis, das genau weiß, wo und wie lange die einzelnen Instrumente zu pausieren haben, wo sie, rein zeitlich genommen, wieder mit den anderen zusammentreffen und dergleichen. Wieder eine andere Variante zeigt der Fall mit der Geigerin Strinasacchi, der er eine Violinsonate für ein gemeinsames Konzert versprochen hatte. Am Abend vorher war noch nichts fertig. Sie bittet, beschwört ihn so lange, bis er ihr schließlich die Violinstimme schreibt. Sie übt noch schnell ihren Part ein, und beim Konzert ernten beide großen Beifall. Der Kaiser Joseph aber, der zugegen war, erkannte durch die Lorgnette, daß Mozart keine Noten vor sich hatte. Er bittet ihn deshalb zu sich und verlangt die Sonate. Da stellt sich heraus, daß außer der Violinstimme nichts aufgeschrieben ist, Mozart also im Augenblick den Klavierpart zu der Violinstimme erfunden hatte. Mozart besaß also die Fähigkeit, innerlich etwas ganz fertig zu machen, so daß er nachher gewissermaßen die dem Gehirn als fertiges Bild vorschwebende Partitur einfach mit den Händen abschrieb. Das war dann so mechanische Arbeit, daß er keiner musikalischen Beihilfe – etwa des Klaviers – dazu brauchte, daß ihn leichtes Geplauder eher anregte als störte, daß er, wie seine Frau sich äußert, »Noten schrieb wie Briefe«. Vom wunderbarsten Beispiel aber gibt zweifellos folgender Brief (30. April 1782) an die Schwester Kunde: »Hier schicke ich Dir ein Präludio und eine dreistimmige Fuge. Das ist eben die Ursache, warum ich Dir nicht gleich geantwortet, weil ich – wegen des mühsamen kleinen Notenschreibens nicht habe eher fertig werden können. – Es ist ungeschickt geschrieben, – das Präludio gehört vorher, dann folgt die Fuge darauf. – Die Ursache aber war, weil ich die Fuge schon gemacht hatte und sie unterdessen, daß ich das Präludium ausdachte, abgeschrieben.« Also während er eine so schwierige, höchste Aufmerksamkeit erheischende Abschrift fertigstellte, war Mozart zur »innerlichen« Produktion eines neuen Werkes imstande.

Erst so verstehen wir nun recht, was Mozart darunter verstand, daß er »ganz in der musique steckte«. Das war höchste Arbeitsleistung, die durch eine ungeheuer gesteigerte Fähigkeit innerlicher Konzentration ermöglicht war. Diese wird uns denn auch von allen Seiten bezeugt. Das heißt indirekt durch die Berichte von Zeitgenossen. Der Friseur hatte große Not mit ihm, denn alle Augenblicke sprang er auf und lief zum Klavier, und der Figaro mußte ihm mit dem Zopfband überallhin folgen. Beim Kegeln und Billardspielen summte er vor sich hin, taktierte mit dem Kopf und warf Noten auf irgend ein hervorgezogenes Stück Papier. Teile des »Don Juan« und der »Zauberflöte« sind so entstanden. Beim Reiten wurde ihm das Komponieren fast gefährlich, denn das Pferd ging mit dem versonnenen Meister durch. Schuf er ein großes Werk, so war er zu Possen und Späßen besonders geneigt, in denen er ein Gegengewicht gegen die geistig tief erregenden Momente des Gestaltens fand. »Er war immer guter Laune, aber selbst in der besten sehr nachdenkend, einem dabei scharf ins Auge blickend, auf alles, es mochte heiter oder traurig sein, überlegt antwortend, und doch schien er dabei an etwas ganz anderem tief denkend zu arbeiten. Selbst wenn er sich in der Früh die Hände wusch, ging er dabei im Zimmer auf und ab, blieb nie ruhig stehen, schlug dabei eine Ferse an die andere und war immer nachdenkend. Bei Tisch nahm er oft eine Ecke der Serviette, drehte sie fest zusammen, fuhr sich damit unter der Nase herum und schien in seinem Nachdenken öfters nichts davon zu wissen, und öfters machte er dabei noch eine Grimasse mit dem Munde. – Auch sonst war er immer in Bewegung mit Händen und Füßen, spielte immer mit etwas, z. B. mit seinem Chapeau, Taschen, Uhrband, Tischen, Stühlen gleichsam Klavier.«

Ebenso bezeichnend ist die Mitteilung, die Mozarts Schwager, Jos. Lange, in seiner Selbstbiographie (S. 181) macht: »Nie war Mozart weniger in seinen Gesprächen und Handlungen für einen großen Mann zu erkennen, als wenn er gerade mit einem wichtigen Werk beschäftigt war. Dann sprach er nicht nur verwirrt durcheinander, sondern machte mitunter Spässe einer Art, die man an ihm nicht gewohnt war; ja, er vernachlässigte sich sogar absichtlich in seinem Betragen. Dabei schien er doch über nichts zu brüten und zu denken. Entweder verbarg er vorsätzlich aus nicht zu enthüllenden Ursachen seine innere Anstrengung unter äußerer Frivolität; oder er gefiel sich darin, die göttlichen Ideen seiner Musik mit den Einfällen platter Alltäglichkeit in scharfen Kontrast zu bringen und durch eine Art von Selbstironie zu ergötzen.« An Selbstironie ist dabei natürlich nicht zu denken; eher an eine Art Notwehr, in der sich der dem Alltäglichen dienstpflichtige materielle Mensch gegen die Übermacht des Geistes verteidigt. Oder auch an das Schamgefühl des fein und zart empfindenden Künstlers, der vor der Umwelt die Wunder zu verheimlichen strebt, die in ihm sich vollziehen.

Natürlich, wer nun bloß dieses Äußere sah, mußte denken, das sei überhaupt keine Arbeit. Selbst der Vater erkannte in dieser Hinsicht die Art seines Sohnes nicht. Auch er schätzte nur das als Arbeit, was er sah, und bedachte nicht, daß wenn sein Sohn sich zur Niederschrift hinsetzte, eigentlich bereits alles gearbeitet war, trotzdem ihm dieser das oft genug sagte; so z. B. einmal von München aus, als er dort am »Idomeneo« arbeitete, wo er ihm schrieb: »Komponiert ist schon alles, aber geschrieben noch nicht.« Dabei ist es so leicht erklärlich, daß Mozart vor der Niederschrift zurückschreckte; sie war ja für ihn eigentlich gleich einer rein handwerksmäßigen Arbeit, im Grunde mechanische Abschrift eines innerlich Fertigen. Nun mag es ja sein, daß bei diesem »Auf-die-lange-Bank hinausschieben«, wie es der Vater nannte, gelegentlich etwas nicht fertig geworden ist. Aber angesichts der riesigen Zahl der Mozartschen Werke müssen wir schon rein äußerlich von einem ganz gewaltigen Fleiß sprechen. Nicht bei allen ähnlich veranlagten Genies können wir das gleiche sagen. Lionardo da Vinci z. B., zweifellos eine der produktivsten Naturen, die es je gegeben hat, ist nur selten zur vollendeten Gestaltung seiner genial erschauten und innerlich fertig gestalteten Werke gelangt. Während der Arbeit an der Gestaltung des Äußeren nahm ihn die innere Produktion eines Neuen bereits derartig in Anspruch, daß er nicht nur die Lust, sondern auch die Spannkraft zur äußeren Vollendung der älteren Werke verlor. In herrlicher Weise hat der Russe Mereschkowski in seinem Roman »Lionardo da Vinci« den Wegen dieser eigenartigen Genialität nachgespürt.

Daß Mozart dieser Gefahr so völlig entronnen ist, hat seinen tiefsten Grund wohl darin, daß für ihn das Formale keine Probleme ergab. Das elementar Musikalische, von jeglicher außermusikalischen Beimischung Freie seiner Empfindungsweise bewirkt, daß bei Mozart ein Widerstreit zwischen Form und Inhalt nicht möglich ist. Hier liegt auch die Erklärung dafür, daß seine Werke von so vollkommener Stileinheit sind. Dieser

Mozartsche Stil

ist der entzückendste Ausdruck seiner Persönlichkeit. Nichts ist ihm zu vergleichen. Wir wollen sein Wesen zu ergründen versuchen.

Der 22jährige Mozart hat auf der Reise nach Paris an den Vater geschrieben, er würde sich sehr freuen, wenn er in Paris den Auftrag zur Komposition einer Oper erhalten würde, und soviel lieber ihm eine italienische Oper wäre, so würde er sich doch auch kecklich eine französische Oper übernehmen, »denn ich kann so ziemlich, wie sie wissen, aller Arten Stil von Kompositionen annehmen und nachahmen«. In der Tat, man wird von diesen Kompositionen aus den Wunderkinderjahren nicht ein ausgesprochen persönliches Gepräge erwarten. Das ist sogar das Gute dabei; denn so frühreif das Kind Mozart war, so große psychologische Rätsel seine Entwicklung aufgibt, psychopathisch, krankhaft wirken die Erscheinungen nirgends. Und so ist denn auch Mozarts frühe Kompositionstätigkeit im letzten Sinne die durchaus kindliche Eigenschaft der Nachahmungsfähigkeit, freilich in einer sonst kaum wieder anzutreffenden Höhe.

Die Fähigkeit, alle Arten Stil anzunehmen, ward bei ihm zum Stilgefühl insofern dadurch, daß doch alle diese Stilarten durch ihn hindurchgehen mußten, sich bei ihm ganz natürlich die Empfindung einstellte, daß der und der Stil besser für diese Gelegenheit passe, als für eine andere. So offenbart sich schon in den Kompositionen, die der Zwölfjährige für Wien schuf, ein bewußtes, scharfes Auseinanderhalten im Stil der Kompositionen für die Kirche und für die Oper.

Im Hinblick auf Mozart hat Richard Wagner den Satz geschrieben: »Der deutsche Genius scheint fast bestimmt zu sein, das, was seinem Mutterlande nicht eingeboren ist, bei seinen Nachbarn aufzusuchen, dies aber aus seinen engen Grenzen zu erheben und somit etwas Allgemeines für die ganze Welt zu schaffen.« Diese Universalität – nicht Internationalität – des Geistes haben vor allem deutsche Musiker angestrebt. Aber Mozart hat nicht nur »diese Universalität des deutschen Geistes in der höchsten Potenz vollbracht und die ausländische Kunst sich zu eigen gemacht, um sie zur allgemeinen zu erheben« (Wagner), – er hat das viel Höhere erreicht, daß die Weltsprache der Musik seine Persönlichkeitssprache wurde. Das haben wir nach meinem Gefühl seinem Herumreisen als Wunderkind zu danken, der Tatsache, daß er in so jungen Jahren die Stile der verschiedenen Völker sich zu eigen machte. Denn auf Italien folgte Paris, wo er die ganze Art der französischen Musik wirklich erleben konnte, überdies in aller Lebendigkeit die Werke Glucks auf sich einwirken ließ. Gerade weil er selber noch ein Kind oder Knabe oder doch noch ein unfertiger Jüngling war, übernahm er diese verschiedenen Musikstile als Formen. Da ein eigenes Seelenleben, die Persönlichkeit in ihm noch nicht entwickelt war, da er jugendlich empfand, nahm er alle diese fremde Kunst als Außenerscheinung in sich auf, nicht aber den tieferen Gehalt derselben, vor allen Dingen nicht die Art des Fühlens, die eine solche Ausdrucksweise bedingt. Hochbegabte Musiker, wie Hasse und Naumann, waren völlig zu Italienern geworden; aus ihren Opernwerken kann niemand auf ein deutsches Empfinden schließen. Sie hatten mit der italienischen Opernform auch die italienische Seele in sich aufgenommen oder hatten doch wenigstens die Fähigkeit eingebüßt, ein deutsches persönliches Empfinden auszudrücken. Auch der Riese Händel ist in seinen Opern durchaus Italiener. Dagegen wird man selbst die italienischste Oper des späteren Mozart, »Cosi fan tutte«, niemals als italienische Musik empfinden. Man spürt ganz deutlich eine Persönlichkeit heraus, und diese Persönlichkeit ist kein Italiener.

Für Mozart – ich meine jetzt den späteren, fertigen Meister – wurde die Beherrschung der verschiedenen Stile niemals zu einer Nachahmung derselben, weil er sie niemals um ihrer Form willen anwandte, sondern weil sie ihm in dem betreffenden Augenblick als geeignet erschienen, sein Empfinden und seine Absichten in Musik auszudrücken.

Letzterdings entsteht doch das Gefühl, daß eine Ausdrucksform Stil sei, dadurch, daß sich diese Ausdrucksform mit einem Inhalt, einer Stimmung so deckt, daß sie nicht nur für den einzelnen Schöpfer, sondern für eine große Zahl von Menschen (in der Idealvorstellung für die Gesamtheit) als die gegebene, die einzig wirkliche Ausdrucksform des betreffenden Inhalts erscheint. Auch Richard Wagner mit seinem Sprachgesang hat z. B. die durchaus nicht den Sprachgesetzen angepaßte, ja diesen eigentlich fortwährend widersprechende kontrapunktische Polyphonie des Palestrinastils als den durchaus entsprechenden katholischen Kirchenmusikstil empfunden und hat nicht die Bedenken dagegen erhoben, die er aus seinem persönlichen Stilgefühl der Verpflichtung der Musik der Sprache gegenüber hätte fühlen müssen. Er selbst hat aber trotzdem auch in den Abendmahlschören des »Parsifal« diesen Stil nicht zur Anwendung gebracht. Mozart würde es in einem gleichen Falle sicher getan haben. Ebenso ist in den »Meistersingern« die Annäherung an die ältere deutsche Kontrapunktik nur Kolorit, nicht eigentlicher Stil, was die akademischen Gegner Wagners oft dahin verkannten, als hätte Wagner nicht so recht im kontrapunktischen Stil schreiben können. In Wirklichkeit beruht aber der kontrapunktische Stil auf einem dem innersten Kunstprinzip Wagners durchaus entgegengesetzten Lebenselement, ist absolut musikalisch und immer mit einem schweren Zwang für die Sprache verbunden. So erkennen wir, daß bei Wagner auch den verschiedensten Vorlagen gegenüber im Grunde immer dasselbe Stilprinzip tätig ist, daß die musikalische Verschiedenheit nur in einer leichten Beimischung eines anderen Kolorits beruht, etwa so, wie ein Dichter, wenn er bei einem älteren Stoff die Sprache etwas altertümlich färbt, durchaus nicht seine persönliche Sprechweise aufzugeben braucht.

Bei Mozart ist dagegen der merkwürdige Fall eingetreten, daß er gewissermaßen mehrere Muttersprachen hat, mehrere Sprachen, in denen ihm Denken und Reden natürlich geworden ist. Aber auch diese liegen nun nicht nebeneinander getrennt, sondern bilden eine große Einheit, tatsächlich das Ideal einer Weltsprache. Es ist leicht erklärlich, daß nur die Musik, die völlig befreit ist von den trennenden Grenzen, die sonst die Sprachverschiedenheit aufrichtet – bei den bildenden Künsten entstehen Grenzen durch die wenn auch oft nur geistige Zweckbestimmung –, daß die Musik, die ihrem innersten Wesen nach Empfindungen und Gedanken als solche ausdrückt, also bevor sie eine Gestalt gewonnen haben, eine solche Welt- oder sagen wir besser allgemein menschliche Sprache abgeben kann. Soweit das Nationale in den Musikformen liegt, soweit es nicht auf der Tatsache beruht, daß die verschiedenen Völker ebensogut wie die einzelnen Menschen verschiedene Persönlichkeiten sind, deren Art zu fühlen und zu empfinden unterschiedlich ist, soweit also die Musik formen irgend einen Nationalcharakter tragen, ist dieser bereits nicht mehr urmusikalisch, sondern äußere Gestaltung. Es ist doch sehr bezeichnend, daß dabei der Rhythmus, dessen Beziehungen zur Körperbewegung unverkennbar sind, also daß Tänze und Volkslieder diese Charakterisierungsmittel abgeben.

Es ist darum nur natürlich, daß, solange ein stärkeres, vergeistigtes Nationalgefühl fehlte, solange vor allen Dingen die Kunstmusik eigentlich nur für die Kirche herangezogen wurde, von irgendwelchen nationalen Stilen nicht die Rede war; die kontrapunktische Polyphonie ist überall dieselbe. Von der Zeit aber, wo die Musik mehr Seelensprache des einzelnen wird, bilden sich die Nationalmusiken heraus. Es hat immer Künstler gegeben, und es waren bezeichnenderweise fast immer Deutsche, die diese Stilabsonderung als einengend empfanden. Dieses Empfinden geht dann nach zwei Seiten; auf der einen ist es Verwischung der persönlichen Eigenart zugunsten einer allgemeinen Internationalität, ist Schwäche; auf der anderen ist es höchste Steigerung des Besten in der eigenen Kraft, genährt und vermehrt durch die Aufnahme des Verwandten oder doch innerlich Anpassungsfähigen in dem Besitzstande der Fremde, ist es Universalismus, höchste Stärke. Für die Musik vertritt Mozart diesen Universalismus in der vollendetsten Weise. Seine Musik ist überhaupt in der gesamten Kunst das wunderbarste Beispiel eines Menschheitsbesitzes.

Nochmals müssen wir, um das klar zu erfassen, einige Schritte zurückgehen und wieder an Goethes Wort anknüpfen, daß das wesentliche Künstlerische der Genialität darin beruht, daß man zur Produktion von Kunst fähig ist, daß also die schöpferische Idee, die die Seele zu erfassen vermochte, nach künstlerischer Aussprache drängt. Erst in zweiter Linie steht die Umsetzung der Idee in die Tatsache, also die Gestaltung jenes Schöpfergedankens. Freilich tritt vor uns Menschen ja nur diese sichtbare oder hörbare, diese körperlich, sinnlich wahrnehmbar gewordene Gestalt des Kunstwerks, und somit ist man vielfach dahin gekommen, das Künstlertum nach seiner Gestaltungskraft einzuschätzen. Immerhin wissen wir alle, daß sogar bei den verschiedenen Völkern da eine verschiedene Veranlagung hervortritt, daß z.B. die Romanen, die Franzosen voran, vorzügliche Gestalter, daß sie ausgezeichnete Formengeber des ihnen schöpferisch Aufgegangenen sind, daß dagegen die deutsche Kunst fast immer schwer um diese Formengebung zu ringen hat, daß nur in ganz vereinzelten Fällen in der deutschen Kunst die Formengebung auf derselben Höhe steht wie die innerliche schöpferische Kraft. Nur wer es wagen würde, die germanische Kunst darum geringer einzuschätzen als die romanische, dürfte sich zu jenem verbreiteten Grundsatze, daß die Gestaltung das Wesentlichste der Kunst ist, ohne weiteres bekennen. Immerhin, die eine Tatsache bleibt bestehen, daß die künstlerische Kraft nur dann in Kunstwerke ausgemünzt werden kann, wenn eine solche Gestaltungskraft vorhanden ist und diese in Tätigkeit umgesetzt wird.

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