Читать книгу: «Mettes Flucht in den Tod», страница 3

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Als Joachim ins Haus kam, schaute ihn Gesche fragend an. „Wir haben 30 Fußsoldaten Quartier zu geben und sie mit allem zu versorgen. Tun wir es nicht oder schlecht, zünden sie den Hof an“, fing er bedrückt an zu berichten.

„Wir dürfen mit den drei Kindern in unserer Kammer blei-ben. Vater und meine Tante Gesine ziehen mit ein und die Knechte und Mägde dürfen in ihren Koben bleiben“, fuhr er fort.

Dann schaute er seine Frau besorgt an. „Gesine wird sich mit Vater um die Soldaten kümmern und du dich um die Kinder. Ich werde achtgeben, dass sie nicht schon in der ersten Woche alle unsere Vorräte auffressen.“

Gesche nickte sorgenvoll. „Es hätte auch schlimmer kommen können. Stellen wir die Soldaten zufrieden, dann werden sie uns nichts tun“, sagte sie hoffnungsvoll.

„Es wird sehr eng werden. Ich bitte dich, es schnell herzurichten. Der Leutnant wird in der anderen Kammer wohnen und ich kümmere mich um die Ernte und den Hof.“ Ohne weitere Erklärungen drehte sich Joachim auf dem Absatz um und verließ das Haus.

Wenige Stunden später kamen, wie angekündigt, die fremden Soldaten auf den Hof. Sie sahen nicht besser oder viel anders aus als die Schweden, die ja erst vor Kurzem fortgezogen waren.

Joachim ging dem Leutnant schnurstracks entgegen, als der seine Truppe halten ließ und sprach, den Blick nach unten gesenkt: „Herr, es ist alles so vorbereitet und gerichtet, wie Ihr es verlangt habt.“

Claus kannte sich in den Rängen des Militärs nicht aus und dem Leutnant war es in diesem Augenblick egal.

Seine Truppe war abgekämpft und müde. Sie wollten eine warme Mahlzeit, einen Krug Bier und dann eine trockene Schlafstatt.

Auf dem Hof änderte sich das Leben für die bisherigen Bewohner erneut einschneidend. Es war alles sehr eng geworden, enger als mit den Schweden. Jeder Schritt wurde beobachtet. Die Soldaten waren misstrauisch, hungrig und durstig. Sie gingen mit den abtrünnigen Evangelischen nicht gerade zimperlich um. Schließlich gaben sie ihnen die Schuld an dem ganzen Krieg. Der Leutnant hatte seine Truppe aber im Griff. Nach wenigen Wochen zog die Truppe weiter, aber es kamen immer wieder andere.

„Der alte Sottrumer Pastor hat recht behalten“, meinte Gesche eines Abends leise zu ihrem Mann. Ihn haben sie des Landes verwiesen, weil er nicht katholisch werden wollte, und nun steht ein Priester an seiner Stelle am Altar und auf der Kanzel, die ja noch aus katholischen Zeiten stammen.

„Solange wir gesund bleiben, soll es uns gleich sein, denn den hohen Herren, welche es auch immer sind, ist unser Schicksal egal“, sagte er nicht ohne Zorn und fuhr fort: „Wir müssen nur achtgeben, dass uns die Soldaten nicht wehtun und dass uns etwas zum Überleben bleibt.“

„Ein wenig Zubrot bringt ja auch meine Arbeit als Bademutter ein. Es wird schon reichen“, meinte Gesche.

***

Timotheus war einer der Mönche, der Tillys Truppen in den Reihen der Priester folgte. Er verblieb in Sottrum zur Unterstützung des dort eingesetzten Priesters, damit die Messe nach den Regeln der katholischen Kirche gelesen werden konnte.

Er vernahm mehr durch Zufall die Gerüchte und die Geschichte um diesen Mann aus Bötersen und berichtete sie dem Gottesmann.

„Mein lieber Timotheus, Euer Name - der Ehrfürchtige – spricht schon für Euch. Haltet die Augen und Ohren auf, sammelt Beweise für Zauberei und Gotteslästerung, dann gehen wir der Angelegenheit nach“, versprach ihm der Priester.

„Ihr seid mir auch dafür verantwortlich, Ministranten auszusuchen. Die Kirchengeschworenen werden jedenfalls von mir bestimmt und diese sogenannten Juraten aus ihrer Verpflichtung entlassen. Schlage mir dazu drei gottesfürchtige Männer vor. Und noch etwas, prüfe die Kasse stets peinlich genau!“, befahl er seinem Helfer.

„Es bleibt eine schwere Aufgabe, den Irrglauben aus diesen Menschen herauszubekommen und auszurotten. Mit Gottes Hilfe aber werden wir es schaffen. Nehme alles Heidnische und Lutherische aus dem Gotteshaus und helfe mir, es wieder zu dem zu machen, was es einst gewesen war. Ich werde es durch meine Worte und Predigten wieder zu einer gesegneten Stätte machen.“

Der Mönch verneigte sich schweigend in Demut und tat, was ihm sein Priester aufgetragen hatte.

Er entfernte überall alles, was nicht der katholischen Lehre entsprach und hängte Kruzifixe auf. Der aus dem Amt entlassene und ausgewiesene Pastor hatte bereits einen Großteil seiner sakralen Gerätschaften und Gewänder aus dem Chorraum mitgenommen, der nun wieder zu einer Sakristei wurde. Timotheus stattete dann seine Sakristei wieder mit allen notwendigen Gegenständen und Insignien aus, die er auf dem Wagen mitgeführt hatte. Mit viel Sorgfalt entfaltete er die Gewänder für den Priester und die Ministranten, holte die heiligen Bücher, Kelche, Hostien, Kerzen und allerlei andere Gegenstände, aber auch den Messwein aus den bereitstehenden Kisten heraus und gab allem mit stoischer Hingabe den festen und vorgegebenen Platz, den sie vor der Reformation innehatten. Dann widmete er sich mit gleicher Leidenschaft dem Beichtstuhl, der seiner Meinung nach auch von den verhassten Lutheranern noch genutzt wurde.

Mit Tillys Abzug packte der Mönch Timotheus, wenngleich auch dann mit Wehmut, alles wieder mit großer Sorgfalt zusammen, verstaute es sicher und folgte seinem Priester, der den Heerzug geleitete, in eine neue Aufgabe, wo immer dies auch sein würde.

Zum Abschied sagte er zu einem Mitbruder: „Ich glaube, dass wir in den wenigen Jahren nicht eine einzige dieser in vier Generationen durch Luthers falschen Glauben reformierten Seelen zum wahren Glauben haben bekehren können.“

1633

„Der Hinkefuß ist tot“, sagte Gesche zu ihrem Mann, als sie von einer Geburt eines Kindes aus einem der Nachbardörfer auf den Hof zurückkam. In ihrer Stimme schwang eine gewisse Erleichterung mit, die Joachim sogleich aufgefallen war.

„Dann kann ja nun endlich Ruhe bei uns einkehren“, kommentierte der alte Harm mit Erleichterung.

Drei Tage später wurde mit Cordt der letzte Döhrnemann des Kirchspiels zu Grabe getragen und mit ihm auch die „Hexenjagd“, wie man auf dem Hof in Höperhöfen hoffte.

Dass dieser Wunsch ein Irrtum blieb, erlebten Joachim und Gesche nicht mehr.

1639

Den alten Harm fand seine Schwester Gesine eines Morgens leblos, kalt und bretthart in seinem Bett liegend.

„Nun bist du endlich bei deiner Adelheid“, sagte sie liebevoll und strich mit der Hand über die erkalteten weißlichen Finger ihres toten Bruders.

Sie folgte ihm noch vor dem Weihnachtsfest des gleichen Jahres. Aber sie starb nicht an Altersschwäche wie der Bruder. Durch die kalten und feuchten Dezembertage war sie an Schwindsucht erkrankt und schon nach wenigen Tagen an den Folgen gestorben.

Als sie zu Grabe getragen wurde, war Mette sehr traurig, denn bei der Tante hatte sie vieles gelernt und sie hatte sie sehr gemocht.

„Sie war eine herzensgute Frau“, sagte sie zu ihrer Zwillingsschwester Tipke, die zustimmend nickte.

Nach dem Erdbegräbnis gingen beide Schwestern noch gemeinsam in Richtung Moor.

Die Eltern wussten, sie würden später nachkommen und bräuchten sich keine Sorgen zu machen.

An einem kleinen Bachlauf standen etliche alte, sehr hohe Pappeln. Am Ufer, in einer langen Kurve des Wasserlaufs, lag ein graubrauner Felsstein, auf dem drei Menschen bequem liegen konnten. Dieses war ihr Lieblingsplatz, den die Zwillinge immer dann aufsuchten, wenn sie alleine über etwas reden wollten und wenn sie Sorgen hatten.

Der heutige Tag war ein trockener, kalter Wintertag. Es lag noch kein Schnee auf den Feldern, doch konnte man ihn bereits in der Luft spüren. „Heute Nacht wird es schneien und Tante Gesines Grab erhält eine weiße Decke“, sagte Tipke zu ihrer 20 Minuten älteren, ebenfalls 14-jährigen Schwester Mette.

„Was sagst du dazu, dass wir beide nun zum ersten Mal getrennt sein werden?“, fragte Mette, die mit ihren Gedanken ganz woanders war.

Tipke schaute ihre Schwester nachdenklich an. „Ich finde es nicht so schlimm, dass wir als Mägde auf verschiedenen Höfen in Sottrum dienen sollen. Die sind ja nicht weit auseinander und da können wir uns abends ja immer gegenseitig besuchen“, antwortete sie recht blauäugig.

„Ja, das sollten wir tun. Tante Gesine und unsere Modder haben uns ja alles beigebracht, was man so wissen muss“, sagte Mette stolz und stieß Tipke den Ellenbogen sachte mit einem verschmitzten Lächeln in die Seite. „Nur die Sache mit den Männern wollte uns Tante Gesine nicht verraten, aber das finde ich schon noch heraus“, fuhr sie schmunzelnd fort.

Sie plauderten noch eine ganze Weile, bevor sie sich auf den Weg nach Hause machten.

1640-1643

Mette verabschiedete sich von ihren Eltern und den Geschwistern, denn heute war der Tag, an dem sie in Sottrum beim Untervogt ihren Dienst als Jungmagd antreten sollte.

Ihre Schwester war bereits am Tag zuvor losgezogen, ihre Stelle anzutreten.

Die beiden jungen Mädchen hatten sich zwar vorgenommen, sich abends zu besuchen, aber von der Realität eingeholt war es ihnen nicht möglich. Die Pflichten hielten sie auf den Höfen fest. So trafen sie sich regelmäßig an den Sonntagnachmittagen beim Stein oder gingen gemeinsam zu den Eltern.

Beide wechselten jeweils nach einem Jahr die Stellungen, um auf verschiedenen Höfen möglichst viel zu lernen.

Dabei konnten sie sich nicht mehr so regelmäßig sehen, weil sie nun in verschiedenen Dörfern lebten. Mette fiel diese Trennung schwerer als ihrem Zwilling Tipke.

Tipke war in Bülste bei einem Bauern in Diensten, der stolzer Vater eines Sohnes war. Dieser hatte sogleich ein Auge auf die neue Magd geworfen. Dass sie auch von einem Halbhof stammte, machte eine standesgemäße Heirat durchaus möglich, wenn da nicht diese üblen Gerüchte um deren Mutter und Großmutter gewesen wären.

Bülste war ein ganz kleiner Ort im Amt Ottersberg, wohingegen Tipke ja aus Höperhöfen, dem Nachbaramt Rotenburg stammte.

Burghardt, so hieß der junge Mann, zerstreute die Bedenken des Vaters, denn er wollte diese Frau heiraten und mit ihr Kinder haben. Da sie fleißig und redlich ihrer Arbeit nachging, gab der Vater sein Einverständnis.

Kapitel 3
Die Jahre 1644 - 1661

1644 - 1645

Während Tipke einem frühen Eheglück entgegen steuerte, trat die nunmehr 19-jährige Mette ihre vierte Stellung als Magd an. Die Familie Meinken in Jeersdorf hatte einen großen Hof, den sie mit Erfolg bewirtschafteten und der die Zeit des großen Krieges ohne merkliche, wirtschaftliche Einbußen überstanden hatte. Mette war zum ersten Mal im Kirchspiel Scheeßel tätig und es gefiel ihr sehr auf dem Hof, welcher in der Nähe der Scheeßeler Mühle lag. In der Mühle trafen sich immer viele Leute, die miteinander über fast alles redeten. Wer etwas Aktuelles erfahren wollte, ging auf ein Schwätzchen zum Müller.

Mette diente nun schon seit über einem halben Jahr bei Peets Johann, wie man ihren Bauern im Dorf üblicherweise nannte. Zu Mettes Aufgaben gehörte es auch, sich um die jüngsten der sechs Kinder der Familie zu kümmern.

Es waren insgesamt drei Jungs und ebenso viele Mädchen. Jacob war der Älteste und drei Jahre älter als Mette. Bei ihm musste sie immer aufpassen, dass er ihr nicht nachstellte. Das jüngste Kind war erst vier Jahre alt und hieß Anna. Mette lebte sich sehr schnell in die Familie und in ihre Aufgaben ein. Dass sie zuvor schon in andern Anstellungen Erfahrungen gesammelt hatte, machte es ihr hier einfacher. Sie war trotz ihrer Jugend im Arbeitsleben eben schon sehr erfahren.

Der Bauer würde bald stolze 50 Jahre alt werden. Deswegen wurde eine größere Familienfeier geplant, die drei Tage der Vorbereitung bedurfte.

Es wurde eine Vielzahl an Broten vorgebacken, eine Sau geschlachtet, Würste daraus gemacht und noch allerlei andere leckere Sachen.

In der Nähe des abgelegenen Schafstalls brannte Jacob, der älteste Sohn des Bauern, heimlich Schnaps, damit die Feier nicht so trocken verlief.

Nun war der große Tag gekommen. Gegen Mittag waren die zahlreiche Schar der Gäste, die Nachbarn sowie die Familie eingetroffen, wie es die Bäuerin vorausgesagt hatte.

Mette fiel die Rolle des Kindermädchens zu und Anna freute sich, dass sich jemand um die Kleinen kümmerte.

Ein junger Mann, der zur Feier erschien, fiel Mette sogleich auf. Er war ein Vetter von Jacob und Anna.

Er hieß Claus und er stiefelte geradewegs auf seine kleine Cousine Anna zu, die neben Mette stand, sie zu begrüßen.

Als er vor ihnen zu stehen kam, lächelte er beide an. Mette blieb fast das Herz stehen.

„Hallo Claus“, brach es freudestrahlend aus der kleinen Anna heraus. Sie ließ Mettes Hand los und breitete die Arme aus, damit sie Claus hochheben und ganz hoch halten konnte. Das mochte sie am liebsten, konnte sie doch so alles überblicken, was sie sonst nicht sehen konnte.

„Das ist Mette“, sagte sie zu ihm und zeigte mit dem Zeigefinger auf sie.

„Ich bin Claus“, sagte er ein wenig zurückhaltend und reichte ihr seine linke freie Hand, denn den rechten Arm beanspruchte die kleine Anna.

„So haben wir uns kennengelernt“, würde sie noch Jahre später zu ihm sagen.

Eigentlich war die kleine Anna hier die Ehestifterin, denn sie wollte, dass Claus neben ihr sitzen sollte. Da Mette auf Anna aufpassen musste, setzte sich Anna demonstrativ zwischen die beiden.

Bereits im Herbst des folgenden Jahres heirateten die inzwischen verlobten und Anna durfte, nun fast fünf Jahre alt, das Blumenmädchen sein.

Da Mette bis zur Hochzeit in Jeersdorf lebte und als Magd diente, war sie insgesamt nur zweimal in Westeresch zu Besuch gewesen.

Die Blicke der Nachbarn hatte sie gar nicht bemerkt und das Gerede kam ihr nicht zu Ohren. „Warum heiratet der Bursche kein Mädchen aus dem Dorf oder zumindest aus dem Kirchspiel?“, wurde hinter vorgehaltener Hand gefragt.

„Woher kommt sie? Aus Höperhöfen? Gab es da nicht eine Zaubersche? Ist sie möglicherweise die Tochter der verschrienen alten Hexe?“, waren weitere Fragen und Gerüchte, die sich bereits vor der Heirat wie ein Lauffeuer verbreiteten.

Waren damit die Saat und die Rache von Cordt Döhrnemann aufgegangen?

„Hast du das Hexenmal gesehen“, meinte eine Nachbarin rein zufällig gegenüber einer anderen anzumerken, als sie neben ihr des Weges zum Kirchgang ging, an dem Mette ihren Claus heiraten sollte.

„Was für ein Hexenmal?“, fragte sie neugierig zurück.

„Na, den Krötenfuß an der Stirn meine ich, den sie immer mit dem Kopftuch so geschickt verdeckt“, antwortete die Frau mit betonter Stimme.

„Das ist ein Hexenmal! Ihre Mutter soll auch so eines gehabt haben, hörte ich die Leute in Sottrum reden, als ich bei einer Cousine zu Besuch war. Dort haben es die Frauen erzählt, als wir darüber sprachen, dass Mette in unser Dorf einheiratet. Ich wollte ja wissen, was da für eine Nachbarin kommt“, gab sie scheinheilig vor.

„Ich werde einmal darauf Acht geben“, erwiderte die neugierig Gewordene.

Es war eine schlichte und einfache Hochzeit, die die beiden geschwätzigen Nachbarinnen in der Kirche miterlebten. Trotz der Armut gab es eine Feier mit allen Nachbarn im Dorf.

Die neugierig gewordene Frau mit Namen Adelheid Holsten schaute unentwegt, ob sie das besagte Stigma, das Hexenmal, entdecken konnte.

Was die meisten im Dorf noch mehr verwirrte war, dass es die Braut gleich zweimal gab. Sie wussten bis dahin ja nicht, dass Tipke Mettes Zwillingsschwester war und manch einer vermutete anfangs, den üblen Gerüchten folgend, es müsste etwas Wahres dran sein. Selbst nachdem es sich für alle nacheinander aufklärte, blieb ein wenig vom bitteren Nachgeschmack hängen.

Tipke hatte das gleiche Muttermal, wie ihre Zwillingsschwester, aber deswegen hatten sie bisher keinerlei Probleme gehabt - wie gesagt - bisher.

Mette fühlte diese seltsame Stimmungslage, war aber zu abgelenkt, um ihr nachzugehen. Sie war nun die Bäuerin und ihre Schwiegereltern, Tietke und Magarethe Meinken, nahmen sie herzlich auf. Das war es, was heute zählte. Durch die Heirat übernahm ihr Mann von seinem Vater den Hof und war nun selbst Bauer.

„Dein Vater zieht sein Bein nach. Ich wollte ihn nicht fragen. Sag, hatte er einen Unfall?“, fragte Mette Claus eines Abends.

„Er tut es, seit die katholischen Truppen im Dorf waren. Ich war noch ein Kind und Vater war Bauernvogt im Dorf“, begann Claus seine Erzählung.

Mette schaute interessiert und wartete, dass ihr Mann fortfuhr.

„Wir hatten eine Menge fremder Soldaten auf dem Hof. Die sprachen ähnlich wie wir, aber schon einen sehr komischen Dialekt und sagten Kruzifix, wenn sie fluchten.“

„Ich musste mit ansehen, wie sie ihn mit einem Knüppel die Füße blutig geschlagen haben. Er konnte danach monatelang nicht laufen und arbeiten. Wir Kinder hatten damals fürchterliche Angst vor den Soldaten.“

Nach einer Weile sagte Claus: „Wir hatten seinerzeit nicht einmal mehr Pferde. Vater hat mich immer auf unsere Lisa gesetzt. Die haben sie auch mitgenommen. Alle Rinderpferche waren nach Abzug der Soldaten leer. Die Schweine hatten sie abgestochen und geschlachtet. Ich habe es zu der Zeit nicht verstanden, warum sie alle meine Tiere, mit denen ich als Junge aufgewachsen war, umgebracht hatten.“

Er holte tief Luft und sah Mette dabei an. „Vater hatte dem Offizier etwas gesagt. Dieser beschimpfte ihn und dann hat er ihn nur ausgelacht. Mutter dachte, dass sie Vater totschlagen würden. Sie weinte fürchterlich. Am nächsten Tag kamen andere Soldaten. Einer gab mir einen Kanten Brot ab. Sie brachten uns dann auch etwas zu essen mit, und so sind wir über den nächsten Winter gekommen.“

„Der große Krieg ist noch immer nicht vorbei, aber sie verhandeln darüber, hatte der Pastor letzten Sonntag von der Kanzel gesagt“, meinte Mette noch anzufügen.

„Womit Vater wirklich sehr schwer zu kämpfen hatte, war die Tatsache, dass er den Hof nicht mehr führen konnte. Das Amt hat meines Vaters Bruder Johann als Interimswirt eingesetzt und unser Großknecht Lewerenz bekam mehr Aufgaben. Onkel Johann, mein Oheim, starb aber schon vor drei Jahren.“

Dann nahm er Mette in den Arm und drückte sie liebevoll.

1646

Seitdem Mette in Jeersdorf als Magd in Stellung war, ging sie nach Scheeßel zum Gottesdienst. Als Ehefrau des Vollhöfners Meinken hatte sie nunmehr einen festen Platz in den Bänken, die dem Bauern und seiner Familie vorbehalten waren, wie die anderen Familien auch ihre festen Plätze hatten. Dadurch gab es zwar keinen Streit, wer wo sitzen würde, aber es schürte schon Neid, wer vorne und wer weiter hinten in dem Gotteshaus saß.

Nach einem der Gottesdienste standen die Kirchgänger noch auf dem Kirchenvorplatz um die alte Gerichtslinde und hielten, wie immer, noch ein Schwätzchen.

Mette fühlte die Blicke auf sich und hatte das Gefühl, dass die Leute nur über sie sprachen.

Ihre Familie stand stets mit der Nachbarsfamilie Ratchen zusammen. Doch an diesem Tag fasste Mette Mut. Sie hatte Tibke Hollmann gesehen, die aus Bötersen stammte, wie Mettes selige Großmutter Adelheid, und nun in Bartelsdorf lebte. Sie ging auf sie zu und sprach sie an: „Tibke, wusstest du eigentlich, dass wir miteinander verwandt sind? Unsere Urgroßmütter waren Halbschwestern“, sagte Mette zu der sie erstaunt ansehende Frau.

„Also sind wir Cousinen“, schob Mette noch nach.

Tibkes Augen stierten sie entsetzt an und es verschlug ihr die Sprache. Sie drehte sich schlagartig um und ließ Mette wortlos stehen, was wiederum Mette verblüffte.

Enttäuscht ging sie zu ihrer Familie zurück.

Der Weihnachtstag 1646 begann für Mettes Ehemann Claus sehr angespannt. Heute sollte das Ehepaar zu einer richtigen Familie anwachsen.

Er stand in der Groot Döör, deren unterer Flügel geschlossen war, sodass er, die Unterarme aufgestützt, herausschauen konnte.

Die milde Frische des Wintertages schlich an ihm vorbei in das Haus, ließ zugleich die muffige Luft der Ausdünstungen des Viehs und der Menschen, aber auch die wohlige Wärme hinaus. Er atmete tief durch und sah seinen Vater nachdenklich an, der plötzlich neben ihm stand. Ihm ging vieles durch den Kopf, während die Männer schweigsam aus dem Haus schauten.

Er war nun seit zwei Jahren verheiratet. Auch als Bauer war es eine schwere Arbeit, bei der ihm seine Eltern nach Kräften unterstützten. Die Ehe mit seiner Frau verlief anfangs so, wie er es sich vorgestellt hatte, denn Mette versorgte den Haushalt und übernahm die Aufgaben, die einst seine Mutter ausführte, welche weiterhin mithalf, wo und wie sie eben konnte.

Auf einem Hof mussten eben alle mit anpacken, wollten sie etwas zu essen haben, um den Winter zu überstehen.

Sein älterer Bruder Joachim war noch auf dem Hof geblieben und diente ihm als Knecht. Sie kamen gut miteinander aus, was bei anderen eher selten der Fall war.

Allerdings bemerkte er bei den Nachbarn im Verhalten ihm gegenüber eine merkwürdige Veränderung, die er sich aber nicht erklären konnte.

Claus war mit der Bewirtschaftung des Hofes derart beschäftigt, dass er daran ansonsten auch wenig Gedanken verschwendete.

Er sprach öfters mit seinem Nachbarn Henrich Ratchen darüber, der auch einen vollen Hof wie Claus führte, und erinnerte sich gerade jetzt an das tiefgründige Gespräch mit dem einzigen Freund, der ihm geblieben war.

„Henrich, sag, was ist im Dorf los?“

„Sie haben was gegen deine Frau“, antwortete er.

„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen“, drängte Claus.

„Die Weiber fragen sich, warum du kein Mädchen aus dem Dorf geheiratet hast. Es gibt da zwei Mütter, die hatten ihre Töchter bereits auf deinem großen Hof gesehen“, sagte ihm Hein mit gedämpfter Stimme.

„Ist das alles?“, bohrte Claus nach.

Hein windete sich mit der Antwort und sprach: „Nein, ist es nicht. Sie tuscheln, dass Mettes Mutter die Tochter der Zauberschen aus Höperhöfen sei und auch deren Schwiegermutter als Hexe verschrien war.“

„Ich kenne diese Gerüchte, habe aber nichts darauf gegeben“, warf Claus ein und seine Lippen wurden schmaler.

„Was tratschen sie noch?“, wollte er wissen und Hein antwortete ihm geradeheraus: „Es ist das Mal, das sie an der Stirn hat. Die Weiber meinen, es sei ein Hexenmal und sie haben Angst vor ihr, sie könnte sie verhexen“, ergänzte er sichtlich verschämt.

„Meine Frau Anna und ich glauben nicht an diesen Hokuspokus“, sagte er knapp. Er war mit diesem Gesprächsverlauf sichtlich unzufrieden.

„Danke, Hein“, sagte Claus, klopfte ihm anerkennend auf die Schulter, drehte sich um und ging.

Dieses Männergespräch stand ihm deutlich vor Augen, als sei es eben erst geführt worden.

Dann wechselten seine Gedanken aus der Erinnerung wieder in das Heute, denn er würde Vater werden.

Damit lebte dann eine neue Generation auf dem Hof und er konnte ihnen irgendwann den Hof anvertrauen, wie es seine Väter seit Generationen getan hatten.

Die beiden Männer standen eine ganze Weile in der Tür, auch wenn es ein bitterkalter und trockener Wintertag war.

Ihr Blick glitt über die geschlossene Schneedecke, die das ganze Dorf umfangen hielt. Dann sahen sie, wie der Knecht mit der Bademutter Hibbel Röhrs auf dem Wagen in den Hof einfuhr.

„Lewerenz ist doch schneller zurück, als ich dachte“, murmelte der alte Tietke vor sich hin.

Beide Männer richteten sich auf, schlossen die Groot Döör und gingen zum Flett. Claus schürte die Glut zum Feuer auf und ließ die Frauen machen, was zu tun war. Sie hörten sie, wie sie in der Kammer bei Mette schwatzten, und als ein Kinderschrei ertönte, legte Tietke seinem Sohn die Hand auf die Schulter, anerkennend und stolz zugleich.

„Es sind ja nun genug Frauen auf dem Hof“, meinte Tietke, der diese Zusammenrottung mit einem Schmunzeln zur Kenntnis genommen hatte. Außer der Bademutter und seiner Frau Margarethe half auch die Magd mit.

„Frauen eben“, dachte er laut und setzte sich im Flett auf seinen Stuhl. Eigentlich war er froh, dass alle so gut auf dem Hof miteinander auskamen und sich gegenseitig halfen. Er hatte wohl bemerkt, dass sich viele seiner Nachbarn von seiner Familie abgewandt hatten, seit seine Schwiegertochter auf dem Hof war.

Alles, was heute für ihn zählte, war, dass er Großvater werden würde. Der alte Tietke zog genüsslich an seiner Pfeife, schaute seinen Sohn Claus an, dann ins offene Spiel der Flammen im Flettfeuer, wie es sich um den eisernen Wasserkessel rankte und atmete tief ein und aus.

Dann dachte er an seine Frau Margarethe, die im Gegensatz zu ihm noch gut beieinander war. Sie hatte bereits alles für die Arbeit der Bademutter mit der Dienstmagd Anne vorbereitet.

„Deine Mutter ist eine fleißige Frau“, sagte er in den Raum zu seinem Sohn, der den Zusammenhang zwar nicht verstand, aber zustimmend mit dem Kopf nickte.

Hibbel war recht müde und verfroren, als sie ins Haus trat. Dennoch ging sie ohne zu zögern direkt zur werdenden Mutter in die ungeheizte Kammer.

Nach einer Weile kam sie wieder heraus, um sich am Feuer zu wärmen.

„Es ist alles in Ordnung“, sagte sie zu den Männern am wärmenden Feuer.

„Es wird noch zwei bis drei Stunden dauern“, ergänzte sie und stellte sich ganz nah an die wärmenden Flammen.

Anne reichte ihr einen Teller mit einer heißen Kohlsuppe, die Hibbel dankbar nahm und es sich sichtlich schmecken ließ. Gestärkt stand sie auf und ging zu Mette zurück.

In der Kammer waren nun drei Frauen um das Wohl der werdenden Mutter und des Ungeborenen bemüht.

Die alte Margarethe sah ihre Magd an: „Anne, auch wenn du erst 15 Jahre alt bist, wirst du hier heute helfen, aufpassen und lernen“, waren die gestrengen Worte der alten Bäuerin.

Anne nickte nur, senkte ihren Kopf ein wenig, tat aber alles, was ihr aufgetragen wurde, rasch und ohne jegliche Beanstandung.

Mit kleinen Kindern umzugehen war sie von daheim gewohnt, denn sie hatte noch zehn Geschwister. Weil ihre Mutter eine Nichte des alten Tietke war, hatte sie hier ihre erste Stellung als Magd erhalten.

Sie schaute der Bademutter Hibbel aufmerksam zu und sputete sich, das Verlangte rasch herbeizuschaffen. Sie hatte schon vor Hibbels Eintreffen einen Kessel voller Wasser aufkochen lassen. Dazu hatte sie einige der vom Strohdach herunterhängende Eiszapfen abgebrochen, als seien es Blumen. Das Wasser im Brunnen war gefroren.

„Lewerenz, du bist schon hier?“, meinte der alte Tietke zum Großknecht, als dieser in die Diele ans Feuer trat.

„Ich wäre schon früher zurückgewesen, aber ich hatte Hibbel nicht bei ihr zu Hause angetroffen. Ich musste sie erst von Abbendorf holen.“

Im Bett liegend fasste Mette Hibbels Hand und zog die Bademutter ganz dicht zu sich herunter.

„Ich bin ein wenig bange“, sagte sie ihr mit leiser Stimme, als die alte Margarethe und Anne für einen Moment nicht im Raum waren.

„Eine meiner Schwestern ist vor zwei Jahren, ohne das Kind herauszubringen, gestorben. Wir waren ganze drei Tage und Nächte bei ihr, bevor es vorbei war. Es war grausam und deswegen habe ich Angst, dass es mir auch so ergehen könnte.“

Hibbel hatte davon gehört. Die Menschen redeten aber auch von einer Strafe Gottes gegen die Hexenbrut und gegen die Hexentöchter. Mettes flehender Händedruck riss sie aus den Gedanken und sie antwortete ihr mit einer beruhigenden Stimme: „Du musst nicht bange sein, dein Kind hat sich schon gedreht und du wirst heute noch Mutter werden.“

Ihre Worte und das Verhalten von Hibbel blieben nicht ohne Wirkung auf die werdende Mutter. Sie entspannte sich und erlöste Hibbels Hand von ihrem festen Griff.

So wurde an diesem Weihnachtsabend des Jahres 1646 Mette eine gesunde Tochter geboren.

Sie hatte ein ähnliches Mal wie ihre Mutter. Es ragte aber nicht so weit unter dem Haaransatz in die Stirn wie bei ihrer Mutter und war somit für den Betrachter eigentlich nicht zu sehen.

Hibbel war mit sich, aber auch mit der Jungmagd Anne sehr zufrieden. Es war alles glatt gelaufen und mit ein wenig Stolz im Herzen ließ sie sich vom Großknecht zurückfahren, denn heute hatte sie zwei Müttern geholfen, gesunde Kinder auf die Welt zu bringen.

Auf der Rückfahrt erinnerte sie sich an Mettes Großmutter zurück, bei der sie das Handwerk der Bademutter erlernt hatte. Der Schatten an diesem Tag war die Erinnerung, dass ihr lieber Mann früh gestorben war und ihr selbst keine eigenen überlebenden Kinder geblieben waren. So würde sie diesen Heiligen Abend im Hause des ungeliebten Neffen verbringen müssen.

Die glückliche Mutter hingegen lag dick eingehüllt in der kalten Kammer, das kleine Mädchen stolz in den Armen haltend. Sie wurden beide von Mettes Schwiegermutter mit Hingabe umsorgt.

Mette war dieser alten Frau überaus dankbar, denn sie fühlte sich bei ihr angenommen und wohl behütet. Sie schaute ihre schlafende kleine Tochter liebevoll und zugleich nachdenklich an. Den kleinen Körper hatte die Großmutter mit Leinen gegen die Kälte geschützt und so eingewickelt, dass nur die Augen herausschauten.

Mette sah ihre Schwiegermutter an, lächelte dankbar und sagte: „Ich möchte, dass sie auf den Namen Margarethe, so wie ihre Großmutter, getauft wird.“

Dann nahm sie das kleine Bündel Mensch und reichte es der alten Margarethe, der ein wenig Röte ins Gesicht gestiegen war. Sie nahm die Enkeltochter liebevoll in die Arme. Das Kind schlug die kleinen Augen auf und strahlte ihre Großmutter mit großen Augen an. Die alte Frau strich ihr zärtlich über das verdeckte Haupt und sagte mit feuchten Augen: „Gretge“.

Damit hatte das Kind nicht nur ihren Tauf-, sondern zugleich ihren Kosenamen erhalten.

Margarethe stand mit dem Kind in den Armen auf und ging zu den Männern, denen man die Folgen der kreisenden Schnapsflasche bereits sehr deutlich ansehen konnte. Es gab heute niemanden, der dieses rügte, denn der Pastor war nicht anwesend.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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244 стр. 8 иллюстраций
ISBN:
9783838262291
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