Читать книгу: «Mettes Flucht in den Tod», страница 2

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Marias Onkel, Cordt Döhrnemann, den alle nur den Hinkefuß nannten, konnte es einfach nicht sein lassen und sprach unentwegt und bei jeder Gelegenheit von seinem seligen Bruder Harm. Er saß während der Taufe von Tibke nur zwei Bänke hinter Harm und Adelheid Hoops.

Während der anschließenden bescheidenen Tauffeier erzählte er mit Häme von Adelheid und bezeichnete sie als „seine Hexe“, die wohl nur so getan hätte, als habe sie ihn nicht bemerkt. Er sagte für alle hörbar: „Dabei ist doch die alte Hexe Adelheid schuld am Tod meines Bruders Harm und meiner Schwägerin Beke.“

Als Maria davon hörte, war es ihr sehr peinlich und es verdarb ihr ein wenig die Mutterfreuden. Dass ihre Eltern ums Leben kamen, wollte sie der „Zauberschen“ aus Höperhöfen nicht verzeihen, aber heute war Tibkes Taufe und keine Hexenjagd.

Sie litt sehr darunter, denn viele ließen sie spüren, dass der selige Vater wohl eine große Dummheit gemacht hatte, sich mit einem im Vergleich zu anderen wohlhabenden Bauern angelegt zu haben.

Dass durch das Unglück großes Ungemach über die ganze Familie gekommen war, erlebte sie jeden Tag aufs Neue.

In Höperhöfen auf dem Hof von Harm und Adelheid ging das Leben weiter und der Alltag ging seinen Weg. Harm Döhrnemann war lange tot und die Sticheleien seines Bruders Cordt ärgerten zwar, wurden aber überwiegend ignoriert.

Adelheid war als Hebamme und Kräuterfrau weiter im ganzen Kirchspiel unterwegs, mied aber den Kontakt zu Döhrnemanns, den Nachbarn ihrer Eltern.

1610

Hibbel Holsten war die 20-jährige Tochter von Claus, dem Mann, der vor zehn Jahren seine Nachbarin Beke Döhrnemann zum Freitod in den Brunnen stürzen sah. Er war aber auch der Nachbar der Familie Stavenhitter, deren Tochter Adelheid nach Höperhöfen in den Hoopshof eingeheiratet hatte.

Hibbels Eltern hatten entschieden, sie als Magd auf den Hof nach Höperhöfen zu Adelheid Hoops, die als Bademutter bei den Frauen einen nachhaltig guten Ruf wie auch in der Kräuter- und Heilkunde genoss zu geben. Hibbel liebte Kinder über alles und sollte nach dem Willen der Eltern auch Hebamme werden, was dem Wunsch der Tochter entsprach. Diese Entscheidung brachte Hibbels Eltern mit der Nachbarin Maria Hastede heftigen Streit ein, weil deren Vater ja einst gegen Adelheid geklagt und verloren hatte und der sich vor zehn Jahren, nach der Landesverweisung aus dem Amt, bekanntermaßen das Leben genommen hatte. Diese alte, tragische Geschichte erzählte man sich noch immer in den Dörfern und die Gerüchte verstummten einfach nicht. Sie stand wie eine unüberwindbare Mauer des Hasses zwischen den Menschen in dem Dorf.

Adelheid war zwar erst 45 Jahre alt, wurde aber schon als die „alte Hoops“ bezeichnet, denn sie wirkte zehn Jahre älter als sie biologisch gesehen war. Die Jahre der Anfeindungen hatten tiefe Spuren hinterlassen.

Sie wusste und hörte es immer wieder, sagte es auch allen Frauen, denen sie vertraute und das Handwerk beibrachte: „Pass aber gut auf dich auf, denn Bademütter leben gefährlich. Weil sie sich aufs Warzen besprechen, die Geburtshilfe, Kräuter und allerlei Arzneien verstehen, hat sie jeder Henker stets im Auge und gedenkt durch sie seinen Geldbeutel merklich zu füllen.“

1611

Hibbel war nun schon seit einem Jahr auf dem Hof und hatte eine ganze Menge erlebt und gelernt. Als Magd war sie mit den Hochzeitsvorbereitungen für Adelheids Sohn Joachim beschäftigt, der seine Gesche übermorgen heiraten sollte.

Ihr fiel die Aufgabe zu, für die Hochzeitssuppe die Hühner zu holen, denen der Knecht Armin eben erst den Hals umgedreht und abgeschlagen hatte. Bevor er sie nun schlachten konnte, mussten sie gerupft werden. Das war Hibbels Aufgabe.

Sie saß auf der Bank neben der kleinen Seitentür und hatte das erste Huhn in ihren Händen, als eine Amsel ihre Aufmerksamkeit erregte.

Dabei wanderte ihr Blick über den Hof, der ihr sehr vertraut geworden war und wo sie sich zu Hause fühlte.

Imponierend standen viele alte und sehr große Eichen auf dem ganzen Hofplatz. Sie boten Schutz vor Wind und Schnee, nahmen aber auch viel Licht. Die Hofschweine fraßen im Herbst die vielen Eicheln auf, mit denen sie auch gemästet wurden.

Abelke dachte noch an die Zeit von vor einem Jahr zurück, als sie hier ankam und sehr herzlich aufgenommen wurde.

Es gab keinen Tag, an dem der Viehbestand nicht seine Hege und Pflege einforderte, wobei das die Aufgabe der Knechte war. Die Männer kümmerten sich um die Pferde, die Immenvölker, die Kälber und Kühe. Für die Mägde blieben die Schweine, die Ferkel und die Hühner übrig. Für die 60 Schafe gab es sogar einen Schäfer auf dem Hof.

„Kind, schlaf nicht, oder willst du dem Vieh auch noch die Haut rupfen“, schubste sie Armin laut lachend an.

Sie schreckte aus ihren Gedanken auf und sagte mit unsicherer Stimme: „Ich habe wohl mit offenen Augen geträumt.“

Angelockt von diesem Treiben sah der Großknecht Hein vom Schauer herüber, und neugierig wie immer lugte die Großmagd Gesine aus dem Haus, als könnte sie etwas verpassen.

„Hibbel, bist du bald fertig? Sieh zu, dass du mit den Hühnern herkommst“, rief sie lauthals in den Hof und zog den Kopf wieder ins Haus zurück.

***

Harm Hoops ging mit seinem Sohn und Nachfolger Joachim über den Hof. Sie sprachen sehr innig miteinander, denn der Vater übergab mit der Hochzeit auch die Hofführung an seinen Sohn.

„Joachim, du kennst dich zwar auf dem Hof aus, dennoch möchte ich als dein Vater mit dir noch einmal einiges durchsprechen und abstimmen, damit ich als Altenteiler nicht mit dir über Kreuz komme und wir miteinander in Streit geraten, wie es mir mit meinem seligen Vater Warneke ergangen war“, begann er das Gespräch.

„Mein Sohn, ich freue mich, dass du mit Gesche eine fleißige Frau gefunden hast und ich beruhigt auf mein Altenteil gehen kann. Sei gewiss, dass ich mich nicht in deine Wirtschaft einmischen werde. Der Altenteilervertrag regelt die Verhältnisse zwischen uns bis ins Detail. Ich habe dir alles beigebracht, was du wissen musst und ich bin mir sicher, dass du ein guter Bauer bist“, sagte er und legte seine Hand liebevoll und anerkennend zugleich auf die Schulter seines ältesten Sohnes.

Sie standen vor dem Backhaus und sahen im Rundblick den Speicher und die zwei Scheunen, die halbkreisförmig um das Haupthaus standen und sich in einem guten baulichen Zustand befanden, obwohl alle Gebäude schon weit über 100 Jahre alt waren.

Dann schauten sie sich noch so einiges an, was dem Vater wichtig war und schritten den Hof, aber auch die Äcker und Wiesen ab, ohne unnötig viele Worte zu wechseln. Sie verstanden sich auch so. Das wiederum verstand Gesche, Joachims Braut, gar nicht. Sie redete viel und gerne über alles. „Männer“, war ihr einziger Kommentar zu dieser Art des schweigenden Verstehens.

„Du hast dir eine prächtige und ganz liebe Frau ausgesucht. Sie passt hier her und wird eine großartige Schwiegertochter abgeben, auch wenn sie gerne ein wenig viel schwätzt. Darin sind deine Mutter und ich uns einig“, sagte der Vater mit einem Lächeln, während sie auf den Feldern unterwegs waren.

Als sie nach Hause zurückkehrten, schweifte der Blick der Männer von der Hofeinfahrt in die Hofmitte über das massive, im Jahre 1478 erbaute Vierständerhaus. „In dem auf dem Hof stehenden Häuslingshaus werde ich als Altenteiler mit Adelheid bis zu unserem Tode leben“, schweifte Harm in Gedanken.

Dort lebte auch seine ledige Schwester Gesine seit vielen Jahren und so stand es auch im Vertrag, der die Zeit nach der Hofübergabe regelte.

Als habe Joachim die Gedanken seines Vaters erahnt, fragte er ihn: „Gesine hat nie geheiratet. Warum eigentlich nicht?“

„Es war nie der Richtige dabei, für den sie sich entscheiden wollte und so blieb sie bei mir als Hausmagd auf dem Hof“, antwortete sein Vater.

„Sie genießt offensichtlich ihre gute Stellung, hat ihr Auskommen und schaut wohlgenährt aus. Sie ist immer gut gelaunt und stets freundlich, was ich sehr an ihr schätze“, schloss Harm seine Gedanken.

„Gesine, du bist eine Seele von Mensch“, pflegte Harm seine Schwester häufig zu loben, was ihr sichtlich gut tat.

Nun aber rief Harm über den Hof, denn er hatte seine Schwester aus dem Haus schauen sehen, neugierig, wie sie nun mal eben war.

„Gesine! Ist alles gut vorbereitet?“, hörte sie ihren Bruder fragend rufen. Sie winkte ab, ließ sich nicht weiter ablenken und verschwand vollends im Haus.

„Junge, deine Mutter wird als Bademutter viel unterwegs sein und ich werde sie, wenn notwendig fahren, solange ich es vermag. Du kannst den Knecht dann anders einsetzen und ich habe eine sinnvolle Aufgabe.“

„Vadder, das kommt überraschend. Darüber freue ich mich sehr“, entgegnete Joachim strahlend.

„So wie ich Gesche verstanden habe, wird sie von deiner Mutter als Nachfolgerin in der Kräuterkunde und als Bademutter eingewiesen werden. Pass gut auf sie auf, denn die Leute reden gerne und sehr viel, meistens aber nichts Gutes“, fügte Harm nach einer ganzen Weile an.

Der Tag der Hochzeit war nun für das Brautpaar gekom-men und die Zeit der Verlobung damit zu Ende.

Es war eine für die Zeit und die Umstände angemessen ausgestattete Feier, die sich für einen Außenstehenden aber durchaus als bescheiden darstellte.

Adelheid hatte darauf bestanden und gesagt: „Die Leute sollten keinen Grund haben, um Gerüchte und üble Reden über die Ausgestaltung der Feier zu verbreiten. Sie reden sowieso, aber wir müssen vorsichtig sein, denn das Geschwätz von Döhrnemann bedroht die Familie noch immer unterschwellig.“

Es war eine wunderschöne Feier bei herrlich trockenem Wetter an einem sonnigen Oktobertag.

„Wir können sehr zufrieden sein“, sagte Harm stolz zu Adelheid. „Die Ernte war gut, die Vorratskammern sind aufgefüllt, der Hof befindet sich in einem guten Zustand, der Junge ist gesund und er hat eine gute Frau gefunden. Hinzu kommt, dass wir noch bei guter Gesundheit sind, woran auch deine Kräuter und Tees nicht ganz unbeteiligt sind“, meinte er mit Schalk in den Augen und Adelheid stimmte ihm wortlos lächelnd zu, aber nicht ohne dabei auch ein Glänzen in die Augen zu bekommen.

Ein Jahr später verließ Hibbel den Hof. Adelheid hatte ihr alles beigebracht, was sie wissen musste und war sehr stolz auf sie. Sie hatte Hibbel ins Herz geschlossen und sie ließ sie ungerne ziehen, aber drei Bademütter auf einem Hof waren einfach zu viel des Guten.

1613

Als in den Dörfern des Kirchspiels Sottrum und darüber hinaus wieder einmal die Blattern wüteten, wodurch zwei Dutzend Kinder und viele Erwachsene innerhalb kürzester Zeit dahingerafft wurden und unter den Opfern sogar der Pastor Johann Baptista Schmied war, kannten die Angstmacher und Gerüchtestreuer keine Anstandsgrenzen mehr.

Cordt Döhrnemanns Nichte verlor innerhalb weniger Tage drei ihrer Kinder.

Das war die Gelegenheit, auf die er seit Jahren sehnsüchtig gewartet hatte. Er fachte erneut das schwelende Feuer der Verleumdungen und üblen Gerüchte gegen Adelheid Hoops in Höperhöfen an.

Viele glaubten, dass es nur die mit dem Teufel im Bunde stehenden Wesen und Hexen gewesen sein konnten, die dafür verantwortlich waren. Dass er damit Adelheid meinte, wusste jeder, ohne dass der Name ausgesprochen werden musste.

Eine Anklage wurde trotz seiner Anzeige nicht erhoben, verlor sie doch selbst zwei Kinder durch die Seuche.

1614

Gesche wurde nach Hibbels Weggang von ihrer Schwiegermutter als Hebamme sowie in der Kräuter- und Heilkunde ausgebildet. Sie musste mehrfach erfahren, welche harten Prüfungen das Leben dabei für sie bereit-hielt.

Schmerzen konnte Adelheid mit selbst gebrauten Kräutertees lindern. Auf ihren gemeinsamen Wegen zu den besonderen Stellen, an denen die Pflanzen in den Wäldern, auf den Wiesen und in den Mooren wuchsen, kamen sich die beiden Frauen auch menschlich immer näher.

Adelheid hatte einst selbst gelernt, die richtigen Pflanzen am rechten Platz und zu bestimmten Zeiten zu finden. Für die Ernte und die richtige Verarbeitung war ein sehr umfassendes Wissen notwendig, aber auch die Gabe, das richtige Mittel zielgerichtet zur Anwendung zu bringen.

Einen Medikus konnte sich kaum jemand leisten und deswegen suchten viele die Kräuterfrauen auf, wobei die Meisten die Hausrezepte „für alle Fälle“ selbst kannten, die von den Müttern an die Töchter weitergegeben wurden.

Häufig nahm man die Salben und den gebrauten Sud auch, um die wertvollen Haus- und Hoftiere zu behandeln. Für manchen Zeitgenossen war diese Kunst des Heilens aber Hexenkunst und Teufelswerk.

Gesche lernte sehr schnell, denn Adelheid war eine sehr erfahrene Kräuterfrau und liebte ihre Schwiegertochter. Sie zeigte ihr jedes Kraut und jedes Blatt, beschrieb es genau und erklärte dessen Wirkung sehr eingehend und geduldig. Dabei vergaß sie nicht, die Gefahren einer falschen Dosierung oder Anwendung anzusprechen.

Sie hatten keine Bücher und auch keine Möglichkeit, sich Aufzeichnungen zu machen, auch wenn sie ein wenig Lesen und Schreiben gelernt hatten.

Das gesamte Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Dass die Mönche und Nonnen in den katholischen Klöstern, die noch vor wenigen Jahrzehnten hier existierten, dieses seit alters her zu nutzen wussten und vor allem durften, war bekannt.

Adelheid sagte immer wieder: „Sei mit dieser Gabe vorsichtig! Gehe mit dem Wissen behutsam um und wende die Mittel nur offen an, wenn es sich nicht vermeiden lässt, denn Kräuterfrauen und Hebammen leben, wie du weißt, gefährlich. Denk an die Mutter von Abelke.“

1615

Im folgenden Jahr suchte erneut eine Seuche ihre Opfer in den Dörfern und Gehöften des Amtes Rotenburg. Die alte Adelheid Hoops aus Höperhöfen starb nach zehntägiger Bettlägrigkeit am Nervenfieber, auch Typhus genannt.

Harm saß tagelang an ihrem Bett und stand ihr in den letzten Stunden bei, so gut er es vermochte.

Gesche sagte einmal zu ihm: „Sie ist ja viel in den Dörfern herumgekommen und muss sich dabei angesteckt haben.“

„60 Jahre ist kein Alter zum Sterben“, entgegnete Harm. „Wir wollten auf unsere alten Tage doch noch so manches erleben und deine Kinder, unsere Enkelkinder, gemeinsam aufwachsen sehen“, fügte er mit einem verzweifelten Unterton in seiner sonst festen und warmen Stimme noch an.

Die Trauerfeier wurde knapp gehalten, denn das Amt hatte erneut angeordnet, die Seuchenopfer noch am Tag ihres Todes in die Erde zu bringen.

Als Cordt Döhrnemann in Bötersen davon erfuhr, dass seine Erzfeindin dahingerafft war, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und stieß einen lauten, markerschütternden Schrei aus, dass die Nachbarn meinten, er hätte sich beim Holzhacken, den Daumen abgeschlagen.

Zu Maria gewandt, die ihren Onkel erschrocken ansah, sagte er mit einem teuflischen Grinsen und leuchtenden Augen: „Ich mache kein Hehl daraus, dass ich mich freue, dass die alte Hexe endlich tot ist, auch wenn sie angeblich nur an Typhus gestorben sein soll.“

Maria verstand den Gefühlsausbruch ihres Oheims, glaubte sie doch auch an die Schuld von Adelheid am Tod ihrer Eltern.

„Sie ist gestern auf dem Friedhof zusammen mit den drei Toten aus unserem Dorf und anderen eingekuhlt worden.“

„Es ist unglaublich, dass man eine Zauberin in geweihte Erde legt und deinen Eltern diese Ehre verweigert hatte. Sie hätten sie auf dem Scheiterhaufen bei lebendigem Leibe verbrennen sollen. Das dazu erforderliche Holz hätte ich schon gestiftet“, wütete er und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch, dass das darauf befindliche Geschirr nur so wackelte.

Er schnellte hoch und humpelte schnurstracks aus dem Haus. „Bleib nicht so lange fort und wüte nicht wieder“, rief Maria ihm noch flehend nach. Sie wusste nicht, ob er sie überhaupt noch gehört hatte. Immer, wenn er wütend war, verschwand er für Stunden und niemand wusste wohin.

Einmal hatte er Maria erzählt, dass er die alten Götter um Hilfe gebeten habe, als er mal wieder verschwunden war.

„Altvater wird helfen“, sagte er immer wieder, und dass die Pastoren, die er abwertend als „Schwattkittel“ und „Pfaffengesindel“ bezeichnete, nur ihr eigenes Seelenheil und ihre Völlerei im Sinn hätten.

Nach dem Tod von Adelheid hatte ihre Schwiegertochter Gesche die Aufgabe als Bademutter übernommen.

Bei ihren Besuchen in den Dörfern hörte sie hier und da immer wieder von ihr zugetanen Menschen, dass Cordt Döhrnemann nun auch über sie schlecht sprach und sie als Zauberin und Hexe denunzierte.

Gesche, aber auch andere Kräuterfrauen, versuchten mit dem erlernten Wissen, den durch die Seuche erkrankten Menschen zu helfen. Es war eine vergebliche Mühe, die Gesche im Nachhinein betrachtet eher geschadet hatte.

Harm zog Gesche einmal zur Seite und sagte: „Kind, gib acht, denn in der Trauer geben dir am Ende die Leute noch die Schuld am unabwendbaren Tod ihrer Lieben und sie bezeichnen dich als Kräuterhexe und Todesbotin. Döhrnemann wird keine Ruhe geben, solange er lebt.“

Kapitel 2
Die Jahre 1624 - 1643

1624

Harm sollte recht behalten, denn die Gerüchte gegen seine selige Frau und seine Schwiegertochter ebbten nie ab. Es schmerzte ihn sehr, dass man seine Adelheid noch immer als „die alte Zaubersche aus Höperhöfen“ bezeichnete. Am liebsten hätte er Döhrnemann mit der Forke gepiesackt, bis dieser vor aller Welt seine Lügengeschichten zurücknahm. Er hatte dazu nie eine Gelegenheit bekommen und fürchtete, dass er damit seinen Kindern und Enkeln noch mehr Schaden als Nutzen zufügen würde.

Gesche hatte nun schon zwei gesunden Knaben das Leben geschenkt und jedes Mal hatte Hibbel ihr dabei geholfen. Die Verbindung zu ihr war nie abgerissen, auch nicht, nachdem sie Jacob Röhrs aus Westerholz das Jawort gegeben hatte.

Heute sollte sie ihr wieder helfen und Gesche hatte ein gutes Gefühl. Schon früh am Morgen bemerkte sie, dass es soweit war.

„Joachim, schicke einen der Knechte aus, Hibbel zu holen. Du wirst heute wieder Vater werden“, sagte sie zu ihrem Mann mit Stolz in der Stimme.

„Ja, das werde ich sofort tun“, versprach er freudestrahlend und eilte aus dem Haus. Nach einer Weile kehrte er zurück, setzte sich zu Gesche, nahm ihre Hand und legte sie in die Seine. Dann drückte er die Hand seiner Frau und sprach: „Hibbel wird geholt. Sie hat es nicht leicht, oder? Alle ihre eigenen Kinder sind bisher tot zur Welt gekommen, sagt man, als läge ein Fluch auf ihr.“

„Sie ist mir immer eine liebe Freundin, mehr wie eine Schwester und hat mir all das, was ich bei deiner seligen Mutter nicht mehr lernen konnte, beigebracht. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.“

Plötzlich schlug die kleine Seitentür auf und ihre zwei Kinder rannten in das Haus, tobten in der Diele herum, als sei der Hahn hinter ihnen her.

„Spielt ihr schon wieder Kriegen?“, wollte die Mutter aus der Kammer rufend wissen und lachte dabei liebenswürdig.

Der ältere der beiden Kinder hielt inne und ging zu seiner Mutter in die Kammer.

„Modder, Harm hat schon wieder die Hühner geärgert und das soll er ja nicht“, log Cordt. Dabei schaute er frech zu seinem kleinen Bruder und streckte ihm die Zunge her-aus.

„Seid beide friedlich!“ mahnte der Vater seine Söhne mit erhobener Stimme. „Eure Mutter braucht Ruhe! Heute werdet ihr ein Brüderchen oder ein Schwesterchen bekommen. Geht zur Magd, sie soll sich um euch kümmern oder geht zum Großvater“, forderte er seine Söhne mit Nachdruck auf.

Cordt drehte sich folgsam um und nahm den kleinen Harm an die Hand. Dann rannten beide Lausbuben aus der offen stehenden Groot Döör in den Hof, als sei der Blitz hinter ihnen eingeschlagen.

„Lass sie“, sagte Gesche mit einem Schmunzeln sanftmütig und sah Joachim dabei in die Augen.

Gegen Mittag trat Hibbel in das Haus der Freundin ein. Sie ging unaufgefordert und mit sicheren Schritten über die Diele in die kleine Kammer, in der Gesche lag und sie bereits freudestrahlend erwartete.

„Es ist wieder einmal soweit“, entgegnete Hibbel ihr als Begrüßung und Gesche nickte.

„Wie geht es dir und deiner Familie?“, wollte Hibbel von ihr wissen.

Gesche atmete tief durch, richtete sich im Bett ein wenig auf, so, dass sie halb sitzend im Bett thronte, als wollte sie eine amtliche Bekanntmachung von sich geben.

„Du weißt ja selbst, was die Leute so reden und hältst ja auch Ohren und Augen stets offen“, sagte sie zu ihr mit ruhiger Stimme, die ein wenig von Traurigkeit getragen war.

„Heute ist kein Tag für Wehmut“, entgegnete Hibbel ihr. „Dein Kind soll spüren, dass wir es hier mit Liebe empfangen und die Mutter sich freut. Also zerstreu deine üblen Gedanken, auch wenn es dir schwerfällt“, forderte Hibbel eindringlich.

„Ja, du hast ja recht. Adelheid hatte es immer schon gesagt, dass der Hass der Menschen schlimm ist und die Opfer meist den Kürzeren zieh`n.“

„Ich gehe nun und bereite alles vor, damit es heute ein Fest zu feiern gibt“, sagte Hibbel, stand auf und verließ die Kammer.

Gesche sollte recht behalten. Am frühen Abend dieses lauen Herbsttages war es dann wirklich soweit.

Die Geburt verlief vollkommen ohne Komplikationen, barg aber sprichwörtlich eine kleine Überraschung in sich.

Sie hatte nicht nur ihre erste Tochter geboren, es waren gleich zwei. Hibbel hatte ihre Arbeit gut gemacht und es war alles zum Besten erledigt.

„So, wo ihr beiden gewaschen und angezogen seid, gebe ich euch in die Obhut eurer Mutter.“ Sie lagen nun in den Armen der glücklichen Mutter.

Ganz sanft und zärtlich berührte Gesche dabei erstmals beide Mädchen. Gesine war Hibbel die ganze Zeit zur Hand gegangen und freute sich über ihre kleinen Nichten.

„Nun kann ich die Männer ja mal reinlassen, bevor sie sich in der Diele an dem Fusel zu schaffen machen“, frotzelte Gesine und ging, ihre Verwandten zu holen.

Der alte Harm gab seinem Sohn, als Vater der Kinder, den Vortritt und trat nach ihm in die Kammer ein.

Die kleinen Fenster waren offen und ließen frische Luft und Licht in die kleine Kammer, in der vor Kurzem ein Erdenbürger das Licht der Welt erblickt hatte, dachten die Männer noch, bis sie sahen, was die Frauen für eine Überraschung für sie bereithielten.

„Es sind zwei Töchter und sie sind gesund. Es ist alles dran, was dran sein muss und nun macht den Mund wieder zu, sonst zieht es noch“, sagte Hibbel grinsend den erstaunt dreinschauenden Männern ins Gesicht.

Dann drehte sich Gesine um und machte sich auf, die beiden Jungs von Gesche zu holen. Sie fand sie bei den Hühnern - wo sonst! Hier spielten sie am liebsten, das wusste ihre Tante nur zu gut.

Cordt hatte eines der Hühner auf dem Arm und der kleine Harm saß auf seinem Hosenboden mitten zwischen dem Federvieh. Er genoss es richtig, dass sie um ihn herum pickten und scharrten.

Aus dieser Idylle holte sie die beiden: „Ihr habt jeder ein Schwesterchen bekommen. Kommt mit, ich zeige sie euch. Ihr müsst aber brav sein“, meinte sie noch. Dann fasste sie beide an den Händen und tänzelte vor Freude mit ihnen ins Haus.

„Das kenne ich schon“, prahlte Cordt zu seinem kleinen Bruder. „Da musste ich schon einmal mitgehen, als ich noch klein war. Da hatten sie dich gebracht“, meinte er altklug, folgte daher brav seiner Tante.

In der Kammer angekommen besahen sie sich die neuen Familienmitglieder ganz genau, soweit es eben etwas zu sehen gab.

„Das sind ja zwei. Kann ich mir eine aussuchen?“, fragte Cordt und die Alten lachten herzhaft. Selbst der alte Harm klopfte sich vor Freude auf seine Schenkel.

Cordt trat ganz nah an seine Schwestern heran und musterte sie sehr gründlich. Dann schaute er von einer zu anderen, wendete sich der Mutter zu, ließ den Finger aber an der Stirn eines der Mädchen und fragte: „Wer hat denn meinen Schwestern den Fleck da hingemalt?“

Hibbel trat für die Mutter ein und sagte gewandt: „Deine Schwestern sind jede mit einem Muttermal gesegnet worden. Der liebe Gott hat das so gewollt.“

Claus war es gar nicht aufgefallen und er schaute nun selbst genau nach. Beide Mädchen hatten an der Stirn, wo das Haar seinen Ansatz hat, identische, aber deutlich sichtbare Muttermale, als habe eine Kröte einen Fußab-druck im nassen Ufersand des Baches hinterlassen.

Bevor er etwas anmerken konnte, hatte sein ältester Sohn bereits eine weitere Frage gestellt.

„Wie heißen denn unsere Schwestern?“, wollte Cordt noch wissen.

Gesche sah ihren Mann fragend an und sprach: „Ich würde sie gerne nach meiner Mutter und meiner Großmutter taufen lassen, wenn du einverstanden bist?“

Joachim hatte nie den Hauch einer Chance, aber auch keinen Anlass, seiner Frau diesen Wunsch abzuschlagen.

Eigentlich hätte das ältere der Mädchen auf den Namen seiner Mutter „Adelheid“ getauft werden müssen, aber Joachim wusste, warum ihn seine Frau darum gebeten hatte.

Ihre Mutter und ihre Großmutter waren bei einem Unglück zusammen gestorben. Damals brannte das Haus auf dem Hof, wo sie zusammenlebten, lichterloh nieder. Gesches Mutter wollte ihre bettlägrige Mutter aus dem strohgedeckten Haus retten, aber es ist über ihnen zusammengestürzt, und Gesche hatte es als kleines Mädchen mit ansehen müssen.

Die Männer waren damals nicht auf dem Hof, sondern auf dem Acker gewesen. So konnten sie nicht wirklich helfen. Die Rauchschwaden alarmierten sie viel zu spät, und als sie eintrafen, fanden sie das Haupthaus zusammengebrochen und bereits lichterloh brennend vor. Die Flammen waren schon auf eines der Nachbargebäude übergesprungen. Gesche war zuvor von der Mutter mit ihren beiden Geschwistern an der Hofmauer mit der Auflage zurückgelassen worden, auf keinen Fall hier wegzugehen, bevor sie selbst ins Haus zurückrannte, um die Großmutter zu retten. Joachims Frau wurde jedes Mal wehmütig, wenn sie daran dachte, denn sie vermisste beide sehr.

„Das ist ein sehr guter Vorschlag. Vater, was meinst du dazu?“, fragte er, nachdem er sich zum Angesprochenen gewandt hatte. Er sah ihn dabei bittend, ja flehend an, zuzustimmen.

„Es ist mir Recht“, gab er als Antwort zurück, denn er kannte die tragische Geschichte der Familie seiner Schwiegertochter. Gesche fiel eine schwere Last wie ein Stein vom Herzen.

„Danke“, sagte sie und schaute den alten Harm dankbar in die Augen. Dann nahm sie zuerst das kleine Bündel von ihrer rechten Seite und reichte es dem Großvater:

„Mette, dat is dien Großvadder“.

Dann reichte sie das andere kleine Bündel ihrem Mann mit den Worten:

„Tipke, dat is dien Vadder.“

Hibbel sah Gesche an und nickte ihr zu.

„Die Zwillingsschwestern sehen wie aus einem einzigen Ei gepellt aus“, meinte Gesine zu ihrem Bruder, dem alten Harm, und klopfte ihm dabei lachend auf seine Schulter.

Er drückte nun das Kind seiner Schwester in den Arm, denn es drängte ihn mehr in die Diele zum Schnaps, als sich weiter das „Gesäusel“ und das „Weibergeschwätz“ anzuhören, wie hübsch und lieblich die Kinder anzusehen waren.

1626

Die Zwillinge waren knapp ein Jahr alt und die Bedrohung durch den seit acht Jahren währenden Krieges kam immer näher.

Die Kriegssteuern der Bauern waren erhöht worden und inzwischen immens hoch. Das Amt Rotenburg war bislang von den Kriegshandlungen verschont geblieben. Das änderte sich aber, denn die Gerüchte und Parolen gingen um, dass das katholische Heer unter Tilly nicht mehr weit von Rotenburg entfernt stand. Wenn nicht ein Wunder geschehen würde, so sagte der Pastor von der Kanzel, dann stünde hier bald wieder ein Priester.

Die Menschen fürchteten aber mehr das Leid und die Grausamkeiten, von denen sie gehört hatten und welche die eigenen Soldaten sich so erzählten, als den Priester, der den Pastor ablösen würde.

Letzteres war ihre geringste Sorge, denn Steuern erhoben beide und die Lasten der Abgaben und Frondienste würden bleiben. Seit einigen Wochen waren die Männer zur Befestigung der Rotenburger Burg abgeordnet worden und mussten damit ihre Arbeit auf dem Hof den Frauen und Alten überlassen. Junge Männer wurden auch gegen ihren Willen in die Milizen aufgenommen.

Alle erwarteten, ja fürchteten, dass der Krieg nun auch ins Amt Rotenburg Einzug halten würde.

Der Name, der selbst von den schwedischen Soldaten mit Respekt, Achtung und Furcht ausgesprochen wurde, lautete „Tilly“.

Den Führer der kaiserlichen Truppen fürchteten auch die Menschen in den Dörfern durch die Erzählungen der sich zurückziehenden eigenen Truppen.

„Wir sollten Vorräte und Vieh in den Mooren verstecken“, schlug der alte Harm seinem Sohn vor, denn er rechnete erneut mit Einquartierungen und Plünderungen.

Joachim tat, wie es der Vater vorschlug. Er kannte im „Kurzen Moor“, das nicht weit entfernt war, einen Weg ins Moor hinein, den nur wenige Alte wussten und ihm sein Vater am Tage von Joachims Hochzeit gezeigt hatte, als sie damals über den Hof und die Felder gingen.

Harm half ihm dabei, soweit er es in seinem Alter noch vermochte.

Drei Tage später zogen die Schweden ab und es war eine ungewohnte Leere und bedrohliche Ruhe in die Dörfer und Häuser eingekehrt. Jeder wusste, nun kommt Tilly und mit ihm eine ungewisse Zukunft und die Priester.

Harm nahm seine Schwiegertochter beiseite und sprach: „Gesche, sei bitte noch vorsichtiger, denn die Katholischen werden nicht zögern, einen Scheiterhaufen anzuzünden, um ihre Macht zu zeigen.“

In den Dörfern des ganzen Nordens, wie auch in Höper-höfen wurden nun die fremden Heere angsterfüllt erwar-tet. Gesche war mit den drei Kindern im Hause, als eine Abordnung der neuen Herren auf den Hof geritten kam. Sie forderten den Bauern auf, ihm seinen Hof zu zeigen und gingen mit ihm durch alle Gebäude. Dann ritten sie wieder fort, nicht ohne sich reichlich mit Lebensmittel eingedeckt zu haben.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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244 стр. 8 иллюстраций
ISBN:
9783838262291
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