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1.2.5 Aufbau der Arbeit

Die Einleitung widmet sich dem Entwicklungsverlauf von Oehlenschlägers Verhältnis zu seiner Vorlage, sowie der Rezeption seines Romans und dem Stand der Forschung. In einem buchgeschichtlich orientierten Unterkapitel wird das Zustandekommen der deutschen Erstausgabe in den brieflichen Verhandlungen mit dem Verleger CottaCotta, Johann Friedrich nachgezeichnet, auch mit Blick auf Oehlenschlägers Interesse für die Gestaltung der Erscheinungsform seines Romans. Ausserdem wird über die Entstehung der späteren Fassungen in zwei Sprachen berichtet.

Kapitel 2 bringt eine Zusammenfassung der inhaltlichen und strukturellen Hauptzüge der Inseln im Südmeere und der Wunderlichen Fata, die verhältnismässig ausführlich gehalten ist, um gleichsam als Prämisse die wesentlichen Parallelen und Differenzen zwischen den beiden Werken aufzuzeigen und so die Grundlage für bestimmte Einzelanalysen zu schaffen. Diese folgen in ihrer Anordnung nicht der Romanchronologie, weshalb die Zusammenfassung auf einen kohärenten Handlungsüberblick angelegt ist, in den sich die Detailanalysen einordnen lassen.

Darauf folgt in Kapitel 3 eine Annäherung an die „Zweisprachigkeit“ von Oehlenschlägers Roman, eingeleitet von allgemeinen Bemerkungen zur deutschen und dänischen Produktion des Autors; anschliessend gehe ich auf die spezifische Ausprägung dieser Produktionsweise in den IS ein, wobei ich hier schwerpunktmässig auf Übersetzungstheorien zurückgreife, die aber auch sonst die Basis weiterer Vergleiche der dänischen und deutschen Fassung bilden, welche die analysierten Passagen in den meisten Fällen abschliessen. Ein Unterkapitel behandelt Fragen der Zwei- und Mehrsprachigkeit auch auf der Figurenebene.

Im 4. Kapitel werden exemplarisch polyphone und intertextuelle Beziehungen zwischen den beiden Romanen untersucht, teils basierend auf den vorgestellten Intertextualitätstheorien, aber auch auf Erkenntnissen aus paratextuellen und psychoanalytischen Forschungen.

Kapitel 5 und 6 behandeln verschiedene Aspekte der Figurendarstellung in ihrer Beziehung zu literarischen und allgemein künstlerischen Phänomenen, während Kapitel 7 auf die Funktion diverser Schauplätze im Roman fokussiert, die sich im 8. Kapitel zur Hauptsache auf einen Schauplatz, nämlich die Bühne, verdichten – nach oft vertretener Ansicht die eigentliche dichterische Sphäre Oehlenschlägers, die im Roman polyvalent für Aufführungen verschiedenster Art, aber auch als imaginärer Ort für dramentheoretische Reflexionen eingesetzt wird.

Diese unterschiedlichen Analysestrategien – gleichsam Annäherungsversuche aus verschiedenen Blickwinkeln – haben zum Ziel, den Roman auf mehreren Ebenen als Produkt und Schnittpunkt vielfältiger Textbeziehungen zu zeigen, die immer wieder bald explizit, bald in verhüllter Form reflektiert werden; dabei ergibt sich, wie die Arbeit zum Ausdruck bringen soll, eine Umakzentuierung des Prätextes, die dazu führt, dass die mehrstimmige Basis von Schnabels Werk für eine zwar ebenfalls polyphone Erzählform funktionalisiert wird, in der jedoch primär andere Textstimmen die Hauptrolle spielen: Es entsteht ein selbstreflexiver Text über Texte.

1.3 Entstehungsprozess

Oehlenschlägers Neuschreibung von Schnabels Wunderlichen Fata einiger Seefahrer fällt in eine Zeit, in der Schnabels Roman auch in den Kreisen gebildeter Leser wieder auf Interesse stiess, nachdem er – trotz ursprünglich grosser Beliebtheit1 – gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Misskredit geraten war, da er den Anforderungen einer von Lehrsätzen der Aufklärung geprägten Pädagogik nicht entsprach.2 Die Aufwertung der Insel Felsenburg3 hatte schon im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begonnen4 und lässt sich wohl – mindestens teilweise – mit der Vorliebe der Romantik5 für historische Romane, Volksbücher, Gespenstergeschichten und Märchen erklären – Gattungen, zu denen Schnabels Roman Bezüge aufweist.

Natürlich handelt es sich bei der Insel Felsenburg nicht um einen historischen Roman im eigentlichen Sinn, schon deshalb nicht, weil der Hauptstrang des Geschehens in der Erzählgegenwart spielt, aber durch präzise zeitliche und räumliche Verankerung der erzählten Geschehnisse, die sich überdies zum Teil lange vor der Erzählgegenwart zugetragen haben, entsteht der Anschein der Historizität des Romangeschehens. Der volksbuchähnliche Charakter ergibt sich teils aus der Verbindung von Elementen des Abenteuer- und Schelmenromans mit der Robinsonadenthematik6 und der damit zusammenhängenden grossen Verbreitung des Buches,7 teils aus der Tatsache, dass die Identität des Verfassers lange Zeit im Dunkeln geblieben war.8Tieck, Ludwig Märchenhafte Züge schliesslich bestimmen immer wieder das Romangeschehen, wobei die Steigerung des Märchenhaften ins Phantastische und Gespenstische, die sich vor allem im 3. und 4. Band abspielt, auf die Romantiker eine besondere Anziehungskraft ausgeübt haben dürfte. Die Literatur früherer Zeiten bedeutete den Romantikern aber weit mehr als nur interessante Lektüre: In unterschiedlichster Weise dienten ihnen Volksbücher, Märchen, Sagen, Mythen ebenso wie geschichtliche Überlieferung als Inspirationsquelle und Stoffreservoir für ihre eigene Textproduktion. In besonderem Masse gilt dies für Achim von Arnim,Arnim, Achim von der seine Texte oft aus einer Vielzahl alter Quellen gewann, die er einem intensiven Gestaltungs- und Umgruppierungsprozess unterzog und anschliessend in einem collageähnlichen Verfahren zu einem neuen literarischen Produkt zusammenfügte. Ähnlich ging er auch bei der Bearbeitung der Insel Felsenburg vor, die er in seinen 1809 unter dem Titel Der Wintergarten erschienenen Novellenkranz integrierte (Arnim 1990, 3).9Arnim, Achim von Auf seinen Text, der durch „Quellenkombination“ (Martin 1996) polyphone Aspekte erhält und bei aller Verschiedenheit auch sonst gewisse Parallelen zu Oehlenschlägers Bearbeitung zeigt, soll in Kapitel 4.3 näher eingegangen werden.

Auch Oehlenschläger selber trug sich schon in jenen Jahren mit dem Gedanken, die Insel Felsenburg als Stoff für ein eigenes Werk zu verwenden, wie ein Zitat aus einem Brief an Goethe vom 4.9.1808 belegt: „Einen Albert Julius oder Felsenburg möchte ich auch machen, wo das Romantische wieder sein Recht behaupten sollte“ (Breve A/3: 161). Die Bemerkung steht mitten in einer Aufzählung von Dramen, die Oehlenschläger bereits geschrieben hatte: Aladdin, Hakon Jarl, Palnatoke, Axel und Walborg, und solchen, die er noch zu schreiben beabsichtigte: Correggio, Sokrates, Tordenschild (Breve A/3: 160–161),10Goethe, Johann Wolfgang von was darauf hinzuweisen scheint, dass er damals im Sinn hatte, Schnabels Roman zu einem Theaterstück umzuformen. Im Anschluss an eine längere panegyrische Passage über GoethesGoethe, Johann Wolfgang von Romane fügt Oehlenschläger jedoch an:

Ich hätte auch Lust (sans comparraison) (sic) einen Roman zu schreiben; ich darf es aber nicht; man kriegt immer Lust sein eignes Leben zu schreiben; wenigstens geht es mir so, und da muss man sich hundertmahl in Acht nehmen, und darf es nicht ein mahl (sic) so gut machen wie es wirklich in der That war. (Breve A/3: 162; gesperrt im Original)

Jahre später überwand er sein Zögern, einen Roman zu schreiben, und wählte als Stoff für sein Vorhaben die Insel Felsenburg, die er – entgegen seinen (vermuteten) ursprünglichen Plänen – schliesslich doch nicht für ein Drama benützt hatte.11 Seine Stoffwahl verbindet ihn mit mehreren anderen Autoren, die fast zur gleichen Zeit ebenfalls an einer Neuschreibung von Schnabels Roman arbeiteten.

Zu erwähnen sind insbesondere Karl Lappes Ausgabe von 1823, eine zusammenfassende und erheblich verkürzende Nacherzählung, die vor allem für die Jugend bestimmt war,12 und die weit berühmtere, sogenannte „TieckTieck, Ludwig’sche Ausgabe“, die 1828 unter dem Titel Die Insel Felsenburg oder Wunderliche Fata einiger Seefahrer – Eine Geschichte aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts erschien. Von Tieck stammt in dieser stark überarbeiteten, sechsbändigen Ausgabe allerdings nur das Vorwort, eine dialogisierte „Vorrede“13Tieck, LudwigCervantes, Miguel de, die in detaillierter Argumentation die Neuausgabe „diese[r] alte[n] Robinsonade“ (Tieck 1848: 135) rechtfertigt und am Ende feststellt: „Ein berühmter dänischer Dichter, Oehlenschläger, hat mit dem deutschen Bearbeiter zugleich dieses Buch angekündigt“ (Tieck 1848: 169). Oehlenschlägers Roman wird dabei nicht etwa als lästiges Konkurrenzprodukt angesehen, sondern gilt, ganz im Gegenteil, als „Zeichen, wie sehr man etwas Besseres und Veraltetes in unserer neuen Zeit wieder benötigt“ (Tieck 1848: 170).

Das wesentliche Argument für die Neuausgabe, das sich aus TiecksTieck, Ludwig Vorrede herauskristallisiert, bildet die Einschätzung der Zeitumstände: Die „neue Zeit“, so wird gesagt – gemeint sind die Restaurationsjahre nach der Französischen Revolution –, sei trotz restaurativer Bemühungen von Auflösungstendenzen in Familie und Staat geprägt, sie sei „verwirrt und verstimmt“, während die Insel Felsenburg aus einer „naiven Zeit“ herrühre, in der die Schriftsteller

noch ohne Kunst und Bildung, ohne eigentliches Studium, aber auch ohne alle Kränklichkeit und süsse Verweichlichung wie ohne falsches Bewusstsein und literarischen Hochmut nur ihrer Phantasie […] so bescheiden und redlich folgten und eben deshalb so vieles in einem richtigen Verhältnis, ja mit einem grossartigen Verstand, darstellen konnten, was bei anscheinend grösseren Mitteln so vielen ihrer Nachfolger, die so oft das Verzerrte als das Geniale nahmen, nicht gelingen wollte. (TieckTieck, Ludwig 1848: 168)

Deshalb eigne sich die Insel Felsenburg, obwohl ihr Name lange Zeit „etwas ganz Verächtliches“ bezeichnete, als „treuherzige Chronik“ zur Ergötzung, Belehrung und Erbauung einer Zeit, die ihre Naivität verloren habe (TieckTieck, Ludwig 1848: 168–169).

Im Gegensatz zu TiecksTieck, Ludwig auf allgemeiner Zeitkritik basierender Begründung für die Neuausgabe der Insel Felsenburg gibt Oehlenschläger in seiner Vorrede zu Die Inseln im Südmeere für seine Bearbeitung rein individuelle Gründe an:

Wenn es wahr ist, dass unsere Kindheit, mit ihren Gefühlen und Vorstellungen, das Thema aller künftigen Compositionen des Lebens gibt,14Herder, Johann GottfriedMoritz, Karl Philipp so ist der Grund auch angegeben, warum der Verfasser dieses Werkes einige Hauptzüge des alten Romans Felsenburg zum Stoffe gegenwärtiger Dichtung nahm. Dieses alte Buch hatte grossen Eindruck auf meine jugendliche Phantasie gemacht. (IS I: III; gesperrt im Original)15Goethe, Johann Wolfgang vonMoritz, Karl PhilippLaxness, Halldór

Damit greift er – ohne gleich „sein eignes Leben zu schreiben“16Goethe, Johann Wolfgang von – doch auf autobiographische Elemente zurück. Obwohl sich eine gewisse Parallele zwischen TiecksTieck, Ludwig Empfehlung eines Romans aus „naiver“, unverdorbener Zeit und Oehlenschlägers Beschäftigung mit einem Text aus seiner Kindheit, seiner persönlichen „naiven“ Zeit also, erkennen lässt, ist doch die jeweilige Ausgangslage der beiden Verfasser grundlegend verschieden: Tieck schrieb seine Vorrede auf die Bitte des Verlegers zu einer von unbekannter Hand redigierten Neuausgabe, hatte also mit der Bearbeitung selbst, wie schon erwähnt, gar nichts zu tun,17Tieck, Ludwig während Oehlenschläger den Text selber umgeschrieben, oder vielmehr, wie er sich ausdrückt, neu erfunden hat – sein Roman könne nur bedingt eine „Bearbeitung des alten“ heissen (IS I: IV), denn: „In keinem Werke habe ich mehr selbst erfunden […]“ (IS I: IX; beide Zitate gesperrt im Original). Dies erklärt auch, warum er in seiner Vorrede den Inhalt des alten Romans nur kurz streift – wie schon in der Einleitung (Kap. 1.1 dieser Arbeit) angedeutet, betrachtet er den neuen Text als seine eigene Dichtung, was sich übrigens auch in der Wahl eines eigenen Titels ausdrückt. Näheres zur Titelwahl und zu Oehlenschlägers Vorrede werde ich in Kapitel 4.1 ausführen.

1.4 Rezeption und Forschungsstand

Es scheint selbstverständlich, dass die Rezeption, die Oehlenschlägers Roman in Dänemark und in Deutschland erfuhr, für das jeweilige Sprachgebiet gesondert betrachtet werden muss. Doch stellt sich auch die Frage, ob nicht die Rezeptionszeugnisse des einen Landes die Aufnahme im andern Land beeinflussten, und umgekehrt.

Zunächst jedoch zur Rezeption in Dänemark: Sie scheint kühl, um nicht zu sagen, ablehnend gewesen zu sein. Oehlenschläger selber schreibt darüber in seiner wenige Jahre später entstandenen Autobiographie:1

I Danmark ville Øen i Sydhavet ikke smage. Jeg havde ladet den danske Oversættelse udkomme paa Subscription; syntes man maaskee: det var for meget at betale og for meget at læse paa engang? Jeg veed ikke; nok, man var misfornøjet med Bogen, og jeg troer især De, som ikke havde læst den. (Levnet II: 206)

In Dänemark wollte die Inseln im Südmeer lange Zeit nicht schmecken. Ich hatte die dänische Uebersetzung auf Subscription erscheinen lassen; glaubte man vielleicht, es koste zu viel und sei zu viel auf ein Mal zu lesen? Ich weiss es nicht; genug, man war mit dem Buche unzufrieden, und ich glaube ganz besonders die, welche es nicht gelesen hatten. (Meine Lebens-Erinnerungen 4: 18)2

Eine ausführliche Darstellung der zeitgenössischen Rezeption in Dänemark findet sich im Kommentar zur Ausgabe von Oehlenschlägers Briefwechsel; dort werden verschiedene Urteile erwähnt, die zeigen, dass Oehlenschlägers sarkastischer Schlusssatz nicht ganz ohne Berechtigung war (Breve B/5: 234–237). Die Kritikpunkte waren sowohl formaler wie inhaltlicher Natur: Dem Roman fehle die Einheit; ausserdem weise die Handlung zu viele Unwahrscheinlichkeiten auf. Blicher fand ihn langweilig (Breve B/5: 236). H.C. AndersenAndersen, Hans Christian gefiel der dritte Teil, vom vierten jedoch schien ihm nur der Anfang gut, der Rest langweilte auch ihn (Andersen 1971, 1: 11 u. 12).

Die Aufnahme der Inseln im Südmeere in Deutschland scheint ebenfalls nicht sehr enthusiastisch gewesen zu sein, wie aus dem Kommentar zur Briefausgabe hervorgeht (Breve B/5: 150–151), auch wenn Oehlenschläger in der erwähnten Autobiographie nicht ohne Stolz vermerkt: „Tre for mig meget hæderlige Recensioner udkom i Tyskland om dette Værk“ (Levnet II: 206).3 Dabei dürfte es sich u.a. um Rezensionen im Literatur-Blatt zum Morgenblatt für gebildete Stände handeln. Darin heisst es am 14.7.1826 (221, 1. Spalte):

Wir finden historische Charaktergemälde wie bey Walter Scott,Scott, Walter didaktische Ausschweifungen wie in TiecksTieck, Ludwig Novellen, humoristische wie bey Jean Paul, etwas Grauenhaftes wie bey Hoffmann, eine Ruhe, Klarheit und Milde der Darstellung wie in Goethe’Goethe, Johann Wolfgang vons Wilhelm Meister oder NovalisNovalis (Friedrich von Hardenberg) Ofterdingen, und sentimentale Schwärmerey wie in der Insel Felsenburg, die dem ganzen zu Grunde gelegt ist.4

Diese Worte lassen bestimmte polyphone Aspekte von Oehlenschlägers Roman anklingen, indem sie den Text als Synthese der verschiedenen Strömungen und Richtungen der Romantik beschreiben. Mit der Erwähnung ScottsScott, Walter zieht der Kritiker eine Parallele zum damaligen Hauptvertreter der Gattung des Romans; gleichzeitig stellt er das Werk – und dessen Autor – mit den berühmtesten Namen der deutschen Romantik auf eine Stufe. Damit scheint Oehlenschläger eine Bestätigung seines Anspruchs auf eine bedeutende Position in der deutschen Literatur gefunden zu haben.5 Allerdings erfährt die lobende Stellungnahme der erwähnten Kritik eine Einschränkung im Schlusssatz: „Bey so vielen Vorzügen ist es mir aber doch zuweilen vorgekommen, als ob der sogenannte deus ex machina, der hilfreiche Zufall, allzuoft vom Himmel herabgefallen wäre“ (Literatur-Blatt zum Morgenblatt für gebildete Stände 56/1826: 223, 2. Sp.). Diese Rezension erschien – bezeichnenderweise ohne die kritische Schlussbemerkung – auf Dänisch übersetzt in Kjøbenhavnsposten vom 7.4.1827: Obwohl der Roman, wie erwähnt, in Dänemark mehrheitlich auf Ablehnung stiess, fühlte man sich durch das ausländische Lob offenbar doch geschmeichelt und wollte es möglichst uneingeschränkt zur Geltung kommen lassen. Die zweite Rezension im Literaturblatt zum Morgenblatt für gebildete Stände vom 19.12.1826, verfasst von Karl August Böttiger, schliesst mit den Worten:

Auch dieser Roman hat seine Unwahrscheinlichkeiten und schwachen Seiten. Möge die Kritik ihr strenges Richteramt noch weiter verwalten. Aber der gebildete Kreis des deutschen Volks ist durch diess Erzeugnis eines Dänen wirklich reicher geworden! (Böttiger 1826: 403, 2. Sp.)

Diese insgesamt sehr wohlwollende Besprechung wurde von Christian Wilster in Kjøbenhavnsposten vom 23.1.1827 in dänischer Übersetzung integral wiedergegeben. Oehlenschläger verschweigt in seiner Autobiographie jedoch nicht, dass es in Deutschland auch ablehnende Rezensionen seines Werkes gab. Seine Worte „Nogle andre reve det ned“ (Levnet II: 206)6 beziehen sich vermutlich u.a. auf die ausführliche, in den Blättern für literarische Unterhaltung Nr. 2 vom 3.7.1826: 5–8 und Nr. 3 vom 4.7.1826: 9–11 erschienene Besprechung des 1. und 2. Teils, die in der Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung Nr. 3 vom 30.3.1827 mit der Rezension des dritten und vierten Teils fortgesetzt wurde. Diese durchwegs missbilligende Beurteilung wird eingeleitet mit einer Bemerkung betreffend „Hr Oehlenschläger, der längst und mit Ehren in der deutschen Literatur Eingebürgerte“, die zeigt, dass Oehlenschläger zu jener Zeit tatsächlich in gewisser Weise zu den deutschen Dichtern gezählt wurde, dies hauptsächlich aufgrund seiner „so überaus gelungene[n] Behandlung des Märchens von der Wunderlampe“ und als „Dichter des Correggio“, wie der Rezensent in Erinnerung ruft. Umso herber seine Enttäuschung über Oehlenschlägers Roman, den er Punkt für Punkt mit der Insel Felsenburg vergleicht, der aber seines Erachtens in keiner Weise an Schnabels Werk heranreicht. Abgesehen von „tiefem Gefühl in einigen Zügen“ und „treffenden Bemerkungen über Welt und Leben“ findet er kaum Positives in dem „mancherlei Fadaisen und Trivialitäten“ enthaltenden Text. Eine lange Liste von Anachronismen und sonstigen Ungereimtheiten, die Oehlenschläger unterlaufen seien, bildet den Hauptinhalt der Rezension, die im Übrigen explizit auf die Vorrede des Autors verweist: Der „ermattende Leser“ wisse je länger, je weniger, „was der Umschmelzer mit dieser ganzen Operation eigentlich beabsichtet [sic], und wie er die in der Vorrede so hochgestellten Tendenzen derselben zur Erfüllung gebracht habe“ (Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung 3/1827: ohne Seitenzahlen). Und geradezu karikierend nimmt die Rezension Oehlenschlägers Vorhaben auf, bestimmte „Skizzenzüge“ aus Schnabels Buch zu übernehmen und auszumalen (IS I: IX), wenn es weiter heisst:

[…] oder fiele es nicht überall in die Augen, dass gerade Das [sic], was aus seiner buntscheckigen Uebertünchung als kräftiger Pinselstrich hervortritt, meist nur die Grundzüge des alten Bildes sind, welche sich mit Gewalt nicht haben vertilgen lassen. (Beilage zu den Blättern für literarische Unterhaltung 3/1827: ohne Seitenzahlen)

Obwohl diese Rezension in den dänischen Zeitungen nicht erschien, wurde sie mit grosser Wahrscheinlichkeit dennoch vom Kreis der gebildeten Leser in Kopenhagen rezipiert, da die Kenntnis der deutschen Sprache zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Dänemark – zumindest bei den oberen Ständen – noch immer sehr verbreitet, ja, selbstverständlich war (vgl. Winge, V. 1996: 57).

Um auf die anfangs gestellte Frage betreffend mögliche Wechselwirkungen der dänischen bzw. deutschen Rezeption zurückzukommen: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die lobenden deutschen Rezensionen, die in einer Kopenhagener Zeitung publiziert wurden, die Ansicht über Oehlenschlägers Roman veränderten. Immerhin zeigt die Tatsache ihres Erscheinens in Kopenhagen ein gewisses Bemühen um eine Ehrenrettung Oehlenschlägers; ebenso drückt sich darin wohl auch ein beginnender Nationalstolz aus, der durch positive Signale aus dem Ausland, besonders aus dem so wichtigen deutschen Bruderland, Nahrung erhalten sollte. In Deutschland dagegen ging das Interesse an dem „in die deutsche Literatur eingebürgerten“ dänischen Dichter nicht so weit, dass man die Existenz einer dänischen Version seines Romans und deren Rezeption in Dänemark auch nur zur Kenntnis genommen hätte.

In den Literaturgeschichten wird der Roman, sofern er überhaupt Erwähnung findet, ebenfalls eher negativ beurteilt, wie folgende Beispiele zeigen: Vilhelm Andersen sieht ihn als Flucht aus der unbehaglichen Gegenwart in das Paradies der Kindheit und als Abschluss einer romantischen Periode, die Oehlenschläger statt mit Ideen, nur noch mit Stoff aus seinen Erinnerungen habe füllen können (Andersen, V. 1964/1924: 109–110). Gustav Albeck kritisiert das Werk als „ulideligt lang og udtværed“ (Albeck u.a. 1967: 111).7 Billeskov Jansen hält es für ein Zeugnis der Krise, in der sich die romantische Erzählung in den 1820er Jahren in Dänemark befunden habe (1969: 132), während Erik Svendsen, Steffen Auring und Søren Baggesen es als Versuch Oehlenschlägers werten, sich in die beginnende dänische Romantradition der 1820er Jahre einzuschreiben, wobei der Autor aber die Zeichen der Zeit nicht richtig erkannt habe, wie die bereits damals veraltende Form der Subskriptionseinladung für die dänische Ausgabe zeige (1984: 409). Etwas positiver bewertet einzig Fritz Paul den Roman, wenn er schreibt: „Interessanter scheint heute der ‚biedermeierliche‘ Oehlenschläger, u.a. in seinem vielleicht bisweilen unterschätzten Roman Øen i Sydhavet“ (1982: 93–94). Eine vergleichsweise ausführliche Behandlung findet sich in der von Jürg Glauser herausgegebenen Skandinavischen Literaturgeschichte, zu deren Leitprinzipien es nach den Worten des Herausgebers gehört,

dass neben den grossen Texten der Klassiker, die es natürlich zu beschreiben gilt, auch andere, weniger bekannte Phänomene wahrgenommen werden, so dass sich die Darstellung nicht lediglich als Abfolge kanonisierter Werke liest, sondern möglichst facettenreiche und differenzierte Einblicke in das literarische Geschehen zu unterschiedlichen Epochen und in unterschiedlichen Ländern vermittelt. (Glauser 2016: XV)

Diesen Grundsätzen ist es zu verdanken, dass Oehlenschlägers Roman als ernstzunehmendes Werk eingestuft wird; laut Klaus Müller-Wille gehört er zu den „ersten Beispielen eines selbstbezüglichen Romans in Dänemark“; der Autor unterstreicht dabei „das hohe selbstreferentielle Niveau […], welches den Roman aus heutiger Sicht auszeichnet“ (Müller-Wille 2016: 151).

Wie die in der älteren Forschung generell eher ablehnende Rezeption erwarten lässt, gibt es nur sehr wenige Arbeiten, die sich spezifisch mit Oehlenschlägers Roman auseinandersetzen. Eine längere Besprechung widmet ihm Vilhelm Andersen in Et Livs Poesi, seiner dreibändigen Monographie über Oehlenschläger, in der er vor allem biographische Gegebenheiten als Quellen des Werkes eruiert, das für ihn stellenweise zu einem Schlüsselroman wird – im Ganzen eine Betrachtungsweise, die aus heutiger Sicht kaum mehr interessiert (Andersen, V. 1899, 2: 166–167).

Sven-Aage Jørgensen verfasste unter dem Titel „Adam Oehlenschlägers ‚Die Inseln im Südmeer‘ und J.G. Schnabels ‚Wunderliche Fata‘. Aufklärung, Romantik – oder Biedermeier?“ eine vergleichende Analyse der beiden Werke, in der er auf alle wichtigen Unterschiede in der Erzählstruktur hinweist, wobei er Oehlenschlägers Text in fast jeder Hinsicht negativ beurteilt. In seiner Untersuchung geht er ganz ähnlich vor wie der erwähnte Rezensent der Blätter für literarische Unterhaltung von 1826, auf dessen Artikel er sich explizit bezieht und dessen Einschätzung er teilt (1969: 142). Seines Erachtens „fehlen seinem [Oehlenschlägers] Werk die kräftigen Farben des alten Buches, und es hat viel an elementarer Spannung eingebüsst, ohne dabei an anderen und höheren Qualitäten zu gewinnen“ (1969: 136). Die Stelle bringt also ein Urteil zum Ausdruck, das sich zu Oehlenschlägers Ansicht, die Kreideskizzen des „alten Buches“ seien mit Oelfarben auszumalen, genau entgegengesetzt verhält. Jørgensen misst das Buch nur an Schnabels Werk und stellt lediglich fest, was Oehlenschlägers Roman im Vergleich zur Insel Felsenburg fehlt; für die besonderen Akzente, die Oehlenschläger setzt, interessiert er sich nicht. Die neuen Gesichtspunkte und die ganz anderen Prämissen, unter denen ein Autor der Romantik im Unterschied zu einem Verfasser der Frühaufklärung schreibt, scheinen Jørgensen offensichtlich keiner ernsthaften Untersuchung wert.

Eine völlig andere Auffassung vertritt Knut Brynhildsvoll (1996) in seinem Aufsatz „Kunst und Literatur als Gegenstand der Dichtung – Ästhetische Selbstreflexion in Adam Oehlenschlägers Roman ‚Die Inseln im Südmeer‘ “. Er plädiert für die Erstellung einer Intentionsanalyse, die dem Anspruch des Autors, einen neuen, „eigenen“ Roman verfasst zu haben, gerecht werde. Indem Brynhildsvoll die Absichtserklärung des Autors übernimmt, hebt er den Roman weitgehend aus dem Vergleichsrahmen heraus, in den Jørgensens Untersuchung ihn presste. Brynhildsvoll rückt die von Jørgensen vernachlässigten Aspekte des Werkes ins Zentrum seiner Analyse: Dies sind vor allem die literatur- und kunstgeschichtlichen Reflexionen, welche im Roman einen so breiten Raum einnehmen, dass der Text „in einer wesentlichen Dimension […] den Charakter eines Künstlerromans an[nimmt]“ (1996: 122). In seinen äusserst interessanten Ausführungen arbeitet Brynhildsvoll überzeugend die Modernität von Oehlenschlägers Roman heraus, der durch vielgestaltigen Einbezug anderer Werke und Kunstgattungen auf Entgrenzung des Textes angelegt ist. In dieser Sicht, die einen markanten Kontrast zu Jørgensens Beurteilung darstellt, manifestieren sich selbstverständlich auch die Veränderungen und Entwicklungen, welche in der Literaturwissenschaft in den fast 30 Jahren stattgefunden haben, die zwischen den Arbeiten Jørgensens und Brynhildsvolls liegen: Im Vordergrund stehen nicht mehr Gattungs- und Epochenzuweisungen oder wertende Hierarchisierungen, die kanonbestimmt sind oder kanonbildend wirken, sondern das autoreflexive Potential eines Textes, sowie seine Möglichkeiten, Grenzen aufzulösen, Gattungen zu mischen, starre Denkschemata aufzubrechen, Hierarchisierungen und Kanonrichtlinien zu problematisieren.8

Dass sich eine solche Betrachtungsweise jedoch auch anfangs des 21. Jahrhunderts in Dänemark nicht durchgesetzt hatte, zeigen zwei in der Rubrik „Glemte bøger“ [Vergessene Bücher] erschienene Artikel der Kopenhagener Weekendavisen vom 22.6–28.6.2001 bzw. 29.6.–5.7.2001 über Øen i sydhavet. Verfasst wurden sie von so namhaften dänischen Autoren wie Jens Kistrup, dem einstigen Nestor der dänischen Theaterkritik, und Jurij Moskvitin, Musiker und Philosoph. Sie beurteilen den Roman – ohne jede Berücksichtigung neuerer Literaturtheorien – nach ausgesprochen traditionellen Kriterien, wobei Jens Kistrup sich auf Vilhelm Andersen beruft und dessen oben erwähnte Aussage von 1924 in zustimmendem Sinn wiedergibt. Unter solchen Umständen erstaunt es nicht, dass das Verdikt der beiden Besprechungen über Oehlenschlägers Roman lautet: zu Recht vergessen.

Immerhin hat ein Teilaspekt der dänischen Version des Romans in jüngster Zeit wieder Beachtung gefunden: In ihrer umfangreichen Dissertation mit dem Titel „Katholisch im Kopf“Die protestantische Romantik in Skandinavien und ihre Prätexte zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit setzt sich Alexandra Bänsch mit Elementen der Idylle und Utopie in Øen i Sydhavet auseinander (Bänsch 2011: 737–752). Dabei würdigt sie – durchaus zu Recht – die Neuerungen in Oehlenschlägers Roman, während sie die religiös-utopischen Verhältnisse auf Schnabels Insel als totalitäres System verdammt (2011: 738) – ein Urteil, das höchstens auf einer an der Textoberfläche angesiedelten Ebene eine gewisse Berechtigung hat, das aber einer differenzierteren Lektüre mit Blick auf die alle disziplinierenden Grenzziehungen und Regeln transgredierenden, im Wortsinne „überbordenden“ Binnenerzählungen nicht standhält. Den Vorwurf der „Lustfeindlichkeit“ (2011: 741, Fussnote 1218) entkräftet allein schon die pure Erzähl- und Beschreibungslust, die Schnabels Text prägt.

Bänschs Analyse wird weitgehend von gattungstheoretischen Überlegungen geleitet, was sie mit Sven-Aage Jørgensens Perspektive verbindet, dessen Artikel die Autorin jedoch in bestimmten Punkten kritisiert; allerdings wählt sie selber ein ganz ähnliches Vorgehen: auch sie unternimmt einen wertenden Vergleich von Øen i Sydhavet mit den Wunderlichen Fata, gelangt dabei aber zu einer der Auffassung Jørgensens genau entgegengesetzten Wertung.

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9783772001727
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