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2.2.2 Entwicklung der Lernerkontingente

Lernten im Schuljahr 2014/15 mehr als 7,4 Millionen SchülerInnen Englisch, was einem Anteil von 86,9 % an allgemeinbildenden Schulen entspricht, waren es für das Fach Französisch immerhin 18,4 % (ca. 1,5 Millionen Lernende), gefolgt von Latein mit 8,2 %. Nur knapp 5 % (404.183 SchülerInnen) belegten das Fach Spanisch (vgl. Tab. 2).


Anzahl (absolut) Anteil in %
2004/05 2014/15 2004/05 2014/15
Englisch 7.477.881 7.274.027 77,7 86,9
Französisch 1.702.243 1.535.600 17,7 18,4
Latein 739.570 688.625 7,7 8,2
Spanisch 213.357 404.183 2,2 4,8

Tabelle 2:

SchülerInnen nach ausgewählten erlernten Fremdsprachen in den Schuljahren 2004/05 und 2014/15 an allgemeinbildenden Schulen (Statistisches Bundesamt 2016: 21)

Wie lässt sich angesichts dieser Verteilung und des deutlichen Rückstandes der Belegzahlen nun der (vermeintliche) Boom des Spanischen erklären? Betrachtet man die in der Grafik dargestellten Zuwachsraten für das Fach Spanisch, wird deutlich, dass sich die prozentualen Lernerzahlen zwischen den Schuljahren 2004/05 und 2014/15 von 2,2 % auf 4,8 % mehr als verdoppelt haben (vgl. Tab. 2). Bei einem Blick auf die absoluten Zahlen sind für das Fach Spanisch im Vergleich zu den Sprachenfächern Englisch, Französisch und Latein jedoch die geringsten Lernerzahlen festzustellen, sodass es eben weniger die absoluten als vielmehr die prozentualen Werte sind, die dieses Wachstum ausmachen. Bär spricht insofern nicht zu Unrecht relativierend von einem „Boom der prozentualen Werte“ (Bär 2012:241).

Dennoch macht sich der Aufschwung des Faches Spanisch gegenüber Französisch in der Sekundarstufe II besonders bemerkbar. Musste das Französische innerhalb von zehn Jahren einen Verlust an Lernenden von 6,2 % hinnehmen, konnte der Fremdsprachenunterricht Spanisch um beinahe 5 % zulegen (vgl. Abb. 3). Dies dürfte nicht zuletzt an seiner zunehmenden Bedeutung als neu einsetzende Fremdsprache in der Oberstufe liegen.

Abbildung 3:

Entwicklung der Lernerzahlen für Französisch und Spanisch in der Sekundarstufe II an Gymnasien in Prozent

Dass das Fach Spanisch auch über alle Jahrgangsstufen hinweg steigende Belegzahlen vorweisen kann, verdeutlicht die nachfolgende Grafik, die einen Vergleich der Lernerzahlen zwischen den Schuljahren 2004/05 und 2013/14 abbildet. Auch die bereits angesprochene zunehmende Bedeutung des Faches als zweite Fremdsprache lässt sich anhand der Werte ablesen. So stieg bspw. die Zahl der Spanischlernenden in Klasse 6 von 3.277 (1,23 %) im Schuljahr 2004/05 beinahe um das Fünffache auf 15.904 (5,72 %) im Schuljahr 2013/14 (vgl. Abb. 4). Spanisch wird nicht nur immer häufiger, sondern auch immer früher gewählt.

Abbildung 4:

Vergleich der prozentualen Lernerzahlen für das Fach Spanisch an Gymnasien nach Jahrgangsstufen in den Schuljahren 2004/05 und 2013/14 (G8/G9)

Auch als dritte bzw. neu einsetzende Fremdsprache kann das Fach Spanisch im Vergleich zu Französisch deutlich zulegen, wie die Zahlen belegen. Dennoch lassen sich in der Sekundarstufe II gleichermaßen Abwahltendenzen beobachten. Und auch wenn sich der Höchstwert im Schuljahr 2013/14 (23,47 %) im Vergleich zum Schuljahr 2004/05 (16,38 % in der Jahrgangsstufe 11) um ein Jahr nach vorne in die Jahrgangsstufe 10 verschiebt, sind die rückläufigen Lernerzahlen gleichermaßen alarmierend. Dabei unterscheiden die Statistiken nicht zwischen den SchülerInnen, die das Fach als fortgeführte Fremdsprache lernen, und denen, die es als neu einsetzende Fremdsprache belegen. Es muss also davon ausgegangen werden, dass die Abwahlzahlen für Spanisch als zweite Fremdsprache in der Realität noch höher sind.

2.3 Standortbestimmung: Französisch und Spanisch am Ende der Sekundarstufe I

Der Blick auf die bildungspolitischen Rahmenbedingungen der Fremdsprachen Französisch und Spanisch sowie auf die Entwicklung ihrer Lernerkontingente erlaubt eine erste Standortbestimmung der beiden Fächer. Es kann festgehalten werden, dass die Obligatorik und die Vorverlegung der zweiten Fremdsprache mit einem Beginn ab Klasse 5 bzw. 6 am Gymnasium insgesamt zu einer Stärkung des Französisch- und Spanischunterrichts geführt haben, sodass mitnichten von einer Krise die Rede sein kann. Die insgesamt steigenden Lernerzahlen für beide Sprachen zeichnen ein überwiegend positives Bild.

Neben dem Englischen, das unverändert und unangefochten die stärkste Position unter den fremdsprachlichen Fächern einnimmt, scheinen Französisch und Spanisch jedoch nur schwer zu bestehen. Trotz der Modifikation des Hamburger Abkommens 1971, nach welcher alle lebendigen Fremdsprachen als erste Fremdsprache denkbar und möglich wären, verstetigt sich die Dominanz des Englischen als lingua franca. Die Tatsache, dass nur an einer Schulform, dem Gymnasium, überhaupt zwei Fremdsprachen verbindlich gelernt werden müssen, befördert diese Dominanz zusätzlich und sorgt für eine große Konkurrenz unter den übrigen Schulfremdsprachen (vgl. Bär 2017:89).

Während sich dieses ungleiche Kräfteverhältnis in der Sekundarstufe I noch weniger bemerkbar macht und die Lernerzahlen in den vergangenen Jahren hier insgesamt relativ stabil geblieben sind, muss für die gymnasiale Oberstufe konstatiert werden, dass die bestehenden Wahl- und Abwahlmöglichkeiten vor allem in der Sekundarstufe II zu einem erheblichen Einbruch der Belegzahlen führen. Dies betrifft Französisch und Spanisch gleichermaßen, sodass Bär (ebd.: 93) gar von „einem langsamen (aber ziemlich sicheren) Aussterben der zweiten Fremdsprache(n) in der gymnasialen Oberstufe“ spricht. So zeigt u.a. das Beispiel Hessen, dass nur diejenigen SchülerInnen in der Sekundarstufe II (Qualifikationsphase) eine zweite Fremdsprache belegen müssen, die keine zweite Naturwissenschaft oder Informatik wählen. Dabei muss diese zweite Fremdsprache nicht der entsprechen, die in der Sekundarstufe I gelernt wurde. Auch eine neu einsetzende Fremdsprache kann in der Jahrgangsstufe 11 hinzugenommen werden (vgl. Martinez 2005:65f.), was vor allem ein Argument für Lernende mit schlechteren Leistungen in der bisherigen zweiten Fremdsprache bilden dürfte.

Als ein wesentlicher Faktor zur Erklärung der hohen Abwahlraten – Hessen steht an dieser Stelle stellvertretend für eine bundesweit verbreitete Praxis – müssen daher die fächerbezogenen Kombinationsmöglichkeiten in der Oberstufe herangezogen werden. Die Fortführung eines Faches ist eng an die bislang erzielten sowie die in der Sekundarstufe II zu erwartenden Leistungen, und damit vor allem Noten geknüpft. Im Zweifel bedeutet eine schlechte Note am Ende der Klasse 10 bzw. 11 im Fach Französisch oder Spanisch also auch das Ende für das Erlernen dieser Fremdsprachen – unabhängig davon, ob das fachliche Interesse möglicherweise höher ist als an den alternativ zur Wahl stehenden Naturwissenschaften oder einer neuen Fremdsprache. Auch Überlegungen im Zuge der Diskussion um die Rückkehr von G8 zu G9, dass „in der gymnasialen Oberstufe ggf. nicht mehr zwei Fremdsprachen von den Schülerinnen und Schülern belegt werden müssen, sofern die Pflichtzeit bereits im Sekundarbereich I erfüllt worden ist“ (Bär 2017:91), schwächen die Position der zweiten Fremdsprachen Französisch und Spanisch und erschweren deren Weiterlernen zusätzlich.

Obwohl die Regelung, zwei moderne Fremdsprachen bis zum Abitur zu belegen, längst sprachenpolitische Realität an deutschen Schulen sein könnte, besteht in vielen Bundesländern nach wie vor die Möglichkeit fort, auch ohne zweite Fremdsprache in der Oberstufe das Abitur abzulegen. Mit der Begründung, die Anforderungen in der gymnasialen Oberstufe senken zu wollen, schaffte zuletzt das Bundesland Sachsen die verpflichtende zweite Fremdsprache ab (vgl. SMK 2018). Und wenngleich von offizieller Seite gerne die breite Öffentlichkeit oder der Eltern- bzw. Schülerwille für derlei Entscheidungen angeführt werden (vgl. Christ 1991:104; Meißner 1997:14), können die politischen Entscheidungsträger hier nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Dennoch darf die Suche nach einem Ausweg aus den rückläufigen Lernerzahlen nicht bei der Begründung durch ausschließlich externe Faktoren aufhören.

Vor diesem Hintergrund scheint es umso wichtiger, neben den vorgegebenen Fächerkombinationen auch die unterrichtlichen Bedingungszusammenhänge als Ursache für das hohe Abwahlverhalten in den Blick zu nehmen. Auch wenn für das Fach Spanisch bislang keine empirischen Studien vorliegen, sei an dieser Stelle u.a. auf die Untersuchung von Bittner (2003) verwiesen: Im Rahmen der quantitativen Fragebogenstudie gaben die befragten OberstufenschülerInnen schlechte Zensuren, den Schwierigkeitsgrad des Faches sowie Kritik an der Unterrichtsgestaltung als häufigste Gründe für die Abwahl des Französischen an. Diese Faktoren können als unterrichtsimmanent eingeordnet werden und sind insofern veränderbar. Als Desiderat seiner Untersuchung leitet Bittner den Bedarf und die Notwendigkeit ab, durch Anschlussstudien „weitere Zusammenhänge zwischen der Unterrichtsgestaltung und dem Wahl- bzw. Abwahlverhalten“ (ebd.: 352) in den Blick zu nehmen. Nur so sind letztlich entsprechende Ansätze abzuleiten, die einer Fortführung der romanischen (zweiten) Fremdsprachen den Weg bereiten. Denn „[a]nders als Fächer aus dem Bereich der Obligatorik wie Mathematik oder Englisch müssen der Französisch- wie auch der Spanischunterricht in besonderer Weise immer wieder ihre Lerner gewinnen“ (Meißner 2011:62).

Eng verbunden mit den Erklärungsversuchen für das Abwahlverhalten ist die Frage, was SchülerInnen über das Lernen der Fremdsprachen Französisch und Spanisch denken. So verfolgt das nachstehende Kapitel das Ziel, einen Überblick über vorliegende Studien zu geben, die die Perspektive der SchülerInnen auf (Fremdsprachen‑)Unterricht und Fremdsprachenlernen untersuchen.

3. Fremdsprachenlernen aus Schülersicht: Ein Forschungsüberblick

Das Interesse an der Fragestellung, wie SchülerInnen fremde Sprachen lernen, ist keineswegs neu. Eingeleitet durch die kognitive Wende und eine zunehmende Lernerzentrierung in den 1980er Jahren (vgl. Bausch et al. 1982) richtet sich der Blick von nun an stärker auf das Individuum und die in ihm ablaufenden Prozesse beim (Sprachen‑)Lernen. Subjektorientierte Forschungsansätze werden intensiviert (vgl. u.a. House 1998; Vollmer 1998). Dennoch wissen wir verhältnismäßig wenig darüber, was SchülerInnen über ihren Fremdsprachenunterricht denken. Während in der allgemeinen Pädagogik in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Publikationen zum Thema „Schule und Unterricht aus Schülersicht“ entstanden1, bleibt das Potenzial entsprechender Fragestellungen in der Fremdsprachendidaktik noch weitgehend ungenutzt, sodass Trautmann (2014:78) pointiert: „Trotz vielfacher Berufung auf die Tradition der Lernerorientierung gibt es bisher nur wenige Untersuchungen zur Binnensicht von Lernenden.“

Arbeiten, deren Erkenntnisinteresse sich auf die Erforschung der Schülersicht richtet, liegen – sowohl in der pädagogischen als auch fremdsprachendidaktischen Forschung – zum Teil sehr unterschiedliche Konzeptionen zugrunde. Je nach Fachdisziplin und Forschungstradition variiert dabei stark, auf welchen theoretischen Annahmen und empirischen Zugriffen die gewonnenen Erkenntnisse jeweils beruhen. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, stärker zu differenzieren, worauf Aussagen über die Schülersicht im Einzelnen beruhen, sowie transparent zu machen, zu welchem Zweck diese erhoben wird.

Kaum eine Studie thematisiert, was im Einzelnen unter der „Sicht“ oder „Perspektive“ der Lernenden verstanden wird. Diese Termini werden – sicher nicht zuletzt aufgrund ihrer weiten Verbreitung im Alltag – als selbstverständlich angenommen und als bekannt vorausgesetzt, sodass die dahinterliegenden theoretischen Annahmen nicht hinterfragt werden und man vergeblich nach entsprechenden Definitionen oder Konzeptualisierungen sucht. Auch Walter und Walter machen diese begriffliche Vagheit zum Gegenstand der Diskussion, wenn sie fragen, was genau wir durch die Ergebnisse entsprechender Forschungsarbeiten über die Schülersicht eigentlich erfahren:

Ist es Schülerwissen über Lehrpersonen und Unterricht, das auf Beobachtungen beruht? Sind es (affektiv bestimmte) Einstellungen oder Vorurteile? Sind die entsprechenden Aussagen der Schülerinnen und Schüler von nur teilweise bewussten Motiven gesteuert? Oder artikulieren sich in ihnen rational begründete Urteile oder sorgfältig abgewogene Intentionen? (Walter & Walter 2014:70)

Eine wichtige Grundlage auf dem Weg zu einer begrifflichen Annäherung bietet Fromm, der unter der subjektiven Sicht von Lernenden „die Gesamtheit der Beziehungen, die Schüler zwischen ihren Erfahrungen (oder Wahrnehmungen) herstellen“ (1987:3) fasst. Durch den Terminus „Wahrnehmung“ wird vor allem der individuelle und subjektive Charakter hervorgehoben, der dem Begriff „Sicht“ – oder auch „Perspektive“ – inhärent ist. Demnach geht es weniger um die Frage, ob die Schüleräußerungen auf Beobachtungen beruhen, rational begründet sind oder ob es sich um (affektiv bestimmte) Einstellungen oder Vorurteile handelt (s.o.). Zentral für das Verständnis der Sichtweisen von SchülerInnen sind ihre Erfahrungen bzw. die Wahrnehmung aller in Bezug auf Schule und Unterricht für sie relevanten Merkmale.

3.1 Zum Stellenwert der Schülersicht in der empirischen Forschung

Die Erhebung der Schülerperspektive spielt vor allem dort eine zentrale Rolle, wo es um die Qualität, Qualitätsentwicklung und ‑sicherung von Schule und Unterricht geht (vgl. u.a. Dreesmann 1982; Fromm 1987; Petillon 1987; Czerwenka et al. 1990; Fichten 1993; Clausen 2002; Ditton 2002; Bocka 2003; Klieme & Rakoczy 2003; Grewe et al. 2007; Piskol 2008; Berger et al. 2013; Hüls & Schneider 2015). Sie gilt als wichtiger Indikator und Ansatzpunkt für die Verbesserung der Unterrichtsqualität, obwohl die empirische Erforschung der Wirksamkeit von Unterricht jahrzehntelang einzig über die Messung der objektiven Schülerleistung erfolgte. „Die Berücksichtigung von Schülerurteilen [war] nicht vorgesehen, weder bei der Behandlung der Frage, welches Ziele von pädagogischen Bemühungen sein können, noch bei der Reflexion über wünschenswerte Maßnahmen und Verhaltensweisen des Lehrers.“ (Hofer 1981:49) Bis heute sind die Aussagekraft und der Mehrwert der Lernersicht in der Forschungsdiskussion nicht unumstritten. Dabei wird deren Gültigkeit ebenso kritisch hinterfragt wie ihr Stellenwert gegenüber anderen, vermeintlich objektiveren, wissenschaftlichen Perspektiven.1 So wird Kindern und Jugendlichen u.a. die Fähigkeit abgesprochen, „sich geeignet zu Unterricht äußern zu können“ (Holl 2007:27). Sie, so die Kritik, würden über ein anderes, eigenes altersspezifisches Begriffssystem verfügen, das sich von dem Erwachsener deutlich unterscheide. Eine Verständigung über Unterricht sei „jedoch erst auf der Grundlage eines gemeinsamen Sprachgebrauchs möglich“ (Bocka 2003:46). Dementsprechend müsse sehr sorgfältig rekonstruiert werden, was genau einzelne Begrifflichkeiten für die SchülerInnen bedeuten. Die Validität der rekonstruierten Aussagen sei anschließend anhand vieler Beispiele und Gegenbeispiele zu überprüfen (vgl. ebd.).

Ferner bestehen Zweifel an der Genauigkeit und Gültigkeit von Schüleraussagen, die vor allem durch Beobachtungsfehler und Phänomene wie soziale Erwünschtheit (vgl. Czerwenka et al. 1990:31f.) oder den ‚Dr. Fox’-Effekt begründet werden, d.h., dass „eine Lehrperson durch charismatisches und blenderisches Auftreten Befriedigung und ein der Realität nicht entsprechendes positives Gefühl des Gelernthabens bei den Hörern bewirken kann“ (Hofer 1981:53, zit. nach Ditton 2002:264). Dieser Kritikpunkt ist jedoch insofern zu relativieren, als im Rahmen entsprechender Studien diesbezüglich nur kurzfristige Effekte erfasst wurden (vgl. Stolz 1997:138). Außerdem basieren die Meinungen der SchülerInnen weniger auf individuell-persönlichen Präferenzen oder (Vor‑)Urteilen als vielmehr auf der Grundlage der durch ihre schulische Sozialisation bedingten Erwartungsmuster. Vor diesem Hintergrund ist „die These, dass sich Schüler bei der Wahrnehmung oder Bewertung ihrer Lehrer auf längere Sicht von blenderischem Auftreten beeindrucken lassen, nicht sonderlich überzeugend“ (Ditton 2002:264).

Zudem stellt das Problem der sozialen Erwünschtheit kein rein schülerspezifisches Phänomen dar, sondern kann gleichermaßen bei Unterrichtsbeobachtungen durch externe Personen und Befragungen von Lehrkräften auftreten (vgl. Holl 2007:27f.). Auch die Untersuchung von Clausen (2002:186) zeigt, dass es bei einem Vergleich der drei Perspektiven die eine mit der „Unterrichtswirklichkeit“ übereinstimmende Sichtweise nicht gibt. So hänge die Frage nach der Brauchbarkeit und Berechtigung einer der Datenquellen – ob externe BeobachterInnen, Lehrende oder Lernende – vor allem von der verfolgten Fragestellung ab. Für die Schülersicht fasst er zusammen:

Eine Erhebung der Schülersicht gewinnt ihre Bedeutung durch die vergleichsweise engen Zusammenhänge zu Leistung und Interesse bzw. deren Entwicklung. Die Wahrnehmung der Schüler hat für die Entwicklung der Schüler die größte Bedeutung. Für eine neutrale wissenschaftlich-differenzierende Betrachtung des Unterrichtsgeschehens sind Schülerurteile aufgrund der Tendenz zur affektiv geprägten generalisierenden Beurteilung weniger geeignet. (ebd.: 188)

Wenn die Übereinstimmung zwischen externen BeobachterInnen, Lernenden und Lehrenden in der Beurteilung von Unterricht so gering ist, wie die Studie von Clausen nahelegt, liefert dieser Befund gleichzeitig ein zentrales Argument für die Berücksichtigung und stärkere Beachtung aller, auch der Sichtweisen der SchülerInnen. Denn gerade weil sich die Perspektiven so voneinander zu unterscheiden scheinen, kommt eine differenzierte Einschätzung von Unterricht nicht ohne die Auffassungen der Lernenden aus.

Die Aussagekraft von direkten, unmittelbaren Schülerurteilen über die Effektivität und Wirksamkeit von Unterricht ist insgesamt deutlich höher einzuschätzen als durch die Anwendung von Tests. Zudem lassen sie sich auch einfacher erheben (vgl. Hofer 1981:50). Für die Erhebung subjektiver, schülerbezogener Wahrnehmungsdaten gegenüber externen BeobachterInnen spricht ferner ihr höherer Erklärungswert, da sie „auch die heterogenen Erfahrungen einzelner Gruppenmitglieder abzubilden“ (Clausen 2002:43) vermögen und sich die Erfahrungen der Lernenden mit Schule, Unterricht und Lehrkräften in der Regel auf einen längeren Zeitraum beziehen: „Schüler kennen Lehrkräfte sowohl im Vergleich mehrerer Fächer als auch im Vergleich über die Schulzeit hinweg. Ihre Aussagen können sich auf Wahrnehmungen über einen längeren Zeitraum und auf die Erfahrungen in unterschiedlichen Situationen stützen.“ (Ditton 2002:264)

Und auch wenn die Schüleraussagen im Vergleich zu Lehrenden und externen BeobachterInnen ein vergleichsweise geringeres Abstraktions- und Reflexionsniveau aufweisen mögen, sind es doch die Lernenden, die als HauptakteurInnen von Schule und Unterricht maßgeblich an deren Gestaltung beteiligt sind. Sie als ExpertInnen für Unterricht zu betrachten und ihre Sichtweisen für die Evaluation von Unterricht zu berücksichtigen (vgl. u.a. Helmke et al. 2009:98; Walter & Walter 2014:71) erscheint in diesem Zusammenhang nur konsequent. Unterricht ist als Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden zu begreifen. „Das Verständnis von Prozeßen [sic] der Interaktion zwischen Lehrern und Schülern im Unterricht erfordert Einsichten in die subjektive Sicht der Schüler, in ihre Erlebens- und Urteilsprozesse.“ (Hofer 1981:50) Dies impliziert, beide Wirkungsrichtungen, d.h. LehrerIn – SchülerIn und SchülerIn – LehrerIn, in den Blick zu nehmen. So kann in der Konsequenz auch erst dann glaubhaft von lerner- und schülerorientiertem Unterricht die Rede sein, wenn die AdressatInnen desselben mit ihren Bedürfnissen, Erfordernissen, Erwartungen und Wünschen stärker zu Wort kommen und danach gefragt wird, wie sie ihren Unterricht wahrnehmen und erleben: „The notion of how the student experiences the lesson is critical to engagement and success in participating in learning […].“ (Hattie 2012:140) Den Unterricht an den Erwartungen der SchülerInnen zu orientieren und ihre Interessen ernst zu nehmen setzt voraus, die Lernenden bei der Konzeption und Bewertung von Unterricht mit einzubeziehen (vgl. Bocka 2003:41f.). Dass die Bedeutung der Schülersicht lange Zeit relativiert und als unbrauchbar eingeschätzt wurde, gilt insofern heute als überholt (vgl. ebd.: 51f.). Dennoch ist sie als Informationsquelle für die Evaluation von Unterricht noch vergleichsweise unterrepräsentiert (vgl. Kämpfe 2009:151). Auch wenn es bei der vorliegenden Studie nicht um die Erforschung der Unterrichtsqualität geht, erscheint eine stärkere Berücksichtigung der Schülersicht dennoch vielversprechend, birgt sie doch die Chance, Aussagen darüber treffen zu können, wie die Lernenden als HauptakteurInnen des Fremdsprachenunterrichts diesen wahrnehmen und erleben.

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9783823302254
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