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DRITTES KAPITEL Man richtet sich ein

N

ach dieser merkwürdigen, aber gewiss richtigen Erklärung versanken die drei Freunde wieder in tiefen Schlummer. Wo hätten sie auch einen stilleren Ort, eine friedlichere Umgebung finden können? Auf der Erde haben die Häuser in den Städten, die Hütten auf dem Lande alle Erschütterungen zu erdulden, welche die Oberfläche derselben treffen. Auf dem Meere hat das von den Wogen umher geschaukelte Schiff Wellenbrecher um Wellenbrecher standzuhalten. In der Luft schwankt der Ballon unablässig in den Luftschichten. Nur dieses Projektil im absolut leeren Raum gewährte seinen Bewohnern in absoluter Stille die absolute Ruhe. Daher würde auch der Schlaf der drei waghalsigen Reisenden vielleicht unendlich lange angedauert haben, wenn sie nicht gegen sieben Uhr am 2. Dezember, also acht Stunden nach ihrer Abfahrt, durch ein unerwartetes Geräusch geweckt worden wären. Ein ganz eigentümliches Bellen ließ sich vernehmen.

»Die Hunde! Das sind unsere Hunde!«, rief Michel Ardan und sprang unverzüglich auf.

»Sie haben Hunger«, sagte Nicholl.

»Wahrhaftig! Wir haben sie vergessen!«, versetzte Michel.

»Wo sind sie?«, fragte Barbicane.

Man suchte und fand eines der Tiere unter dem Diwan kauernd. Verstört und von dem Rückstoß zermartert war es bis zu diesem Moment, als ihm mit der Pein des Hungers die Stimme wiederkehrte, in diesem Winkel geblieben. Es war die liebenswürdige Diana. Noch ziemlich verdutzt kroch sie – nicht ohne sich bitten zu lassen – aus ihrem Winkel hervor. Doch Michel Ardan sprach mit zärtlichen Worten zu ihr.

»Komm, Diana!«, sagte er. »Komm, mein Kind! Dein Geschick wird in den Annalen der Hundezüchtung Epoche machen! Die Heiden hätten dich dem Gott Anubis zur Lebensgefährtin gegeben und die Christen dem heiligen Rochus zur Freundin! Du verdienst vom König der Unterwelt in Erz gegossen zu werden, wie jener, den Jupiter der schönen Europa für einen Kuss hingab. Du wirst berühmter werden als die Helden zu Montargis und auf dem St. Bernhard! In die Weltenräume geschleudert wirst du vielleicht zur Stammmutter der Selenitenhunde! Dort oben wirst du vielleicht Toussenels Ausspruch rechtfertigen: ›Im Anfang schuf Gott den Menschen, und da er ihn so schwach sah, gab er ihm zum Gefährten den Hund!‹ Komm, Diana, komm her!«

Diana, geschmeichelt oder auch nicht, kam langsam herbei und jammerte kläglich.

»Gut!«, sagte Barbicane. »Hier ist Eva, aber wo ist Adam?«

»Adam!«, erwiderte Michel. »Adam kann nicht weit sein! Irgendwo ist er! Man muss rufen! Trabant! Hier! Trabant!«

Aber Trabant kam nicht zum Vorschein. Diana jammerte weiter. Man überzeugte sich jedoch, dass sie nicht verwundet war, und gab ihr zur Beruhigung einen leckeren Brocken. Trabant schien gar nicht mehr vorhanden zu sein. Man musste lange suchen, bis man ihn endlich in einem der oberen Fächer des Projektils fand, wohin ihn der Rückstoß in kaum zu erklärender Weise mit Gewalt geschleudert hatte. Das arme Tier war arg beschädigt. Es befand sich in einem jämmerlichen Zustand. Man hob es behutsam herunter. Es hatte sich an der Decke den Kopf angeschlagen und schien schwerlich durchzukommen. Man ließ es sich bequem auf einem Kissen ausstrecken. Da ließ es einen Seufzer hören.


»Wir pflegen dich«, sagte Michel. »Wir sind für dein Leben verantwortlich. Ich würde lieber einen Arm verlieren als eine Pfote meines armen Trabanten!« Mit diesen Worten reichte er dem Patienten einige Schluck Wasser, welches dieser gierig schlürfte.

Hierauf beobachteten die Reisenden aufmerksam die Erde und den Mond. Die Erde zeigte sich nur noch als düster beleuchtete Scheibe mit einer noch schmaleren Sichel am Rande als abends zuvor; doch war ihre Größe im Vergleich mit der des Mondes, der mehr und mehr in vollständiger Kreisform auftauchte, noch enorm.

»Wahrhaftig!«, sagte Michel Ardan. »Es tut mir ernsthaft Leid, dass wir nicht abreisten, als die Erde in vollem Licht war, d.h., als sie in Opposition zur Sonne stand.«

»Weshalb?«, fragte Nicholl.

»Weil wir unser Festland und die Meere in einer anderen Beleuchtung gesehen hätten. Die Erde im Glanz der darauf fallenden Sonnenstrahlen, die Meere in düsterer, so wie man sie auf manchen Landkarten darstellt! Ich hätte gerne die Erdpole gesehen, die den Blicken der Menschen bislang noch verborgen geblieben sind!«

»Allerdings«, erwiderte Barbicane. »Allein, wenn die Erde in vollem Licht erschien, musste es Neumond sein, d.h., der Mond war durch die Sonnenbestrahlung nicht sichtbar. Nun ist es aber doch besser das Ziel, wohin wir gelangen wollen, ins Auge zu fassen, als den Punkt, von dem aus wir unsere Reise begannen.«

»Sie haben Recht, Barbicane!«, erwiderte Kapitän Nicholl. »Wenn wir auf dem Mond angekommen sind, werden wir in den langen Mondnächten im Übrigen noch Zeit genug haben, die Erde, auf der es von unseresgleichen nur so wimmelt, andächtig zu beschauen!«

»Unseresgleichen!«, rief Michel Ardan. »Aber jetzt sind sie das nicht mehr. So wenig wie die Seleniten. Wir bewohnen eine neue Welt, das Projektil, dessen einzige Bevölkerung wir sind. Wir drei sind allein unseresgleichen. Draußen, droben, sonst keine Menschen. Wir wollen diesen Mikrokosmos solange allein bewohnen, bis wir Seleniten werden!«

»Dies wird in etwa 88 Stunden der Fall sein«, versetzte der Kapitän.

»Das bedeutet...?«, fragte Michel Ardan.

»Es ist jetzt halb neun Uhr«, erwiderte Nicholl.

»Nun«, fuhr Michel fort, »so sehe ich durchaus keinen Grund, warum wir nicht unverzüglich frühstücken sollten.«

In der Tat, ohne zu essen, konnten die Bewohner des neuen Gestirns nicht leben, und die Gesetze des Hungers machten sich damals gebieterisch geltend. Als Franzose erklärte sich Michel Ardan zum Küchenmeister; und niemand konnte in dieser Position mit ihm wetteifern. Das Gas gab hinreichende Hitze für die Zubereitung und der Vorratsbehälter lieferte die Lebensmittel für die erste Mahlzeit.

Das Frühstück begann mit drei Tassen vortrefflicher Bouillon, welche durch Auflösung jenes köstlichen Liebigschen Fleischextrakts, der aus den besten Stücken der Pampas-Rinder bereitet wird, hergestellt wurde. Hierauf folgten einige Stücke Beefsteak, die mit Hilfe einer hydraulischen Presse zusammengedrückt wurden. Diese waren so zart und saftig, wie man sie auch im Cafe Anglais in Paris bekommen kann. Michel Ardan versicherte – seiner Phantasie entsprechend – sogar, sie seien ›blutig‹. Auf das Fleischgericht folgte konserviertes Gemüse, das, wie ebenfalls der liebenswürdige Michel versicherte, ›frischer als das natürliche‹ war. Zuletzt gab es noch einige Tassen Tee und Sandwiches. Der ausgesuchte Tee, welcher der Kaiser von Russland den Reisenden hatte zukommen lassen, war ein Aufguss allererster Güte. Um das Festmahl zu krönen, holte Ardan schließlich eine feine Flasche Nuits, die sich ›zufällig‹ in einem Vorratsfach fand. Diese Flasche leerten die drei Freunde gemeinsam unter dem Motto einer erfolgreichen Kontaktaufnahme zwischen Erde und Mond. Und als begnüge sich die Sonne nicht, das köstliche Produkt auf den Burgunder Rebhügeln zur Reife gebracht zu haben, wollte sie auch Gesellschaft leisten. Denn in diesem Augenblick verließ das Projektil den Bereich des Schattenkegels, welchen die Erde wirft, und glänzende Sonnenstrahlen fielen entsprechend dem Winkel, den die Umlaufbahn des Mondes um die Erde macht, gerade auf den Boden des Gefährts.

»Die Sonne!«, rief Michel Ardan.

»Allerdings«, erwiderte Barbicane. »So dachte ich es mir.«

»Doch erstreckt sich der Schattenkegel nicht hinter der Erde noch über den Mond hinaus?«, fragte Michel.

»Sogar weit darüber hinaus, wenn man die Brechung durch die Atmosphäre nicht berücksichtigt. Wenn der Mond aber ganz von diesem Schatten eingehüllt ist, dann befinden sich die Zentren der drei Gestirne, Sonne, Erde und Mond, in einer geraden Linie. Dann treffen die Knoten mit den Phasen des Vollmonds zusammen und es entsteht eine Verfinsterung. Wären wir im Moment einer Mondfinsternis abgefahren, so hätte unsere ganze Fahrt im Dunkeln stattgefunden, was unangenehm gewesen wäre.«

»Weshalb?«

»Weil unser Projektil, obwohl wir uns im leeren Raum bewegen, in der Mitte von Sonnenstrahlen getroffen, Licht und Wärme von ihr erhalten würde, sodass man demnach Gas spart; eine in jeder Hinsicht kostbare Einsparung.«

In der Tat, durch die Einwirkung dieser Strahlen, deren Wärmegrad und Glanz nicht durch eine Atmosphäre abgemildert wurde, wurde das Projektil sowohl erleuchtet, als auch erwärmt, so als wäre es plötzlich aus dem Winter in den Sommer gekommen. Von oben spendete ihm der Mond, von unten die Sonne Licht und Wärme.

»Man kann sich hier sehr wohl fühlen«, sagte Nicholl.

»Das glaube ich gerne!«, sprach Michel Ardan. »Hätten wir etwas fruchtbare Erde in unserem Aluminiumplaneten, so könnten wir binnen 24 Stunden Erbsen zum Wachsen bringen. Ich habe nur die eine Sorge, dass die Wände unserer Kugel schmelzen könnten!«

»Beruhige dich, wackerer Freund«, erwiderte Barbicane. »Das Projektil hatte, während es durch die atmosphärischen Luftschichten glitt, eine weit höhere Temperatur auszustehen. Ich wäre nicht einmal erstaunt, wenn es in den Augen der Floridaner wie ein feuriger Bolide ausgesehen hätte.«

»Aber dann müsste J. T. Maston denken, wir seien gebraten worden.«

»Dass wir es nicht wurden«, entgegnete Barbicane, »wundert mich. Diese Gefahr hatten wir nämlich nicht eingeplant.«

»Ich habe die Befürchtung gehabt«, sagte Nicholl.

»Und du hast uns nichts davon gesagt, edelmütiger Kapitän!«, rief Michel Ardan und drückte seinem Gefährten die Hand.

Indessen fuhr Barbicane bei seiner Einrichtung im Projektil fort, als sollte er es nie mehr verlassen.

Wir erinnern uns, dass dieses Luftgefährt einen Fußboden von 54 Quadratfüßen aufwies und bis zur Spitze der gewölbten Decke 12 Fuß hoch war. Bei geschickter Ausnutzung des Raumes, ohne Überladung mit Instrumenten und Reisegeräten, welche sämtlich ihre besondere Stelle hatten, blieb den drei Bewohnern noch eine gewisse Bewegungsfreiheit. Das dicke Glasfenster, welches in einen Teil des Bodens eingelassen war, konnte ein beträchtliches Gewicht tragen, sodass Barbicane und seine Gefährten auf demselben wie auf festem Zimmerboden herumspazierten. Aber die Sonne, welche ihre Strahlen direkt darauf warf und das Innere des Projektils von unten beleuchtete, schuf eigentümliche Lichteffekte.

Man begann damit, den Zustand der Behälter für Wasser und Lebensmittel in Augenschein zu nehmen. Dieselben hatten infolge der gegen den Rückstoß getroffenen Vorkehrungen durchaus nicht gelitten. Lebensmittel waren reichlich für ein volles Jahr vorhanden. Barbicane wollte sich für den Fall vorsehen, dass das Projektil an einem durchaus unfruchtbaren Teil des Mondes anlangen würde. Wasser und Branntwein hatte man nur für zwei Monate mitgenommen. Aber nach den neuesten astronomischen Beobachtungen hat der Mond eine niedrige, dichte Atmosphäre, wenigstens in den Talgründen, sodass es da an Bächen und Quellen nicht mangeln konnte. Daher sollten die abenteuerlichen Forscher während der Fahrt und des ersten Jahres ihrer Einrichtung auf dem Mondland weder Hunger noch Durst zu leiden haben.

Wie stand es nun mit der Luft im Innern des Projektils. Auch in dieser Hinsicht konnte man völlig beruhigt sein. Der Apparat ›Reiset et Regnaut‹, mit dessen Hilfe Sauerstoff erzeugt werden sollte, war für zwei Monate mit chlorsaurem Kali versehen. Es verzehrte notwendig eine gewisse Menge an Gas, aber man hatte auch in dieser Hinsicht vorgesorgt. Übrigens bedurfte der Apparat nur wenig Überwachung: er arbeitete vollautomatisch. Bei dieser hohen Temperatur gab das chlorsaure Kali bei seiner Verwandlung in salzsaures Kali allen Sauerstoff, welchen es enthielt, frei. Und was ergaben 18 Pfund chlorsaures Kali? Die 7 Pfund Sauerstoff, welche zum täglichen Verbrauch der Bewohner des Projektils benötigt wurden. Aber es genügte nicht, den verbrauchten Sauerstoff zu ersetzen, man musste auch das durch das Ausatmen erzeugte Kohlendioxid vernichten. Nun war die Luft in der Kugel bereits seit zwölf Stunden mit diesem durchaus schädlichen Gas, welches beim Atmen durch die Umwandlung aus Sauerstoff entsteht, aufgefüllt. Nicholl nahm die schlechte Luft an der Reaktion, wie Diana mühselig keuchte, wahr. In der Tat verdichtete sich der Kohlendioxidgehalt – ein Zustand wie der in der berühmten Hundsgrotte – am Boden des Projektils. Die arme Diana musste mit ihrem herabgesenkten Kopf also früher als ihre Herren das bedrohliche Gas spüren. Kapitän Nicholl beeilte sich jedoch, diesem Zustand Abhilfe zu leisten. Dazu stellte er einige Gefäße mit kaustischem Kali auf den Boden des Projektils, schüttelte ein wenig und diese, das Kohlendioxid gierig aufsaugende Substanz reinigte vollständig die Luft im Inneren.

Daraufhin wurden die Instrumente begutachtet. Die Thermometer und die Barometer hatten alles gut überstanden, nur bei einem kleinen Thermometer war das Glas gesprungen. Ein erstklassiges Instrument wurde aus seinem Futteral gezogen und an der Wand aufgehängt. Natürlich zeigte es nur den Luftdruck im Innern des Projektils an, dazu aber auch die Menge an Luftfeuchtigkeit, die im Projektil vorhanden war. Im Augenblick schwankte seine Nadel zwischen 765 und 760 Millimetern. Das hieß: ›schönes Wetter‹.

Daneben waren auch einige Kompasse, die Barbicane mitgenommen hatte, unversehrt geblieben. Unter den gegebenen Bedingungen war es allerdings verständlich, dass ihre Nadeln kreisten, d.h. nicht in eine bestimmte Richtung wiesen. Dies lag daran, dass durch die Entfernung des Projektils von der Erde der magnetische Pol keine erkennbare Wirkung auf das Gerät ausüben konnte. Doch konnten mit diesen Magnetkompassen, sobald man auf dem Mond angekommen war, dort vielleicht eigentümliche Erscheinungen beobachtet werden. Jedenfalls war es interessant zu untersuchen, ob der Erdtrabant gleich der Erde dem magnetischen Einfluss unterworfen sei.

Ein Höhenmesser zur Messung der Höhe der Mondberge, ein Sextant, mit dem man die Entfernung der Sterne bestimmen konnte, ein Winkelmessgerät, das als Flächenmesser und zur Winkelbestimmung am Horizont eingesetzt wird, Fernrohre, die bei der Annäherung an den Mond sehr gut zu gebrauchen waren: Alle diese Instrumente wurden unter sorgfältiger Inaugenscheinnahme als funktionsfähig befunden, und dies, obwohl sie einem derartig heftigen Rückstoß standgehalten haben mussten.


Die Geräte, Hacken und Schaufeln, die verschiedenen Werkzeuge, die Nicholl sorgfältig ausgewählt hatte, die Säcke voll verschiedenen Saatgutes, die jungen Bäume, die Michel Ardan auf den Landgütern der Seleniten anzupflanzen gedachte: Alles befand sich in den oberen Räumen an den dafür vorgesehenen Plätzen. Dort gab es eine Art Speicher, angefüllt mit Geräten, die der Franzose eigenhändig aufgestapelt hatte. Um was für Geräte es sich dabei im Einzelnen handelte, wusste keiner so richtig, und darüber ließ sich der heitere Geselle auch nicht weiter aus. Von Zeit zu Zeit stieg er über Eisenhaken, die an den Wänden fest genietet waren, zu dieser Vorratskammer, deren Begutachtung er sich vorbehalten hatte, hinauf. Dort räumte er auf und ordnete alles, griff begierig in einige geheimnisvolle Kisten und sang dabei mit seiner Falsettstimme eine alte französische Weise, die zur allgemeinen Erheiterung beitrug.

Mit Vergnügen stellte Barbicane fest, dass seine Raketen und die künstlichen Feuerwerke nicht beschädigt worden waren. Diese voll geladenen Artikel besaßen den vorgesehenen Zweck, den Aufprall des Projektils zu mindern, wenn es nach der Durchdringung des schwerelosen Raumes der Anziehungskraft des Mondes ausgesetzt war und auf die Mondoberfläche fallen würde. Wenn man das Verhältnis der verschiedenen Massen von Erde und Mond als Maßstab nahm, musste der Fall auf den Mond indessen sechsmal weniger stark erfolgen als der Aufprall auf die Erde.

Insgesamt fiel die Musterung der mitgeführten Gerätschaften also zu allgemeiner Befriedigung aus. Danach begab sich jeder der drei Reisenden wieder an die Fensterluken an den Seiten und am Boden, um in den Weltraum hinauszublicken.

Überall herrschte derselbe Anblick. Der unüberschaubare Weltraum, angefüllt mit wunderschön glänzenden Sternen und Sternbildern, konnte einen Astronomen schon entzücken. Auf der einen Seite hob sich die Sonne, die wie die Öffnung eines Glutofens eine blendende Scheibe ohne eigenen Lichtring darstellte, von dem dunklen Hintergrund des Weltraums ab. Auf der anderen Seite der Mond, die Sonnenstrahlen zurückwerfend und inmitten der Sternenwelt wie unbeweglich. Und als drittes ein ziemlich großer Planet, der im Weltraum ein Loch zu bilden schien und dessen eine Hälfte am Rande mit einem silbernen Saum umgeben war: Das war die Erde. Hier und da waren zusammengeballte Nebelfelder, die wie dicke Flocken aus Sternenschnee aussahen, zu erkennen und vom Zenit bis zum Nadir erstreckte sich ein unermesslich großer Ring aus Sternenstaub, jene Milchstraße eben, in deren Mitte die Sonne nur als Stern vierter Ordnung angesehen wird!

Die Beobachter konnten von diesem so noch nie gesehenen Schauspiel, wovon keine Beschreibung je einen Begriff geben konnte, ihren Blick nicht abwenden. Zu welchen Gedanken verführte dieser Anblick? Welche unbekannten Gefühle stiegen dabei in der Seele auf? Von diesen Eindrücken bewegt, entschloss sich Barbicane dazu, seinen Reisebericht zu beginnen und er beschrieb Stunde für Stunde alle die Ereignisse, die den Anfang der Unternehmung betrafen. Ruhig schrieb er mit seiner starken, fetten Handschrift und in einem etwas handelsmäßigen Stil.

Unterdessen überprüfte der Rechner Nicholl seine auf die Bahnen bezogenen Formeln, und er verfuhr dabei mit den Zahlen so gewandt, dass es keinen Vergleich dazu gab. Michel Ardan plauderte bald mit Barbicane, der ihm nicht antwortete, bald mit Nicholl, der ihm nicht zuhörte, bald mit Diana, die von seinen Theorien nichts verstehen konnte, am Ende mit sich selbst. Er warf Fragen auf und beantwortete sie, ging hin und her und beschäftigte sich mit tausend Kleinigkeiten, manchmal zum Bodenfenster hinabgebeugt, manchmal im Speicher hockend, aber stets mit halblautem Gesang. In dieser kleinen Welt repräsentierte er die Regsamkeit und die französische Geschwätzigkeit, und man kann versichert sein, dass sie würdig vertreten war.

Der Tag, oder vielmehr, da dieser Ausdruck nicht mehr zutrifft, der Zeitraum von zwölf Stunden, der auf der Erde einen Tag ausmacht, endete mit einem üppigen Abendessen, das fein zubereitet war. Bislang war noch nichts vorgefallen, was den Reisenden ihre Zuversicht hätte schwächen können. Darum schliefen sie auch voller Hoffnung, ihres Erfolges sicher, ruhig ein, während das Projektil die Himmelsbahnen mit gleichmäßig abnehmender Geschwindigkeit durchquerte.

VIERTES KAPITEL Ein wenig Algebra

D

ie Nacht verlief ohne einen Zwischenfall. Korrekterweise muss man sagen, dass die Bezeichnung ›Nacht‹ in diesem Falle eigentlich unpassend ist. Denn auf die Stellung zur Sonne bezogen blieb die Position des Projektils unverändert. Astronomisch ausgedrückt herrschte auf der unteren Seite des Projektils Tag, auf der oberen Seite Nacht. Wenn nun im weiteren Verlauf dieser Erzählung diese beiden Ausdrücke gebraucht werden, ist darunter immer der Zeitraum zu verstehen, der auf der Erde zwischen Auf- und Untergang der Sonne verstreicht.

Die Reisenden schliefen durchaus ruhiger, weil das Projektil trotz seiner hohen Geschwindigkeit wie unbeweglich erschien. Das Hingleiten durch den Raum gab keine Bewegung zu erkennen. Die Ortsveränderung, so schnell sie auch vonstatten geht, kann sich auf den Organismus nicht merklich auswirken, wenn sie sich im leeren Raum abspielt oder wenn die den Körper umgebende Luft gleichzeitig mit fortbewegt wird. Welcher Erdbewohner bemerkt schon die Geschwindigkeit, in der sich die Erde stündlich um 90.000 Kilometer dreht. Unter diesen Bedingungen empfindet man die Bewegung genauso wenig wie den ruhenden Zustand. Jeder Körper verhält sich in dieser Hinsicht gleich. Befindet er sich im Ruhezustand, so bleibt er solange darin, bis ihn irgendeine äußere Gewalt von seinem Platz bewegt. Ist er in Bewegung, so bleibt diese bestehen, wenn diese Bewegung nicht durch ein Hindernis gehemmt wird. Dieses Gleichgewicht zwischen Bewegung und Stillstand nennt man Schwerelosigkeit. Im Projektil eingeschlossen konnten Barbicane und seine Genossen also meinen, sie seien in völliger Unbeweglichkeit.

Im Übrigen: Auch wenn sie sich außerhalb des Projektils befunden hätten, wäre die Wirkung dieselbe gewesen. Hätte nicht der Mond über ihnen ständig an Größe zugenommen, so hätten sie schwören können, dass sie sich in einem vollständig bewegungslosen Zustand befanden.

Am 3. Dezember wurden die Reisenden morgens früh von einem munteren, ganz unvermuteten Geräusch geweckt. Es war das Krähen eines Hahnes, der sich im Projektil befand. Michel Ardan sprang auf, kletterte zu seiner Kammer empor, verschloss eine halbgeöffnete Kiste und flüsterte:

»Willst du wohl still sein! Das Tier bringt meinen Plan noch zum Scheitern.«

Indessen waren Nicholl und Barbicane erwacht.

»Ein Hahn?«, fragte Nicholl.

»Oh nein! Meine Freunde«, erwiderte Michel beschwingt. »Ich habe diesen ländlichen Ton hervorgebracht, um euch zu wecken!« Und dazu ließ er ein prachtvolles ›Kikeriki‹ erschallen, welches dem stattlichsten Gockelhahn Ehre gemacht hätte.

Die beiden Amerikaner lachten unwillkürlich.

»Eine nette Begabung«, sagte Nicholl mit einem argwöhnischen Blick auf seinen Genossen.

»Ja«, erwiderte Michel, »ein echt gallischer Spaß, wie er in meiner Heimat üblich ist, und zwar in den besten Gesellschaften!« Dann fuhr er ablenkend fort: »Weißt du, Barbicane, woran ich die ganze Nacht gedacht habe?«

»Nein«, erwiderte der Präsident.

»An unsere Freunde in Cambridge! Du hast ja bereits bemerkt, dass ich in mathematischen Dingen ein unnachahmlicher Ignorant bin. Ich kann mir deshalb nicht erklären, wie die Gelehrten vom Observatorium auszurechnen imstande waren, welche Anfangsgeschwindigkeit das Projektil, als es aus der Kanone kam, haben musste, um bis zum Mond zu gelangen.«

»Du meinst«, sagte Barbicane, »bis zu dem neutralen Punkt, an dem sich die Anziehungskräfte der Erde und des Mondes ausgleichen. Denn von diesem Punkte an, in etwa nach der Bewältigung von neun Zehnteln der gesamten Fahrt, wird das Projektil lediglich aufgrund seines Eigengewichtes auf den Mond fallen.«

»Klar«, gab Michel zurück, »aber ich frage nochmal: Wie konnten sie die Anfangsgeschwindigkeit berechnen?«

»Nichts leichter als das«, entgegnete Barbicane.

»Und wärst du dazu in der Lage, diese Berechnung anzustellen?«, fragte Michel Ardan.

»Vollständig. Wenn uns das Observatorium diese Mühe nicht abgenommen hätte, hätte ich sie ohne weiteres mit Nicholl aufgestellt.«

»Mein geschätzter Barbicane«, erwiderte Michel Ardan darauf, »mir hätte man eher den Kopf über den Füßen abschneiden können, als dass ich diese Aufgabe zu lösen vermocht hätte!«

»Weil du eben nichts von Algebra verstehst«, entgegnete Barbicane ruhig.

»Ah! Mein Gott, was seid ihr für Buchstabenfresser! Ihr glaubt, mit eurer Algebra alles fertig bringen zu können.«

»Michel«, entgegnete Barbicane, »meinst du, man könne ohne Hammer schmieden oder ohne Pflug ein Feld bestellen?«

»Schwerlich.«

»Also! Die Algebra ist ein Werkzeug wie ein Pflug oder ein Hammer, und für den, welcher sich damit auskennt, ein vortreffliches Werkzeug.«

»Ach, im Ernst?«

»Ja, das ist sehr ernst gemeint!«

»Und du könntest in meiner Gegenwart von diesem Werkzeug Gebrauch machen?«

»Wenn es dich interessiert?«

»Und mir zeigen, wie man die Anfangsgeschwindigkeit unseres Projektils ausgerechnet hat?«

»Ja, mein werter Freund. Indem ich alle Elemente des Problems berücksichtige: die Entfernung des Zentrums der Erde von dem des Mondes, den halben Durchmesser der Erde, die Erdmasse und die Mondmasse. Anhand dieser Elemente kann ich ganz genau berechnen, wie groß die Anfangsgeschwindigkeit des Projektils sein musste, und zwar mithilfe einer simplen Formel.«

»Lass hören! Welche Formel?«

»Du sollst sie zu hören bekommen. Nur werde ich dir nicht die krummen Linien bezeichnen, welche das Projektil zwischen der Erde und dem Mond beschreibt, indem ich ihre Bewegung um die Sonne mit in die Rechnung einbeziehe. Sondern ich will die beiden Gestirne als unbewegt voraussetzen, das reicht für unseren Zweck aus.«

»Und weshalb?«

»Weil ich sonst die Lösung der Aufgabe suchen würde, die man das Problem der drei Körper nennt, wozu die Integralrechnung noch nicht weit genug ausgereift ist.«

»Demnach«, sagte Michel Ardan in spöttischem Ton, »haben die Mathematiker noch nicht ihr letztes Wort gesprochen?«

»Allerdings nicht«, erwiderte Barbicane.

»Gut! Vielleicht sind die Seleniten in der Integralrechnung etwas weitergekommen! Und nebenbei: Was bezeichnet man denn als Integralrechnung?«

»Diese Rechenart ist das Gegenteil von der Differentialrechnung«, erklärte Barbicane mit würdigem Ernst.

»Danke verbindlichst.«

»Mit anderen Worten, es handelt sich um eine Rechenart, mit der man die bestimmten Größen sucht, deren Differentiale man kennt.«

»Das ist wenigstens deutlich ausgesprochen«, erwiderte Michel mit der zufriedensten Miene.

»Und nun«, fuhr Barbicane fort, »gebt mir ein Stückchen Papier und einen Bleistift. Und vor Ablauf einer halben Stunde will ich die gewünschte Formel gefunden haben.«

Darauf vertiefte sich Barbicane in seine Arbeit, während Nicholl in den Weltraum hinaussah und es seinen Kameraden überließ, für das Frühstück zu sorgen. Noch bevor eine halbe Stunde vergangen war, hob Barbicane den Kopf und zeigte Michel eine ganze Seite voll mit algebraischen Zeichen, darunter auch die gesuchte, allgemeine Formel:


»Und was bedeutet das ... ?«, fragte Michel.

»Es bedeutet«, erklärte Nicholl, »ein halb v zum Quadrat minus v Null zum Quadrat ist gleich gr multipliziert mit r durch x minus 1 plus m‘ geteilt durch m, multipliziert mit r durch d minus x, minus r durch d minus r ...«

»X auf y steigt auf z und reitet über p«, rief Michel Ardan mit hellem Lachen. »Und das begreifst du, Kapitän?«

»Nichts leichter als das.«

»Wieso?«, fragte Michel. »Aber das ist doch einleuchtend und mehr wollte ich gar nicht.«

»Immer nur lachen!«, versetzte Barbicane. »Du wolltest Algebra und nun hast du sie, voll und ganz!«

»Lieber lasse ich mich hängen!«

»Tatsächlich!«, mischte sich Nicholl ein, der als Experte die Formel prüfte. »Es scheint mir richtig abgeleitet, Barbicane. Es ist die Integrale der Gleichung faktischer Kräfte, und ich habe keinen Zweifel daran, dass sie uns das gesuchte Ergebnis liefern wird.«

»Aber ich möchte es auch verstehen!«, rief Michel. »Ich würde Nicholl zehn Jahre meines Lebens dafür geben!«

»So höre denn, Michel«, fuhr Barbicane fort. »Ein halb v zum Quadrat minus v Null zum Quadrat ist die Formel, welche uns die ›halbe‹ Veränderung der faktischen Kraft erklärt.«

»Gut. Und Nicholl weiß, was das bedeutet?«

»Allerdings, Michel«, antwortete der Kapitän. »Alle diese Zeichen, welche dir wie eine Geheimsprache vorkommen, bilden für den, der sie versteht, die klarste, deutlichste, logischste Sprache.«

»Nicholl, und du behauptest also«, fragte Michel, »dass du mithilfe dieser Hieroglyphen, die noch unverständlicher aussehen, als die des ägyptischen Ibisses, herausfinden könntest, welche Anfangsgeschwindigkeit man dem Projektil geben musste?«

»Unbestreitbar«, erwiderte Nicholl. »Und ich werde dir mithilfe derselben Formel zu jedem Zeitpunkt angeben können, wie groß seine Geschwindigkeit auf jedem Punkt seiner Fahrt ist.«

»Dein Wort darauf?«

»Mein Wort darauf.«

»Dann bist du ein Rechenkünstler wie unser Präsident?«

»Nein, Michel. Barbicane hat etwas Schwieriges geleistet, indem er eine Gleichung aufstellte, die sämtliche Bedingungen des Problems berücksichtigt. Das übrige ist nur eine Rechenaufgabe, wofür man nur die vier Elemente zu kennen braucht.«

»Das will schon etwas heißen!«, erwiderte Ardan, der in seinem Leben noch keine Additionsaufgabe richtig ausgerechnet hatte und diese Formel folgendermaßen definierte: »Eine Kopf zerbrechende Arbeit aus China, mit der man eine Unzahl an verschiedenen Summen herausbekommt.«

Barbicane jedoch versicherte, dass Nicholl, wenn er eine Zeit lang darüber nachgesonnen hätte, sicherlich auch zu dieser Formel gekommen wäre.

»Das glaube ich nicht«, sagte Nicholl. »Denn je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erkenne ich ihre Brillanz.«

»Und jetzt pass auf«, sagte Barbicane zu seinem unwissenden Kameraden, »und du wirst sehen, dass alle diese Buchstaben ihre Bedeutung aufweisen.«

»Ich gebe Acht«, sagte Michel mit scheinbarer Resignation.

»d«, sagte Barbicane, »bedeutet die Entfernung des Zentrums der Erde vom Zentrum des Mondes. Denn will man die Anziehungskräfte berechnen, so muss man die Zentren berücksichtigen.«

»Ich verstehe.«

»r bezeichnet den Radius der Erde.«

»r wie Radius. Einzusehen.«

»Mit m wird die Masse der Erde ausgedrückt; m‘ ist die Masse des Mondes. Ganz offensichtlich muss man die Massen der beiden sich anziehenden Planeten in die Berechnung mit einbeziehen, weil die Anziehungskräfte im Verhältnis zu den Massen stehen.«

»Nachvollziehbar.«

»g steht für Gravitations- oder Schwerkraft, das ist die Geschwindigkeit eines auf die Erdoberfläche fallenden Körpers innerhalb einer Sekunde. Ist das verständlich?«

»Wasser aus einem Felsen!«, erwiderte Michel.

»Mit x bezeichne ich die veränderliche Distanz des Projektils vom Zentrum der Erde und mit v die Geschwindigkeit des Projektils bei dieser Distanz.«

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
258 стр. 48 иллюстраций
ISBN:
9783868209556
Издатель:
Правообладатель:
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