Читать книгу: «El Niño de Hollywood», страница 4

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So wie die Ermordung des Erzherzogs von Österreich, Franz Ferdinand, durch die Hand eines Extremisten im Jahre 1914 den ersten großen Krieg in Europa ausgelöst hatte, löste die vom Gefolgsmann der Rechten, Roberto D’Aubuisson, angeordnete Ermordung Monseñor Romeros die Katastrophe in El Salvador aus. Die Guerillagruppen stellten ihre Differenzen zurück und schlossen sich zu einer gemeinsamen Volksbefreiungsfront zusammen, dem Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN). Der Staat seinerseits wurde von der neuen US-Regierung unter Präsident Ronald Reagan mit Waffen versorgt und rüstete damit fünf Eliteeinheiten aus, die von US-amerikanischen Militärberatern zu Tötungsmaschinen ausgebildet wurden. Zu Männern, die, was Gewalt betrifft, Rambo in den Schatten stellten.

Der Geheimdienst und die politische Repression blieben in den Händen der Nationalgarde und der beiden Polizeiverbände, doch den eigentlichen militärischen Kampf führte, zum ersten Mal, die salvadorianische Armee.

Der Norden des kleinen Landes wurde fast vollständig zum Rückzugsgebiet der Guerilla. Das Landesinnere war ununterbrochen umkämpft. Nur der Westen, der schmerzgeplagte, blutige Westen der Plantagenbesitzer El Salvadors, hielt sich weitgehend aus dem Konflikt heraus. Das Trauma, das die Gesellschaft nach dem Massaker an den Ureinwohnern in den Dreißigerjahren davongetragen hatte, erfüllte die neuen Generationen noch immer mit Angst.

1980 stürzte sich El Salvador, jetzt ohne einen Monseñor Romero, der den Konflikt und das Morden hätte stoppen können, in einen totalen Krieg, in eine Orgie von so maßloser Gewalt, dass es zwölf Jahre brauchte, um den Brand zu löschen. Zwei Monate vor seiner Ermordung hatte Monseñor Romero die Oligarchie El Salvadors davor gewarnt, was kommen würde. Wie ein Prophet hatte er bei einer Messe in San Salvador gesagt: »Wer sich weigert, die Ringe von seinen Fingern abzustreifen, läuft Gefahr, dass ihm die Hand abgehackt wird. Und wer sich weigert, aus Liebe und sozialer Gerechtigkeit anderen etwas abzugeben, läuft Gefahr, dass man es ihm mit Gewalt entreißt.« Von 1980 bis 1992 wurden in El Salvador viele Hände abgehackt, fielen zahlreiche Ringe ab, wurde viel Blut vergossen. Der Tod von Monseñor Romero, dem prophetischen Bischof, war vielleicht am schwersten zu vergessen.


Anfang der Achtzigerjahre hatte die Mara Salvatrucha 13 Paten. Zwei gewissenlose Paten. Mit zeitlichem Abstand betrachtet, erscheint alles höchst merkwürdig, um nicht zu sagen, unglaublich. Die beiden Paten wussten nicht, dass sie welche waren, und wären erstaunt, wenn sie heute sähen, welches Monster sie herangezüchtet haben. Der erste hieß Ronald Wilson Reagan, der zweite 18th Street Gang oder Barrio 18.

1981, ein Jahr nach Ausbruch des Krieges in El Salvador, wurde Ronald Reagan zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. In seiner Jugend war er ein Frauenschwarm in Hollywood gewesen, der in den Dreißiger- und Vierzigerjahren durch Westernfilme der Warner Bros., in denen er Herzen brach und sich mit brutalen Cowboys anlegte, berühmt geworden war. Er wuchs in Los Angeles auf und war Gouverneur des reichen Staates Kalifornien gewesen. Von seiner Präsidentschaft erwartete man sich Stärke. Seinem Vorgänger, dem Demokraten Jimmy Carter, wurde vorgeworfen, eine allzu nachgiebige Außenpolitik gegenüber dem Vormarsch des Kommunismus in Lateinamerika vertreten zu haben. Reagan dagegen hatte vor, sich wie sein Filmheld George Custer in Santa Fe Trail (»Land der Gottlosen«) zu verhalten und den Abschaum zu beseitigen, der den Lebensstil des Durchschnittsamerikaners sowohl innerhalb als auch außerhalb der Landesgrenzen, vor allem in Zentralamerika, bedrohte. Er versorgte General Efraín Ríos Montt, den guatemaltekischen Diktator, der Dutzender von Massakern an den Ureinwohnern beschuldigt wurde, mit Waffen und Militärberatern. In El Salvador unterstützte er trotz des brutalen Mordes an Romero die Militärregierung, indem er Waffen lieferte und die Ausbildung der fünf Eliteeinheiten finanzierte, die die Guerilla bekämpfen sollten. Es war, als werfe man eine brennende Zigarette in trockenes Heu. Eine Apokalypse. Der Krieg wurde mit einer solchen Brutalität geführt, dass er Tausende Salvadorianer außer Landes trieb. Die meisten von ihnen flüchteten nach Kalifornien, nach Los Angeles, wo sie zu jenen stießen, die bereits in der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre, als der Bürgerkrieg sich am Horizont abzuzeichnen begann, fortgegangen waren.

Frisches, aggressives Fleisch, um die Mara Salvatrucha zu mästen. Die Bestie.

Die Massen neuer Flüchtlinge und Deserteure sahen sich Reagans Innenpolitik gegenüber, der zweiten Säule seiner Präsidentschaft. In seinen Reden pflegte er Drogen als den Feind Nr. 1 zu bezeichnen. Und die sollten in Kalifornien, wo er fünf Jahre lang Gouverneur gewesen war, zu einem immer größeren Problem werden.

Ab 1982 wurden insbesondere die Banden und Gangs der Lateinamerikaner verfolgt, die sich dem Drogenhandel widmeten. Dazu kam, dass die Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles kurz bevorstanden, eine gute Gelegenheit, im schwelenden Konflikt zwischen den beiden großen Weltmächten des Kalten Krieges zu glänzen. Die Straßen mussten vom Abschaum gesäubert werden, er sollte in den Gefängnissen verschwinden.

Hunderte Bandenführer wurden verhaftet, ganze Gangs zerschlagen. Das komplizierte Ökosystem der großen Banden geriet durch die neue Politik der Vereinigten Staaten durcheinander. Die Mara Salvatrucha Stoner stieß in diese Lücke. Und Reagan ebnete ihr den Weg. Einerseits sorgte er für einen konstanten Zustrom gut ausgebildeter und immer aggressiverer Mitglieder aus El Salvador, andererseits holte er die mächtigsten Rivalen von der Straße. Mit einem so großzügigen Paten war es nur eine Frage der Zeit, bis die Bestie dick und fett wurde.

Doch die Mareros waren noch sehr ungezähmt. Auch wenn sie den Soundtrack der Stadt verstanden hatten, verstanden sie noch nicht ihren Text und ihr Thema. Sie waren eine gesetzlose Bande. Sie nahmen sich, was sie wollten, durchquerten feindliches Gebiet und vertrauten den Macheten und Äxten, die sie in ihren weiten Hosen mit sich herumtrugen. Den Menschen misstrauten sie. Regelmäßig trafen junge Deserteure der Guerilla oder der Armee aus El Salvador ein und wurden freudig willkommen geheißen, wie Helden. Sie brachten den Jungs auf den Straßen von LA neue Methoden bei, den Feind zu bekämpfen und in einen Hinterhalt zu locken. Sie kannten sich mit Strategien aus und waren brutal wie nur wenige Männer auf der Welt, wie kein mexikanisches Bandenmitglied jener Jahre sein konnte. Die militärische Ausbildung der salvadorianischen Streitkräfte, die Reagan finanziert hatte, trug am Ende zur Effizienz der MSS bei.

Doch die Stadt verstanden sie immer noch nicht. Der höchst undurchsichtige Krieg, den die chicanos, die Amerikaner mexikanischer Abstammung, gegeneinander führten, war ein Mysterium, das die Mareros noch nicht durchschaut hatten. Bis zu einem gewissen Punkt konnten sie den Krieg der chicanos gegen die Banden der Schwarzen, die berüchtigten Gangs Bloods und Crips, verstehen. Sie waren anders, und das war ein ausreichender Grund für die Gewaltorgie. Sie verstanden auch, warum die chicanos sie, die Salvadorianer, die in ein bereits besetztes Gebiet gekommen waren, hassten. Was sie aber nicht verstanden, war, warum sich die chicanos gegenseitig abmurksten, um sich danach zu verbünden, wieder zu trennen und schließlich wieder zu verbünden. Eine scheinbar chaotische Abfolge von Konfrontationen und Bündnissen. Wie Baseball und das undurchschaubare Spiel four corners war auch dieses Spiel ein Mysterium, und die Stadt weigerte sich einstweilen noch, es ihnen zu erklären. Noch waren sie ein Zwischending zwischen einer Gruppe gewaltbereiter Freunde und einer kalifornischen Bande.

Der Anthropologe Abner Cohen zitiert in einem seiner Werke ein Sprichwort arabischer Bauern, um das System von Bündnissen und Aggressionen zu erklären. Es fasst alles in einem Satz zusammen, den man sehr gut auch auf das System der lateinamerikanischen Banden ein Jahrhundert später anwenden kann: »Ich gegen meine Brüder. Mein Bruder und ich gegen meine Cousins. Mein Cousin, mein Bruder und ich gegen den Fremden.«

So war es. So ist es. Die Banden der chicanos können sich noch so brutal untereinander bekämpfen, aber sobald sie in den Strafvollzug kommen, wo die mächtigen Banden der Schwarzen, Asiaten und Weißen auf sie warten, schließen sie sich zu einer gemeinsamen Front zusammen, die sie El Sur nennen. Dieses System bedarf eines Führers, und der heißt Mexican Mafia. Dabei handelt es sich um eine Art Zentralkomitee sämtlicher mexikanischer Banden im Süden Kaliforniens. Eine aus verschiedenen Banden zusammengesetzte übergeordnete Struktur, gebildet aus deren Anführern. Im System El Sur sind Hunderte von Banden zusammengeschlossen, aber nur einige wenige haben einen Vertreter in der Mexican Mafia oder der M, wie sie auf den Straßen von denen genannt wird, die sich trauen, ihren Namen auszusprechen.

Die M ist per definitionem eine Bande im Strafvollzug. Aus den Haftanstalten heraus legen sie die Rechte und Pflichten der mexikanischen Gangs fest. Sie bestimmen die Regeln, stellen einen Verhaltenskodex auf: Du sollst nicht aus einem Fahrzeug heraus töten. Du sollst kein Bandenmitglied angreifen, das mit seiner Familie unterwegs ist. Du sollst keinem Faustkampf ausweichen. Du sollst Blau tragen, nie Rot. Du sollst Abgaben an die M entrichten, in welcher Form auch immer die M sie von dir einfordert.

Wenn ein Mitglied die Regeln und Gesetze nicht befolgt, macht die M seine gesamte Gang dafür verantwortlich. Bei einem schwerwiegenden Vergehen kann sie sogar »grünes Licht« geben, das heißt, die Todesstrafe verhängen. Von dem Moment an sind alle Banden des Systems El Sur verpflichtet, diese eine Bande zu bekämpfen. Zahlreiche Gangs wurden durch die Zähne des Systems El Sur zerfleischt, weil sie schwere Verstöße gegen den von der M aufgestellten Verhaltenskodex begangen hatten.

Richard, ehemaliges Mitglied des Barrio 18 und fünfzig Jahre alt, erinnert sich, während er einen frisch gepressten Orangensaft im El Basurero (»Der Müllmann«) trinkt, einer Suppenküche in der Colonia Dina, einem der gefährlichsten Viertel von San Salvador:

»Als ich nach Los Angeles kam, traf ich als Erstes auf die MS in der Gegend um den Lafayette Park. Aber die Leute gefielen mir nicht, ich weiß nicht … Alle hatten lange Haare, waren schmutzig, besoffen. Alle hatten T-Shirts von Black Sabbath oder Metallica an, und das gefiel mir nicht. ›Los, komm zu uns, schließ dich an. Wir bieten dir Schutz‹, sagten sie zu mir, aber mir gefiel das nicht. Sie waren immer zugedröhnt, rauchten Crack.«

Richard kam Anfang der Achtziger nach Los Angeles. Er hatte den Comandos Urbanos der Guerilla angehört, doch der Mord an Romero, die Intensivierung des Krieges und die Bildung der fünf Eliteeinheiten durch die Reagan-Administration jagten ihm Angst ein. Er war damals gerade mal siebzehn Jahre alt und folgte seinen Onkeln und Cousins in den Norden. Nach seiner enttäuschenden Erfahrung mit den Mareros der Mara Salvatrucha Stoner suchte er einen anderen Baum, an den er sich anlehnen konnte. Er fand ihn schnell. In der Gegend um den Shatto Park stand jene kräftige Eiche, die seinem Leben mehr als zwanzig Jahre lang Schatten spenden sollte: die homeboys vom Barrio 18.

VIERTES KAPITEL
Willkommen im System El Sur

In den Achtzigerjahren war Los Angeles eine komplexe Stadt. Sie umfasste das wohlhabende angelsächsische Beverly Hills ebenso wie das gewalttätige Viertel der Schwarzen und Latinos. Hier die friedliche Ruhe eines Brunchs in der Sonne, dort das Blut und der Schmutz brutaler Kämpfe in allen Gassen.

Immer mehr Salvadorianer kamen in die Stadt. Tag für Tag strandeten hier Hunderte von ihnen, die schmutzigen Rücken mit dem Staub des sich ausweitenden Bürgerkriegs bedeckt. Sie waren immer mehr durch Gewalt geprägt. Viele von ihnen waren Deserteure, die es vorzogen, in den Norden zu flüchten, von dem sie wenig wussten, anstatt in den Bergen El Salvadors in bewaffneten Auseinandersetzungen, die sie mal mehr, mal weniger verstanden, zu sterben.

Mit dem Barrio 18 betrat Richard eine neue, alles verschlingende und gewalttätige, aber faszinierende Welt. Die Welt der Banden des Systems El Sur. Dort, wo er herkam, wusste man, was man zu tun hatte, wenn man einen Feind sah. Man legte sein Gewehr an, zielte und schoss. In der Welt des El Sur war das anders. Jeder Straßenzug, jedes Viertel der Latinos wurde von einer Gang kontrolliert, die im Allgemeinen den Namen des jeweiligen Viertels trug: Hawaian Gardens 13, White Fence 13, Florencia 13, La Puente 13, Varrio Nuevo Estrada, Artensia 13, Pacoimas 13 … Allesamt hispanische Viertel, allesamt im Krieg. Es gab auch Gangs mit anderen Namen wie die Crazy Riders 13, die Verrückten mit ihren Macheten und Äxten, oder die imposante, uralte Gang Playboy 13, elegante, aber grausame Männer, die schmalkrempige Hüte, Krawatten, zugeknöpfte Hemden und glänzende Schuhe trugen und mit Baseballschlägern die Normandie Avenue verteidigten. Mexikanische Auswanderer, pachucos, die sich untereinander erkannten, indem sie die Spitzen von Zeige- und Mittelfinger und Daumen aneinanderlegten und dabei Ringfinger und kleinen Finger wie Kaninchenohren abspreizten. Aber alle spielten dasselbe Spiel.

Das mit der 13 ist nichts anderes als eine Anspielung. Sie steht für die Mexican Mafia und ihr allmächtiges Komitee. Das M ist der dreizehnte Buchstabe des Alphabets. Um anzuzeigen, dass sie dem System El Sur angehören, verwenden die Mareros die 13 in ihrem Namen.

Wenn Richard von jenen Jahren spricht, rutscht er nervös auf seinem Stuhl hin und her und vermischt englische und spanische Wörter miteinander. All das faszinierte ihn. An einem Tag waren die Mitglieder einer bestimmten Bande seine Todfeinde, und am nächsten Tag, in einer kalifornischen Strafanstalt, waren sie seine Verbündeten im Kampf um den Gefängnishof gegen die Schwarzen. Wenn man jung ist, ist Geschwindigkeit verlockend. Aber immer auch gefährlich.

Die Salvadorianer eroberten mehrere der Stadtviertel, in denen niemand bruncht. Viele von denen, die in eine Bande des El Sur eintraten, schlossen sich dem Barrio 18 an, dessen Geschichte in die Fünfzigerjahre zurückgeht und dessen Arm bis ins mächtige Komitee der Mexican Mafia reicht, wo er mehr als ein Mitglied sitzen hat. Die Salvadorianer traten trotz des Widerstands der Mexikaner und chicanos in Hunderte hispanischer Gangs des Systems El Sur ein. Aber ihre eigentliche Heimat blieb die Mara Salvatrucha, die Organisation der Zentralamerikaner, gebildet von ihnen und für sie, um sich zu verteidigen.

Schnell begriffen sie die Grundzüge des Spiels, aber nicht seine Feinheiten. Sie kamen aus einem brutalen Land. Sie kannten kein Maß. Es war, als würde man einem Neandertaler das Boxen beibringen.

»Die Crazy Riders 13 zum Beispiel wurden richtig gefährlich, als die Salvadorianer hinzukamen. Bewaffnet mit langen Macheten und ausgestattet mit großen Kanthölzern zum Schärfen der Klingen, fuhren sie auf einem Pick-up durch die Gegend. Sie waren verrückt, in der Mehrzahl handelte es sich um Indios aus San Miguel [einem Department im Osten El Salvadors]«, erzählt Richard, der Ex-18er.

Das musste auch der Salvadorianer Juan feststellen, als er Mitglied der Shalimar 13 werden wollte, einer kleinen Gang in Orange County. Man sagte ihm, er solle ein paar Mitglieder der Alley Boy 13 umbringen, und gab ihm eine Pistole. Doch als der Junge aus Ilobasco, einem der vom Krieg am schwersten betroffenen Gebiete in El Salvador, schießen wollte, stellte er fest, dass die Waffe nicht geladen war. Es war nur ein Test, dem sich alle unterziehen mussten, die in die Gang aufgenommen werden wollten, und seine neuen Freunde warteten lachend in einem Wagen auf ihn, um ihn fortzubringen, bevor die Feinde Jagd auf ihn machten. Aber als Juan sah, dass er seinen Gegnern ausgeliefert war, zog er die Pistole, die ihm sein Onkel geschenkt hatte, und schoss einigen von ihnen in den Kopf. Später, im Wagen, schob er den Pistolenlauf einem seiner entsetzten Freunde in den Mund und warnte sie davor, jemals wieder so einen Blödsinn zu veranstalten. Und in den zehn Jahren, die Juan der Anführer dieser Gang war, kam es tatsächlich nie wieder vor. Juan wurde 2010 nach El Salvador abgeschoben, und dort, in seinem Geburtsort Ilobasco, erzählte er seine Geschichte. Die Tätowierungen am ganzen Körper, einschließlich dem Gesicht, hinderten ihn daran, in Frieden zu leben. Die Polizei verfolgte ihn, auch die MS-13 und der Barrio 18 waren hinter ihm her. Er ging schließlich illegal in die USA zurück, allerdings nicht nach Kalifornien, sondern in einen Bundesstaat, wo es »weniger gewalttätig« zuging.

Mitte der Achtzigerjahre erhöhten die Salvadorianer ihren Einsatz im großen Spiel des Systems El Sur. In Los Angeles war der Tod ein extremer Vorfall, aber dort, wo diese Jungen herkamen, gehörte er zum Alltag.

Bald genügten den Mareros die Auseinandersetzungen mit den Partygangs und den kleinen, fast bandenmäßig organisierten Gruppen nicht mehr. Sie waren dabei, in eine andere Liga aufzusteigen. Im Osten von Los Angeles forderte eine Gang namens La Raza Loca die langhaarigen, ganz in Schwarz gekleideten und immer im Rudel auftretenden Jungen heraus. Das war ein Fehler. Nur wenige von ihnen kamen mit dem Leben davon. In einem anderen Bezirk, in der Nähe des San Fernando Valley, lockte die MS eine komplette Gang in einer verlassenen Fabrik in den Hinterhalt. Die Mareros wandten Methoden der von den durch Reagan geschaffenen Eliteeinheiten an. Sie verprügelten ihre Opfer die ganze Nacht hindurch und zwangen sie dann, in die Mara einzutreten. Einige kamen zu den Mareros der Gegend um den Lafayette, andere zu denen von der Berendos und wieder andere zu denen von der Leeward. Und auch die Gang Boulevard Hollywood bekam einige ab. Alle diese Zellen wollten ihre Reihen erweitern, um innerhalb des Systems El Sur stärker zu werden. Um mehr Schlachten zu gewinnen, musste man mehr Soldaten haben.

Sie vertrieben die Drogendealer aus ihren Gebieten und überfielen die Autodiebe. Während die Salvadorianer, die anderen Banden des Systems El Sur beigetreten waren, das System zu verstehen versuchten, machten sich die Mitglieder der Mara Salvatrucha Stoner gar nicht erst die Mühe. Sie glaubten, dass der kalifornische Süden sich ihnen anpassen musste, nicht umgekehrt.

Der riesige und allseits respektierte Barrio 18 betrachtete amüsiert das wüste Chaos bei den Mareros. Anfangs waren sie natürliche Verbündete. Viele neue Mitglieder des Barrio 18 waren Salvadorianer. Einige von ihnen hatten bereits einen angesehenen Rang in der Organisation erreicht. Sie luden sie zu ihren Festen ein und zeigten ihnen, wie sich ein Mitglied des Systems El Sur zu verhalten hatte. Sie erzählten ihnen im Flüsterton von den großen Herren der M und davon, wie sie den kalifornischen Süden aus dem Gefängnis heraus kontrollierten.

So wuchsen die Mareros im Schatten des Barrio 18 heran. Aber noch waren sie so etwas wie eine wilde, ungeschliffene Version jener Organisation.

El Burro (»Der Esel«), ein altes Mitglied der Mara Salvatrucha 13, erzählt, dass seine erste Begegnung mit den Mitgliedern des Barrio 18 nicht so verlief, wie es in den Berichten der Bandenmitglieder normalerweise dargestellt wird. El Burro war bei einer Schießerei dabei, die sich die Mareros mit einer Gruppierung oder Zelle des Barrio 18, die unter dem Namen Tiny Winos bekannt war, in der Nähe eines Platzes lieferten. Es ging um die Kontrolle des Drogenhandels in diesem Gebiet. Niemand wurde verletzt, aber seit jenem Tag im Jahre 1984 gingen die Mara Salvatrucha und der Barrio 18 auf Distanz. Wie zwei Brüder, die miteinander im Streit liegen. Dabei wussten im Grunde beide, dass sie sich für den Rest ihres Lebens nicht mehr aus dem Weg gehen konnten. Zum endgültigen Bruch sollte es erst Jahre später kommen.

»Wir haben an Quantität gewonnen, aber an Qualität verloren«, sagt drei Jahrzehnte später eine Frau Anfang fünfzig in einem Café in einer der exklusivsten Gegenden von San Salvador. Sie war eine der wenigen Frauen auf der Befehlsebene innerhalb der Organisation gewesen. Obwohl sie voller Respekt von der Mara Salvatrucha 13 und ihrem Aufstieg spricht, hält sie sich heute von dem Bandenleben und seinen Gefahren fern. Damit das so bleibt, werden dies die einzigen Zeilen in diesem Buch sein, die von ihr handeln.

»Als wir ins System El Sur aufgenommen wurden, gewannen wir an Respekt, mussten aber eine Menge Dinge opfern. Ich war nicht einverstanden, und viele andere meiner Generation auch nicht. Aber wir mussten akzeptieren, was die Mehrheit wollte.«

Nach und nach landeten Mareros in den kalifornischen Strafanstalten. Dort stellten sie fest, dass ihre Kühnheit, die sie draußen auf der Straße gezeigt hatten, ihnen im Gefängnis nichts nutzte. Sie hatten mit keiner Bande des Sur ein festes Bündnis, nur das, was von ihrer Freundschaft mit dem Barrio 18 übrig geblieben war. Und offiziell waren sie nie dem System El Sur beigetreten. Mit anderen Worten, sie standen nicht unter dem Schutz der Mexican Mafia. Sie mussten die Schikanen der anderen Sureños ertragen und waren gegen die Banden der Schwarzen auf sich allein gestellt – auf den Fluren, den Gefängnishöfen und den Sportplätzen des gesamten kalifornischen Strafvollzugs. Und sie verloren fast immer, auch wenn sie es heute nicht gerne zugeben. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Zahl 13 am Ende ihres Namens zu akzeptieren und nach und nach ihre Vergangenheit als satanische Rocker zu vergessen. Um 1983 waren sie unter dem inzwischen berühmten Namen Mara Salvatrucha 13 praktisch im System El Sur angekommen, obwohl sie – Gesetz der Straße – offiziell erst ein Jahrzehnt später zu einer Bande des Systems ernannt wurden.

»Die, die aus dem Gefängnis kamen, waren nicht mehr so wie wir«, sagt ein altes Mitglied jener Jahre. »Sie hatten keine langen Haare und kleideten sich nicht mehr schwarz. Sie waren jetzt cholos: rasierte Schädel, Ohrringe, weite Hosen und weiße Hemden, Gefängnis-Tattoos. Anders eben. Sie hörten nicht mehr Black oder Death Metal. Sie waren jetzt fast wie die Mexikaner, die chicanos, cholos. Wie welche vom Sur eben.«

Doch in der Mara Salvatrucha wird alles mit Blut besiegelt. Die romantische Vergangenheit der MSS, als sie noch auf Friedhöfen Leichen ausgegraben und zum dröhnenden Heavy Metal Grabsteine geklaut hatten, musste endgültig begraben werden.

Ende 1985 ermordeten hommies der Crazy Riders 13 in einer Gasse, die die 6th Street mit der Avenue Virgil verbindet, ein Mitglied der MS. Der Junge, dessen Tod den Zorn der Salvadorianer heraufbeschwor, hatte einen düsteren Namen, der an die Stoner-Vergangenheit erinnerte: Black Sabbath. Er starb im Krankenhaus, vor den weinenden Augen seiner homeboys. Es war der erste hommie, den sie beweinen mussten. Das war ihr Eintrittspreis, ihr Blutzoll. Die Stoner waren gestorben, und die Mara Salvatrucha 13 trat blutend dem System El Sur bei. Sie hatten jetzt einen Toten zu rächen, eine Münze, mit der sie das Spiel des Sur spielen konnten.

Die Männer und Frauen, die diese Geschichten erzählen, haben sie persönlich erlebt. Die meisten von ihnen fühlen sich nur noch emotional oder durch alte Freundschaften mit der Bande verbunden. In beliebten Cafés im Zentrum von San Salvador oder beim Bier an einer Theke in Dallas, Texas, erzählen sie unter Tränen von ihrem früheren Leben. Sie sind keine Mitglieder der Mara Salvatrucha 13 mehr, aber sie waren es, und wenn sie über die Bande sprechen, tun sie das so respektvoll wie jemand, der über seine Familie spricht. Einige sind Lehrer an Primarschulen, andere Klempner. Und es gibt welche, die preisen die Tugenden Gottes in Kirchen der Pfingstler in den vergessenen Vierteln von San Salvador oder Guatemala-Stadt. Sie enthüllen uns die Geheimnisse der MS und bitten als Gegenleistung nur darum, ihr eigenes Geheimnis nicht zu verraten. Ihre Namen werden auf diesen Seiten nicht genannt werden.

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9783956143458
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