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Dunkelblau

[24. August 2006]

Ich hatte es eilig. Es war schon nach drei Uhr. Ich hatte mir fünf Stunden lang Patienten angeschaut und mir für jeden Zeit genommen, hatte jeden ausführlich befragt, hatte jeden untersucht und hatte mit jedem besprochen, was zu tun war. Auch wenn mir manche Beschwerden einfach unsinnig vorgekommen waren (Bauchschmerzen, die den Rücken hochsteigen und dann von hinten in die Brust gehen). Denn viele kamen von weit weither. Auf steinigen Pfaden. Und nun war ich müde. Ich wusste, in Taveta würden noch einmal Patienten auf mich warten. Der Pater dort, Pater Liume, hatte mich gebeten, noch Zeit auch für seine Patienten zu haben. Und da konnte ich ja nicht nein sagen. Aber Pastor Swales Kirche musste ich mir noch schnell anschauen. Da kam ich nicht dran vorbei. Sie war ja mit Pastor Schmidts (Kirchenkreis Elbe-Fläming) Hilfe gebaut worden und dem musste ich nun endlich wieder einmal berichten, wie weit die Kirche gediehen war.

Ich fuhr mit dem Motorrad bis zum Fuß von dem kleinen Hügel, auf dem sie steht. Sie war fertig. Auch innen war sie nun gestrichen. Sie war freilich noch leer. Nur vorne stand ein Tisch mit einem Kreuz darauf. Na schön. Die Bänke für die Besucher waren in Arbeit, ich hatte Pastor Swale ja 1,2 Millionen TSH dafür gegeben. Vor einem Monat. Gut gut. Ich verabschiedete mich von Pastor Swale, ich hatte es ja eilig. Ging zurück zum Motorrad, zur Honda 125 S. Kuandika, der Mechaniker, und ich waren gestern bis Taveta mit zwei Motorrädern gefahren. Heute Morgen dann aber nur noch mit einem weiter bis Tanganjika Masagati. Ich hatte (ganz unnötigerweise) gedacht, wir müssten vorsichtig sein mit dem Benzin, weil wir nur einen 5 Liter Reservekanister mitgenommen hatten. Und von Taveta bis Masagati sind es ja nur 15 Kilometer. Und Kuandika sieht ja eher aus wie ein Floh und stört nicht weiter auf dem Rücksitz. Er nimmt so gut wie keinen Platz weg. Und sein Gewicht kann man vergessen.

Ich war ein gutes Jahr nicht in Masagati gewesen. Zuletzt war ich im Mai 2005 oder so hier gewesen. Damals hatte ich für die 97 Kilometer von Lugala bis Taveta 8 Stunden gebraucht. Gestern hatten wir ›nur‹ 6 Stunden gebraucht. Der Weg war immer noch fürchterlich gewesen, aber wir hatten die Motorräder nicht mehr durch tiefen Schlamm schieben müssen.

Ich fuhr los. Der Motor der Honda brummte sanft und Vertrauen erweckend. An der Schule vorbei und ein paar Häusern. Dann nach links über die Brücke aus oben gegabelten Baumstämmen und Bambus. Der Weg war breit genug für ein Auto. Auf dem Weg entlang schlängelte sich dann ein Pfad, der von Fahrrädern benutzt wurde und glatt gefahren war. Autos kamen hier ja praktisch nie her. Und diesem Pfad auf dem Weg folgte ich natürlich auch mit dem Motorrad.

Die lange Steigung, die ich nur im ersten Gang schaffen konnte. Auf der anderen Seite der steile Abhang, auf dem die Honda, wenn ich von Taveta kam, immer aufgab. Jedenfalls wenn wir zu zweit auf einem Motorrad saßen. Dann das lange Tal entlang. Ich überholte einen Mann mit seiner Frau auf dem Fahrrad. Sie war, ja weshalb eigentlich, bei mir gewesen. Sie waren aus Ipinde, 25 km von Masagati. Es waren zu viele Patienten gewesen, ich konnte mich schon nicht mehr daran erinnern, was sie alle hatten. Bei zwei Patienten hatte ich den Verdacht gehabt, sie könnten HIV positiv sein. Und sie waren es auch. Ich hatte ihnen raten können, nach Lugala zu kommen, um die CD4 Zellen zu zählen und um mit einer Behandlung anzufangen, so das schon sinnvoll war.

Auf der anderen Seite vom Tal Hügel mit abgeholzten kahlen Flecken. Aber es war noch alles grün, und irgendwie sah es nicht so schlimm aus wie vor einem Jahr.

Gelegentlich eine Hütte, gelegentlich ein Hund, der uns bellend ein Stück folgte. Ein Quertal von rechts. Der Pfad schlängelte sich durch abgeerntete Reisfelder. Die Reisernte sei dieses Jahr so gut gewesen wie seit Jahren nicht, hatte Pater Liume erzählt. Doch nun wüssten die Leute nicht, wohin mit dem Reis. Keine Händler, die ihn aufkauften. Die Straße bis Taveta war so schlecht, dass keiner sich traute, seinen Lastwagen auf diese achsenbrechende Strecke zu schicken. Nur ein paar junge Männer, die Reis auf Fahrrädern nach Mlimba schafften. Zur Bahnstation dort. Und mit den berühmten süßen Apfelsinen wüssten sie dieses Jahr auch nicht, wohin damit. Sie würden auf den Bäumen verfaulen, weil niemand komme, um sie aufzukaufen.

Hinter einer holprigen kleinen Brücke wollte ich irgendetwas zu Kuandika sagen. Er war nicht da. Ich saß allein auf dem Motorrad. Ich war völlig verdutzt. Traute fast meinen Augen nicht. War er gar nicht aufgestiegen? War ich ohne ihn losgefahren, weil ich es so eilig gehabt hatte? War er unterwegs vom Motorrad gefallen? Aber das konnte doch nicht sein. Und wenn doch, hatte er sich womöglich beim Sturz etwas gebrochen? Ich wendete und fuhr zurück.

Das lange Tal entlang. Durch das Quertal. Das lange Tal entlang, immer auf dem Pfad, der sich auf dem Weg entlang schlängelte. Fast bis zum Fuß von dem steilen Anstieg. Da hüpfte Kuandika mir entgegen. Lachte. Ja, er war hinten rüber vom Motorrad gefallen. Beim langen Anstieg, als ich über einen Hubbel fuhr. Nein, ihm war nichts passiert, er hatte sich nicht verletzt. Ja, es war wirklich alles in Ordnung. Ich schüttelte den Kopf. Ich wendete wieder, ließ Kuandika wieder aufsteigen, fuhr wieder los.

Immer wieder lange Täler entlang.

Durch Quertäler.

Über die große Brücke.

Ich hatte es eilig.

Rechts schon der Mnyera. Ein schönes Land: noch bewaldete Hügel, sanfte Täler, Apfelsinenbäume entlang dem Weg, in denen die »Goldorangen glühten«.

Schade, dass ich es so eilig hatte.

Taveta. Hoch zur großen Kirche und zum ehemaligen Kloster, in dem jetzt nur noch Pater Liume wohnte. Die schweizer Mönche waren in den fünfziger Jahren fort gegangen. Nur ihre Bücher hatten sie zurückgelassen. »Wie Gott Mensch wurde«.

Die Patienten saßen draußen auf Bänken. Nicht ganz so viele, wie ich befürchtet hatte. Manche waren wohl auch nach Masagati gekommen, um mich dort zu sehen. Ich bat Kuandika mir zu helfen. Den Gesundheitsposten hatte Pater Liume schließen müssen. Der clinical officer, den ihm die Regierung (der Distrikt Medical Officer) geschickt hatte, hatte gesagt, er müsse erst einmal seine Eltern besuchen. Und die Krankenschwester war nach Ifakara gegangen, um ihre kranke Mutter zu pflegen. Hatte sie gesagt.

»Hier will einfach niemand arbeiten …«

Der erste Patient: Eltern, die ihr Kind brachten. Es lahmte auf dem linken Bein. Ja, es hatte eine intramuskuläre Spritze bekommen. Hier im Gesundheitsposten. Im Mai. Und seitdem lahmte es.

Ich erklärte, dass ein Nerv durch die Spritze beschädigt worden sei. Dass es keine Behandlung dafür gebe. Aber dass sich der Nerv vielleicht erholen würde. Mit ein bisschen Glück.

Der zweite Patient: Ein Vater, der sein Kind brachte. Es lahmte auf dem rechten Bein. Ja, es hatte eine Spritze in den Popo bekommen. Hier im Gesundheitsposten. Im April. Und seitdem lahmte es.

Ich erklärte, dass ein Nerv durch die Spritze beschädigt worden sei. Dass es keine Behandlung dafür gebe. Aber dass sich der Nerv vielleicht erholen würde. Mit ein bisschen Glück.

Der dritte Patient: Ein Vater, der sein Kind brachte. Es lahmte auf dem linken Bein und hatte eine Fissur an der Ferse. Ja, es hatte eine Spritze bekommen. Ins Gesäß. Hier im Gesundheitsposten. Im Oktober letzten Jahres. Und seitdem lahmte es.

Ich erklärte, dass ein Nerv durch die Spritze beschädigt worden sei. Dass es keine Behandlung dafür gebe. Aber dass sich der Nerv vielleicht erholen würde. Mit viel Glück. Denn eigentlich habe sich der Nerv inzwischen schon erholen müssen. Und die Fußsohlen sollten sie nach dem Baden dünn mit Vaseline einreiben.

Ich dachte, ich wäre im falschen Film.

Der vierte Patient. Eine Frau knapp dreißig mit ihrem Kind auf dem Arm. Sie zeigte mir ihre hypopigmentierten Hautflecken. Ihr sei eine Salbe verschrieben worden. Ja, hier im Gesundheitsposten. Aber die habe sie nirgends bekommen können. Auch nicht in Mlimba.

Lepra. Multibazilläre Lepra. Ganz offensichtlich. Schon zwei verdickte Nerven. Aber noch keine offensichtlichen Nervenschäden.

»Wenn Sie jetzt sofort nach Lugala kommen, können wir Ihnen noch helfen. Wenn wir jetzt sofort mit der Behandlung anfangen, können wir Sie noch heilen, ohne dass Sie zu Schaden kommen! Warten Sie nicht. Kommen Sie. So weit ist Lugala auch nicht. Es lohnt sich!«

Ich war plötzlich froh. Der Tag, die Mühe hatten sich gelohnt (wenn die Frau kam). Meine Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen.

Der Himmel war plötzlich ganz blau.

Kinderwunsch

[26. August 2006]

Ob Gynäkologen in Deutschland auch dauernd von Patientinnen aufgesucht werden, die entweder einen unerfüllten Kinderwunsch haben oder Schmerzen beim Bumsen oder sowohl als auch? Dann bin ich nur froh, dass ich kein Gynäkologe geworden bin. Moses und ich müssen uns jedenfalls mindestens einmal jede Woche mit einer solchen Patientin befassen. Und wir können uns dann nicht hinter einem Wall aus Laborergebnissen verschanzen. Wir können nur die Spermien beim Mann zählen und, so wir Urografin haben, nachschauen, ob die Tuben bei der Frau durchlässig sind. Na ja, wir können auch eine Spekulumuntersuchung machen und einen Schallkopf auf den Bauch halten. Aber dabei findet sich ja nur höchst selten etwas Pathologisches. Das ist praktisch reine Zeitverschwendung. Und Urografin haben wir mal wieder nicht. Gab es nicht in Dar es Salaam, als ich im Juni dort war.

Und wenn die Tuben nun nicht durchlässig sind? Moses operiert dann gerne, und vor Jahren soll mal eine Frau nach einer solchen Operation schwanger geworden sein. Ich mache diese Versuche, die Tuben operativ zu öffnen, nicht mehr. Ich empfinde diese Operationen als Betrug. Ich habe mal einen Gynäkologen, der für eine Woche nach Lugala kam, gefragt, wie hoch die Erfolgsrate von Tubenoperationen in seinen Händen sei. Null, antwortete er mir, aber die Frauen haben nach einer solchen Operation für zwei drei Jahre wieder Freude und Hoffnung; und das ist auch viel wert.

Das ist natürlich ein Argument. Und vielleicht wirklich ein Grund, Frauen mit verschlossenen Tuben zu operieren. Aber wie gesagt, ich mache es nicht mehr.

Gestern hatte ich auch wieder eine solche Frau mit Kinderwunsch und Schmerzen beim Bumsen. Margreth hieß sie. Knapp dreißig war sie und seit sieben Jahren verheiratet.

»Und wie lange haben Sie denn schon Schmerzen beim Bumsen?«

»Seit meiner Heirat.«

Ich sah vor mich hin. Bei der Spekulumuntersuchung war mir die Vagina sehr trocken vorgekommen.

»Fragen Sie die Frau doch mal, ob Sie sich vielleicht die Vagina dauernd mit Seife auswäscht«, sagte ich zu Mwahija, die mir gestern bei der endlosen Zahl von Patienten half.

Die Frau bestand darauf, dass sie sich zwar unten rum mit Seife wusch, dass sie sich die Vagina aber nicht mit Seife auswusch (wie manche Frauen das hier tun).

»Hm.«

Mwahija ist aus Tukuyu. Eine schlanke, hoch gewachsene Nkhonde. Sie ist Muslimin und entsprechend ist ihr Name auch ein moslemischer Name und kein Nkhonde Name. Ich mag sie, auch wenn sie manchmal ein wenig langsam ist. Ihre Rehaugen sind das schönste an ihr. Bisweilen scheint ein wenig Trauer in ihnen verborgen zu liegen. Sie hat seit Jahren einen Freund, der inzwischen wohl auf die Polizeischule in Dar es Salaam geht. Wenn er fertig ist, wird Mwahija Lugala vermutlich so schnell wie möglich den Rücken kehren.

»Vielleicht sollte unsere Patientin mal mit einem Nachbarn bumsen, um auszuprobieren, ob es mit dem auch weh tut.«

Mwahija fragte Margreth, ob das Bumsen mit ihrem Freund auch wehtue.

Margreth stritt energisch ab, dass sie einen Freund habe. Sie schlafe nur mit ihrem Mann.

»Hm. Vielleicht sollte sie mal mit einem anderen Mann ausprobieren, ob es mit dem auch weh tut.«

Mwahija schlug Margreth vor, es doch mal mit einem anderen zu probieren. Dann wisse sie, ob sie die Schmerzen wegen ihrem Mann habe oder ob es an ihr liege. Vielleicht sei das Ding von ihrem Mann ja besonders groß und sie habe deshalb Schmerzen beim Bumsen. Das komme ja vor. Oder das Ding von ihrem Mann sei besonders dick.

Ich grinste in mich hinein.

Aber Margreth meinte, das Ding von ihrem Mann sei weder besonders lang noch besonders dick. Daran könne es nicht liegen.

Sei sie sich sicher? Sei sie sich sicher, dass das Ding von ihrem Mann nicht besonders groß sei?

Ganz sicher!

Aber es sei doch trotzdem sinnvoll, es mal mit einem anderen Mann auszuprobieren. Das sei doch ein guter Vorschlag von mir. Wenn es mit einem anderen nicht wehtue, dann müsse es eben doch an ihrem Mann liegen. Dann sei dessen Ding vielleicht doch zu groß. Ob sie es sich mal genau angeschaut habe?

Margreth überlegte.

Sie war etwas rot geworden unter ihrer schwarzen Haut; aber der Vorschlag schien auch ihr Sinn zu machen.

Ich ging, um zu schauen, ob eine Patientin von der Entbindungsabteilung so weit war, dass ich bei ihr eine Sekundärnaht machen konnte. Außerdem überließ ich die weitere Diskussion ja am besten Mwahija und der Patientin. Frauen besprachen das ja wohl besser unter sich.

Bei der Patientin von der Entbindungsabteilung war die Dammschnittnaht aufgegangen, und es war alles ganz bös infiziert. Die Hebammen, aber auch die clinical officers, können Dammschnitte und Dammrisse einfach nicht sauber nähen. Es ist ein Kreuz. Wie viel Zeit ich damit verbringen muss, Sekundärnähte zu machen. Die Frau lag auf dem Tisch.

Als ich zu Margreth und Mwahija zurückkam, waren die beiden fertig mit der Diskussion. Margreth ging.

Vielleicht würde ein anderer sie vielleicht sogar schwanger machen können? Obwohl, das war unwahrscheinlich, denn sie hatte erzählt, ihr Mann habe schon sechs Kinder mit einer anderen Frau. Da stimmte bei ihm wohl alles. Aber da war der Druck natürlich auch entsprechend groß, dass sie nun endlich auch schwanger wurde.

Tja, Leben ohne Kinder.

Das taugt hier eben einfach nichts.

Ich habe freilich das Gefühl, die Leute finden es ist nicht gar so schlimm, wenn ihre Kinder sterben. Nur schwanger muss die Frau werden können. Darum scheint es zu gehen.

Ob er noch lebt?

[27. August 2006]

Es gibt hier viele Patienten mit Verbrennungen. Vor allem Kinder. Es liegt fast immer wenigstens ein Kind mit Verbrennungen auf Station I. Wenn Kinder sich mit heißem Wasser verbrannt haben, ist es meist nicht so schlimm und heilt die Verbrühung unter entsprechender Behandlung in zwei drei Wochen folgenlos wieder ab. Verbrennungen mit heißem Uji, Maisbrei, gehen oft sehr viel tiefer. Und wenn ein Kind ein Tuch um hatte und das an der Kochstelle Feuer fing, dann ist es immer schlimm. Dann wird immer eine Hautverpflanzung erforderlich.

Die Behandlung für Patienten mit Verbrennungen habe ich selbst gestrickt: Zunächst wird eine feuchte Wundbehandlung mit Kaliumpermanganat gemacht und dann, wenn das tote Gewebe weitgehend abgestoßen wurde, folgt die Spalthautverpflanzung. Wahrscheinlich wäre es besser, die Hautverpflanzung früher zu machen. Aber ich fürchte, bei Kindern jedenfalls, den Blutverlust, der mit einer scharfen Trennung von totem und lebendem Gewebe einhergehen würde. Wir müssen eh meist eine Bluttransfusion machen, und wenn ich dann noch das nekrotische Gewebe mit dem Skalpell entfernen würde …

Erwachsene mit Verbrennungen sind sehr viel seltener. Es sind dann fast immer Patienten mit einer Epilepsie, die während eines Anfalls in ein Feuer fielen. Das gibt entsprechend grässliche Verbrennungen, wenn der Patient bewusstlos war, und niemand zugegen war, der ihn sofort hätte aus der Glut ziehen können.

Vor ein paar Wochen wurde uns so ein Patient gebracht. Ein alter, freilich noch sehr rüstiger Mann. Er war allein auf seinem Reisfeld gewesen, hatte abends einen epileptischen Anfall bekommen und dann lange in dem kleinen Feuer gelegen, in das er gefallen war. Der linke Arm war hin, und die Verbrennungen auf Brust und Bauch gingen ganz sicher auch bis in die Muskulatur.

Der Mann klagte nicht, vermutlich gingen die Nekrosen so tief, dass alle Nerven zerstört waren. Seine Frau war bei ihm und ein Sohn.

Ich erklärte ihnen, dass ich den Arm würde amputieren müssen. Dass der nicht zu retten war.

Ich amputierte den Arm am nächsten Tag dicht unterhalb vom Schultergelenk. Vorher schaute ich noch einmal nach, ob der Arm wirklich nicht zu retten war. Er war es nicht, die Muskeln waren weiß wie die eines gekochten Huhns, und alle Blutgefäße waren tot. Nur ganz am Knochen gab es noch ein wenig rosigen Muskel, aber auch der blutete nicht mehr. Es ist immer noch ein seltsames Gefühl, einen Knochen durchsägen zu müssen.

Fast jeden Tag ging ich dann bei dem alten Mann vorbei, wunderte mich ein wenig, dass es ihm so relativ gut ging. Sein Verband war fast immer feucht, so wie es sein sollte. Und wenn ich zur Essenszeit kam, hatten seine Verwandten ihm fast immer wirklich gutes Essen gebracht. Nicht einfach nur ein bisschen Reis und ein paar gekochte Blätter sondern des Öfteren Fisch oder ein Hühnerbein. Er war aus Njassa, ein halbes Dutzend Kilometer von Lugala entfernt. Auf dem Weg nach Biro.

Irgendwann war es dann so weit, dass ich die Hauttransplantation machen konnte. Wir gaben dem alten Mann vorher noch eine Bluttransfusion. Es stand sofort ein Spender bereit.

Ich löste die Nekrosen bis fast zu den Rippen und bis tief ins Fettgewebe der Bauchwand. Hier und dort musste ich mit dem Skalpell nachhelfen. Ganz hatte sich das tote Gewebe noch nicht demarkiert. Aber der Blutverlust hielt sich in Grenzen. Es war ja kein Kind. Spalthaut entnommen, gemesht, aufgelegt. Ohne das Dermatom und ohne das Meshgraftgerät, die mir weitgehend vom Deutschen Institut für Ärztliche Mission (DIFAEM) und Kurts Freunden in Kehl spendiert worden waren, hätte ich nur zusehen können, wie der Mann entweder gestorben wäre oder furchtbare Keloidnarben entwickelt hätte. Wie man sie hier manchmal nach unbehandelten Verbrennungen sieht. Wenn dann die Eltern mit ihren verkrüppelten Kindern kommen. Wenn es zu spät ist. Rechtzeitig zu kommen, gleich nach der Verbrennung, war ihnen das Kind nicht wert. Schichtweiser Verband, und nun musste der alte Mann einfach eine Woche ruhig im Bett liegen, damit die Spalthaut anwachsen konnte.

Ich war ein wenig erstaunt, dass er keine Lungenentzündung bekam. Ich meine, er war wirklich ein alter Mann.

Verbandswechsel nach einer Woche, die Haut war weitestgehend eingeheilt. Noch einmal einen Verband, aber der alte Mann würde nun bald gehen können. Ich sagte zu ihm, dass es Zeit werde, wieder eine Hacke in die Hand zu nehmen.

»In nur eine Hand« fragte er.

Ich schwieg.

Tja, jetzt war der alte Mann ein Krüppel. Mir wurde das erst jetzt so richtig bewusst. Vorher hatte ich mich einfach nur um sein Überleben bemüht. Was konnte er noch mit nur einem Arm machen, auch wenn es der rechte war?

Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, seine Frau und sein Sohn würden ihn nun nicht einfach verhungern lassen. Nun, da der alte Mann nutzlos geworden war. Sie würden ihm sein Gnadenbrot geben, dachte ich – für eine Weile jedenfalls. Vielleicht war er ein guter Mann gewesen.

Lasst uns Gott danken

[28. August 2006]

Tanga ist ein Dorf knapp 20 Kilometer von Lugala entfernt. Es liegt auf einer kleinen Bodenwelle, und von dem Weg hinauf hat man einen weiten Blick über die Niederung, die man durchquert hat, über unendliche Reisfelder und auf die Mahenge Berge im Hintergrund. Wir sind schon mehrmals mit Besuchern mit Fahrrädern nach Tanga gefahren. Es gibt noch einen zweiten Weg, der nach Tanga führt, über Biro und Mbalinyi, aber den nimmt man eher selten. Tanga hat eine richtige kleine Geschäftsstraße: na ja, die Straße ist natürlich ein staubiger Weg und die Geschäfte sind auch nur Buden. Aber trotzdem. Man kann dort Tee trinken, warmen, süßen Tee und »maandazi« (Berliner) essen. Das nächste Dorf hinter Tanga ist dann Ngoheranga, dort ist eine große katholische Missionsstation. Aber auch Tanga hat eine Grundschule und einen staatlichen Gesundheitsposten. Den Gesundheitsposten habe ich noch nie besucht. Ich habe auch kein Bedürfnis ihn zu besuchen. Im Laufe der viereinhalb Jahre, die ich jetzt schon in Lugala bin, sind sicher ein halbes Dutzend Kinder aus Tanga mit Meningitis zu uns gekommen, die erst einmal tagelang gegen Malaria behandelt worden waren. Als sie schließlich zu uns kamen, starben sie jeweils innerhalb weniger Stunden. Was mich angeht, gehört der ganze Verein dort standrechtlich erschossen. Andererseits sind sie wahrscheinlich auch nicht schlechter als die katholischen Gesundheitsposten in Mtimbira und Itete, von denen wir unsere geburtshilflichen Katastrophen bekommen. Und alle kann man ja schlecht an die Wand stellen. In abgelegenen Gebieten einen Gesundheitsdienst zu unterhalten, der der Rede wert ist, ist im Grunde wohl eine unlösbare Aufgabe.

Vor vierzehn Tagen, ja es ist gerade erst 14 Tage her, brachten Eltern morgens ihr sechsjähriges Mädchen aus Tanga. Es war dort drei Tage mit Spritzen behandelt worden. Brettharter, angeschwollener Bauch.

Deogratias hieß das Mädchen.

Was sich hinter dem brettharten Bauch verbarg, war natürlich nicht offensichtlich. Dass es nichts war, das man mit Penicillinspritzen behandelte, sollte aber selbst einem Blinden mit Krückstock klar sein. Hämoglobinwert 4,5.

Wir schoben sie zum OP.

Ich bat Lenna, dem Mtandi bei der Anästhesie zu helfen. Eine Intubationsnarkose bei einem Kind in schlechtem Allgemeinzustand traue ich Mtandi nicht mehr so ganz zu. Er wird einfach alt.

Längsschnitt.

Mir quoll schwarzer aufgeblähter Darm entgegen. Scheiße. Ein Volvulus, eine Darmverdrehung. Wäre das Kind vor drei oder zwei Tagen gekommen, hätte ich den Darm einfach zurückdrehen und den Bauch wieder zunähen können. Jetzt war der Darm hin. Ich zog ihn vorsichtig aus dem Bauch heraus. Wenigstens schien er noch nirgends perforiert zu sein. Es war noch kein Eiter im Bauch. Es blieb mir nichts anderes übrig als den schwarzen Abschnitt zu resezieren. Ich bat Tindwa, mir zusätzlich zu Mwahija zu assistieren. Damit es schneller ging. Der Narkose wegen. Ich klemmte den noch gesunden Darm auf beiden Seiten von dem nekrotischen Abschnitt mit Darmklemmen ab. Schnitt das schwarze Stück heraus. Es füllte fast eine Waschschüssel. Ob das Kind mit dem restlichen Darm würde leben können? Der tote Darm war voll Blut, dahin war das Blut also gelaufen, daher der Hämoglobinwert von 4,5.

Mwachiko brachte eine Blutkonserve.

Für die End-zu-End Anastomose der gesunden Darmenden setzte ich mich. Das war Feinarbeit. Der Dünndarm einer Sechsjährigen ist halt nicht sehr dick, und man muss schon sehr aufpassen, dass man keine Stenose verursacht. Wenigstens hatten wir geeignetes Nahtmaterial mit feinen Nadeln.

Ich nähte den Bauch wieder zu.

Das Mädchen war plötzlich ganz dünn. Ganz klein und mager. Noch dünner als Lottchen. Armes Ding. Wenn die Eltern ein bisschen heller wären, hätten sie sich ja auch nicht mit diesen Spritzen in Tanga zufrieden geben müssen. Hätten sie sich doch von selbst schon vor zwei Tagen auf den Weg machen können!

Als ich nach Hause ging, schaute ich noch bei dem Mädchen vorbei. Es war aufgewacht, aber noch ein wenig benommen. Immerhin hatte es die Anästhesie und die Operation überlebt.

Am zweiten Tagen ließ ich Deogratias süßen Tee trinken.

Am dritten Tag ließ ich sie Uji essen.

Vierter Tag: kein Fieber, der Bauch weich. Sie hatte Stuhlgang gehabt. Deogratias lächelte mich an. Ganz lieb. Und fast tat mir mein Herz weh, so lieb lächelte sie mich an. Bei so einem Kinderlächeln kann einem schon komisch werden. Normale Darmgeräusche.

Fünfter Tag. »Nun musst du aber mal endlich aufstehen. Du hast jetzt lange genug gefaulenzt. Nächste Woche musst du wieder in die Schule!«

Siebter Tag. Entlassung.

Nachtrag: Irgendeine Beziehung zwischen meinen chirurgischen Kenntnissen und dem OP-Ergebnis bei Deogratias sehe ich nicht. Ein Zusammenhang wäre rein zufällig und vom Autor nicht beabsichtigt.

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