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Hilflos

[8. August 2006]

Die Frau kam mit einem Hämoglobin von 6,4. Das ist natürlich etwas dürftig für eine Schwangere im 6. Monat. Salima hieß sie. Es war ihre dritte Schwangerschaft. Die ersten beiden Babys waren jeweils noch im Uterus gestorben und während der Schwangerschaften habe sie auch eine Anämie gehabt, hieß es. Das klang nicht gut. Aber wir machten zunächst einmal, was wir halt so machen: wir untersuchten den Stuhl auf Wurmeier und schauten nach, ob Salima HIV infiziert war. Aber Salima hatte weder Hakenwürmer noch war sie HIV infiziert. Wir gaben ihr Folsäuretabletten. Wir hatten ja noch Zeit, Salima war ja erst im 6. oder 7. Monat schwanger.

Salima hatte nur ein Auge. Ihr linkes Auge war ganz vernarbt und stand hervor. Vermutlich war es irgendwann durch eine Infektion zerstört worden. Ich fragte Salima aber nie, wann und wie das passiert war. Vielleicht war es auch eine Verletzung gewesen. Schön war Salima also nicht gerade, dabei hatte sie ein freundliches Gesicht und war nie eine von denen, die mir durch Nörgeln auf den Wecker fällt. Ich meine, wir bemühen uns doch um alle Patienten nach Kräften. Da hat es doch keinen Sinn, wenn jemand nörgelt – was auch nicht oft vorkommt.

Der Hämoglobinwert sank auf 5,9, und er sank weiter auf 4,4 und 4,1.

Salima kam aus Sofi Majiji. Früher führte die Straße nach Ifakara über Sofi Majiji, aber sie war wohl so oft unpassierbar, dass sie irgendwann den Umweg über Sofi Mission gebaut haben und den alten Weg über Sofi Majiji haben verfallen lassen. Das soll in den siebziger Jahren gewesen sein. Auf den Karten führt die Straße immer noch über Sofi Majiji. Aber wen interessiert das schon. Ich bin diesem alten Weg nur einmal mit dem Fahrrad gefolgt. Die Brücken stehen noch, aber aus der ›Straße‹ ist ein schmaler holpriger Pfad geworden. Ich habe nichts Besonderes in Sofi Majiji finden können.

Wir gaben zwei Bluttransfusionen, der Hämoglobinwert sank auf 3,9.

Salima lag in dem ersten Bett rechts in unserem Seitenzimmer, im ehemaligen TUGHE Büro. Ich sah sie immer weniger draußen mit den anderen Frauen sitzen.

Ich überlegte mir, dass Salima eine hämolytische Anämie haben müsse und begann eine Behandlung mit Prednisolon. Das ist laut Büchern die Standardbehandlung für eine hämolytische Anämie. Die Alternative ist, die Milz zu entfernen. Ich hatte dieses Jahr schon zwei Kinder, zwei Jugendliche erfolgreich mit Prednisolon behandelt, und insofern war ich immer noch guter Dinge. Prednisolon soll nach etwa drei Wochen wirken (und so war es auch bei den beiden Kindern gewesen) – und wir hatten ja noch Zeit.

Der Hämoglobinwert sank auf 3,0. Wir gaben noch eine Bluttransfusion, obwohl das natürlich sinnlos war, die roten Blutkörperchen wurden ja wohl so schnell zerstört, wie sie einliefen.

Wir hatten keine Zeit mehr.

Der Hämoglobinwert sank auf 2,4. Salima konnte nicht mehr aufstehen, sie hatte keine Kraft mehr. Irgendetwas mussten wir unternehmen, wir konnten ja nicht einfach zuschauen, wie Salima einfach so verwelkte. Ich sagte zu Mama Chogo, sie solle jetzt innerhalb von 48 Stunden wenigstens sechs Blutspender organisieren. Und dann würde ich einen Kaiserschnitt machen, während rechts und links Blut einlief. Das müsste gehen. Salima sagte nichts mehr, sie lag nur noch still in ihrem Bett mit ihrem Glubschauge. Hatten wir noch zwei Tage Zeit?

Die Verwandten kamen schon am nächsten Tag aus Sofi Majiji herbeigeströmt und bildeten eine lange Schlange vorm Labor. Ich war beeindruckt. Ließ Salima zum OP schieben. Inzwischen war sie grau. Das Baby würde natürlich sterben, es war noch zu klein. Aber das wusste Salima, und die Angehörigen hatten auch darum gebeten, dass ich gleichzeitig eine Tubenligatur machte.

Lothi und Lenna gaben die Narkose. Salima überlebte, und das Kind schrie auch. Es wog 1200 Gramm.

Salima kümmerte sich ganz liebevoll um ihr Baby. Ich sah das Baby kaum, denn Salima hielt es immerzu an ihren großen Brüsten warm, so wie ich ihr das gezeigt hatte. Fütterte es über einen Magenschlauch. Saß immer da, gegen die Wand gelehnt, und schaute auf ihr kleines Baby.

Am Tag nach der Operation war Salimas Hämoglobin 9,3.

Dann 6,9.

Dann 6,4.

Dann 5,9.

Dann 5,1.

Dann 4,9.

Mein Mut sank zusammen mit dem Hämoglobinwert. Wollte denn das Prednisolon immer noch nicht wirken?

Wir gaben eine Bluttransfusion.

Der Hämoglobinwert sank auf 4.

Und heute klang Salima zum ersten Mal resigniert: »Ich füttere und füttere das Kind, aber es will einfach nicht an Gewicht zunehmen!«

Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Wenn wenigstens sie überleben würde.

Gott hat alle Kinder lieb

[13. August 2006]

Diese Geschichte ist kurz, nur achtundvierzig Stunden lang. Sie brachten das Mädchen gegen acht Uhr abends, aus Ihowanja. Es war vielleicht zwölf Jahre alt. Zwölf Jahre ist ein seltsames Alter: Wenn die Brüste anfangen zu wachsen, ein Mädchen aber noch ganz Kind ist.

Kiua hieß das Mädchen, Kiua, kleine Blume. Ein ungewöhnlicher Name, ich hatte ihn vorher nicht gehört und ich bin ihm auch seither nicht begegnet.

Kiua lag ganz still in ihrem Bett, ganz still. Sie jammerte nicht, sie weinte nicht, dabei war ihr Bauch bretthart, und sie hatte ganz sicher eine Peritonitis, eine Bauchfellentzündung. Woher? Vermutlich von einem perforierten Blinddarm her. Was freilich zunächst einmal keine Rolle spielte. Ich musste den Bauch aufmachen. Lenna hatte Dienst und Tindwa und Ndali.

Ich wartete darauf, dass sie kamen. Das Kind tat mir leid, irgendwie rührte es mich, so wie es so still, so still in seinem Bett gelegen hatte. Und mich einfach nur angeschaut hatte.

Wie ein dunkler Engel.

Ihowanja, das ist vielleicht 25 Kilometer von Lugala entfernt. Es ist das letzte Dorf vor Kilosa kwa mpepo. Ich war mit Yoryos und Donn vor drei Jahren einmal dort gewesen und seitdem nicht wieder. Es gab einen Fahrradreparaturfritzen in Ihowanja. Am zweiten Tag auf dem Rückweg hatten wir einen Platten gehabt, und noch etwas war an meinem Fahrrad kaputt gewesen. Ja, das Pedal. Egal.

Kiua jammerte auch nicht, als Lenna ihr eine Infusion anlegte. Dann schlief sie, nachdem Lenna ihr Ketamin gespritzt hatte.

Es war ein böser Anblick, die Därme schwammen in Eiter, der ganze Bauch war voller Eiter. Ein perforierter Blinddarm. Warum war das so schnell gegangen? Meist bildet sich doch ein Abszess um einen erst entzündeten und dann perforierten Blinddarm herum, und in manchen Büchern steht, dass man in dem Stadium nicht mehr operieren sollte, um nicht beim Eröffnen der Abszesshöhle die Infektion in den Bauchraum zu verschleppen. Freilich, der Rat kam mir immer ein bisschen akademisch vor: Woher soll man wissen, dass sich ein Abszess mit einer festen Wand gebildet hat. Wenn ich so einen Abszess bei einer Laparotomie finde, lege ich einfach einen Drainageschlauch und schließe den Bauch rasch wieder.

Wir versenkten den Blinddarmstumpf und wuschen und wuschen den Bauch wieder und wieder mit Kochsalzlösung. Ob Kiua eine Chance hatte?

Später, daheim, betete ich für Kiua. Ich bat Gott, eine Ausnahme zu machen und ausnahmsweise einmal einzugreifen. Und sei es um meinetwegen.

Natürlich war das töricht. Ist Gott vielleicht jemand, der sich erweichen lässt? Ist Gott vielleicht jemand, der die Geschicke der Welt im Zickzackkurs lenkt? Je nach dem von welcher Seite die meisten Gebete wehen?

Es wurde vor nicht langer Zeit eine Studie veröffentlich, in der gezeigt wurde, dass in den an der Studie beteiligten amerikanischen Krankenhäusern sich Patienten, für die gebetet wurde, schneller erholten als Patienten, für die nicht gebetet wurde. Dass die Überlebensrate z. B. nach Operationen von solchen Patienten, für die irgendjemand betete, höher war als für Patienten, für die niemand betete.

Es folgte dann ein, ich nehme an, ironischer Leserbrief, in dem der Schreiber forderte, es müsse nun eine zweite Studie durchgeführt werden, um die Dosis Wirkung Beziehung herauszufinden. Half viel beten viel, und wenig beten wenig? Was war die minimale Bet-Dosis unterhalb derer sich Gott nicht rührte?

Freilich, ich habe immer wieder Menschen getroffen, die fest davon überzeugt waren, dass ihre Gebete halfen, dass ihre Gebete den Lauf der Dinge änderten. Peter Garland z. B. und Antje Gerlach. Peter Garland glaubte fest, dass es sogar regnen würde, wenn er nur dafür betete. Und es regnete tatsächlich einmal einen halben Tag nachdem er zusammen mit Chief Kyungu (im Karonga Distrikt, in Malawi) für Regen gebetet hatte.

Tja.

Am Morgen ging es Kiua ein klein wenig besser, der Bauch war nicht mehr ganz so hart, das Fieber war heruntergekommen. Die Mutter saß an Kiuas Bett. Auf dem Weg zu meinem Büro bat ich Gott noch einmal dringend, eine Ausnahme für Kiua zu machen. Ich hielt es für möglich, dass er das konnte.

Ob er es auch wollte?

Am Abend hatte das Fieber wieder angefangen. Der Effekt vom Auswaschen des Bauches war wohl vorüber, und all die Antibiotika, die wir gaben, halfen wohl nur begrenzt. Kiua sah mich stumm und müde an.

Und am nächsten Morgen war das Ende abzusehen. Kiua hatte wieder 40 Fieber, der Puls raste, die kleine Blume war am Verwelken, der dunkle Engel war dabei wieder fortzufliegen.

Später sagte ich zur Mutter, wie Leid es mir tue, aber wir hätten alles getan, was wir hätten tun können.

»Es war Gottes Wille«, sagte sie leise.

Und vergib uns unsere Schuld

[13. August 2006]

Sie brachten ihn um Mitternacht. Er hatte einen Leistenbruch, der sich nicht mehr reponieren ließ, so sehr ich mich auch bemühte, eine eingeklemmte Hernie. Augustin hieß er.

»Und wie lange haben Sie diese Schwellung schon?«

»Seit drei Tagen.«

»Und warum sind Sie nicht sofort gekommen.«

»Ich habe erst Geld finden müssen für den Bus und für hier.«

»Aber jeder weiß doch, dass wir Notfälle behandeln, ohne erst nach Geld zu fragen!«

Ich operierte Augustin sofort. Mtandi gab die Narkose, Lenna assistierte mir. Der eingeklemmte Darm sah nicht gut aus, stellenweise war er schwärzlich. Sollte ich eine Laparotomie machen und das eingeklemmte Stück resezieren? Und eine End-zu-End Anastomosen machen? Es ist nicht so einfach, um Mitternacht die richtige Entscheidung zu treffen. Es fehlt der Enthusiasmus für eine große Operation. Vielleicht würde sich der Darm ja erholen, auch wenn er nicht gut aussah. Vielleicht wäre es auch besser gewesen, bis zum Morgen mit der Operation zu warten. Drei Tage oder drei Tage und acht Stunden, wo wäre der Unterschied gewesen? Aber die Gedanken mahlen langsam um Mitternacht, man handelt, ohne Alternativen richtig durchdenken zu können. Ich jedenfalls. Und ich verschloss die Leiste wieder, nachdem ich den Darm zurück in den Bauch verlagert hatte. Vielleicht würde er sich ja erholen.

Augustin kam aus Itete. Itete liegt am Rande vom Einzugsgebiet vom Lugala Krankenhaus auf dem Weg nach Ifakara. Es ist ein großes Dorf. Bruder Samuel wohnt dort. Er war einst clinical officer und gründete dann einen kleinen Franziskaner Orden in Itete. Und begann ein Waisenhaus zu betreiben für die Kinder verstorbener AIDS-Patienten. SolidarMed, diese schweizer Hilfsorganisation, die jetzt auch uns die Behandlung von AIDS-Patienten ermöglicht, liebt ihn. Was immer er beantragt, sie schieben es ihm vorne und hinten rein, Erweiterungsbauten für sein Waisenhaus, einen Schweinestall, eine Solarpumpe, Computer, einen Aufenthalt in der Schweiz.

Ein Kind in Itete soll gesagt haben, wenn doch nur seine Eltern auch bald stürben, damit es auch in dieses Waisenhaus ziehen könne!

»Ich habe Bruder Samuel nur einmal besucht, aber ich teile diese Begeisterung von SolidarMed für Bruder Samuel einfach nicht«, sagte ich neulich zu Thomas Gass von SolidarMed, als der mich kürzlich für drei Tage besuchte.

»Ich auch nicht. Aber wenn die vom Vorstand den Bruder Samuel besucht haben, sind sie immer ganz hin und weg. Als scheine ihm die Sonne aus dem Arsch. Bruder Samuel ist halt ein Politiker, wie er im Buche steht und weiß, wie man Leuten Honig um den Bart schmiert. Aber ich muss da jetzt einfach mal auf die Bremse treten. Ich habe dieses Mal bemerkt, dass er da nebenbei ohne jede Genehmigung einen Gesundheitsposten betreibt. In dem den ganzen Tag nur ein Laienbruder sitzt. Wenn das auffällt, wird auch SolidarMed damit hineingezogen werden, denn wir unterstützen ihn ja. Und die Gesetze sind da eindeutig. Das geht nicht so weiter. Diesen illegalen Gesundheitsposten muss er schließen und zwar sofort.«

»Hm.«

»Und Tom und Petra (das Architektenehepaar aus Ifakara), haben mir erzählt, dass die Waisenkinder mit den Brüdern in einem Bett schlafen müssen, weil nicht genug Betten da seien. Das finde ich auch nicht so gut.«

Na ja, am nächsten Tag ging es Augustin leidlich.

Und am übernächsten Morgen ging es Augustin immer noch leidlich. Vielleicht war es ja doch richtig gewesen, den Darm einfach nur zu reponieren. Und nicht gleich eine Resektion zu machen.

Am dritten Tag nachmittags bemerkte ich, dass Augustin eine Peritonitis entwickelt hatte. Scheiße. Ich ließ ihn zum OP schieben. Wieder gab Mtandi die Narkose, wieder assistierte mir Lenna. Ich machte einen Längsschnitt. Das eingeklemmte Darmstück war fleckförmig vollständig schwarz. Und auch wenn sich eine längere Strecke erholt hatte, musste ich doch den ganzen Abschnitt resezieren, um die End-zu-End Anastomose an wirklich gesundem Darm anlegen zu können. Aber es war noch kein Eiter im Bauch, es würde noch alles gut gehen. Denn ich bin gut darin, End-zu-End Anastomosen anzulegen. Eine Reihe Einzelknopfnähte, eine fortlaufende Naht. In welcher Reihenfolge spielt keine Rolle. Mal mache ich es so, mal so. Unser PDS Nahtmaterial eignet sich vorzüglich dafür. Und wir haben es in allen Stärken.

Ich ging zufrieden nach Hause, die Naht sah bestens aus, in einer Woche würde der Patient wieder zurück nach Itete gehen können.

Kaum daheim angekommen, wurde ich wieder zum Krankenhaus gerufen. Augustin war tot, auf dem Weg vom OP zur Station hatte er einen Herzstillstand gehabt. Und Mtandi weiß in solchen Situationen ja einfach nicht, was er machen sollte. Er eiert dann einfach nur rum. Wie oft habe ich ihm schon erklärt, dass es keinen Sinn macht, jemanden zu beatmen, der einen Herzstillstand hat. Das man da vordringlich Herzmassage machen muss, um den Kreislauf aufrecht zu erhalten und um das Herz wieder anzuwerfen. Und ihn nebenbei beatmen muss. Aber das begreift er einfach nicht mehr.

Auch dieses Mal war Mtandi immer noch dabei, den längst toten Augustin zu beatmen.

Ich kam zu spät.

Polyphem

[14. August 2006]

Ich ging noch auf der Entbindungsabteilung vorbei, einfach so, um zu sehen, ob alles ruhig war oder ob ich gerufen werden würde. Es war später Nachmittag. Serapia und Asha hatten Dienst. Es gab eine Neuaufnahme, die ich noch nicht gesehen hatte. Fatuma hieß die Frau. Aus Nawigo. Nawigo, das kleine Dorf zwischen Lugala und Malinyi, so man den direkten Pfad durch die Felder geht.

Es war Fatumas erste Schwangerschaft. Ein Meter dreiundfünfzig groß. Kindliche Herzfrequenz 134. Keine Wehen. Sie habe zuhause mal für eine kurze Zeit Wehen gehabt. Sie war gekommen, weil sie im rechten Oberbauch Schmerzen hatte. Nichts Besonderes, schien mir, aber ich wollte trotzdem einen Blick auf sie werfen.

Mir fiel auf, dass der Bauch sich an einer Stelle vorwölbte und ich die Füße oder irgendetwas Kindliches jedenfalls durch die Bauchdecke tasten konnte. Als wäre der Uterus geplatzt. Aber wie konnte das sein, wenn Fatuma noch keine richtigen Wehen gehabt hatte? Und außerdem reißt ein Uterus im unteren Segment ein und nicht am oberen Ende!

»Ich schaue wohl besser im Ultraschall nach, was da los ist.«

Asha brachte mir die Frau zum Ultraschallzimmer. Sie hatte Fatuma aufgenommen. Und war der Uterus nun geplatzt oder war er nicht geplatzt? Sicher war die Gebärmutter an einer Stelle ganz ganz dünn; aber ob sie geplatzt war? Ich konnte mich nicht entscheiden. Und wo war das Herz? Ich fand es nicht. Ich suchte und suchte und suchte, aber ich fand einfach kein schlagendes Herz.

»Wo haben Sie es gehört?«

»Dort«, Asha zeigte mir eine Stelle links neben dem Nabel.

Ich suchte noch einmal, ich fand kein schlagendes Herz.

»Bewegt sich Ihr Kind?«

»Ja.«

»Hm.« Während der Untersuchung hatte es sich jedenfalls kein bisschen bewegt. Der Kopfdurchmesser war 90 mm.

Ich sagte zu Asha, sie solle Fatuma wieder mit zurück auf die Station nehmen und mir dort zeigen, wo sie die Herztöne gehört hatte.

Ich folgte ihr.

Asha bemühte sich, die Herztöne zu finden.

Serapia bemühte sich die Herztöne zu finden.

Vergeblich.

Na ja, wenn es tot war, war vielleicht doch der Uterus geplatzt?

»Bewegt sich Ihr Kind wirklich noch?«

»Vor zwei Tagen hat es sich bestimmt noch bewegt.«

Ich konnte mir keinen Reim aus den Befunden machen. Hatte Asha wirklich Herztöne gehört? Und wieso waren die nun einfach nicht mehr aufzufinden? »Rufen Sie das OP-Team.«

»Kann der Uterus wirklich geplatzt sein, wenn die Frau gar keine Wehen hat«, fragte mich Lenna, die die Narkose gab.

»Eigentlich nicht; aber im Ultraschall sieht es wirklich so aus, als könnte er geplatzt sein. Und das Kind scheint tot zu sein. Aber klar ist mir das alles auch nicht!«

Längsschnitt.

Bevor ich die Gebärmutter aufschnitt, tastete ich sie ab. Ja, an einer Stelle wölbte sich die Uteruswand vor und schien sie ganz dünn zu sein. Aber geplatzt war sie nicht. Na gut, dann war es eben eine Fehlentscheidung gewesen, einen Kaiserschnitt zu machen. Das kam halt vor. Oder vielleicht war es auch keine Fehlentscheidung, denn sicher wäre der Uterus an eben der Stelle gerissen, sobald Fatuma richtige Wehen bekommen hätte. Und ein geplatzter Uterus gestaltet sich sehr sehr schnell zu einem Wettlauf mit dem Sensenmann!

Querschnitt durchs untere Segment. Fruchtwasser spritzte im Strahl durch den Saal, durchnässte das Hemd von Ndali. Wir lachten. Na ja, bei so viel Fruchtwasser würde mit dem Kind irgendetwas nicht stimmen, dachte ich. Mit der rechten Hand holte ich den Kopf aus dem unteren Segment. Das Kind lebte noch! Aber es hatte nur ein Auge. Ein Kyklop! Scheiße, es lebte noch. Ein Mädchen. Es öffnete sein eines Auge. Schrie. Sehr schrill.

Tindwa durchtrennte die Nabelschnur, ich gab das Kind Serapia.

Schweigend nähte ich den Uterus wieder zu.

Schweigend ging ich später zum Entbindungszimmer.

»Lebt das Kind noch?«

»Es atmet noch«, antwortete Serapia.

Ich ging zu dem Kind hin und legte ihm eine Decke über den Kopf.

»Es ist tot«, sagte ich.

»Wir haben bei der Morgenbesprechung gehört«, sagte Claudia (die Medizinstudentin) am nächsten Morgen, »dass gestern ein Kind mit nur einem Auge geboren wurde. Stimmt das?«

»Ja«, sagte ich. Ich hatte die Morgenbesprechung wegen eines weiteren Kaiserschnittes verpasst.

»Ich dachte, so etwas gibt es nur in Büchern!«

»Was geschah dir für Leid, Polyphemos, dass du so brülltest

Durch die ambrosische Nacht, und uns vom Schlummer erwecktest?

Raubt der Sterblichen einer dir deine Ziegen und Schafe?

Oder würgt man dich selbst, arglistig oder gewaltsam?«

Der Mann, der neun Fahrräder hatte

[16. August 2006]

Es war schon ein merkwürdiger Anblick: über dem rechten Ohr schaute eine Speerspitze aus dem Kopf und über dem linken Ohr der dort abgebrochene Schaft. Ich weiß nicht, wieso der Mann noch lebte. Sie brachten ihn auf einer Trage aus ein paar kleinen Ästen. Er war natürlich bewusstlos. Er hatte nichts mehr zu sagen, er würde nie wieder etwas zu sagen haben.

Moses kannte ihn – wen kennt Moses nicht? Und Mama Chogo kannte ihn auch. Er war aus Kipingo, ihrem Dorf. Er wohnte nur ein paar Häuser weit von ihrem Anwesen entfernt. Magnus hieß er.

Sie hatten ihn erwischt, als er Reis stehlen wollte. Und der Besitzer von dem Reis hatte ihm diesen Speer durch den Kopf gerammt.

Ich erinnere mich an zwei Patienten, die auch mal wegen einer gespaltenen Rübe gebracht worden waren.

Der eine war betrunken gewesen und hatte sich irgendwo unter ein Vordach schlafen legen wollen. Da hatte der Besitzer gedacht, da komme ein Dieb und hatte ihm voll mit dem Buschmesser vor die Stirn gehauen.

Der andere: Ich glaube, den hatte ein Ehemann mit seiner Frau erwischt und das nicht lustig gefunden. Das Buschmesser war von der Nasenwurzel bis durch den Gaumen gefahren. Und wenn man den Gesichtserker vorklappte, konnte man die Mandeln sehen. Ich hatte den Oberkiefer verdrahtet und das Gesicht schichtweise wieder verschlossen. Es blieb nur eine relativ unauffällige Narbe. Die Operation hatte Spaß gemacht.

Aber dem Mann mit dem Speer durch den Kopf konnte ich natürlich nicht helfen. Da konnten wir nur warten, bis er starb.

Alle in Kipingo wussten, dass Magnus ein Dieb war. Man hatte ihn nur nie so recht erwischen können. Kipingo ist ein großes Dorf vielleicht drei Kilometer von Lugala entfernt. Ich weiß nicht, wo genau es in Njassa auf der einen Seite und Nawigo auf der anderen Seite übergeht. In Kipingo hat mal das Krankenhaus gestanden, als es noch ein Krankenhäuschen war. Irgendwo dort, bis es in einer besonders heftigen Regenzeit praktisch weggeschwemmt wurde. Anfang der fünfziger Jahre war das. Und dann wurde es eben in Lugala wieder neu gebaut. Ein kleiner Gedenkstein soll dort stehen. Man sieht es dem Dorf sofort an, dass es ein altes Dorf ist: Überall hohe Mangobäume und alte Ölpalmen. Und man sieht auch, dass es ein reiches Dorf ist: Die meisten Häuser sind aus Ziegelsteinen. Kipingo hat eine Oberschule und natürlich eine Grundschule. Ursprünglich hatte auch ›unser‹ Bischof dort seinen Sitz, bis die Diözese ihren Sitz nach Ifakara verlegte. Die große Kirche zeugt noch davon.

Dort in Kipingo wohnte Magnus also in einem recht großen Ziegelsteinhaus mit Wellblechdach. Verheiratet war er auch, aber seine Frau war nicht mitgekommen, als sie ihn jetzt mit einem Speer durch den Kopf gebracht hatten.

Wir standen rum. Es war eben ein sehr merkwürdiger Anblick.

In Ifakara hatten sie neulich einem jungen Mann der versuchte hatte, Reis zu stehlen, beide Augen ausgestochen und den Penis abgeschnitten und ihm in den Mund gestopft. Da war ein Speer durch den Kopf ja noch geradezu vorteilhaft!

Irgendwann kam die Polizei. Mit ihrem neuen weißen Landrover. Sie sahen sich Magnus kurz an.

»Den kennen wir«, sagte der dickere von den beiden Polizisten, »das geschieht dem recht so.«

Dann gingen sie wieder.

In dem Hause von Magnus wurden später neun Fahrräder gefunden. Seine Frau hatte das Weite gesucht.

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9783898968621
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