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England war nicht free and easy, England war niedergeschlagen. Die Behauptung, die Hippiekultur habe die Welt verändert, ist falsch. Man muss nur die Musik jener Tage betrachten – damals, in dem Versuch ehrwürdig zu klingen, als Rock bezeichnet. Was für ein schwülstiger, mittelmäßiger Abklatsch der Anarchie, die der Rock’n’ Roll der 50er Jahre gewesen war! Die Musikindustrie hatte nun die Kontrolle übernommen und legte alle rein. Wie konnte sich der Rock dieser Industrie auch nur eine Spur der einstigen Teenager-Revolte bewahrt haben? Es ging also darum, sich nicht nur der Musik, Mode und Kleidung der 50er Jahre zuzuwenden, sondern auch den Leuten, die diesen Stil lebten: den Teddy Boys, die in den frühen 70ern eine Renaissance erlebten. Obwohl sie sich innerhalb der traditionellen sozialen, kriminellen und territorialen Grenzen bewegten, zeichnete ihre Kleidung sie als etwas aus, das anders war: Vorboten eines neuen Zeitalters.

Die ursprünglichen Teddy Boys hatten den Schnitt des amerikanischen Gangsteranzugs oder Zoot Suits – mit seinem übertriebenen Aufwand an Stoff – auf Details übertragen, die sie bewusst von der spezialisierten Mode der Savile Row von 1948 abgekupfert hatten: Der edwardianische Look. Ursprünglich in Umlauf gebracht als eine nostalgische Beschwörung des edwardianischen Zeitalters vor dem Ersten Weltkrieg, konnte dieser exakte, ziemlich manierierte Stil auf dem anvisierten Markt nicht Fuß fassen, war aber, durch eine jener schlecht nachvollziehbaren Verschiebungen, die sich innerhalb der urbanen Kultur ereignen, in den frühen 50er Jahren zu den Londoner Kriminellen vorgedrungen und gehörte dort zum guten Ton.

An »hübschen Kriminellen« wie Colin Donellan, porträtiert in der Picture Post von 1953, wirkte er gleichzeitig brutal und gelackt. Der »Edwardian« schlug rasch ein. Da man einen Stil der Oberklasse übernahm, ging von ihm zusätzlich der Reiz aus, Bessergestellten eine lange Nase zeigen zu können. Der Edwardian war elegant, protzig und verwies auf den Beruf des Kleinkriminellen. In einer Ära, in der jeder wusste, wo er hingehörte, war die Vulgarisierung dessen, was die feinen Pinkel trugen, definitiv ein Akt des Klassenkampfes.

In den frühen 50er Jahren waren die Edwardians besessen von Kleidung, ebenso manisch wie die Mods, die ihnen folgten. Sie fanden nichts dabei, ihr ganzes Geld für eine bestickte Weste auszugeben. Als der Name in Teddy Boys und dann Teds geändert wurde, begann der Stil würdelos und primitiv zu werden – eine Entwicklung, die Colin MacInnes mit der Beschreibung der rassistischen Teds bei den Unruhen in Notting Hill Gate im September 1958 in Absolute Beginners einfing. Mit dem Auftreten neuer, coolerer Stile – dem »italienischen Look« von 1958 – verschwanden die Teds von der Bildfläche.

Aber Teddy Boys haben nie aufgehört zu existieren. Ihr ursprünglicher Entwurf war der der Arbeiterklasse, viele blieben dem Stil aus Glaubenszugehörigkeit und Klassensolidarität treu und zogen ihre Kinder in diesem Sinne groß. Gelegentlich gerieten sie ins grelle Scheinwerferlicht der Medien – als es Bill Haleys »Rock around the Clock« 1968 in die Top 20 schaffte. Oder, wie es Richard Neville mit geschärftem Blick für soziale Details in Play Power beschreibt, als Teddy Boys im Juli 1969 in der Albert Hall randalierten. Angeheizt von Chuck Berry schlugen sie Krawall, als die Who auf die Bühne kamen.


Malcolm McLaren vor der Nummer 430, Dezember 1971 (© David Parkinson)

Dies war die Sorte kultureller Kluft, die McLaren und Westwood ergründen wollten. In den frühen 70er Jahren war das zweite Teddy Boy-Revival bereits in die Gänge gekommen. Sein Mittelpunkt war der Pub The Black Raven in Bishopsgate, wo der Wirt, Bob Ackland, ein Ted der ersten Stunde, seit 1967 dem Glauben treu geblieben war. In der Jukebox befanden sich Richie Valens, Billy Riley, Carl Perkins, Elvis. In der Bar traf sich bald eine große Stammkundschaft, auf die im Herbst 1970 die Medien aufmerksam wurde.

McLaren und Westwood waren tief beeindruckt von der geckenhaften Brutalität der Teds und ihrem harten Stil, der gegenüber dem Status quo sehr subversiv erschien. Aber beide stammten als gebildete Bohemiens und Denker aus einer anderen Klasse. Es war Vivienne, die die Theorie in die Praxis umsetzte und in den Black Raven ging. Sie fand schnell heraus, dass die Teds ihre Kleidung von Hand anfertigen lassen mussten – eine kostspielige und zeitaufwendige Prozedur. Westwood hatte eine Marktlücke entdeckt. Und welcher Ort hätte besser sein können, um in diese Marktlücke hineinzustoßen als World’s End, mitten im feindlichen Territorium.

Wie ist dieses hochexplosive Paar an diesen Punkt gelangt? An schlüssige biografische Daten von McLaren und Westwood zu kommen, ist nicht einfach. Beide neigen dazu, ihre Geschichte den Erfordernissen ihrer aktuellen Projekte entsprechend umzuschreiben. Westwoods Erzählungen über das Leben, das sie und McLaren zusammen führten, sind inzwischen von dem bitteren Zerwürfnis von 1983 beeinflusst.

McLarens Darstellungen seines Lebens und seiner Gefühle sind – in der abstrakten Welt einer durch die Medien vermittelten Persönlichkeit – ein sich ständig wandelndes zur Schau-Stellen von Mythologisierungen, selektiver Wahrnehmung und scharfsinniger Selbstanalyse. Er ist durchaus in der Lage, vernichtende Selbstkritik zu üben, jedoch in solch halsbrecherischer Geschwindigkeit, dass man es für einen Anfall seiner berüchtigten Hyperaktivität hält. Mythen und Träume spielen eine große Rolle in McLarens Leben, da er es mit dem ersten Pop-Gesetz von Andrew Loog Oldham hält: »Ich glaube, dass es wahr wird, wenn man nur genug lügt.«

McLarens Phantasien oder sogar seine Halblügen sind ebenso aufschlussreich wie die Wahrheit. Da er es geschafft hat, viele seiner Phantasien Wirklichkeit werden zu lassen, lohnt es sich, ihnen Glauben zu schenken. Schließlich ist es Pop, das moderne Hollywood: der einzige Ort in der englischen Gesellschaft, an dem man sich selbst neu erfindet, wo das Anziehen einer neuen Jacke als politischer Akt gesehen werden kann. »Vergiss niemals, dass Kleidung in England das ist, was dein Herz höher schlagen lässt!« sagt er. »Es gibt ständig Versuche, die Klassenstruktur des zweiteiligen Anzugs zu durchbrechen.«

Trotz der Propaganda für Klassenlosigkeit – ob im 60er Jahre-Modell der Popkultur oder dem unternehmerischen Modell der 80er Jahre – ist England eine ausgesprochen statische Gesellschaft, mit einer extrem auf Distanz bedachten herrschenden Klasse und einer sehr engen Definition dessen, was als akzeptabel gilt. Wenn man aus irgendeinem Grund aus dem System herausfällt, wird man marginalisiert. Pop – eine eigentlich marginale Industrie – ist ein Ort, an dem sich Träumer und Unangepasste aller Klassen treffen, um, wenn schon nicht die Welt, dann wenigstens ihre eigene Welt zu verändern.

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Malcolm McLaren, ca. 1950

(© Stuart Edwards)

Das Ideal der Kindheit kommt in McLarens Aussagen ständig vor: Ob im Off-Kommentar für seinen geplanten Film über die Oxford Street, in seinem Album »Fans« von 1984 oder auch in Form der Figur, auf die er seine Phantasien projizierte, Sid Vicious, den er ins Zentrum des Popmythos stellte. Die Ideen waren nicht neu. Sie existierten während McLarens Studienzeit im Underground, in der radikalen Psychologie und den Popsongs jener Tage.

Das Besondere an ihnen ist die Intensität, mit der McLaren sie verfolgte; das hat sehr viel mit seiner eigenen Lebensgeschichte zu tun. Geboren am Rand der Gesellschaft, aufgewachsen zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen und einer bizarren Kindheit ausgesetzt, hat er als gesellschaftlicher Außenseiter seine Rache inszeniert.

McLaren wurde am 22. Januar 1946 geboren, als jüngerer Sohn von Peter McLaren, einem schottischen Ingenieur, und Emily Isaacs, die aus einer stolzen jüdischen Familie stammte. Das Paar trennte sich nach nur achtzehn Monaten. Nach einem letzten Treffen mit seinen beiden Söhnen 1948 wurde Peter McLaren von Emily und ihrer mächtigen Familie »aus der Geschichte getilgt«. Es war, als hätte er nie existiert. Malcolm brauchte vierzig Jahre, einige Psychotherapien und einen Privatdetektiv, bevor er 1989 seinen Vater fand. »Er lebt in Romney Marsh«, sagt McLaren, »direkt an der Old Romney Church. Er hatte sechs Ehefrauen und sieht jetzt aus wie W.H. Auden auf einem der Bilder gegen Ende seines Lebens. Ich habe eine andere Familie, von der ich nie wusste, dass es sie gab. Als ich das letzte Mal in England war, traf ich meine Halbschwester und meinen Halbbruder, der Dozent am King’s College in Cambridge ist.«

Die Trennung war ein einschneidendes Ereignis für McLaren und seinen Bruder. »Ich war sehr wütend und aufgebracht«, sagt Stuart Edwards, der den Nachnahmen seines Stiefvaters angenommen hat.

»Ich schleppe diese Dinge heute noch mit mir herum.« Die Brüder stehen ihrer Mutter bis heute ablehnend gegenüber. »Sie hat uns verletzt«, sagt Stuart. »Sir Charles Clore hatte eine großartige Beziehung zu meiner Mutter; warum weiß ich nicht. Sie trafen sich heimlich im Hotel du Paris in Monte Carlo, dann heiratete sie meinen Stiefvater Martin Levi, der später seinen Namen in Edwards änderte, und sie änderte ihren Taufnahmen in Eve. Er war natürlich Jude, was ihn annehmbar machte, aber meine Großmutter mochte ihn nicht. Er war sehr beschränkt, aber clever genug, um eine Konfektionsfabrik zu eröffnen, Eve Edwards Limited, ein ziemlich großes Unternehmen. Es passiert vielen Leuten, aber meine Mutter hat niemals Zeit mit ihren Kindern verbracht. Sie ging los, kümmerte sich um ihre Karriere und ließ uns in den Fängen unserer Großmutter, die uns, wie mir später klar wurde, ihre Werte aufdrückte. Was auf jeden Fall sehr merkwürdig war. Wir haben eine Generation verpasst. Wir wurden von einer Frau groß gezogen, die ihre Kindheit im viktorianischen Zeitalter verbracht hatte. Ich hielt meine Großmutter für eine komplette Idiotin. Sie betete Malcolm an, mich mochte sie nicht besonders. Sie sah in mir das Spiegelbild meines Vater, der ihr Leben durcheinander gebracht hatte. Ich war meinem Vater sehr ähnlich, während Malcolm das Ebenbild seiner Großmutter war. Die Manieriertheit, alles. Sie war eine sehr merkwürdige Frau, eine Exzentrikerin. Sie wollte Schauspielerin werden und nahm Sprechunterricht, daher redete sie sehr affektiert. Während des Ersten Weltkriegs machten sie und ihre andere Schwester, die recht hübsch war, mit Offizieren herum; sie war eine Bohemien und hatte merkwürdige Freunde.«

Rose verwöhnte den jungen Malcolm. »Sie brachte mich dazu, jede althergebrachte Sichtweise zu hinterfragen, weil es das war, was sie gerne gemacht hätte«, sagt er. »Ich glaube Stuart muss sich sehr schlecht gefühlt haben, weil ich mit Aufmerksamkeit überhäuft wurde und er nicht. Aber mir war es nie erlaubt, zu spielen oder Freunde zu haben. Ich musste zu Hause bleiben. Er durfte Amok laufen, weil er ihr egal war. Wir hatten keine Ahnung, was eine Familie ist. Aber meine Großmutter hatte eine so starke Welt aufgebaut, dass ich existieren konnte, indem ich mir auf dieselbe Weise meine eigene Welt schuf.«

Die Brüder kamen 1954 auf die William Patton Schule in Stoke Newington. Malcolm hielt es einen Tag lang aus: »Ich war ein widerspenstiger kleiner Kerl. Ich konnte nicht verstehen, warum die Schule so voller Regeln und Gesetze war.« Er wurde dann von einem Privatlehrer unterrichtet. Als die Edwards anfingen, Geld zu machen, zogen sie raus nach Cheyne Walk in Hendon und schickten Stuart und Malcolm auf eine jüdische Privatschule, die beide hassten. Stuart wurde mit fünfzehn rausgeworfen, während Malcolm ein Gymnasium besuchte.

Malcolm merkte bald, dass sein schlechtes Benehmen für Aufmerksamkeit sorgte und bei seiner Großmutter auf Zustimmung stieß: »Sie schrieb diese wunderbaren Briefe an den Direktor, die immer mit dem Satz endeten: ›Jungs sind eben Jungs‹. Ich konnte mir alles erlauben. Ich war ein solcher Snob, weigerte mich, irgendeiner Autorität zu gehorchen und irgendetwas zu lernen.«

Eine Zufluchtsmöglichkeit war die Popkultur, die nun aus Amerika herüberschwappte. »Der erste Pop, den wir im Haus hatten, war Bill Haley and the Comets«, sagt Stuart. »Vorher gab’s Frank Sinatra und Bing Crosby, dann kam plötzlich diese wilde Musik auf. Ich interessierte mich nicht wirklich für die Samtkragen und die langen Jacketts, die die Teddy Boys trugen; ich mochte die Kreppschuhe und die Röhrenhosen und die italienischen Box-Jacketts mit kleinem Kragen und drei Knöpfen.«

»Stoke Newington, Clissold Park und Stamford Hill waren sehr schöpferische Orte, an denen man sich aufhalten konnte«, setzt Malcolm hinzu, »weil sich dort die ersten Teddy Boys herumtrieben, und in Tottenham, das in der Nähe war, gab es einen riesigen Tanzsaal: The Royal, wo ordentlich Rock’n’Roll abging. Ich erinnere mich oft daran, dass ich auf dem Weg zur Schule die Straße überquerte. Weil ich auf eine jüdische Schule ging, trug ich eine Kappe. Die Teddy Boys kamen auf einen zu und steckten ihre Hände in ihre Jacketts, als wollten sie andeuten, dass sich etwas Gefährliches darin befände. Ich war immer zu Tode erschrocken.«

Diese Viertel waren territorial strikt abgegrenzt, städtisch genug, um noch zum Großstadtkern zu gehören, aber nicht arm genug, um Ghetto zu sein: Englischer Pop war ein Produkt relativen Wohlstands. Randgebiete, wie diese Londoner Viertel, versprachen die Illusion von Veränderung. »Sich zurechtmachen war schon immer ein wichtiger Bestandteil des Ausgehens«, erinnert sich McLaren. »Meine Eltern hatten immer mit Mode zu tun, und ich wurde ständig von meinem Bruder inspiriert. Jeden Samstagabend besetzte er das Badezimmer und man konnte nicht hinein, egal wie dringend es war.«


Rose Isaacs (mitte) und Emily Edwards (rechts) um 1950 (© Stuart Edwards)

Nachdem er 1961 die Schule mit der Mittleren Reife verlassen hatte, sah sich Malcolm mit dem Problem konfrontiert, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Seine Mutter überredete ihn, einen Job bei Sandeman’s, dem Weinhändler in Piccadilly anzunehmen. Es folgten noch die verschiedensten Jobs, aus denen er sich grundsätzlich feuern ließ. Im Herbst 1963 belegte Malcolm einen Abendkurs im Aktzeichnen in der St Martin’s School of Art in der Charing Cross Road, aber seine Mutter erhob Einspruch gegen die Nackten, also wechselte er, noch immer unter der Knute seiner Familie stehend, zu 3D-Design und Grafik. Im Herbst 1964 begann er einen Diplom-Studiengang. Vorher kam es jedoch zum Bruch mit seinen Eltern.

»Die Anti-Establishment-Seite in ihm kam zum Vorschein«, sagt Stuart. »Er verbrachte viel Zeit in einem Club namens The Witches Cauldron in Hampstead, ein Treffpunkt für Beatniks, Bohemiens und Subversive. Dann gammelte er in der Welt herum und schlief auf Bänken. Meinen Eltern war das alles zuviel. Wie alle jüdischen Eltern dachten sie an Arzt oder Rechtsanwalt. Ihre Kunden waren das Wichtigste in ihrem Leben. Es waren jüdische Männer mit Geschäften oben im Norden, und sie erzählten: ›Mein Sohn hat seine Zulassung als Anwalt bekommen. Und was macht Ihr Sohn?‹ Meine Eltern sagten dann: ›Einer arbeitet in einem Männerbekleidungsgeschäft.‹ Das war ich. Malcolm hatte SCHWARZE FREUNDE! Er trieb sich mit allerlei Gesindel herum. Er wurde in Südfrankreich wegen Vagabundierens verhaftet. Wie hätte meine Mutter, die sich doch in Monte Carlo mit Charles Clore vergnügt hatte, das tolerieren sollen? Also verstieß sie ihn. Die einzige Verbindung zur Familie lief über die Großmutter, und das waren geheime Treffen. Sie bedeuteten immer, dass er in der Klemme steckte und Geld brauchte, und sie gab ihm Geld. Das ging so weiter, bis er schließlich bei Vivienne Westwood seinen Platz gefunden hatte.«

»Ich habe eine Art eingebaute Perversion«, sagt Vivienne, »eine Art eingebaute Uhr, die stets auf alles Orthodoxe reagiert.« Persönlich kann Vivienne Westwood zielstrebig bis zur Besessenheit sein. Verbal verhält sie sich ähnlich wie McLaren, ändert oft mitten im Satz ihre Meinung. Ihrer Logik kann man nur schwer folgen, aber sie macht nach einer Weile durchaus Sinn. Oft erklärt sich ihr Verhalten durch ihre aktuellen Projekte. Hinter ihrer offensichtlichen Schüchternheit hat sie sehr klare Ansichten von der Welt, und sie ist verwirrt, wenn Leute sie nicht teilen.

Das ist der ihr eigenen moralischen Autorität geschuldet – eine Mischung aus radikaler Gewissheit und einem Klassenbewusstsein, das der kleinlichen, polarisierenden Überzeugung einer Mrs Thatcher entspricht. Im April 1989 posierte Westwood in »verblüffender Ähnlichkeit« mit Mrs Thatcher auf dem Cover des Tatler. Westwood und Thatcher sind Spiegelbilder desselben nationalen Archetyps, ein Eindruck, der durch Viviennes Faszination von der Königin als nationalem Symbol – sowohl negativ (1977) wie positiv (1987) – bestätigt wird. Als Modedesignerin hat Westwood immer Wert darauf gelegt, dass ihre Kleidung einen Bezug zur englischen Psyche hat.

Geboren am 16. April 1941 war Vivienne das erste Kind von Gordon und Dora Swire und wuchs in Hollingworth, einem kleinen Dorf in der Nähe von Snake pass in Derbyshire auf. Ihr Großvater war sehr jung gestorben, und ihre Großmutter führte ihr ganzes Leben lang einen Gemüseladen. Dora (geborene Ball) war Weberin in einer Baumwollspinnerei und heiratete während des Krieges Gordon Swire, der Flugzeugmunition herstellte. Nach dem Krieg führten sie die Postfiliale in Tintwistle und zogen schließlich in den späten 50er Jahren nach Harrow.

Vivienne hatte eine behütete Jugend, geprägt vom calvinistischen Beharren auf harter Arbeit. »Meine Eltern waren nicht ungebildet«, sagte sie 1990, »beide waren sehr helle, clevere Menschen mit großem Unternehmungsgeist.« Alle drei Kinder der Swires – Vivienne, Olga (1943 geboren) und Gordon (1946 geboren) – bekamen eine höhere Ausbildung an Kunsthochschulen und Universitäten, wenngleich Viviennes Weg nicht so geradlinig verlief wie der ihrer Geschwister.

Nachdem sie die Schule verlassen hatte, arbeitete Vivienne als Aushilfe in einer Erbsenfabrik im Ort. Sie trug bereits sehr individuelle Kleidung und hatte Gefallen an einem Nachtleben gefunden, das im Juli 1962 zu einer Ehe mit Derek Westwood führte. »Mein Vater leitete mit seinem Bruder und ein paar Freunden Clubs in verschiedenen Orten,« erzählt ihr Sohn Ben Westwood. »Meine Mutter kümmerte sich um die Garderobe, mein Onkel stand an der Tür. Sie heirateten, bekamen mich und ließen sich 1966 wieder scheiden.«

Bevor Ben geboren wurde, hatte sich Vivienne in die Harrow Art School eingeschrieben, um das Silberschmiedhandwerk zu studieren, brach aber nach einem Semester wieder ab. Ihre eigentliche Liebe galt der Malerei. Nachdem sie in einer Fabrik gearbeitet hatte, um sich die Sekretärinnenschule zu ermöglichen, wollte sie Lehrerin werden. Nach einer Weile am St. Gabriels Teacher Training College in Camberwell verließ sie Derek Westwood und kehrte 1965 mit Ben nach Harrow zurück.

In dieser Zeit traf sie Malcolm McLaren und begann laut Fred Vermorel, ernsthaft zu arbeiten. Westwood behauptet etwas anderes. McLaren interessierte sich mehr für sich selbst und seine romantische Vorstellung von Kunst als Lebensweise: Bei seiner starken Bindung an die Großmutter war er mit 20 noch immer Jungfrau. 1966 schrieb er sich an der Schauspielschule ein, nahm dort Klavierstunden und studierte die Musik Bartóks. Malcolm begegnete Vivienne in einem von Dereks Nachtclubs.

»Ich teilte mir ein Haus mit einem Freund aus Harrow«, erzählt er, »mit Viviennes Bruder Gordon Swire und einem Haufen Amerikaner, die sich vor dem Wehrdienst drücken wollten und alle auf die Filmschule gingen. Vivienne lief ihrem Ehemann davon und lebte bei uns, sehr zu meinem Entsetzen, weil ich die Vorstellung verabscheute, Mädchen in diesem Haus wohnen zu lassen. Es waren nur Jungs, und so weit es mich betraf, würde es mit Mädchen fürchterlich unanständig aussehen. Ich trieb ihr Tränen in die Augen, und sie hatte dieses kleine Kind, das ich hasste und das ich ebenfalls zum Weinen brachte. Ich hatte sie beinahe überredet, wieder zu gehen, aber wegen ihrer nordischen Sturheit beschloss ich stattdessen, so zu tun als sei ich krank. Ich war neugierig darauf, im Bett einer Frau zu liegen, obwohl ich einundzwanzig war. Gott weiß, warum ich nicht schon vorher dran gedacht hatte. Ich beschloss, es mit Vivienne zu versuchen. Ich hatte das Gefühl, mit einer Lehrerin im Bett zu liegen, und das war sie auch. Diese ganze Vorstellung, dass ein verwöhnter Racker mit einer Lehrerin ins Bett geht, hatte etwas harmlos Perverses.«

Westwood war auf keinen Fall an einer Beziehung gelegen und über Malcolms pubertäres Benehmen etwas pikiert. Obwohl er nur fünf Jahre jünger war als sie, schien er manchmal wie ein Kind zu sein, besonders wenn Eifersucht ins Spiel kam. McLaren konnte seine Gefühle überhaupt nicht kontrollieren. Vivienne wurde bald schwanger. Ihr Sohn Joseph wurde 1967 geboren.

Nach der Geburt ging Vivienne eine emotionale Beziehung mit Malcolm ein. »Sie war warm und in gewisser Weise praktischer, mütterlicher und beständiger, und ich glaube, das waren die Eigenschaften, die Malcolm anzogen«, sagt Robin Scott, der 1969 mit den beiden zusammenlebte. »Die einzig stabile Verbindung, die er zu haben schien, die einzige Person, der er vertraute, war seine Großmutter. Vivienne half ihm, von dieser merkwürdigen Beziehung wegzukommen.« Bevor er sich zu Vivienne bekannte, experimentierte Malcolm mit einer Vielzahl Kostüme, Situationen und künstlerischer Stile. Im Kontext der Kunsthochschule war seine Exzentrik akzeptabel, wurde sogar geschätzt, aber keine dieser Aktivitäten war zielgerichtet. Vivienne stellte mit ihrem Beharren auf harte Arbeit und mit ihrer extremen Hingabe an ihre Überzeugungen, deren nicht Unerheblichste zu Beginn Malcolm selbst war, das Rückgrat dar. Sie selbst trat in seine Phantasiewelt ein: Ihre Stärke versetzte beide in die Lage, Phantasien Wirklichkeit werden zu lassen. Aber ihre Partnerschaft war immer durch Malcolms Ruhelosigkeit geprägt. »Ich habe das erste Mädchen gebumst«, sagt Malcolm, »sie geschwängert, und es endete damit, dass ich fünfzehn Jahre mit ihr zusammenlebte. Ich bin zwar zur Ruhe gekommen, aber ich habe es nicht zugelassen, dass mich die Normalität überwuchert. Ich habe wenigstens auf meine beschissene Weise eine Umgebung geschaffen, in der ich mich ausleben konnte. Ich habe es versucht.«


Zeichnung von Malcolm McLaren, Oktober 1969 (© Malcom McLaren)

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9783862871759
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