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2. DER GENERISCHE GENOSSE

Angesichts der aktuell heftig, vor allem im globalen Norden politisierten Identitäten dürften manche zu bedenken geben, die Chiffre Genosse ignoriere Geschlecht wie Abstammung gleichermaßen und transportiere eine männliche, weiße Gedankenwelt. Dieses Kapitel greift die damit verbundenen Fragen auf und verweist auf die Macht des Konzepts Genosse unter den Bedingungen des patriarchal-rassifizierten Kapitalismus. Ich werde spekulativ-synthetisch vorgehen und ziele weder auf eine lineare Geschichtsschreibung noch auf eine detaillierte Kritik der verschiedenen, real existierenden Sozialismen. Stattdessen isoliere ich Beispiele aus ihren Zusammenhängen und berge sie auf diese Weise für gegenwärtige Kämpfe um eine andere Zukunft. Anstatt in den Ruinen des Kommunismus zur Salzsäule zu erstarren, können wir die Ruinen nach den Hoffnungen und Lektionen der Vergangenheit durchstöbern und diese Überreste nutzbringend verwenden für unseren Organisations- und Aufbauprozess.

Die Genossin

Kommen wir zunächst zum Männlichkeitsvorwurf: Obwohl er in den Publikumsgesprächen meiner Veranstaltungen häufig formuliert wird, halte ich die Idee für befremdlich, dass nur ein Mann Genosse sein kann. Ich denke sofort an: Rosa Luxemburg, Angela Davis, Alexandra Kollontai, Claudia Jones, Clara Zetkin, Sylvia Pankhurst, Dolores Ibárruri, Zhang Qinqiu, Marta Harnecker, Grace Lee Boggs, Leila Khaled, Luciana Castellina, Tamara Bunke … Zumindest einige dieser Namen dürften bekannt sein. Sie waren Frauen, und sie waren Genossen. In ihrem Klassiker Rassismus und Sexismus zählt Angela Davis einige der Aktivistinnen auf, die in den frühen Jahren der CPUSA aktiv waren: »›Mutter‹ Ella Reeve Bloor, Anita Whitney, Margaret Prevey, Kate Sadler Greenhalgh, Rose Pastor Stokes und Jeanette Pearl«.44

Wenn die Chiffre des Genossen weder hauptsächlich noch wesentlich männlich ist – sondern vielmehr generisch, typisch ist und die Form eines politischen Verhältnisses zwischen Menschen auf derselben Seite darstellt, die von gesellschaftlich vorgefundenen oder naturalisierten Identitäten abstrahiert, insofern sie ein gemeinsames Feld der Gleichstellung und Zugehörigkeit voraussetzt –, dann sind individuelle Namen (wie ich sie eben aufzählte) dafür wohl aber nicht das beste Argument. Dem individuellen Namen fehlt das für »Genosse« entscheidende Element der Relationalität. Eine bessere Entgegnung auf die Bedenken, »Genosse« sei männlich und abstrahiere faktisch nicht von gesellschaftlich vorgefundenen Identitäten, käme auf die vielen Frauen zu sprechen, die weltweit Teil des bewaffneten kommunistischen Kampfes waren und heute noch sind – etwa auf den Philippinen und in Indien, wie Arundhati Roy in ihrem Buch Wanderung mit den Genossen beschreibt.45 Noch überzeugender wird das Plädoyer gegen eine maskulinistische Verengung von »Genosse« vielleicht, wenn wir uns die große Bandbreite der Frauengruppen und -veranstaltungen in Erinnerung rufen, die im 20. Jahrhundert für kommunistische Kreise weltweit ebenso unabdingbar waren wie die unzähligen Kommissionen, Ausschüsse, Konferenzen und Veröffentlichungen zur Organisierung der Frauen. Die erste internationale sozialistische Frauenkonferenz beispielsweise fand 1907 statt. Alexandra Kollontai berichtet, das Hauptthema dieser lebendigen, dynamischen Konferenz sei das Arbeiterinnenwahlrecht gewesen, das sie befürwortet habe. Die Delegation der deutschen Genossinnen schlug vor, die Sozialdemokratie solle die Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht um den Zusatz »ohne Unterschied des Geschlechts« ergänzen – denn dieses Recht hatten auch die männlichen Arbeiter in Europa noch nicht überall errungen. Die Forderung war umstritten. Kollontai bemerkt, »das Bewußtsein von der Wichtigkeit der politischen Gleichberechtigung der Proletarierinnen für die Interessen der gesamten Klasse hat sich noch nicht fest und sicher verwurzeln können.«46 Folglich könnten opportunistische Kompromisse zugunsten des allgemeinen Männerwahlrechts das Arbeiterinnenwahlrecht zurückstellen – zulasten der Klasseneinheit und eines größeren Stimmengewichts der Arbeiterklasse. Auch könnte, wie es in der britischen Suffragettenbewegung der Fall war, im starken Einsatz für die Fraueninteressen der Klassenkampf aus dem Blick geraten. Die Sozialisten müssten sich für das Arbeiterinnenwahlrecht einsetzen, erklärte Kollontai und zeigte sich zuversichtlich, dass die Erlangung des Frauenwahlrechts auch den männlichen Arbeitern und allen Frauen zugutekommen werde.

Wie Lenin in einem Gespräch mit Clara Zetkin nachdrücklich zum Ausdruck brachte, können Frauen ebenso Genossen sein, auch wenn er den Gedanken zurückwies, die Kommunistische Partei solle eine eigenständige Frauenorganisation aufstellen. Seine Haltung zur Frauenfrage deckt sich mit seiner Position zur Organisierung der verschiedenen Nationalitäten in Russland. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) wurde als Partei für das gesamte Proletariat gegründet, und im Jahr 1913 erläuterte Lenin, die Verhältnisse in Russland verlangten

unbedingt von der Sozialdemokratie den Zusammenschluß der Arbeiter aller Nationalitäten in ausnahmslos allen proletarischen Organisationen (den politischen, gewerkschaftlichen, genossenschaftlichen, den Bildungsorganisationen usw. usf.). Nicht Föderation im Parteiaufbau, nicht Bildung nationaler sozialdemokratischer Gruppen, sondern Einheit der Proletarier aller Nationen in jedem Ort. Dabei soll die Propaganda und Agitation in allen Sprachen des in den betreffenden Orten lebenden Proletariats betrieben, der Kampf der Arbeiter aller Nationen gegen nationale Privilegien gleich welcher Art gemeinsam geführt werden, sollen die örtlichen und Gebietsorganisationen der Partei Autonomie genießen.47

Dasselbe Prinzip wandte Lenin auf die Frauenfrage an und sagte: »Wer Kommunistin ist, gehört als Mitglied in die Partei wie der Kommunist. Mit gleichen Pflichten und Rechten. Darüber kann es keine Meinungsverschiedenheit geben.«48 Gleichzeitig hielt er Kommissionen sowie »besondere Agitationsmethoden und Organisationsformen« für notwendig, deren Aufgabe es sei, die Arbeiterinnen, Kleinbäuerinnen und Kleinbürgerinnen zu wecken und mit der Partei zu verbinden. Für notwendig hielt er es auch, dass die Partei »Forderungen zugunsten der Frauen« aufstelle.49 Durch solche Forderungen demonstriere die Partei, dass sie die von Frauen erlittenen Demütigungen wahrnehme, dass sie das »Vorrecht des Mannes« begreife und verabscheue: »Daß wir alles hassen, jawohl, hassen und beseitigen wollen, was die Arbeiterin, die Arbeiterfrau, die Bäuerin, die Frau des kleinen Mannes, ja in mancher Beziehung sogar auch die Frau der besitzenden Klassen drückt und quält.«50

Dass Genossen auch Frauen und Frauen auch Genossen sind, wird ebenfalls klar, wenn wir uns die changierenden Ansichten zu Geschlechterrollen und Familienbild in Erinnerung rufen, die der Begriff »Genosse« transportiert hat. Einerseits haben wir die frühsowjetischen Experimente zur Abschaffung der bürgerlichen Familien- und Sexualnormen und zum Aufbau neuer, egalitärer Beziehungen im Geiste der Genossenschaftlichkeit und Solidarität. Genossenschaftlichkeit bedeutet hier, durch die Vergesellschaftung der Aufgaben sozialer Reproduktion diejenigen Praktiken abzuschaffen, die Frauen zu Menschen zweiter Klasse machen. Andererseits lässt sich auf die Jahre der amerikanischen Volksfront verweisen, in denen die Kernfamilie sowie die pädagogische Mutterrolle der Frauen und insbesondere deren Fähigkeit in den Vordergrund gestellt wurden, eine neue Generation klassenbewusster Kommunisten aufzuziehen.51 Wie die Kommunistische Partei der Sowjetunion, so vollzog auch die CPUSA Ende der 1930er-Jahre eine konservative Wende und distanzierte sich von ihrer Kritik der bürgerlichen Familie und ihrem Image als Fürsprecher der freien Liebe.52 Der damalige Mutterkurs der CPUSA hinderte Kommunistinnen jedoch nicht daran, chauvinistische Ehemänner zur Verantwortung zu ziehen. Zumindest »ein männlicher Kommunist wurde aus der Führungsriege entfernt, weil er die Mitwirkung an der Kinderbetreuung verweigerte«, wie Barbara Foley belegt.53 Auch wenn ihre Stärken und Rollen Unterschiede aufwiesen, in der Partei waren Männer und Frauen Genossen und konnten Gleichberechtigung durchaus erwarten. Übrigens attestiert auch die Populärkultur des Kalten Krieges, dass der Genosse nicht notwendigerweise männlich ist: Filme, Fernsehsendungen, Groschenromane, Zeitschriften und die Werbung kolportierten Stereotypen, die sich über die Androgynität der Genossinnen lustig machten, aber auch die fantasmatische Vorstellung verbreiteten, attraktive KGB-Agentinnen würden ihre Reize einsetzen, um gute Amerikaner zum Verrat an ihrer Regierung zu verführen.

In seiner Beschreibung der revolutionären Linken in den 1930er-Jahren hebt Murray Kempton die Genossinnen besonders hervor:

Die Erinnerung an die Dreißiger wird überragt von der Frau Genossin: Sie schien aus Fischbein gemacht und oft stärker als der Mann. Wenige von uns, die wir nicht so stark waren, wie wir es damals hätten sein müssen, werden jemals den Augenblick vergessen, in dem uns ein Racheengel, Agentin der Bewegung, zur Rede stellte und unserer Pflichten gemahnte, wie die ältere Schwester, die uns zum Essen ruft.54

Wie aus Kemptons Worten klar hervorgeht, waren Frauen zwar Genossen, aber die kommunistischen Männer wandten sich deswegen noch nicht mit besonderer Aufmerksamkeit gegen sexistische Stereotype. Dennoch verpflichtete sich die Partei zum Kampf für die Gleichstellung der Frau und schuf damit einen Raum für radikale Aktivistinnen. Im Laufe der 1930er-Jahre stieg der Frauenanteil in der CPUSA auf vierzig Prozent.55 1944 sollten sie gleich stark vertreten sein.56 Schwarze Frauen im Gefüge wie im Umfeld der Partei – etwa Claudia Jones, Esther Cooper Jackson, Louise Thompson Patterson, Thyra Edwards, Marvel Cooke und Ella Baker – arbeiteten aktiv daran, antifaschistische und antirassistische Kämpfe zu verknüpfen und das Augenmerk der Partei auf die spezifischen Formen der Unterdrückung und Benachteiligung zu lenken, die schwarze Frauen erfuhren. In einem Artikel von 1936, der in der kommunistischen Parteizeitschrift Woman Today erschien, theoretisiert Louise Thompson Patterson die dreifache Ausbeutung schwarzer Frauen: »als Arbeiter, als Frauen und als Schwarze«.57 Claudia Jones sollte diese Theorie in den späten 1940ern weiterentwickeln. Jones’ Aufsatz »Schluss mit der Vernachlässigung der Probleme der schwarzen Frau!« (vor ihrer Verhaftung und Ausweisung kraft des Smith Act veröffentlicht) hat – so führt Erik S. McDuffie aus – »das Denken in der CPUSA über Rasse, Geschlecht und Klasse tiefgreifend beeinflusst« und führte in den Parteipublikationen zu einer Reihe von Artikeln über die dreifache Ausbeutung schwarzer Frauen.58

Im Anschluss an Friedrich Engels’ Analyse zum Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates vertrat die CPUSA die Auffassung, die Unterordnung der Frauen unter die Männer sei weder ein natürliches noch ein universelles Phänomen, sondern eine Folge der Ausbeutung.59 Margaret Cowls 1935 erschienene Schrift »Frauen und Gleichheit« (Teil einer Reihe über Frauen, die die Partei in den 1930ern veröffentlichte) umreißt den Zusammenhang zwischen Privateigentum und Unterdrückung der Frau:60 Als die Männer das Eigentum privatisierten, verloren die Frauen ihre Freiheit und gerieten mittels der Institution der Ehe unter die Kontrolle der Männer. Obwohl sie den Männern ihrer Klasse nicht gleichgestellt und von ihnen abhängig seien, profitierten bürgerliche Frauen insofern von der Ausbeutung, als sie über Bedienstete verfügten. Die Arbeiterfrauen seien vom Lohn abhängig, die fortschreitende Industrialisierung ersetze die Heimproduktion und entwerte damit ihre Kunstfertigkeit, während der Fabrikakkord ihre Ausbeutung verstärke. Erwerbstätige Frauen, deren Anteil unter den Ehefrauen Cowl auf annähernd 46 Prozent (und im Süden auf bis zu 70 Prozent) schätzte, stünden vor einer Reihe besonderer Herausforderungen: die Propaganda, mit der Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt werden sollten (folglich Angst um den Arbeitsplatz, was ihre gewerkschaftliche Organisierung erschwerte); die unternehmerseitige Instrumentalisierung der weiblichen »Zuneigung zu ihren Familien«, dadurch Deckelung der Löhne; die gesetzliche Festschreibung niedrigerer Löhne für weiße und noch niedrigerer Löhne für schwarze Frauen; der fehlende Mutterschutz, mit dem Frauen auch nach der Schwangerschaft ihren Arbeitsplatz hätten behalten können; die »teuflischen Gesetze gegen Geburtenkontrolle«, welche die Frauen den »Schwarzmarkt- und Schmugglerpreisen für Informationen zur Geburtenkontrolle« auslieferten; und die Plackerei der Hausarbeit.61 Um diese Herausforderungen anzugehen, setzte sich die Kommunistische Partei ein für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Mutterschutz, die »Abschaffung des Verbots der Geburtenkontrolle«, kostenfreie Kinderbetreuung für erwerbstätige Mütter, »kostenfreie Kliniken zur Geburtenkontrolle« und für die Abschaffung von Gesetzen, die Frauen diskriminierten.62 Für weiße Frauen, schließt Cowl, sei es absolut notwendig, auch für die Gleichberechtigung schwarzer Frauen zu kämpfen und die Befreiung der Schwarzen zu unterstützen.

Kate Weigands Roter Feminismus korrigiert einige der Fehleinschätzungen über die CPUSA, die in den USA im Laufe der Achtziger in feministischen Kreisen weite Verbreitung fanden und noch heute kolportiert werden.63 Sie dokumentiert die Kontroverse um das Parteimitglied Mary Inman, deren 1940 erschienenes Buch Zur Verteidigung der Frau64 in einer Parteiveröffentlichung von 1941 kritisiert worden war und die es sich in der Folge zur Lebensaufgabe machte, eine Veränderung der Parteianalyse zur Frauenfrage zu erzwingen. Weigand unterstreicht, dass ein Großteil von Inmans Buch die Parteiposition der 1930er-Jahre widerspiegelte, aber auch neue Gedanken entwickelte, die die Partei später übernahm – insbesondere zum Einfluss kultureller Normen und Praktiken, zur Rolle der Familie in der Vermittlung von Geschlechternormen und zur Unterjochung in Gestalt der Schönheitspflege.65

Zur Verteidigung der Frau unterbreitete auch eine neue Theorie der Hausarbeit als gesellschaftlich produktiver Arbeit. Hausfrauen produzierten, so paraphrasiert Weigand, »die Arbeitskraft gegenwärtiger und künftiger Arbeitergenerationen«.66 Sie leisteten diese Arbeit »für Kapitalisten, die diese vermittels der Löhne ihrer Ehemänner bezahlen«.67 Inmans Buch wurde im Daily Worker positiv besprochen. Die Schulungszentren der Kommunistischen Partei verwendeten es in ihren Kursen. Inman wurde beauftragt, an einer Arbeiterschule in Los Angeles zu unterrichten. In der Partei wurden ihre Argumente diskutiert. Der Konflikt brach offen aus, als die Vertreter der kalifornischen Parteiführung Eva Shafran und Al Bryan »in Inmans Klasse kamen und ihren Schülern erklärten, dass, entgegen der Worte ihrer Lehrerin, Hausarbeit keine produktive Arbeit ist.«68 Inmans Kurs wurde abgesetzt, und sie begann mit Eingaben entlang der Parteihierarchie. Ein Treffen mit Mitgliedern der Landesleitung, darunter Elizabeth Gurley Flynn und Ella Reeve »Mutter« Bloor, ging gründlich schief: Nicht nur wies die nationale Leitung Inmans Sicht auf die Hausarbeit (aus taktischen wie aus theoretischen Erwägungen) zurück, sondern man warf ihr auch vor, dickköpfig zu sein, Andersdenkende persönlich anzugreifen und sich selbst in der Messiasrolle zu sehen.69

Dennoch betrachtete die Partei Inman als eine Genossin. Weigand zitiert aus einem Brief, in dem Bloor eine Freundin bittet, »Mary Inman [zu] zeigen, dass wir ehrliche und aufrechte Genossen sind und wirklich versucht haben, in den Vorschlägen auf einen ›gemeinsamen Nenner‹ zu kommen, damit sie nicht verbittert und verärgert nach Hause fahren muss«.70 Auch Flynn wandte sich hilfesuchend an Parteigenossen, sie mögen Inman davon überzeugen, die Kontroverse ruhen zu lassen und Wege zu finden, um »in unserer Partei nützlich und glücklich« zu werden.71 Doch Inman wollte nichts weniger als die vollumfängliche Anerkennung ihrer Auffassung durch die Partei. Die sollte sie nicht bekommen. Stattdessen veröffentlichte die Theoriezeitschrift der Partei, The Communist, eine Kritik an dem Gedanken, Hausarbeit sei produktive Arbeit, auch wenn man Inman nicht namentlich erwähnte. Deren Autor, Avram Landy, erklärt, dass Hausarbeit natürlich nützliche Arbeit, der Marxismus-Leninismus jedoch keine Theorie der Nützlichkeit für das kapitalistische System sei, sondern eine Theorie der Ausbeutung der Arbeit.72 Aus dieser Perspektive müsse die Hausarbeit als Plackerei verstanden werden, als Teil einer Lage der Frau, die verändert werden muss und verändert werden kann. Landy erklärt weiterhin, das Recht der Hausfrau auf eigene Forderungen »erwächst nicht aus ihrer ›Nützlichkeit‹, sondern aus ihrer Eigenschaft als Mensch, als Teil der Arbeiterklasse und werktätigen Bevölkerung, der unterdrückt und unterworfen ist. Es ist diese unterdrückte und unterworfene Stellung die einzige Quelle ihres ›Rechts‹, Forderungen aufzustellen.«73 Inman verließ die Partei.

Aber sie gab sich auch die nächsten vierzig Jahre lang nicht geschlagen. In Rundbriefen, Artikeln, Büchern, Flugschriften und Briefen an die Parteiführung und an linke Zeitungen griff sie die Kommunistische Partei wegen deren Haltung zur Frauenfrage an. Sie verbreitete eine Verschwörungstheorie, wonach die Partei beabsichtige – und das habe bereits mit dem Einfluss von J. Edgar Hoover auf Nikolai Bucharin begonnen –, alle Arbeiten zu Frauenfragen einzustellen und zu liquidieren. Inman war nicht Teil der neuen feministischen Welle, sondern befasste sich mit dem »Browder’schen Revisionismus« der 1940er- und 1950er-Jahre – einem bezeichnenden Thema, wenn man bedenkt, dass Earl Browder als ehemaliges Führungsmitglied bereits 1946 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden war.74 Wie Weigand ausführt, versandte Inman ihre Texte seit den 1970ern an verschiedene feministische Akademikerinnen. Von eigenen Erlebnissen in der Neuen Linken verletzt, trugen diese Inmans Version der Geschichte weiter – derzufolge sie von Männern aus der Partei gedrängt worden sei, die sich einer Diskussion mit ihr verweigerten – und schlussfolgerten daraus, »die Partei widersetzte sich vor dem Zweiten Weltkrieg und auch in den späten vierziger und fünfziger Jahren jeglicher Debatte über die Probleme der Frauenunterdrückung und diesbezügliche Aktivitäten.«75 Noch 2015 wiederholte die Redaktion des Viewpoint Magazine Inmans Version von der Haltung der Kommunistischen Partei zur Frauenfrage und erklärte, Inman habe »das Zusammenspiel von ökonomischem Reduktionismus und identitärem Reformismus in der CPUSA« bloßgestellt; dagegen habe die Kommunistische Partei »die wirtschaftliche Bedeutung der Frauenarbeit« negiert und »das soziale Phänomen der Mutterrolle« naturalisiert, womit man den »›Kampf gegen die kapitalistische Unterdrückung der Frau‹ auf die ideologische Anfechtung der ›Überlegenheit des Mannes‹« reduziert habe.76 Weigands sorgfältige Forschung, ganz zu schweigen von den Veröffentlichungen und Aktivitäten der Partei selbst, entzieht dieser Behauptung den Boden. Selbst Landys kritischer Vorstoß gegen Inmans Position zur Hausarbeit zeugt von einer facettenreicheren Parteiperspektive, als sie das Inman-Playback im Viewpoint Magazine für möglich hält. Nicht nur benennt Landy die Unterwerfung der Frauen durch »kapitalistische Produktionsverhältnisse«, sondern er umreißt auch Forderungen, die sich aus der konkreten Lage der Hausfrauen ergeben: »bessere Wohnsituation, niedrigere Mieten, […] Kindertagesstätten, kostenlose Mittagsspeisung für Kinder«.77

Vor diesem empirischen Hintergrund muss der Einwand, »Genosse« sei männlich, entweder von Wissenslücken oder von Geschichtsvergessenheit herrühren. Geschichtsvergessenheit kann zu der Annahme verleiten, »der Genosse« funktioniere wie »der Bürger«, welcher assoziiert wurde mit den Rechten und Verantwortlichkeiten von Männern als Eigentümer, Amtsinhaber und Soldaten. Geschichtsvergessenheit könnte auch vermuten lassen, »Genosse« sei ein Synonym für »Proletarier« – ein Wort, das seinerseits eine übermäßige, maskulinistische Verengung erfahren hat. Dabei haben sich schon im 19. Jahrhundert weibliche und männliche Sozialisten, die sich einer umfassenden sozialen Transformation verschrieben hatten, als »Genossen« bezeichnet. Durch ihre Generizität vermag die Bezeichnung »Genossen« nicht nur Männer und Frauen zu umfassen, sondern auch verschiedenste, wandelbare Ansichten zum sozialen Geschlecht.78

Vielleicht aber ist diese Dissoziation der weiblichen Genossen ein Symptom. Vielleicht ist sie in der Angst begründet, etwas sehr Wertvolles und Einmaliges zu verlieren. Anders gesagt, womöglich geht es bei der kritischen Haltung zur unterstellten Männlichkeit gar nicht um die Männlichkeit von »Genosse«, sondern tatsächlich um eine Angst vor dem Verlust der spezifischen Individualität. Wir müssen uns dieser Angst stellen: Das Konzept »Genosse« pocht auf die Gleichstellung gebietende Gleichheit, die entsteht, wenn man in einem politischen Kampf auf derselben Seite steht. Es durchbricht den Alltag und konfrontiert ihn mit egalitären Modi des Handelns und der Zugehörigkeit. Es befreit die Genossen von den beengenden Erwartungen der Identität, die uns im patriarchal-rassistischen Kapitalismus eingeprägt und abverlangt wird. Im Alltagsleben stoßen wir auf Hass und Vorurteile, aber von den eigenen Genossen kann man wohl etwas mehr, etwas Besseres erwarten. Fredric Jameson fasse, so Kathy Weeks, die »Angst vor der Veränderung« im Verein mit der Angst vor der Utopie als

eine beißende Furcht eingedenk all dessen, was wir im Verlaufe einer so kraftvollen Transformation zu verlieren drohen, die wohl – selbst in der reinen Vorstellung – nur ein Minimum aktueller Leidenschaften, Gewohnheiten, Praktiken und Werte unversehrt ließe.79

Die Angst, »Genosse« sei männlich, spiegelt die Angst vor einem politischen Verhältnis, das nicht der Differenz und Individualität den Vorrang einräumt, das nicht bei der Sorge um den Einzelnen ansetzt, sondern sich konzentriert auf die gemeinsame Arbeit für ein gemeinsames Ziel.

Dass sich Frauen und Männer als Genossen gegenübertreten, bedeutet nicht, dass die geschlechtsbasierte Hierarchie verschwindet. Robin D. G. Kelley unterstreicht, in den 1930er-Jahren seien weiße Genossinnen im Allgemeinen »an die Vervielfältigungsgeräte und auf gelegentliche öffentliche Auftritte verwiesen« gewesen.80 Schwarze Frauen stiegen in mittlere Führungspositionen auf; viele von ihnen waren mit der Kampagne für die Freilassung der Scottsboro Boys in die Partei gelangt (es ging um neun schwarze Jugendliche, die in Alabama fälschlicherweise der Vergewaltigung zweier weißer Frauen angeklagt und zum Tode verurteilt worden waren).81 Das Konzept »Genosse« schafft den Geschlechtsantagonismus nicht ab. Es schafft eine andere Möglichkeit der Wirkung. Es verheißt eine andere Form der Beziehung zwischen geschlechtlichen Wesen, ein politisches Verhältnis unter Genossen. Am Maßstab dieser neuen Form werden die alten Seinsformen gemessen. Das Konzept »Genosse« beseitigt Differenz nicht. Es bietet vielmehr einen Behälter, der seinem Inhalt gegenüber gleichgültig ist. Andere Faktoren des Verhältnisses zu unseren Mitmenschen – Freundschaft, Verwandtschaft, Staatsangehörigkeit, Nächstenliebe, worauf ich im folgenden Kapitel näher eingehe – werden dabei nicht ausgelöscht. Sie können unsere Genossenschaftlichkeit prägen oder beleben, bisweilen heiraten Parteimitglieder oder verlieben sich. So schreibt Angela Davis über den Verlust von George Jackson: »Für mich bedeutet Georges Tod den Verlust eines Genossen und revolutionären Führers, aber auch den Verlust einer unersetzlichen Liebe …«82 Vielleicht sehen wir einen geliebten Menschen, wenn wir einander in die Augen blicken, als Genossen aber blicken wir zusammen auf einen gemeinsamen Horizont (um Slavoj Žižeks Paradebeispiel zu zitieren). Das Konzept »Genosse« beseitigt auch keinen Konflikt. Es benennt ein Bestreben, das nicht immer erfüllt wird; aber man kann von Genossen erwarten, es anzuerkennen und zu verfolgen. »Genosse« ist keine empirische Bezeichnung für ein faktisches Geschehen. Es steht in der Welt als Chiffre für etwas Besseres: Wir müssen uns nicht auf familiäre oder vergeschlechtlichte Beziehungen als Norm der Interaktion beziehen. Wir können uns beziehen auf Solidarität und Genossenschaftlichkeit.

Das Unbehagen an der Männlichkeit der Genossenchiffre ist womöglich auch Ausdruck einer Sexualproblematik: Männer können den Frauen keine Genossen sein, weil ihnen der Sex in die Quere kommt. Das individuelle Begehren des Mannes stört die Genossenschaftlichkeit. Lenin spricht dieses Problem in seiner Unterhaltung mit Zetkin offen an, in einer redseligen, ungehemmten Minute. Die Rede kommt auf einen jungen Genossen, der »saust und torkelt von Weibergeschichte zu Weibergeschichte«, und Lenin bemerkt:

das verträgt sich nicht mit der Revolution! […] Die Revolution fordert Konzentration, Steigerung der Kräfte. Von den Massen, von den einzelnen. […] Deshalb, ich wiederhole es, keine Schwächung, Vergeudung, Verwüstung von Kräften. Selbstbeherrschung, Selbstdisziplin ist nicht Sklaverei, auch nicht in der Liebe.83

Ein politisches Verhältnis zwischen geschlechtlichen Wesen ist möglich (auch dort, wo eine sexuelle Beziehung unmöglich ist, also auch wenn gilt, was Lacan lehrt: »il n’y a pas de rapport sexuel«84). Geschlechtliche Wesen können Genossen sein und in einem politischen Kampf auf derselben Seite stehen. »Genosse« ist etwas anderes als die Zweisamkeit der Liebe; jeder kann, aber nicht alle können Genosse sein, wie ich in Kapitel drei ausführe.

Anyone but not everyone – somit ist »Genosse« mit der von Lacan sogenannten »Seite der Frau« beseelt: Genosse ist das nicht-alle.85 Genosse kehrt den Einen nicht als Ausnahme hervor (sprich: jeder, aber nicht alle). Ganz in diesem Sinne sagt Lenin zu Zetkin, nach seinem Exkurs zur Steigerung statt Zerstörung der Energien wie »Lebensfreude und Lebenskraft«: »Doch entschuldigen Sie, Clara! Ich bin weit abgekommen vom Ausgangspunkt unseres Gespräches. Warum haben Sie mich nicht zur Ordnung gerufen? Mir ist die Zunge […] durchgegangen.«86 Lenins Freude hier ist das weibliche Genießen (jouissance féminine) der Sprache. Er bittet Zetkin um genossenhaften Beistand, sein Überschießen wieder in Ordnung zu bringen. Lenin selbst findet diese Worte:

Wissen Sie, Clara, ich nutze es aus, daß ich mit einer Frau zusammen war. Ich erkläre natürlich meine Verspätung mit der bekannten weiblichen Beredsamkeit. Obgleich diesmal das Vielreden wirklich nicht auf der Seite der Frau, sondern des Mannes war.87

Fazit: »Genosse« ist nicht männlich. »Genosse« ist eine generische Chiffre, die als Ich-Ideal fungiert. Es vermittelt den Blickwinkel, den Genossen einnehmen, wenn sie sich als politische Akteure betrachten – einen Blickwinkel, der aus ihrem Verhältnis zu Anderen auf derselben Seite eines politischen Kampfes entsteht. Diese Gleichstellung ist das utopische Element der Genossenschaftlichkeit. Die Bedingungen einer sexistischen, rassistischen und kapitalistischen Gesellschaft entfalten unweigerlich ihre Wirkung; aber »Genosse« benennt ein von diesen Faktoren nicht mehr bedingtes Verhältnis und bietet einen Ausgangspunkt, sie zu beurteilen und zu verändern.

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