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8. Martin und seine Werkstatt

Turel war in der nebligen, kalten Früh zur Werkstatt heruntergegangen.

Vorbei an verkrüppelten Linden, bis auf den Stamm zurückgeschnitten und mit einer Krone aus lauter dünnen, langen Fingern, die sie gen trüben Himmel streckten. Die Straßen mit schwarzem Teer geflickt. Über den Fußweg, rissig und vernarbt, kam Turel nun in seiner roten Krokodillederjacke bei Martins Werkstatt an. Ein großer Kasten, weiß gestrichen, mit einem nichtssagenden Schild auf dem:

Martin’s Werkstatt

drauf stand. Ein großes Tor mit Plastikscheiben, das wie die Alutür rollladenähnlich aufzurollen war. Drinnen brannte Licht. Neben der Werkstatt befand sich ein hoher Maschendrahtzaun, an dem sich eine einzelne Dornenranke entlang wand. Dahinter nur Schrott und gestapelte Autos. Ein Fest für einen Magneten.

Turel ging zur Tür hin und klinkte sie auf. Das Innere der Werkstatt wurde von Neonröhren klinisch beleuchtet. Tische mit eisernen Schraubzwingen. Blau gestrichene Metallregale voller Werkzeuge. Ein großer blauer Wagenheber recht nah dem Eingang. Ganz am Rand führte eine Treppe zu einem kleinen Bürohäuschen hoch.

Ein Kerl voller Ölflecken in blauer Latzhose feilte an einem Stück Metall herum, das zwischen den festen, zahnlosen Kiefern einer Schraubzwinge klemmte, deren blaue Farbe bereits abblätterte. Er bemerkte Turel nicht mal. Der ging auf den Kerl zu und meinte: „Sind Sie Martin?“

Der Arbeiter hielt inne, wandte sich um und schien fast vor Turels Anblick erschrocken.

„Nein. Martin ist oben in seinem Büro“, er deutete mit der schwarzverschmierten Hand voller Metallspäne hinauf zum Bürohäuschen. Also schickte sich Turel eben an, dort hinauf zu steigen. Oben angekommen klopfte er an die Tür und Martin rief: „Herein.“

Turel schob die Tür auf und spähte in das kleine Büro mit mausgrauem Teppichboden. An einem einfachen Bürotisch saß auf einem einfachen Drehstuhl ein einfacher Mann mit vergleichsweise dickem Brauch und einen Haufen Papierkram vor sich und einem Flachbildschirm, der allerdings veraltet und grau wirkte. Die Neonröhren an der Decke tauchten ihn in künstliches Licht und beleuchteten sein schütteres Haar.

Er sah Turel fragend an: „Sind Sie Herr Nazaret?“

„So sieht es aus“, meinte Turel.

„Wunderbar“, meinte Martin und stand auf. Ging zu Turel hinüber und reichte ihm die Hand. Turel nahm an. Ein fester Händedruck, bei dem Martin wohl nicht mal das Loch in Turels Rechter bemerkte. Martin lächelte breit: „Herr Flitzwitz sagte, Sie seien ein Mann, der richtig mit anpacken könne.“

„Bin ich nicht“, sagte Turel kalt.

Martin schien irritiert von diesem seltsamen Vogel: „Na ja, ich kann trotzdem immer Leute gebrauchen. Zurzeit geht eine Grippewelle um. Die meisten Arbeiter sind krank, da …“

„Ich habe nicht vor, für Sie zu arbeiten, nur weil Flitzwitz das sagt“, stellte Turel klar. Ein Moment Ruhe und progressiv, wie Turel nun mal war, hob er die Hand und Martin erkannte zum ersten Mal verdutzt das Loch in der Mitte, durch das Turel hindurchspähte: „Sehen Sie doch nur, was mir angetan wurde“, er hob noch die andere Hand daneben. „Können Sie sich vorstellen, wie es sich anfühlt, eine ganze Nacht am Kreuz zu hängen?“

Er ließ es erst mal wirken.

„Ich bin nur hier, um Ihnen mitzuteilen, dass daraus nichts wird. Ich will ungern Leute warten lassen, die es nicht verdient haben, in etwas reinzugeraten, wo sie nicht reingehören.“

Immer noch irritiert fragte Martin: „Das in Ihrem Gesicht … war das auch …?“

„Ja. Und das war nicht das Einzige“, meinte Turel. „Flitzwitz ist kein freundlicher Mensch, müssen Sie wissen“, erzählte Turel. „Hat Flitzwitz Ihnen zufällig einen Wagen zum Ausschlachten überlassen?“

„Eine alte Rostlaube, ja … sagen Sie bloß, der gehörte Ihnen?“

„So ist es. Haben Sie das Ding hier noch rumliegen?“

Martin schien sichtlich durcheinander. „Tut mir fürchterlich leid, aber wir haben ihn bereits ausgeschlachtet und den Rest verschrottet.“

„Wie darf ich mir das vorstellen?“

„Äh … kommen Sie einfach mit“, meinte er und griff sich die Jacke von der Stuhllehne und ging mit Turel die Treppe hinunter, am Feilenden vorbei zum Hinterausgang. Nun standen sie in Bergen von Schrott auf rissigem, fest gepresstem Erdboden. Überall Autowracks, die sich in die Höhe stapelten und wie gefrorene Fische aufeinander lagen. Türme von Rädern. Stoßstangen. Einzelteile. Im hinteren Bereich, vom weißen Neben verhüllt, eine gigantische Schrottpresse. Martin ging mit sichtbaren weißen Wölkchen vom Atem voran und Turel folgte ihm. Den Kragen hochgeklappt und mit der Faust zusammengerafft. Fast erinnerte ihn die Kälte an die kühle Nachtluft und die kalte Taubheit, die von seinen Gliedmaßen am Kreuz Besitz ergriffen hatten. Die Schwere, die an seinem Körper gezogen hatte. Das Panzertape, das in ihn geschnitten hatte. Ans Kreuz geheftet.

Martin blieb vor der Schrottpresse stehen. Ebenfalls ein metallischer Würfel mit abblätternder, blauer Farbe. Daneben lag noch ein einziger Schrottwürfel von ein mal ein Meter Umfang. Davor blieben sie stehen.

„Das ist er, richtig?“, fragte Turel.

„Ja … tut mir leid, ich wusste nicht …“, meinte Martin. „Wenn Sie Flitzwitz verklagen, kann ich für Sie aussagen.“

Er sah sich den kleinen silbernen Würfel an. Mehr war von seinem Wagen nicht übrig. Reifen und alles Sinnvolle bis zu den Münzen in der Ablage war sicher herausgeholt und nur das Skelett hier zu handlicher Form zusammengepresst worden. Aber es gab nichts dran zu ändern und Martins Vorschlag gefiel Turel. Nur dass es jetzt noch nicht so weit war.

„Schon okay“, grinste Turel Martin mit seinen Goldzähnen an, die dunkel in dem weißen Nebel glänzten und fremdartig schienen. Er klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter: „Sie sind ein guter Mann. Wenn ich wirklich mal in diese Lage komme, kann ich Ihre Aussage sicher gebrauchen. Aber würden Sie mir, einem Gestrauchelten, noch einen Gefallen tun?“

„Welchen denn?“, fragte Martin und stieß ein weißes Wölkchen aus.

„Können Sie mich und meinen Wagen hier zu mir nachhause fahren?“

„Äh … ich denke schon“, meinte Martin verwirrt.

9. Gräuel der Moderne.blogspot.com

Die Nacht hatte sich über die Stadt gesenkt, wie ein Tuch über einen Leichnam.

Die Straßen leuchteten aus jedem Schaufenster. Die Laternen taten ihr Übriges und die Nachtschwärmer glitten in Autos oder zu Fuß durch die Straßen. Die verkrüppelten Linden verschwanden im Dunkel. Ebenso wurden die Flicken und Risse in Straßen und Fußwegen zu einer schwarzen, glänzenden Einheit, gleich einer rauen Tanzfläche.

Der Glatzkopf mit dem eingekerbten Kinn und dem dicken, muskulösen Hals, der in seinen Glatzkopf überging, ragte wie ein Koloss vor Turel auf. Die Arme vor der Brust verschränkt, das Kinn so weit erhoben, dass er auf alles und jeden herablassend schauen musste. Vor ihm und fast einen Kopf kleiner stand Turel mit seinem vernarbten Gesicht und in der roten Krokodillederjacke, die ihm bis in die Kniekehlen hing.

„Hier du nicht“, meinte der Türsteher und winkte einen Kerl mit Schildmütze an Turel vorbei.

„Weil …?“, fragte Turel und sah grinsend zu dem Türsteher auf. Im schwachen Licht glänzten Turels Goldzähne.

„Weil du nach Ärger aussiehst, Freundchen“, meinte der Türsteher.

„Zwei Typen haben mir das Gesicht zerschnitten. Ich will mich nur ein wenig amüsieren und Sie lassen mich nicht rein?“

„Nein, ich lasse Sie nicht rein“, er sah über Turel hinweg, „Sie da, rein mit Ihnen“, eine Frau drängte sich vorbei in Begleitung eines anderen Typen.

Turel sah einen Moment zu Boden. Jetzt wurde er schon nicht mehr in eine Disko gelassen. Er sah wieder auf. Diesmal ernst: „Okay, von Glatzkopf zu Glatzkopf: Lass mich rein.“

„Nein“, sagte der Türsteher. „Jetzt geh zur Seite, hier wollen noch andere rein.“

„Sie haben die ganze Zeit Leute vorbeigelassen.“

„Ja, weil Sie im Weg stehen. Und jetzt gehen Sie zur Seite.“

So hoch, wie der sein Kinn hob, war es nur eine Frage der Zeit, bis ein pfiffiges Bürschlein ihm mit der Handkante den Kehlkopf zertrümmerte. Turel überlegte, ob er dieses pfiffige Bürschlein sein sollte?

„Guck nicht so. Jetzt geh zur Seite“, meinte der Türsteher.

Eine Frau mit katzenhaftem Gesicht schob sich aus der Masse. Schwarze Locken umhüllten ihr weitgehend schmales Gesicht, was wohl durch die Wangenknochen betont wurde, und ihre wachen blauen Augen schienen die Situation bis auf die Blaupause zu durchschauen. Sie war durchschnittlich gekleidet, fast so, als könnte sie jederzeit ein Teil der Masse werden. Darin verschwinden und wieder auftauchen, wie es ihr beliebte.

Der Türsteher winkte sie herbei: „Sie kommen rein“, meinte er.

„Will ich nicht“, meinte sie kurz und knapp und wandte sich Turel zu. „Sie sind dieser Typ, der gekreuzigt wurde, richtig?“

„Gekreuzigt?“, mischte sich der Türsteher ein.

„Das geht Sie nichts an“, meinte die Frau, wandte sich wieder Turel zu. „Kommen Sie, wir suchen uns einen ruhigeren Ort, was?“, Turel ließ sich von ihr aus der Schlange vor der Disko schieben und schließlich standen sie vor einem Schaufenster, dessen gedämpftes, weißes Licht beide beleuchtete.

„Nazaret, richtig?“, fragte sie.

„Richtig“, meinte Turel. „Woher wissen Sie das alles?“

„Ich habe meine Fühler ausgestreckt“, sie reichte ihm die schmale Hand: „Kim Gösel. Blogerin. ‚Gräuel der Moderne‘, das ist mein Blog. Ich erfuhr von Ihrem Schicksal durch meine Verbindungsleute im Krankenhaus.“

„Und ich bin so ein Gräuel der Moderne?“, fragte Turel schnippisch.

„Ein Gräuel ist, was Ihnen angetan wurde. Ich würde gern über Sie schreiben. Wie wäre es, wenn wir uns einen ruhigen Ort suchen, das heißt, wenn Sie über das sprechen möchten, was Ihnen angetan wurde?“

Turel ließ den Blick über die Straße gleiten. „Gut, suchen wir uns ein Nachtcafé“, er ging voran und Kim ging ihm nach.

„Also ist es in Ordnung, wenn ich über Sie schreibe?“

„Ja“, meinte Turel. „Wie wäre es mit dem da drüben“, er deutete zu einem Café, das tatsächlich noch geöffnet hatte, ein paar kleine Tische standen draußen, je umringt von Korbstühlen.

Also gingen sie hinüber. Das Café war nicht sehr gut besucht. Vereinzelt saßen Leute drinnen, was wohl daran lag, dass es draußen noch zu kalt war. Kim und Turel gingen schließlich hinein und setzten sich nahe dem großen Fenster, aus dem man hinaus in die nächtliche Stadt schauen konnte. Drinnen standen die gleichen runden Plastiktische mit den Korbstühlen. Das Café war vergleichsweise hell, von einigen kleinen Lämpchen in der Decke beleuchtet. Der Rest in billige Holztöne gehüllt. Eine Kellnerin kam sofort zu beiden.

„Ich nehme einen Kaffee“, meinte Turel.

„Ebenfalls“, kommentierte Kim.

Die Kellnerin schwirrte wieder ab.

„Sie schreiben also über moderne Gräuel?“, fragte Turel mit einem geschwungenen Lächeln, dass die Narben in seinem Gesicht verzogen.

„Ja. Ich darf doch sicher Fotos machen?“, fragte sie mit dem Blick auf Turels durchlöcherte Hände.

„Klar. Jesus würde sich sicher auch ablichten lassen, um seine Auferstehung glaubwürdig zu gestalten.“

„Darf ich das Gespräch aufnehmen?“, sie sah mit ihren spähenden Augen zu Turel hinüber, die zielgenau die Schluchten in seinem Gesicht durchfuhren.

„Nur wenn Sie nicht alles daraus verwenden.“

„Das versteht sich von selbst“, meinte Kim und zog ihr Handy hervor und aktivierte die Tonaufnahme: „Sie haben viel ertragen müssen, Herr Nazaret, wie geht es Ihnen insgesamt?“

„Ich habe es mir anders überlegt“, meinte Turel. „Reden wir erst mal so.“

Einen Moment sah sie ihn an, um herauszufinden, ob Turel das ehrlich meinte. Schließlich deaktivierte sie die Aufnahme und nahm ihr Handy wieder an sich.

„Wie haben Sie von mir erfahren?“, fragte Turel interessiert.

„Wie gesagt, ich habe meine Verbindungen, außerdem, wenn jemand eine ganze Nacht schwer zugerichtet an einem Kreuz auf einem Feldweg hängt, dann bleibt das nicht unbemerkt.“

„Ich glaube, ich habe Sie irgendwo schon mal gesehen“, meinte Turel. „Sie waren doch nicht zufällig im Krankenhaus?“

„Doch, aber Sie schliefen noch.“

Er sah sie einen Moment an. „Sie sind verwirrt, oder?“

„Ja. Ich habe etwas anderes erwartet.“

„Was denn?“

„Ich weiß nicht. Menschen, die so was durchgemacht haben wie Sie, sind meistens weniger selbstbewusst. Die meisten möchten nicht über das, was Ihnen geschah; reden. Sie sind da ganz anders, was?“

Die Kellnerin brachte beide Kaffees und verschwand wieder. Turel riss das Tütchen Zucker auf und kippte ihn in seine Tasse. „Ja. Ich habe nicht vor, zu einem zitternden, schlotternden Opfer zu werden. Außerdem kommen Sie mir gerade recht“, er riss das kleine Päckchen Milch auf und goss es in seine Tasse. Rührte mit dem Löffel darin herum. „Ich will, dass Sie über mich schreiben. Alle sollen wissen, was mir zugestoßen ist. Sie können gern übertreiben, das dürfte Ihnen doch recht sein, oder?“

Kim sagte nichts.

Turel trank einen Schluck Kaffee.

„Ja. Das ist mir außerordentlich recht.“

„Wo fangen wir an?“, überlegte Turel. „Es waren zwei Kerle, die mich gefoltert und ans Kreuz genagelt haben. Einer war ein blonder Chinese. Louis Mingzi. Der andere ein Kahlkopf mit Bart. Vielleicht ein russischer Rocker. Keine Ahnung, wer er ist.“

„Dafür ich“, meinte Kim. „Ich habe schon etwas recherchiert. Von Mingzi und Flitzwitz, bei dem Sie enorme Schulden haben, weiß ich. Mit dem Rocker liegen Sie fast richtig. Er war in der Tat für Rocker tätig, aber auch für einige andere Gestalten. Meistens als Folterknecht. Um Geständnisse herauszuprügeln. Ist ein merkwürdiger, zurückgezogener Kerl. Dennis Dorl.“

„Dorl“, wiederholte Turel nachdenklich.

„Ja.“

Er trank seinen Kaffee auf ex, stellte die Tasse, auf die Untertasse zurück: „Also gut. Ich mache dir folgenden Vorschlag, Kim Gösel. Gehen wir zu dir oder zu mir? Du kannst von jeder Narbe Fotos machen und ich kommentiere.“

„Gehen wir zu dir“, sagte Kim wie aus der Pistole geschossen und trank ebenfalls ihren Kaffee.

„Du bist aber mutig. Woher weißt du, dass ich durch das Erlittene kein Psycho geworden bin, der dich nur in seine Falle locken will?“

„Weibliche Intuition.“

„Wunderbar. Du zahlst. Bin knapp bei Kasse“, sagte Turel und lächelte zu Kim hinüber.

Schließlich standen sie im schrägen Badezimmer von Turels Wohnung. Das helle Licht war angeschaltet und Turel hatte die Jacke ausgezogen, die noch auf seinem Bett lag. Die Ärmel des geriffelten, dunklen Hemdes hochgekrempelt und die Hände über den Fliesenboden gehalten, sodass Kim ein paar Fotos mit ihrem Android schießen konnte.

„Ich bin froh, dass sie mir die scheiß Nägel durch die Hände schlugen und nicht durch die Handgelenke, wie es eigentlich gemacht wurde“, meinte Turel. „Dann wären meine Hände nämlich hinüber.“

„Sie haben keine Schmerzen?“

„Nicht im herkömmlichen Sinne“, meinte Turel. „Wenn ich meine Finger bewege, zieht es manchmal ein wenig. Das macht alles irgendwie realer. Sonst wäre es so unwirklich.“ Er sah direkt zu Kim hinüber in das kleine gläserne Auge der Kamera. Sie machte ein paar Bilder von seinem Gesicht. „Das hat Dorl mir mit einem Klappmesser zerschnitten. Das Blut lief mir in die Augen, ich konnte kaum was sehen.“

„Sie haben Ihnen auch die Fingernägel gezogen, richtig?“, fragte Kim hinter dem Handy hervor.

„Ja.“

„Man sieht es an den kleinen Narben an ihren Fingern.“

„Das war allerdings Mingzi, genauso wie meine Zähne. Nicht Dorl“, Turel zog die Lippen so weit zurück, wie es ihm möglich war, und legte den Kopf leicht in den Nacken, sodass mehr Licht auf die Goldzähne fiel. „Sie sind zu spät. Wäre vielleicht besser, wenn Sie Bilder von mir am Kreuz hätten?“, meinte Turel.

„Die habe ich. Ich habe Zugang zu Polizeiarchiven. Es sind einige Fotos gemacht worden“, meinte sie und fotografierte die sichelförmige Narbe an Turels Kehle.

„Die beiden haben versucht, mich aufzuhängen. Hat aber nicht geklappt“, kommentierte Turel und machte sich daran, das Hemd aufzuknöpfen. „Sie habe mich auch über den Feldweg geschleift“, er warf das Hemd über den Wannenrand und ließ Kim einige der kleinen Narben fotografieren, die kreuz und quer auf seinem Rücken und teilweise auf Bauch und Brust waren.

„Und die Eier haben die beiden mir auch abgeschnitten. Wollen Sie die Narbe auch fotografieren?“

Das überraschte Kim. Normalerweise bereitete es ihr größte Problem und wochenlange Aufdringlichkeit, bis sie zu einem Punkt gelangte, an dem Opfer sich so detailliert fotografieren ließen, und Turel war jetzt schon bereit, die Hosen runterzulassen. Es verwirrte sie enorm. Er verhielt sich nicht wie ein Opfer. Sicher, sie hatte auch schon einige Opfer von Gräueltaten erlebt, die recht offen damit umgingen, aber noch nie so. Er redete darüber, als wäre es nur eine Filmrolle gewesen. Ihr schneller Erfolg machte sie fast trunken. „Ja, natürlich“, meinte Kim gierig.

Turel löste den Gürtel, die rote Hose aus Krokodilleder rutschte in seine Kniekehlen, er stieg hinaus.

„Sie gehen überaus offen damit um. Darf ich fragen, wie es dazu kommt?“

„Warum dagegen kämpfen?“, meinte Turel. „Man muss die Sachen annehmen, wie sie kommen, sonst wird man nur verrückt. Ich habe genug gelitten. Und ich hatte genug Zeit, meine Wunden zu lecken“, er stellte sich breitbeinig hin, hob den Schwanz leicht an, damit Kim sich vor ihn knien und die Stelle zwischen seinen Beinen fotografieren konnte. Sie machte ein paar Fotos, dann trat sie zurück.

Turel konnte noch immer spüren, wie das Testosteron in ihm herumschwamm und ihm gefiel Kims Form. Ihre Brüste und ihr Hintern. Die schwarze, glänzende Flut an Haaren. Es war viel deutlicher, als er nun nackt vor ihr im Bad stand.

„Du hast keinerlei Problem mit Narben und anderen Hässlichkeiten, was?“, fragte Turel Kim, die die Fotos auf ihrem Handy durchsah.

„Mein Blog heißt: ‚Gräuel der Moderne‘. Da sehe ich genug von dem Zeug.“

„Zerstörung und die Auswirkung destruktiver Kräfte ziehen dich an, oder?“

„In gewisser Weise“, meinte Kim, die sich irgendwie bedrängt fühlte.

„Du solltest die Löcher in meinen Füßen fotografieren“, meinte er und deutete hinunter.

Wie auf Befehl hockte sie sich hin vor ihn und fotografierte. „Hast du Lust auf Sex? Dann sind wir wenigstens intim genug, dass du dieses ‚Sie‘ sein lässt“, meinte Turel. Kim, noch immer vor ihm hockend, sah den nackten, vernarbten Turel hinauf. Unsicher und überrumpelt. All die Informationen rasten durch ihren Schädel. Sie erinnerte sich an ein paar hochhackige Schuhe, die in Turels Wohnung herumlagen. „Was ist mit deiner Freundin?“

„Welcher Freundin?“, fragte Turel.

Kim entfernte sich etwas von ihm und stand auf. „Da liegen Frauenschuhe in deiner Wohnung.“

„Laura ist meine Mitbewohnerin. Keine Angst, die wird uns nicht stören. Die ist noch in der Disko und hat sicher bis morgen zu tun. In den Morgenstunden sind alle besoffen. Dann beginnt ihre Hauptjagdzeit“, sagte er. „Wie wäre es? Wir gehen rüber ins Bett und amüsieren uns. Dafür bekommst du meine Nummer und darfst mich als richtig armes Opfer darstellen. Mein Leiden bis ins kleinste Detail schildern. Erzählen, wie stark ich doch bin, dass ich mit so extremen Schmerzen noch klar im Kopf bleibe. Du kannst den Leuten erzählen, wie schwerwiegend die Narben auf meinem Leib und meiner Seele sind. Das willst du doch, oder? Ich gebe dir eine Geschichte, die alles Bisherige in deinem skandalgeilen Blog übertrifft“, er breitete die Arme aus: „Ich habe mehr gelitten als Jesus!“, rief Turel. Einen leichten Schwindel im Kopf.

Kim sondierte alle Informationen, die auf sie einhagelten. Er hatte recht. Genau das wollte sie. Am besten noch die ganze Sache im Gericht. Der Skandal und das Ekelhafte machten sie sowieso an. Das Deformierte und Grauenerregende. Turel war eine Goldgrube. Die Entdeckung von El Dorado für sie. Sie wäre eine Idiotin, wenn sie es ablehnen würde. Kim schob das ungute Gefühl und die Vorsicht beiseite. Sie wusste ganz genau und genauso gut wie Turel, dass, wenn sie ablehnte, sie sich spätestens morgen früh aus Gram über die vertane Chance vor einen Laster stürzen müsste. Ein schmales Lächeln huschte über Kims spitze Lippen. „Gut“, meinte sie.

„Großartig“, lachte Turel mit seinen Goldzähnen, legte seinen Arm um ihre Hüfte und führte sie aus dem Badezimmer zum Bett, wollte gerade zur Sache kommen und ließ noch einmal seinen Blick über ihre Rundungen wandern und sah noch einmal in ihre alles durchschauenden, blauen Augen.

„Eine Frage noch“, meinte Kim. Das pinke Licht schien sie nun bis auf Hals und Gesicht in völliges Schwarz zu tauchen, wie eine ordentliche, moderne Vampirin, die sie auch war. „Du nimmst auch jede mit, oder?“, fragte sie provokant. Hoffte zumindest, dass es provokant wirkte.

Die Narben in Turels Gesicht, die sich auf seinen Lippen kreuzte, verzogen sich. „Ich habe genug hässliche Seiten des Lebens gesehen, jetzt will ich keine der schönen Seiten auslassen“, Turel zog sie nicht nur mit seinen Blicken aus.

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Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
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470 стр. 1 иллюстрация
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9783960085010
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