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OTTO VON BISMARCK

Otto von Bismarck, der Schöpfer des Deutschen Kaiserreiches, ist als politische Persönlichkeit nicht mit Schlagworten wie dem »eisernen Kanzler« oder gar mit der Kategorie eines großen Bösewichts zu erfassen. Er war vielmehr ein Mensch der vielfältigen Spannungen und der Widersprüche. Seinem Grundsatz, dass ein Politiker immer mehrere Möglichkeiten vorausplanen müsse, entsprach er völlig. Keineswegs hatte er von Anbeginn seiner politischen Karriere den deutschen Nationalstaat geplant, vielmehr arbeitete er sich von der Ebene Preußens hinauf zum deutschen Nationalstaat. Zweifellos hatte er gerade auf dem Felde der Innenpolitik viele Schwächen, viel zu spät erkannte er, wohin sich im Zeitalter der Industrialisierung die politischen Kräfte und damit die Parteien entwickeln würden. Unbenommen bleiben ihm seine außenpolitischen Leistungen, sein klares Kalkül und die politische Fantasie, die er zur Erreichung eines politischen Zieles entwickelte.

Bismarck stammte aus einer Familie einfacher Landedelleute aus der Altmark, seine Vorfahren waren Gewandschneider, sein Vater Ferdinand war ein bescheidener Mann, seine Mutter Wilhelmine, geborene Mencken, hingegen eine sehr gebildete und ehrgeizige Bürgerliche aus einer Gelehrtenfamilie. Ihr Ziel war es, aus dem Sohn etwas zu machen. Mit dem Vater verband ihn eine liebevolle Beziehung, von der Mutter fühlte er sich ziemlich gegängelt.

Das Jahr seiner Geburt, 1815, in dem der Wiener Kongress die politische Landkarte Europas neu gestaltete, mit dem Wunsch, alles wieder so herzustellen, wie es vor der Französischen Revolution gewesen war, stellte auch eine Zeitenwende dar, die den Aufbruch zu neuen Denkweisen einleitete.

Bismarck besuchte in Berlin das Gymnasium, wo er nie als besonders begabt auffiel. 1832 ging er nach Göttingen, um Jura zu studieren, genoss jedoch mehr das Studentenleben – er gehörte dem Korps Hannovera an -, als sich den Wissenschaften zu widmen. Viele Streiche aus seiner Studentenzeit sind überliefert, viele eher peinliche Vorfälle mit den akademischen Behörden sind dokumentiert. Er selbst schrieb später, dass er ein »liederliches Leben« geführt habe, Interesse für Politik war damals nicht auszumachen.

Bismarck beendete sein Studium in Berlin und ging nach dem Referendarsexamen an Gerichte nach Aachen und Potsdam. Sein damaliges Berufsziel war die diplomatische Laufbahn, denn die Bürokratie konnte er nicht ausstehen. Er konnte sich weder an geregelte Dienstzeiten noch an Autoritäten anpassen. Zum großen Missfallen der Eltern quittierte er 1838 den Staatsdienst, er wollte unter gar keinen Umständen Beamter werden. »Ich will aber Musik machen, wie ich sie für gut erkenne, oder gar keine«, meinte er später über diesen Entschluss. Bismarck wollte mit Menschen arbeiten und nicht mit Papier. Daher konzentrierte er sich für wenige Jahre auf den Beruf eines Landwirtes, die dafür nötigen Kenntnisse eignete er sich selbst an. In diesen Jahren ging er viel auf Reisen, fuhr nach England, Frankreich und in die Schweiz und führte ein bewegtes Leben, wofür sein Spitzname, der »tolle Bismarck«, Zeugnis ablegt. Er las enorm viel, Literatur, Geschichte, Philosophie waren die Themen, denen sein Interesse galt. Er liebte William Shakespeare und Lord Byron, mit dem Geheimrat Goethe konnte er weniger anfangen. Seine metaphysische Ausrichtung bezeichnete er selbst als »nackten Deismus«. In einem pietistisch angehauchten Freundeskreis lernte er Johanna von Puttkamer kennen, seine spätere Frau. Als in ebendiesem Freundeskreis eine noch junge Frau einer tödlichen Krankheit zum Opfer fiel, wurde er ein überzeugter Christ, ohne jedoch eine engere kirchliche Bindung zu suchen. 1846 hielt er brieflich um Johannas Hand an, ein Jahr später wurde geheiratet. Sie war eine Frau von »seltenem Geist und seltenem Adel der Gesinnung«.

Im Mai 1847 wählte ihn die Ritterschaft in den Vereinigten Preußischen Landtag, in ein Gremium, in dem die Liberalen das Übergewicht hatten. Die Konservativen, denen Bismarck nahestand, die für Krone und Adel eintraten, waren nur schwach vertreten. Bismarck rückte nur als Ersatzmann in diesen Landtag ein. Zuvor war er Deichhauptmann von Schönhausen gewesen, hatte also einer ständischen Vertretung angehört. Seine generelle Gesinnung war ständisch konservativ, er verteidigte etwa die Rechte des Adels zur Parforcejagd und trat für die Beibehaltung der Patrimonialgerichtsbarkeit ein. Einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreichte er, als er eine Rede über die Haltung des preußischen Volkes im Jahr 1813 hielt. Er widersprach vehement der These, dass sich das Volk erhoben habe, um eine Verfassung zu erlangen. Zu diesem Thema kam es im Landtag zu wilden Diskussionen. Mit solchen Äußerungen erwarb er sich den Ruf eines radikalen Kämpfers gegen Liberalismus und Verfassung. Gerade in den Jahren der Revolution von 1848/49 hielt er kämpferische Reden, in dieser Wendezeit stand er für Preußentum und Königstreue. Bismarck bekannte sich zu seinem Antisemitismus, er sah, welche konfessionellen Auseinandersetzungen zu gewärtigen waren.

Im Jahr 1849 wurde er Mitglied der zweiten Kammer des preußischen Landtages und beteiligte sich an der Gründung der »Kreuzzeitung«. Er beklagte die Mängel des eigenen Standes und bekämpfte das Frankfurter Parlament. So wollte er keinesfalls eine Kaiserwahl durch die Paulskirche. Russland, das war für ihn damals der richtige Partner.

In den 1850er-Jahren bewährte er sich auf diplomatischen Posten, in Frankfurt beim Bundestag, als Gesandter in Petersburg und Paris. Als er 1862 das Amt des Ministerpräsidenten antrat, steckte er sich nicht viele Ziele, er wollte Preußen zu einer Großmacht machen und mit Österreich eine Klärung des deutschen Dualismus erreichen. Mit dem Verfassungsstaat fand er sich ab, er wusste ihn zu nutzen, liebte ihn aber nicht. Preußen steckte zu diesem Zeitpunkt in einer schweren Krise. Auslösendes Moment war der seit 1857 schwelende Konflikt um die Heeresreform. Das seit 1814 geltende Gesetz war längst nicht mehr zeitgemäß, es musste erneuert werden. Eine zweite Konfliktebene bildete die Auseinandersetzung, ob die Armee nur dem König unterstehen oder ob sie nach dem Wunsch der Liberalen über die Exekutive in die Verfassung eingebunden werden solle. Die Liberalen fürchteten ein Unterdrückungsinstrument außerhalb des Parlaments. Als sie bei den Wahlen erheblich zulegen konnten, besaßen sie die Mehrheit im Landtag. Der König wollte abdanken, als sich Bismarck anbot, die Situation auch gegen den Landtag zu lösen. Er setzte scharfe Maßnahmen gegen die Presse- und Versammlungsfreiheit durch und erklärte im Landtag: »Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.«

Aus heutiger Sicht äußerst konsequent, setzte Bismarck Maßnahmen zur Stärkung von Preußens Position. 1863 verhinderte er den österreichischen Versuch zur Reorganisation des Deutschen Bundes, er begründete die Freundschaft mit Russland, dem er Unterstützung bei der Unterdrückung des polnischen Aufstandes von 1863 zusicherte, gewann die Unterstützung Österreichs gegen Dänemark in der Schleswig-Holstein-Frage. Doch Bismarck wollte diese beiden Provinzen völlig an Preußen angliedern und riskierte dazu die Auseinandersetzung mit Österreich. Für einen solchen Konflikt suchte er einen Partner in Italien. Österreich wollte den Bundestag mit der Frage beschäftigen, dies beantwortete Bismarck mit der Besetzung des von Österreich verwalteten Holsteins. Der Krieg von 1866 brachte Österreich eine demütigende Niederlage, die Friedensschlüsse von Nikolsburg und Prag hingegen fielen für Österreich äußerst maßvoll aus. Schleswig-Holstein wurde preußische Provinz, Hannover, Österreichs Verbündeter, wurde besetzt. Bismarck schuf aus diesen norddeutschen Staaten den Norddeutschen Bund, der ihm als Kanzler unterstand, wo er sofort das allgemeine und gleiche Wahlrecht einführte. Damit war Deutschland fast geeinigt, Preußen mächtiger denn je, die Liberalen zufrieden, weil auch die Verfassungsfrage eine Lösung gefunden hatte. Allerdings folgten nicht alle Anhänger der Konservativen und Liberalen Bismarcks Politk, es kam zu einer Spaltung der beiden Gruppen, Nationalliberale und Freikonservative standen auf der Seite des preußischen Kanzlers. Für die Entwicklung des deutschen Bürgertums war diese Spaltung verhängnisvoll, weil das Bürgertum durch die klassische Kabinettspolitik in die Rolle des Zuschauers gedrängt wurde.

Schon 1866 hielt Bismarck eine Auseinandersetzung mit Frankreich für unausweichlich. Als die Kandidatur Leopolds von Hohenzollern-Sigmaringen für den spanischen Thron aufs Tapet kam, erhob Frankreich Einspruch, Bismarck zog zurück, allerdings wollte Frankreich eine Garantie gegen eine Wiederholung. Die Affäre um die Emser Depesche, ein von Bismarck in seinem Inhalt verändertes und veröffentlichtes Telegramm, das Frankreich der Drohung mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen beschuldigte, veranlasste das französische Kaiserreich zur Kriegserklärung. In wenigen Monaten war Frankreich völlig besiegt, Napoleon III. ins Exil gezwungen und im Januar 1871 wurde in Versailles das Deutsche Kaiserreich ausgerufen, nachdem zuvor mühevolle Verhandlungen um Bayerns Zustimmung stattgefunden hatten. Der Friede von Frankfurt war keineswegs maßvoll, denn Frankreich musste gegen den Willen der Bevölkerung Elsass-Lothringen an das Deutsche Reich abtreten. Der Keim für weitere Auseinandersetzungen, symbolisiert durch das Schlagwort von der »Revanche pour Sedan«, wurde mit diesem Vertrag gelegt.

Die beiden nächsten Jahrzehnte nutzte Bismarck, um dieses Deutsche Kaiserreich, das wohl saturiert, aber noch nicht konsolidiert war, nach allen Seiten durch ein kompliziertes Netz von Verträgen abzusichern. Grundprinzip wurde, durch Verträge mit Österreich, Russland und Italien, prinzipiell jedoch unter Ausschluss Frankreichs, ein ausbalanciertes Verhältnis zu wahren. Gefährdet war dies immer wieder etwa durch den österreichisch-russischen Gegensatz auf dem Balkan, den Bismarck 1878 auf dem Berliner Kongress nur oberflächlich beruhigen konnte. Der Abschluss des Dreibunds mit Österreich und Italien und der Rückversicherungsvertrag mit Russland sollten ein tragfähiges System bilden. Ob dieses System an Bismarcks Nachfolgern oder an seinen zweifellos großen innenpolitischen Fehlern scheiterte, ist zu diskutieren. Bismarcks Kulturkampf mit der katholischen Kirche, durch deren Internationalität er das Reich gefährdet sah, das Sozialistengesetz von 1879, das die sozialdemokratisch denkende und fühlende Bevölkerung illegalisierte, konnten durch die positive Sozialgesetzgebung nicht ausglichen werden. Die folgende innenpolitische Lähmung und der Ehrgeiz von Wilhelm II. beschleunigten seinen Sturz. Verbittert verließ er das Amt, in den folgenden Jahren immer wieder laut und deutlich Kritik äußernd. Es waren dies die Jahre, in denen die einseitigen Bismarck-Legenden entstanden, die seinem sehr differenzierten Wirken nicht gerecht wurden.

Bismarck hielt sich für einen Auserwählten, er war ein Mann, der einen Auftrag Gottes erfüllte. Im Grunde war dies eine calvinische Einstellung. Am Ende seiner Laufbahn erwog er sogar kurz einen Staatsstreich, um das Parlament zu beseitigen und das Kaisertum zu festigen. Den Sozialdemokraten wollte er überhaupt das Wahlrecht entziehen.

1866 hätte er Frankfurt am liebsten gewaltsam eingenommen, hätte die Stadt nicht die Kontribution von 25 Millionen Talern bezahlt, denn die Erinnerungen an die Paulskirche waren noch sehr virulent. In jenen Situationen, in denen er sich Feinde gemacht hatte, die auf Dauer gefährlich werden konnten, zeigte Bismarck Maß und Zurückhaltung.

Er besaß ein gefährliches, jähzorniges Temperament, mit 16 Jahren soll er einem Reitlehrer ein Auge ausgeschlagen haben, von einem Berliner Gymnasium wurde er relegiert, weil er einen Professor einen bürgerlichen Esel nannte. Als Abgeordneter in Frankfurt hatte er die bürgerliche Intelligenz und Tüchtigkeit kennengelernt, die den ostelbischen Junkern weit überlegen waren. Es war dieses tüchtige Bürgertum, das aus eigener Kraft etwas erreicht hatte, das Bismarck auch weit über seinen Sturz hinaus die Treue hielt. Gleichzeitig spottete er über die »Professorenschwätzer« des Jahres 1848.

Im Prinzip war Bismarck ein Mensch der Tat, der handelte, der Reden verabscheute, daher waren seine Parlamentsreden auch immer ziemlich sarkastisch.

Außenpolitisch war er der geniale Politiker, der klar erkannte, was möglich war. Er selbst formulierte dazu einen großartigen Satz: »Der Staatsmann kann nie selbst etwas schaffen, er kann warten und lauschen, bis er den Schritt Gottes durch die Ereignisse hallen hört – dann vorspringen und den Zipfel des Mantels fassen, das ist alles.«

Innenpolitisch verfehlte er mit seinem Kampf gegen die Sozialdemokratie die Zukunft, konnte auch nicht die Werte einer konstitutionellen Monarchie erkennen. Ein bleibendes Verdienst war das geheime, gleiche und direkte Wahlrecht für den Reichstag.

In seine Ära fiel der Beginn jenes kabarettreifen (Hauptmann von Köpenick) gehorsamen preußischen Beamtentums. Bismarck ließ gegen freisinnige Beamte Maßnahmen ergreifen, sie wurden versetzt, schikaniert und aus dem Dienst drangsaliert – in dieser Atmosphäre musste das devote Untertanentum blühen.

Bismarcks Verhältnis zur Presse war herablassend, er konnte die Journalisten nicht ausstehen, daher ging er auch mit der Pressefreiheit salopp um, schikanierte oder kaufte sie – die geheime Schatulle für die Bezahlung von gehorsamen Journalisten hieß nicht zufällig »Reptilienfonds«. Kluge Gegner im Parlament nannte er diffamierend Rabulisten, das Wort Intellektueller wurde regelrecht zu einem Schimpfwort pervertiert.

Von Gegensätzen bestimmt war sein Verhältnis zum Militär, Politik und Heeresführung waren in ihren Zielen nicht kompatibel. Kein Wunder, dass ihn mit Moltke eine erbitterte Feindschaft verband. Respekt für den politischen Gegner und ein dementsprechender Umgang, wie etwa in Großbritannien längst üblich, entsprachen nicht dem preußischen Comment. Umgekehrt kam es zu geradezu peinlicher Heldenverehrung und Pilgerfahrten nach Friedrichsruh, dem Alterssitz Bismarcks.



Werke

Gedanken und Erinnerungen

LÉON BLUM

Der aus dem wohlsituierten jüdischen Bürgertum des Elsass stammende Léon Blum wandte sich schon als Student dem Sozialismus zu. Als sensibler Intellektueller war dies im Grunde eine logische Entwicklung. In seiner Studentenzeit – er studierte Jura in Paris an der Sorbonne – stand er unter dem Einfluss des elsässischen politischen Schriftstellers Maurice Barrès und seinem Ich-Kult. Blum war Ästhet, ja er wirkte fast dandyhaft. Im Quartier Latin war er in anarchistischen Kreisen zu Hause. Die Tradition der französischen Republikaner war ihm Maxime, der Sozialismus eines Jean Jaurès, getragen von demokratischem und humanistischem Geist, wurde ihm Credo. Nach der Ermordung Jaurès trat er gleichsam in die Fußstapfen seines großen Vorbildes.

Nach seiner Promotion 1894 wirkte Blum zunächst als Literaturkritiker. Auslösendes Moment, sich dem Sozialismus anzuschließen, war für Blum wie für viele Intellektuelle seiner Zeit die Affäre Dreyfus. Der Kampf der Linksliberalen um Gerechtigkeit für den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus, der ohne sein Zutun in ein Komplott konservativer Militärs geraten war, entwickelte sich zum Kampf um soziale Gerechtigkeit.

Blums Engagement galt anfangs der Einigung der verschiedenen sozialistischen Parteien. Darauf zog er sich – bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges – fast aus der Politik zurück und widmete sich der Literaturkritik, nur dem Staatsrat gehörte er als Mitglied an.

Im August 1914 übernahm er die Funktion eines Kabinettschefs von Marcel Sembat, dem Minister für öffentliche Arbeiten im Kabinett Viviani.

Nach dem Krieg war er es, der das neue Programm der Sozialisten formulierte. Dies war nötig geworden, weil sich 1920 die Kommunisten von den Sozialisten getrennt hatten. Da sie auf dem Parteikongress die Mehrheit erzielt hatten, konnten sie das gesamte Parteivermögen und die Presse übernehmen. Blum leitete nun die Wiedergeburt einer sozialistischen Partei ein. In der Deputiertenkammer wurde er zum Fraktionschef der Sozialisten und damit zum Chef der Opposition gegen Alexandre Millerand und Raymond Poincaré gewählt, außerdem betreute er als Direktor die Zeitung »Le Populaire«. Er trat mit dem Ziel an, seine Partei zur stärksten Fraktion im Abgeordnetenhaus zu machen und damit den Regierungschef stellen zu können. 1924 unterstützte er Edouard Herriots Kabinett des »Cartel des Gauches«, weigerte sich aber, selbst den Regierungen Herriot und Briand anzugehören.

Bereits 1928 gewannen die Sozialisten 104 Sitze im Parlament, Blum selbst verlor sein Mandat. Ein Jahr später kehrte er aber wieder in die Kammer zurück, wobei er für den Distrikt Narbonne kandidiert hatte.

Nach 1934 widmete er seine ganze Kraft dem Aufbau der linken Solidarität gegen die rechten Faschisten, denen er ein Programm aus Pazifismus, Verstaatlichung der französischen Industrie und Maßnahmen gegen die überbordende Arbeitslosigkeit entgegenhielt.

Im Juni 1936 war es endlich so weit, Blum leitete das Kabinett der linken Volksfront, das sich aus Sozialisten, Kommunisten und Radikalen zusammensetzte. Blum war der erste sozialistische und jüdische Regierungschef in der Geschichte Frankreichs. Zunächst konnte diese Regierung, der unter anderen auch die berühmte Wissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin Irène Joliot-Curie angehörte, große Erfolge erreichen: In Frankreich wurde die 40-Stunden-Woche eingeführt, mit bezahltem Urlaub und kollektiven Arbeitsverträgen wurden alte Forderungen der Sozialisten in die Tat umgesetzt. Die Produktionsstätten der wichtigsten Waffenhersteller wurden verstaatlicht, auch die Banc de France. Doch Blum scheiterte bald an der Wirtschafts- und Finanzpolitik und auch innenpolitisch, da er sich dazu entschieden hatte, Frankreich aus dem Spanischen Bürgerkrieg herauszuhalten. Blum wurde als Appeasement-Politiker beschimpft, seine Verstaatlichungspolitik wurde mit dem Slogan »Besser Hitler als Blum« diffamiert. Dem folgenden Kabinett von Camille Chautemps gehörte er noch bis Januar 1938 als Vizepremier an.

In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg gehörte Blum zu den entschiedenen Gegnern des Münchner Abkommens, er forderte immer wieder größere französische Rüstungsanstrengungen, um in der gespannten Lage in Europa vorbereitet zu sein.

Unter dem Vichy-Regime wurde er 1940 wegen Kriegsverbrechen verhaftet und vor Gericht gestellt. Das Verfahren, das im Februar 1942 in Riom stattfand, gestaltete sich aber zur Niederlage seiner Gegner: Seine unbeugsame Haltung fand mehr Freunde als Feinde, der Prozess wurde schließlich vertagt, Blum wurde ins KZ Buchenwald abgeschoben, wo er 1945 von den Amerikanern befreit wurde.

Von Dezember 1946 bis Januar 1947 stand er noch einmal quasi als »elder statesman« an der Spitze einer sozialistischen Regierung, danach übte er kein Regierungsamt mehr aus. In dieser letzten Amtsperiode gelang es ihm noch, eine Milliardenanleihe für Frankreich mit den USA zu verhandeln. Seine Funktion als Vizepremier im kurzlebigen Kabinett des Radikalsozialisten André Marie war nur ein Intermezzo. Unbestritten war seine geistige Führerschaft der Sozialisten bis zu seinem Tode.


SIMÓN BOLÍVAR

Der früh verwaiste Sohn einer reichen Kreolenfamilie wurde dem Zeitideal entsprechend mit den Lehren der Aufklärung und den Traditionen der Antike von seinem Privatlehrer Simón Rodríguez erzogen. Seine Eltern Don Vicente Bolívar und Doña Maria de la Concepción Palacios y Blanco besaßen Kupferminen in Venezuela. Im Alter von drei Jahren verlor Simón Bolívar seinen Vater, sechs Jahre später starb seine Mutter. Daraufhin kümmerte sich sein Onkel Carlos Palacios um ihn. Mit 15 Jahren wurde er gemeinsam mit einem Freund nach Spanien geschickt, um seine Ausbildung zu vervollkommnen. In Spanien lernte er María Teresa Rodríguez del Toro y Alaysa kennen, die er 1802 heiratete. Ein Jahr später kehrte er nach Venezuela zurück, Maria starb kurz danach an Gelbfieber. Vom Tod seiner Frau tief getroffen, gelobte er, nie wieder zu heiraten.

1804 reiste er abermals nach Europa und erlebte in Paris die Krönung Napoleons, die ihn erschütterte, hatte doch sein bisheriges Vorbild die republikanischen Ideale verraten. In Rom, das ihn restlos faszinierte, soll er sich angeblich auf dem Aventin feierlich verpflichtet haben, die Unabhängigkeit Südamerikas von der Kolonialmacht Spanien zu erkämpfen.

Getragen von seinem Sendungsbewusstsein, kehrte er 1807 nach Venezuela zurück, wo sich nach der Eroberung Spaniens durch napoleonische Truppen eine beachtliche Unabhängigkeitsbewegung gebildet hatte. Sofort beteiligte er sich am Aufstand gegen den Statthalter Joseph Bonaparte, Napoleons Bruder. Überall in Südamerika bildeten sich lokale Juntas, die nicht nur Bonaparte, sondern auch die spanische Kolonialmacht bekämpften. Der Sturz des Statthalters in Venezuela 1810 gab das allgemeine Signal für den langwierigen Unabhängigkeitskampf.

Die Gesinnungsgenossen entsandten nun den weltgewandten Simón Bolívar nach England, um dort um Unterstützung für die antispanischen Rebellen zu bitten. Es war politisch eine vergebliche Reise, doch in Großbritannien lernte Bolívar Francisco de Miranda kennen, der sich schon früher für eine Befreiung Lateinamerikas von der spanischen Kolonialmacht mit Hilfe der europäischen Mächte eingesetzt hatte. Gemeinsam kehrten sie nach Venezuela zurück, Miranda wurde General in der Revolutionsarmee.

Am 5. Juli 1811 kam es zur Ausrufung einer unabhängigen Republik mit einer eigenständigen Verfassung. Miranda, im Besitz des Oberbefehls über die Armee, erhielt zu diesem Zeitpunkt diktatorische Vollmachten.

Nach einer verheerenden Niederlage der aufständischen Truppen gegen die Spanier bei Puerto Labello musste Miranda im Juli 1812 in San Mateo einen Waffenstillstand unterzeichnen. Bolívar und die anderen Anführer der Revolutionsarmee witterten Verrat und ließen sich dazu hinreißen, Miranda den Spaniern auszuliefern. Er starb in einem spanischen Gefängnis.

Bolívar zog sich mit seinen Anhängern nach Cartagena in Neu Granada, heute Kolumbien, zurück, wo er wieder eine Armee aufstellte. In Cartagena verfasste er das »Manifiesto di Cartagena«, einen leidenschaftlichen Aufruf zur Beseitigung der spanischen Kolonialherrschaft. 1813 kehrte er nach Caracas zurück und stürzte die Royalisten. Unter frenetischem Jubel wurde Bolívar zum »Libertador« und Diktator ernannte, doch die Royalisten gewannen schnell wieder die Oberhand, und er musste neuerlich fliehen, diesmal nach Jamaika und schließlich nach Haiti. In Jamaika hatte er »La Carta de Jamaica« geschrieben, einen Brief, in dem er seine politischen Visionen von einem geeinten, von der spanischen Herrschaft befreiten Südamerika darlegte. Als ideale Staatsform betrachtete er die konstitutionelle Republik, nach britischem Vorbild mit einem erblichen Oberhaus, einem gewählten Unterhaus und – auf sich persönlich zugeschnitten – einem Präsidenten auf Lebenszeit.

Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft 1815 wurde auch Joseph Bonaparte aus Spanien vertrieben, das angestammte Königshaus kehrte mit Ferdinand VII. an die Macht zurück, was allerdings den Zusammenbruch der spanischen Herrschaft in Lateinamerika beschleunigen sollte, denn Bolivar war inzwischen aus Haiti, das sich der französischen Vormacht entledigt hatte, zurückgekehrt, verfügte nun über europäische Söldner und eine starke Unterstützung durch die einheimische Bevölkerung.

Mit Hilfe Haitis nahm er den Kampf wieder auf, Siege und Niederlagen wechselten. 1819 errang er in der Schlacht bei Boyacá einen respektablen Sieg. Auf dem Kongress von Angostura (heute Ciudad Bolívar) schuf er den Staat Groß-Kolumbien, dem die heutigen Territorien von Venezuela, Panama, Kolumbien und Ecuador angehörten. Bolívar wurde zum Präsidenten und Diktator gewählt, übertrug aber die Macht an seinen Stellvertreter Francisco de Paula Santander, da er sich selbst um die Befreiung Ecuadors kümmern wollte.

1822 konnte er mit Hilfe seines Freundes, General Antonio de Sucre, einen beachtlichen Sieg über die Spanier bei Pichincha erringen.

Zur selben Zeit kämpfte in Peru San Martin um die Unabhängigkeit, die beiden Haudegen trafen sich im Juli 1822 in Guayaquil (Ecuador). Das Treffen hatte schwerwiegende Folgen, denn San Martin übertrug ihm den Oberbefehl über seine Truppen und zog sich aus dem Kampf zurück. Bolívar marschierte mit Sucre nach Peru, ein Jahr später zog er in Lima ein. Im Dezember 1824 in der Schlacht bei Ayacucho mussten die Spanier eine endgültige Niederlage hinnehmen. Bolívar wurde Präsident von Groß-Kolumbien und Peru. Für den neuen Staat, der – in verkleinerter Form – fortan seinen Namen tragen sollte, konzipierte er eine autoritäre Verfassung, die allerdings nie angenommen wurde.

Für 1826 berief Bolívar eine panamerikanische Konferenz ein, er träumte von einer Zusammenarbeit aller Staaten des amerikanischen Kontinents. Doch nur wenige Länder nahmen an diesem Treffen teil, denn außer Groß-Kolumbien entsandten nur Zentralamerika und Mexiko Delegierte. Das dort unterzeichnete Abkommen zeigte kaum Folgen, aber der Gedanke einer panamerikanischen Zusammenarbeit lebte weiter: Bolívar dachte in großen Räumen, in Kontinenten, während die zeitgenössischen Politiker nur den einzelnen Nationalstaat vor Augen hatten.

Bedingt durch persönliche Rivalitäten unter den Revolutionsgenerälen brach ein Bürgerkrieg aus, der den Einheitsstaat Groß-Kolumbien zerbrechen ließ. Es gab wohl zentrale Gewalten, aber die regionale Verwaltung funktionierte mehr schlecht als recht.

So kehrte Bolívar, bereits seit einigen Jahren schwer erkrankt, nach Bogotá und dann nach Caracas zurück. Man bewunderte den einstigen Kriegshelden, doch die Unterstützung durch Anhänger blieb aus. Verbittert wollte Bolívar nach Europa ins Exil gehen, doch noch vor Antritt seiner Reise starb er an Tuberkulose. Bolívar war zweifellos ein Visionär, der seine Anhänger begeisterte und den Staaten des ehemaligen spanischen Kolonialreichs in Südamerika mit seinen Ideen eine neue Zukunft eröffnete, doch seine wenig pragmatische Vorgangsweise wurde vielen seiner Pläne zum Verhängnis. Er war schwärmerisch, vielleicht in manchem seiner Zeit voraus.


399
430,07 ₽
Возрастное ограничение:
18+
Объем:
361 стр. 86 иллюстраций
ISBN:
9783843802093
Издатель:
Правообладатель:
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