Читать книгу: «Tatort Teufelsbrücke», страница 3

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Sie wies auf das Holzgestühl. Uschi betrachtete die fürstlichen Wappen, die an den Rückenlehnen der Stühle angebracht worden waren. Offenbar hatte jeder Fürst seinen festen Platz in der Runde gehabt.

»Nett hier«, sagte Uschi und nickte anerkennend. »Aber wo bleibt das Bier?«

»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«, erwiderte Danni mit gespielter Strenge. Sie stand auf und musterte Uschis Kleidung mit unverhohlener Missbilligung. »Zuallererst müssen wir mal über deine Arbeitskleidung sprechen«, sagte sie tadelnd und schüttelte den Kopf. Uschi sah amüsiert an sich herab. Schwarzer Rock, rote Jacke. Was gab es daran auszusetzen? »Wir erwarten von unseren Angestellten«, fuhr Danni fort und erhob den Zeigefinger, »dass sie sich standesgemäß kleiden. Schließlich befinden wir uns hier in einem Schloss! Für die Mondscheinführung ist eine adäquate Gewandung unabdingbar!«

Uschi zog die Augenbrauen hoch. Eine adäquate Gewandung? Dachte Danni dabei an ein Kleid im Stil des 19. Jahrhunderts? Woher sollte sie denn auf die Schnelle solch ein Gewand herbekommen? Sie seufzte. Am Ende würde sie womöglich doch noch notgedrungen auf ein Hexenkostüm ausweichen müssen. Diese Art von Gewandung gab es momentan nämlich an jeder Ecke zu kaufen.

Die beiden Rothirsche blickten mit hoch erhobenem Haupt aufmerksam in die Ferne. Die majestätischen Wächter thronten zu beiden Seiten des efeuberankten Eisentors auf ihren Säulen und jeder Besucher, der den Wildpark Josefslust betreten wollte, musste zuerst einmal den stolzen Tieren mit ihren mächtigen Geweihen Respekt zollen und zu ihnen aufschauen.

Uschi warf einen flüchtigen Blick auf das Schild, das an der Toreinfahrt befestigt war. Hunde waren im Wildpark an der Leine zu führen. Schlecht für Leopold, aber damit hatte sie eigentlich schon gerechnet. Ihr Blick blieb an der Abbildung eines Wildschweins hängen. Sie stutzte und ging etwas näher an das Schild heran. Was? Frei laufende Wildschweine? War das ein Witz? Stirnrunzelnd betrachtete Uschi das Schild. Nein, das war wohl ernst gemeint. Ja, aber war das denn nicht wahnsinnig gefährlich? Uschi sah in Gedanken schon die aufgebrachte Bache auf sich zurasen, gefolgt von einer Schar kleiner Frischlinge. Wie reagierte man denn am besten auf eine Wildschweinattacke? Wegrennen? Bei aggressiven Hunden hieß es ja immer, man solle auf gar keinen Fall wegrennen, sondern stehen bleiben. Ob diese Regel wohl auch für eine Wildsau galt? Vermutlich würde sich so ein angriffslustiges Wildschwein an keinerlei Regeln halten und jeden gnadenlos über den Haufen rennen, der bei drei nicht auf den Bäumen war. Uschi linste durch die Gitterstäbe. Genügend hohe Bäume gab es im Park jedenfalls. Aber ob sie es in ihrem Alter noch schaffen würde, so schnell auf einen Baum zu klettern? Und dann hing ja auch immer noch Leopold am anderen Ende der Leine. Die Logik des Leinenzwangs erschloss sich ihr sowieso nicht. Sollte dadurch verhindert werden, dass der Hund das Wildschwein jagte oder wollte man den Hund vor dem Wildschwein schützen? Leopold hätte gewiss schlechte Karten im Kampf gegen einen ausgewachsenen Keiler. Uschi fasste die Leine etwas kürzer und zog Leopold zu sich heran.

»Tja, mein Lieber«, sagte sie bestimmt. »Hier gibt es Freilauf nur für Wildschweine. Also leider kein freies Laufen für dich. Mit Wildschweinen ist nicht zu spaßen.«

Leopold scherte sich im Moment überhaupt nicht um etwaige Wildschweine, sondern war ganz auf sein Riechorgan konzentriert. Ein wunderbarer Duft lag in der Luft und erfreulicherweise wurde er mit jedem Atemzug intensiver.

Uschi trat von einem Fuß auf den anderen. Lena musste jeden Moment kommen. Leider hatte sich der Nebel nicht wie erhofft aufgelöst. Im Gegenteil. Inzwischen konnte man kaum 100 Meter weit blicken. Schade! Lena hatte ihr den Wildpark als idyllischen Ort beschrieben. Nun verpasste der Nebel der Landschaft allerdings einen düsteren Anstrich, der eine beinahe unheimliche Stimmung hervorrief. Die Welt wirkte unter dem grauen Schleier trostlos und kalt. Schaudernd schloss Uschi den obersten Knopf ihres Mantels und entnahm einem Glasbehälter am Tor einen der darin steckenden Prospekte. Aha. Zu bestimmten Terminen gab es hier einen Wildfleischverkauf. Hm, die Wildspezialitäten klangen verlockend. Es gab sogar Wildschwein-Landjäger und Wild-Leberwurst. Aber auch der angebotene Braten und das Gulasch von Rehwild, Wildschwein und Damwild waren sicher fein.

Es wurde damit geworben, dass das Fleisch frei von Hormonen, Tierarznei und Futtermittelbeigaben sei. »Besser als Bio« hieß der Slogan. Nun ja, dachte Uschi, immerhin hatten die Wildtiere frei gelebt und stammten nicht aus der Massentierhaltung. Dafür war Wildfleisch allerdings auch nicht ganz billig. Zumindest, wenn es als Keule oder Braten ohne Knochen verkauft wurde. Hier konnte man jedoch auch das ganze Wild kaufen. Das war wesentlich günstiger und kostete nur um die fünf Euro pro Kilo. Aber dafür hatte der Jäger das Wild auch lediglich aufgebrochen und die Innereien entfernt. Das »Aus-der-Decke-Schlagen«, also das Abhäuten, und das Entfernen der Knochen waren Sache des Käufers. Aber auch wenn Uschi Wildgerichte wie einen Rehbraten liebte, hätte sie sich nie vorstellen können, einem Reh das Fell abzuziehen. Wäre sie gezwungen, dies künftig selbst zu tun, würde sie augenblicklich zur Fraktion der Vegetarier überlaufen. So wie ihre Nichte Clara, die schon seit Jahren kein Fleisch mehr aß.

Leopold hatte derweil Peggy gesichtet, die in Begleitung von Lena die Landstraße überquerte und geradewegs auf ihn zukam. Da war sie ja, die Hundedame, die so verheißungsvoll roch! Nun gab es kein Halten mehr. Gespannt richtete er die Ohren auf, schwänzelte stürmisch und stieß ein ungeduldiges Freudengeheul aus. Uschi sah ihn erstaunt an. Leopold war völlig aus dem Häuschen!

»Hallo! Da sind wir. Hast du den Parkplatz gleich gefunden?«, erkundigte sich Lena.

Sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie sah, wie Uschi mit dem liebestollen Australian Shepherd zu kämpfen hatte.

»Klar, ist ja nicht weit von Sigmaringen hierher«, sagte Uschi und zog Leopold, der seine Nase bereits im Hinterteil der Pudeldame versenkt hatte, zu sich heran. »Und der Wanderparkplatz Josefslust ist gut ausgeschildert. Wir haben nicht mehr als fünf Minuten gebraucht.«

»Lass ihn ruhig erst mal schnuppern. Peggy zeigt ihm dann schon, wenn es ihr zu viel wird.«

Sie hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, da fletschte die Pudeldame bereits die Zähne und stieß ein deutlich vernehmbares Knurren aus. Leopold verstand die Warnung sofort, legte die Ohren an und ging auf Abstand.

»So! Das hätten wir geklärt! Komm, lass uns reingehen.«

Das Tor gab ein leises Quietschen von sich, als Lena es aufdrückte und Uschi samt Hund durchließ. Leopold legte sofort ein gutes Tempo vor und schleifte Uschi auf seiner Entdeckertour hinter sich her. Erst ging es nach links an den Wegesrand, dann nach rechts und schließlich wieder nach links. Uschi folgte ihm im Laufschritt, den Arm weit ausgestreckt.

»Dein Hund geht mit dir spazieren und nicht umgekehrt«, stellte Lena fest und lachte.

Uschi blieb verärgert stehen, lehnte sich mit dem Oberkörper zurück und bemühte sich, dem Zug standzuhalten. Leopold stemmte sich mit aller Kraft dagegen. Wer würde das Seilziehen wohl gewinnen? Uschi hatte mehr Lebendgewicht, aber der Hund hatte eindeutig die bessere Technik und zudem Vierpfotenantrieb. Da half es auch nicht, die Zähne zusammenzubeißen. Mit einem Ruck ging es weiter und Uschi blieb nichts anderes übrig, als erneut hinter dem Aussie her zu stolpern.

»Clara lässt ihn immer frei laufen«, rief sie Lena zu. »Deshalb hat er nie richtig gelernt, ordentlich an der Leine zu gehen.«

Lena rannte ein paar Schritte, um wieder auf eine Höhe mit Uschi zu kommen.

»Du solltest mit ihm in eine Hundeschule gehen.«

»Das ist Claras Aufgabe«, entgegnete Uschi und schüttelte den Kopf. »Ich werde schon irgendwie mit ihm zurechtkommen.« Im selben Moment zerrte Leopold wieder nach rechts, Uschi hinterher. »Donnerwetter! Jetzt zieh doch nicht so!« Sie drehte sich zu Lena um. »Es tut mir leid. Spazieren gehen funktioniert nicht mit ihm. Wir müssen schneller laufen. Walkingschritt.«

Während sie den Waldweg entlanghetzte, spähte sie immer mal wieder in den Wald hinein und hielt nach Wildschweinen Ausschau. Die Gefahr, dass so ein Viech urplötzlich aus dem Unterholz hervorbrach und sie in einem unvorsichtigen Moment eiskalt erwischte, bestand durchaus.

Sie zweigten nach links ab und erreichten schließlich ein umzäuntes, weitläufiges Grundstück, auf dem ein weißes Gebäude mit blaugrauen Fensterläden stand. Ein kleines Türmchen zierte das rote Dach, am Giebel war eine Uhr angebracht.

»Das ist das Jagdschloss Josefslust«, erklärte Lena. »Es wurde 1830 erbaut und diente früher als Fürstlich Hohenzollerische Revierförsterei. Inzwischen wohnt hier aber Prinz Albrecht Johannes von Hohenzollern mit seiner Familie.«

»Schön«, bemerkte Uschi und nickte beeindruckt.

»Vor ein paar Jahren gab es hier noch einen Schaukasten mit einem ausgestopften Wolf. Er wurde 1831 erschossen. Es war der letzte Wolf, der auf hohenzollerischem Gebiet erlegt wurde.«

»Das wusste ich gar nicht«, sagte Uschi und schaute betroffen drein. »Irgendwie traurig. Der letzte Wolf …«

»Die Leute hier nannten ihn ›Isegrim‹. Er wurde inzwischen restauriert und steht jetzt in der Hubertushalle im Sigmaringer Schloss.«

»Wirklich? Dann muss ich Isegrim demnächst unbedingt mal einen Besuch abstatten!«

»So wie es aussieht, gibt es jetzt ja wieder einen jungen Isegrim im Donautal. Ich finde es ja unglaublich, wie viel Wirbel ein einziges Tier auslösen kann!«

»Ich kann das auch nicht nachvollziehen«, stimmte Uschi zu. »Die Baden-Württemberger sollten doch eigentlich stolz darauf sein, dass es ein Wolf bis zu uns ins Ländle geschafft hat und sich hier ansiedeln möchte. Stattdessen findet man in der Zeitung jeden zweiten Tag Negativschlagzeilen über die Zuwanderung der Wölfe. Ganz selten findet sich mal ein positiver Bericht dazwischen. Wo sind sie denn eigentlich, die ganzen deutschen Tierfreunde?«

»Das darfst du mich nicht fragen. Ich bin sowieso etwas extrem, was die Tierliebe angeht.« Lena hielt inne und suchte nach den richtigen Worten. »Ich war schon immer eine totale Hundenärrin. Aber seit meiner Scheidung vor fünf Jahren sind die Hunde in den Mittelpunkt meines Lebens gerückt. Kinder habe ich ja keine.« Sie lächelte verlegen. »Für mich haben Tiere den gleichen Stellenwert wie Menschen.«

»Das kann ich schon ein Stück weit nachvollziehen. Ich hatte zuletzt zwar nur einen Hamster, aber selbst so ein kleines Tierchen hat eine Seele wie wir. Es tat mir sehr leid, als es mit ihm zu Ende ging.«

»Als mein vorheriger Hund gestorben ist, hab ich um ihn genauso getrauert wie um einen Menschen. Ich hab tagelang geheult.« Lena blickte traurig ins Leere und schüttelte resigniert den Kopf »Bruno fehlt mir so …«

Noch während Uschi sich überlegte, was sie erwidern sollte, gab sich Lena bereits wieder einen Ruck. Ihr geklärter Blick richtete sich auf die Pudeldame an ihrer Seite. Lächelnd beugte sie sich zu dem Hundchen hinunter und kraulte es liebevoll hinter den Ohren.

»Und jetzt ist Peggy da. Und sie verdient alle Liebe dieser Welt.«

Sie gingen die gleiche Strecke wieder zurück, bogen dann nach links ab und fanden sich kurz darauf vor dem Landhaus Josefslust wieder. Im Gegensatz zum Jagdschloss, das frei einsehbar war, schützten hier ein elektrisches Zufahrtstor, ein Maschendrahtzaun und eine hohe Buchenhecke vor allzu neugierigen Blicken. Uschi beäugte die Hecke. Irgendwo musste es doch eine lichte Stelle geben, durch die man spicken konnte! Sie ging die Grundstücksgrenze entlang, linste zwischen dem dichten Geäst hindurch und fand schließlich tatsächlich ein Guckloch. Leopold gestattete sich und Uschi eine kurze Schnüffelpause und hielt ausnahmsweise mal still. Das schöne weiße Gebäude mit den grauen Fensterläden war von einer großzügigen, akkurat geschnittenen Rasenfläche umgeben. Menschen waren nicht zu sehen. Dafür lag ein großer brauner Hund auf dem Rasen und schlief. Alles war ruhig. Extrem ruhig. Vielleicht lag es auch am Nebel, der sämtliche Geräusche verschluckte. Nicht einmal die Vögel zwitscherten. Uschi fröstelte.

»Das Gebäude ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich«, flüsterte Lena, als ob bereits das Schauen einer Verletzung der Privatsphäre gleichkäme. »Das Landhaus wird von Fürst Karl Friedrich von Hohenzollern und seiner Frau bewohnt.«

Da der öffentliche Weg hier endete, machten sie kehrt.

»Leopold!«, keuchte Uschi. »Wenn du jetzt nicht aufhörst, so zu ziehen, mach ich dich von der Leine los. Und dann holt dich der Keiler!«

»Also, da würde ich nicht daraufsetzen. Ich war ja schon oft hier, aber ein Wildschwein hab ich noch nie gesehen.«

»Na, wenn man den Zeitungsberichten Glauben schenken will, dann wimmelt es doch inzwischen nur so von Schwarzwild«, sagte Uschi und rollte mit den Augen.

»Ja, scheint eine echte Plage zu sein. Klar, das Schwarzwild vermehrt sich rasant. Inzwischen knallen sie deshalb die Wildschweine auch während der Schonzeit ab.«

»Und den einzigen natürlichen Feind, den Wolf, hat man ja erfolgreich ausgerottet«, murrte Uschi. »Siehe Isegrim.«

»Irgendwo muss es hier übrigens auch noch einen Gedenkstein geben, der an Isegrim erinnert. Ich weiß aber nicht genau wo.«

In diesem Augenblick erschallte ein durchdringendes Gebell. Es kam von rechts. Und klang bedrohlich nah. Uschi kreischte auf und sprang erschrocken einen Schritt zur Seite. Herrgott noch mal! Was war das denn? Ein Wildschwein? Nein, es war lediglich der braune Hund, der plötzlich aus seinem Tiefschlaf erwacht war und nun mit flatternden Ohren angeflogen kam. Die gespannten Muskeln, die sich unter seinem glatten Fell abzeichneten, zeugten von einer enormen Sprungkraft. An diesem Wegabschnitt wuchs keine Hecke und Uschi fragte sich beim Anblick des mickrigen Maschendrahtzauns, ob ihn diese symbolische Grenze wohl zurückhalten konnte. Hing wohl davon ab, wie wütend er war. Und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er wahnsinnig wütend! Uschi stand wie angewurzelt da, hielt die Luft an und starrte dem Höllenhund mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Mit hochgezogenen Lefzen und gefletschten Zähnen donnerte er an den Maschendrahtzaun und zeigte die ganze Bandbreite seines Repertoires an Drohgebärden. Sein aggressives Auftreten hatte den gewünschten Effekt und führte dazu, dass die beiden Frauen schließlich samt ihrer Hunde ängstlich auf die andere Seite des Weges flüchteten.

»Komm!«, sagte Lena und zog Peggy rasch weiter. »Nicht, dass er doch noch über den Zaun springt.«

Dieses Mal waren sich Uschi und Leopold, was die Schrittgeschwindigkeit anging, ausnahmsweise mal einig. Als sie in sicherer Entfernung waren, atmete Uschi erleichtert aus.

»Hat der mich erschreckt! Der kam ja wie aus dem Nichts, war ganz plötzlich da.«

Lena lachte auf.

»Der war wahrscheinlich deshalb so sauer, weil er uns zu spät bemerkt hat. Ist ja auch ganz schön peinlich, wenn man es als gewissenhafter, fürstlicher Wachhund verpennt, rechtzeitig anzuschlagen. Nun hat er alles getan, um seinem Ruf wieder gerecht zu werden.«

Sie passierten mehrere weiß getünchte Ökonomiegebäude.

»Die könnten aber auch mal wieder einen Anstrich vertragen«, konstatierte Uschi beim Anblick der abblätternden Wandfarbe. »Wo ist denn nun dieser Gedenkstein für den Wolf? Den hätte ich ja schon noch gerne gesehen.«

»Vielleicht befindet er sich hinter den Gebäuden«, mutmaßte Lena und wies auf einen Durchgang zwischen den Gebäuden, der zu einem Innenhof führte.

»Meinst du, dass man den Hof betreten darf? Sieht irgendwie so privat aus.«

Uschi blieb zögernd stehen.

»Es gibt keine Absperrung und es steht nirgends ein Schild, dass das Betreten dieses Bereichs verboten ist. Komm schon, wir schauen ja nur mal kurz.«

Peggy trippelte voraus, Lena hinterher.

Uschi blieb unschlüssig zurück. Doch kaum war Peggy hinter der Hausecke verschwunden, nahm Leopold die Verfolgung auf und schleifte seine Begleiterin mit sich in den Innenhof. Es gab kein Schild, das den Zugang zu diesem Bereich untersagte. Dennoch fühlte sich Uschi wie ein Eindringling. Irgendwie behagte ihr die Atmosphäre hier überhaupt nicht. Die Gebäude, der Hof, alles wirkte verlassen. Sie ging noch ein paar Schritte weiter, blieb dann aber abrupt stehen. Leopold stand dicht neben ihr und sah zu ihr auf. Hier auf dem Hof hatte er aufgehört, an der Leine zu ziehen. Sie hatte ein ungutes Gefühl, hätte aber nicht sagen können, woran es lag. Am liebsten hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht.

Wo waren eigentlich Lena und Peggy abgeblieben? Leopold schien den gleichen Gedanken gehabt zu haben, denn im selben Moment streckte er seine Nase empor und nahm Witterung auf. Der aufgenommene Geruch gefiel ihm allerdings ganz und gar nicht. Plötzlich legte er die Ohren an, klemmte den Schwanz zwischen die Beine und wurde ganz steif. Uschi sah ihn verwundert an. In seinen gefleckten Augen spiegelte sich Angst. Große Angst. Einen Sekundenbruchteil später zog er das Hinterteil ein und preschte los. Der plötzliche Ruck kam so unerwartet, dass Uschi die Leine entglitt. Leopold flüchtete auf eine angrenzende Wiese und stoppte erst, als sie brüllend hinterherrannte.

»Leopold, was machst du denn!«, keuchte sie. »Bleib hier! Hiiiierher! Platz! Sitz! Fuß!«

Verärgert nahm sie die Leine vom Boden auf und führte Leopold, der nur äußerst widerstrebend mitging, zurück in den Hof. Doch je näher sie den Ökonomiegebäuden kamen, desto mehr bockte der Australian Shepherd. Uschi musste all ihre Kraft aufwenden, um den hysterischen Hund weiterzuziehen.

»Leopold!«, schrie sie. »Was ist denn los? Was hast du denn?«

Mit einem Mal blieb ihr Blick an zwei großen Eisencontainern hängen. Fürchtete er sich etwa davor?

Leopold führte sich derweil auf, als würde ihn dort der Leibhaftige erwarten! Uschi sah ein, dass sie den Hund keinen Millimeter in diese Richtung bewegen konnte. Also ging sie zurück zu der Wiese und machte ihn dort an einem Baum fest. Dann näherte sie sich den Containern. Nicht schnell. Sondern langsamen Schrittes. Sie ahnte, dass es etwas Schreckliches sein musste, was sie da erwartete.

Eigentlich wollte sie es gar nicht sehen. Und doch war die Neugier inzwischen so groß, dass sie zumindest wissen musste, worum es sich handelte. Mit jedem Schritt, den sie näher kam, fühlte sie sich unbehaglicher. Als sie die Container beinahe erreicht hatte, blieb sie stehen. Irgendetwas hielt sie davon ab, noch näher heranzugehen. Also stellte sie sich auf die Zehenspitzen und beugte sich vor. Um Himmels willen! Uschi drückte sich entsetzt die Hand vor den Mund. Das war ja widerwärtig! Entsetzlich!

Felle. Pfoten. Schwänze. Der linke Container war bis oben hin mit abgezogenen Tierfellen angefüllt. Oh nein! War das etwa ein Kopf? Uschi schloss für einen Moment die Augen, als sie erkannte, dass es sich um den Kopf eines Rehs handelte. Hastig wandte sie sich ab. Obwohl sie den Inhalt des rechten Containers nur flüchtig aus dem Augenwinkel heraus wahrgenommen hatte, drehte es ihr dennoch beinahe den Magen um. Kein Zweifel. Die zu einem großen Haufen aufgetürmte, rotbraune Masse bestand aus den inneren Organen der aufgebrochenen Wildtiere, die hier in dem Container entsorgt worden waren. Ein blutiges Durcheinander tierischer Abfälle.

»So was!«, schnaubte Uschi. »Das ist ja widerlich!«

Warum ließ man diese Container einfach so offen stehen? Sichtbar für jeden ahnungslosen Spaziergänger! Weil du hier eigentlich nichts zu suchen hast, sagte ihre innere Stimme. Und weil man nicht in privaten Hinterhöfen herumschnüffelt! Und erst recht nicht in fremde Mülleimer schaut! Außerdem war es gerade mal eine Stunde her, dass ihr beim Gedanken an Wildschwein-Landjäger und Rehgulasch das Wasser im Mund zusammengelaufen war. Du bist so was von ignorant und naiv, schimpfte sie sich. Man konnte doch nicht Gulasch essen und gleichzeitig ausblenden, wo der Rest des Tieres abgeblieben war, den man nicht zu Gulasch verarbeitet hatte.

Sie stapfte zu Leopold zurück, der bereits in den höchsten Tönen winselte. Vor lauter Aufregung war er mehrmals um den Baum herumgelaufen und hatte es dadurch tatsächlich geschafft, sich selbst an den Stamm zu fesseln. Auf die Idee rückwärtszulaufen, war er trotz überdurchschnittlichen Hunde-IQs nicht gekommen. Sie ging vor Leopold in die Knie und streichelte ihm beruhigend über den Kopf. Er hatte es gerochen. Den Tod. Und das Leid dieser Tiere. Das hatte ihn so in Panik versetzt. Deshalb wollte er fliehen. Weg von diesem Ort.

Sie packte ihn am Schlafittchen und zog ihn in die entgegengesetzte Richtung um den Stamm herum. Da der arme Hund aber überhaupt nicht verstand, was sie nun schon wieder von ihm wollte, löste sie ihn seufzend vom Karabiner. Sie hatte die Leine gerade wieder abgewickelt, da kam Lena auf sie zugelaufen.

»Ach, da bist du ja!«, rief sie fröhlich. »Wir haben mal den Waldweg dort hinten erkundet. Aber den Gedenkstein hab ich dort auch nicht gefunden.«

Leopold nutzte seine neugewonnene Freiheit und setzte in großen Sprüngen auf Peggy zu, die erst einmal verängstigt zurückwich, dann aber doch einen kurzen Nasenkontakt zuließ.

Lena sah Uschi prüfend an.

»Ist alles in Ordnung?«

»Ja, ja«, versicherte Uschi und verzog den Mund zu einem Lächeln.

Sie hatte beschlossen, Lena nichts von ihrer Entdeckung zu sagen. Zum einen schämte sie sich für ihre Schnüffelei, zum anderen wollte sie ihr den grausigen Anblick ersparen. Lena schien eine große Tierliebhaberin zu sein und würde vermutlich nicht weniger empfindlich als sie selbst auf die blutigen Überreste der Wildtiere reagieren. Es genügte, wenn sie heute Nacht Albträume bekommen würde.

908,75 ₽
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Дата выхода на Литрес:
26 мая 2021
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301 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783965550780
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