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IV. Zusammenfassung

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Für einen typischen Sachmangelfall aus dem Kaufrecht stehen in der Praxis kaum „Streitvermeidungsstrategien“ zur Verfügung. Viele Unternehmen lehnen den Weg der Verbraucherschlichtung derzeit ab. Gelingt es dem Käufer also nicht, durch hartnäckige und argumentative Kommunikation den Verkäufer zu überzeugen, dass er den Mangel auf seine Kosten beseitigen muss, bleibt als einziger Weg die Aufnahme eines Prozesses. Möglicherweise gelingt es dem Gericht in der Güteverhandlung, die Parteien zu einer Einigung (zu einem Vergleich) zu bewegen. Andernfalls aber muss der Prozess zu Ende geführt werden. Diese Prozedur steht Mona nun bevor.

Anmerkungen

[1]

Zum Gebot der Rechtsschutzgleichheit BVerfG NJW 2010, 987; NJW 2014, 681; NJW 2016, 1377.

[2]

Vgl. BGH NJW 2014, 2653, 2655 (zu den Folgen eines Verstoßes).

[3]

Ausführlich Gleußner in FS für Vollkommer S. 25 ff.

[4]

Näher Greger in FS für Vollkommer S. 1, 13 ff.

[5]

Vgl. Adolphsen Zivilprozessrecht § 2 Rn. 24 m.w.N.

[6]

Näher Pohlmann Zivilprozessrecht Rn. 118.

[7]

BGH NJW-RR 2009, 1239 f.; BeckRS 2010, 20020; Zimmermann EGZPO § 15a Rn. 3.

[8]

Vgl. Jauernig/Hess Zivilprozessrecht § 1 IV 3; ferner MüKo-Rauscher ZPO Einl. Rn. 64 f.

[9]

Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (BGBl. I 2016, 1994).

[10]

BGH NJW 2017, 3442, 3443.

[11]

Näher Greger/Unberath/Steffek Recht der Alternativen Konfliktlösung Einl. Rn. 6 u. Teil D Rn. 1 ff.

[12]

Greger/Unberath/Steffek Recht der Alternativen Konfliktlösung Einl. Rn. 39.

[13]

BGH NJW 2015, 3297, 3298 f.; NJW 2016, 233 f.

[14]

Vgl. BGH NJW 2015, 3234 (MediaMarkt); BGH NJW 2017, 892.

[15]

Vgl. BGH NZG 2017, 227 (Thailand).

[16]

Vgl. Heinrich NZG 2016, 1406; Musielak/Voit ZPO § 1025 Rn. 2.

[17]

BGH NJW 2017, 2112 u. 2115.

[18]

BGH NJW 2016, 2266, 2268 f.

[19]

BGH NJW 2018, 70 ff.

[20]

Hierzu Ahrens NJW 2012, 2464 m.w.N.

[21]

MüKo-Stackmann ZPO § 41 Rn. 28.

2. Teil Erkenntnisverfahren › B. Verfahrensgrundsätze

B. Verfahrensgrundsätze

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Nach der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Köln ist Mona zum Heulen zumute. Die Ankündigung des Richters, ihr wegen der mangelhaften Fliesen einen Minderungsbetrag von maximal 273 € zuzubilligen, entspricht überhaupt nicht ihren Vorstellungen. Auch den Ausschluss ihrer muslimischen Freundin aus dem Gerichtssaal wegen Tragen eines Kopftuches findet Mona überzogen.[1] Mona beschließt daher, sich kundig zu machen, welche (verfassungsrechtlich) bedeutsamen Grundsätze in einem Zivilprozess zum Tragen kommen. Diese Vorgaben für das richterliche Tätigwerden kann Mona unter dem Stichwort „Verfahrensgrundsätze“ genauer nachlesen.

2. Teil Erkenntnisverfahren › B. Verfahrensgrundsätze › I. Die Verfahrensgrundsätze im Überblick

I. Die Verfahrensgrundsätze im Überblick

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2. Teil Erkenntnisverfahren › B. Verfahrensgrundsätze › II. Dispositionsgrundsatz

II. Dispositionsgrundsatz

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Im BGB spielt der Grundsatz der Vertragsfreiheit („ich mache, was ich will“) eine wesentliche Rolle. Der Dispositionsgrundsatz ist das Ebenbild in der ZPO. Er besagt, dass jede Partei frei darüber entscheiden kann, einen Prozess zu beginnen, den Prozessgegenstand (Lieferung von Waren, Schadensersatz, Unterhalt etc.) festzulegen sowie das Ende eines Prozesses herbeizuführen. Allein die Parteien und nicht der Staat sind die Herrinnen des Verfahrens. Das Gegenstück zum Dispositionsgrundsatz ist die Offizialmaxime (= Amtsverfahren), die im Strafprozessrecht oder in Teilen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (z.B. Nachlasssachen) vorherrscht. Bei der Offizialmaxime ist der Staat (das Gericht) der Herrscher über das Verfahren.[2]

1. Bedeutung im Einzelnen
a) Verfahrensbeginn

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Ein Zivilprozess wird nur durch Erhebung einer Klage gem. § 253 ZPO eingeleitet. Jeder Zivilprozess beruht auf der aktiven Handlung einer Partei („wo kein Kläger, da kein Richter“). Kein Gericht ist befugt, von Amts wegen ein Zivilverfahren in Gang zu setzen.

Beispiel

Der Vater von Thomas zahlt keinen Unterhalt. Das Familiengericht in Köln ist nicht befugt, von Amts wegen einen Prozess gegen den Vater einzuleiten. Das ist allein Sache von Thomas.

b) Bestimmung des Streitgegenstandes

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Der Kläger kann frei entscheiden, in welcher Sache und in welchem Umfang er Rechtsschutz begehrt. Er kann Unterhalt fordern, Schadensersatz wegen Körperverletzung verlangen oder einen Herausgabeanspruch geltend machen. Er muss sich allerdings festlegen und nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO einen bestimmten Antrag stellen („Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2400 € zu zahlen“) sowie den zugrunde liegenden Sachverhalt benennen („Kauf von mangelhaften Fliesen am 2.1.2017“). Hierdurch wird der Gegenstand des Rechtsstreits (= Streitgegenstand) bestimmt. Der Streitgegenstand ist ein Lieblingsthema der Prozessrechtswissenschaftler und wird in einem späteren Kapitel genauer behandelt. Das Gericht ist an den Antrag des Klägers nach § 308 Abs. 1 ZPO gebunden. Es darf nichts anderes oder mehr als beantragt zusprechen („ne ultra petitum“).[3] Das gilt auch im Rechtsmittelverfahren (§§ 528, 557 Abs. 1 ZPO).

Ausgangsfall

Mona hat wegen der schadhaften Fliesen Nacherfüllungskosten von 2400 € beantragt (§§ 437 Nr. 1, 439 BGB). Das Gericht darf ihr nicht einfach einen Minderungsbetrag in Höhe von 273 € zusprechen (§§ 437 Nr. 2, 441 BGB), da Mona diese Rechtsfolge gar nicht beantragt hat. Das Gericht darf allerdings weniger als beantragt zusprechen. Die Abgrenzung zwischen minus und aliud ist nicht immer leicht.[4]

c) Verfahrensbeendigung

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Die Parteien haben es auch in der Hand, dem Gericht den Rechtsstreit „wieder wegzunehmen“. So kann der Kläger seine Klage zurücknehmen (§ 269 ZPO) oder auf den geltend gemachten Anspruch verzichten (§ 306 ZPO). Im Fall eines Verzichts darf der Kläger nicht mehr mit der gleichen Sache zu Gericht. Er ist endgültig ausgeschlossen. Der Beklagte kann den Anspruch des Klägers nach § 307 ZPO anerkennen und damit einen Schlussstrich ziehen. Das prozessuale Anerkenntnis wirkt, egal ob der Anspruch in Wahrheit tatsächlich besteht oder nicht. Die Parteien können zusammen einen Prozessvergleich schließen (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder den Rechtsstreit übereinstimmend nach § 91a ZPO für erledigt erklären. In sämtlichen Fällen darf das Gericht nicht mehr über den ursprünglichen Antrag des Klägers entscheiden. Es muss lediglich eine Kostenentscheidung treffen.

2. Durchbrechung des Dispositionsgrundsatzes
a) Höherrangige Interessen

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In bestimmten Situationen muss der Dispositionsgrundsatz (zum Teil) durchbrochen werden, vor allem wenn es um überparteiliche, staatliche Interessen geht. In Ehe- und Kindschaftssachen ist der Grundsatz beispielsweise eingeschränkt (kein Anerkenntnis im Scheidungsprozess, § 113 Abs. 4 Nr. 6 FamFG). Da in Mietsachen sozialpolitische Erwägungen eine erhebliche Rolle spielen, ist das Gericht bei der Entscheidung über die Fortsetzung eines Mietverhältnisses (§ 308a Abs. 1 ZPO) oder über die Frist zur Räumung von Wohnraum (§ 721 ZPO) nicht an die Anträge der Parteien gebunden. Auch die Kostenentscheidung (§§ 91 ff. ZPO) ergeht von Amts wegen. Das Gericht entscheidet also unabhängig von den Parteianträgen, ob die Kosten des Rechtsstreits vom Kläger allein, vom Beklagten allein oder von beiden anteilig getragen werden müssen. Ebenso ergeht die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit (§§ 708 ff. ZPO) von Amts wegen. Das Gericht entscheidet frei darüber, ob der Kläger gegen den Beklagten sogleich vollstrecken darf, auch wenn der Beklagte in die Berufung geht und der endgültige Ausgang des Rechtsstreits ungewiss ist.

b) Richterliche Hinweispflicht

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Ein besonderes Spannungsverhältnis besteht zwischen dem Dispositionsgrundsatz und der richterlichen Hinweispflicht des § 139 ZPO. Eigentlich ist es Sache der Parteien bzw. ihrer Anwälte, richtige und vollständige Anträge bei Gericht zu stellen. Das ist manchmal aber gar nicht so einfach (selbst für Rechtsanwälte). Besonders hoch sind die Hürden bei Unterlassungsanträgen.[5] Nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO ist das Gericht daher verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Parteien sachdienliche Anträge stellen. Pauschale Hinweise des Gerichts reichen hierfür nicht.[6] Das Gericht kann eventuell Formulierungshilfen geben. Die Vorschrift des § 139 ZPO fordert das Gericht zu aktiver und unterstützender Verhandlungsleitung auf.[7] Es bleibt allerdings den Parteien überlassen, ob sie Nachbesserungen vornehmen.

2. Teil Erkenntnisverfahren › B. Verfahrensgrundsätze › III. Verhandlungsgrundsatz

III. Verhandlungsgrundsatz

1. Einführung und Inhalt

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Im Zivilprozess herrscht der sog. Verhandlungsgrundsatz (= Beibringungsgrundsatz). Sein Gegenstück ist die sog. Inquisitionsmaxime (= Untersuchungs- oder Amtsermittlungsgrundsatz), die u.a. im Strafverfahren Geltung hat.[8] Inquisition kennt man aus den Hexenprozessen, in denen mit Hilfe der Folter als Beweismittel das Gericht von Amts wegen „die Wahrheit“ erforschte. Im Zivilprozess kann das Gericht unter Geltung des Verhandlungsgrundsatzes nicht eigenmächtig Tatsachen ermitteln und die Wahrheit von Behauptungen überprüfen, um die wahre Rechtslage herauszufinden. Die Parteien entscheiden vielmehr allein darüber, welche relevanten Tatsachen „auf den Tisch kommen“ und welche nicht. Der Verhandlungsgrundsatz ist Ausdruck der Privatautonomie, die staatliche Einmischung in privatrechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich untersagt. Eine wichtige Ausnahme findet sich in Familiensachen und in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit; hier ist in §§ 26, 29 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz statuiert, der allerdings zugunsten des Verhandlungsgrundsatzes gelegentlich (§§ 127, 177 FamFG) durchbrochen wird. Dass die Prozessvoraussetzungen von Amts wegen geprüft werden, hat mit dem Untersuchungsgrundsatz nichts zu tun. Denn auch diesbezüglich müssen die Parteien die erforderlichen Nachweise liefern.[9]

2. Konsequenzen für das Gericht

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Das Gericht darf nur Tatsachen berücksichtigen, die von den Parteien selbst vorgetragen wurden. Privates Wissen des Richters oder nicht von den Parteien vorgetragene Tatsachen dürfen nicht in das Prozessergebnis einfließen (Ausnahme: offenkundige Tatsachen, § 291 ZPO). Wird eine Akte beigezogen, muss sich die Partei auf konkrete Aussagen darin berufen.[10] Trägt der Kläger Tatsachen vor, aus denen sich ergibt, dass der geltend gemachte Anspruch nicht besteht, muss das Gericht die Klage als unschlüssig (= unbegründet) abweisen.[11] Dies ist Konsequenz der Darlegungslast des Klägers. Welche der vorgetragenen Tatsachen tatsächlich bewiesen werden müssen, unterliegt ebenfalls der Parteiherrschaft. Beweisbedürftig sind nur solche Tatsachen, die der Gegner bestreitet. Nicht bestrittene Tatsachen (§ 138 Abs. 3 ZPO) oder vom Gegner zugestandene Tatsachen (§ 288 ZPO) müssen vom Gericht akzeptiert werden und sind dem Urteil zugrunde zu legen, selbst wenn der Richter vom Gegenteil überzeugt ist.

Ausgangsfall

Mona behauptet in ihrer Klage gegen die V-GmbH, dass sie dieser mit E-Mail vom 6.2.2017 ein Nachbesserungsverlangen übermittelt habe. Die V-GmbH bestreitet den Erhalt der E-Mail nicht (obwohl sie diese vielleicht nie bekommen hat). Dann muss der Richter vom Zugang der E-Mail ausgehen.[12]

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Die Beweismittel selbst liegen nicht mehr ausschließlich in den Händen der Parteien. Insofern ist der Verhandlungsgrundsatz eingeschränkt. Lediglich beim Zeugenbeweis ist der Richter auf den Vortrag und die Beweisangebote der Parteien angewiesen. Von Amts wegen darf der Richter keinen Zeugenbeweis anordnen. Alle übrigen Beweismittel darf das Gericht aber von Amts wegen heranziehen. Dies gilt für Urkunden (§§ 142, 143 ZPO), für den Augenschein und Sachverständige (§ 144 ZPO) sowie für die Parteivernehmung (§ 448 ZPO). Voraussetzung ist aber, dass hierzu streitiger Parteivortrag vorliegt.[13] Besonders bedeutsam für die Praxis ist die Anordnung der Urkundenvorlegung (§ 142 ZPO). Hier kann der Richter die Vorlagenanordnung nicht nur gegen die Partei erlassen, sondern auch gegen den Prozessgegner oder gegen einen nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten, und zwar unabhängig vom Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs oder der Beweislast.[14] Die Zurückdrängung des Verhandlungsgrundsatzes zugunsten eines Machtzuwachses des Gerichts ist im Hinblick auf die materielle Gerechtigkeit zu begrüßen.

3. Abgrenzung

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Der Verhandlungsgrundsatz bezieht sich nur auf Tatsachen („den Sachverhalt“), nicht auf Paragrafen. Die Rechtsnormen müssen nicht von den Parteien vorgetragen werden. Die rechtliche Würdigung des vorgebrachten Stoffs obliegt dem Gericht („iura novit curia = das Gericht kennt das Recht“). Die Rechtsanwendung ist und bleibt originäre Aufgabe der Gerichte. Diese sind insbesondere nicht an die von den Parteien zitierten Anspruchsgrundlagen gebunden.

Ausgangsfall

Mona stützt ihren Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten auf §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB. Das Gericht kann genauso gut § 439 Abs. 1 oder 2 BGB (vgl. BGH NJW 2014, 2351) heranziehen, ohne an die Auffassung von Mona gebunden zu sein. Allerdings darf es die Parteien mit seiner Rechtsauffassung nicht völlig „überraschen“; das Gericht muss vielmehr rechtzeitig auch die rechtlichen Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen hat und auf die sich das Gericht stützen will, mit den Parteien erörtern (§ 139 Abs. 2 ZPO). Die Hinweise sind frühzeitig vor der mündlichen Verhandlung zu geben (§ 139 Abs. 4 ZPO); andernfalls muss vertagt werden oder es ist Schriftsatznachlass (§ 139 Abs. 5 ZPO) zu gewähren.[15]

Auch die Beweiswürdigung (§§ 286, 287 ZPO) obliegt ausschließlich dem Gericht. Ob ein Zeuge (z.B. der Freund von Mona) glaubwürdig ist oder ob der Augenschein zu der Bejahung eines erheblichen Sachmangels führt, ist Sache des Gerichts.

4. Modifikationen
a) Wahrheitspflicht der Parteien

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Der Verhandlungsgrundsatz wird durch die Wahrheitspflicht eingeschränkt. Die Parteien können zwar entscheiden, ob und welche Tatsachen sie vortragen, sie dürfen aber keine unwahren Tatsachen behaupten (= Lügen). Die Pflicht zur Wahrheit ist in § 138 Abs. 1 ZPO geregelt. Auch sog. Halbwahrheiten (= Weglassen von wesentlichen Umständen) verstoßen gegen die Wahrheitspflicht. Behauptungen ins Blaue hinein sind nur in engen Grenzen (= es sind Anhaltspunkte da) zulässig.[16] Jede Partei muss zudem ihre Erklärungen vollständig abgeben.[17]

Welche Folge hat die Verletzung der Wahrheitspflicht? Bewusst unwahres Parteivorbringen muss das Gericht unberücksichtigt lassen. Außerdem kann ein Prozessbetrug (§ 263 StGB) vorliegen. Zudem kann ein Verstoß gegen § 138 ZPO zum Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB (mit § 263 StGB) oder nach § 826 BGB verpflichten. Schließlich kann eine Wiederaufnahmeklage nach § 580 Nr. 4 ZPO in Betracht kommen.

b) Richterliche Hinweispflicht

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Durch die richterliche Hinweispflicht erfährt der Verhandlungsgrundsatz ebenfalls eine sinnvolle Ergänzung. Nach § 139 ZPO muss das Gericht Sorge tragen, dass lückenhaftes Parteivorbringen nachgebessert wird und sachdienliche Beweismittel benannt werden. Der Richter muss auf Unklarheiten oder Widersprüche im Sachverhalt aufmerksam machen. Diese Hinweispflicht besteht unabhängig davon, ob die Parteien durch einen Anwalt vertreten sind.[18] Die Aufklärung darf allerdings nicht allzu einseitig (= zugunsten einer Partei) erfolgen. Es darf nicht der Eindruck fehlender Neutralität (Befangenheit des Richters nach § 42 ZPO) entstehen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Richter einen „Tipp zur Verjährung“ gibt.[19] § 139 ZPO ist wegen des Gleichbehandlungsgebots der Parteien eine „Spagatvorschrift“, die dem Gericht bei seiner materiellen Prozessleitung souveränes und weitsichtiges Handeln abverlangt.

2. Teil Erkenntnisverfahren › B. Verfahrensgrundsätze › IV. Anspruch auf rechtliches Gehör

IV. Anspruch auf rechtliches Gehör

1. Rechtsgrundlage und Inhalt

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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist eines der wichtigsten Prozessgrundrechte der Parteien. Er ist als grundrechtsgleiches Recht in Art. 103 Abs. 1 GG statuiert. Darüber hinaus ist er in Art. 6 Abs. 1 EMRK verankert. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, den Sachvortrag der Parteien zu berücksichtigen und die angebotenen Beweise zu erheben.[20] Das Gericht muss den Parteien vor Erlass einer Entscheidung Gelegenheit geben, ihren jeweiligen Standpunkt in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorzutragen. Dabei darf das Gericht nicht nur als „Briefkasten“ fungieren, sondern muss zeigen, dass es sich aktiv mit dem Vortrag der Parteien auseinander setzt („Echoprinzip“). In den Entscheidungsgründen ist daher auf den zentralen Kern des Tatsachenvortrags einzugehen.[21] Ein Gehörsverstoß liegt vor, wenn das Gericht den Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens ablehnt oder über das Beweisergebnis überhaupt nicht diskutiert[22] oder Widersprüche zwischen Sachverständigen- und Privatgutachten übergeht.[23] Umstritten ist, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör das Gericht zu einem Rechtsgespräch verpflichtet. Die h.M. lehnt dies ab.[24] Zu rechtlichen Gesichtspunkten, die eine Partei erkennbar übersehen hat, muss ihr allerdings Gelegenheit zu Stellungnahme (§ 139 Abs. 2 ZPO) gegeben werden, um Überraschungsentscheidungen zu verhindern.[25]

2. Ausnahmen

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In besonders dringlichen Fällen, wie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 937 Abs. 2 ZPO) oder in der Zwangsvollstreckung (§ 834 ZPO), wird auf eine vorherige Anhörung des Gegners verzichtet. Grund ist, dass der Zweck des Verfahrens andernfalls vereitelt werden könnte. Das rechtliche Gehör wird aber nachgeholt, wenn der Betroffene Rechtsbehelfe einlegt.

3. Rechtsbehelfe

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Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein Verfahrensfehler und muss zunächst mit den normalen Rechtsmitteln (Berufung, Revision) geltend gemacht werden. Ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (z.B. Streitwert unter 600 €), kommt die Anhörungsrüge gem. § 321a ZPO in Betracht. Dieser außerordentliche „Sonderrechtsbehelf“ wurde 2002 wegen der Überlastung des Bundesverfassungsgerichts in die ZPO eingeführt und 2005 nochmals abgeändert.[26] Nun ist die Anhörungsrüge gegen alle gerichtlichen Entscheidungen (nicht nur Urteile) statthaft. Beispielsweise ist sie möglich, wenn die Berufung wegen Unterschreitens der Berufungssumme von 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder Nichtzulassung (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) unstatthaft ist. Zweck dieses neuen Rechtsbehelfs ist eine Selbstkorrektur durch die Fachgerichte. Die Anhörungsrüge ist kein Rechtsmittel, weil ihr Devolutiv- und Suspensiveffekt fehlen.[27] Die Gehörsrüge muss binnen einer Notfrist von zwei Wochen, spätestens aber innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung durch Einreichung eines Schriftsatzes geltend gemacht werden (§ 321a Abs. 2 ZPO). Das Verfahren findet vor dem judex a quo (vor dem Ausgangsgericht, nicht vor dem übergeordneten Gericht) statt. Weist der Betroffene eine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs nach, versetzt das Gericht den Prozess in die Lage vor Schluss der mündlichen Verhandlung zurück und führt den Prozess weiter (§ 321a Abs. 5 ZPO). Die Anhörungsrüge selbst bewirkt keine weitere Verjährungshemmung.[28] Wird der Verletzung nicht abgeholfen, bleibt die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde, da nun der Rechtsweg erschöpft ist.[29] Die Anhörungsrüge kann allein wegen Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör) erhoben werden. Die Verletzung anderer Verfahrensgrundsätze (z.B. Gebot fairen Verfahrens) wird nicht von § 321a ZPO erfasst.[30]

JURIQ-Klausurtipp

Die Anhörungsrüge = Gehörsrüge nach § 321a ZPO ist ein relativ neuer Rechtsbehelf und daher in jedem Fall examensrelevant.

2. Teil Erkenntnisverfahren › B. Verfahrensgrundsätze › V. Grundsatz der Mündlichkeit

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9783811475212
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