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2. Die Selbstgleichschaltung
Der Deutsche Richterbund

Noch zur Jahreswende 1932/33 hatte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Senatspräsident Karl Linz, in seinem Grußwort für die Deutsche Richterzeitung befürchtet, Gutes für die Justiz lasse sich 1933 »kaum erwarten, eher deuten alle Anzeichen auf neue Angriffe und neue Kämpfe um den Bestand des Rechts und eine unabhängige Rechtspflege hin«.103 Der Richterbund hatte sich stets gegen republikanische Zumutungen zur Wehr gesetzt und »das Eindringen der Politik in die Rechtspflege« bekämpft. 1926 war der (auf Vorschlag eines sozialdemokratischen Justizministers von einem sozialdemokratischen Reichspräsidenten ernannte) Reichsgerichtspräsident Simons sogar so weit gegangen, Sozialdemokraten pauschal die Fähigkeit zum Richteramt abzusprechen, da ihnen die dafür erforderliche Objektivität fehle,104 und der Richterbund befürchtete nichts so sehr wie eine demokratische Überfremdung durch »Bevorzugung der Anhänger der Kabinettsparteien«.105

In einer Vielzahl von Urteilen war die Sympathie für die nationalsozialistische Bewegung zwar unübersehbar gewesen, aber die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler fand nicht den ungeteilten Beifall der Richterschaft. Ihr Vorsitzender Linz befürchtete von der neuen Regierung Maßnahmen, »die die Unabsetzbarkeit der Richter und die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen«.106 Zu solchen Befürchtungen hatte das Verhalten der NSDAP-Führung nach verschiedenen Prozessen gegen Nationalsozialisten genügend Anlass gegeben.

Freilich stellte die deutsche Richterschaft ihre Bedenken bald hintan, und trotz der Notverordnungen »zum Schutz des deutschen Volkes« und »zum Schutz von Volk und Staat«, mit denen die Regierung – wie gezeigt – handstreichartig große Teile der Verfassung außer Kraft gesetzt hatte, trotz des SA-Terrors bei den Reichstagswahlen vom 5. März und trotz der Staatsstreiche, mit denen die SA in den meisten Ländern die Polizeigewalt an sich gerissen hatte, begrüßte das Präsidium des Richterbundes am 19. März in einer Erklärung »den Willen der neuen Regierung, der ungeheuren Not ... des deutschen Volkes ein Ende zu bereiten«, und bot seine Mitarbeit am »nationalen Aufbauwerk« an: »Deutsches Recht gelte in deutschen Landen! Der deutsche Richter war von jeher national und verantwortungsbewusst.« Die Erklärung endete mit der Versicherung: »Der deutsche Richter bringt der neuen Regierung volles Vertrauen entgegen.«107

Dieses Vertrauen war nur schwer zu erschüttern. Obwohl bereits am 1. April anlässlich einer Judenboykottaktion die Justizminister der Länder alle jüdischen Richter, Staats- und Amtsanwälte beurlaubt hatten und am 7. April das sogenannte Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums die Entlassung jüdischer, sozialdemokratischer und anderer »politisch unzuverlässiger« Richter und Beamten dekretierte108, womit die Unabhängigkeit der Richterschaft praktisch aufgehoben worden war, teilte der Richterbundsvorsitzende nach einer Audienz – just am 7. April – beim Reichskanzler mit: »Wir legten alles vertrauensvoll in seine Hand. Der Herr Reichskanzler war mit diesen Ausführungen offenbar einverstanden und erklärte, dass er die Unabhängigkeit der Richter aufrechterhalten werde, wenn auch gewisse Maßnahmen notwendig seien. Wir dürfen also damit rechnen, dass die im Gesetz über das Berufsbeamtentum niedergelegten Bestimmungen sobald als möglich wieder in Wegfall kommen.«109

Diese devoten Worte waren schon das Äußerste an Kritik, die sich der Richterbund an der Entlassung seiner zahlreichen jüdischen Mitglieder – allein in Preußen waren es 643 – erlaubte. Über die Entlassung der sozialdemokratischen Richter war man eher erfreut, und das Verbot des Republikanischen Richterbundes wurde in der Richterschaft mit großer Genugtuung aufgenommen. Ohnehin war es in den 14 republikanischen Jahren nur sehr wenigen Sozialdemokraten gelungen, in der Justiz Fuß zu fassen oder gar Karriere zu machen. Von den 122 Richtern beim Reichsgericht war ein einziger – Reichsgerichtsrat Dr. Herrmann Grossmann – Sozialdemokrat, und er war auch das einzige Mitglied dieses Gerichts, das wegen politischer Unzuverlässigkeit im April 1933 entlassen wurde.110

Während das Präsidium des Deutschen Richterbundes noch taktierend versuchte, durch Annäherung an die neuen Machthaber die Eigenständigkeit des Verbandes zu bewahren, forderte sein weitaus größter Landesverband, der Verein Preußischer Richter und Staatsanwälte, bereits am 21. April 1933 seine Mitglieder auf, »sich in die gemeinsame Kampffront Adolf Hitlers einzugliedern und sich dem Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen anzuschließen, denn nur unbedingte Geschlossenheit ist die Vorbedingung für ein Obsiegen in unserem Kampf«.111 Das Präsidium zögerte zwar noch, aber immer mehr Landesverbände folgten dem preußischen Beispiel. Der Oldenburgische Richterverein löste sich am 29. April selbst auf, der Vorstand des Richtervereins beim Reichsgericht trat am 10. Mai »zum Zwecke der Gleichschaltung« zurück, und am 21. Mai stellte sich der Verein Sächsischer Richter und Staatsanwälte in Chemnitz »freudig und pflichtgetreu unter die Führung des Volkskanzlers Adolf Hitler«.112 Da erklärte schließlich auch der Vorstand des Richterbundes am 23. Mai in einem Telegramm an den »Reichsjuristenführer« Hans Frank »für sich und die ihm angeschlossenen Landesvereine seinen korporativen Eintritt in den Nationalsozialistischen Juristenbund und unterstellt[e] sich der Führung des Herrn Reichskanzlers Adolf Hitler«.113

Dass dieses Patronat auch für die Arbeit am Recht nicht ohne Konsequenzen bleiben dürfe, beteuerte der Richterbund bereits zwei Wochen später in einer Entschließung seiner Vertreterversammlung: »Der Deutsche Richterbund sieht seine Hauptaufgabe ... in der Mitwirkung des gesamten Richtertums an der Neugestaltung des deutschen Rechts ... Frei von Fesseln, entsprechend dem germanischen Richterideal, muss der Richter jeder Vergewerkschaftung und Verfachschaftung entzogen bleiben.«114 Solange die Zeitschrift des Richterbundes, die Deutsche Richterzeitung, noch existierte – sie wurde später in die regierungsamtliche Deutsche Justiz überführt –, war sie nun Forum für Vorschläge der Richterschaft zur Neugestaltung der Rechtsordnung. Reichsgerichtsrat Erich Schultze zum Beispiel plädierte hier bereits 1933 für die scharfe Bestrafung von »Rasseverrat ..., d. i. kurz gesagt die Vermischung eines Deutschen mit Angehörigen bestimmter gesetzlich bezeichneter Rassen«.115 Als deutliches Zeichen der vollendeten Gleichschaltung schworen schließlich im Oktober 1933 anlässlich des ersten Juristentages nach Hitlers Machtergreifung auf einer imposanten Massenkundgebung vor dem Reichsgericht in Leipzig über 10.000 Juristen mit erhobenem rechten Arm, »bei der Seele des deutschen Volkes, dass [sie] unserem Führer auf seinem Wege als deutsche Juristen folgen wollen bis an das Ende unserer Tage«.116

Zwar hatten zu den »alten Kämpfern« der nationalsozialistischen Bewegung auch einige Juristen gezählt – unter den am 9. November 1923 beim Marsch auf die Feldherrnhalle gefallenen »Blutzeugen der Bewegung« war sogar ein Rat am Bayerischen Obersten Landesgericht, und ein anderer Rat dieses Gerichts gehörte in dem nachfolgenden Prozess zu Hitlers Mitangeklagten –, aber insgesamt war dieser Berufsstand in der NS-Bewegung eher unterrepräsentiert.

Auch unter den Karrierejuristen des Dritten Reiches findet man nur eine Handvoll »alter« Nationalsozialisten: den Gerichtsassessor Dr. Werner Best, Verfasser der »Boxheimer Dokumente«, ab 1933 Justitiar der Gestapo und im Kriege Reichsbevollmächtigter in Dänemark; Hans Frank, Rechtsanwalt, »Reichsrechtsführer«, 1934 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Präsident der Akademie für Deutsches Recht und ab 1939 Generalgouverneur in Polen; Roland Freisler, Rechtsanwalt, 1933 Staatssekretär im preußischen Justizministerium, 1934 im Reichsjustizministerium und ab 1942 Präsident des Volksgerichtshofes; Hans Kerrl, 1933/34 preußischer Justizminister und danach bis zu seinem Tode 1941 Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten; und Otto Thierack, Staatsanwalt, 1933 Justizminister in Sachsen, dann Vizepräsident des Reichsgerichts, 1936 Präsident des Volksgerichtshofes und von 1942 an Reichsjustizminister.

Die Justiz blieb auch im Dritten Reich eine Domäne der (früheren) Deutschnationalen. Freisler und Thierack waren die einzigen hochkarätigen Nazis, die eine Spitzenstellung in der Justiz erreichten. Alle anderen hohen Justizfunktionäre, der 1941 verstorbene Reichsjustizminister Gürtner, sein Staatssekretär Schlegelberger, Reichsgerichtspräsident Bumke und der oberste Ankläger, Oberreichsanwalt Werner, kamen aus der Deutsch­nationalen Volkspartei oder waren ihr mindestens nahegestanden. Sie hatten auch sämtlich ihre hohen Ämter schon in republikanischen Zeiten erreicht. Das Dritte Reich hat sie nur übernommen, und sie verkörperten ein Stück Justizkontinuität vom Kaiserreich über die Weimarer Republik hinweg bis in den Führerstaat. Mag ihr Verhalten in jenen 12 Jahren auch vielfach opportunistisch motiviert gewesen sein, so scheidet doch Karrierestreben als Motiv für ihre Handlungen aus, ihre Karrieren hatten sie ja, wie gesagt, schon vorher gemacht.

Der höchste Richter

Erwin Konrad Eduard Bumke wurde als Sohn vermögender Eltern – sein Vater war Arzt – am 7. Juli 1874 im pommerschen Stolp geboren. Nach Abitur, Studium, Doktorprüfung, Referendar- und Assessorenzeit bekam er 1905 eine Stelle als Landrichter in Essen.

Da er intelligent, strebsam, finanziell unabhängig und zudem streng konservativ in seinen politischen Einstellungen war, machte Bumke schnell Karriere. Bereits 1907 wurde er kommissarischer Hilfsarbeiter beim Reichsjustizamt – wie das Reichsjustizministerium damals hieß –, und schon 1909 ernannte man ihn dort zum Geheimen Regierungsrat. Nach der Teilnahme am Weltkrieg – letzter Dienstgrad: Hauptmann der Landwehr – wurde er 1920 zum Ministerialdirektor und Abteilungsleiter im nunmehr demokratisch geführten Reichsjustizministerium befördert. In dieser Funktion formulierte er mehrere Notverordnungen, die tief in die deutsche Rechtsordnung eingriffen und, wie Kritiker meinten, zumindest das Strafprozessrecht in voraufklärerische Zeiten zurückwarfen. Nachdem der Reichsgerichtspräsident Simons 1929 vorzeitig aus dem Amt geschieden war, berief man Bumke zu seinem Nachfolger. Gleichzeitig wurde er Präsident des 3. Strafsenats dieses Gerichts, Präsident der Vereinigten Senate und Vorsitzender des Staatsgerichtshofes für das Deutsche Reich.117 Durch die schleppende Behandlung der Klage der sozialdemokratischen Regierung des Landes Preußen gegen ihre Absetzung durch den Reichskanzler von Papen am 20. Juli 1932, den sogenannten Preußenschlag, und mit dem skandalösen Urteil, in dem er diesen Staatsstreich im Großen und Ganzen für rechtens erklärte, schuf der Staatsgerichtshof unter Bumkes Vorsitz eine günstige Voraussetzung für die nationalsozialistische Machtergreifung: Als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde und Hermann Göring zum kommissarischen preußischen Innenminister machte, war die preußische Polizei, jener so wichtige Machtfaktor der Weimarer Republik, wie erwähnt schon weitgehend von demokratischen Elementen »gesäubert« und auf die kommenden innenpolitischen Auseinandersetzungen vorbereitet.

Im Dezember 1932 avancierte der Reichsgerichtspräsident sogar zum Stellvertreter des Reichspräsidenten und damit – zumindest nach dem Protokoll – zum zweiten Mann im Staate. Als dann nach der Machtergreifung der Nazi-Terror zur Ausschaltung der politischen Opposition immer brutaler wurde, soll Bumke »aufs schwerste bedrückt« gewesen sein und insgeheim auch an Rücktritt gedacht haben.118 Zu einer öffentlichen Distanzierung hat sein Unwille jedoch nicht gereicht. Dabei war er keineswegs der Mann, der jede Maßnahme ohne Protest hinnahm. In einem Brief an die Reichskanzlei hatte er sogar einmal wirklich mit Rücktritt gedroht. Das Schreiben gipfelte in den mutigen Worten: »Es ist für mich ein kaum erträglicher Gedanke, dass mein Name mit einer Periode der Geschichte des Reichsgerichts verbunden sein soll, die seinen Niedergang bedeutet.« Bumkes Auflehnung richtete sich aber nicht gegen die Entlassung der jüdischen Richterkollegen, die Gleichschaltung der Justiz oder die Ermordung der Regimegegner; der Brief wurde auch nicht 1933 geschrieben, sondern bereits im Januar 1932 – als Protest gegen Pläne, den Reichsrichtern im Rahmen der Brüning‘schen Sparmaßnahmen die extrem hohen Pensionen auf maximal 12.000 Mark zu kürzen. Für Bumke war es damals »fast eine Unmöglichkeit, der obers­te Richter eines Staatswesens zu bleiben, das sich vom Rechtsgedanken so weit entfernt, wie dies mit der Annahme des Pensionskürzungsgesetzes geschehen würde«.119

Nachdem im Dritten Reich »Ruhe und Ordnung« eingekehrt waren, in der Phase der Konsolidierung nationalsozialistischer Herrschaft, trat das ehemalige Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei 1937 der NSDAP bei. Bereits ein Jahr später wurde ihm das goldene Parteiabzeichen verliehen. Bumke genoss in so hohem Maße das Vertrauen Hitlers, dass er nicht nur zusätzlich Vorsitzender des Besonderen Senats (des »Führers Gerichtshof«, wie dieser sich stolz nannte), der über die im Namen des Diktators erhobenen »außerordentlichen Einsprüche« gegen alle Strafurteile zu entscheiden hatte, fungieren durfte; aufgrund eines Führererlasses vom 4. Juli 1939 wurde er mit der Vollendung seines 65. Lebensjahres auch nicht pensioniert, sondern zunächst für drei Jahre. und selbst nach Ablauf dieser Frist weiterhin im Amt belassen. Dieses Vertrauens erwies sich der Reichsgerichtspräsident – wie noch zu zeigen sein wird – in jeder Hinsicht würdig: bei der extremen Auslegung des sogenannten Blutschutzgesetzes wie bei der »Korrektur« rechtskräftiger Urteile und in der Sitzung der Spitzen der deutschen Justiz zur Besprechung der Modalitäten der Massenmorde an Behinderten. Am 20. April 1945, beim Einmarsch der amerikanischen Armee in Leipzig, schied Reichsgerichtspräsident Dr. Dr. h. c. Erwin Bumke freiwillig aus dem Leben.

Der Staatsdenker

Carl Schmitt wurde am 11. Juli 1888 im sauerländischen Plettenberg als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nachdem er in Berlin, München und Straßburg Rechts- und Staatswissenschaften unter anderem bei Max Weber studiert hatte, promovierte er 1910 an der Universität Straßburg mit einem strafrechtlichen Thema, habilitierte sich 1916 – ebenfalls in Straßburg – und wurde 1921 ordentlicher Professor für Öffentliches Recht zunächst an der Universität Greifswald, 1922 in Bonn und 1926 an der Handelshochschule Berlin. Seine Berufung an die Universität Köln Anfang 1933 war ganz wesentlich von seinem jüdischen Kollegen und Antipoden im staatstheoretischen Denken, Hans Kelsen, gefördert worden, bei dessen Vertreibung aus dem Lehramt Schmitt wenig später die Führerschaft übernahm.120 Nach dem schon oben angeführten Staatsstreich des Reichskanzlers von Papen gegen die sozialdemokratische Regierung Preußens im Juli 1932, gegen den die preußische Regierung vor dem Staatsgerichtshof des Deutschen Reichs klagte, wurde er von der Reichsregierung mit der Prozessführung beauftragt, und für Papens Nachfolger, General von Schleicher, war Schmitt sogar ein enger politischer Freund und Berater. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten holte ihn der in Preußen allmächtige Göring an die Universität Berlin und ernannte ihn zum preußischen Staatsrat. Schmitt kehrte seinen konservativen Freunden und Förderern den Rü­cken, trat am 1. Mai 1933, gerade noch rechtzeitig vor der mehrjährigen Aufnahmesperre, der NSDAP bei und avancierte rasch zum führenden Staatsdenker des Nazi-Reichs. In einem treffenden Psychogramm des Professors kommentierte der Schriftsteller Ernst Niekisch diesen Schritt: »Kaum hatte es Hitler geschafft, war auch Schmitt soweit: so rechtzeitig schlüpfte er noch durch die Tore des Dritten Reiches, dass er nicht übersehen werden konnte, als dieses einen Kronjuristen brauchte. In einer erstaunlichen Weise war Schmitt der politischen Realität immer gerade um eine Nasenlänge voraus. Infolgedessen war er der geistige Quartiermacher, der sich durch seine Vorsorge und Umsicht die Dankbarkeit jedes einzelnen Stadiums der großen bürgerlichen Restaurationsbewegung erwarb und der sich dabei selbst jedesmal vorteilhaft plazieren konnte.«121

Als Leiter der »Reichsfachgruppe Hochschullehrer« des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes, Herausgeber verschiedener Fachzeitschriften und juristischer Schriftenreihen, vor allem aber als Lehrer der bedeutenden nationalsozialistischen Staatsrechtsprofessoren Ernst Forsthoff, Ernst Rudolf Huber und Theodor Maunz war er der Vordenker der »neuen« Staatsrechtslehre.

Freilich konnte Schmitt seine Vergangenheit nicht ganz abschütteln. Dass er in republikanischen Zeiten mit jüdischen Gelehrten engen Kontakt gehabt hatte – nicht nur unter seinen Förderern, auch unter seinen Schülern waren Juden gewesen –, haben ihm radikale Parteikreise nie verziehen. Wegen seiner katholischen und »reaktionären« Vergangenheit als Berater der Reichskanzler Brüning und von Schleicher war der wendige Professor vor allem der SS und ihrer Zeitung Das Schwarze Korps immer unheimlich gewesen. Die gleichgeschaltete Ausgabe des Großen Brockhaus von 1942 rügte an dem Staatsrat, seine Schriften seien »nicht immer frei von Widersprüchen; auch fällt ein häufiger Wechsel des Standortes auf, so dass der Vorwurf ›Situationsjurisprudenz‹ erhoben wurde«. Immerhin anerkennt diese offiziöse Stellungnahme »das Verdienst Schmitts, mit den Mitteln seiner Darstellung zur Auflösung und Zerstörung überalterter, nicht brauchbarer Systeme beigetragen zu haben«.

Das konnte ihm niemand streitig machen. Carl Schmitt war schon immer der antidemokratische, konservative Staatsrechtler par excellence gewesen, was seine wissenschaftliche Karriere vor und während sowie seinen starken Einfluss auch nach der Zeit des Dritten Reichs erklärt.

Seine hemmungslose Anpassungssucht riss den von Gegnern und Bewunderern stets als »geistreich« Gerühmten allerdings während der Nazi-Zeit zu einer Fülle niveauloser Peinlichkeiten hin. Als moralischer Tiefpunkt deutscher Rechtswissenschaft wird bisweilen seine unter dem Titel Der Führer schützt das Recht122 verfasste juristische und moralische Rechtfertigung der Mordaktion vom 30. Juni bis 2. Juli 1934 nach dem sogenannten »Röhm-Putsch« angesehen. Die Würdelosigkeit dieser Anbiederung an die Mörder wog um so schwerer, als sich unter den Ermordeten sein einstiger Freund und Gönner Kurt von Schleicher und dessen Ehefrau befanden.

Die Ausbürgerung einer Vielzahl Intellektueller und die Verbrennung ihrer Bücher kommentierte Schmitt mit den Worten: »Auf jene deutschen Intellektuellen aber wollen wir verzichten ... Aus Deutschland sind sie ausgespien für alle Zeiten.«123

Fast noch peinlicher waren seine zahlreichen antisemitischen Ausfälle. Bereits 1933 schrieb Schmitt in Staat, Bewegung, Volk, seiner Verbeugungsschrift vor dem Nationalsozialismus: »Ein Artfremder mag sich noch so kritisch gebärden und noch so scharfsinnig bemühen, mag Bücher lesen und Bücher schreiben, er denkt und versteht anders, weil er anders geartet ist, und bleibt in jedem entscheidenden Gedanken in den existentiellen Bedingungen seiner Art.«124 Auf dem 1936 von ihm organisierten Fachkongress »Das Judentum in Rechts- und Wirtschaftswissenschaft« präzisierte er dann: »Der Jude hat zu unserer geistigen Arbeit eine parasitäre, eine taktische und händlerische Beziehung ... Mit großer Findigkeit und schneller Witterung weiß er das Rechte zu treffen. Das ist sein Instinkt als Parasit und echter Händler.«125 Auf den Einwand aus der Zuhörerschaft, der jüdische Rechtslehrer Friedrich Julius Stahl, einer der Führer der preußischen Hochkonservativen und der maßgebliche antidemokratische Staatsdenker des 19. Jahrhunderts, geistiger Ahnherr der Schmitt‘schen Lehren, habe doch seine Verdienste um die deutsche Rechtswissenschaft, entgegnete Schmitt: »Wenn immer wieder betont wird, dieser Mann sei subjektiv ehrlich gewesen, so mag das sein, doch muss ich hinzufügen, dass ich nicht in die Seele dieses Juden schauen kann und dass wir überhaupt zu dem innersten Wesen der Juden keinen Zugang haben. Wir kennen nur ihr Missverhältnis zu unserer Art. Wer diese Wahrheit einmal begriffen hat, weiß auch, was Rasse ist.«126 Der »Staatsrechtler des neuen Reiches«, wie Schmitt sich gern nennen ließ,127 hatte die Zusammenhänge zwischen Geist und Rasse wie kaum ein zweiter erfasst. In der Eröffnungsrede zu dem erwähnten Kongress verwahrte er sich entschieden dagegen, »dass jüdische Emigranten den großartigen Kampf des Gauleiters Julius Streicher als etwas Ungeistiges« abqualifizierten.128 Als Schmitt 1936 in milde Ungnade gefallen war und seine Spitzenfunktion im NS-Rechtswahrerbund verloren hatte, wandte er sich – auch in wissenschaftlicher Thematik opportunistisch – vom Staatsrecht, dem rechtlichen Pendant der Innenpolitik, ab und dem Völkerrecht, dem Recht der Außenpolitik, zu. Bis 1945 veröffentlichte er fortan fast ausschließlich Arbeiten zum Völkerrecht. Nachdem er vorher Diktatur und Führerstaat propagiert und die Machtergreifung der Nazis sowie die Vernichtung des »inneren Feindes« legitimiert hatte, entwickelte er, als Hitlers Eroberungszüge bevorstanden und später, während Deutschland halb Europa besetzt hatte, mit der Rechtsfigur des völkerrechtlichen »Großraums« eine Rechtfertigungslehre für die Unterjochung der Nachbarvölker: »Der neue Ordnungsbegriff eines neuen Völkerrechts ist unser Begriff des Reiches, [das] imstande ist ..., eine Ausstrahlung in den mittel- und osteuropäischen Raum hinein zu verschaffen und Einmischungen raumfremder und unvölkischer Mächte zurückzuweisen. Die Tat des Führers hat den Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und eine große völkerrechtliche Zukunft verliehen.«129 Nachdem sich die große völkerrechtliche Zukunft in der politischen Wirklichkeit der bedingungslosen Kapitulation – ausgerechnet noch vor raumfremden und unvölkischen Mächten – aufgelöst hatte, internierten die Amerikaner den Großraumtheoretiker und erwogen sogar, ihn im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess mit anzuklagen. Die Ankläger versprachen sich dann jedoch offenbar mehr davon, statt Schmitt den Prozess zu machen, sich seines sprichwörtlichen Opportunismus zu bedienen, um einen von den Verteidigern des Staatssekretärs von Weizsäcker aufgebotenen bedeutenden Entlastungszeugen, seinen früheren Lehrer, den deutschnationalen jüdischen Staatsrechtler Erich Kaufmann, unglaubwürdig zu machen.130 Schmitt enttäuschte auch die neuen Herren nicht. Er lieferte Zitate aus Kaufmanns Schriften, in denen der Krieg verherrlicht und der deutsche Großmachtstraum geträumt wurde. Der Wert von Kaufmanns Aussagen war danach erheblich gemindert. Schmitt wurde aus der Internierungshaft entlassen und versprach, sich »in die Sicherheit des Schweigens« zurückzuziehen. Dennoch veröffentlichte er vom heimischen Plettenberg aus noch einige Schriften, unter anderem um seine früheren Publikationen zu rechtfertigen und seinen Beitrag zur NS-Herrschaft in subtilen »Widerstand« umzumünzen. Dabei schreckte er auch vor massiven Fälschungen nicht zurück; der Theoretiker des Notstands behauptete zum Beispiel ganz unverfroren, er habe sich »an dem Gerede vom Staatsnotstand ... nie beteiligt«.131 Undementiert blieb später die Meldung der Frankfürter Rundschau, Schmitt sei zur Zeit der Großen Koalition (1966-1969) der »heimliche staatsrechtliche Berater« Bundeskanzler Kiesingers gewesen, der in kleiner Runde in Plettenberg mit dem Vordenker des Notstands zu konferieren pflegte.132 Zwar hatte man 1948 Schmitts 60. Geburtstag noch nicht gebührend würdigen können (statt einer Festschrift erschien 1950 nur ein schmales Bändchen über Die Bildlichkeit der wortgebundenen Musik Johann Sebastian Bachs, das »Carl Schmitt zum 60. Geburtstag« zugeeignet war,133 aber die dickleibigen Festschriften zu seinem Siebzigsten134 und Achtzigsten135 – letztere unter dem Titel Epirrhosis, auf deutsch: »Begeisterte Zustimmung« –, in denen sich alles versammelte, was in der Nachkriegs-Staatsrechtslehre Ansehen genoss, belegen die Wertschätzung auch der bundesdeutschen Rechtswissenschaft für Carl Schmitt und seine demokratiefeindlichen Lehren. Bumke und der 1984 verstorbene Schmitt hatten vieles gemeinsam. Beide zählten schon vor 1933 zu Deutschlands angesehensten Juristen, beide waren hochkultivierte Männer – Schmitt liebte Bach‘sche Orgelmusik über alles, Bumke soll virtuos Geige gespielt haben –, beide waren konservativ-deutsch­national, beide ersehnten den autoritären Staat und sympathisierten offen mit den Nazis, die sie angeblich insgeheim verachteten. Dass der höchste Richter und der gefeierte Staatsrechtslehrer aber keine Ausnahme bildeten, sondern repräsentativ waren für das Heer der weniger prominenten Richter, Staatsanwälte, Rechtslehrer und – wenngleich in geringerem Umfang – der Rechtsanwälte, zeigte der Gleichschaltungsprozess, die Ausschaltung jeglicher Opposition, alsbald nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Die Sympathie, mit der die deutsche Justiz den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung von ihren Anfängen bis zur Machtergreifung begleitet hatte, wurde durch die Brutalität der Gleichschaltung allenfalls vorübergehend getrübt.

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