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Die für solche Bagatellen verhängten Strafen differierten zwischen 6 Monaten Gefängnis und der gesetzlichen Höchststrafe von 3 Jahren Zuchthaus. Der Angeklagte Haase, den das Oberlandesgericht für überführt hielt, »im Mai oder Juni 1933 eine illegale kommunistische Zeitung, nämlich entweder die Rote Front oder die Rote Fahne, an Waldorn für 10 Pfennige gegeben zu haben und im Juli von Brand eine legale Zeitung für 9 Pfennig gekauft zu haben«, bekam dafür ein Jahr Gefängnis wegen »Beihilfe zur Vorbereitung zum Hochverrat«. Der Angeklagten Anna Sathemann wurde die »Niederlegung des schlichten Kranzes« – ohne rote Schleife – am Grabe der Revolutionäre ebenfalls als Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats ausgelegt, und man verurteilte sie dafür zu 7 Monaten Gefängnis.177 Formelhaft wiederholten die Gerichte in solchen Prozessen ständig, dass »jede Tätigkeit nach dem 5. März 1933, die darauf gerichtet war, die KPD in Deutschland wieder aufzubauen, ... sich objektiv als Vorbereitung zum Hochverrat« darstelle, »denn zu diesem Zeitpunkt war der gesamte kommunistische Parteiapparat durch die nationalsozialistische Regierung lahmgelegt. Im ganzen Reich waren die Parteibüros geschlossen, die maßgeblichen Funktionäre, soweit man ihrer habhaft werden konnte, in Schutzhaft genommen und die gesamte Partei verboten ... Jede Betätigung nach dem 5. März konnte daher nur illegal sein.«178 Pflichtschuldigst führte auch das Hanseatische Oberlandesgericht aus: »Nach der feststehenden Rechtsprechung der deutschen Gerichte dient jede Tätigkeit für die KPD der Vorbereitung des von der KPD geplanten gewaltsamen Sturzes der Regierung und der Verfassung des Deutschen Reiches. Deshalb ist jede Betätigung für die KPD oder ihre Nebenorganisationen, wie RGO und Rote Hilfe, als Vorbereitung des Hochverrats anzusehen und strafbar. Nachdem nach dem Brand des Reichstagsgebäudes die KPD zerschlagen, ihre Funktionäre festgesetzt und ihr Eigentum beschlagnahmt worden war, konnte auch für niemanden innerhalb des Deutschen Reiches Zweifel an dieser Rechtslage bestehen.«179 Mit der »Rechtslage« ist offensichtlich die Machtlage gemeint, denn die Rechtslage war zunächst einmal so, dass die vom Gericht angesprochene Verfassung des Deutschen Reichs von den Nazis gebrochen, teils aufgehoben und teils faktisch außer Kraft gesetzt worden war; in welchem Umfang sie noch galt, wusste niemand, und die Auffassungen, inwieweit sie nun fortbestehe oder durch die »nationale Revolution« überholt sei, gingen damals noch auseinander.

Die Urteile wurden in der Regel, wie traditionell die höherer Gerichte in leidenschaftslosem, sachlichem Ton abgefasst und waren weitgehend frei von nationalsozialistischer Polemik. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, welchen legitimatorischen Beitrag auch die Oberlandesgerichte bei der Zerschlagung der politischen Opposition geleistet haben. Der stets wiederkehrende Gedanke, dass die Illegalität der KPD sich allein schon aus der Tatsache ihrer Verfolgung ergebe, die Unterstellung, wer Geld für politische Gefangene spende, unterstütze – auch wenn die Sammlung nicht für die Partei, sondern mit rein humanitärer Zielsetzung erfolgte – die hochverräterischen Ziele der KPD, sowie die äußerst harten Strafen ließen den Unterschied zwischen den Sondergerichten und den Oberlandesgerichten immer mehr verschwimmen. Auch wenn die Verfahren vor der ordentlichen Justiz rechtsförmiger, die Urteile in sachlicherer Diktion abgefasst waren und, bei allem mehr Wert auf Justizförmigkeit gelegt wurde, unterschieden sich die Ergebnisse solcher Rechtsprechung so wenig von Sondergerichtsurteilen, dass in Presseberichten derartige Verfahren mehrmals als »Verhandlungen vor dem Sondergericht des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Senat für Hochverratsangelegenheiten« bezeichnet wurden.180 Der Unterschied zwischen dem Sondergericht und dem Strafsenat des Oberlandesgerichts war trotz verschiedener Besetzung und der ganz anderen Richtertitel offenbar so gering geworden, dass ihn Journa­lis­ten nicht mehr wahrnahmen und er der Führung der zensierten Presse nicht einmal eine Korrektur wert war.

5. Die »Säuberung« der Anwaltschaft

Macht und Einfluss der Juden in der Weimarer Republik sind stets übertrieben dargestellt worden. In Wirklichkeit war der jüdische Bevölkerungsanteil seit 1871 kontinuierlich von 1,2 auf 0,76 Prozent im Jahr 1930 gesunken181 und betrug keineswegs – wie die Nationalsozialisten behaupteten182 – über 3 Prozent. Auch zum Einfluss der Juden auf den Staatsapparat wurden stets horrende Zahlen genannt, und zwar nicht nur von den Nazis, sondern durchaus auch von bürgerlichen Politikern. Der deutsche Botschafter in den USA und ehemalige Reichskanzler Hans Luther zum Beispiel erklärte im Mai 1933, offenbar wider besseres Wissen, in einer Rede vor Amerikanern die antijüdische Stimmung in Deutschland damit, »dass nahezu 50 Prozent der Regierungsbeamten Juden waren«, und Hitler behauptete vor amerikanischen Journalisten im Sommer 1933 sogar, er habe 62 Prozent aller Staatsämter von Juden besetzt vorgefunden.183

In Wahrheit waren die Juden im öffentlichen Dienst stark unterrepräsentiert, sie stellten nur 0,16 Prozent aller von der öffentlichen Hand Beschäftigten. Ähnlich sah es in der Politik aus. Das Schlagwort von der »Judenrepublik« hält näherer Überprüfung nicht stand; in den 20 Nachkriegskabinetten der Weimarer Republik waren von rund 250 Ministern nur sechs Juden und gar nur zwei, die den jüdischen Glauben praktizierten.184 Vielfältige Diskriminierungen, die ihnen schon früher den Weg in den Staatsdienst versperrten, hatten jedoch dazu geführt, dass die Juden in freie, unabhängige Berufe strebten; unter Schriftstellern, Redakteuren, Kaufleuten, Ärzten und Rechtsanwälten war ihr Anteil sehr viel größer als an der Gesamtbevölkerung. Das galt vor allem für den Beruf des Rechtsanwalts, der sich seit der Einführung der freien Advokatur in Deutschland zum klassischen jüdischen Beruf entwickelt hatte. Nach offiziellen Statistiken waren von den 19 500 in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälten 4394 jüdischer Abstammung, rund 22 Prozent. In den Großstädten war ihr Anteil noch höher. In Berlin waren 1933 zirka 60 Prozent, in Wien vor 1938 angeblich sogar 80 Prozent aller zugelassenen Rechtsanwälte Juden.185 Die Selbstorganisation der Anwaltschaft, der Deutsche Anwaltsverein, wurde von Juden dominiert. Max Hachenburg, Martin Drucker, die Brüder Max und Adolf Friedlaender, Julius Magnus und Max Alsberg hatten als Standesvertreter und Gesetzeskommentatoren das Bild der selbstbewussten freien Anwaltschaft geprägt. Die Rechtsanwälte und Rechtssoziologen Ludwig Bendix, Sigbert Feuchtwanger und Ernst Fraenkel hatten grundlegende Erkenntnisse über das deutsche Rechtssystem gefördert, und Strafverteidiger wie Felix Halle, Max Hirschberg, Hans Litten, Philipp Loewenfeld, Rudolf Olden und Alfred Oborniker begründeten die hohe Verteidigerkultur der Weimarer Republik. Auch etliche Führer der Arbeiterbewegung waren Rechtsanwälte, vorwiegend jüdische, gewesen, wie etwa Hugo Haase, Karl Liebknecht, Paul Levi, Kurt Rosenfeld und Alexander Obuch; und die pazifistischen Organisationen verfügten ebenfalls über prominente jüdische Rechtsanwälte, wie zum Beispiel Alfred Apfel und Rudolf Olden.

Jüdische Advokaten hatten seit der Befreiung der Rechtsanwaltschaft aus den Zwängen staatlicher Verbeamtung das liberale Element im deutschen Rechtssystem repräsentiert, und wenn der Historiker Karl Dietrich Bracher feststellt, dass »die Rechtsanwälte ... sich in großer Zahl gegenüber den Gerichten geradezu als Stütze der Weimarer Demokratie bewährt« hätten,186 so spricht er in erster Linie die jüdischen Rechtsanwälte an. Diese vereinigten in sich wie kaum eine zweite Bevölkerungsgruppe sämtliche Feindbilder der Nationalsozialisten. Wer Hitlers heute so gern zitierte Juristenbeschimpfungen in den Tischgesprächen187 genauer liest, bemerkt, dass sie weniger auf Richter gemünzt sind als vielmehr auf Rechtsanwälte und speziell auf die »jüdischen Rechtsverdreher«. Als Juden, Pazifisten, Sozialisten, engagierte Demokraten und Anhänger des republikanischen Rechtsgedankens waren sie gleichermaßen missliebig, und auf viele von ihnen traf das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft mehrfach zu. Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, das die Entlassung aller politisch Missliebigen und »Nichtarier« aus dem öffentlichen Dienst anordnete, hatte seine Entsprechung in dem Rechtsanwaltsgesetz vom selben Tage. Nach diesem Gesetz konnten Rechtsanwälte »nichtarischer« Abstammung von der Anwaltschaft ausgeschlossen werden, und Advokaten, die sich »im kommunistischen Sinne betätigt hatten«, waren sogar ausnahmslos auszuschließen. Nicht unter diese »Arierklausel« fielen lediglich Anwälte, die bereits am 1. August 1914 zugelassen waren, Weltkriegsteilnehmer sowie Väter und Söhne gefallener Kriegsteilnehmer. Aufgrund jenes Gesetzes entzog man zunächst 1500 Rechtsanwälten die Zulassung, meist aus rassistischen Gründen.188 Den verbliebenen Anwälten wurde in einer Durchführungsverordnung nicht nur »der volle Genuss ihrer Berufsrechte«, sondern auch jedem einzelnen der »Anspruch auf die Achtung, die ihm als Angehörigem seiner Standesgemeinschaft zukommt«, zugesichert.189

Für die immerhin vorerst noch zugelassenen 2900 jüdischen Kollegen galt diese Zusicherung, wie sich bald herausstellen sollte, jedoch nicht. Die gleichgeschalteten Rechtsanwaltskammern verkündeten bald neue Standesrichtlinien. Diese regelten – wie heute auch – das Verhalten der Anwälte verbindlich und stellten die Grundlage für Ehrengerichtsverfahren dar, in denen sogar ein Berufsverbot verhängt werden konnte. Die Rechtsanwaltskammer Berlin erklärte die Gründung oder Aufrechterhaltung einer gemeinsamen Sozietät von Anwälten »arischer« und »nichtarischer« Abstammung für standeswidrig.190 Die Düsseldorfer Anwaltskammer dekretierte, es sei mit dem anwaltlichen Ehrenkodex unvereinbar, die Praxis eines ausgeschlossenen Anwalts zu übernehmen, ehemalige »nichtarische« Rechtsanwälte zu beschäftigen oder Mandate von ihnen zu übernehmen, und ganz pauschal bestimmte sie: »Standeswidrig ist jeder berufliche Verkehr mit nicht mehr zugelassenen nichtarischen Anwälten.«191 Nachdem der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen beschlossen hatte, »arische« Personen, die sich von einem »nichtarischen« Rechtsanwalt vertreten ließen, anzuprangern, veröffentlichte die Hessische Volkswacht am 28. August 1933 unter Nennung der Aktenzeichen und der betreffenden Anwälte eine Liste mit den Namen von 30 Prozessführenden, »die sich nicht schämten, jüdische Rechtsanwälte in Anspruch zu nehmen«.

Der preußische Justizminister Kerrl hatte schon am 5. April 1933 alle ihm unterstehenden Oberlandesgerichtspräsidenten ersucht, »den jüdischen Notaren in ihrem eigenen Interesse dringend zu empfehlen, sich bis auf weiteres ihres Amtes zu enthalten«, da »die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ernstlicher Gefahr ausgesetzt ist, wenn Deutsche sich im Rechtsverkehr weiterhin Urkunden entgegenhalten lassen müssen, die von jüdischen Notaren aufgenommen oder beglaubigt worden sind«.192 Die Stadtverordnetenversammlung Tilsits beschloss am 4. Juli 1933 in einem Dringlichkeitsantrag, dem deutschnationalen Rechtsanwalt und Notar Dr. Jacoby keine Aufträge mehr zu erteilen, weil er in einer Anwaltsversammlung Mitgefühl für einen jüdischen Kollegen gezeigt hatte.193 Die – privatrechtlich organisierten – regionalen Anwaltsvereine forderten die noch verbliebenen jüdischen Anwälte auf, ihren Austritt zu erklären. Und die Juris­tische Wochenschrift, die angesehene Zeitschrift des Deutschen Anwaltsvereins, gab »Richtlinien der Schriftleitung« bekannt, wonach nur noch »Beiträge von Personen« veröffentlicht würden, »die Arier sind«, und Bücher, »deren Verfasser Nichtarier oder die in einem nichtarischen Verlag erschienen sind«, nicht mehr rezensiert würden.194

Neben diesen Schikanen, Behinderungen und Diskriminierungen drängten Parteikreise stets darauf, Juden den Anwaltsberuf ganz zu verwehren. Bereits im Frühjahr 1933 hatte der Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen feierlich erklärt, er werde »niemals von der Forderung ablassen, dass alle Juden restlos aus jeder Form des Rechtslebens heraus müssen«.195 Doch Anfang 1938 waren nach einem Bericht des Kommentators der Reichsrechtsanwaltsordnung und Reichsgeneralinspekteurs der inzwischen in Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund umbenannten NS-Juristenorganisation, Professor Noack, über »die Entjudung der deutschen Rechtsanwaltschaft« von 17.360 Anwälten »immer noch 1753 Juden«.196 Diesem »untragbaren« Zustand half schließlich die 5. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 27. September 1938 ab,197 die alle noch bestehenden Zulassungen »nichtarischer« Rechtsanwälte aufhob und die Ausgeschlossenen zu »jüdischen Rechtskonsulenten« degradierte. Sie durften nur noch für jüdische Mandanten tätig werden, ein Anspruch auf Zulassung zum Rechtskonsulenten bestand jedoch nicht, diese war außerdem jederzeit widerruflich, und die Zulassungsorte sowie die Zahl der Konsulenten wurden beschränkt. Noack kommentierte: »Der jüdische Konsulent darf unter keinen Umständen als Rechtswahrer oder auch nur als anwaltsähnliche Institution angesprochen werden. Er ist nichts weiter als ein Interessenvertreter für eine jüdische Partei. Recht wahren können nur die Richter und Rechtsanwälte als gerichtliche Organe. Die vom Gesetzgeber gewählte Lösung ist ein würdiger, weltanschaulich bedingter Ausgleich. Dem deutschen Volksgenossen der deutsche Rechtswahrer! Dem Juden der jüdische Konsulent! Mit Stolz kann der deutsche Anwalt sich wieder Rechtsanwalt nennen!«198

Den Ausgeschlossenen machte man auf jede erdenkliche Weise das Leben schwer. Mit dem Ziel, Umgehungen des Berufsverbots zu verhindern, wurde 1935 das (heute noch geltende) Gesetz zur Verhütung von Missbräuchen auf dem Gebiet der Rechtsberatung erlassen.199 Da die Anwaltskammern die Übernahme »nichtarischer« Kanzleien für standeswidrig erklärt hatten, konnten die einst blühenden Praxen nicht verkauft werden. Mit dem Verbot, entlassene jüdische Anwälte in untergeordneter Position, zum Beispiel als Bürovorsteher oder juristische Hilfsarbeiter, zu beschäftigen, war denen, die ihre Lebensstellung verloren hatten, auch fast jede andere Möglichkeit genommen, ihren Unterhalt zu verdienen. Selbst der Ausweg, sich als Repetitor durch die Abhaltung von Vorbereitungskursen für Jurastudenten den Broterwerb zu sichern, wurde ihnen verwehrt. Am 25. November 1935 gab der Reichswissenschaftsminister in einem Erlass bekannt: »Es verstößt gegen Würde und Ansehen der Hochschule, wenn Studenten deutscher Abstammung bei jüdischen oder jüdisch versippten Repe­titoren hören. Zuwiderhandlungen werde ich gemäß der Straf­ordnung für Studenten vom 1. April 1935 ahnden.« Er teilte mit, er habe in die neuen Prüfungsordnungen für Diplom-Volkswirte, -Kaufleute und Handelslehrer die Bestimmung aufgenommen, dass Voraussetzung zur Prüfung eine Versicherung sei, dass der Kandidat bei keinem jüdischen Repetitor gehört habe, und bat in dem Erlass den für die Juristenprüfungen zuständigen Reichsjustizminister, eine entsprechende Regelung zu treffen.200

»Deutscher Rechtswahrer« zu sein, worauf sich ein Teil der Anwaltschaft soviel zugute hielt, bedeutete angeblich mehr, als Interessenvertreter einer Partei zu sein; der immer wieder von der Ehrengerichtsbarkeit herausgestrichene Gegensatz zwischen »Rechtswahrer« und »jüdischem Advokaten« sollte den Unterschied verdeutlichen.201 Das Reichsgericht stellte dazu fest: »Die freie Betätigungsmöglichkeit, die dem Grundsatz der Gewerbefreiheit entsprach, [ist] aufgehoben ... , der Rechtsanwalt zu einem Amtsträger geworden.«202 Wie auch immer der Rechtsanwalt in der Folgezeit genannt wurde, ob »Diener am Recht«, »Institut des öffentlichen Rechts«, »Rechtsfindungsorgan« oder »Organ der Rechtspflege« – all jene Bezeichnungen hatten stets die Funktion, ihn auf »die solidarischen Tugenden der Pflichtentreue, des Gehorsams und der Zuverlässigkeit der Beamtenschaft«203 zu verpflichten, denn »aus dieser Organfunktion folgt, dass der Anwalt – ... trotz seiner privatrechtlichen Beziehung zu seinem Mandanten – mit seiner ganzen Person zum Staat in demselben besonderen Treueverhältnis steht, das die Stellung des Beamten charakterisiert«.204 Diese »amts­ähnliche Stellung« hatte Konsequenzen für die tägliche Arbeit des Rechtsanwalts, vor allem überall dort, wo Interessen des Staates berührt wurden. Grundsätzlich änderte sich vor allem die Rolle des Verteidigers im Strafverfahren. »Der RA [Rechtsanwalt] ist als Strafverteidiger näher an den Staat und an die Gemeinschaft herangerückt«, konstatierte der Reichsjus­tizminister in einem Anwaltsbrief, »er ist eingegliedert in die Gemeinschaft der Rechtswahrer und hat seine frühere Stellung als einseitiger Interessenvertreter des Angeklagten verloren.« Unmissverständlich drohte der Minister: »Wer sich nicht klar und bedingungslos innerlich dazu bekennen kann und ständig danach zu handeln bereit und imstande ist, sollte die Robe eines deutschen RA nicht anlegen und eine Verteidigerbank nicht betreten.«205

Die Rechtsanwälte selbst mögen zwar versucht haben, ihren freien Status weitgehend zu erhalten. Mit der permanenten Betonung der anwaltlichen Tätigkeit als »Ausübung einer staatlichen Funktion« und der Diskreditierung der freien Advokatur als »anwaltliches Zerrbild aus der liberalistischen Epoche« (so der Präsident der Reichsrechtsanwaltskammer, Reinhard Neubert)206 bereiteten sie nichts anderes als deren Abschaffung vor. Wenn der Präsident der Anwaltskammer Dresden, Rechtsanwalt Leupolt, den Kampf der »wahren, ihrer deutschen Berufsauffassung treuen deutschen Anwälte« gegen »die Herrschaft jüdisch-liberalistischer Anschauungen im Rechtsleben« herausstrich und betonte, die Pflicht des Anwalts gegenüber seinem Mandanten werde »begrenzt durch Pflichten ... gegenüber der Volksgemeinschaft«,207 so forderte er damit in letzter Konsequenz die Beseitigung anwaltlicher Freiheit und Unabhängigkeit.

Offensichtlich unter dem Eindruck eines Gesprächs mit Hitler, in dem dieser gefordert hatte, »wie der Richter« müsse auch der Anwalt »eine Staatsperson sein«, schrieb Justizminister Thierack an Neubert, »dass die Stellung des Rechtsanwalts im künftigen deutschen Rechtsleben eine völlig anders gerichtete und wahrscheinlich staatliche« sein werde.208 Ihre prozessuale Entsprechung hatte diese Gleichschaltung in der von der deutschen Rechtswissenschaft entwickelten »Gleichrichtung der Verfahrenskräfte«, wie der Strafrechtsprofessor Heinrich Henkel erläuterte: »Dadurch, dass wir uns vom Parteigedanken befreien, machen wir uns von dem liberalen Verfahrensgedanken der Entgegensetzung der Verfahrenskräfte, der Entfesselung des Kampfes um die Wahrheit, der als Parteienstreit die Wahrheitsfindung gefährdet, frei, ... dem System liberaler Entgegensetzungen eine neue Ordnung der grundsätzlichen Gleichrichtung der Verfahrenskräfte gegenüberzustellen.«209 Richter, Staatsanwalt und Verteidiger sollten nach Darstellung des prominenten »nationalen« Verteidigers Dr. Alfons Sack »Kameraden einer Rechtsfront, ... gemeinsame Kämpfer um die Erhaltung des Rechts sein ... Die Gleichschaltung ihrer Aufgaben muss ihre praktische Zusammenarbeit und Kameradschaft verbürgen ... So, wie der neue Prozess keinen Interessenkampf mehr darstellt zwischen Individuum und Staat, so dürfen auch die Prozessbeteiligten ihre Aufgabe nicht mehr in einem Gegeneinander auffassen, sondern allein in einem von gegenseitigem Vertrauen durchdrungenen Miteinander verstehen«.210

Solche »kameradschaftliche Zusammenarbeit« hatte Sack bereits als Verteidiger des Vorsitzenden der kommunistischen Reichstagsfraktion, Ernst Torgler, im Reichstagsbrandprozess praktiziert. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung war dann das Verhalten der – speziell ausgesuchten – Strafverteidiger am Volksgerichtshof, die nicht selten Plädoyers gegen die Angeklagten hielten. Der Verteidiger des wegen seiner Beteiligung am Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 angeklagten Generals Hoeppner beispielsweise äußerte in seinem Plädoyer nur Abscheu vor der Handlungsweise seines Mandanten und forderte schließlich die Todesstrafe für ihn.211

Immer wieder hatte es die Justiz jedoch auch mit Rechtsanwälten zu tun, die sich den »Anforderungen der neuen Zeit« entzogen. In einer Verfügung vom 19. Januar 1943 rügte der Reichsjustizminister ständige Verstöße von Anwälten »gegen ihre Berufspflichten, insbesondere auf weltanschaulich-politischem Gebiet«.212 Schon bald nach Verkündung des erwähnten Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, das den Ausschluss von Anwälten vorschrieb, die sich »im kommunistischen Sinne betätigt hatten«, waren einige Rechtsanwälte, die kommunistische oder sozialistische Angeklagte verteidigt hatten, entlassen worden. Da aber völlig unklar war, was als »Betätigung im kommunistischen Sinne« galt, musste eine Durchführungsverordnung zum Anwaltsgesetz den Begriff präzisieren und feststellen, dass die Verteidigung und Vertretung von Angeklagten der KPD nur dann als Betätigung im kommunistischen Sinne anzusehen sei, »wenn dies nach den besonderen Verhältnissen, insbesondere der Häufigkeit derartiger Verteidigungen oder Vertretungen, der Art ihrer Führung oder den Umständen der Mandatsübernahme gerechtfertigt ist«.213 Nach dieser verschwommenen »Klarstellung« brachte erst recht jede engagierte Vertretung eines missliebigen Mandanten den Anwalt in Gefahr, seinen Beruf zu verlieren. Die vollständige Gleichsetzung der Rechtsanwälte mit Berufsbeamten vollzogen jedoch erst die Ehrengerichte, allen voran der beim Reichsgericht angesiedelte Ehrengerichtshof, der letztins­tanzlich über Standesverfehlungen der Anwälte wachte. Zur totalen Inpflichtnahme der Beamten hatte der Reichsdisziplinarhof diese schon mit Parteigenossen gleichsetzen müssen. Allerdings konnte er sich dabei immerhin noch auf das Institut des Berufsbeamtentums mit seinen gesteigerten Treuepflichten berufen. Da es aber für den freien Beruf des Rechtsanwaltes weder historisch noch dem Gesetze nach solche gesteigerten Pflichten gab, leitete der Ehrengerichtshof die Analogie zum Berufsbeamten einfach aus dem Eid ab, den nach § 19 der Rechtsanwaltsordnung jeder neu zuzulassende Anwalt leisten musste: »Ich schwöre, dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler die Treue zu halten und die Pflichten eines deutschen Rechtsanwalts gewissenhaft zu erfüllen.« Dadurch war nach Auffassung des Ehrengerichtshofes »ein besonderes und unmittelbares Treueverhältnis des deutschen Rechtsanwaltes zum Staatsoberhaupt hergestellt, das den Rechtsanwalt auch in staatsrechtlicher Hinsicht verpflichtet«. Ob der Anwalt den Eid tatsächlich geleistet hatte, erklärte das Gericht dabei als »unerheblich, [denn] für alle deutschen Rechtsanwälte gelten nur einheitliche Rechte und Pflichten«.214

Nachdem so die Pflicht der Anwälte konstruiert war, besonders treue Gefolgsleute des Führers zu sein, werteten die Gerichte jeden Anschein von Distanz zum Regime Hitlers als Standesverfehlung. Einem Anwalt, der bei Gericht den – nicht vorgeschriebenen – »deutschen Gruß« mehrmals unerwidert gelassen hatte, hatte das erstinstanzliche Ehrengericht noch zugute gehalten, er habe das nicht absichtlich, sondern aus einer »erklärlichen Gleichgültigkeit« heraus getan, und ihn lediglich verwarnt. Der Ehrengerichtshof verschärfte die Strafe jedoch zum Verweis; Zeugenaussagen ließen angeblich »keinen Zweifel darüber, dass der Angeklagte den deutschen Gruß vielfach absichtlich nicht entboten und erwidert« habe. Diese Handlungsweise sowie der Umstand, »dass das Verhalten des Angeklagten unliebsam aufgefallen und geeignet war, die deutschen Rechtswahrer in den Augen der übrigen Volksgenossen herabzusetzen, musste zu einer Verschärfung der vom Ehrengericht erkannten Strafe führen«.215

Einen anderen Rechtsanwalt, der sich aus Protest gegen Nachstellungen der Gestapo der Reichstagswahl am 29. März 1936 »bewusst und gewollt ferngehalten« hatte, schloss der Ehrengerichtshof sogar aus der Anwaltschaft aus, denn »die besondere Treuepflicht gegenüber dem Führer, durch die die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten beeinflusst werden, lässt erwarten, dass der Rechtsanwalt bei Entscheidungen der deutschen Staatsführung von weltpolitischer Bedeutung sich als getreuer Gefolgsmann hinter den Führer stellt ... Durch sein Fernbleiben von der Wahl gab er anderen Volksgenossen nicht nur den Mangel seiner eigenen Gefolgstreue zu erkennen, vielmehr war dieses Verhalten des Angeklagten auch geeignet, Zweifel an der Geschlossenheit der deutschen Anwaltschaft und ihrem Einsatzwillen für Führer und Staat entstehen zu lassen.«216 Natürlich genügte es auch nicht, nur zur Wahl zu gehen, man hatte »richtig« abzustimmen. Als ein anderer Anwalt bei der Wahl und gleichzeitigen Volksabstimmung anlässlich des Anschlusses von Österreich wagte, mit »Nein« zu votieren, war das für den Ehrengerichtshof ebenfalls ein Grund zum Berufsverbot, denn »die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten als Anwalt und seine besondere gesetzliche Treuepflicht gegenüber dem Führer verlangt, dass er bei den großen weltpolitischen Entscheidungen der deutschen Staatsführung dem Führer in Treue zur Seite steht«. Gegen diese Treuepflicht hatte der Angeklagte mit seiner Stimmabgabe verstoßen, obwohl, wie das Gericht ausdrücklich feststellte, »eine aufreizende Form seiner Abstimmung nicht festgestellt werden« konnte. Bedenken wegen des Wahlgeheimnisses hatte das Gericht, wie es gleich mehrfach betonte, nicht. Nachdem bekanntgeworden war, wie der Anwalt stimmte, stand »nichts im Wege, dieses Verhalten standesrechtlicher Beurteilung zu unterziehen«.217

Die Treuepflicht gebot den Anwälten auch, allen anderen Wünschen des Regimes Rechnung zu tragen. Nachdem eine Rechtsanwältin den Kontakt zu einem jüdischen Arzt, dessen Behandlung sie ihr Leben verdankte, nicht abbrach, obwohl sie »Kenntnis von der jüdischen Rassenzugehörigkeit des Dr. M.« erlangt hatte, musste das nach Auffassung des Ehrengerichtshofes »bei allem Mitleid mit ihrer Lage ... ihre Ausschließung aus der Anwaltschaft zur Folge haben«.218

Im März 1943 zog man schließlich die gesetzgeberische Konsequenz aus dieser Gleichstellung der Anwälte mit den Berufsbeamten. Die eigene Ehrengerichtsbarkeit der Rechtsanwälte wurde beseitigt und die Überwachung der Anwälte den für Richter zuständigen Dienststrafgerichten zugewiesen, die Verfehlungen unter direkter Anwendung des Beamtenrechts aburteilten.219

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