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Читать книгу: «Am Himmelreich ist die Hölle los», страница 3

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Überdeutlich zog ein Schild seine Aufmerksamkeit auf sich, das vor der Brücke stand. Fast so, als hätte die Sonne es angestrahlt, was nicht möglich war, denn der Himmel war bedeckt. „Ferienhaus Am Himmelreich“ stand dort zu lesen, und ein Pfeil wies in die entsprechende Richtung.

Kurz entschlossen lenkte Mark seinen Wagen auf die andere Seite und hielt vor dem Haus.

Warum nicht hier?, dachte er sich. Das Haus wirkte einladend auf ihn. An diesem Ort könnte er Ruhe finden. Auf der Deichkrone ließe sich wunderbar bis Bensersiel joggen.

Er streckte sich, als er aus dem Wagen stieg, schlug die Tür zu und ging geradewegs zur Haustür.

Auf sein Klingeln öffnete ihm eine junge hübsche Frau. „Moin“, begrüßte sie ihn lächelnd.

Für einen Moment glaubte er an eine Sinnestäuschung, denn er sah einen Strahlenkranz um sie herum. Er blinzelte dieses Bild fort, dennoch durchlief ihn ein Gefühl der Wärme. „Haben Sie noch eine Ferienwohnung frei?“

Ein Rottweiler schob sich an der Frau vorbei und begrüßte ihn wedelnd.

„Was bist du nur für ein Hübscher? – Ist doch ein Rüde, oder?“ Mark ging in die Hocke und nahm den Kopf zwischen seine Hände.

„Orko! Aus! – Entschuldigung, das macht er sonst nie. Aber kommen Sie doch herein. Da Orko Sie offensichtlich mag, kann mir wohl nichts geschehen“, lachte sie. „Ich heiße Sabrina. Sabrina Hoffmann.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen.

„Mark. Mark Foster. Ohne ‚r‘.“

„Mark ohne r?“

Er schaute sie verdutzt an, dann merkte er, dass sie einen Scherz machte, und lachte. „Ich muss meist erklären, dass ich nicht wie der Sänger heiße.“

Nett, dachte Mark. Sehr nett.

***

„Verdammt! – Wenn wir doch nur verstehen könnten, was sie sagen.“ Gerda und Rolf hatten sich in der Nähe der beiden Russen postiert und beobachteten sie bei ihrem Frühstück im Hof. Dabei ließ Gerda den Jüngeren nicht aus den Augen. Sie fürchtete, dass er sie vielleicht doch wahrnehmen würde. Aus ihren Lebzeiten wusste sie, dass es Menschen mit diesen Fähigkeiten gab. Gerade in Russland war diese Feinfühligkeit häufiger anzutreffen.

Doch diesmal verhielt er sich völlig unauffällig. Oder er war einfach zu sehr mit seinem Frühstück beschäftigt und ins Gespräch vertieft. Iwan schaute sich sichernd um, beugte sich dann dichter zu Anton und sprach leise auf ihn ein. Dieser nickte nur, runzelte mal die Stirn, gab jedoch keine Antwort.

Rolf blickte sehnsüchtig auf den Frühstückstisch.

Seine Kleine hatte den Männern etwas Feines zubereitet. Rührei, Saft, Wurst, Käse, Marmelade, ein paar Cherrytomaten, frische Brötchen und eine Thermoskanne voll frischem Filterkaffee.

Ihm lief förmlich das Wasser im Mund zusammen. Wie gut konnte er sich noch an diesen Genuss erinnern. Ein absolutes irdisches Vergnügen. Wenn die Menschen nur wüssten, wie sehr es ihnen nach dem Tod fehlen wird, dann wären sie bestimmt dankbarer und achtsamer mit ihren Mahlzeiten, sinnierte er.

„Irgendetwas stimmt mit den beiden ganz und gar nicht!“, wiederholte sich Gerda zum x-ten Mal. „Kannst du dir vorstellen, was sie im Schilde führen?“

„Nein, wirklich nicht. Auf jeden Fall versuchen sie etwas zu verheimlichen. Das ist klar. – Los, lass uns noch mal in ihre Wohnung gehen, während sie frühstücken. Da sind wir vor ihnen erst mal sicher.“

Nicht, dass Rolf wirklich glaubte, die beiden könnten ihnen etwas antun. Aber er fühlte sich einfach wohler, wenn sie nicht in ihrer Nähe waren.

Gleich darauf befanden sich die beiden in deren Zimmer.

Auf der Küchenzeile standen zwei Sixpacks Bier und eine Flasche Wodka. Zum Bonbonpapier auf dem Esstisch waren noch einige Blätter hinzugekommen, die mit kyrillischer Schrift beschrieben waren. Außerdem eine Zeichnung.

„Schau mal, Rolf! Kannst du erkennen, worum es sich bei dieser Zeichnung handelt?“

Rolf wollte das Blatt Papier an sich nehmen, was ihm nicht gelang. „Mist! Ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, dass ich nichts mehr anfassen kann.“

„Dafür können wir durch Wände gehen. Ist doch auch ganz nett“, grinste Gerda.

„Also? Was erkennst du?“

Die Wohnungstür wurde geöffnet, und die Männer polterten herein. Iwan schaute zur Arbeitsfläche und wies Anton an, die Getränke kühl zu stellen.

Dann zogen sie Jacken über, setzten Sonnenbrillen und Kopfbedeckungen auf. Alle Kleidungsstücke waren in dunklen und unauffälligen Farben gehalten. Gleich darauf verschwanden sie wieder nach draußen.

„Komm! Sicher fahren sie jetzt mit den Rädern. Wir müssen hinterher.“ Gerda eilte voraus, während Rolf sich nicht vorstellen konnte, wie sie das bewerkstelligen sollten.

Schließlich hatten sie noch nie ihr Grundstück verlassen, seit sie sich nach ihrem blitzartigen Tod, den sie nicht im Mindesten mitbekommen hatten, plötzlich unsichtbar und ohne festen Körper in ihrem Zuhause wiedergefunden hatten. Sie selbst konnten einander sehen, aber auch gleichzeitig durch sich hindurch.

Nur durch die Gespräche, die Sabrina zu Hause führte, erfuhren sie, was ihnen widerfahren war.

Rolf gesellte sich zu Gerda, die die beiden Männer beobachtete, wie sie sich auf die Sättel schwangen und in die Pedale traten.

„Jetzt geht es los! Auf!“ Gerda nahm Rolf an die Hand. Anders als gedacht, war ihnen das tatsächlich möglich. Vielleicht weil sie Hand in Hand gestorben waren.

Sie hefteten sich an die Räder, und solange diese noch auf dem Hof fuhren, klappte es prima, ihnen zu folgen.

Dann verließen die Männer das Gelände und bogen nach links ab. Der Abstand vergrößerte sich, und sie konnten den beiden nur noch nachschauen.

Es war, als würden sie festgehalten werden. Oder eine unsichtbare Wand ließ sie nicht weiterkommen.

„So ein Mist!“, schimpfte Gerda.

„Hab ich mir irgendwie gleich gedacht.“ Rolf wirkte erleichtert. Heimlich fürchtete er sich davor, das gewohnte Umfeld zu verlassen. Wer weiß, was ihnen dort draußen widerfuhr?

***

Damit hatte Olga nicht gerechnet. Mark war verschwunden. Die umgestürzten Möbel wiesen in ihren Augen auf einen Kampf hin.

Davon hatte Rasputin nichts gesagt. Waren seine Leute ihr zuvorgekommen?

Aber das passte doch gar nicht zusammen.

Sie zückte ihr Smartphone und wählte Rasputins Nummer.

„Schlampe, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht anrufen sollst. Nur im Notfall“, ertönte sofort seine erboste Stimme.

Die Beleidigung überhörte Olga. Es hatte keinen Sinn, aufzubegehren.

„Na, wenn das kein Notfall ist. Wieso schickst du mich zu Mark zurück, ich solle alles in Ordnung bringen, wenn er gar nicht mehr in der Wohnung ist?“

„Was hab ich damit zu tun? Vielleicht ist er einkaufen oder im Büro?“

„Beides nein. Die Wohnung sieht verwüstet aus – hier muss jemand gewesen sein. Tisch und Stühle sind umgestoßen. Sieht nach einem Kampf aus.“

„Verdammt! Soweit ich informiert bin, waren wir das nicht! Fehlt was? Wo sind seine Unterlagen, sein Laptop?“

Olga ging mit dem Smartphone am Ohr ins Schlafzimmer.

„Die Schranktüren stehen offen und auch die Schubladen.“

Sie ging ins Arbeitszimmer. Der Schreibtisch war leer.

„Laptop ist weg.“

„Und du bist ganz sicher, dass es ein Überfall war?“

„Na, was denn sonst? Ich kann dir gerne ein paar Fotos schicken.“

„Nein! Versuch ihn anzurufen. Mal sehen, wer abnimmt.“

„Okay. Ich melde mich gleich wieder.“

„Nein. Kein Anruf – komm her! In der Zwischenzeit versuche ich herauszufinden, was passiert sein könnte.“ Rasputin drückte das Gespräch weg.

Olga suchte in den Kontakten Marks Nummer und wählte sie an.

Sofort antwortete die Mailbox, die ihr zeigte, dass er sein Handy ausgeschaltet haben musste.

Ich könnte die Polizei einschalten, dachte sie, dann wäre sie vielleicht auf einen Schlag aus allem raus.

Nein. Sie schüttelte den Kopf. Das würde nicht funktionieren.

Und was jetzt? War ihre Mission beendet? Würde man sie nun wieder nach Baku schicken, um dort weiterzumachen?

Es half nichts, sie musste zurück zu Rasputin und auf neue Anweisungen warten.

***

Ihn schickt der Himmel!, dachte Sabrina dankbar, als sie Mark hereinbat, um sich die Wohnung im Obergeschoss anzuschauen.

„Du kannst erst einmal die Wohnung besichtigen, ob sie dir gefällt. Ich hätte sonst noch andere anzubieten. – Ich darf doch Du sagen, oder?“

„Ja, klar. – Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie mir gefällt. Hauptsache, ein bisschen Ruhe.“

„Du bist Schriftsteller“, stellte Sabrina eher fest, als dass es eine Frage war, nachdem sie einen Blick auf seine Laptop-Tasche geworfen hatte.

Mark zögerte einen winzigen Augenblick: „Wie kommst du darauf?“

„Wenn jemand seinen Laptop ständig bei sich trägt, hat er wohl die Befürchtung, dass seine Aufzeichnungen verloren gehen könnten.“

„Da hast du recht“, entgegnete er grinsend. „Und du bist Detektiv?“

Sabrina lachte. „Wie kommst du darauf?“, wiederholte sie seine Fragestellung.

„Du zeigst dich als gute Beobachterin und bist scharfsinnig.“

„Danke für das Kompliment, aber nein. Mir gehören die Ferienwohnungen, und in der Saison arbeite ich in Bensersiel im Service.“ Sabrina schaute ein wenig verlegen auf den Boden. „Da das geklärt ist, zeige ich dir jetzt die Wohnung. Mir nach!“, forderte sie ihn betont forsch auf.

Sogar der Rottweiler mühte sich die Treppe nach oben.

Scheinbar hat Orko einen Narren an Mark gefressen. Hab ich noch nie bei ihm erlebt. Spontane Liebe, dachte Sabrina. Sie hielt es für ein sehr gutes Zeichen. Orkos Instinkt konnte man rückhaltlos vertrauen.

Die schmale Treppe entsprach der ursprünglichen Bauweise und war noch im Original-Zustand. Bei jedem Schritt knarzte und ächzte sie mal mehr, mal weniger.

Oben öffnete Sabrina die Tür, und ein gemütlich eingerichtetes Zimmer offenbarte sich.

Sie eilte zu den zwei nebeneinanderliegenden Fenstern und öffnete sie.

„Entschuldigung, ich habe heute noch nicht gelüftet. So früh hatte ich mit dir nicht gerechnet.“

Mark lachte. „Hellsehen kannst du also auch“, und trat neben sie. „Schön“, sagte er schlicht, als er hinaussah. Von hier aus konnte man in das Benser Tief schauen, Enten und Teichhühner betrachten und sich, abgesehen von ein paar entfernt liegenden Häusern, bis zum Horizont an der Natur erfreuen. Er öffnete weit das Fenster, lehnte sich hinaus und nun konnte er, wenn er nach rechts sah, sogar Bensersiel erahnen. Mark war begeistert. Soweit das Auge reichte, flaches Land. Herrlich.

Sabrina war inzwischen ins angrenzende Schlafzimmer und Bad geeilt, um dort ebenfalls die Fenster zu öffnen.

Mark folgte ihr und schaute auf ein Doppelbett mit weißlackiertem Rahmen. Der Kleiderschrank, ebenfalls in Weiß, schien aus einer bekannten schwedischen Möbelkette zu stammen.

„Ich komme gleich das Bett beziehen“, erklärte Sabrina.

„Ach, das kann ich auch machen.“

„Alles im Preis inbegriffen“, widersprach sie.

„Okay. Brauchst du Vorkasse?“

„Ganz wie du möchtest“, und dachte: Los! Rück es raus. Doch bloß keine Schwäche zeigen, und darum fügte sie beherzt hinzu: „Ich vertraue dir. Wenn Orko dich liebt, kann ich mich darauf verlassen.“

Mark schaute sich nach dem Hund um, der brav im Türrahmen sitzengeblieben war. Dieser wusste, dass er die Ferienwohnungen nicht betreten durfte.

Als er seinen Namen gehört hatte und sah, dass Mark ihn anschaute, stand er erwartungsvoll auf, und sein ganzes Hinterteil wackelte vor freudiger Erwartung.

„Ist das so, Orko?“, sprach Mark ihn direkt an und Orkos Popo wackelte noch stärker.

„Na komm her, mein Junge.“ Er hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da sprang der Rottweiler ihn auch schon an und schleckte ihm übers Gesicht. Fast wäre Mark hintenübergekippt bei dem unerwarteten Gewicht.

„Erstaunlich, dass er überhaupt so hoch springen kann“, lachte Mark und wehrte ihn freundlich streichelnd ab.

„Ja, er ist schwer. – Orko, aus!“

„Ist schon gut, ich glaube, ich habe mich gerade verliebt.“

„Ich gehe jetzt mal davon aus, dass du Orko meinst“, grinste Sabrina und fühlte sich erstaunlich beschwingt.

„Bis jetzt ist das so“, neckte Mark zurück.

Sabrina schaute ihn an, lachte und merkte dann zu ihrem Entsetzen, dass sie rot anlief.

„Also, ich hole mal eben die Bettwäsche.“ Sie drehte sich rasch um und ging.

„Komm, Orko!“, rief sie im Hinausgehen.

Dieser blieb aber bei Mark und schmiegte seinen Kopf an dessen Hosenbein.

***

„Na, Orko, was machen wir jetzt? – Vielleicht erst einmal auspacken?“ Der Hund legte den Kopf schief und strengte sich an, den Mann zu verstehen.

„Dazu müssen wir aber erst zum Auto, das Gepäck holen.“ Mark streichelte das kurze, seidige Fell, dann stieg er die ersten Stufen hinab.

Gleichzeitig betrat Sabrina am unteren Absatz die Treppe, einen Stapel Bettwäsche vorm Gesicht.

Orko, der Schwierigkeiten hatte, die Stufen abwärts zu laufen, schoss förmlich an Mark vorbei und rutschte mehr, als dass er lief, seiner Herrin entgegen. Als er auf seinem Weg nach unten an ihr vorbeischlidderte, strauchelte diese, woraufhin Mark ihr zu Hilfe eilte.

Fest umschloss seine Hand ihren Arm, wobei die Wäsche durch die Luft wirbelte. Schnell umfasste er mit der anderen Hand ihre Taille, als Sabrina den Halt verlor und von den Stufen abrutschte.

Wie eine Schlenkerpuppe hing sie in seinen Armen.

„Hoppala! Das ist ja gerade noch einmal gut gegangen. – Hast du dir wehgetan?“ Mark half ihr, wieder auf die Füße zu kommen.

„Orko, du verdammte Töle!“, schimpfte sie. „Ja, aua“, jammerte sie gleich darauf, sich das linke Schienbein reibend.

„Willst du lieber nach oben oder nach unten?“ Mark stützte sie fürsorglich.

Sabrina sah sich nach der Wäsche um, die auf dem Boden lag und Orko einrahmte, der ihnen wenig schuldbewusst entgegensah. Vielmehr wirkte er zufrieden. „Endlich mal wieder etwas los“, schienen seine Augen zu sagen.

„Nach unten ergibt wohl mehr Sinn“, bemerkte Sabrina trocken.

„Ich wollte sowieso gerade mein Gepäck aus dem Auto holen. Also nach unten.“

Sabrina löste sich etwas verlegen aus seiner Umarmung. „Danke, es geht schon“, und humpelte hinunter.

Mark blieb hinter ihr, und beide bückten sich gleichzeitig, um die Wäsche aufzuheben. Und wie es in jedem Film zu sehen ist, stießen sie tatsächlich mit ihren Köpfen zusammen.

„Ich hole gleich frische“, beteuerte Sabrina und rieb sich den Kopf, den Zusammenstoß ignorierend.

„Ach was. Ist nicht nötig. Ist doch nichts passiert. – Wo kann ich wohl mein Auto parken?“

„Rechts neben dem Haus ist hinter einer Hecke ein kleiner Parkplatz. Dort kannst du es abstellen oder du fährst um das Haus herum auf den Hof. Ganz wie du möchtest.“

„Parkplatz klingt gut. Ich bin gleich wieder bei dir. Warte, dann kann ich dir mit der Wäsche helfen.“ Schon war er draußen, wobei er die Haustür nur anlehnte.

„Das fehlte noch! Kann ich auch alleine. – Und du, Orko …!“ Sie wurde sehr streng. „Du bleibst jetzt hier unten, verstanden?“

Orko legte sich ergeben hin und schaute traurig zu ihr hoch.

„Hast es dir selbst zuzuschreiben, mein Lieber.“

Mark ging unterdessen zum Auto und setzte es um. Holte sein Gepäck aus dem Fahrzeug, und gleich darauf stand er neben Sabrina, die bereits im Obergeschoss dabei war, die Betten in seinem Zimmer zu beziehen.

„Eins hätte auch gereicht. Ich erwarte keinen Besuch.“

„Es sieht so ungemütlich aus, wenn nur ein Bett bezogen ist“, erwiderte Sabrina und dachte: Das kann man nie wissen. – Ups, Sabrina!, ermahnte sie sich schmunzelnd.

Mark sah ihren Gesichtsausdruck und schaute sie fragend an. „Hab ich was verpasst?“

„Wie bitte?“ Sabrina wusste wirklich nicht, was er meinte.

„Du grinst so.“

„Ich? Nö. Nichts“, und widmete sich ausgiebig dem Bettbezug.

„Wie lange hast du vor zu bleiben?“, fragte Sabrina.

„Ich weiß es nicht. Ehrlich. Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Wollte einfach nur mal frische Luft schnuppern.“

„Veränderung kann sehr hilfreich sein“, entgegnete Sabrina. „Und frische Luft gibt es hier in Hülle und Fülle.“

Mark betrachtete sie nachdenklich, während sie das Bett glatt strich. Sah man ihm die Trennung so deutlich an? Oder was meinte sie mit ihrer Äußerung?

***

Nachdem das Ehepaar die Verfolgung aufgeben musste, kehrte es nach einer Weile ins Wohnhaus zurück. Die Zeichnungen hatten die Männer zuvor noch in einer Tasche verstaut. Auch konnten Rolf und Gerda dort nichts anderes entdecken, das ihnen irgendwelche Hinweise lieferte.

„Na, das ist doch mal ein Netter“, äußerte Gerda hingerissen und meinte damit den Neuankömmling.

„Abwarten und Tee trinken“, erwiderte Rolf abwiegelnd.

„Schön wär’s“, murmelte Gerda und blieb beobachtend an der Wand „stehen“.

„Was meinst du?“ Rolf betrachtete ebenfalls den Neuankömmling.

„Tee trinken und dazu ein schönes Stückchen Kuchen mit Sahne. Da läuft mir doch glatt das Wasser im Mund zusammen.“

Rolf lachte. „Kenne ich nur zu gut, doch alles nur Einbildung, meine Liebe, alles nur Einbildung.“

„Aber du musst doch zugeben, dass es ganz gut anfing?“

„Du meinst, dass es, wenn sich unsere Tochter fast den Hals bricht, romantisch ist?“

„Natürlich nicht. Aber er zeigte sich ritterlich. Ist doch ein vielversprechender Anfang.“

„Frauen!“, schimpfte Rolf. „Du lässt dich auch sofort von einem bisschen Sexappeal einfangen. Ich jedenfalls werde ihn mir genau unter die Lupe nehmen. Guck ihn dir doch an. So einer macht üblicherweise auf den Malediven Urlaub, und wenn in Deutschland, dann bestimmt eher auf Sylt.“

„Puh, bist du versnobt. Warum sollte er nicht hier Urlaub machen? Bei uns ist es doch gediegen.“

„Ja, gediegen, das stimmt. Aber gediegen und teures Cabrio passen nicht zusammen.“

Gerda gab nicht so leicht auf. „Vielleicht wäre er der richtige Mann für Sabrina. Er scheint finanziell abgesichert zu sein, ist jung, durchtrainiert und sieht zudem auch noch fantastisch aus. Er könnte auf sie aufpassen und ihr ein schönes Leben bieten.“

Rolf sah sie verwundert an. „Was ist denn mit dir los? So kenn ich dich gar nicht. Was ist aus ‚unabhängig‘ und ‚man braucht keinen Mann, um glücklich zu sein‘ geworden?

„Ach, du siehst doch, welchen Gefahren unsere Tochter ausgesetzt ist. Allein mit einer Ferienpension.“

Rolf blickte sie besorgt an. Seiner Frau schien es wirklich nicht gut zu gehen. Wo war ihr Kampfgeist, ihre grenzenlose Energie? Täuschte er sich oder war ihre Erscheinung noch schemenhafter geworden als sonst?

„Geht es dir nicht gut, mein Schatz?“, fragte nun Rolf.

„Ich fühle mich müde, wenn ich über all diese Dinge nachdenke. Wie sollen wir unsere Tochter schützen? Wir können doch nicht einmal unser Zuhause verlassen? Ein Mann im Haus wäre schon beruhigend.“ Gerda blickte zu Mark. „Und wenn er Schriftsteller ist und die Abgeschiedenheit sucht, ist er hier genau richtig. Sollte es zwischen den beiden funken, könnte ich endlich beruhigt sterben.“

„Sei nicht albern. Du bist bereits tot.“

„Ach, ja, stimmt.“ Gerda starrte vor sich hin.

„Orko hat einen Narren an ihm gefressen“, lenkte Rolf ein, der sich jetzt wirklich Sorgen machte.

Der Hund lag nun zu Marks Füßen, der an dem kleinen Tisch saß und seinen Laptop aufgebaut hatte. Als hätte Orko seinen Namen vernommen, hob er den Kopf und wedelte kurz verhalten mit dem Schwanz.

Mark streichelte ihn geistesabwesend.

„Au Backe, ob Mark uns wahrnimmt?“ Gerda schaute prüfend zu ihm hinüber.

„Nein, er hat auf Orkos Verhalten automatisch reagiert. Ich glaube nicht, dass er sein Handeln überhaupt selbst registriert hat.“

In diesem Moment zückte Mark sein Smartphone, schaltete es ein und entsperrte es.

„Kein Empfang!“ Er stand auf und ging zum Fenster. Prüfend hielt er es hoch. „Orko, habt ihr WLAN?“ Er schaute auf den Hund herab und lächelte. „Na, komm! Das wollen wir mal von deinem entzückenden Frauchen erfahren.“ Er öffnete die Tür und machte eine einladende Handbewegung.

„Darf ich bitten, Orko? – Du zuerst.“

Und schon schlitterte der Hund die Treppe hinab.

Rolf richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Gerda. „Du solltest dich ausruhen. Du siehst so, so – ich weiß nicht, so komisch aus.“

„Was?“ Gerda fuhr zusammen. „Wie, komisch?“

„Na, komisch, so anders eben.“

Sie rauschte ins Schlafzimmer zum Spiegel und blickte hinein. Unwillkürlich wich sie vor Überraschung zurück.

***

Dicke graue Wolken hingen am ostfriesischen Himmel. Unterschiedliche Nuancierungen von hell bis dunkelgrau grenzten die Formen ab. Mehrere Schichten waren erkennbar, die der Sonne an diesem Tag keine Chance geben würden.

Die ständige Brise machte es den beiden Radfahrern nicht leicht, die als Einzige über den Deich am Benser Tief Richtung Norden strampelten. Die Strickmütze, tief ins Gesicht gezogen, schloss mit dem Rand der heute überflüssigen Sonnenbrille ab. Doch Iwan war so daran gewöhnt, sie zu tragen, dass er sich ohne sie unsicher und durchschaut fühlte.

Er hielt den Blick gesenkt und achtete auf den schmalen Pfad, als ihn plötzlich etwas am Kopf traf und er fast in Antons Fahrrad gefahren wäre, der vor ihm bisher das Tempo vorgegeben hatte. Doch nun bremste er schlagartig ab. Er sprang vom Rad und stürzte seiner davoneilenden Truckercap nach, die ihren Weg bereits fortsetzte, nachdem sie von Iwans Stirn abgeprallt war.

Während Anton sich bemühte, sie wieder einzufangen, schimpfte Iwan laut: „Lass die blöde Kappe, die fliegt dir sowieso wieder weg. Hab ich dir nicht gesagt, du sollst dir eine vernünftige Mütze kaufen?“

Anton ignorierte ihn und hechtete wie ein Torwart der Kopfbedeckung hinterher, die im Wind Kapriolen schlagend den Heimweg antrat. Doch gleich darauf hatte er sie unter sich begraben. Innerlich triumphierend nahm er sie an sich, streifte den Schmutz ab und drückte sie fest auf seinen Kopf.

„Können wir jetzt endlich weiter?“, zeterte Iwan.

Anton erwiderte lieber nichts, sondern trat nur in die Pedale. Mit seinem Gefährten war nicht gut Kirschen essen, wenn er gereizt war. Aber so eine Kappe hatte er schon lange haben wollen, darauf wollte er nicht verzichten. Er fand, dass er damit cool aussah. Und wenn er erst wieder zu Hause war …

Nur, wo war eigentlich sein Zuhause?

Bensersiel rückte immer näher. Sie überwanden die Umgehungsstraße, indem sie durch eine Unterführung radelten. Als sie an der anderen Seite herauskamen, erfasste die nächste Böe erneut Antons Kappe und wehte sie zurück über die Entlastungsstraße.

Anton wollte schon erneut vom Rad springen, als Iwan ihn zurückhielt: „Du lässt jetzt die Scheißkappe, hast du verstanden? Verdammt! Wir sind doch nicht im Kindergarten!!!“

Traurig sah Anton der Kopfbedeckung hinterher, wie sie auf der anderen Seite der Straße im Nichts verschwand.

Vielleicht konnte er später noch einmal hierherfahren und sie suchen, hoffte er.

„So ein Mist! Jetzt müssen wir nach Aurich fahren, um eine Mütze zu kaufen. Wir können hier nicht riskieren, dass man auf uns aufmerksam wird. Du blöder Idiot!“

Iwan steigerte sich in seine Wut hinein.

„Wir könnten mit der Bahn nach Oldenburg fahren. Das ist eine große Stadt, da merkt sich niemand unsere Gesichter“, warf Anton vorsichtig ein.

Iwan guckte ihn schräg von der Seite an. Keine schlechte Idee, dachte er sich, wollte es aber nicht zugeben. Außerdem wäre es gar nicht so übel, auch in jener Gegend ortskundig zu werden. Man konnte ja nie wissen …

„Dann sehen wir uns heute noch die Abfahrtzeiten am Bahnhof in Esens an. Aber erst einmal will ich den Hafen erkunden. Los! Abmarsch!“, kommandierte Iwan.

Anton trat in die Pedale, und schon bald darauf erreichten sie den Küstenort. Unschlüssig blieben sie auf der Brücke der Hauptstraße stehen und überlegten, welche Einfahrt sie zuerst nehmen sollten. Entschieden sich dann für die rechte Seite. Kurz darauf durchfuhren sie eines der Sieltore, die nur bei Sturmfluten geschlossen werden.

Am Kai lagen gut festgezurrt die Fähren nach Langeoog, während die Bauarbeiten am neuen Fähranleger lautstark vonstattengingen.

Noch waren keine Boote im Yachthafen zu sehen, doch schon bald sollte die Saison beginnen.

***

Kaum hatte Mark das WLAN-Passwort eingegeben, überschlugen sich die Mitteilungstöne seines Smartphones.

„Du lieber Himmel!!!“, rief Mark aus. „Du entschuldigst mich?“, und wandte sich, schon ganz in Gedanken, ab.

Sabrina nickte, blickte hinab zum Hund und sagte streng: „Du bleibst schön hier, mein Lieber.“

Mark drehte sich um: „Ist das dein Ernst?“

Verdutzt schaute sie ihn an, dann lachte sie. „Ich meinte Orko.“

„Ja, klar.“ Er grinste schief und verließ die Küche. Gleich darauf lugte er jedoch wieder durch die Tür. „Sag mal, wäre es möglich, bei dir zu essen? Ich zahle auch dafür.“

Das nimmt so langsam merkwürdige Züge an, dachte Sabrina. Insgeheim war sie allerdings sehr froh, ein wenig hinzuverdienen zu können.

„Wenn du mit Hausmannskost zufrieden bist?“

„Sehr gerne.“ Mark strahlte sie an und sprang dann, eine Stufe überspringend, die Treppe nach oben.

In seinem Zimmer nahm er sich die Nachrichten vor, die sein Smartphone überfluteten.

Seine Eltern erkundigten sich, ob er gut angekommen sei und eine schöne Unterkunft gefunden habe. „Schick uns mal ein paar Fotos. Wir waren doch auch schon so lange nicht mehr da“, baten sie.

Flink tippte Mark ein Lebenszeichen und schoss ein Foto aus dem Fenster, das er der Nachricht beifügte.

Eine Mail kam aus seinem Büro von seiner Mitarbeiterin, die eine Anfrage seines Auftraggebers weiterleitete und sich besorgt erkundigte, ob er im Outback Ostfriesia überhaupt mit der modernen Zivilisation verbunden sei.

Sogleich beantwortete er die Nachricht und versicherte, dass er sich alsbald mit dem Auftraggeber in Verbindung setzen würde.

Zwölf Anrufe in Abwesenheit stammten durchweg von Olga. Drei Sprachnachrichten hatte sie hinterlassen. Missmutig löschte er sie ungehört.

Nein, von ihr ließ er sich nicht die Laune verderben. Er hatte gerade angefangen, nicht mehr an sie zu denken. Natürlich war das nun vorbei.

Er ging zum Fenster und starrte blicklos hinaus. Bilder stiegen vor seinem inneren Auge auf. Bilder von romantischen Augenblicken, die sie miteinander verbracht hatten und die dann äußerst leidenschaftlich endeten. Ein Feuerwerk der Gefühle. Er war Wachs in ihren Händen.

Er presste die Kiefer so fest aufeinander, dass seine Kaumuskeln hervortraten und sein Gesicht noch kantiger machten.

Entschlossen drehte er sich um, straffte seine Schultern und atmete tief ein. Abstand! Er brauchte erst einmal Abstand von dieser Frau. Die Gefahr, wieder schwach zu werden, war durchaus berechtigt, denn er hatte wieder ganz deutlich die Sehnsucht nach ihrem Körper gefühlt.

Was er nicht spürte, war, dass sich Gerda und Rolf noch in der Wohnung aufhielten und ihn beobachteten.

„Ich sag doch, mit dem stimmt was nicht!“, flüsterte Rolf seiner Frau zu.

Gerda, noch immer verstört, schaute nur besorgt zu ihm hinüber.

Mark suchte in den Kontakten eine Nummer heraus und wählte sie. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es eine gute Zeit war, um das Telefonat zu führen. Später Vormittag. Perfekt.

„Foster hier. Sie baten um Rückruf“, eröffnete Mark das Gespräch. – „Sicher. Kein Problem. Ich denke, dass ich fristgerecht fertig bin.“ Er lauschte in den Hörer und erwiderte dann: „Es wäre aber auch wichtig, dass ich vorher noch einen Probelauf starten dürfte. – Ist die entsprechende Abteilung darüber bereits informiert?“ Konzentriert lauschte er der Antwort. – „Wunderbar! Ich melde mich dann, wenn es so weit ist. Auf Wiederhören.“

Er legte das Smartphone auf den Tisch, packte die Kleidungsstücke aus und verstaute sie. Anschließend ging er schon wieder vergnügt nach unten.

„Schriftsteller ist er jedenfalls nicht.“ Rolf wollte Mark schon folgen. Doch Gerda hielt ihn zurück. „Gönn mir eine Pause.“

***

„Ja, natürlich. Wir werden schon herausbekommen, was mit diesem Mark Foster los ist.“ Rolf bewegte sich wieder auf seine Frau zu und betrachtete sie erneut prüfend.

„Etwas sehr Merkwürdiges ist gerade geschehen, Rolf.“

Wieder wurde ihr Bild durchscheinender.

„Du siehst wirklich nicht gut aus. Was kann ich für dich tun?“ Rolf war bestürzt.

„Am liebsten würde ich mich hinlegen oder wenigstens hinsetzen. Ich fühle mich so schwach.“

„Versuch es doch mal. Vielleicht geht das.“

Gerda blickte sich um, schaute ins Schlafzimmer, doch dann entschied sie sich dagegen, das Bett auszuprobieren. Denn dort stand der Spiegel genau gegenüber.

Sie steuerte das Ostfriesensofa an, das an der Wand gegenüber dem Tisch stand. Der große Wunsch, sich dort auszustrecken, und die Erinnerung an alte Zeiten schienen tatsächlich zu bewirken, dass Rolf sie dort in einer liegenden Position ausmachen konnte.

„Wunderbar!“, rief er enthusiastisch. „Es klappt.“

„Ja, tatsächlich.“ Gerda bemühte sich, sich nicht zu bewegen, um diesen Zustand zu erhalten.

Rolf betrachtete sie fasziniert eine Weile, dann wagte er sich an ihre Seite. „Wie fühlst du dich jetzt?“

„Besser. Meine Energie scheint sich wieder gleichmäßiger in meinem ‚Körper‘ zu verteilen. Ich weiß nicht, wie ich es anders erklären kann. Warte nur noch einen Augenblick, dann muss ich dir etwas sagen.“

Gerdas Stimme wurde zunehmend lebhafter.

Rolf atmete erleichtert auf. Was ja nicht möglich war, aber zumindest hatte er diesen Eindruck.

Schneller als gedacht, richtete sich Gerda auf, blieb aber noch in einer sitzenden Position.

„Vorhin“, begann sie übergangslos, „als ich in den Spiegel sah – weißt du noch?“

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22 декабря 2023
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ISBN:
9783948397319
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