Читать книгу: «Vertraue niemandem», страница 2

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Fünf

Henry Lawrence war außer sich. Wieder mal sah es so aus, daß die TOP-Leute schneller waren. Der Berliner CIA-Chef geriet dadurch in Bedrängnis. Denn offensichtlich hatte sein Konkurrent Snyder es geschafft, einen eigenen Mann im unmittelbaren Umfeld der Kanzlerin zu installieren. Das Gespräch zwischen Snyder und seinem Boß in Dubai, das ihm die NSA entschlüsselt übermittelt hatte, ließ daran keine Zweifel. Und jetzt planten sie auch schon für den Fall der Fälle – dem Rücktritt der Kanzlerin und der Annahme, daß die neue Außenministerin die Nachfolgerin wird. Lawrence sah in diesem Fall jedoch auch eine Chance für sich. Denn es war ja nicht unmöglich, diesen Taxifahrer für seine Interessen einzusetzen.

Einschub:

Aus dem Brief von Hans Kolbe an seine ehemalige Frau Karin:

„E-Mails wurden einst von Wissenschaftlern erfunden, die sich vertrauten. Inzwischen sind E-Mails so vertraulich wie eine Postkarte. Doch viele wollen es nicht wissen, andere ignorieren es und beruhigen sich mit der Formel ‚Ich habe doch nichts zu verbergen‘ oder stellen sich die unsinnige Frage: ‚Wer interessiert sich schon für meinen Alltag?‘ Nur ein kleiner Kreis der Nutzer setzt Verfahren wie Authentifizierung, Signierung und Transportve rschlüsselung ein. Warum machen das so wenige? Die meisten Menschen hassen Komplikationen und sie lieben Bequemlichkeit. Verschlüsselungstechnik ist für sie so schwierig wie die Relativitätstheorie. Darum ist sie kaum verbreitet.

Heute haben all jene, die sich über Milliarden Menschen ein genaues Bild machen wollen, beste Chancen. Wie machen sie das?

Lauschangriffe auf E-Mails können innerhalb des Systems Internet an jeder Stelle stattfinden: Per Trojaner auf dem Absender- und Empfänger-Gerät, auf den Mail-Relays der Provider und vor allem während des Transports durch das Internet.

Geheimdienstler haben Zugriff auf den E-Mail-Verkehr aller wichtigen Provider: Microsoft, Google, Yahoo und AOL. Sie kontrollieren den Mail-Verkehr, der über die Unterseekabel im Mittelmeer, dem Nahen Osten und an der britischen Küste verläuft.

Die riesigen Datenmengen, die dabei abgesogen werden, landen in einem Data-Warehouse – das ist wie eine riesige Festplatte, von der die gespeicherten Daten mit spezieller Software, die die neueste Forensik-Technik verwendet, zu jedem Zeitpunkt ausgewertet werden. Für was? Wer die Verhaltensweisen von Milliarden Menschen im Alltag kennt, ihre Vorlieben, ihr Sündenregister, ihre Ziele, ihre Wünsche, ihre Geheimnisse, ihr Vermögen, ihre Schulden, ihre Krankheiten – einfach ALLES! – der wird eines Tages in der Lage sein, ihr Verhalten vorauszuahnen und er wird die Menschen so formen, wie sie die Mächtigen dieser Welt haben wollen. Menschen sind dann nur noch Schäfchen, die nach Belieben manipuliert werden können. Das Menschsein wird dann von diesem Erdball verschwinden.“

Sechs

Karin empfing die Redakteure Olaf Franz und Heinz Grünbaum vom Magazin „Streitlust“. Ihr Pressesprecher Konrad Bode sondierte die Thematik. Er fragte ganz offen:

„Worauf läuft das Gespräch hinaus? Was wollen Sie wissen?“

Olaf Franz, ein etwa 50-jähriger, schlanker, grauhaariger Marathontyp mit tiefen Falten in der Stirnregion, übernahm nach einem kurzen Abnicken mit seinem Kollegen die Antwort:

„Es geht um den Kongo. Wenn die Bundeswehr dort interveniert, leitet die Ministerin damit eine Strategie ein, die sehr wahrscheinlich von der Kanzlerin nicht geteilt wird. Es ist also eine Provokation.“ Er schluckte und schaute etwas verunsichert in die Runde, weil die Ministerin ihren abstrafenden Oberlehrerblick auf ihn richtete. Doch Bode hakte nach:

„Ist das alles? Sie wollen nichts darüber wissen, inwiefern die Ministerin dabei vor allem eines im Sinn hat: Sie will das Abschlachten tausender Unschuldiger beenden, die Manipulationen mit dem Tantalpreis unterbinden und dort unten endlich Frieden schaffen?“

Nun stoppte Heinz Grünbaum seine Kritzelein auf dem Block vor ihm, setzte ein breites Lächeln auf und kommentierte:

„Frieden? Frieden? Was ist daran friedlich, wenn wir dort einmarschieren? Wie kann man Frieden mit Panzern schaffen? Ist das nicht die alte Leier? Mir scheint, es ist ein Rückschritt. Nach unseren Informationen wird das kein Spaziergang. Diese Terroristen sind den meisten deutschen Soldaten an Kampferfahrung und Ausrüstung klar überlegen. “

Karin kannte Grünbaum schon aus den Zeiten der Neue-Welt-Bewegung. Weil er nur manchmal realistische Vorstellungen hatte und zum Recherchieren zu faul war oder in die Themen nicht tief genug eindrang, kam es häufig zu Mißverständnissen. Die Folge davon waren Verdrehungen, Unterstellungen und Spekulationen. Ob linke oder rechte Politiker, sie hüteten sich alle vor ihm. Aus diesem Grunde wollte Karin gerade jetzt kein Risiko eingehen. Grünbaum war auf Ärger aus. Er wollte Krawall zwischen ihr und Ruth erzeugen. Nein, dabei wollte sie nicht mitwirken. Sie erhob sich und stellte klar:

„Wenn das Ihre Position ist, dann brauchen sie mich ja nicht mehr. Schreiben Sie, was Sie denken. Ich will Ihre wertvolle Zeit nicht verschwenden. Vielen Dank, daß Sie sich hierher bemüht haben.“ Dann verließ das Zimmer.

Die beiden Redakteure von „Streitlust“ waren empört und doch wieder nicht. Olaf Franz, der mit Bode einst in der Redaktion der „taz“ gearbeitet hatte, kommentierte unerbittlich: „Der Ministerin paßt das also nicht. Diskutieren will sie auch nicht. Hat sie was zu verbergen? Gibt es Ärger mit der Kanzlerin?“

Bode antwortete: „Ich möchte Ihnen keine Vorschriften machen, wie man ein Interview führt. Aber meinen Sie nicht, daß Sie ziemlich brutal mit der Tür ins Haus gefallen sind?“

Grünbaum reagierte sauer: „Sie haben uns aufgefordert, zu sagen, worum es geht, das haben wir getan. Der Ministerin paßte das nicht. Ja, es schien uns, als wäre sie noch nicht eingearbeitet, als hätte sie übereilig und unüberlegt eine Entscheidung getroffen, und nun muß sie möglicherweise den Rückzug antreten, sofern die Kanzlerin sich dagegenstellt. Also – was ist das? Ein grandioser Fehlstart. Ich habe mich ohnehin schon gefragt, ob Frau Hausner die geeignete Person für den schwierigsten Job in der Regierung ist.“

Bode erkannte, die beiden würden morgen einen Artikel veröffentlichen, der es in sich hat. Ändern konnte er das sowieso nicht. Also reichte er ihnen die Hand und verabschiedete die beiden mit den Worten:

„Wenn es noch Fragen gibt – ich stehe gern zur Verfügung.“

Sieben

Hans googelte Artikel über Karin und erfuhr, daß der Unternehmensberater Michael Benn ihr neuer Begleiter war. Benn wohnte in Zehlendorf und war Partner in einer renommierten Wirtschaftsprüfergesellschaft. Die beiden gingen gerne essen. Ihr Lieblingsrestaurant war das „Inferno“ in der Bleibtreustraße. Als er eine Stunde später einen Kunden vor dem Hotel Kempinski am Kurfürstendamm absetzte und ein anständiges Trinkgeld kassierte, nahm er sich eine Auszeit und fuhr in die Bleibtreustraße. Etwa 200 m vom „Inferno“ entfernt, fand er eine Parklücke. Von dort schlenderte er gemächlich am Restaurant vorbei. Fast jeder Tisch war besetzt. Dann sah er, daß die Tür zum Hinterhof geöffnet war. Hans konnte seine Neugier noch nie zügeln. Er ging hinein. An den Mülltonnen bemerkte er eine junge Frau, die Flaschen und Essensreste in die Tonnen warf. Da er schwarz gekleidet war und seine Turnschuhe kaum Geräusche erzeugten, erschrak die junge Dame furchtbar, als er neben ihr auftauchte und ihr einen guten Abend wünschte. Sie wich zurück und hatte plötzlich eine Taschenlampe in der Hand. Damit leuchtete sie ihm direkt ins Gesicht. Hans war sofort geblendet, mühte sich um ein sanftes Lächeln, hob die Hände über den Kopf und sagte:

„Keine Angst, ich tue Ihnen nichts. Ich bin unbewaffnet. Ich wollte nur mal erkunden, ob es sich lohnt, in diesem Restaurant zu essen.“

Das Mädchen knipste die Lampe wieder aus. Für einen Moment war Hans immer noch geblendet.

„So, so … und darum wollten Sie in den Mülltonnen mal die Reste analysieren? Sehr klug. Auf diese Idee sind nicht mal die Leute von Michelin gekommen, als sie uns vor drei Wochen den zweiten Stern verliehen.“

Das Mädchen war etwas kleiner als er. Ihre blonden Haare waren hochgesteckt. Sie strahlte Gewitztheit aus. Obwohl sie sehr sportlich wirkte, war sie keine dürre Schönheit, sondern fraulich, mit gut geformten Brüsten und sanften Rundungen. Seit langem mal wieder ein weibliches Wesen, daß ihn sofort in den Bann zog.

Hans tat erstaunt:

„Echt, zwei Sterne hat dieses Restaurant? Welche Spezialitäten gibt es denn hier?“

Ihren Gesichtszügen entnahm Hans, daß sie ihn abcheckte und sich zu fragen schien: Na, kann der sich ein Zwei-Sterne-Restaurant überhaupt leisten? Ergebnis: Niemals. Der muß ein ganzes Jahr auf ein Menü sparen. Aus dem Abschätzen wurde eine abschätzige Miene. Aber das ignorierte Hans. Es war ihre Stimme, tief und etwas rau, die ihn faszinierte. Und sie redete auch schon weiter.

„Geben Sie es zu … Sie haben keine Ahnung, was in so einem Restaurant abläuft! Aber trösten Sie sich, bis vor einem halben Jahr habe ich meinen Kartoffelbrei auch nur aus der Tüte zubereitet. Kochen Sie manchmal?“

„Was heißt manchmal? Ich koche seit Jahren regelmäßig und gerne.“

Sie war überrascht. Dann lächelte sie … und schwieg … und musterte ihn von oben bis unten. Beide musterten sich ….und wie es manchmal so läuft, fanden sie vorsichtig Gefallen aneinander. Hans hatte die rettende Idee:

„Wenn Sie mögen, lade ich Sie mal in meine Sterneküche ein.“

Wieder lächelte sie und es gab keinen Zweifel – sie fand ihn attraktiv und interessant und war neugierig. Hatte sie grüne Augen? Wie Karin? Diesen Gedanken schob er sofort beiseite. Aber er tauchte auf der anderen Seite wieder auf. Als er Karin zum ersten Mal begegnete, war der Ablauf ähnlich.

Sie hob die Hände und lächelte. Schwer zu deuten? Eine Art Abwehrhaltung?

“Also ich muß schon sagen – das geht ja sehr schnell mit Ihnen. Sie kennen mich ja überhaupt nicht, ich Sie auch nicht. Und außerdem muß ich jetzt wieder zurück an meinen Arbeitsplatz.“

Hans kapierte – sie verkomplizierte seine Situation und setzte ihn einem stärkeren Test aus. Indem sie fortging, erwartete sie, daß er den richtigen Einfall hatte, um sie doch noch zu einem gemeinsamen Essen überreden zu können. Also griff Hans in seine Brusttasche und holte eine Visitenkarte heraus. „Rufen Sie mich bitte an, wenn Sie frei haben. Vielleicht wollen Sie mich ja mal unverbindlich kennenlernen.“

Sie nahm die Karte, steckte sie in ihre Schürze.

„Okay. Am Mittwoch habe ich frei. Ich rufe an.“

Acht

Sie hatten es nicht anders erwartet. Das Magazin „Streitlust“ brachte einen Artikel, der sich auf zwei zentrale Aussagen konzentrierte: 1. Die neue Außenministerin treibt das Land leichtfertig in einen Konflikt, der sehr schnell in einen größeren Krieg ausarten kann. 2. Sie hat vermutlich nicht die Unterstützung der Kanzlerin. Deren Sprecher stimme dem nicht zu, dementiere aber auch nicht.

Kaum hatten Karin und ihr Pressesprecher den Artikel besprochen, bemerkte sie auf dem Display ihres Handys, daß die Kanzlerin anrief.

„Wie ist es heute um 14 Uhr bei mir im Büro. Ich spendiere auch einen guten Cappuccino.“

Karin spürte, daß die Kanzlerin vorerst nicht auf Konfrontation aus war. Wenn es mal Differenzen gab, war der Cappuccino das Symbol für die Friedenspfeife. Aber würde das in diesem Fall auch funktionieren? Karin war skeptisch, sagte aber dennoch zu.

„Gerne, ich komme um 14 Uhr rüber. Bis dann.“

Die Kanzlerin trug schwarz, Karin fast nur rot. Sie lächelten sich an und die Kanzlerin winkte sie zu der gemütlichen Sesselgruppe. Als Karin saß, begann sie für beide einen Cappuccino zu kochen. Drei schnelle Klicks auf das Display der Kaffeemaschine – das reichte für einen köstlichen Trunk. Während die Maschine leise summte, setzte sich die Kanzlerin zu ihr.

Karin hatte sich vorgenommen, jeder Konfrontation aus dem Weg zu gehen, geschmeidig an einer Zuspitzung vorbeisteuern, hieß ihre Devise. Dennoch wollte sie wissen, ob Ruth mit der Redaktion von „Streitlust“ gesprochen hatte.

„Nein. Kein Wort. Aber ich konnte gegenüber einigen Presseagenturen nicht dementieren, daß es Differenzen zwischen uns in der Frage gibt, ob und wie wir uns zu dem Fall Kongo positionieren.“

„Hast du dir dazu eine Meinung bilden können?“

„Nichts Hundertprozentiges. Darum möchte ich dich bitten, mir deine Argumente zu nennen und mich zu überzeugen oder auch nicht.“

Die Kanzlerin war immer sehr direkt. Karin entschied sich für eine kurze Erklärung: „Auf dem Markt für strategische Rohstoffe – und dazu gehört Tantal – herrscht eine sehr angespannte Lage. Für uns als Hightech-Nation ist dieser Rohstoff überlebenswichtig. Also müssen wir einen sicheren Zugang zu diesem wichtigen Rohstoff haben. Im Kongo hat Golden Security die Förderung in der Hand. Das ist nach unseren Informationen eine Terrorgruppe, die sich aus ehemaligen Elitesoldaten zusammensetzt. Sie kommen aus den USA, England, Rußland, aber auch Deutschland und einigen anderen Ländern. Sie manipulieren den Weltmarktpreis. Das geht, weil die Produktion des Kongo etwa ein Drittel des Weltmarktes ausmacht. Tantal ist ein knappes Gut und knappe Güter steigen im Preis. Sind es auch noch sehr wichtige Güter, steigen die Preise noch mehr. Tantal steckt in jedem Hightech-Produkt der Elektro- und Computerindustrie. Die Förderbedingungen für die Arbeiter sind mörderisch. Die Arbeiter sind Lohnsklaven, das senkt die Produktionskosten und erhöht die Gewinne der Terrorgruppe erheblich. Der kongolesische Staat ist machtlos und hat die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten. USA, GB, Frankreich und auch Rußland haben eine Hilfe offengelassen. Der Grund ist einfach: Sie beziehen Tantal von anderen Zulieferern. Dennoch kritisieren sie die Preismanipulationen. Wenn wir uns nun entschließen, dort für Ruhe zu sorgen, wird uns die Regierung des Kongo Privilegien einräumen, und das bedeutet: Unsere Unternehmen werden diesen Rohstoff sicher vorteilhafter nutzen können als gegenwärtig.“

„Aber warum müssen wir dann Soldaten dort unten haben? Es reicht doch, wenn du mit deinen Diplomaten Überzeugungsarbeit leistest.“

„Nein, das kann gar nicht erfolgreich sein, weil diese Diplomaten nicht ernst genommen werden, und zwar weder von der Regierung im Kongo noch von Golden Security. Was haben sie zu bieten? Sprüche, Ratschläge. Man wird sie mit leeren Händen nach Hause schicken. Eine entsprechend starke und gut ausgerüstete Armee jedoch kann die Terrorgruppe zwingen, die Waffen niederzulegen. Ist das erst einmal erreicht, leiten wir – wenn notwendig Verhandlungen ein – oder wir jagen die Terrorgruppe zum Teufel.“

„Und wie werden die Amerikaner, Briten, Franzosen und Russen reagieren?“

„Sie können gar nicht anders, als uns Beifall zu zollen. Denn auch sie benötigen in den nächsten Jahren mehr Tantal als gegenwärtig.“

„Klingt – zumindest theoretisch – gut, aber der entscheidende Haken ist: Wie gelingt es unserer Armee, die Golden Security dazu zu bringen, daß sie ihre Waffen niederlegen? Wie hoch ist das Risiko? Mit welchem Personal- und Waffeneinsatz müssen wir rechnen und welche Folgekosten entstehen maximal?“

„Das lasse ich ab morgen prüfen und ausrechnen.“

„Also habe ich richtig vermutet: Du hast eine militärische Aktion angekündigt, ohne zu wissen, mit welcher Strategie und mit wie viel Soldaten, Panzern und Flugzeugen wir einsteigen müssen und welche Kosten das minimal und maximal verursacht?“

„Okay, ich lasse das prüfen und dann reden wir noch mal. Dabei sollten wir den zutiefst humanen Sinn dieser Aktion und seine wirtschaftliche Bedeutung immer im Auge haben: Nach vielen Jahren sinnlosen Abschlachtens sorgen wir dort unten für Ruhe und Frieden. Das wird unser Image erheblich anheben und es wird auch unseren wirtschaftlichen Interessen in Afrika nützen.“

Die Kanzlerin blieb ungehalten, überlegte nun aber, wie sie ihr Unbehagen formulieren sollte. Schließlich meinte sie:

„Deine Ankündigung war vorschnell und nicht reiflich überlegt. Wenn du mit deinen Experten in den nächsten zwei Tagen eine überzeugende Analyse vorlegst, halte ich mich mit öffentlichen Äußerungen erst einmal raus.“

Sie erhob sich und verabschiedete Karin ohne Lächeln.

Neun

Sie klingelte pünktlich und energisch. Als Kolbe seine Wohnungstür öffnete, stand Lisa Mohn in einem kornblumenblauen, luftigen und durchsichtigen Sommerkleid vor ihm. Die Krönung aber war der extravagante Strohhut und das verschmitzte Lächeln. So viel Ausstrahlung, so viel Selbstbewußtsein und dann diese ungehemmte Präsentation ihrer weiblichen Reize – Kolbe war schon lange nicht mehr derart fasziniert. Und er spürte, wie seine Schwingungen auf sie übertragen wurden und bei beiden eine beträchtliche Menge Lustgefühle freisetzt wurden. Dennoch fielen sie sich nicht spontan in die Arme. Hans servierte Spaghetti „Bolognese“. Sie war begeistert: „Das wird jetzt mein Lieblingsgericht!“ Nachdem sie zwei riesige Teller verputzt hatte und schließlich auch den Rotwein lobte, meinte sie:

„Weißt du, warum ich meinem bisherigen Freund Dieter endgültig den Laufpaß gegeben habe?“

„Nein, woher sollte ich das? Entschuldige bitte, aber ich kenne weder dich noch ihn.“

„Klar, aber ich kann mir vorstellen, daß du es wissen willst.“

„Sicher … ich kann mir dann von dir ein viel besseres Bild machen.“

„Genau … also: Viele Männer betrachten ihre Freundinnen und Frauen nur als sexuellen Spielball. Und leider lassen sich allzu viele Frauen immer noch darauf ein. Ich hoffe, ich täusche mich nicht, wenn ich glaube, du bist anders?“

Hans erkannte: Sie war raffiniert. Sie unterstellte ihm scheinbar etwas und zwang ihn dann, das zu beweisen. Ein platte Antwort würde sie negativ auslegen. Also gab er ihr eine ehrliche Antwort: „Kein Mensch ist perfekt. Auch bei mir lief nicht jede Beziehung glatt. Brüche, Liebeskummer, Enttäuschungen, vielleicht auch mal Eifersucht … ja, das habe ich alles schon erlebt.“

Lisa schien das schon zu reichen: „Ich will dich nicht unterbrechen, aber von all den Männern, die ich bisher kennengelernt habe, bist du eine totale Ausnahme, weil ich nicht das Gefühl habe, daß du mich nur als sexuelle Spielpuppe betrachtest. Ehrlich, ich mag Sex sehr.“ Sie schaute ihn nun sehr direkt und herausfordernd an, so daß er zu seiner eigenen Überraschung sogar so etwas wie Unsicherheit verspürte.

„Aber ich mache es nicht nur aus Lust, sondern zugleich, weil ich den Partner schätze. Und genau das war bei Dieter nicht mehr der Fall. Er hat am Anfang gut geschauspielert, und als er glaubte, ich sei von ihm abhängig, da warf er plötzlich seine Maske ab und nun konnte ich erkennen: Auch er ist die übliche Fratze. Nein, mit solchen Männern kann man keine Partnerschaft aufbauen, heiraten, Kinder kriegen und was so dazugehört.“ Sie holte plötzlich tief Luft und schaute ihn jetzt an wie eine Polizistin, die sich auf ein Verhör vorbereitet. Hans war perplex von dieser Verwandlungskunst im Sekundentempo.

„Trotzdem würde ich gern von dir wissen, warum du dich getrennt hast? Was war da los?“

Hans zögerte nicht: „Es hing mit meinem Job als Leiter der psychologischen Beratung des Polizeipräsidenten und des Innensenators zusammen. Ich kann dir nicht sämtliche Einzelheiten erklären, weil ich immer noch an die Dienstgeheimnisse gebunden bin. Nur so viel: Es ging um einen Terroristen, der bei einem Ausbruchsversuch aus dem Gefängnis zwei Gefängniswärter als Geiseln genommen hatte. Der Innensenator und ich hatten über seine Absichten entgegengesetzte Ansichten. Ich glaubte, durch Verhandlungen könnten wir ihn zur Vernunft bringen und dann festnehmen. Ich wollte ihm klarmachen, daß seine Flucht aussichtslos war. Der Innensenator war der Meinung, der Terrorist würde sich nur scheinbar auf einen Kompromiß einlassen und im geeigneten Moment gewalttätig werden. Das Ergebnis stand zum Teil ja damals auch in den Zeitungen: Der Regierende Bürgermeister und andere entschieden sich für meine Position – also für Verhandlungen. Doch das war eine Fehleinschätzung, denn der Terrorist erschoß die beiden Wärter. Danach fielen der Innensenator und die Medien wütend über mich her. Es war die Hölle. Ich stand plötzlich allein da. Auch der Polizeipräsident duckte sich weg. Meine Frau versuchte, mir zu helfen. Aber in diesem Fall gab es keine Möglichkeit. Der Fall war klar: Ich hatte den Mann falsch eingeschätzt. Für mich war das ein Schock, ich hatte zwei Menschenleben auf dem Gewissen. Also mußte ich Konsequenzen ziehen und kündigen. Einen Monat lang blieb ich zu Hause und meine Depression verging nicht.“

Hans schloß kurz die Augen und spürte, welche Belastung für ihn mit dieser Situation immer noch verbunden war.

„Wer war deine Frau?“

„Karin Hausner, sie ist gerade Außenministerin geworden.“

Lisa entwich ein Pfeifton, aber sie sagte nichts. Dann erzählte er weiter:

„Zur gleichen Zeit wurde Ruth Stroth Kanzlerin und wollte Karin, damals ihre beste Freundin, als Chefin des Bundeskanzleramtes haben. Karin nahm sofort an und die Folge war, daß wir uns kaum noch sahen. Manchmal frühstückten wir noch zusammen, aber den ganzen Tag über und immer häufiger bis spät in die Nacht war sie voll eingebunden in die Regierungsarbeit. Es gab nichts mehr, was uns zusammenhielt. Also zog ich aus und bot ihr die Scheidung an. Wie es so kommt, lernte sie ein paar neue Männer kennen und dadurch wurde es für mich noch unerträglicher. Na ja, und so ging es auseinander. Sie hat sich zwar später noch mal darum bemüht, daß wir Freunde bleiben, denn mit ihren Liebhabern war sie immer nur kurzfristig zusammen und es war offensichtlich, daß sie nie ihren Wünschen als gleichwertige Partner entsprachen. Also wandte sie sich wieder mir zu. Doch ich wollte und mußte mich neu erfinden und lehnte jeden Kontakt ab. Außerdem erkannte ich ja auch: Sie hatte ihren Traumjob gefunden, ich war ein Nichts. Wir paßten nicht mehr zusammen.“

Lisa stieß einen tiefen Seufzer aus. „Mein Gott, das ist wirklich eine schwere Last. Ich kann verstehen, daß man über sowas nicht einfach hinwegkommt. Andererseits: Solche Irrtümer sind doch immer möglich. Wer weiß schon genau, was in uns Menschen vorgeht. Wenn ich an mich denke, dann fallen mir einige Beispiele für Verhaltensweisen oder Entscheidungen ein. Da habe ich mich später dann gefragt: Was habe ich mir dabei bloß gedacht, das war doch Unsinn.“

„Alles richtig. In solchen Situationen ist es immer schwer, zu einer hundertprozentig richtigen Einschätzung zu kommen. Es spielen zu viele Faktoren eine Rolle und es sind immer hochemotionale Prozesse – die sogenannte Vernunft oder Logik wird weitgehend ausgeschaltet. In diesem Fall war es jedoch so, daß ich den Mann, mit dem ich über Telefon in Kontakt trat, nicht sah. Ich konnte somit auch nicht seine Gesichtszüge verfolgen. Doch er machte einen sehr vernünftigen Eindruck. Er formulierte mehrfach, er hätte erkannt, daß seine Chancen für eine erfolgreiche Flucht ziemlich schlecht sind.“

„Womit habt ihr ihn denn gelockt?“

„Gute Frage. Das war der entscheidende Punkt. Der Polizeipräsident und ich waren der Meinung, wir bieten ihm an, daß er wegen der Entführung und wegen Körperverletzung, also wegen aller Taten, die er während der Entführung begangen hatte, nicht bestraft wird. Er müßte eben nur die beiden Geiseln wieder laufen lassen. Dem stimmte er zu. Der Innensenator sprach sich gegen dieses Angebot aus. Er wollte ihm „einen Denkzettel“ verpassen. Und als hätte der Terrorist von unserer anschließenden Diskussion etwas mitbekommen, meldete er sich erneut mit der Forderung, wir müßten ihm das schriftlich geben. Der Polizeipräsident schüttelte den Kopf, der Innensenator sowieso. Ich bat um Bedenkzeit, legte auf und begründete, daß wir ihm nachgeben müßten. Der Polizeipräsident begann zu überlegen, der Innensenator blieb hart. Wir diskutierten etwa fünf Minuten – und damit war dem Terroristen wohl klar, daß er mit einer härteren Strafe rechnen mußte. Also erschoß er den ersten Wärter, rief an und stellte seine Forderung erneut. Er würde auch den zweiten umlegen, wenn wir nicht nachgeben würden. Klar, damit hatte ich schon verloren. Bevor ich etwas sagen konnte, riß mir der Innensenator den Hörer aus der Hand und stellte klar: „Wenn du Schwein den anderen Wärter umbringst, mußt du mit dem Allerschlimmsten rechnen.“ Er legte wieder auf und sagte zu mir: „Das ist die Sprache, die er versteht!“ Eine Sekunde später wurde der zweite Wärter erschossen.

„Aber das hat der Senator doch mit seiner Blödheit geradezu herausgefordert!“

Hans zögerte einen Moment. Dann nickte er. „Aber davon haben die Medien und auch sonst kaum jemand etwas erfahren. Ich hätte ihn also verklagen müssen. Aber was wäre dabei herausgekommen? Den ersten Wärter habe ich auf jeden Fall auf dem Gewissen. Nein, auch wenn ein Richter mich von der Schuld für den Tod des zweiten Wärters freigesprochen hätte – entscheidend war doch, daß ich den Mann falsch eingeschätzt habe.“

„Und nun bist du Taxifahrer. Wie lange noch? Wirst du deinen Beruf wieder ausüben?“

„Ja, sobald ich hundertprozentig sicher bin, daß dieser Schock mich nicht mehr belastet. Ich denke, dann werde ich eine Beratungspraxis eröffnen.“

Plötzlich warf sie sich auf ihn, schnüffelte an seiner Brust, leckte über seine Lippen, küßte ihn heftig und steckte ihre Zunge schamlos in seinen Mund. Hans war überrascht, wie sein Glied förmlich explodierte. Und doch war er für eine Minute gehemmt und eher passiv, aber er mußte gar nicht aktiv werden, sie wußte sehr genau, was zu tun war, und nach einer Viertelstunde lagen sie sich heftig atmend in den Armen.

„Und jetzt Champagner!“, rief sie aus.

Hans erhob sich und ließ den Korken knallen. Sie lachte kreischend – ähnlich wie die Schreie, die tief aus ihrem Körper kamen, als sie den Höhepunkt erreichte. Ja, sie war genau die Art von Frau, die ihn faszinierte – nach außen unheimlich cool und logisch denkend, aber sobald sie sich öffnete, sprudelte sie über vor Lebenslust.

Sie saßen sich gegenüber und hörten eine Weile schweigend den anderen streichelnd Bob-Dylan- Songs. Plötzlich drehte sie seinen Kopf zu sich herüber und schaute ihm tief in die Augen und fragte lächelnd:

„Weißt du eigentlich, daß Karin mit ihrem Partner bei uns im ‚Inferno‘ Stammgast ist?“

Hans tat überrascht. Echt?

„Sie kommen etwa im Zweiwochenrhythmus. Und in der Regel werden sie von mir bedient. Daher weiß ich, was zwischen ihnen läuft. Willst du es wissen?“

Hans hatte Mühe, sich in Zaum zu halten. Das war mehr als er je erwartet hatte. „Ja … also wenn du glaubst, du kannst das einschätzen.“

„Und wie ich das kann, denn ich verfolge ihre Beziehung jetzt schon länger als ein halbes Jahr. Und da sie mich akzeptieren und noch nie schlechte Erfahrungen mit mir gemacht haben, sind sie auch offener geworden … oder anders ausgedrückt: unvorsichtiger. Also mein Resumee nach einem halben Jahr: Es ist nicht die große Liebe zwischen den beiden. Das ist eher so eine Verlegenheitsbeziehung.“

„Weißt du denn, worüber sie reden?“

„Oh je … schon halb eins!“

So plötzlich, wie sie sich ihm an den Hals geworfen hatte, sprang sie auf.

„Ich muß morgen um sieben Uhr raus und um halb neun in der Uni sein und eine Klausur schreiben. Dafür muß ich noch zwei Stunden büffeln. Sei mir nicht böse. Es war einer der erfülltesten Abende, den ich bisher mit einem Mann verbracht habe. Danke!“

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