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Rettet die Biodiversität unserer Gesellschaft!

Ich hätte Beispiele aus anderen Bereichen der Gesellschaft – aus Gesundheit, Bildung, Sozialarbeit oder öffentlicher Infrastruktur – ausführlich darlegen können, wo genau dieselben Methoden zur Verarmung unserer so reichen Gesellschaftskultur angewandt werden. Die Monokultur des nackten Profits ist das Ziel dieser Seilschaften. Das macht die Menschen mürbe und führt zur inneren Kündigung von Millionen begabter Mitarbeiter. Unter dem Strich haben wir jetzt eine Pfuschkultur des: „Es wird schon irgendwie gut gehen!“

Unter der Diktatur des Neoliberalismus erinnert so vieles an die Endzeit der DDR: eine Explosion der Bürokratie, deren papierene und digitale Ausscheidungen immer nichtssagender werden, weil nicht gesagt werden darf, was gesagt werden muss: es läuft alles schief. Unerfahrene Dummbeutel werden in Führungspositionen gehievt von irgendeiner unsichtbaren Seilschaft. Dummbeutel, die sich von erfahrenen Mitarbeitern nichts sagen lassen und täglich einen neuen Arbeitsplan nach dem anderen anschleppen, der auch wieder die Arbeit nur schwerer macht. Dummbeutel, die die Mitarbeiter überwachen bis zur absoluten Schamlosigkeit. Kein Mensch kann gesund bleiben unter dieser unwürdigen Distanzlosigkeit.

Und so wird unsere immer noch so wunderbar vielfältige Lebenswelt im alten Europa immer weiter verwüstet. Es erinnert nicht nur mich an die Zerstörung des tropischen Regenwaldes. So schnell wird aus Karstland nicht wieder ein saftiger Regenwald. Lassen wir den bereits zitierten Professor Reinhard Schmidt dieses Kapitel abschließen: „Ich sehe … die Gefahr eines Verlusts an Diversität. Das ist wie bei der Umwelt: Meist fällt erst nach ihrem Aussterben auf, wozu eine Spezies gut war. Vielleicht stellt sich erst in vierzig oder fünfzig Jahren heraus, wozu es gut war, die Gattungen der Sparkassen und Genossenschaftsbanken zu erhalten. Wir sollten diese Biodiversität im Finanzsystem nicht gefährden. Vielleicht sind ja gerade diese Säulen der Bankenwelt dauerhafter als die Shareholder-Value-getriebenen Großbanken.“22

Die Geburt des Neoliberalismus aus dem Corporate State

„Eine freie Gesellschaft benötigt eine bestimmte Moral, die sich letztlich auf die Erhaltung des Lebens beschränkt: nicht auf die Erhaltung allen Lebens, denn es könnte notwendig werden, das eine oder andere Leben zu opfern zugunsten der Rettung einer größeren Anzahl anderen Lebens. Die einzig gültigen moralischen Maßstäbe für die ‚Kalkulation des Lebens‘ können daher nur sein: das Privateigentum und der Vertrag.“

Friedrich August von Hayek, Theoretiker des

Marktradikalismus

Die Vereinigten Staaten von Amerika entfalteten sich im 19. Jahrhundert von der Ostküste wie eine Dampfwalze nach Westen und sogen im Süden große Teile des Nachbarstaates Mexiko auf. Gigantische Völkerwanderungen ergossen sich über ein noch naturbelassenes Land. Hier war sich jeder selbst der Nächste, und die verschiedenen eingewanderten Völker wetteiferten um den Erfolg im Selbsthilfe-Bauherrenmodell.

In dieser Situation konzentrierte sich im Zeitraffer unvorstellbarer Reichtum. Gleichzeitig mussten Arbeitgeber auf die Empfindlichkeiten ihrer Mitarbeiter keinerlei Rücksicht nehmen. Denn wenn eine Belegschaft aufbegehrte, wurde sie umgehend entlassen und gegen neue Mitarbeiter ausgetauscht. Es standen genug Neuankömmlinge aus Europa bereit. Bemühungen der kleinen Leute, Gewerkschaften und Genossenschaften zu bilden, gab es auch in den USA reichlich. Jedoch wurden sie brutal niedergeschlagen. Die sozialen Gegensätze traten in einer Nacktheit auf wie sonst nirgendwo anders.

Deswegen ist es auch kein Wunder, dass sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts Konzerne zu Kartellen verdichteten. Der entfesselte freie Wettbewerb hatte sich selber abgeschafft. Das Antitrustgesetz mit Namen Sherman Antitrust Act sollte Kartelle verhindern und zurückbauen. Bis auf die berühmte Zerschlagung des Ölkonzerns Standard Oil, der eine Monopolstellung aufgebaut hatte, in einige Dutzend neue Gesellschaften haben Staat und Parlament nicht viel gegen die Machtzusammenballung der Wirtschaft zustande gebracht. Stattdessen wurden mithilfe des Sherman Antitrust Act freie Gewerkschaften mit empfindlichen Geldbußen belegt.

Einigen Konzernherren wurde dennoch klar, dass Karl Marx vielleicht nicht ganz Unrecht haben könnte, wenn er sagte, die immer größere Polarisierung der Klassen würde unweigerlich zur Aufhebung des Kapitalismus führen. Es waren die Rockefellers, Morgans und Carnegies, die Intellektuelle für sich arbeiten ließen, um der Revolution vorzubeugen. Um den Druck aus dem Kessel zu nehmen, bevor es richtig knallt.

Der Ölmagnat John D. Rockefeller war de facto Mehrheitseigner der privaten Universität von Chicago. Von der Universität Chicago gingen Impulse aus, Sozialfürsorge privat zu organisieren.23 Die Chicago Civic Federation wurde gegründet und Bürgerhäuser eingerichtet mit Versammlungsräumen für die ärmere Bevölkerung von Chicago. Hier standen Bäder, Duschen und Waschplätze bereit. Sozialarbeiter und Millionärsgattinnen kümmerten sich um alleinerziehende Mütter und Prostituierte.

Die Erfolge in Chicago führten zu einer USA-weiten Ausdehnung des Konzeptes in der National Civic Federation (NCF). Im Vorstand der NCF fanden sich Repräsentanten der führenden Stahl-, Öl- und Bankkonzerne sowie profilierte Intellektuelle. In Arbeitsgruppen dachten die NCF-Vertreter nach über einen gesetzlichen Mindestlohn, über Spielregeln bei Tarifverhandlungen oder auch über ein Kartellgesetz. All diese Entwürfe waren zurecht geschneidert nach Gusto der Unternehmer, in der eindeutigen Absicht, Initiativen aus der Arbeiterbewegung zuvor zu kommen. Die NCF wurde rasch zum Gravitationspunkt für Minderheitengruppen und für die Gewerkschaft American Federation of Labor (AFL). Es gab zwar auch echte Gewerkschaften wie die Industrial Workers of the World (IWW). Doch die Unternehmer in der NCF setzten durch, dass in ihren Betrieben nur Mitglieder der AFL beschäftigt werden. Die AFL mit ihrem auf Lebenszeit gewählten Vorsitzenden Samuel Gompers versteht sich als rechte Hand der Bosse. Der enge Berater des US-Präsidenten Theodore Roosevelt, Mark Hanna, war auch im Vorstand der NCF. Er bezeichnete die Gewerkschaftsfunktionäre zutreffend als „Erste Offiziere der Industriekapitäne“.

Hier zeigt sich wieder die beeindruckende Fähigkeit US-amerikanischer Unternehmer, das Potential für Revolten rechtzeitig zu erkennen und die Protestpotentiale einzuhegen. Bald hatte die NCF Organisationen für Farmer, Arbeiter, Mittelstand und für ethnische Minderheiten unter ihrer Kontrolle.

Alles war in privater Hand, was in Europa Sache öffentlich-rechtlicher, genossenschaftlicher oder staatlicher Instanzen war. Allerdings in erheblich bescheideneren Größenordnungen und absolut auf die Bedürfnisse der Konzerne zugeschnitten.

Hat ein Privatmann zum Beispiel so viel Geld angehäuft, wie er es in tausend Leben nicht verbrauchen kann, dann gibt er einen beträchtlichen Teil seines Vermögens an eine von ihm gegründete Stiftung. Das Geld muss nicht versteuert werden und geht nicht in Erbstreitigkeiten verloren. Der großmütige Spender verleiht der Stiftung seinen Namen. Er bestimmt, welche edlen Zwecke seine Schöpfung verfolgen soll. Für die Nachwelt ist der Geber als Gutmensch für immer in Erinnerung. Mögen die Zeitgenossen John D. Rockefeller auch als „Räuberbaron“ geschmäht haben – nachfolgende Generationen wissen vielleicht eher die gute Behandlung in einer Klinik der Rockefeller-Stiftung zu preisen. Die Rockefeller-Stiftung ging 1913 in New York mit dem beachtlichen Kapital von 100 Millionen Dollar an den Start. Der Stahlfabrikant Andrew Carnegie hatte seine Stiftung 1903 mit 10 Millionen Dollar ausgestattet.

Klingt löblich. Wenigstens ein paar Brosamen fallen vom Tische der Herren. Dennoch hat auch das Stiftungswesen so sein Geschmäckle: das Stiftungsgeld ist der Solidargemeinschaft als Steuereinnahme vorenthalten. Nicht die Öffentlichkeit entscheidet demokratisch, wie das Geld eingesetzt wird. Vielmehr entscheidet der Industriemagnat nach eigenem Gutdünken wie ein Kurfürst, wo das Geld eingesetzt wird.

Die Rockefeller-Stiftung und die Carnegie Institution haben einen Teil des Geldes, das sie der Steuerbehörde ganz legal vorenthielten, beispielsweise für Forschung in Eugenik eingesetzt. Eugenik will das Erbgut der Menschheit veredeln – durch gezielte Zuchtwahl, das heißt durch Ausschluss von Menschen aus der Fortpflanzung mithilfe von Sterilisation oder Einsperrung. Die Eugenik war dank der tatkräftigen Finanzierung der oben genannten Stiftungen in den Zwanzigerjahren in den USA der Mainstream.24 Und wenn heutzutage die Melinda und Bill Gates Stiftung mehr Geld für Forschung in Genmanipulationen an Pflanzen ausgibt, als es ein Staat kann, dann ist das ein im demokratischen Sinne mehr als bedenklicher Rückfall in feudalistische Machtvollkommenheit.

Auch in der Kommunalpolitik war die Privatisierung Anfang des 20. Jahrhunderts bereits weit vorangeschritten. Das ging so weit, dass viele Kommunen zunehmend nicht mehr von demokratisch gewählten Stadtregierungen geführt wurden, sondern von Managern, die vom Unternehmerverband NAM bestimmt wurden. Commission Government nannte man das. Bisweilen residierte der Bürgermeister oder Stadtmanager, wie er genannt wurde, nicht mehr im Rathaus, sondern im Sitz der Industrie- und Handelskammer.

Und: haben wir nicht in letzter Zeit in unserer Presse auch schon Sätze gehört, wie sie bereits 1896 John H. Patterson, seines Zeichens Präsident der National Cash Register Company, von sich zu geben wusste:

„… eine Stadt ist ein großes Geschäftsunternehmen, dessen Aktienbesitzer ihre Bürger sind. … kommunale Angelegenheiten werden nach streng geschäftsmäßigen Grundlagen geführt … nicht von Parteipolitikern … sondern von Männern, die in Geschäftsführung und Sozialwissenschaften ausgebildet sind.“25

Heute werden viele Kommunen der USA in dieser Art geführt.

Der Erste Weltkrieg und die kapitalistische Planwirtschaft

Die Formierung der US-Gesellschaft durch die National Civic Federation war schon weit vorangeschritten. Doch der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg sollte diese korporative Gleichschaltung noch einmal wesentlich beschleunigen. Die damals einflussreichste Privatbank der USA, J. P. Morgan nämlich, hatte Frankreich und England von Anfang des Krieges an gigantische Summen geliehen, in der sicheren Annahme, die beiden Länder würden Deutschland schnell niederringen.26 Doch der Krieg zog sich über Jahre hin, und 1916 waren Frankreich und England de facto pleite. Die USA mussten gegen den Willen der eigenen Bevölkerung in den Krieg gegen die Achsenmächte ziehen, um die faulen Kredite und damit das Bankhaus Morgan sowie letztendlich auch die gesamte Wirtschaft der USA zu retten.

Deswegen sind die dann folgenden Kriegsanstrengungen der USA mit heißer Nadel gestrickt worden. Improvisation pur. Doch die Herausforderungen des Krieges stellten sich letztlich als wirkungsvolle Katalysatoren der formierten korporativen US-Wirtschaft heraus. Das Volk sollte strammstehen für die propagierte „Military Preparedness“, die militärische Einsatzbereitschaft. Die formierten Unternehmer profilierten sich entsprechend durch „Industrial Preparedness“, die industrielle Einsatzbereitschaft. Das von den Konzernchefs dominierte Committee on Industrial Preparedness erfasste 30 000 Unternehmen landesweit. Welche Arbeiter sind für die Produktion unverzichtbar und welche kann man unbesorgt an die Front schicken? Wie schnell und durchgreifend können Betriebe auf Kriegsproduktion umgestellt werden? Diese Fragen stellten sich eine ganze Reihe neuer privater Behörden, wie der General Munitions Board oder der War Industries Board.

Hier wurde die erste Planwirtschaft der Moderne aus der Taufe gehoben – nicht sozialistisch, sondern radikal-kapitalistisch. Denn die Planungsbehörden waren eher privater Natur, mit Unterstützung der Regierung. Eine Art von öffentlich-privater Partnerschaft, wie unsere neoliberalen Zeitgenossen sagen würden. Das stieß nicht immer auf Gegenliebe. Die Kartell-Planwirtschaftler wollten beispielsweise der Schuhindustrie vier standardisierte Schuhmodelle bis ins Detail vorschreiben. Der billigste Treter sollte „Liberty Shoe“, also „Freiheitsschuh“ heißen. Diese Zumutung konnten die Schuh-Hersteller dann doch erfolgreich abwenden.

Dennoch haben Wallstreet-Banker in den Ausschüssen kleineren Unternehmen im Handstreich das Lebenslicht ausgepustet, indem sie deren Produktion als nicht kriegswichtig einstuften und ihnen damit die Zuteilung von Rohstoffen abschnitten. Die Kapitalkonzentration wurde auf diese Weise künstlich von oben her beschleunigt.

Roosevelt: Ein bisschen mehr Europa in Amerika kann nicht schaden

Nach dem Ersten Weltkrieg regierten für zwölf Jahre nicht mehr die Demokraten, sondern die Republikaner. Die Präsidenten Harding, Coolidge und Hoover fuhren die Gestaltung der Außenpolitik auf ein Mindestmaß herab und überließen die Wirtschafts- und Sozialpolitik den Konzernen. Dieses Laissez-faire, dieses lässige Laufenlassen, führte bekanntlich zu dem verheerenden Börsencrash von 1929. Der Finanzkapitalismus hatte sich selber an die Wand gefahren.

So kam auch von den Bankern kein nennenswerter Widerstand, als der neue Präsident, der Demokrat Franklin Delano Roosevelt, ab 1933 die wild gewordene Finanzwelt mit eisernen Regulierungen an die Kandare nahm. Roosevelt sollte in den folgenden zwölf Jahren den Kapitalismus vor sich selbst retten.

Um das zu erreichen, übernahm Roosevelt viele nützliche Elemente aus Europa. Der Staat trat jetzt als aktiver Gestalter der Wirtschaft auf. Mit dem New Deal finanzierte die Bundesregierung in Washington Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen im ganzen Land. Die Leute verfügten jetzt wieder über Bargeld, mit dem sie sich etwas kauften, so dass nun auch der Mittelstand wieder Geld einnahm und sich die staatlichen Kassen mit frischen Steuergeldern füllten. Diese wundersame Geldvermehrung hatte der englische Ökonom John Maynard Keynes vorgeschlagen und damit zunächst in seiner Ökonomenzunft für blankes Entsetzen gesorgt.

Die „New Dealer“ packten längst fällige Infrastrukturprogramme an. Straßen, Staudämme oder auch Naturschutzgebiete entstanden. Roosevelt und seine Mitstreiter stärkten die Rechte von Farmern, Arbeitern und Verbrauchern. Intellektuelle und Künstler verdienten endlich wieder gutes Geld mit Regierungsaufträgen. Der Präsident wandte sich in Radioansprachen, den so genannten Kamingesprächen, direkt an das Volk und erläuterte seinen Mitbürgern einmal in der Woche seine Absichten. Für die Roosevelt-Administration waren die US-Bürger keine dumme manipulierbare Masse.

Die Oligarchen ließen diesen vollkommen ungewöhnlichen Präsidenten, der aus der allerfeinsten High Society stammte, eine Zeit lang gewähren. Ihr Standesgenosse hatte ja schließlich das Vertrauen in die Banken und in die Industrie zurück gebracht. Umso nervöser scharrten die Konzernherren mit den Füßen, als Roosevelt nach dem ersten New Deal – was so viel heißt wie: die Karten neu mischen – den zweiten, noch ehrgeizigeren New Deal auflegte. Helles Entsetzen brach schließlich aus, als Roosevelt die Wiederwahl 1936 mit einem Erdrutschsieg für sich entscheiden konnte. Ein überzeugendes Mandat, das der geplanten Stärkung der staatlichen Gestaltungsmacht natürlich ein viel größeres Gewicht verlieh. Zum ersten Mal in der Geschichte der USA war ein Präsident durch hohe Wahlbeteiligung mit einer echten Stimmenmehrheit gewählt worden! So ein starkes Gegengewicht gegen die Übermacht des Kapitals hat in jüngerer Vergangenheit nur Hugo Chavez in Venezuela erlangt.

Es dauerte nicht lange, bis die Oligarchie zurückschoss. Fernsehen gab es noch nicht. Aber fast alle privaten Rundfunkstationen und fast alle Zeitungen machten von morgens bis abends Roosevelts Umverteilungspolitik von oben nach unten und seine Stärkung des öffentlichen Sektors nach europäischem Vorbild madig. Trotzdem begriffen die Oligarchen schnell: Roosevelt und seine Koalition der kleinen Leute würde man noch eine verdammt lange Zeit ertragen müssen. Hier half nur das Bohren dicker Bretter. Stück für Stück müsste man den Einfluss des Staates zurückfahren. Aber nur meckern und bohren reichte nicht aus, das war klar. Die Mächtigen und Reichen der USA mussten dem Gesellschaftsentwurf Roosevelts und seiner Partner eine kapitalistische Utopie entgegensetzen.

Als erste große Bühne der schönen neuen Welt des Konsumkapitalismus bot sich die Weltausstellung in New York im Jahre 1939 an.27 Inmitten der Pavillons fremder Gastländer mit ihrer Exotik stand als Zentrum und konkurrenzloser Blickfang ein Ensemble, bestehend aus einem schlanken Obelisk von 212 Meter Höhe und daneben einer gigantischen Kugel mit dem beziehungsreichen Namen „Democracity“. Im Innern dieses Domes ein Diorama. Von einer Galerie aus sahen die erstaunten Besucher auf das großformatige Modell einer futuristischen Kulturlandschaft aus dem Jahre 1960: Moderne Hochhäuser, eingebettet in Gärten; 16-spurige Autobahnen; stressfreie Autofahrt dank Verkehrsleitsystemen; schöne Wohnhäuser schmiegten sich an Hänge. Der Elektrokonzern Westinghouse präsentierte auf einer eigenen Bühne seinen Roboter Electro, der sich gerne mal eine Zigarette anzünden ließ. Fernsehen; Videotelefonie; Softeis. Solche schier utopischen Annehmlichkeiten versprach die schöne neue Welt, in der urbane Modernität und Demokratie eine harmonische Einheit bilden sollten.

Der Kapitalismus hatte sich nach einer schweren Krise endlich neu erfunden. Roosevelt verbesserte die Situation der einfachen Leute. Dahinter konnte und wollte man nicht zurückgehen. Vielmehr sollte das Erreichte jetzt überboten werden. Jeder sollte bald ein Auto und ein Häuschen im Grünen haben. Allerdings war der neue Mensch nur gedacht als passiver Konsument und nicht als mitgestaltender Bürger. Adressat des konsumistischen Glücksversprechens war nicht der Verstand, sondern das Unbewusste und die Sinnlichkeit.

Ausgedacht hatten sich die schöne neue Welt der Democracity schlaue Leute aus der Werbe- und Public-Relations-Branche. Einer von ihnen war Edward Bernays28, der auch das Wort Democracity ersonnen hatte. Bernays war der Neffe von Sigmund Freud. Er hatte schnell die Potentiale des Unbewussten für erfolgreiche Verkaufsstrategien erkannt. Die Frauen hatte der Werbestratege als Konsumenten für Zigaretten gewinnen können, indem er das Qualmen von Glimmstengeln als Frauenemanzipation gesellschaftsfähig gemacht hatte. Männer sind erst richtige Männer, wenn sie über die vervielfachten Motorkräfte eines Autos herrschen können. Die Verführungskraft der Werbestrategen, ihre Ansprache an das Unbewusste sollte über Roosevelts Appell an den logischen Verstand letztendlich den Sieg davontragen.

Die Geburtsstunde des Neoliberalismus

Die Wallstreet-Oligarchen um Rockefeller, Harriman oder Morgan wollten Roosevelts starken Staat so schnell wie möglich wieder loswerden. Sie wollten dann doch lieber wieder den guten alten liberalen Nachtwächterstaat, der das Eigentum schützt, den freien Kapitalfluss garantiert und ansonsten die Äuglein zumacht. Jedoch hatten sie mittlerweile Geister aus der Flasche geholt, die sich nicht einfach mal eben so zurückwinken ließen.

Denn die politische Landkarte hatte sich seit dem Ersten Weltkrieg erheblich verändert. Italien war 1922 unter die Knute des Mussolini-Faschismus geraten, woran die Wall Street alles andere als unbeteiligt gewesen war. Das Bankhaus J. P. Morgan gewährte Mussolini 1926 einen Megakredit von 100 Millionen Dollar.29 Zudem liehen die Wallstreet-Banker ihm einen ihrer besten Wirtschaftsanwälte, John McCloy, für ein Jahr aus, damit er den Duce bei der sinnvollen Anlage des Geldes beraten sollte.30 Und dass sich ab 1933 US-Konzernmanager bei Hitler die Klinke in die Hand reichten, wurde nicht nur vom damaligen US-Botschafter in Berlin William E. Dodd bemerkt.31

Auch die Beziehung der US-Wirtschaft zur Sowjetunion war in jenen Jahren außerordentlich fruchtbringend. Die Bolschewiken wurden zunächst tatkräftig bekämpft. Denn sie waren ja von den deutschen Kriegsdiktatoren Hindenburg und Ludendorff an die Macht geschubst worden, um Ruhe an der deutschen Ostfront zu schaffen. Als die Bolschewisten aber nach einem aufreibenden Bürgerkrieg fest im Sattel saßen, fanden die US-Oligarchen zunehmend Gefallen an den „roten Zaren“. Letztere hatten sich, um es in den Worten der Geostrategen zu sagen, zu einem verlässlichen Ordnungsfaktor in der Region entwickelt.

Das ermutigte Rockefellers Standard Oil, über einen lukrativen Liefervertrag mit der sowjetischen Ölförderfirma Azneft den rasant steigenden Bedarf an fossilen Brennstoffen in den Industrieländern zu decken. Die Sowjetunion war in den Zwanziger- und Dreißigerjahren für die USA das, was heute Saudi-Arabien ist: ein zuverlässiger Rohstofflieferant mit Untertanen, die frei von jeglichen Bürgerrechten sind und von den reichlich fließenden Öleinnahmen schier gar nichts abbekommen. Henry Ford baute deswegen auch Autofabriken in der UdSSR und Averell Harriman konnte im Arbeiter- und Bauernparadies Mangan abbauen und exportieren lassen. Die Elite der USA war auch sonst von dem Planwirtschaftsmodell der Sowjetunion sehr angetan. So ergab eine Umfrage an der Elite-Uni Harvard unter Studienabsolventen im Jahre 1926, dass 32 Prozent der Befragten von der UdSSR begeistert waren.32

Das war allerdings alles schön weit weg. Dass nun ausgerechnet Franklin Delano Roosevelt mitten im Herzland des Kapitalismus mehr Demokratie wagte, indem er den Staat in Stellung brachte gegen die Allmacht der Oligarchen, das fanden Letztere nun allerdings gar nicht mehr witzig.

Und: den Konsumkapitalismus zu versprechen, wie er auf der New Yorker Weltausstellung 1939 so schön bunt und locker vorgeführt wurde, das alleine reicht auch nicht aus. Denn um die Entscheidungsträger in Politik, Medien und Kultur auf eine Antithese zum New Deal umzupolen, bedurfte es dessen, was man heute so schön „Diskurshoheit“ nennt.

Das heißt in der Praxis: Professoren an den Universitäten müssen mit dem Gewicht ihrer Autorität in dicken Büchern und in Vorträgen und Seminaren die neue Lehre verkünden. Jahrgangsring um Jahrgangsring von Studenten inhaliert die neue Weisheit und streut sie dann aus in ihren praktischen Berufen als Politiker, Journalisten, Verbandschefs, Geschäftsführer, Prediger. Andere Zöglinge promovieren oder habilitieren bei den Professoren, und so keimt der Samen der Doktorväter zu großen Sippen einer neuen wissenschaftlichen Schule heran. Und so langsam wird aus den Weisheiten der Professoren immer konkretere praktische Politik. Der Ökonom John Maynard Keynes sagte einmal, die Praktiker der Jetztzeit seien die Sklaven längst verstorbener Professoren.

Natürlich konnten sich die Wallstreet-Banker nicht einfach Professoren kaufen und ihnen sagen: „Verkünde meine Lehre!“ Da traf es sich gut, dass es etliche Intellektuelle gab, die als Linke, als Sozialisten oder gar als Moskau-Kommunisten angefangen hatten und nun, vollends enttäuscht von der neuen Heilslehre und im Eifer der Konvertiten, den Oligarchen geradewegs zuliefen wie ausgehungerte Katzen.

James Burnham war Trotzkist, bevor er zum Urvater der amerikanischen Neokonservativen mutierte. 1941 trat Burnham mit dem Bestseller The Managerial Revolution an die Öffentlichkeit.33 Der Exlinke schlug Alarm: an die Stelle kreativer Unternehmer, die ihre Umwelt umkrempelten wie dereinst Edison oder Ford, würde nunmehr überall auf der Welt die neue Kaste der Manager das Steuer übernehmen. Egal ob im Sowjetkommunismus, ob im Hitlerfaschismus oder in Roosevelts New Deal: graue unpersönliche Apparatschiks übernähmen die Macht, und die Unternehmer würden nur noch als passive Rentiers ihre Einnahmen genießen. Der Kapitalismus sei am Ende und würde einem technokratischen Einheitsbrei Platz machen müssen.

Der Managementberater Peter Drucker schrieb das Buch The End of the Economic Man.34 Drucker prophezeite das Ende ökonomisch motivierter Aktivitäten. Angesichts des weltweiten Aufkommens von staatsbürokratischen Systemen sah auch der enttäuschte Sozialist George Orwell die Götterdämmerung des Liberalismus in seinem Roman 1984. Der Soziologe Walter Lippmann begann seine Laufbahn als Linker und hatte seine Enttäuschungserlebnisse bereits hinter sich, als er schon vor dem Ersten Weltkrieg zu einem antidemokratisch elitären Chefideologen der Wallstreet wurde. Lippmann verfasste für Präsident Wilson die berühmten 14 Punkte, mit denen der amerikanische Präsident die Nachkriegsordnung in Europa festklopfen wollte. 1920 schrieb Lippmann das Manifest der elitären Massenmanipulation, sein legendäres Buch Public Opinion, auf das wir später noch zu sprechen kommen.

Lippmann ist der wichtigste Ideologe des amerikanischen Finanzkapitalismus im 20. Jahrhundert, noch einflussreicher und nachhaltiger als Henry Kissinger oder Zbigniew Brzeziński. Denn Lippmann hat nicht nur das Selbstverständnis des amerikanischen Elitismus und das Konzept für eine Neuordnung Europas nach dem Ersten Weltkrieg formuliert. Lippmann ist obendrein der Erfinder des Neoliberalismus. Nichts weniger als das. Während der Chor der Klagemänner um Burnham keine diskursfähigen Theorieversatzstücke liefern konnte, hat Lippmanns Bestseller The Good Society aus dem Jahre 1937 eine nachhaltige Wirkung bis in die Jetztzeit erlangt.35

Der Liberalismus war nach dem großen Börsenkrach von 1929 nicht sehr gut angesehen in der Öffentlichkeit. Er wurde gleich gesetzt mit der Philosophie des Laissez-faire: dass der Staat sich nämlich aus allen wirtschaftlichen Aktivitäten rauszuhalten habe. Lippmann wusste, dass er einen solchen Liberalismus den Leuten nicht mehr verkaufen konnte. Also verkündete er: das Laissez-faire war doch nur in einer ganz bestimmten Situation in der Vergangenheit angesagt. Ein verantwortungsbewusster moderner Liberalismus teilt dem Staat wichtige Aufgaben zu. Der Staat soll sich sehr wohl um Bildung und Erziehung kümmern und sogar eine Steuerprogression durchsetzen, die das Geld von oben nach unten verteilt, sagt Lippmann.

Absolut unakzeptabel für zukünftige Gesellschaftsentwürfe sei die Planwirtschaft, wie sie in der Sowjetunion oder in Hitlerdeutschland praktiziert wurde. Diese Systeme würden zwangsläufig implodieren. Denn die kapitalistische Wirtschaft neige zu immer größerer Arbeitsteilung und Komplexität. Und das Entwicklungstempo nehme so drastisch zu, dass ein Plan schon veraltet sei, wenn er in Kraft tritt. Eigentlich funktioniere eine Planwirtschaft nur in Kriegs- und Mangelzeiten. In Friedenszeiten stiegen die Bedürfnisse der Massen immer weiter, und die Planwirtschaft gerate immer mehr ins Hintertreffen, wenn es um die Befriedigung dieser Bedürfnisse gehe. Was man den Leuten in der eigenen Planwirtschaft nicht geben könne, müsse man sich durch Eroberungskriege von außen holen. Deswegen führe Planwirtschaft zwangsläufig immer in einen Krieg.

Und was nun Roosevelt und seinen New Deal angeht: Lippmann bezeichnet ihn als „gemäßigten Kollektivismus“. Roosevelt stütze sich auf „Interessenhaufen“; man würde heute sagen, ein Bündnis von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, die alle nur ihre Partikularinteressen im Sinn hätten. Der Fehler des New Deal sei, in der Rücksichtnahme auf seine Bündnispartner ähnlich gelähmt und unflexibel zu handeln wie die „richtigen“ Planwirtschaften in Übersee.

Und wie schon bei Lippmanns früheren Arbeiten wird eine Abneigung gegen die unteren Schichten erkennbar: wenn die Menschen draußen im Lande mit der zunehmenden Komplexität nicht mehr fertig werden, dann revoltieren sie. Deswegen müssten die unteren Schichten quasi für die zunehmende Komplexität umprogrammiert werden:

„Da ist die ungelöste Aufgabe der Erziehung großer Bevölkerungsmassen, der Ausrüstung der Menschen für ein Leben, in dem sie sich spezialisieren und doch die Fähigkeit behalten müssen, ihre Spezialität zu wechseln. Die Wirtschaft der Arbeitsteilung erfordert, dass diese eugenischen und erzieherischen Probleme mit Erfolg angepackt werden. … Die Wirtschaft erfordert, dass die eugenischen Qualitäten und die Ausrüstung der Menschen für den Lebenskampf nicht nur in irgendeinem minimalen Wirkungsgrad erhalten bleiben, sondern dauernd verbessert werden.“36

Dabei bleibt die Frage offen: wer soll denn nun eigentlich die „eugenischen und erzieherischen Probleme mit Erfolg“ anpacken? Selbst erklärte Eliten oder der Staat? Erstaunlich auch das Wort „eugenisch“. Als die Eugenik in den USA ihre große Zeit hatte, in den Zwanzigerjahren, hatte Lippmann sich energisch gegen eugenische Maßnahmen ausgesprochen. Ende der Dreißigerjahre, als sich die Rockefeller-Stiftung und die Carnegie Institution aus der Eugenik zurückziehen, spricht sich Lippmann plötzlich für Eugenik aus. Offenkundig will der Neoliberale Lippmann die Menschen aus den unteren Schichten biologischen Umstrukturierungen aussetzen, um sie fit für den wirtschaftlichen Wandel zu machen! Es klingt auch nicht sehr anheimelnd, wenn Lippmann andeutet, der Liberalismus habe „nichts Geringeres vor als die Umstellung der Menschheit auf eine neue Lebensweise.“37

Bahnbrechend für eine Neudefinition des Liberalismus in Zeiten des New Deal ist die Einschätzung der internationalen Arbeitsteilung und zunehmenden gegenseitigen Abhängigkeit der nationalen Wirtschaften: Eigentlich seien die Nationalstaaten schon latent dabei, in einer grenzenlosen Weltwirtschaft aufzugehen.

„Es war die historische Sendung des Liberalismus, die Bedeutung der Arbeitsteilung zu entdecken. Seine noch nicht erfüllte Aufgabe ist es, zu zeigen, wie Gesetz und Staatspolitik am besten dieser Produktionsweise anzupassen sind, die die Arbeit der Menschen spezialisiert und damit in zunehmendem Maße eine gegenseitige Abhängigkeit der Einzel- und Gemeinwesen der ganzen Welt voneinander schafft.“38

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