Читать книгу: «Die Macher hinter den Kulissen», страница 2

Шрифт:

Unsere belächelte „Konsensgesellschaft“

Die Segnungen der Dreiteilung sind uns ja auch nicht durch einen feudalen Gnadenakt zugefallen. Die Arbeiterbewegung hat Kolossales geleistet mit ihren Arbeiterbildungsvereinen, Konsumgenossenschaften, Gewerkschaften und Wohnungsbaugenossenschaften. Die Bauern haben sich zusammengetan, gemeinsam Saatgut eingekauft und gemeinsam ihre Ernteerträge vermarktet. Hinzu kommt der glückliche Umstand, dass diese Basisbewegungen tatkräftige Unterstützung aus dem aufgeklärten Bildungsbürgertum erhielten. Hermann Schulze-Delitzsch stellte den jungen Genossenschaftsgründern seine Kenntnisse in der Organisation und Verwaltung zur Verfügung. Und er betrieb mächtig Lobbyarbeit für die neue Bewegung bei den Mächtigen im Preußen des Neunzehnten Jahrhunderts. Friedrich Wilhelm Raiffeisen tat dasselbe aus christlichem Antrieb, Ferdinand Lassalle aus sozialistischer Perspektive.

Die Obrigkeit in Preußen benötigte gewiss eine gehörige Zeit, bis der Groschen gefallen war. Bis man in Berlin begriff, dass man sich den Ast absägt, auf dem man sitzt, wenn man den unteren Ständen nicht entgegenkommt. Doch schon 1869 wurde ganz offiziell ein Gesetz angenommen, das den Genossenschaften einen anerkannten Platz in der preußischen Gesellschaft garantierte. Und die Initiative zu öffentlich-rechtlichen Sparkassen ging sogar von preußischen Ministerialbeamten aus. „Kleinvieh macht auch Mist“, wird man sich wohl gedacht haben. Die „Sparbüchse des kleinen Mannes“ ermöglichte segensreiche Investitionen in der Region, aus der das Geld stammte. Das Ersparte kam den Leuten direkt wieder zugute, zum Beispiel durch saubere Straßen mit Abwasserkanälen. Das gestiegene Bewusstsein für Hygiene und das Wissen um die Gefahr durch Bakterien verlängerte die Lebenserwartung und verbesserte die Lebensqualität.

Es herrschte in den aufgeklärten Kreisen des deutschen Adels durchaus eine Sensibilität für die Probleme der unteren Schichten, wie man sie in gehobenen Kreisen der USA und Englands nie wahrgenommen hat. Als im Jahre 1888 in Westdeutschland schwere Auseinandersetzungen zwischen streikenden Bergarbeitern und Streitkräften auszubrechen drohten, griff der gerade ins Amt gekommene blutjunge Kaiser Wilhelm II., der Nationalökonomie studiert hatte, in das Geschehen ein. Der Kaiser traf sich mit Delegierten der Bergarbeiter. Er forderte Bismarck auf, Gesetze zur Begrenzung der Arbeitszeit und für den Arbeitsschutz auf den Weg zu bringen. Bismarck entgegnete dem Kaiser, was auch Otto Graf Lambsdorff nicht anders gesagt hätte: wir verlieren unseren Wettbewerbsvorteil, wenn wir den Arbeitern zu sehr entgegen kommen. Woraufhin Wilhelm eine internationale Konferenz in Paris einberufen ließ, auf der die Arbeitszeit und die Sicherheitsnormen international verbindlich geregelt werden sollten.3 Wenn auch jene Konferenz keine sichtbaren Ergebnisse zeitigen sollte, so ist Wilhelms Initiative trotzdem bemerkenswert. Von Wilhelms Großmutter, Königin Victoria von England, oder vom amerikanischen Präsidenten ging niemals eine solche Initiative aus.

Zu dieser von neoliberalen Milchbärten als „Konsenskultur“ mokant belächelten Sensibilität der deutschen Regenten gehört auch folgende Episode: Kaiser Wilhelm wagte es im Jahre 1890, die Ikone Bismarck fristlos zu feuern, weil dieser einen Bürgerkrieg von oben gegen die Arbeiterbewegung auf den Weg bringen wollte. Seit jenem Zeitpunkt hatte Kaiser Wilhelm II. in den angloamerikanischen Oligarchien eine durchweg negative Presse. Und Bismarck ist zum Heiligen der Neoliberalen erhoben worden. Die bereits erwähnte Maggie Thatcher bekam in Anlehnung an den „Eisernen Kanzler“ Bismarck von der neoliberalen Presse den Ehrentitel „Eiserne Lady“ verliehen.

In Deutschland war bis in die Achtzigerjahre des Zwanzigsten Jahrhunderts klar, dass in den Kernbereichen des gesellschaftlichen Lebens das Profitprinzip nichts zu suchen hat. Ich liste im Folgenden der Kürze halber einmal die bedeutendsten Wohltaten unserer bespöttelten „Konsenskultur“ auf, die vor dem Profitstreben geschützt waren:

•Bildung, Forschung und Lehre

•Gesundheit und Versorgung der Schwachen

•Öffentliche Personenbeförderung

•Öffentliche Infrastruktur: Straßen, Schienennetze, Stromtrassen, Telefonleitungen, Post

•kommunale Stadtwerke

•öffentlicher Wohnungsbau

•existentielle Vorsorge durch Renten- und Krankenkassen

•Justiz, Polizei und Strafvollzug.

Unschwer erkennen wir, dass bis auf den letzten Punkt alle Bereiche dem Zugriff der profitorientierten Privatwirtschaft ausgeliefert sind. Und bei genauerem Hinsehen bleibt bislang nur die Justiz in staatlichen Händen. Unsere Polizisten tragen mittlerweile keine friedfertigen grünen Uniformen mehr. Mit den neuen schwarzen Uniformen sehen die verbeamteten Ordnungshüter nicht nur ungleich martialischer aus. Zudem sind sie jetzt von den privat bezahlten Sicherheitsmännern, den so genannten „Schwarzen Sheriffs“ auf den ersten Blick nicht mehr zu unterscheiden. In England wird bereits über die Privatisierung der Polizei laut nachgedacht.

Der Strafvollzug wird auch in Deutschland privatisiert. Es gibt in Hessen und in Mecklenburg-Vorpommern zwei privat betriebene Gefängnisse. Die Privatisierung der Gefängnisse in den USA führte übrigens zu einer Vermehrung der Gefängnisinsassen um den Faktor elf: von 1970 bis heute nahm die Anzahl der Strafgefangenen von damals 200 000 auf heute 2,2 Millionen zu! Der Gefängnisindustrie ergebene Politiker ließen immer neue Straftatbestände in das Gesetzbuch hineinschreiben, um die Gefängnisse und Arbeitslager immer weiter aufzufüllen.4

Viele Zitadellen des Sozialstaats sind bereits vom Dauerbeschuss der neoliberalen Sturmtruppen stark gezeichnet. Doch geschleift sind sie noch nicht. Unsere Daseinsvorsorge zum Beispiel erfreut sich trotz aller Störmanöver noch guter Gesundheit. Gerade nach den Finanzdesastern der letzten Jahre wollen viele Leute zurück in die gesetzlichen Krankenkassen. So hielten die gesetzlichen Krankenkassen im Jahre 2013 einen Marktanteil von 86,5 Prozent, die privaten Versicherungen lediglich von 11 Prozent.5 Die gesetzlichen Krankenkassen verfügen über ein enormes Geldvolumen, was man daran ermessen kann, dass sie 2012 über 300 Milliarden Euro an Leistungen ausgezahlt haben.6 Diese Potenz möchten sich private Finanzhaie gerne aneignen. Und so sind die von ihren marktradikalen Einflüsterern beeinflussten Politiker fest entschlossen, trotz zu erwartender höherer Versorgungsansprüche an die gesetzlichen Krankenkassen den Beitragssatz zu senken und auf niedrigem Niveau festzunageln.7

Das alles frei nach Shakespeare: Ist es auch Schwachsinn, so hat es doch Methode!

Was wir an unserer öffentlichen Wirtschaft haben

Wer Verwandte oder Bekannte hat, die in die USA ausgewandert sind, fühlt sich manchmal etwas klein und mickrig, wenn diese neuen US-Bürger damit angeben, was für hohe Gehälter sie dort beziehen. Gewiss, wer jung, flexibel und kerngesund ist, kann in den USA schnell viel Geld verdienen. Aber wehe, es geht irgendetwas schief! Ein Unfall, eine ernstere Krankheit oder auch ein Knick in der Konjunktur der US-Wirtschaft können aus Menschen des gehobenen Mittelstandes schnell Obdachlose machen. Denn für die eigene Daseinsabsicherung muss man selber sorgen. Und das geht richtig ins Geld. „Wird schon irgendwie gut gehen!“, sagen sich viele Amerikaner und sparen sich die Vorsorge.

So kommt es, dass der Finanzcrash von 2008 eine massenhafte Obdachlosigkeit in den USA verursacht hat. Menschen aus der Mittelschicht mussten von gestern auf heute ihre schicken Häuser räumen und in Zeltlager vor den großen Städten überwechseln. Entlassene Autoarbeiter in Detroit mussten Kartoffeln anpflanzen, um nicht zu verhungern.

Es ist davon auszugehen, dass unsere Opel-Arbeiter in Bochum, deren Werk geschlossen wurde, nicht auf der Straße schlafen und auch keine Kartoffeln im Stadtpark anbauen müssen. Sie haben über Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und bekommen jetzt ihren Anteil wieder. Sie müssen auch nicht ihr Häuschen verkaufen und im VW-Bus nach Baden-Württemberg fahren, im Auto hausen und ihre Arbeitskraft jedem anbieten, der gerade des Weges kommt. Vielmehr werden der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen zusammen mit dem „Mutter“konzern General Motors Pläne zur Weiterbeschäftigung in der Region oder eine Vorruhestandsregelung für die dreieinhalbtausend Opelaner erarbeiten.

Während in den USA Rentner bei Wal Mart Regale befüllen müssen, um nicht zu verhungern, hat man bei uns von dem Finanzcrash von 2008 im Alltag nicht viel bemerkt. Es herrscht eben in Deutschland, in der Schweiz, in Österreich und in Skandinavien immer noch eine viel menschlichere Sozialkultur als in den Paradiesen des Neoliberalismus, namentlich in den USA oder England. Der Staat ist bei uns trotz Merkel, Gabriel und Co. immer noch eine Gestaltungsmacht.

Genossenschaften sind die wichtigsten Finanzpartner der Bundesbürger. Mehr als jemals zuvor. Nach dem offensichtlichen Versagen der Privatbanken im Börsencrash 2008 sind die Leute in Scharen zu den Sparkassen, Raiffeisen-, Volks- und Spardabanken übergelaufen. 17 Millionen Bundesbürger sind Genossenschaftler bei diesen Banken. Ungefähr zwei Drittel der Bundesbürger wickeln ihre Geldbewegungen über diese Banken ab. Hier kann man zwar nicht über Nacht Millionär werden. Aber das Geld ist absolut sicher angelegt und bleibt in der Region.

Genossenschaften und öffentlich-rechtliche Einrichtungen sind im Prinzip immun gegen die Auswüchse des Kapitalismus. Von ihrer Struktur her werden Gelder aus der Region in die Region reinvestiert. Risikospekulationen sind im Prinzip ausgeschlossen. Mein Onkel Dr. Josef Hoffmann war von 1924 bis 1933 und dann wieder von 1947 bis 1966 Hauptgeschäftsführer des öffentlich-rechtlichen Sparkassen- und Giroverbandes. Den Plänen der Nazis, das immense Kapital der Sparkassen der Kriegswirtschaft zuzuführen, hatte sich Hoffmann entgegengestellt und musste deswegen für 14 Jahre seinen Posten räumen. Und was er über die Aufgaben der Sparkassen zu sagen hat, sollte in goldenen Lettern in sämtlichen Sparkassen aushängen:

„Im Besonderen fällt der öffentlichen Wirtschaft die Aufgabe zu, in Unterstützung der staatlichen Wirtschaftspolitik den Ausgleich gegenüber den durch die private Wirtschaftsbetätigung geschaffenen Einseitigkeiten und Härten herbeizuführen. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen soll sie die Kräfte entwickeln, die ein Gegengewicht gegen die großkapitalistischen Monopolisierungstendenzen bilden.“8

Der Sparkassendirektor und seine schlüpfrigen Aktien

Dr. Hoffmann ist schon lange außer Diensten. Es ist anzunehmen, dass ihm heutzutage nicht die Nazis, sondern die neoliberalen Seilschaften das Arbeiten unmöglich machen würden. So mancher Sparkassenfunktionär träumt nämlich heutzutage davon, seine regionale Sparbüchse zum „Global Player“ aufzupusten.

So auch Frerich Eilts, ehemaliger Direktor der Flensburger Stadtparkasse, die im Jahre 2008 nach 189-jährigem Bestehen ihr Leben aushauchte.9 Herr Eilts hatte die Öffentlichkeit beeindruckt mit einem schwindelerregenden Wachstum der Flensburger Sparkasse. So war auch nicht recht zu verstehen, dass im Februar 2008 der Flensburger Oberbürgermeister an die Öffentlichkeit trat und die rasche Fusion der Flensburger Sparkasse mit der Nord-Ostsee Sparkasse, kurz: Nospa, bekanntgab. Erst mit der Zeit kam in kleinen Häppchen ans Tageslicht, dass die Flensburger Stadtsparkasse vollständig pleite war und durch eine Notoperation in der Nospa aufgehen musste, um die Einlagen der Kunden zu retten.

Direktor Eilts hatte seine Sparkasse schlicht zweckentfremdet. Anstatt solide die Einlagen seiner Kunden in den regionalen Geldkreislauf einzuspeisen und in kleinen Portionen zu streuen, hatte er Großkredite auch außerhalb der Region vergeben und damit ein so genanntes „Klumpenrisiko“ auf die Schultern der Bank geladen. Soll heißen: er hatte das Geld an einige wenige Kunden gegeben. Wenn die dann ins Straucheln kommen, strauchelt sofort auch die Kredit gebende Bank. Eilts hatte zudem weit mehr Geld verliehen, als die Bank überhaupt an Einlagen hatte. Das musste er von außen holen. Alles Dinge, die für eine Sparkasse grundsätzlich tabu sind.

Und an dieser Stelle muss man leider sagen: alle diese Verstöße gegen die guten Sitten öffentlicher Geldbewirtschaftung sind nur möglich, wenn die Öffentlichkeit schläft. Wenn die Aufsichtsorgane aus Bequemlichkeit alles abnicken. Warum hatte die Stadtregierung von Flensburg als Vertreter der Flensburger Bürgerschaft, denen die Sparkasse ja schließlich gehört, kein Veto eingelegt, als Eilts einen Megakredit an den Erotikkonzern Beate Uhse auf den Weg brachte? Als Sicherheit für die Kredite bot der Konzern nur ein Aktienpaket an, das sich in den Händen des Besitzers Ulrich Rotermund befand und das nie zuvor den Crashtest an der Börse absolviert hatte. Als Rotermund dann ein Aktienpaket auf den Markt warf, stürzte der Kurs der Erotik-Aktie ins Bodenlose von 200 Euro auf 35 Cent.

Erst nachdem die Flensburger Stadtsparkasse in der Nospa aufgegangen war, erfuhr die Öffentlichkeit Scheibchen für Scheibchen, dass die Flensburger Sparkasse einen gigantischen Schuldenberg von 181 Millionen Euro in die Ehe mit der Nospa eingebracht hatte. Nun geriet auch die Nospa in Schieflage. Das Flensburger Stadtparlament, in das nach den Kommunalwahlen eine basisorientierte Bürgerliste „Wir-in-Flensburg“ als stärkste Fraktion eingezogen war, setzte keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ein, sondern lediglich eine „Arbeitsgruppe“ unter Vorsitz des frisch gewählten WIF-Stadtpräsidenten Christian Dewanger. Die AG hatte keine Befugnisse, Akteneinsicht einzufordern oder Akteure des Skandals zum Erscheinen vor der Arbeitsgruppe zu zwingen.

Unglaublich: gewählte Vertreter der Flensburger Bürgerschaft, die die legitimen Eigentümer der Sparkasse sind, dürfen keinen Einblick nehmen in die Akten ihrer eigenen Firma!

Den Mitgliedern der Arbeitsgruppe blieb nur übrig, jenen Personen zu danken, die freiwillig zu erscheinen geruhten. Die Amateurpolitiker ließen sich, auf Deutsch gesagt, einseifen. Der Abschlussbericht bringt dafür Verständnis auf, dass Sparkassendirektor Eilts und seine Mitstreiter sich von der Börseneuphorie mitreißen ließen und findet lobende Worte für Oberbürgermeister Tscheuschner, der erst im Amt war, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war, nämlich im Jahre 2005. Kein Wort darüber, dass Tscheuschner dann noch gute vier Jahre die heranreifende Erkenntnis, dass die Flensburger Sparkasse gerade untergeht, für sich behalten und die Motive für die Fusion allein mit Synergie-Effekten begründet hat. Die Arbeitsgruppe kam zu folgendem Urteil: „Jedenfalls waren die damaligen Geschäfte mit dem herkömmlichen Geschäft einer Sparkasse, die für die Kreditversorgung des regionalen Mittelstands sorgen soll, allenfalls teilweise zu vereinbaren.“10

Ich habe diese Posse aus dem hohen Norden deswegen so ausführlich geschildert, weil man hier sehen kann, wie weit sich Sparkassenchefs von den Grundsätzen der öffentlich-rechtlichen Geldwirtschaft entfernt haben; sich quasi nur noch als Artgenossen der Ackermann, Fitschen und Co. von der Deutschen Bank wähnen. Und wie ihnen dieser Größenwahn und Verrat an der Sparkassenidee leicht gemacht wird durch eine Öffentlichkeit, die aufgrund jahrzehntelanger Gehirnwäsche längst vergessen hat, wozu die deutsche Dreiteilung der Wirtschaft eigentlich gut ist. Die Ratsmitglieder aus der Sparkassen-Arbeitsgruppe sind schlicht zu gutmütig, um ihre Bürgerrechte mit einem energischen Faustschlag auf den Tisch zu verteidigen.

Die wackeren Bürgersleut‘ können sich einfach nicht vorstellen, wie abgebrüht und skrupellos die Gegenseite zuschlagen kann. Wie strategisch hier vorgegangen wird: getrennt marschieren, vereint zuschlagen. Das werde ich jetzt in einem weit größer dimensionierten Maßstab aufzeigen.

Genossenschaftsbanken auf der Todesliste der neoliberalen Seilschaften

Wir erfuhren aus den Nachrichten bereits ausführlich, wie es großen öffentlich-rechtlichen Banken ergangen ist. Die WestLB hat das ihr anvertraute Geld unter anderem bei umweltzerstörenden Projekten in der Dritten Welt verloren und ist jetzt von der Bildfläche verschwunden. Die meisten Landesbanken sind im Kern ruiniert und stehen als Förderer der regionalen Wirtschaft nicht länger zur Verfügung.

In ruhigerem Fahrwasser schwimmen bislang noch die Genossenschaftsbanken. Doch auch hier werden die Messer bereits gewetzt. Die Messer kommen diesmal aus der Europäischen Union. Die europäischen Bankenaufsichtsbehörden bekommen nämlich neue Regulierungsinstrumente für die nationalen Kreditinstitute an die Hand. Angeblich möchte man nach den Finanzkatastrophen der letzten Jahre jetzt alles besser machen. Die Banken sollen mehr Einlagen bereithalten im Verhältnis zu den Krediten, die sie gewinnbringend vergeben. Jede noch so unbedeutende Maßnahme einer Bank soll zudem bürokratisch penibel dokumentiert werden. Regelwerke wie Basel II und Basel III geben haarklein vor, wie Banken immer Treu‘ und Redlichkeit üben sollen.11

Das alles klingt ja recht löblich und ergibt bei privaten, renditeorientierten Bankhäusern durchaus einen Sinn. Leider spielt die europäische Aufsichtsbürokratie blinde Kuh, wenn sie auch öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Banken in dieses neue Regelwerk mit einbezieht. Bei privaten Bankhäusern, die in globalem Maßstab agieren, wo Kredite oft anonym vergeben werden; da ist es recht und billig, die Kredithändler an die kurze Leine zu nehmen. Ganz anders sieht es bei öffentlich-rechtlichen Sparkassen sowie Raiffeisen- und Volksbanken aus. Die Mitarbeiter der Raiffeisenkassen agieren in einer überschaubaren Region, sie kennen ihre Kunden persönlich und werden mit ihnen zusammen älter. Wenn der selbständige Dachdeckermeister Material einkaufen muss für einen Großauftrag, dann wird sein Partner von der Raiffeisenbank nach kurzem Gespräch das nötige Geld schnell bewilligen.

Doch damit, so suggerieren manche Studien, könnte es bald vorbei sein. Wenn die neuen Verordnungen europaweit durchgepeitscht werden, könnte der Verwaltungsaufwand derart zunehmen, dass viele kleine Banken fusionieren müssen, Mitarbeiter entlassen werden und statt Filialen im Dorf nur noch Geldautomaten stehen. Wenn überhaupt. Wo ist da auf lange Sicht noch der Unterschied zu den Direktbanken, die schon jetzt günstigere Konditionen anbieten, da sie ohne Filialen zentral und online ihre Kredite vergeben? Werden Sparkassen, Raiffeisen- und Volksbanken gezwungen, zu anonymen Online-Banken zu mutieren?

Wieder einmal haben sich unsere Volksvertreter einen Tiefschlaf gegönnt. Dabei ist es doch offenkundig, dass wesentliche Filetstücke unserer Lebensqualität, unseres menschlichen Miteinanders, unserer Kultur ohne erkennbare Notwendigkeit auf dem Brüsseler Altar geopfert werden. Warum haben Politiker, die sich ja angeblich für die Belange des Mittelstandes einsetzen, diese administrative Hinrichtung unserer Lebensgrundlagen nicht verhindert? Man hätte sich energisch für eine Gesetzgebung stark machen müssen, die zwischen privaten und öffentlichen Banken Unterschiede kennt.

Das Mitgefühl des Fuchses für das flügellahme Huhn

Die DZ Bank ist in einem schicken futuristischen Hochhauskomplex in Frankfurt am Main untergebracht, eingebettet zwischen bombastischen Wolkenkratzern privater Banken. Die DZ Bank ist sozusagen Herz und Hirn der 900 Genossenschaftsbanken mit 12 000 Filialen in Deutschland. Die DZ Bank vertritt die Kreditgenossenschaften nach außen, stellt internationale Kontakte her, reguliert Geldströme zwischen den einzelnen unabhängigen Genossenschaftsbanken.

Auf der Webseite der DZ Bank findet man allerdings keine Stellungnahmen zu den bedrohlichen neuen EU-Regulierungen öffentlicher Banken.12 Dafür kann man sehr viel über Aktienkurse erfahren, viele beflissene Anglizismen sollen den Stallgeruch einer stinknormalen Universalbank vermitteln. Und dann erfährt man, dass die DZ Bank seit einem extra dafür abgesegneten Bundesgesetz aus dem Jahre 1998 gar keine Genossenschaft mehr ist, sondern eine Aktiengesellschaft! Der Kopf ist sozusagen vom genossenschaftlichen Rumpf abgetrennt. Noch gehören die Aktien der DZ Bank den vielen Genossenschaftsbanken. Ihre Dienstleistungen gewährt die DZ Bank jetzt ihren „Kunden“, den Genossenschaften.

Führungskräfte rekrutiert die DZ Bank nicht mehr allein aus der genossenschaftlichen Szene. So genannte „Headhunter“ – zu Deutsch: Kopfjäger – heuern für eine stolze Provision Banker aus privaten Bankhäusern an. Ob diese Bosse wohl eine innere Beziehung zum Genossenschaftsgedanken entwickeln können und – wollen? Thomas Duhnkrack hat seine Karriere bei der Deutschen Bank begonnen, bevor er zur DZ Bank überwechselte, wo er bis 2009 blieb. Jetzt arbeitet er wieder privat bei der Lloyd Funds AG. Zudem ist Duhnkrack bei der Atlantik-Brücke aufgetaucht.13 Chefvolkswirt der DZ Bank ist Stefan Bielmeier, der 14 Jahre bei der Deutschen Bank arbeitete, bevor er 2010 bei der DZ Bank einstieg.

Die Nummer eins bei der DZ Bank ist Wolfgang Kirsch, der im Jahre 2002 von der Deutschen Bank zur DZ Bank überwechselte. Man ließ ihn nur ungern von einem Kopfjäger abwerben, wie es in den Verlautbarungen heißt. Ganz nebenbei: Just hat ihn ein Presseclub zum „European Banker of the Year 2013“ gewählt.14 Ob Wolfgang Kirsch die genossenschaftlichen Interessen gut vertritt? Zweifel sind angebracht. Seitdem Kirsch der DZ Bank vorsteht, taucht diese Bank immer öfter als Sponsor neoliberaler und transatlantischer Veranstaltungen auf.

Die proamerikanische Lobbyorganisation Atlantik-Brücke, die wir noch vorstellen wollen, veranstaltete am 8. Februar 2011 ihre zwölfte Arthur Burns Memorial Lecture,15 eine alljährlich abgehaltene Lobrede auf die enge Bindung Deutschlands an die USA. Der Redner war kein Geringerer als Karl-Theodor zu Guttenberg, damals noch Bundesverteidigungsminister und Träger eines ihm kurz danach aberkannten Doktortitels. Guttenberg plädierte für eine bedingungslose Gefolgstreue gegenüber den USA und erteilte allen Bestrebungen nach außenpolitischer Unabhängigkeit eine klare Absage. Jene Rede wurde vor 250 Mitgliedern und Gästen der Atlantik-Brücke in den Räumen der Frankfurter Zentrale der DZ Bank gehalten. Gastgeber war DZ-Chef Wolfgang Kirsch, der stolz neben Guttenberg steht – wie man auf der Webseite der Atlantik-Brücke bestaunen kann.

Wie kommt der Direktor einer Genossenschaftsbank dazu, neoliberalen Feinden der Genossenschaftsbanken die Räume der DZ Bank zur Verfügung zu stellen? Kirsch ist nicht nur der transatlantisch-neoliberalen Atlantik-Brücke sehr verbunden. Der DZ-Banker befindet sich noch weiter im Zentrum transatlantischer Netzwerke. Die Webseite der Trilateral Commission nennt Wolfgang Kirsch als festes Mitglied ihrer deutschen Gruppe.16 Die Trilateral Commission wurde von David Rockefeller gegründet und verbindet neoliberale proamerikanische Spitzenkräfte aus den Kontinenten Amerika, Asien und Europa im Einsatz für eine grenzenlose Welt des freien Handels der großen Konzerne.

Ob Konzernlobbyist Kirsch nun der richtige Mann ist, um den Dachverband der Genossenschaftsbanken durch die Wellen gischtenden Fahrwassers zu lotsen, die schon absehbar sind? Da hat nämlich im Auftrag einiger Regionalbanken ein Professor Nolte mit seiner Beratungsfirma 4p Consulting ein Gutachten erstellt, dessen Inhalt bislang nicht veröffentlicht wurde. Dessen Befunde man aber umso eifriger in die Presse lanciert.17 Demzufolge werden im Jahre 2018 zwei Drittel aller Regionalbanken nicht mehr rentabel arbeiten. Die Regionalbanken könnten mit ihren Zinsen nicht mehr gegen die Onlinebanken konkurrieren. Die strengeren Regeln der EU-Aufsicht würden den bürokratischen Aufwand so erhöhen, dass kleine Banken die Lasten nicht mehr schultern könnten. Drittens würden die Kunden immer kürzere Fristen für ihre Geldeinlagen wünschen, während sie gleichzeitig aber weiterhin langfristige Kredite frei Haus bekommen möchten. Viertens würde sich der hohe Personalaufwand bei Regionalbanken definitiv nicht mehr rentieren.

Prognosen sind schon viele gegeben worden. Es kann aber auch ganz anders kommen. Trotzdem gingen quasi auf Knopfdruck sofort an höchster Stelle gewisse Lichter an, wie das Handelsblatt berichtete: „Die europäische und die Bundespolitik alarmieren diese Erkenntnisse: EZB-Chef Mario Draghi und IWF-Chefin Christine Lagarde haben das Thema bereits auf dem Zettel. Die Bundesbank überprüft die ‚Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells deutscher Regionalinstitute‛. Regierungskreise bestätigen dem Handelsblatt, dass der Ausschuss für Finanzstabilität ‚mögliche Rückwirkungen des Niedrigzinsumfeldes mit Blick auf mögliche Gefährdungen‘ bei Sparkassen und Volksbanken eingehend analysiert.“18

Frage: was geht dieses Thema den IWF an? Welche Bevormundung maßen sich die internationalen Finanzbürokraten hier eigentlich an? „Auf dem Zettel“ klingt bedrohlich. EZB-Chef Mario Draghi ist sicher kein Freund der Genossenschaften. Er war bei der Privatbank Goldman Sachs tätig, bevor er in den öffentlichen Sektor überwechselte. Draghi ist immer noch ständiges Mitglied in der von David Rockefeller gegründeten Banklobbyorganisation Group of Thirty, sozusagen einer Schwesterorganisation der Trilateral Commission.19 Und IWF-Chefin Lagarde arbeitete als Wirtschaftsanwältin für die US-Sozietät Baker & McKenzie, bevor sie in den öffentlichen Sektor überwechselte.20 Die Anteilnahme dieser Damen und Herren an den vermeintlichen Problemen der deutschen Regionalbanken ist der Anteilnahme des Fuchses an flügellahmen Hühnern nicht unähnlich.

So sieht es auch der Wirtschaftswissenschaftler Reinhard Schmidt von der Goethe Universität Frankfurt: „Auf europäischer Ebene wird dem deutschen Sparkassen- und Genossenschaftsbanken-System nicht viel Verständnis entgegengebracht. Ich sehe erneut harte Attacken gegen das Drei-Säulen-System kommen – und eine Vereinheitlichung in Richtung börsennotierte Großbanken fände ich bedauerlich. Auf drei Beinen steht es sich sicherer als auf zweien. … Wenn ich richtig verunsichert wäre, dann würde ich mein Geld zu einer Sparkasse tragen. Das empfindet man in Brüssel noch immer als Wettbewerbsverzerrung.“21

Wir können aus den gezeigten Beispielen klar erkennen: von Hause aus sind die nicht-kapitalistischen Wirtschaftszweige unkaputtbar. Es müssen erst Kräfte einsickern in die intakten Organismen, um sie durch Zweckentfremdung systematisch zu zerstören. Das klingt ungeheuerlich und nach Verschwörung. Dennoch werden wir in den folgenden Kapiteln die Akteure und Netzwerke näher kennenlernen, deren erklärtes Ziel die Welt eines enthemmten Privatkapitalismus ist. Ohne Grenzen für den Handel. Ohne demokratisch legitimierten Staat, dessen Bürger womöglich andere Ziele verfolgen könnten als die Erzielung größtmöglichen Profits für ganz wenige Individuen.

1 339,67 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
261 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783939816249
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают