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Kapitel 4

Frau Heller träumte in diesen Tagen wieder oft von vergangenen Zeiten. Herr Heller beschränkte sich seit geraumer Zeit bei der Arbeit im Kaffeehaus auf das Notwendigste, wirkte auch sonst nicht sehr unternehmungslustig und verbrachte seine Freizeit lieber vor dem Fernsehapparat als mit seiner Frau. Normalerweise hätte das Frau Heller gar nicht so gestört. Man war viele Jahre verheiratet, die Ehe verlief in eingefahrenen Bahnen, aber man konnte sich aufeinander verlassen, und das Kaffeehaus war sowieso der Lebensmittelpunkt, der alles andere in den Hintergrund drängte.

Doch nun waren Erinnerungen an Moritz Bäcker wach geworden. Der Seniorchef des Café Schopenhauer war einmal ihr großer Schwarm gewesen. Obwohl sie ihrem Heinrich bereits versprochen gewesen war, hatte Sidonie Heller sich nichtsdestotrotz heimlich mit Moritz getroffen und mit ihm das eine oder andere Schäferstündchen verbracht. Sie machte sich heute deswegen keine Vorwürfe. Sie hatte damals nicht anders gekonnt. Hätte sie sich diesem Mann nicht hingegeben, hätte sie nachher immer das Gefühl gehabt, sie habe etwas versäumt. So hatte sie genossen und war danach die Ehe mit ihrem Heinrich eingegangen, die bis zum heutigen Tag gehalten hatte. Herr Heller hatte nie von diesem Gspusi erfahren, nur Leopold hatte sie in einer schwachen Stunde etwas darüber gebeichtet. Gott sei Dank konnte sie sich hundertprozentig auf die Diskretion ihres Oberkellners verlassen.

Mit Leopolds Besuch im Schopenhauer hatte die Gestalt des Moritz Bäcker wieder von Frau Hellers Gedanken Besitz ergriffen. Natürlich war es eine idealisierte Gestalt, der charmante Draufgänger aus früheren Tagen. Der Verführer mit der Schmalzlocke, der einer Frau einreden konnte, dass nur sie für ihn existierte, auch wenn das nicht stimmte. Kurzum, der Mann, in den sie einmal verliebt gewesen war.

»Wann gehen Sie denn wieder einmal unseren David im Schopenhauer besuchen?«, fragte sie deshalb scheinheilig in Leopolds Richtung. Soeben senkte sich der Abend über das Café Heller, und das weckte in ihr romantische Gefühle.

»Jetzt sicher eine ganze Weile nicht«, gab ihr Leopold zur Antwort, während er eine Melange von der Theke abholte. »Ich hab meinen Anstandsbesuch gemacht und weiß, dass es ihm dort gut geht. Das ist die Hauptsache. Das Schopenhauer interessiert mich nicht, weil dort ganz andere Sitten und Gebräuche herrschen als bei uns. Das verwirrt mich nur.«

»Sie könnten sich dort einiges abschauen, was die Freundlichkeit den Gästen gegenüber betrifft«, erinnerte ihn Frau Heller. »Es schadet Ihnen also überhaupt nicht, wenn Sie wieder einmal hingehen. Das wäre ganz in meinem Sinn!«

Leopold fragte sich, was das nun wieder sollte. »Glauben Sie wirklich, dass das vonnöten ist? Es läuft doch gut bei uns. Und ich halte es eben mit der Tradition«, befand er.

»Dann gehen Sie am besten zum Herrn Moritz! Der kann Ihnen eine Menge über die Geschichte des wertschätzenden Umgangs in seinem Haus erzählen«, forderte Frau Heller ihn auf.

Jetzt ging Leopold ein Licht auf. »Ah, daher weht der Wind! Es geht Ihnen gar nicht um die Freundlichkeit, es geht Ihnen um den Seniorchef! Sie wünschen offenbar, dass ich etwas über sein wertes Befinden in Erfahrung bringe und ihn schön von Ihnen grüßen lasse«, ließ er seine Chefin wissen.

»Seien Sie still«, ordnete Frau Heller an, wobei sich ihr Gesicht verräterisch rötete. »Wärmen Sie bitte nicht diese alten Geschichten auf, in die ich Sie leider einmal eingeweiht habe.«

»Aber ein bisserl nachfragen soll ich schon«, ließ sich Leopold nicht beeindrucken.

»Wenn Sie hingehen, warum nicht«, deutete Frau Heller vorsichtig an. »Aber ich habe Sie nicht darum gebeten, ist das klar?«

»Vollkommen klar, Frau Sidonie«, versicherte Leopold. »Ich weiß, was Sie meinen. Außerdem bin ich die Verschwiegenheit selbst. Ich mach ja gern wieder einen Sprung ins Schopenhauer, wenn ich mir die dortigen Unarten nicht auf meine alten Tage noch angewöhnen muss. Jetzt, wo unser David dort arbeitet …«

Bei diesen Worten nahm Leopold eine bekannte Gestalt neben sich wahr, nämlich die seines Freundes, des Oberinspektors Juricek, dessen breitkrempiger Sombrero einen Schatten auf die Theke warf. »Servus, Richard! Was machst du denn hier?«, fragte er verwundert.

»Ich bin gekommen, um dir mitzuteilen, dass du David Panozzo derzeit leider nicht im Schopenhauer besuchen kannst«, verkündete Juricek, der beim Hereinkommen den letzten Teil des Gespräches zwischen Leopold und Frau Heller mitgehört hatte.

»Und warum nicht?«, staunte Leopold.

Juricek informierte ihn und Frau Heller daraufhin über den Mord an Katja Winkler und den dringenden Tatverdacht gegen David. Derweil schlürfte er genüsslich an einem von Leopold liebevoll zubereiteten großen Braunen.

»Eins sag ich dir, Richard: David hat es zwar manchmal faustdick hinter den Ohren, aber zu so einer Tat ist er nicht fähig«, machte Leopold seinem Ärger sofort Luft. »Das müsstest du eigentlich auch wissen. Du hättest ihn nicht gleich einsperren dürfen.«

»Was ist mir denn anderes übrig geblieben?«, rechtfertigte der Oberinspektor sich. »Ich muss mich an der Faktenlage orientieren. Ich habe einen öffentlichen Auftrag. Nehmen wir einmal an, wir beide würden David Panozzo nicht kennen. Welche Indizien gibt es? Ein Mann läuft aus einer Wohnung, in der gerade ein Mord begangen worden ist. Er hat den Mord nicht gemeldet. In der einen Sakkotasche findet man die Mordwaffe, in der anderen eine wertvolle Halskette, die der Toten gehört. Es stellt sich heraus, dass der Mann das Opfer persönlich kannte. Seine Geschichte, er sei vom Täter niedergeschlagen worden, erweist sich als äußerst zweifelhaft, da auf dem dazu benutzten Aschenbecher nur die Fingerabdrücke von Frau Winkler zu finden sind. Wenn ich da keinen Haftantrag stelle, bekomme ich die größten Schwierigkeiten. Jede Wette, dass der Richter morgen alles bestätigt.«

»Ehrlich: Glaubst du, dass er’s war?«, stellte Leopold seinem Freund die Gewissensfrage.

»Was ich glaube, ist im Moment zweitrangig«, antwortete Juricek ausweichend.

»Du musst unbedingt nach Beweisen suchen, die David entlasten.«

»Das wird nicht leicht sein.«

»Stell dir einmal vor, dass Davids Version der Geschichte stimmt«, legte Leopold Juricek nahe. »Es klingt doch plausibel. Er kommt in die Wohnung und entdeckt die Leiche. Dann wird er vom Täter, der ihm geöffnet und sich dann versteckt hat, mit etwas niedergeschlagen, was gerade zur Hand ist: mit einem Aschenbecher. Er fällt kurz in Ohnmacht. Das nützt der Mörder, der natürlich Handschuhe trägt, aus, indem er die Tatwaffe in Davids Tasche schmuggelt. Dann setzt er eine SMS an die Tochter ab. Nun kann er verschwinden und in aller Ruhe abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Wenn er Glück hat – und er hat Glück –, hat die Polizei nun einen Hauptverdächtigen, und er ist vorerst aus dem Schneider.«

Juricek steckte den Kaffeelöffel in seinen Mund und leckte ihn genüsslich ab. »Leider unterstützen die Fakten deine Theorie nur wenig«, erinnerte er Leopold.

»Strengt euch ein bisschen an, dann werden eure Ermittlungen beweisen, dass ich recht habe«, konterte sein Freund.

»Wir werden unsere Nachforschungen natürlich in allen Richtungen anstellen«, versicherte Juricek. »Aber die Sache hat einen Haken. Je mehr sich die Indizien gegen David Panozzo verdichten, desto mehr wird es im Interesse der Staatsanwaltschaft liegen, den Fall im Sinne der Anklage abzuschließen. Da bleibt dann nicht mehr viel Zeit und Energie, sich mit eventuellen anderen Möglichkeiten zu befassen.«

»Du bist der Wahrheit verpflichtet«, mahnte Leopold ihn.

Juricek schmatzte genüsslich. »Das ist auch der Grund, warum ich hier bin«, ließ er verlauten. »Ich mache dir das erste Mal im Leben ein Angebot, Leopold, und ich hoffe, du weißt es zu schätzen. Da sich David Panozzo derzeit in unserem Gewahrsam befindet, ist seine Stelle als Oberkellner im Schopenhauer vakant. Wie wär’s, wenn du in den nächsten Tagen dort arbeitest, dich umhörst und versuchst, Beweise für die Unschuld deines Freundes zu finden? Herr Bäcker hat nichts dagegen. Frau Winkler war Stammgast dort und hat nicht weit entfernt gewohnt. Vielleicht stößt du bei deinem Talent auf eine heiße Spur. Das könnte uns und David helfen.«

Leopold schaute skeptisch drein. »Das würdest du wirklich befürworten?«, fragte er.

»Du könntest mir diesmal eine große Hilfe sein, wenn du dich an die Spielregeln hältst«, versicherte Juricek. »Du darfst eine gewisse Eigeninitiative entwickeln, hast uns aber stets über deine Aktionen auf dem Laufenden zu halten. Na, wie gefällt dir das?«

»Einen Augenblick«, mischte sich jetzt Frau Heller in die Unterhaltung ein. »Heißt das, Sie wollen mir einfach so mir nichts, dir nichts einen meiner beiden Oberkellner wegnehmen?«

»Natürlich nicht«, beruhigte Juricek sie sofort. »Es wäre auch zu auffällig, wenn sich Leopold nicht mehr im Heller blicken ließe. Er müsste sich die Arbeit aufteilen und seine Stunden hier selbstverständlich weiterhin ableisten. Aber das stört dich doch nicht, wenn’s was zu ermitteln gibt, oder?«

»Ich bin nicht mehr der Jüngste, Richard«, gab Leopold zu bedenken. »Und im Schopenhauer ist alles anders: das Angebot, die Preise und vor allem die Sitten und Gebräuche. Ich komme sicher ganz durcheinander. Wie soll ich mich da auf einen Kriminalfall konzentrieren?«

»Ich dachte, du würdest mehr Begeisterung zeigen«, meinte Juricek achselzuckend. »Mein Offert gilt jedenfalls. Du kannst es annehmen oder auch nicht. Ich würde dich auch immer auf dem neuesten Stand unserer Ermittlungen halten«, fügte er gönnerhaft hinzu.

In Leopolds Brust kämpften zwei Seelen. Natürlich war er Feuer und Flamme, in einem Mordfall einmal auf Juriceks ausdrückliches Ersuchen ermitteln zu dürfen. Das war seiner Erinnerung nach noch nie der Fall gewesen. Es handelte sich um eine Auszeichnung, eine Anerkennung seiner bisherigen Leistungen, spät, aber doch. So etwas lehnte man nicht ab. Andererseits sah er erhebliche Belastungen auf sich zukommen. Am Vormittag da servieren, am Nachmittag und Abend dort, ohne angemessene Freizeit, das hörte sich heftig an. Das Schopenhauer hatte zudem sogar am Sonntag geöffnet und servierte da seinen berühmten Brunch. Leopolds Körper und Arbeitsmoral würden auf eine harte Probe gestellt werden. Und wie viel Zeit würde er für seine Lebensgefährtin Erika Haller haben? Die wenigen Stunden im gemeinsamen neuen trauten Heim würde er zur Ruhe und Regeneration brauchen. Das würde Erika überhaupt nicht gefallen, und Leopold würde sich einiges überlegen müssen, um sie bei Laune zu halten.

Er schaute ins gestrenge Gesicht von Frau Heller. Von dieser Seite war keine Unterstützung zu erwarten. Seine Chefin würde ihn höchstens als Vermittler benutzen, um wieder zarte Bande mit Moritz Bäcker anzuknüpfen. »Na schön, ich mach’s«, verkündete er schließlich und wunderte sich, dass er so lange darüber nachgedacht hatte.

»Gut«, nickte Juricek zufrieden. »Das bedeutet Folgendes: Du versiehst morgen Vormittag deinen Dienst hier wie gewohnt. Anschließend besuchst du mich am Kommissariat, damit ich dich auf den neuesten Stand bringe. Am Nachmittag beginnst du dann deine Arbeit im Schopenhauer. Hoffen wir, dass es klappt.«

*

Mittwoch, 17. Oktober, Vormittag

Am nächsten Tag begann Leopold seinen Dienst im Heller mit gemischten Gefühlen. Die Vorfreude auf seine Aufgabe überwog, doch in sie stahlen sich nach wie vor Bedenken. Erika hatte abwartend reagiert. »Ich verlange nicht viel von dir, nur, dass du dich um mich auch ein bisschen kümmerst«, hatte sie ihm zu verstehen gegeben und es vorerst dabei bewenden lassen. Wie es wirklich in ihr aussah, wusste Leopold nicht.

Frau Heller erinnerte ihn einerseits daran, »dem Moritz« schöne Grüße von ihr auszurichten. Gleichzeitig ersuchte sie ihn, seine Dienstzeiten im Café Heller genau einzuhalten, da der zweite Oberkellner, Waldemar »Waldi« Waldbauer telefonisch bereits angedeutet hatte, dass er nicht gewillt sei, wegen eines Mordes seinen Dienstplan zu ändern. »Und welche Hilfe mir mein Heinrich in letzter Zeit ist, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen«, fügte sie hinzu.

Da schneite plötzlich Sabine Patzak bei der Tür herein. »Servus, Papa«, rief sie, lief auf Leopold zu und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Aufpassen, Kinderl, ich hab ein Tablett in der Hand!«, entfuhr es ihm in einer ersten Schrecksekunde. »Was machst du überhaupt da?«

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich mit dem Gedanken trage, zu studieren. Und jetzt ist es eben so weit«, setzte sie ihm auseinander.

Leopold sah in Sabine gerade in dieser Situation nur eine zusätzliche Belastung. »Hättest du dir nicht einen anderen Zeitpunkt dafür aussuchen können?«, reagierte er deshalb unwirsch.

»Nein, denn jetzt ist die Inskriptionszeit, und die Vorlesungen und Übungen beginnen«, belehrte Sabine ihn sofort.

Leopold machte eine entschuldigende Geste. »Also bei Erika und mir kannst du nicht wohnen, unmöglich. Wir machen derzeit beide gewaltige Überstunden und brauchen unsere Ruhe, wenn wir zu Hause sind. Versteh das bitte!«

»Ich krieg bald meine eigene Wohnung, Papa«, informierte Sabine ihn stolz. »In der Zwischenzeit kann ich bei einer Freundin schlafen.« Dabei setzte sie das unschuldigste Lächeln auf, das sie zusammenbrachte, um ihren Vater nur ja nicht auf den Gedanken zu bringen, sie könnte ihn angeschwindelt haben.

Dem war das im Augenblick jedoch völlig egal. »Gott sei Dank«, atmete er erleichtert auf. »Damit nimmst du mir eine große Sorge ab. Schließlich bin ich für dich verantwortlich. Momentan geht’s wirklich drunter und drüber.«

»Warum bist du eigentlich so gestresst? Ist der andere Ober vielleicht krank?«, erkundigte Sabine sich neugierig.

»Der ist pumperlg’sund«, unterbrach Frau Heller das traute Gespräch zwischen Vater und Tochter. »Aber mein Herr Oberkellner fühlt sich bemüßigt, wieder einmal auf Verbrecherjagd zu gehen. Und damit es so richtig anstrengend wird, arbeitet er dafür in zwei Kaffeehäusern gleichzeitig.«

»Mit polizeilicher Genehmigung und Unterstützung«, betonte Leopold. Dann weihte er Sabine in den aktuellen Fall und seinen Deal mit Oberinspektor Juricek ein.

»Toll, Papa! Darf ich da auch mitmachen?«, war sie sofort Feuer und Flamme.

»Ausgeschlossen! Das ist diesmal viel zu kompliziert. Außerdem brauchst du jetzt deine Zeit fürs Studium«, wehrte Leopold ab.

»Am Anfang muss ich noch nicht so viel lernen«, widersprach sie ihm.

Leopold schaute auf Sabine, dann auf Frau Heller und überlegte kurz. »Töchterl, du kannst mir doch helfen«, stellte er fest. »Du könntest nämlich – das Einverständnis von Frau Sidonie vorausgesetzt – einen Teil meines Dienstes hier im Heller übernehmen. Damit entlastest du mich so weit, dass ich mich meinen kriminalistischen Nachforschungen zur Genüge widmen kann und meine Erika auch noch was von mir hat.«

Mit diesem Überfall auf ihre Zeitreserven hatte Sabine Patzak nicht gerechnet. So weit wollte sie sich ihrem Vater auch wieder nicht verpflichten. Es war ein Unterschied, ob man, wie Sabine es bei ihrem ersten Wienbesuch aus Spaß gemacht hatte, einmal ein paar Stunden im Kaffeehaus mitarbeitete, oder ob man für eine gewisse Dauer ständig zur Verfügung stehen musste. Sie wollte sich als Studentin fühlen, frei und ungebunden. Außerdem gab es noch Thomas Korber. »Ich weiß nicht«, äußerte sie deshalb vorsichtig.

»Also, ich halte das für eine ausgezeichnete Idee«, zeigte sich Frau Heller hingegen sofort begeistert. »Sie sind ja so geschickt, Sabine. Und eine Frohnatur! Die Herzen der Gäste werden Ihnen zufliegen.«

»Komm, gib dir einen Stoß! Ich mische mich dafür diesmal überhaupt nicht in dein Privatleben ein«, bat Leopold.

»Na schön! Darf ich dir bei der Verbrechensaufklärung auch wieder helfen?«, legte Sabine noch ein Schäuferl nach.

»Wenn’s unbedingt sein muss«, seufzte Leopold.

Damit war der Handel abgeschlossen. Frau Heller lächelte nur im Hintergrund und bemerkte schelmisch: »Die Tochter können Sie wirklich nicht ableugnen, Leopold. Sie ist ganz nach Ihnen geraten.«

Kapitel 5

Mittwoch, 17. Oktober, Mittag

Als Leopold nach Beendigung seines Dienstes im Heller noch einen Sprung im Kommissariat vorbeimachte, ehe er ins Schopenhauer weiterfuhr, wurde er bereits von Oberinspektor Juricek erwartet. »Wir haben David Panozzo noch einmal verhört«, ließ er ihn wissen. »Er wird jetzt dem Haftrichter vorgeführt. Wenn du möchtest, darfst du vorher ein paar Worte mit ihm wechseln.«

Leopold nahm das Angebot dankend an. David staunte nicht schlecht, als er ihn sah. »Was machst du denn hier?«, fragte er.

Leopold erklärte ihm die Lage. »Du hast diese Frau doch nicht wirklich umgebracht?«, wollte er dann wissen.

»Aber nein! Es ist nur alles irrsinnig blöd gelaufen«, versicherte David.

»Versuche, dich an deinen letzten unglücklichen Besuch bei ihr zu erinnern. Ist dir etwas aufgefallen, was anders war als sonst?«, fragte Leopold weiter.

»Die Rotweinflasche und das Glas sind nicht auf dem Wohnzimmertisch gestanden. Frau Winkler hat für gewöhnlich daraus getrunken, wenn ich zu ihr gekommen bin. Aber ich habe dem keine Bedeutung zugemessen, da sie am Telefon ja gesagt hatte, sie sei krank.«

»Hast du irgendwo einen Aschenbecher bemerkt?«

David schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre mir aufgefallen.«

»Auch nicht neben der Leiche?«

David verneinte nochmals. Das kam Leopold bereits komisch vor. Wo war der Aschenbecher hergekommen? Er stellte nun Fragen zur Person der Toten: »Was war diese Katja Winkler für eine Frau? Wie hat sie sich im Schopenhauer verhalten?«

»Sie war seltsam«, gab David sofort an. »Das ist nicht nur meine Meinung, das habe ich auch von meinen Kolleginnen und Kollegen im Schopenhauer gehört. Manchmal blieb sie länger da, manchmal nur kurze Zeit. Dabei ist sie allein gesessen und hat Rotwein getrunken. Sie hat immer einen unruhigen und nervösen Eindruck gemacht, so als ob sie auf jemanden gewartet hat, der dann doch nicht gekommen ist.«

»Kein geselliger Typ also«, konstatierte Leopold. Er wusste, dass Schauspieler in ihrem Privatleben gern zurückgezogen agierten, auch wenn sie auf der Bühne einen ganz anderen Eindruck vermittelten.

»Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber auf mich hat es den Eindruck gemacht, als ob das mit ihrer Verletzung und dem damit verbundenen Ende ihrer Karriere zusammenhing«, erzählte David weiter. »Sie wirkte so überhaupt nicht fröhlich, verbittert eher. Ein paar ältere Männer haben sie zeitweise angegafft, da hat man richtig gesehen, dass ihr das wehgetan hat. Manchmal hat sie ein krampfhaftes Lächeln aufgezogen. Aber in ihrem Inneren hat es anders ausgesehen, das hat man gemerkt.«

»Hast du dich gut mit ihr verstanden?«

David Panozzo zuckte mit den Achseln. »Notgedrungen«, gab er zu. »Ich war immer nett und freundlich zu ihr, wie das bei uns im Schopenhauer so Sitte ist. Wenn sie es wollte, habe ich ihre Einkäufe in die Wohnung gebracht.«

Dank der ganzen Freundlichkeit hat er sich nur einen Mordverdacht eingehandelt, dachte Leopold bei sich. Im Stillen war er froh, dass er sich mit seiner strengeren Art solche Unannehmlichkeiten ersparte. »Du warst ihr sympathisch, denke ich«, stellte er fest.

»Sie war immer noch eine sehr eitle Frau«, mutmaßte David. »Sie hat ihre Wirkung auf junge Männer getestet, und wenn sie etwas getrunken hat, ist sie anlassig geworden. Ich habe mich bei ihr jedoch auf nichts eingelassen. Sie hat mir den ganzen Schmuck in ihrem Safe gezeigt und wollte mir etwas davon schenken, ich habe aber abgelehnt. Dass sie mir dann doch eine Kette zugesteckt hat, habe ich nicht bemerkt.«

»Wir werden den Herrn Oberinspektor schon noch von deiner Unschuld überzeugen«, versicherte Leopold ihm mit einem Seitenblick auf Juricek. »Hilfreich wäre es, wenn du Gäste im Schopenhauer wüsstest, die du direkt mit Katja Winkler in Verbindung bringen kannst. Auf wen soll ich mich konzentrieren? Hast du einen Anhaltspunkt?«

David musste nachdenken. »Es gab ein Telefongespräch, das ich vor ein paar Tagen belauscht habe«, erinnerte er sich. »Da war von einer Katja die Rede, die den Anrufer angeblich so geärgert hat, dass er ihr, wie er sagte, ein für alle Mal das Maul stopfen wollte. Es soll mit einer ›Grillparzer-Geschichte‹ zu tun haben. Ich hatte noch vor, sie zu warnen, aber sie war bereits tot, als ich sie wiedergesehen habe. Leider kann ich den Mann nur sehr ungenau beschreiben.« Er unterrichtete Leopold über die wenigen Anhaltspunkte, die ihm im Gedächtnis geblieben waren.

»Nicht viel, aber immerhin etwas«, räumte der ein.

»Noch etwas: Herr Burckhardt, den du ja kennengelernt hast, hat einmal erfolglos versucht, sich ihr zu nähern. Seither habe ich die beiden nie mehr gleichzeitig im Schopenhauer gesehen«, erwähnte David.

»Interessant«, attestierte Leopold. »Der feine Herr ist unlängst auch im Heller aufgetaucht, mit einer jungen, feschen Begleitung, die man ihm gar nicht zutraut. Sehr verdächtig! Dem werde ich auf den Zahn fühlen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. Damit habe ich für den Anfang ein paar Dinge, die ich nachverfolgen kann. Du wirst sehen, deine Lage erscheint bald in einem anderen Licht.«

»Hoffentlich«, redete David auf ihn ein. »Ich habe nämlich das Gefühl, dass ich ganz schön in der Tinte sitze.«

»Vertrau auf mich«, verabschiedete Leopold sich augenzwinkernd. »Kopf hoch!«

»Vertreib bloß nicht zu viele unserer Stammgäste«, rief David ihm nach. Dabei war ein leises Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen.

Na also, seinen Humor hat er noch nicht ganz verloren, stellte Leopold im Hinausgehen zufrieden für sich fest.

*

»Es gibt da ein paar Dinge, die du wissen solltest«, nahm Juricek ihn draußen zur Seite. »Das ist ein aktuelles Foto von Katja Winkler, und das ist ihre Tochter Jennifer. Sie wohnt übrigens in Floridsdorf und geht dort ins Gymnasium. Sie steht vor der Matura.«

Leopold war sofort Feuer und Flamme. »Die kenne ich ja«, rief er aus. »Die war unlängst bei uns im Heller die Begleitung von diesem Burckhardt, einem sonderbaren Typ.«

»Sebastian Burckhardt, ja. Jennifer nimmt Nachhilfe in Mathematik bei ihm. Und Geigenunterricht gibt er ihr auch«, klärte Juricek seinen Freund auf.

»Was? Der Mann ist doch unmusikalisch und summt nur nervös herum«, konnte Leopold das nicht glauben.

»Er hat sich einmal um ihre Mutter bemüht, allerdings erfolglos. Nach einem kurzen Techtelmechtel hat Katja Gottfried Winkler, ebenfalls Schauspieler, geheiratet.« Juricek gab Leopold auch von ihm ein Foto. »Ganz aus den Augen haben Burckhardt und sie sich nie verloren. Dann hat sich Jennifer mit ihm angefreundet, und er ist so etwas wie ihr Lehrer und Betreuer geworden. Das hat wiederum Katja nicht gefallen. Sie hat den Kontakt mit Burckhardt abgebrochen, weil sie ihm die Schuld gab, dass ihre Tochter und sie sich immer mehr entfremdeten.«

»Na, siehst du! Da braut sich bereits etwas zusammen, was der Hintergrund für den Mord sein könnte.«

»Keine vorschnellen Schlüsse bitte«, mahnte Juricek. »Zurück zu den Fakten: Jennifer hat die Ehe ihrer Eltern als nicht sehr glücklich bezeichnet. Die Scheidung erfolgte nach 15 Jahren.«

»Lass mich raten: Liebschaften und Untreue?«

»Beide waren, wie gesagt, Schauspieler und freiheitsliebend. Deshalb haben sie es offenbar nicht so genau mit der ehelichen Treue genommen. Die Beziehung hat dennoch gehalten, bis Jennifer der Kindheit entwachsen war.«

»Namen?«

»Jennifer konnte oder wollte uns keine nennen. Vielleicht erfährst du bei Gelegenheit mehr darüber. Im Kaffeehaus wird da oft hinter vorgehaltener Hand geredet. Wir prüfen derzeit die Kontakte auf Katja Winklers Handy. Sie sind allerdings relativ überschaubar. In den letzten Jahren dürfte sie sehr zurückgezogen gelebt haben.«

Leopold nickte und prägte sich dabei alles ein, was ihm Juricek erzählte. Viel war es bis jetzt nicht. Wusste die Polizei noch nicht mehr? Oder verheimlichte ihm der Oberinspektor schon wieder etwas? »Glaubst du, die ›Grillparzer-Geschichte‹ ist eine Spur?«, fragte er noch.

»David ist der Einzige, der sie bisher erwähnt hat«, entgegnete Juricek trocken. »Keiner im Schopenhauer bestätigt seine Geschichte. Und laut Jennifer Winkler hat ihre Mutter nie eine Rolle in einem Grillparzer-Stück gespielt.«

*

Mittwoch, 17. Oktober, Nachmittag und Abend

Herbert Bäcker empfing Leopold, den Freund seines Vaters, herzlich im Schopenhauer, ging dann aber ohne Umschweife auf die aktuelle Situation ein. »Mir ist alles recht, was hilft, ein schlimmes Verbrechen aufzuklären und die Unschuld eines unserer Angestellten zu beweisen«, schärfte er Leopold ein. »Aber wir sind in erster Linie ein Kaffeehaus, und der reibungslose Ablauf aller Vorgänge sowie das Wohlbefinden unserer Gäste stehen im Vordergrund.«

»Ich bin auf alles vorbereitet«, versicherte Leopold. »Ich habe sogar meine Livree samt Mascherl mitgenommen.«

»Das … ist nicht vorgesehen«, bedeutete Bäcker ihm zögernd. »Die Hose und das weiße Hemd kannst du ja tragen, aber Sakko und Mascherl sind bei uns nicht üblich.«

Leopold fiel erst jetzt auf, dass die Oberkellner im Schopenhauer allesamt nur mit weißem Hemd und offenem Kragen herumliefen. Er hatte bei seinem letzten Besuch gar nicht darauf geachtet. »Wieso denn das?«, fragte er überrascht. »Das untergräbt ja die ganze Autorität!«

»Die Leute sollen doch keine Angst vor unserem Personal haben«, erklärte Bäcker. »Wir wollen unseren Gästen gegenüber Frische und Offenheit demonstrieren.«

»Und wo bleibt der Respekt?«, war Leopold zunehmend aus dem Häuschen.

»Respekt zieht heute nicht mehr«, ließ Bäcker verlauten. »Das sind Methoden von gestern. Mein Vater hat auch noch Wert darauf gelegt. Aber die Zeiten haben sich geändert – zumindest, seit ich in unserem Kaffeehaus das Sagen habe. Ich werde dir am Anfang unseren Herrn Oliver zur Seite stellen. An ihn kannst du dich wenden, wenn du Fragen hast. Oliver!«

Auf seinen Ruf kam ein junger, schlanker, schwarzgelockter Ober in betont lässigem Gang herbei. »Das ist Leopold, die Vertretung von David«, unterwies Bäcker ihn. »Du hilfst ihm, wenn es ein Problem gibt, klar?«

»Geht in Ordnung«, antwortete Oliver dienstbeflissen.

Dir werd ich gleich helfen, Bürscherl, dachte Leopold. Dann nahm er aber doch die zum Gruß ausgestreckte Hand. Unsympathisch schien ihm sein neuer Kollege nicht. Es fragte sich nur, wer hier wem etwas beibringen würde. Man würde sehen. Leopold konnte die kleine »Einschulung« immerhin nützen, um in Erfahrung zu bringen, was Oliver über Katja Winkler wusste. Jetzt wollte er erst einmal mit seiner Arbeit beginnen, damit er sich rasch eingewöhnte. Es wurde ja von ihm ein überhöhtes Maß an Freundlichkeit erwartet. Nun denn.

Sobald er die ungewohnte Dienstkleidung angelegt hatte, steuerte er zielstrebig auf einen weißhaarigen Mann mit dicker Hornbrille zu, der eine Zeitung las, dabei immer wieder den Kopf schüttelte und ein zischendes »Tsss« ausstieß. Das schien ihm der ideale Grantler zu sein, um sich in übertriebener Kundenbetreuung zu üben.

»Guten Tag, der Herr! Was darf ich Ihnen denn Gutes bringen?«, redete er ihn deshalb mit einem Lächeln an, das seine gesamte Gesichtsmuskulatur strapazierte.

Der Grantler verzog keine Miene und schaute auch nicht von seiner Zeitung auf. »Eine Melange«, knurrte er.

»Welche Temperatur?«, erkundigte sich Leopold.

Nun riskierte der Grantler doch einen Blick. »Was meinen Sie?«, fragte er irritiert.

»Welche Temperatur wäre dem werten Herrn denn angenehm? Brennheiß, heiß, Körpertemperatur oder lauwarm? Wir bereiten den Kaffee selbstverständlich exakt nach Ihren Wünschen zu.« Bei diesen Worten zog Leopold ein Thermometer hervor, das er extra zu diesem Behufe mitgenommen hatte. »Wenn’s gewünscht wird, auf den Grad genau«, informierte er den Gast.

»Ich möchte eine Melange«, wiederholte der Grantler. »Ganz normal und ohne viel Larifari!«

»Wie soll der Milchschaum sein? Fest oder halbfest? Oder locker mit kleinen Luftblasen? Wie gewohnt in klassischem Weiß?«, ließ Leopold nicht locker.

»Sagen Sie, was soll das?«, empörte sich der Grantler nun. »Ich möchte eine Melange, und wenn Sie schon so daherreden: Wissen Sie, wie?«

»Ich höre«, sagte Leopold in freudiger Erwartung.

»Rasch«, erhob der Grantler genervt seine Stimme und vergrub sein Gesicht wieder hinter der Zeitung.

Leopold verschwand nach diesem ersten missglückten Versuch überbordender Freundlichkeit seufzend hinter der Kaffeemaschine. »Na also«, sagte er dabei leise zu sich. »Wie ich es immer sage: Mit Liebenswürdigkeit kommt man in dem Geschäft nicht weit!«

*

»Was war denn das für ein Auftritt?«, erkundigte sich Oliver bei Leopold.

»Ich habe von David gehört, dass es bei euch extra freundlich zugehen muss«, antwortete Leopold achselzuckend.

»Der Chef verlangt zwar, dass wir den Gästen unsere volle Aufmerksamkeit schenken«, erläuterte Oliver. »Aber das ist in unserem Beruf ohnehin selbstverständlich. David hat das vielleicht zu ernst genommen, weil er vollkommen neu in dem Job war. Deshalb auch seine Besuche bei Frau Winkler. Das war etwas übertrieben und unklug. Du weißt ja Bescheid, oder?«

Leopold nickte. »Von euch hat das vorher keiner gemacht? Ihr die Taschen hinaufgetragen?«, wollte er wissen.

»Nein«, stellte Oliver sofort klar. »Du siehst, was bei so etwas herauskommen kann. Fairerweise muss man sagen, dass er der Erste war, den sie darum gebeten hat. Er ist sofort darauf eingestiegen. Da haben wir uns nicht mehr eingemischt.«

»Was war das denn für eine, die Winkler?«, wagte sich Leopold ein Stück weiter vor. »War sie auf junge Männer aus?«

»Schwer zu sagen«, gab sich Oliver bedeckt. »Den Männern hat sie gut gefallen, weil sie auf sich geschaut hat. Dem David vermutlich auch. Aber andererseits wirkte sie hier im Kaffeehaus sehr zurückgezogen. Immer allein an einem Tisch. Dabei war sie einmal eine sehr beliebte Schauspielerin. Na ja, sie hatte einen schlechten Fuß. Vielleicht hat das mitgespielt.«

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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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263 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839265826
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