Читать книгу: «Fernwehträume», страница 4

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»Wir können bald zusammenziehen, wenn wir wollen … Ich meine, mein Vater hat gesagt, es ist kein Problem, eine Wohnung für uns zu finden.«

»Und du meinst, ich will?«

»Sicher willst du. Wenn das Kind kommt, sind wir dann schon fast eine kleine Familie. Und wenn wir uns dann noch immer vertragen, können wir sogar heiraten.«

»Und wenn wir uns nicht vertragen?« Schon war die abwehrende Haltung in Isabella wieder da. »Erich, lass mir doch bitte ein bisschen Zeit und erdrücke mich nicht mit deiner Zuneigung. Hab Vertrauen zu mir und laufe mir nicht ständig nach. Ich finde es ja lieb, dass du dich um alles kümmerst und dein Vater uns die Möglichkeit bietet, vorläufig zusammenzuleben. Aber wenn wir das jetzt auch wahrscheinlich tun, weiß ich nicht, ob ich ein Leben lang bei dir bleiben möchte. Ich kann es mir zumindest im Augenblick nicht vorstellen. Ich bin erst 18 und du bist 19, das darfst du nicht vergessen. Wir bekommen ein Kind miteinander und ich mag dich, aber ich bin nicht so verliebt in dich wie du in mich.« Sie blieb jetzt kurz stehen und blickte ihm bei diesen Worten das erste Mal fest in die Augen.

»Was soll ich tun? Was kann ich machen, damit du mich liebst?«, fragte Erich.

»Nichts. Lass doch einfach die Dinge auf dich zukommen. Aber das ist ja etwas, was du überhaupt nicht aushältst. Ich fürchte, du wirst nie aufhören, mich mit deinen Gefühlen zu verfolgen.«

Eine kurze Zeit gingen sie schweigend nebeneinander her. Erich wusste nicht, was er sagen sollte. Er war sich sicher, dass er Isabella kurze Zeit für sich haben und dann verlieren würde, irgendwann an irgendwen. Würde er es rechtzeitig bemerken? Würde er es verkraften?

Er konnte natürlich aus dieser ungewissen und vorbelasteten Beziehung auch gleich aussteigen und sich einigen Kummer ersparen. Es bedurfte dazu nur eines Satzes, aber er wagte nicht, ihn zu sagen. Sein Vater würde es als Misserfolg auslegen wie schon so viele andere Dinge zuvor in Erichs Leben. Er selbst würde sich eine Niederlage einzugestehen haben, die er so kurz nach seinem scheinbaren Triumph nicht wahrhaben wollte. Und Isabella und das Kind würde er auf immer verlieren, das wäre das Schlimmste, auch wenn es vielleicht besser so wäre.

Erich verscheuchte diese letzten Gedanken aus seinem Kopf. »Was sagen denn deine Eltern?«, fragte er dann.

»Sie wissen noch nichts, aber sie werden es schon früh genug erfahren. Ich bezweifle allerdings, dass es sie interessiert. Es wird unser Verhältnis nicht retten. Ich bin froh, wenn ich von zu Hause wegkomme.«

Das war es, was er hören wollte. Jetzt war sie wieder seine kleine, arme Isabella, die sich mit ihren Eltern überworfen hatte, die ein neues Zuhause suchte und seinen Schutz brauchte. Jetzt konnte er wieder seinen Traum träumen und die kalte Wirklichkeit vergessen.

Sie fröstelte, und er legte seine Hand um ihre Schulter. Er küsste sie sachte auf die Wange. Sie ließ es geschehen.

»Was auch immer geschieht, ich liebe dich«, sagte er.

Sie gingen auf die sich rasch senkende Sonne zu, die ein paar letzte, goldene Strahlen in den Park schickte. Das Bild glich dem eines Happyends im Film. Aber Isabella seufzte kaum hörbar, und ihr war gar nicht wohl in ihrer Haut.

5

Das Heurigenlokal ›Fuhrmann‹ lag nicht direkt am, aber auf unmittelbarem Weg zum Stadtrand. Es befand sich unweit der Hauptstraße in einem kleinen Gässchen, das seinen eigenen Mikrokosmos bewahrt hatte und standhaft der Zeit trotzte. Die niedrigen, teils ebenerdigen Häuser standen dicht aneinandergereiht und strahlten eine steinerne Ruhe aus. Hier geschah nicht viel, außer dass von Zeit zu Zeit die Buschen, diese nach außen sichtbaren Zeichen, welcher Heurige gerade geöffnet hatte, ein Häuschen weiterzogen. Dem Fremden mochte nur die scheinbare Eintönigkeit der Szenerie auffallen. Der Einheimische aber schritt zielbewusst auf jene Türen und Tore zu, die ihn hinter diese Fassade führten und Eintritt zu einem kleinen Glück auf Erden gewährten: zu einem guten Glas Wein und einer anständigen Jause allemal, mit ein wenig Glück auch zu einer guten Unterhaltung, einer Hetz, wie der Wiener zu sagen pflegt. Schon ab der Mittagszeit füllten sich im Sommer die kleinen Gärten und jetzt, in der kalten Jahreszeit, die Schankstuben.

Zu den regelmäßigen Gästen zählte auch Thomas Korber. Er kam öfter hierher, wenngleich nicht ganz so oft wie früher. Er saß dann, so wie jetzt nach der Schule, an einem der groben, langen Heurigentische und trank erst einen Spritzer2 und nachher ein Viertel Wein. Vor sich hatte er meist einen Stoß Schulhefte liegen, die er gewissenhaft durchsah und auf Fehler prüfte, im Mund die unvermeidliche Zigarette. Zwischendurch nahm er eine kleine Jause zu sich, ein Fleischlaibchen mit Kartoffelsalat oder ein Stück Surbraten3.

Er saß, so wie beinahe immer in letzter Zeit, alleine. Er unterhielt sich lieber im Kaffeehaus. Dort fand er mehr Ansprechpartner, mit denen er diskutieren oder auf etwas höherem Niveau Schmäh führen konnte. Hier waren die Leute nett, einfach, aber auch festgefahren in ihren Meinungen und zeitweise von einer seltenen Vulgarität. Das machte ihm zu schaffen. Korber sah sich immer wieder in eine Außenseiterrolle gedrängt, wenn das Gespräch auf die Politik oder gar auf seinen Beruf als Lehrer kam. Er konnte sich mit der sogenannten Volksmeinung, den hier und in vielen anderen kleinen Gaststätten vorherrschenden Ansichten, nur schwer anfreunden. Die Diskussionen wurden allzu oft zu lauten Wortgefechten und endeten im Streit. Und über die teilweise obszönen und brutalen Witze konnte er nicht lachen. Diese Art von ›Hetz‹ konnte ihm gestohlen bleiben. So hielt er lieber Distanz.

Was würden sich diese Leute wohl denken, wenn sie wüssten, dass sich Korber um Gabi bemühte, ein Mädchen, das um einiges jünger als er war und noch dazu als Schülerin in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm stand? Er wollte sich das gar nicht näher ausmalen. Dabei prahlten dieselben Leute oft mit ihrer Potenz und damit, wie sie ihre Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen betrogen. ›Durch die Gegend bumsen‹, nannten sie es. Das fanden sie in Ordnung, das wurde hier allgemein anerkannt. Aber andere Dinge, die er persönlich für viel entschuldbarer hielt …

»Prost, Herr Lehrer«, grüßte Eduard Stricker, genannt der Stricker Edi, vom Nebentisch herüber. »Na, immer fleißig bei der Arbeit?«

Korber grüßte mit einem Lächeln zurück. Der Edi spielte gerade mit zwei anderen Stammgästen einen Schnapser4. Korber wusste, dass jederzeit ein vierter Mann mitspielen konnte. Aber er hoffte, nicht darauf angesprochen zu werden. »Man muss schauen, dass man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden kann«, erwiderte er.

»Recht haben Sie«, sagte Stricker. »Wir tun das ja auch. Das Kartenspielen ist dabei das Nützliche, und das Angenehme ist, dass wir ein paar Stunden von unseren Frauen weg sind.« Dabei lachte er donnernd und steckte seine beiden Spielgefährten damit an.

Das waren genau die Witze, denen Korber argwöhnisch gegenüberstand. ›Jetzt lachen sie und tun auf gemeinschaftlich‹, dachte er. ›Aber kaum bin ich nicht dabei, werden sie bereden, dass ich die Schulhefte neben einem Glas Wein korrigiere.‹

Korber wusste, dass er sich zusammennehmen musste. Er wollte heute Abend noch mit Gabi fortgehen. Da war jedes weitere Glas ein Glas zuviel. Er musste sich eingestehen, dass er jetzt mehr trank als früher, regelmäßiger zumindest. Warum? Er hatte noch keine zufriedenstellende Antwort darauf gefunden. War es vielleicht doch die Tatsache, dass er in Gabi verknallt war und mit dieser Situation nicht fertig wurde?

Insgeheim verwünschte er das Interesse, das er bei Gabi hervorgerufen hatte und das ihn zu immer weiteren Schritten verleitet und ermutigt hatte. Jetzt war er an einem Punkt angelangt, an dem er nicht mehr ganz weiter wusste. Wenn es dumm lief, war sein Beruf, war seine ganze Existenz in Gefahr. Aber zurück konnte er auch nicht mehr, das fühlte er in seinem Inneren. Er wollte sich seine Gefühle nicht verbieten.

Er hatte darum beschlossen, den Faktor Zeit spielen zu lassen. Nicht ganz ein halbes Jahr dauerte es noch, dann war die Reifeprüfung vorbei und Gabi eine frischgebackene Maturantin. Korber zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie die Prüfung bestehen würde. Sie war eine gute Schülerin. Und wenn alles vorüber war, durfte man sich auch zusammen zeigen und als Pärchen auftreten. In der Zwischenzeit mussten beide vorsichtiger und geduldiger sein.

»Psst, Herr Lehrer«, meldete sich der Stricker Edi erneut vom Nebentisch und unterbrach seine Gedanken. »Hätten Sie vielleicht am nächsten Dienstagnachmittag Zeit? Der Franz fällt uns aus, und zu zweit ist es ja fad. Würde uns eine große Freude bereiten, wenn Sie mitspielen täten.«

»Ich kann noch nichts Verbindliches sagen«, äußerte sich Korber vorsichtig.

»Na, dann überlegen Sie es sich, wir sehen uns ohnedies noch«, sagte Stricker. »Aber schön wäre es schon, wenn wir wieder einmal miteinander spielen würden.«

›Ja, ja, jetzt auf einmal‹, dachte Korber, ›jetzt tut ihr auf schön, weil ihr einen Ersatzmann braucht.‹ Er wollte sich nicht gleich auf eine Zusage festlegen lassen.

Im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und Leopold trat herein. Ein besserer Augenblick dafür hätte sich kaum ergeben können. Korbers Laune stieg sprunghaft an. »Hallo, Leopold, was machst denn du da?«, rief er jovial nach vorne.

»Wenn du wüsstest, Thomas«, kam es zurück. »Nichts als Scherereien hat man!« Leopold wirkte immer noch ein wenig aufgelöst von den mittäglichen Ereignissen.

»Aber das gibt es doch nicht«, sagte Thomas. »Haben dich die Leute etwa am Vormittag so gequält?«

Leopold machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Dann setzte er sich zu Thomas, schaute sich kurz im Lokal um und sagte mit leiser Stimme:

»Die Niedermayer Susi ist erschlagen worden, du weißt doch, die ›süße Susi‹, unsere etwas überwutzelte (nicht mehr ganz taufrische) Schlagobers- und Tortentante. Und ausgerechnet zu mir muss der Herr Berger kommen – das ist ihr Kostgeher, der die Leiche gefunden hat. Ausgerechnet mich hat er in seiner Hilflosigkeit heimgesucht.«

Korber bestellte noch einen weißen Spritzer, und Leopold gab ihm gestenreich zu verstehen, dass er sich auf diesen Schrecken ein Viertel Riesling verdient habe. Kaum stand die heiß ersehnte Labung auf dem Tisch, sah sich Leopold noch einmal nach allen Seiten um und begann dann, seinem Freund die Ereignisse halblaut, aber in aller Ausführlichkeit zu erzählen. Als er geendet hatte, machten beide einen großen Schluck aus ihren Gläsern.

»Und weiter?«, fragte Korber dann erwartungsvoll. Er wusste, dass Leopold dieser Mord wohl nicht kalt lassen würde. Seine geheime Passion war ihm bekannt.

»Ich weiß noch nicht«, sagte Leopold. »Der Richard meint, dass ich ihm helfen kann. Und außerdem bin ich mir nicht sicher, ob nicht ein guter Bekannter von uns beiden bald bis zum Hals in diese Sache verstrickt ist. Also, sie interessiert mich in jedem Fall, wie du dir denken kannst. Aber pass auf, fast hätte ich es vergessen, da habe ich ja noch etwas!«

Etwas umständlich kramte Leopold jetzt den kleinen Zettel mit der Telefonnummer, den er in Frau Susis Mantel gefunden hatte, hervor.

»Ich hab bei der Frau Susi eine Telefonnummer entdeckt, die sie sich frisch aufgeschrieben hat. Bevor ich hierher gekommen bin, hab ich dort angerufen. Es ist die Nummer von dem kleinen Reisebüro am Spitz5. Ich habe nachgefragt, ob eine Frau Niedermayer in letzter Zeit dort gewesen ist. Zuerst hat die Angestellte dort mit dem Namen nicht viel anzufangen gewusst, aber als ich ihr unsere Susi ein wenig näher beschrieben habe, hat sie sich erinnern können.« Leopold machte eine kurze Pause, aber wenn er so etwas wie gespannte Erwartung in den Augen seines Freundes erwartet hatte, wurde er enttäuscht.

»Jetzt kommt’s«, fuhr er dennoch unentwegt fort. »Ist das nicht die, die sich nach einem Arrangement für zwei Personen nach den Vereinigten Staaten erkundigt hat? ›Sind Sie etwa der Begleiter?‹, fragt mich die Dame auf einmal. ›Ja, ja‹, habe ich gemurmelt, und dann hat sie nur noch gesagt, dass noch nichts gebucht ist, die Susi aber jede Menge Unterlagen mit nach Hause genommen hat. Na, ist das nichts?«

»Wie man’s nimmt«, sagte Korber, noch immer ein wenig gelangweilt. Leopold hatte eine Schwäche: Er konnte nicht spannend erzählen. Man kam, im Gegensatz zu seinen oft undurchsichtigen Handlungen, schnell darauf, wo er hinwollte.

»Ja, aber das heißt doch, dass die Susi in nächster Zeit nach Amerika wollte!«

»Das ist, wenn man deinen Erzählungen glaubt, nichts Neues. Anscheinend wollte sie immer nach Amerika.«

»Aber noch nie so konkret, mit Reisebürounterlagen und so. Außerdem hätte da noch jemand mitfahren sollen. Das macht die Sache erst recht spannend.«

»Vielleicht sogar ein Mann«, spöttelte Thomas und sagte dann ganz in Leopolds Tonfall:

»Die hat in ihrem Leben noch nie was mit einem Mann gehabt.«

»Ja, vielleicht sogar ein Mann, warum nicht? Die müssen ja nichts miteinander gehabt haben, außer vielleicht einer gemeinsamen Liebe zu Amerika. Und du weißt ja, dass die Niedermayer immer in diesen Klub gegangen ist …«

»›Fernweh‹, oder so?«

»Genau, ›Fernweh‹! Keinen Abend hat sie ausgelassen. Dabei könnte sich ja leicht eine Bekanntschaft ergeben haben.«

»Aber dort verkehren doch hauptsächlich Pensionisten, die nicht sehr begütert sind. Und selber hatte sie sicher auch nicht gerade viel. Mit wem hätte sie da fahren sollen?«

»Das weiß ich jetzt auch noch nicht«, sagte Leopold. Einige Augenblicke lang schwiegen beide Männer und nahmen einen Schluck vom Wein. Dann fragte Leopold:

»Thomas, sag einmal, bist du ein echter Freund?«

»Wie meinst du das?«

»Ich meine, würdest du etwas für mich tun?«

»Kommt ganz darauf an, was es ist«, erwiderte Thomas vorsichtig. Er kannte Leopold gut und wusste, dass es jetzt gefährlich wurde.

»Ich möchte gerne, dass du heute Abend zum Beinsteiner, in den ›Gemütlichen Floridsdorfer‹ gehst. Es findet eine Sitzung des Klubs ›Fernweh‹ statt. Der Richard – Oberinspektor Juricek – hat gemeint, wir sollen einmal nachsehen, ob sich eventuelle Verbindungen zum Tod der Niedermayer herstellen lassen. Er möchte nicht gleich dort hineinplatzen und das Feld zuerst einmal von jemand Unverdächtigem sondieren lassen. Ich kann aber auch nicht gehen, ich bin beim Beinsteiner bekannt wie ein bunter Hund. Ich habe meine Feindschaft offen deklariert, wieso sollte ich also plötzlich wieder Interesse an dem Lokal finden? Das wäre verdächtig. Aber du kannst dich doch unauffällig in die Runde setzen, oder?«

»Leopold, du spinnst wohl! Ich kann unmöglich dort hingehen.«

»Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«

»Glaubst du denn, es ist nicht verdächtig, wenn ich dort auftauche? Da sitzen doch nur Leute zwischen Tod und Verwesung herum. Und du meinst, es ist völlig normal, wenn sich auf einmal ein halbwegs junger Lehrer unter die Pensionisten mischt?«

»Die Ausrede gilt nicht. Dir wird schon was einfallen. Und du bist immer noch unverdächtiger als ich.«

»Ich mache jedenfalls nicht mit. Du hast angefangen, dich da einzumischen, nicht ich. Wenn du etwas mit deinem Freund ausgemacht hast, bitte – musst du die Suppe eben selbst auslöffeln.« Korber war richtig hitzig geworden und trank jetzt schneller.

»Schad«, sagte Leopold. »Wirklich schade! Aber unter Freunden könntest du wenigstens ehrlich sein. Du hast dir doch für heute nichts ausgemacht mit dem Mädel?«

Korber gab es in seinem Inneren kurz einen Riss. »Mit welchem Mädel?«, fragte er möglichst unschuldig.

Leopold grinste nur. Es sah richtig boshaft aus. »Thomas, ich hab euch vor Kurzem in der Früh gesehen, dich und die Gabi. Du hast sie regelrecht abgeknutscht, und einen besonders idealen Platz dafür habt ihr euch auch nicht ausgesucht. Da gehe nicht nur ich vorbei, sondern auch Lehrer, Eltern und vor allem Schüler. Sag, was denkst du dir eigentlich dabei?«

»Das lass bitte einmal meine Sorge sein!«

»Nein, lasse ich nicht, Thomas, denn ich mache mir Sorgen. Sorgen um dich, um deine Existenz, verstehst du? Wach doch endlich auf! Für das Mädchen bist du vielleicht ein Abenteuer, aber mehr nicht. Die lässt dich von heute auf morgen stehen, wenn es ihr passt. Denk gefälligst an dich und nicht nur an ihre schönen Brüste. Sag, hast du überhaupt schon einmal mit ihr …?«

»Das geht dich nichts an!«, fauchte Thomas.

»Also nein! Das hätte ich mir doch gleich denken können, dass wir wieder einmal unsterblich in ein Traumbild verliebt sind, Herr Professor«, sagte Leopold mit Genugtuung. »Wir warten, dass etwas kommt, aber es kommt nicht, kommt nicht.«

»Jetzt ist es aber genug!« Korber war gerade dabei, richtig wild zu werden. Da kam der Stricker Edi herüber und stellte ein volles Weinglas vor ihn hin. Erst jetzt merkte Korber, dass es am Nebentisch auffallend ruhig geworden war. Die Karten waren auf einen Stoß zusammengelegt, und die Schnapser sprachen nur mehr still dem Wein und nicht mehr ihrem Spiel zu. Es würde schon an ein Wunder grenzen, wenn sie noch nichts von der Unterhaltung zwischen Leopold und ihm mitbekommen hatten. Thomas Korber war erregt, leicht beschwipst und ziemlich durcheinander. Sein Gesicht lief rot an.

»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, meine Herren«, sagte der Stricker Edi. »Das Viertel da ist für Sie, Herr Lehrer, aber nur, wenn Sie mir versprechen, dass Sie nächsten Dienstag auch wirklich kommen.« Dabei lächelte er, wie es Korber schien, ein wenig unverschämt, und zwinkerte ihm zu.

»Danke, aber …«, stotterte Korber.

»Keine Widerrede, Sie kommen«, sagte Stricker. »Ich kann mich also darauf verlassen?«

Korber nickte stumm, während sich Stricker und seine Schnapserpartner verabschiedeten und das Lokal verließen. Er ahnte, dass dieser Tag nicht mehr viel Positives für ihn bringen würde.

»Bestechlich bist du also«, schmunzelte Leopold. »Du, ich mache dir einen Vorschlag. Ich zahle dir auch noch ein Viertel und du gehst zum Beinsteiner.«

»Lass bitte jetzt deine dummen Scherze, Leopold, ich muss überlegen«, fauchte Korber. Dann dachte er kurz nach. Um einen schönen Abend mit Gabi zu verbringen, hatte er, so stand zu befürchten, schon etwas zu viel Wein konsumiert. Vielleicht machte es wirklich mehr Sinn, sich ein, zwei Stunden aufs Ohr zu legen, sich dann beim Beinsteiner mit einem guten Essen und ein paar Gläsern über die missliche Situation hinwegzutrösten und nebenbei dem Leopold zuliebe noch ein bisschen Detektiv zu spielen. Gabi würde zwar über seine Absage nicht erfreut sein, aber er konnte sich immer noch mit der Schule ausreden.

»Also schön«, überwand er sich, »gehe ich halt in den Seniorenklub. Aber nur das eine Mal, und nur deinetwegen. Und nur unter der Bedingung, dass du in Zukunft mein Privatleben ein wenig ernster nimmst.«

»Danke«, lächelte Leopold. »Und wie sehr mir dein Privatleben am Herzen liegt, darauf wirst du hoffentlich auch noch einmal kommen.«

»Keine Sentimentalitäten jetzt. Wann soll ich dort sein?«

»Soviel ich weiß, fangen die Klubabende immer um halb acht an.« Beide machten einen großen Schluck aus ihren Gläsern, dann fuhr Leopold fort:

»Schau, dass du rechtzeitig da bist. Wir beide sehen uns dann morgen Abend im Kaffeehaus, da erzählst du mir etwas und ich dir etwas.«

»Und was erzählst du mir?«, fragte Thomas erstaunt.

»Ich fahre morgen zur Gertrud Niedermayer nach Groß-Enzersdorf. Ich muss ihr ja den Brief vorbeibringen, den ich bei ihrer Schwester gefunden habe. Und außerdem hab ich die Frau Gertrud schon so lange nicht gesehen, ich freue mich richtig auf ein Plauscherl. Meinst du nicht, dass ich dann auch etwas Interessantes zu berichten habe?«

Nachdem sie ausgetrunken und vereinbart hatten, einander spätabends eventuell doch noch anzurufen, verließen beide Männer ohne Hast das Heurigenlokal. Leopold war in Gedanken schon ganz bei seinem Gespräch mit Frau Gertrud. Am liebsten wäre er noch am selben Tag zu ihr gefahren, aber es war nur allzu wahrscheinlich, dass er in diesem Fall mit der Polizei zusammentraf, womöglich gar mit diesem rothaarigen, unsympathischen Inspektor. Nein, nein, es war besser, er verbrachte einen gemütlichen Abend zu Hause und versuchte nur, sich für morgen telefonisch bei der Dame anzukündigen.

Noch eine andere Sache beschäftigte ihn stark: Wer war der Mann in der dunklen Lederjacke? Leopold fürchtete beinahe, dass er ihn kannte.

*

»Mach keinen Spaß. Das ist doch nicht dein Ernst?«

»Oh ja, Gabi! Leider! Ich werde da wirklich noch dringend gebraucht.«

»Ach ja?«

»Es handelt sich um unsere Arbeitsgemeinschaft. Du weißt, wir haben da so ein Fächer übergreifendes Projekt in Deutsch und Geschichte und …«

»… da musst du ganz einfach plötzlich hin.«

»Ja. Meine Kollegen haben angerufen …«

»Wer denn?«

»Sie sind zum Teil aus anderen Schulen, Gabi. Du kennst sie nicht.«

»Ist der Haberlander etwa auch dabei?« Gregor Haberlander war der Geschichtslehrer der Klasse.

»Aber nein! Wieso sollte denn der dabei sein?«

»Gott sei Dank! War ja nur so eine Idee. Wäre ja noch schöner, wenn du mich wegen dem Haberlander versetzen würdest.« Gabi lachte kurz auf. »Und du musst da wirklich hin? Das glaube ich nicht!«

»Also, wenn ich es dir sage! Eigentlich hätte ich mir den Dienstagabend von vorneherein dafür freihalten sollen, aber ich habe es eben verschwitzt. Tut mir wirklich leid, Gabi!«

»Du hast Schiss, was? Du möchtest nicht mit mir gesehen werden. Aber wenn das so ist, kannst du’s gleich vergessen.«

»Das ist es sicher nicht.«

»Sondern?«

»Das Projekt, sage ich doch!« Korber musste sich zusammennehmen. Es fiel ihm schwer zu lügen, und der Alkohol zeigte auch schon eine gewisse Wirkung.

»Na schön! Verdammt, ich habe mich schon so auf den Abend gefreut.«

»Ich mich auch, aber es geht leider nicht. Ein andermal, Gabi.«

»Und wann? Immer kann ich auch nicht weg. Es gibt zum Beispiel Tage, da muss man auch für die Schule lernen, weißt du? Und heute sind meine Eltern nicht zu Hause, da hätte ich keine dummen Fragen beantworten müssen. Es hätte eben gerade alles gepasst.«

›So ein Mist‹, dachte Korber. Er musste den Gedanken an einen romantischen Abend zu zweit ein für allemal ad acta legen. Er sagte:

»Wir sehen uns morgen, Gabi. Im Kaffeehaus um viertel acht? Oder schon früher, bei der Haltestelle?«

»Also für so einen Kurzauftritt vor Schulbeginn bin ich interessant, aber sonst nicht?«

»Rede keinen Unsinn, Gabi!«

»Mal sehen! Aber enttäuscht hast du mich schon schwer, das muss ich dir sagen!«

Sie legte auf, ohne das vertrauliche ›Tschüss‹, ohne irgendein Abschiedswort. Mit einem Mal war die Leitung tot, so tot, wie diese Beziehung Korber plötzlich schien. Er war drauf und dran, Leopold recht zu geben. War Gabi nicht wirklich nur ein Traum, eine momentane Wunschvorstellung, eine Caprice?

Er lachte voll Selbstmitleid in sich hinein. Er befand, dass er ein Recht auf diesen Traum hatte, bis ihn die Wirklichkeit einholte. Er hoffte nur, dass sein Erwachen nicht zu unbarmherzig sein würde.

Korber sah auf die Uhr. Es blieb nur noch Zeit für ein kurzes Nickerchen. In zwei Stunden musste er beim ›Beinsteiner‹ sein. Er hatte es Leopold versprochen. Nichts zu machen.

2 Wein mit Soda.

3 In eine Sur zum Haltbarmachen eingelegtes Fleisch; Pökelfleisch.

4 Eine Partie Sechsundsechzig. Sie wird in Wien oft zu dritt oder viert gespielt, wobei der (die) jeweils aussetzende(n) Spieler immer so viele Punkte schreiben wie der Gewinner des Duells der eigentlichen Spieler. Man kann also nicht unbeträchtlich vom Spielglück seiner Nebenleute profitieren.

5 Im Zentrum Floridsdorfs befindet sich das Floridsdorfer Amtshaus, in dem und um das herum Geschäftslokale untergebracht sind. Vom Amtshaus weg teilt sich die Floridsdorfer Hauptstraße in die zwei größten Ausfallstraßen des Bezirkes, die Brünner Straße und die Prager Straße. Die dadurch entstehende Gabelung wurde ›Am Spitz‹ genannt.

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Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
283 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9783839230787
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