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Rauschen im Blätterwald

Nach dem Ende der Songtage ist in vielen deutschen Blättern zwischen den Zeilen ein Aufatmen zu lesen. So meldet die Kölnische Rundschau am 3. Oktober 1968 erleichtert: »Die Revolution fand nicht statt. Songs und Sex, Rock und Schock, zum Teil glänzende Musik, zum Teil unverständliches Gestammel. Doch das Protestgeschrei der Interpreten kam beim Publikum nicht an. Das wollte sehen, aber nicht handeln.« Die Feuilletons der übrigen Bundesrepublik gestehen dem Proletariat an der Ruhr die Kulturrevolution ohnehin nicht zu. Ein »Monstrum faden Rummels«, urteilt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, eine »gigantische Massierung des Mittelmäßigen«, sieht der Spiegel. Die Ruhr Nachrichten wollen beim Abschluss-Happening gar Rauschgiftkonsum, Schlägereien und sexuelle Ausschweifungen beobachtet haben. Die Songtage werden als »Sauerei in einem Schweinestall« diffamiert. Horst Stein:

»Es war schon toll, was nachher in der Presse lief. Später wurde gesagt, draußen an den Seitengängen hätte ein Paar öffentlich Sex gehabt, und alle wären darum herumgestanden und hätten geklatscht. Diejenigen, denen diese ganze Veranstaltung nicht gepasst hat, haben dafür gesorgt, dass dieser Artikel durch die gesamte Presse ging.«

Die Angelegenheit wird vom Jugendschutz untersucht, die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Schließlich schläft die Sache ein, doch »der politische Teil, die Protestsongs gingen in diesem Rummel unter«, meint Stein. »Dass eine Stadt unzensiert ein solches Festival veranstaltet hat, bei dem die berüchtigten Kommunen aus Berlin mit dabei waren, das hat auf einmal überhaupt nicht mehr gezählt.«

Nachwehen

Die Essener Songtage bleiben – abgesehen von einer kleineren Jubiläumsveranstaltung im Jahre 2003 – ein einmaliges Ereignis. Nach den Ausschreitungen gegen den Oberbürgermeister gibt es für nicht-kommerzielle Festivals von Seiten der Stadt keine Unterstützung mehr. Angeregt durch das Festival werden jedoch die Forderungen an die Jugendarbeit überall lauter.

Teile der Subkulturszene wiederum zeigen sich enttäuscht darüber, »dass der kritiklose Konsum aus dem kommerziellen Showgeschäft bedenkenlos übernommen wurde«, wie es der Kollektiv-AStA der Ruhr-Universität gegenüber der Bochumer Studentenzeitung formuliert. Die Musikbranche hingegen hat eine Marktlücke entdeckt: Rockfestivals. Bereits im Folgejahr geht das erste »Pop- und Blues-Festival« über die Bühne der Grugahalle. Eine reine Kommerzveranstaltung. Auch das Geschäft mit dem Protest wird bei den IEST’68 vollends erschlossen: Che-Guevara-T-Shirts, Marx-Aufkleber und Anti-Bild-Poster gehören von nun an zum Grundsortiment der fliegenden Händler. Die Industrie beginnt, die Subkultur zu schlucken.

TEIL III: Goldenes Zeitalter

7. »Deutschlands eigene Popmusik«

»Es war wichtig, eine eigene Popmusik zu haben, denn es ging schließlich um unsere Identität. Es ging wirklich darum, die Pop- und Rockmusik neu zu erfinden, und zwar für uns, mit unseren Interessen und Fähigkeiten.«

– Othmar Schreckeneder –

Als man feststellt, dass eine eigenständige musikalische Existenz nicht nur möglich ist, sondern auch ein Publikum finden kann, entwickelt sich in Westdeutschland rasch ein neues Selbstbewusstsein. »Macht das Ohr auf und Eure Augen und lest: Es gibt Schallplatten in Deutschland. Schon lange.« Mit diesem Text wirbt die Plattenfirma Ohr Anfang der Siebziger für die neuen Klänge aus Deutschland, die als »Deutschlands eigene Popmusik« nun auf dem von Rolf-Ulrich Kaiser gegründeten Label vermarktet werden. Die popmusikalische Identitätsfindung scheint abgeschlossen.

Neue Bands sprießen buchstäblich wie Pilze aus dem Boden: Gila (Stuttgart 1969), Xhol Caravan (Wiesbaden 1969), Annexus Quam (Kamp-Lintfort 1970), Ash Ra Tempel (Berlin 1970), Kluster (Berlin 1970) oder Kraan (Ulm 1971) sehen sich als ebenbürtige Kollegen ihrer einstigen Vorbilder, die aus einer eigenen kulturellen Identität schöpfen. Irmin Schmidt:

»Wir wollten nicht demonstrieren, ›auch wir können klasse Musik machen‹. Wir hatten das Bedürfnis, nicht so zu tun, als wären wir in Nashville, Memphis, Brooklyn oder Manchester geboren, sondern in Berlin, München oder Straubing.«

Dekonstruktion und Klangcollage

Zum neu entdeckten Deutschtum gehört die Abrechnung mit der jüngsten Vergangenheit. In aggressiv-destruktiven Klängen werden nun Nazi-Vergangenheit, Spießertum und die »alte Ordnung« symbolisch zerstört, Melodien, Töne und Rhythmen zerstückelt und neu zusammengefügt. Aus den musikalischen Trümmern entsteht, analog zur deutschen Geschichte, ein neues Selbstbild, das seine nationale Identität nicht leugnet. »Die Schräglagen sind ja genau daraus entstanden, dass wir diese Dinge ad absurdum geführt haben«, erläutert Hans-Joachim Irmler. »Wir fanden es aber wichtig, dass es überhaupt wieder etwas Deutsches gibt – ohne nationalistisch zu sein. Das hat damals alles einen gewissen Beigeschmack gehabt. Trotzdem haben wir durchaus auch die Tradition gesucht. Wir hielten das für einen wichtigen Aspekt unserer Kultur.«

Bei einem Faust-Konzert 1973 in London wird in der Bühnenmitte ein massiver Betonklotz platziert, den die Band mit einem Presslufthammer bearbeitet. Splitter des Blocks spritzen ins Publikum. »Der Lärm war ohrenbetäubend«, schreibt die englische Zeitschrift Mojo 1997 in einem Rückblick, in dem die Musik der Deutschen als »Kunst-Terrorismus« bezeichnet wird. »Doch der Schock war ungeheuer erregend, erzeugte er doch dasselbe befreiende Gefühl, das die Besucher Anfang des 20. Jahrhunderts bei Ausstellungen der Surrealisten oder Dada-Künstler verspürt haben müssen – das Gefühl, dass eine Barriere unwiderruflich überwunden, die Grenzen jeglicher Tabus gesprengt worden waren.«

»Elektronische Volksmusik«:
Muttersprache, Mentalität und Tradition

»Wenn man authentisch sein will, hat das immer auch etwas mit Wurzeln und Heimat zu tun. Wenn man sich so annimmt, wie man ist, dann hat man auch eine Vergangenheit, die durchscheinen darf.«

– Hellmut Hattler –

Andere Bands leisten mit kühlen, synthetischen Klängen Pionierarbeit. Die Düsseldorfer Band Kraftwerk unterscheidet sich dabei von den kosmischen Weiten der Berliner Band Tangerine Dream insoweit, dass sie eine monotone Rhythmusstruktur in den Vordergrund stellt. Die Basis der Musik bildet hier die deutsche Muttersprache als Ausdruck der eigenen Mentalität: hart, kantig, klar.

»Elektronische Volksmusik« nennt Ralf Hütter in einem Interview mit dem Musikexpress im Mai 1981 den Kraftwerk-Sound. Das Mechanische, Maschinenhafte entspricht freilich ganz dem Klischee von Effizienz, Marschmusik und Pickelhaube und dürfte somit zu einem guten Teil für den Erfolg beim britischen und US-amerikanischen Publikum verantwortlich sein. Als David Bowie Mitte der Siebziger von Berlin aus einen Abstecher nach Düsseldorf macht, untermalt er die Fahrt in seinem Mercedes mit der Kraftwerk-LP Autobahn. Erstaunt und bewundernd stellt er fest, wie eng die Musik aus dem Kassettenspieler und der Blick aus dem Fenster miteinander korrespondieren.

Oft macht sich das neue nationale Selbstverständnis auch in der schwierigen Wahl des Bandnamens bemerkbar. Hier gilt die englische Sprache bislang als unumstrittenes Muss. Bei den Neugründungen sind daher verschiedene Strategien zu beobachten: Tangerine Dream, Electric Sandwich oder Birth Control schaffen zumindest als Marke weiterhin eine künstliche angloamerikanische Identität. Bands wie Grobschnitt, Sperrmüll und Kraftwerk hingegen wählen deutsche Begriffe, die in ihrer tatsächlichen, sinnfremden Verwendung bedeutungsfrei bleiben, während Nosferatu, Hotzenplotz oder Walpurgis eine relativierende Albernheit an den Tag legen. Kraan schließlich verfallen auf ein deutsch klingendes Kunstwort, hinter dem man weder eine symbolkräftige Botschaft noch sich selbst verstecken muss.

Wieder andere Gruppen greifen zurück auf die Tradition der Dichter und Denker, auf die eigene Kulturgeschichte vor 1933. So verweisen Hoelderlin direkt auf den schwäbischen Dichter Friedrich Hölderlin, Novalis auf den gleichnamigen Schriftsteller und Philosophen. Für die Band Wallenstein steht eine Dramen-Trilogie von Friedrich Schiller Pate. Faust indes halten es lieber mit Goethe: »›Faust‹ hat uns eben sehr gut gefallen«, sagt Hans-Joachim Irmler. »Natürlich spielte hier der Zeitgeist mit hinein. Wir wollten nicht so tun, als wären wir Engländer. Faust war ein Name, der etwas mit der Arbeit zu tun hatte, aber auch mit dem Kopf. Wir waren froh, überhaupt ein Bewusstsein für die Situation entwickelt zu haben, in der wir lebten.«

Vielen Musikkonsumenten eröffnet sich durch die deutsche Rockmusik eine eigene Fan-Identität. Die Musiker stammen nicht mehr aus Liverpool oder New York, sondern aus Krefeld und Heidelberg – eine Situation, wie sie in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, den Mutterländern des Rock, seit jeher Normalität ist. Diese neue Unmittelbarkeit wird von den Musikern gepflegt, man schätzt den direkten Kontakt zu den Fans. Die danken es den Bands mit regelmäßigen Konzertbesuchen und Plattenkäufen.

»Meine erste Platte war von Deep Purple, da hatte ich noch nicht einmal einen Plattenspieler«, erinnert sich Klaus Sonntag. »Die zweite war von einer Gruppe namens Nosferatu. Ich begann, mich immer mehr für deutsche Interpreten zu interessieren. Es gab viel, von elektronischer Musik bis hin zu Folkgruppen wie Ougenweide oder die in ihrer Art wieder sehr experimentellen Witthüser & Westrupp. Nicht, dass ich mich gegen ausländische Interpreten wie Creedence Clearwater Revival gesträubt hätte, aber ich dachte, warum sollte ich nicht die deutsche Musikszene unterstützen. Es wurde viel über diese Musik diskutiert, und ich kannte etliche Musiker persönlich. Deshalb habe ich von den Beatles nur eine einzige Platte, aber eine riesige Krautrock-Sammlung.«

Deutscher Rock und europäisches Selbstverständnis

»Deutsch oder nicht deutsch, das waren Grenzen, die wir nicht gemacht hatten. Es ging um Inhalte, auch musikalische, da haben wir wenig darüber nachgedacht, ob das jetzt ›Kraut‹ oder ›deutsch‹ war. Es war eine Herausforderung. Wie so etwas dann genannt wird, ist egal.«

– Lothar Stahl –

Man strebt nach Gleichberechtigung und Akzeptanz, sucht den Schulterschluss mit der internationalen Szene – einen deutschen Kulturmerkantilismus jedoch will niemand. In den Wohngemeinschaften diskutieren eifrige Musikfreaks bei Tee und Räucherwerk stundenlang darüber, inwieweit die neue Rockmusik deutsch sein sollte oder nicht. Viele Musiker hingegen sehen sich bereits als Kulturschaffende in einem zusammenwachsenden Europa, und so klingt immer öfter auch der Gedanke einer gemeinsamen europäischen Identität an.

Grundsätzlich herrscht nationalem Denken gegenüber große Skepsis. Die Erfahrungen des Dritten Reiches und der Kalte Krieg sind noch zu präsent. Hans-Joachim Roedelius, der mit der Gruppe Kluster (später Cluster) zu den Pionieren der experimentellen deutschen Musikszene zählt, wird von der Geschichte regelrecht hin- und hergeschubst. Im Jahre 1934 in Berlin geboren, macht Roedelius über Kontakte des Vaters zur Babelsberger Filmszene eine kurze Karriere als UFA-Kinderstar, bevor man ihn 1945 noch zur Hitlerjugend einzieht. Nach dem Krieg landet die Familie auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs. Er flieht in den Westen, kehrt auf Besuch zurück und verbringt als vermeintlicher Spion zwei Jahre in einem DDR-Gefängnis, bis er 1960 endgültig in den Westen übersiedelt. Dort schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs vom Gärtner bis zum Müllsammler durch. »Ich fühlte mich damals nie als Deutscher«, sagte Roedelius im April 2005 in einem Interview mit dem Londoner Guardian. »Natürlich ist Deutsch meine Muttersprache, aber ich glaube, ich lernte sehr früh, etwas kosmopolitischer zu sein.«

Auch Michael Rother relativiert das Streben nach der eigenen musikalischen Identität, wenn es um die nationale Frage geht: »Natürlich ist der musikalische Hintergrund die europäische Klassik. Dass es unbedingt deutsch sein musste, glaube ich nicht. Für mich ging es darum, eine Michael-Rother-Musik zu machen: sehr persönlich und möglichst unabhängig von den Vorbildern, mit denen ich groß geworden bin.«

Das ändert freilich nichts daran, dass der Krautrock vorwiegend in Westdeutschland gedeiht. Gruppen wie Kraan, die ihre Musik aus dem Jazz heraus entwickeln, begreifen sich jedoch längst als in einen weiteren Kulturkreis eingebettetes Phänomen. »Es war nicht so, dass wir gesagt haben, ab heute sind wir international drauf und reden nur noch akzentfrei Hochdeutsch«, erklärt Hellmut Hattler. »Ich habe aber immer gesagt, das ist sehr mitteleuropäisch, was wir machen.« In einer zunehmend medial geprägten Gesellschaft ist es ohnedies schwer, sich fremden Einflüssen zu entziehen. »Wir waren um eine eigene Identität bemüht, wenn sich auch in dieser Zeit schon alles sehr stark vermengte«, sagt Eloy-Kopf Frank Bornemann. »Wir waren eine deutsche Band, aber auch eine kontinentale Band.«

Weltoffenheit wird zu einem Wesensmerkmal der Krautrockszene. Einflüsse lässt man gerne zu, solange sie die eigene Position nicht in Frage stellen. In ihren Lehrjahren lauschen die Musiker von Kraftwerk den Radio-Spätsendungen elektronischer Musik ebenso aufmerksam wie dem Sandstrand-Pop der Beach Boys – und liefern mit Autobahn (1974) schließlich ein ausgereiftes Werk neuer deutscher Internationalität ab: universell anwendbar wie ein praktisches Haushaltsgerät und doch in seinem Naturell zutiefst teutonisch.

In Personalfragen lässt sich eine exakte Nationalitätsbestimmung ohnehin nicht immer vornehmen. Am Can-Mikrofon etwa steht anfangs der Amerikaner Malcolm Mooney, gefolgt von dem japanischen Straßensänger Damo Suzuki. Ein interessantes Beispiel für eine innereuropäische, »unechte« Krautrock-Verbindung sind Nektar: Die Gruppe wird 1969 von ehemaligen Mitgliedern britischer Bands in Hamburg gegründet und bezieht später ein Bauernhaus bei Seeheim im Odenwald, wo auch die Musik des Debütalbums entsteht. Mit seinen ausufernden Steigerungen, harten Schnitten und bedrohlichen Klangszenarien fügt sich das Science-Fiction-Konzeptalbum Journey To The Center Of The Eye (1972) nahtlos in die Reihe der Krautrock-Veröffentlichungen jener Tage ein – und lässt deutlich den Einfluss der deutschen Nachbarschaft erkennen. Weitere Veröffentlichungen orientieren sich stärker am amerikanischen Markt und verhelfen Nektar als erster aus Deutschland kommender Gruppe zu einem größeren kommerziellen Erfolg in den USA.

8. Aus Entertainern werden Künstler

»Ich habe mich nie als Entertainer gefühlt, da hatte mein Vater größere Talente. Ich habe mich als Musiker gefühlt – und letzten Endes als Komponist.«

– Roman Bunka –

Ende der Sechziger wandelt sich mit dem geistigen Überbau auch das künstlerische Selbstverständnis des Rockmusikers vom Unterhalter zum introvertierten, sensiblen Künstler. »Wenn man sich die Bands davor ansieht, die waren ja bis auf die Beatles alle sehr nett und adrett«, beschreibt Hellmut Hattler die rasante Entwicklung. »Irgendwann brach buchstäblich der Damm. Es war nicht nur, dass auf einmal alles erlaubt war, sondern, dass wir alle darauf warteten, was nun passieren würde – wohin das viele Wasser bei diesem Dammbruch fließt.« Um bei Hattlers Bild zu bleiben: Es fließt in alle Richtungen.

Bald setzt eine groß angelegte künstlerische Nabelschau ein, welche allerdings auch die Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit mit sich bringt – und daher nicht selten in einer Ablehnung der traditionellen Künstlerrolle mündet. Hans-Joachim Irmler: »Wir haben gesagt, eigentlich gehören wir gar nicht auf die Bühne.«

Große Gesten sind verpönt, Konzerte werden zum Gemeinschaftserlebnis von Musikern und Zuschauern. »Es war ein ganz neuer Gedanke«, erinnert sich Christian Burchard. »Die Musiker sind nicht angestrahlt worden wie Politiker, sondern waren zum Teil gar nicht mehr erkennbar.«

Am radikalsten setzen Amon Düül diesen Gedanken um, indem sie die Schranken zwischen Künstler und Nicht-Künstler in Frage stellen und mit der ganzen Wohngemeinschaft – Freundinnen, Kinder, Dauergäste – im Schlepptau auftreten. »Das war ein kreatives Gemeinschaftserlebnis, das auf gemeinsamen Wohn- und Tournee-Erfahrungen beruht hat«, erklärt Peter Leopold. »Eine naive, kommunale, freundschaftliche Tätigkeit, so kann man es nennen. Man versucht, einen Kreis idealistischer Freunde und Freundinnen zusammenzukriegen. Wenn die dann auch noch zusammen Musik machen können, zusammen produktiv sein können und ohne ihre Eltern wenigstens noch eine Mark machen können, dann ist das wundervoll.«

Mit ihrer ungewöhnlichen Arbeitsweise verdient sich die Münchener Gruppe den Respekt vieler Kollegen. »Großartig«, findet Irmler noch heute die künstlerisch und politisch konsequente Haltung. »Das war eine ganz wilde Band.«

»Wir machen etwas, und ihr müsst es kapieren«:
Publikumsreaktionen

»Ich habe mich auf die Bühne gestellt, meine Teile runtergedroschen und mich um irgendwelche Maßstäbe einen Scheißdreck geschert.«

– Peter Leopold –

Die heutige Nobeldiskothek P1 in der Münchener Prinzregentenstraße wirbt im Jahre 1969 mit einer gemütlichen Bar, heißer Gulaschsuppe und Sitzpolstern im Schottenmuster. Bis drei Uhr in der Frühe spielen dort »Kapellen zum Tanz«. Die progressive Szene hingegen bevorzugt den Club PN, auf dessen Bühnenbrettern sich die neue deutsche Musikkultur vor den Augen schockierter bis begeisterter Fans selbst initiiert.

Nicht alle, die in bunten Hemden, Parka und Jeansjacke dort abends zusammenkommen, sind für den Frontalangriff auf die Hörgewohnheiten gewappnet, der sie bei diesem gemeinsamen Experiment von Band und Publikum erwartet. Hellmut Hattler: »Wir haben die neue Freiheit ordentlich zelebriert und sind oft auch auf die Bühne gegangen, ohne zu wissen, was passieren würde. Man wusste nicht, was für Leute da waren, ob sie einen Halt brauchten, oder ob sie sich schon von einem einzigen langen Ton durchs Weltall schleppen ließen.« Die Besucher der ersten Amon-Düül-Konzerte sind vor den Kopf gestoßen. Peter Leopold später über die heute grotesk anmutende Situation:

»Die ersten Auftritte im PN, in der Mensa und im Türkenkeller – das war für viele Studenten wie ein Erlebnis vom anderen Stern. Da rückte Düül mit langhaarigen Kindern und Frauen an und hat den Lichthof der Mensa sowas von blitzblank geputzt, das gab’s gar nicht. Die waren sprachlos, fassungslos, dass man sowas machen kann.«

Auch Othmar Schreckeneder, der bald vom Fan zum Manager werden soll, erinnert sich mit einem Schmunzeln: »Das Publikum war auch sehr radikal und wollte ebenfalls den Bruch mit dem Althergebrachten. Bei den frühen Konzerten kam es trotzdem manchmal vor, dass in der ersten halben Stunde eine Hälfte des Publikums den Saal verlassen hat. Die andere Hälfte war dann der harte Kern, der das Konzert seines Lebens erlebt hat.«

Die neue Rockmusik verlangt ihrem Publikum viel ab. Gulaschsuppenesser, die gemütlich beim Tanz zuschauen, sind »out« – Mitdenken statt Berieselung ist gefragt. Man fühlt sich berufen: »Nicht nur schöne Lieder, die das Herz erfreuen«, sollen die Fans hören, so Hans-Joachim Irmler, »sondern solche, die auch darüber hinaus etwas anregen. Der Kern von allem, was man künstlerisch tut, ist die Kommunikation.«

Im gemeinsamen Experiment von Künstler und Kunstrezeptor kommt dem Zuschauer somit eine wichtige Funktion zu: Er ist nicht länger ein von der Industrie umworbener Kunde, sondern ein geistig geforderter Mit-Akteur. Der Hörer soll verstehen, mitmachen, dem Künstler ein konstruktives Feedback geben. »Der Grundsatz war: ›Wir machen etwas, und ihr müsst es kapieren‹«, fasst Othmar Schreckeneder kurz zusammen.

Hierin liegt ein gravierender Unterschied zum kommerziellen Popgeschäft: Die Musik als Selbstzweck steht von vornherein über dem Publikumsgeschmack und muss sich nicht erst an ihm orientieren. »Ich wollte mit Musik noch nie etwas beweisen«, sagt Hellmut Hattler. »Es war keine Absicht dahinter, außer es zu tun.« Dies definiert die Zielsetzung der jungen deutschen Rockmusik, die eben Kunst und nicht Unterhaltung sein will. »Etwas Neues«, so Irmler, »entsteht in der Regel nicht dadurch, dass man versucht, jemandem zu gefallen, sondern aus dem Versuch, einen neuen Weg zu finden und diesen auch zu gehen. Wir waren beseelt von dem Gedanken, dass wir unser Ding machen mussten.«

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9783963181399
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