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Читать книгу: «Abendstunden», страница 4

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VI

Eines Nachmittags stand Jan wieder vor der Buche. Er schien schwach und hinsiechend; das frische Roth in seinem Gesichte war grauen, transparenten Tönen gewichen; seine Augen schwammen, wie die eines sinnlosen, und mißmuthig lehnte sein Haupt auf der linken Schulter.

Schon hatte er länger als eine halbe Stunde so gestanden, ohne sich zu rühren, als hinter ihm zwischen den Erlen die abgefallenen Blätter der Bäume unter eines Menschen Tritt raschelten; er wandte sich um, es war der alte Pfarrer von Desschel. Sichtlich kostete es ihn Mühe, seinen Zügen einen heiteren Ausdruck zu geben; den Geistlichen ehrerbietig grüßend, versuchte er gar zu lächeln, doch dieß Lächeln zeugte um so mehr von dem Weh und dem Schmerz, die sein Inneres bewegten.

Der Pfarrer wies mit der Hand auf’s Gras, Jan zum Niedersitzen einladend; dann nahm er ihn bei der Hand, sah ihn tief mitleidig an und sprach in recht väterlichem Tone zu ihm:

»Jan, Jan, hältst du also dein feierlich Versprechen? Noch immer unter der Buche? Du willst also, daß deine Mutter ihre Drohung bewahrheite und den Baum umhaue?«

Bei den Worten zitterten die Glieder des jungen Bauern krampfhaft, und den stechenden Blick fest auf den Geistlichen geheftet, rief er:

»Was, den Baum? die Buche umhauen? Ich schlüge den Arbeitern den Kopf ein . . . «

Das wunderte den guten Pfarrer nicht wenig; er dachte, durch wiederholten Rath Jan’s Betrübniß bereits halb getilgt zu haben, er glaubte, der Arme habe den Gegenstand derselben schon fast vergessen. Mit recht väterlicher Stimme fuhr er fort:

»Jan, mein Sohn, das sind sündige Worte, die du da sprichst. Deine Mutter hat das so gesagt und du weißt, daß ihre Worte nicht just ein Evangelium sind. Daß du aber, der du doch mit Gefühl und Verstand begabt bist, dich durch solch nichtige Dinge, durch einen sinnlosen Traum zu einer Drohung zu morden verführen lassen kannst, das begreife ich nicht und das thut mir leid. Hab ich denn verdient, daß du mir so antwortest? . . . «

»Vergebt mir,« sprach Jan mit wahrhafter Reue; »ich weiß, daß ihr nichts verlanget und wünschet, als was mir vortheilhaft und zu meinem Besten ist, doch in meinem Herzen steckt etwas, worüber ich mir selbst keine Rechenschaft geben kann, was mehr Macht hat, als, eure Worte und mein Wille.«

»Höre, Jan, es steht geschrieben, wer die Gefahr liebt, der kommt darin um; so ist’s auch mit dir, mein Junge. Wenn du nicht Alles in deinen Träumereien suchtest, die deinen Körper doch ganz und gar aufreiben, wenn du arbeitetest, wie ehedem, wie es deine Pflicht ist, dann würdest du bald die Ursache deines Schmerzes vergessen; Gesundheit und Muth würden dir wiederkehren, und du könntest wacker für deine kranke Mutter arbeiten. Dagegen aber bringst du deine Zeit müßig unter dem Baume, oder auf dem Sandberge zu, und wirst dadurch nicht nur ein großer Sünder, weil du deine Pflichten gegen Gott und gegen deine Mutter nicht erfüllest, sondern bist dazu noch ein Narr, der sich mit der Hoffnung auf unmögliche Dinge quält, und sein ganzes Leben einem eitlen Traume opfert.«

»Ho, ich habe noch lange nach ihrer Abreise gearbeitet und kam hierhin nur nach den Arbeitsstunden. Da hoffte ich noch, daß ich sie vergessen könnte, doch sie war ja überall bei mir. Am Pfluge hörte ich ihren Namen, auf der Tenne sangen die Flegel mir das Ricketicketack, und überall hörte ich nur Monika rufen. Wozu doch nützte mir die Arbeit? Wußt ich, was ich that? Es half mir Alles nicht. Mein Schlaf selbst war nur ein helleres Leben, dann hatte ich Trost, sah sie, sprach mit ihr, aber ich hatte keine Ruhe. Nun kann ich beim besten Willen nicht mehr arbeiten; ich bin schwach und krank.«

Der Pastor schüttelte den Kopf und schwieg eine Weile; dann faßte er aufs Neue des Jünglings Hand und frug:

»Nun, Jan, du mußt mir jetzt sagen, ob das so fortgehen soll oder nicht. Es ist gewiß, und das weißt du auch, daß Monika nicht wiederkommen wird – und käme sie, dann wäre es noch ärger; sie ist jetzt ein reiches Mädchen und du bist ein gewöhnlicher Bauernjunge. Deine Krankheit ist also eine Narrethei.«

»Kann ich sie denn vergessen, Herr Pastor?«

»Wünschest du das in der That?«

»Ich wünsch es aus Herzensgrund, denn seit lang sind meine Träume bitter, wie Galle, und mein Herz ist voll von Verzweiflung.«

»Wohlan, dann beweise einmal, daß du Muth hast und genesen willst. Erfülle den Wunsch deiner Mutter und folge meinem Rath: Geh nach Mecheln.«

»Da stürbe ich, Herr Pastor.«

»Warum?«

»Oh, warum? Vor einigen Monaten war ich zu Brüssel und mußte acht Tage dort bleiben, und was hab ich geweint während der Zeit! Was hab ich da ausgestanden!«

»Ich begreife dich nicht.«

»Nun ich will’s euch sagen. Als ich zurückkehren durfte, ging ich Nacht und Tag ohne zu ruhen durch. Als der Wind mir zuerst wieder den Geruch der Schaddenfeuer zutrug, da erst athmete ich auf; im ersten Tannenbusche warf ich mich auf die Kniee nieder und dankte Gott, daß ich meine Nadelbäume wiedersah, das erste Haidekraut habe ich vor Entzücken gegessen, und als ich hierhin kam, ging ich zuerst zu der Buche und sprach mit nassen Augen zu den Wachholdersträuchern, als hätten sie mich verstanden. Und ihr wollt, daß ich sechs Jahre von der Haide fern bleiben soll? Unmöglich.«

»Mein Sohn, ich weiß, warum du die Haide mehr denn jemand anders liebst, doch die Ursache davon just müssen wir zu heben trachten. Das Studium wird mehr als körperliche Arbeit das Bild, welches dich verfolgt, aus deinem Geiste vertreiben, und die Ueberzeugung, daß du bestimmt bist, ganz dem Dienste Gottes geweiht zu werden, wird dir helfen, die weltlichen Träume zu überwinden. Noch andere Gründe will ich dir anführen, welche auch wohl geeignet sein mögen, dich auf bessere Gedanken zu bringen. Jan, du tödtest dich selbst, so du dich durch unaufhörliches Jammern aufreibst. Meinst du denn, Gott könne dir die sündige Thorheit vergeben, wenn du bis zu deinem Tode darin beharrst? In deinem eitlen Traumleben denkst du nur einer Sache, kein Gedanke an Höheres, an himmlische Dinge steigt aus deinem Herzen mehr auf, oder nennst du das beten, was du etwa mit dem Munde sprichst, während dein Inneres die Gottheit höhnt, da du ein Menschenbild, selbst in dem Tempel des Herrn anbetest? Denkst du wohl daran, daß ein Grab deiner wartet, daß du deine Seele dem Bösen überlieferst, daß das ewige Feuer der Lohn deiner Gottlosigkeit werden muß?«

Der Ernst, mit welchem der Pfarrer diese Worte zu dem armen Jan sprach, hatten dessen Gemüth tief getroffen. Er meinte wohl, der Geistliche habe ihm schreckliche Wahrheiten gesagt, und erbebte innerlich bei der gräßlichen Drohung der Hölle. Eine Zeitlang stand er sprachlos da und blickte starr vor sich hin, dann erhob er das Haupt, wie jemand, der gewaltsam einen Entschluß faßt und sprach:

»Wohlan denn, Herr Pfarrer, ich will nach Mecheln gehn.«

»Morgen?« frug der Pastor hocherfreut.

»Morgen bereits?« frug der junge Bauer halb erschrocken.

»Morgen für immer?«

»Nein Jan, sprich doch nicht so dumm. Du kannst mehr denn einmal im Jahre deine Mutter besuchen, und während der Ferien hast du Zeit genug, deine Haide zu durchwandeln. Und dann, wenn du einmal Priester bist, kannst du leicht in einem Dorfe der Kempen9 angestellt werden, und dann kannst du dein Leben recht friedlich und ruhig auf der Haide hinbringen. Morgen gehst du, nicht wahr?«

»Nun ja denn, morgen; so sei es,« rief Jan mit so schneidender Stimme, daß der Ruf das ganze Gebüschchen durchdrang.

»Morgen, morgen!«

Eine halbe Stunde später ging er an der Hand des Pfarrers dem Hofe zu.

VII

Als Monika das Dorf Moll und Kempnerland verließ, um ihrem Vater nach Frankreich zu folgen, war ihr Herz voll Betrübniß, und stets mußte sie an ihn denken, der nun um sie trauern und leiden mußte. Doch die zärtliche Liebe ihres Vaters und seine Bestrebungen, ihr nur Freude zu machen, verbannten nach einiger Zeit die Trauer aus ihren Zügen und aus ihrem Herzen. Die große Welt und die unaufhörlichen Vergnügungen, welche ihr geboten wurden, ließen die Erinnerungen aus ihrem vorigen Leben mehr und mehr in den Hintergrund treten, und wenn sie auch den einsamen Pachthof und ihn, der ihr Beschützer und Bruder gewesen war, nicht ganz vergaß, dann dachte sie doch seltener und mit weniger Innigkeit daran zurück.

Mit ihrem Vater in Paris angekommen, bekam sie bald die besten Lehrer, und da sie mit schneller Fassungskraft begabt war und durch die steten Ermuthigungen ihres Vaters sich ermuntert sah, lernte sie in Zeit von etwa vier Jahren Alles, was ein gebildetes Mädchen wissen muß, um in der Gesellschaft neben andern zu glänzen.

Bald erschien eine leichte Röthe auf Monika’s Wangen, auch nahm sie sichtlich an Kraft und stärke zu; ihre Gesundheit wurde fester und ihr Hinsiechen schien ganz gewichen. Man gewöhnt sich so bald an Alles und am leichtesten an das Glück. so ging es auch Monika; während eines ganzen Jahres ergötzte sie sich an Allem; Abendfeste und Bälle folgten unaufhörlich einander, sie gewann die Welt immer lieber und verlangte nach ihrem Beifalle.

Doch hielt dieser Genuß nicht lange stand; oft traten nun flüchtige Erinnerungen vor ihren Geist, und im Laufe des zweiten Jahres schien eine stille Träumerei wieder über sie zu kommen. Bei dem jauchzenden Rauschen der Musik, bei dem Glanze der Kerzen, inmitten des Jubels der Feste, blieb sie zerstreut, wie wenn ein geheimer Gedanke sie überall verfolgt hätte. Zuerst war dieß Aufwallen ihres Herzens nur schwach; sie bekannte ihrem Vater geradezu, daß sie noch oft an die Haide mit der prächtigen Buche und den wankenden Wachholdersträuchen denke, und dieselben recht lebendig vor sich sehe; doch lachte sie dabei und spottete mit ihrer Träumerqual, wie sie es nannte.

Sah sie auch in ihren Traumbildern zwischen dem Gebüsche der Haide den armen Jan, der so unendlich um sie trauerte? Wer weiß es? Immerhin bekannte sie nie etwas darüber weder sich selbst noch Andern.

Langsam aber regte sich eine Art von Widerwillen in ihr gegen diese Vergnügungen; sie ging nur zu Abendfesten und Gesellschaften, wenn sie nicht dem ernsten Zudringen ihres Vaters ausweichen konnte, und suchte stets mehr die Einsamkeit. Von Zeit zu Zeit regten sich ihre Lippen fast unwillkürlich, und ohne daß sie an Weiteres dachte, schwebte das seit lange vergessene Lied um ihren Mund. Die Röthe floh wieder von ihren Wangen, sie magerte ab und kränkelte wieder und dieß so, daß der arme Vater zu fürchten begann, er werde sein Kind überleben. Ein gelehrter Arzt, den er zu Rathe zog, rieth baldige Verehlichung als das beste und einzige Mittel und behauptete, Monika müsse unfehlbar genesen, so man sie bereden könne, eine Wahl zu treffen. Der Colonel dachte alsbald an seinen treuen Reisegenossen, den Lieutenant, und gab sich alle Mühe, Monika’s Aufmerksamkeit auf denselben zu lenken; er fand sie auch nicht gefühllos für dessen Liebesbezeugungen und für seine mannichfachen guten Eigenschaften, doch Liebe für ihn wohnte nicht in ihr; ihr Herz blieb eiskalt für ihn. Das schmerzte den Vater sehr; sah er sich doch nun des einzigen Mittels beraubt, auf welches er noch alle Hoffnung zur Rettung seines Kindes gesetzt hatte. Fast täglich bot er nun Alles auf, von ihr zu wissen, was sie wünsche, was sie begehre, was die Quelle ihrer Qual sei, doch sie sagte, sie sei nicht krank, und wußte meist seinen Fragen durch irgend einige Schmeicheleien ein Ende zu machen. Das einzige, was er aus ihr herausbringen konnte, war, daß sie nach Brabant und nach der Haide zurückzukehren verlange, kurz, daß sie eine Art von Heimweh habe.

Mehr denn einmal hatte er Monika versprochen, mit ihr nach dem Kempnerlande zu reisen und dort für lange zu bleiben, damit sich in der Haideluft ihre Gesundheit wieder kräftigen könne, doch immer kam durch die schnell einander folgenden Kriegsläufte ein Hinderniß dazwischen.

Gegen das Ende des Jahres 1813 endlich hatte er, durch sein unaufhörliches Andringen, vom Kriegsministerium das Versprechen erlangt, im nächsten Frühling einen dreimonatlichen Urlaub zu bekommen. Monika lebte, schien es, wieder auf, bei dem Gedanken an die Rückreise in das liebe Vaterland. Bald aber kamen aus dem Norden beunruhigende Nachrichten; fast das ganze französische Heer war durch die Russen und die Kälte aufgerieben, und niemand konnte voraussehen, welche Folgen diese Niederlage haben werde. Ein allgemeines Entsetzen hatte die in Frankreich zurückgebliebenen Krieger befallen ob der gräulichen Zeitungen. Der Colonel konnte Monika dieß Alles nicht verbergen, und sie erkannte nur zu wohl, daß nun nichts weniger sicher für sie sei, als ihre Reise nach dem Kempnerland.

Plötzlich kehrte der Kaiser ohne sein Heer allein aus Rußland zurück, und ließ durch den Senat einen Beschluß verkünden, durch welchen 350.000 junge Männer zu den Waffen gerufen wurden. Der Colonel erhielt ingleichen Befehl, an der Spitze seiner Leute sich zu dem Heere nach Deutschland zu begeben. Er brachte seine Tochter in ein anständiges Haus in Paris, und riß sich von der siechelnden los, um Napoleon über den Rhein zu folgen.

Sechs Monate später traf ihn bei Dresden eine Kugel in’s Knie. Wohl genaß er, doch sein Bein blieb steif und er mußte lebenslang an einem Stocke hinkeln. Dieß war auch die Ursache, warum man ihn auf sein Ansuchen nach Paris zurückkehren ließ. Da fand er Monika noch mehr abgemagert, mit dem alten transparenten Gesichtchen, den schwimmenden Augen, nachläßig und träumerisch.

Zwei Saiten nur waren nicht tonlos in ihrem Herzen geworden: ihre Liebe zu ihm und der Heimath.

Unmittelbar machte er nun alle Anstalten, um mit Monika nach Brabant zurück zu kehren. Ein Bote wurde nach Antwerpen voraus geschickt, dort ein hübsches Haus zu miethen und einzurichten; später wollte der Colonel ein kleines Landgut in der Nähe von Moll gekauft oder auch gemiethet haben, was er jetzt, in den Kriegszeiten, nicht für gar zu rathsam hielt.

Einige Tage später reisten sie in einer Postkutsche nach Antwerpen ab. Nicht ein erheblicher Zufall unterbrach die frohe Heimkehr, nur in Antwerpen selbst fiel eine kleine Störung vor. Als der Wagen des Colonels dort der neuen Wohnung nahte, schaute Monika zufällig durch eins der Fenster; in demselben Augenblick entfloh ihr ein lauter Angstschrei, der den Colonel vor Schrecken hoch von seinem Sitze aufspringen machte.

Als er sie frug, was ihr fehle, antwortete sie:

»Oh, es ist nichts Vater. Ich sah auf der Straße einen armen Menschen in so schlechten Kleidern und doch mit so ausdrucksvollen Augen, ’s ist nun vorüber, ich bin ruhig.«

VIII

Sechs Wochen waren verstrichen seit der Ankunft des Colonels zu Antwerpen.

Auf dem Söller eines kleinen Häuschens auf dem Guldenberg saß sehr früh Abends eine stockalte Frau bei Lichte am Spitzenwirken. Ihre Umgebung sah höchst ärmlich aus, denn sie wohnte unter den bloßen Dachpfannen, und hatte als Hausrath nichts mehr und nichts weniger, als ein Tischchen, zwei schlechte Stühle und ein Bett, dessen Decke aus allerlei zusammengerafften Lappen aneinandergenäht war. Gleichgültig schien sie die Klöppel hin und her zu werfen, doch beugte sie von Zeit zu Zeit das Ohr einer Art von Abschlag zu, in dem das Bett stand, und horchte einem kaum merkbaren Geräusche.

Eben hatte sie also ihre Hände still auf dem Spitzenkissen liegen, als die Thüre des Kämmerchens sich öffnete und eine andere Frau eintrat. Die Alte legte den Finger auf den Mund, und bat die andere durch ein leises Pst um schweigen, nahm sie dann bei der Hand und führte sie möglichst leise zu dem Tische hin. Während sie ihr dort den einen Stuhl anwies als Sitz, ließ sie sich vorsichtig auf den andern nieder und sprach:

»Trien, sei was still, Mensch; er schläft so gut.«

Trien zog einen Strickstrumpf aus der Tasche und sprach nicht weniger leise:

»Aha, das ist der Mensch, den ihr in’s Haus genommen habt. Meint ihr nicht, Mäken10 Teerlinck, daß ihr ein gut Werk damit habt gethan, wenn’s ist, wie die Leut so sprechen?«

»Ah Trien, das kannst du mir glauben, ohne mich wär der Jung todt und begraben, ach Gott.«

Nachdem Trien das Söllerchen in allen Ecken durchschnüffelt hatte, fuhr sie leise fort:

»Aber Mäken, wenn ich recht hab, dann habt ihr den Menschen schon fünf bis sechs Wochen auf’m Kämmerchen. Wo schlaft ihr denn, Mäken?«

»Ja, Trien, wo schlaft ihr denn. Hier in der Eck auf’m Stuhl, mit dem Kopf auf’m Tisch. Da ist ja doch an mir nicht viel mehr zu verderben, ich hab meine Zeit gehabt, Mensch.«

»Herr Gott und Vater im hohen Himmel, wie könnt ihr das aushalten! sechs Wochen ohne zwischen die Laken11 zu kommen! Das ist wahrhaftig um zu sterben, Mäken!«

»Ja Trien, ein Jedermann der giebt seinem Nächsten so viel er hat. Die reichen Leut, die geben ihr Geld, und ich – nun ja, ich geb auch, was ich hab, mein Bett und meine Nachtruh.«

»Das muß ich euch aber sagen, Mäken, das könnte ich nicht thun, aber ’s ist doch schön, und ihr verdient euch einen Stuhl im Himmel damit, Mäken. Ich kenn aber das Feine von der Geschicht noch nicht; da sagt der das und der wieder das und am End wird man nicht klug draus, und weiß soviel, als am Anfang. Wie hat es dann nun eigentlich gegangen? das sagt mir mal, Mäken.«

»Nu, das will ich dir mal sagen, Trien; aber komm und setz dich ein bisschen näher, er möcht wach werden, das arm Blut. Das sind nun fünf oder sechs Wochen gelitten, und es war an einem Samstag und sicherlich elf Uhr Abends, da hatte ich ein bisschen gut gekocht für meine Katz, und weil ich sie den ganzen Nachmittag noch nicht zu Haus gesehen hatte, nahm ich mein Peerken12 und ging dahinten nach der blinden Mauer zu, wo die Karren und Wagen stehn, um meine Her da zu suchen. Wie ich nun so rund humpel und rufe: Puschen! Puschen! hör ich dir mit einem mal einen Seufzer wie von einem Menschen. Ich erschreck, daß ich aufspring, seh einmal auf die Erd’, und ach Gott! ich kann dir nicht sagen, wie ich erschrak, da liegt dir ein Mensch da auf dem Rücken und hat sein ganz Gesicht voll Blut.«

»Ach Gott, voll Blut!«

»Ja Trien, voll Blut. Nu denk dir einmal. Ich schnell zu den Nachbarn, die kommen mit Licht gelaufen, und da sahen wir, daß das ein junger Bursch war, der sich vielleicht auf einen Kohlenwagen schlafen gelegt hatt und herabgefallen war. Er muß schon lang so dagelegen haben, denn das Blut, das aus seinem Kopfe lief, war schon ganz gestollt.13«

»Und der war todt, he Mäken?«

»Ach todt, Geckin, die du bist – und er schläft doch da im Bett.«

»Ja, Mäken, ’s Gedächtniß ist nit immer zur Hand; was kann das helfen, Schaf. Nu und was thaten sie da?«

»Ja, was sie thaten. Wie immer, Trien. Viel Rath und wenig That, aber da lag der arme Mensch in seinem Blut auf den kalten Steinen – mein Herz ist mir bald im Leib zersprungen dabei. Da hab ich zu mir selber gesagt: In Gotts Namen, die Menschen sind doch Gebrüder und Geschwister, und da hab ich nit erst gewartet, bis der Dokter kam, um den Jung nach’m Krankenhaus zu tragen; ich hab ihn aufheben lassen und hier in mein Bett legen.«

»Aber Mäken, wie habt ihr ihn denn besorgen und so ganz unterhalten gekonnt? Ihr habt gewiß ’nen Strumpf untern Pfannen stecken, Mäken.«

»Ach nein Trien, ich hab viel gearbeitet und auch ein Bißchen Schulden gemacht, das ist aber nichts. Was man mit einem guten Herzen schenkt, das giebt Gott der Herr uns zurück.«

»Nu das ist mir eine Geschicht. Kennt ihr seine Aeltern, Mäken, und wißt ihr, wo er zu Haus ist?«

»Darnach hab ich ihn noch nicht gefragt. Wenn er aber das Fieber in den Kopf kriegt, dann träumt er immer laut auf, und da hab ich schon gehört, daß sein Vater und Mutter todt sind.«

»Und habt ihr nichts anders aus ihm herausgehört?«

»Nein, ich weiß nicht, was er da immer schwätzt von ’nem Buchenbaum und ’ner Haide und Tannenbüschen. Hat auch Latein gesprochen und gerufen Monika, Monika! Muß wohl seiner Schwester oder Mutter Namen sein. Aber ein Liedchen kann er, und da gäb ich noch sechzehn und ’nen halben14 drum, Trien, wenn du das hörtest; ’s ist so was von Ricketicketack, du könntest dazu tanzen. Was aber noch das schönst ist, er plaudert immer so, als wenn sie ihn gegen seinen Willen zum Pastor hätten machen wollen, und da hab ich ihm einmal nach’m Kopf gesehen, ob sie ihm vielleicht schon ein Plättchen geschoren hätten, ist aber kein Scheermesser an seinem blonden Krollkopf15 gewesen.«

»Ach Gott, es ist gewiß ein armer Jung der betrunken war und den Verstand verloren hat.«

»Was, den Verstand verloren, Trien? den Verstand verloren? Wenn du ihn sprechen hörtest, du fielst auf deine Knie vor ihm. Er spricht wie ein Buch, und die schönste Predigt von dem Vikarius ist nichts dagegen. Da hangen seine Kleider Trien, schau mal zu, was das für fein Tuch ist. Jedmal, wenn er den Mund nur aufthut, um sich bei mir zu bedanken, brechen mir die klaren Thränen aus den Augen, und es ist grad, als wenn ein Engel spräche. Du kannst mir glauben, Trien, ich seh ihn lieber, als wenn er mein eigen Kind wär, und wenn er bei mir bleiben will, arbeit ich gern für ihn bis auf mein Todsbett. Ach Gott, Trien, er heißt mich Mutter, das sollst du nur einmal hören!«

»Wie gehts aber jetzt mit ihm? Wird er denn besser?«

»Nu ja, er ist einen ganzen Monat von Sinnen gewesen, hat den Kopf immer voll Fieber gehabt, aber seit acht Tagen hat es sich gebessert. Es kommt nun so langsam wieder, und er sucht sein Gedächtniß wieder zusammen, ist anders ganz bei Sinnen. Wär er mehr Freund vom Sprechen, ja dann wüßt ich auch mehr, er sagt aber nichts, als daß er mir hunderttausendmal dankt, und ich frag ihn kein Wörtlein. Er heißt Jan, das hat er mir gestern gesagt; das Uebrige soll wohl schon kommen, Trien, wenn er nur mal wieder gesunder ist. Nun ist er noch so mager, wie’n Grat, und so bleich, wie ’ne Mütz; ’s erstemal wo er aufstund, war er so schwach, so schwach, daß ich ihn in meine Arme mußt nehmen, sonst wär er zusammengefallen wie ein naß Tuch.«

»Ach Gott, das arme Schaf!«

»Nun, wie gesagt, ist’s viel besser; er kann schon gut gehn, sagte gestern selbst, er wollt heut Abend heraus, um ein wenig Luft zu genießen.«

Kaum hatte Mäken Teerlinck die Worte aus dem Munde, als hinter dem Abschlag eine Stimme sich hören ließ, die sanft und leise sprach:

»Mutter, gute Mutter!«

Der Name, so wie der Ton, in welchem er ausgesprochen wurde, schienen zaubergleich auf das Gemüth der Alten zu wirken; ihre Augen glänzten voll tiefer Rührung, als sie, die Lampe und ein Glas Wasser und Milch in der Hand, zu dem Bette trat.

Der Kranke blickte mit so viel Liebe und Dankbarkeit zu ihr auf, daß Mäken das Gesicht abwandte, um eine Thräne aus dem Auge zu wischen. Während deß faßte der junge Mann eine ihrer Hände und drückte einen langen Kuß darauf.

»Gute Mutter!« wiederholte er.

Trin reckte den Hals so viel es ging, um den Kranken zu sehen; tief erbebte sie, als sein hohles Auge sich zu ihr wandte, und schnell schob sie ihren Stuhl zurück, wie wenn sie vor einer schrecklichen Erscheinung gewichen wäre.

Der junge Mann schlang seine magern Arme um Mäkens Hals und zog sie näher zu sich; wahrscheinlich flüsterte er ihr etwas in’s Ohr, da sie gleich darauf die Kleider holte und die zerrissene Gardine vor den Abschlag schob, nachdem sie jene aufs Bett gelegt hatte. Dann dem Tische näher tretend, sprach sie leise, aber mit unendlicher Freude zu der zitternden Trin:

»Er steht auf.«

Diese Worte schienen die Nachbarsfrau durchaus nicht zu beruhigen, denn sie erbleichte und schaute ängstlich auf die Thüre hin. Wohl trieb die Angst sie an, das Kämmerchen zu verlassen, doch hielt die weibliche Neugierde sie auf ihrem Stuhl gefesselt.

Nach wenigen Augenblicken öffnete sich die alte Gardine. Schnell eilte Mäken zu dem Kranken, half ihm aus dem Bette und stützte ihn bis er am Tische stand.

Sollte dieß wandelnde Skelett der junge Bauer sein, den wir kennen? Ja wohl er war es, der Arme. Die Knochen drangen weit vor durch die farblose Haut; seine Augen waren tief in ihre Höhlen eingesunken, sein Rücken war gebeugt, das Haupt hing auf einer Seite. Die schmutzigen und grob geflickten Kleider konnten nur die eines Bettlers sein.

Nun stand er vor dem guten Mäken und hielt eine ihrer Hände in der seinen; er blickte sie mit dem zärtlichen Ausdrucke an, der nur einem liebenden Kinde eigen ist, und sprach:

»Gute Mutter, ich möchte gern heraus. Wird euch das nicht betrüben?«

»Nu Jan, mein Jung, antwortete die Alte, du bist noch so schwach, lieb Schaf. Du könntest mir leicht fallen, und denk dir mal, was ich mich da ängstigte.«

Mäkens Besorgniß war so deutlich aus jedem ihrer Züge zu lesen, daß Jan auf’s tiefste davon ergriffen wurde.

»Ach Mutter,« seufzte er. »Warum habt ihr mich denn nur so lieb? Ach ja, ihr seid ja mein Schutzgeist. Was Niemand thun konnte, das thut die belanglose Liebe des armen Weibes. Du Seele voll so wunderbarer Güte! Am Rande des Grabes lebt noch Zärtlichkeit genug in dir, um einem Unglücklichen, wie ich bin, das Leben zu versüßen und ihn aus dem tiefsten Abgrunde der Verzweiflung zu reißen. O, ich flehte zu Gott, daß er euch segne! Es ist das erste unzerstreute Gebet, welches ich seit sieben Jahren zum Himmel sandte.«

Die Sprache des jungen Mannes hatte einen so begeisterten Ton gewonnen, daß Trin tief ergriffen davon war. Ihre Angst war verschwunden, mit gaffendem Munde und weit offenen Augen horchte sie jedem seiner Worte, welche alle sie rührten und entzückten. Mäken warf ihr einen fragenden Blick zu, wie wenn sie hätte sagen wollen:

»Nun was sagst du von meinem Sohn? Ist der von Sinnen?«

Aber Trin horchte sprachlos, selbst lange noch, nachdem Jan aufgehört hatte zu sprechen.

»Armer Jung!« seufzte Mäken. »Hab nur guten Muth. Ich bin zwar arm und hinfällig und nicht gelehrt, aber wenn du bei mir willt bleiben, dann will ich dich stets lieb haben und mit meinen alten Fingern für dich arbeiten.«

Jan führte die Hand der Alten an seine Lippen, doch er antwortete nicht.

»Jan," sprach dann Mäken weiter. »Wenn du gern ausgehen willst, mußt du es nur sagen, und nicht um meinetwillen hier bleiben. Ich geh mit.«

»Gute Mutter,« sprach Jan flehend; »ich wollte gern ausgehen, doch muß ich allein sein – mein Kopf glüht, in der Einsamkeit werde ich Kühlung finden. Morgen, gute Mutter, sage ich dir, wer ich bin, und welcher Kummer mein Leben vergiftet. Laß mich nun gehen und bleibe ruhig zu Haus; in einer Stunde komme ich wieder.«

Mäken gab Jan ihr Krückenstöckchen, führte ihn die Treppe herunter, sprach noch einige Liebesworte zu ihm und schloß die Thüre.

Da geht er nun hin mit wankendem Fuße durch das Dunkel, dicht an den Häusern sich haltend; er stützt sich auf Mäkens Handkrückchen und athmet schwer vor Ermüdung. Sicherlich hat sein Gang ein Ziel, denn er zögert keinen Augenblick in der Wahl der Straßen. Nun und dann bleibt er stehen und ruht eine Weile aus, dann setzt er seinen Weg fort und wieder fort bis auf den Meirplatz. Da drückt er sich dichter gegen die Mauern der Häuser, und gleitet langsamer fort, einem Dieb oder Spion gleich. Bald hält er unter dem geschlossenen Fenster einer prächtigen Wohnung an; er lehnt den Ellenbogen auf die steinerne Fensterbank, und trachtet die Jalousieladen zu durchblicken. In dem Hause ist Licht; ein Strahl fällt durch die Laden auf des Jünglings Angesicht, der vor Ermüdung ganz in einander sinkt und kraftlos das Haupt auf den Stein stützt.

9.Kempen heißt die große Haide, welche den Norden von Belgien bildet.
10.Meken, sprich Mäken, Großmutter, ein Name, den man im Volke allen alten Frauen giebt.
11.Betttücher.
12.Kleine Blechlampe.
13.Verhärtet.
14.Silbermünze von sechzehn und einem halben Stüber.
15.Lockenkopf.
Возрастное ограничение:
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Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
260 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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