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Читать книгу: «Abendstunden», страница 3

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»Die Leute wissen nicht, was sie sagen, Freund,« fiel der Colonel ein. »Ich schrieb selber zweimal aus Egypten, um Nachrichten über das Kind zu erhalten, doch die Briefe blieben ohne Antwort, und als ich nach Klebers Tod nach Frankreich zurückkehrte und nun hoffte, selber etwas Näheres darüber erfahren zu können, als ich mit klopfendem Herzen die Haide durchtrabte, um es zu sehen, und dem Orte nahte, wo des Alten Hütte gestanden hatte, fand ich nur einen Haufen Asche. Da brach mir das Herz fast; was ich da fühlte, das kann ich euch unmöglich beschreiben, Secretarius. Glücklicherweise hörte ich von den Bauern, daß Drießens mit der kleinen Monika sich gerettet hätte und weggezogen wäre, um sich hier und da ein Almosen zu erbetteln.«

»So ist es, Herr Colonel. Die Frau des Schulmeisters verbrannte zu Pulver und Asche; er allein, das Monikachen auf dem Rücken und ein klein eisern Kistchen unterm Arm, entkam dem Brande, bekam dann einen schönen Bettelbrief und machte sich mit dem Kinde auf den Weg, um in den Dörfern Hilfe und ein Unterkommen zu suchen. Ich weiß aus guter Hand, daß man ihn mit der kleinen Monika bettelnd gesehen hat zu Meerhout, zu Olmen, zu Balen und zu Moll; da wurde er krank und starb. Erst seit gestern, weiß ich, daß da sein letztes Stündlein schlug; der Gemeindeschreiber von Moll, mein werthester Herr Collega, schickte mir seinen Todesschein und fügt dabei, man habe in den Taschen des armen Schulmeisters nichts gefunden, was auf die Spur des Kindes führen könnte, wonach ich, wie er wohl weiß, ohne Kisten und Kasten suche. Von dem eisernen Kistchen spricht er auch nicht. Glaubt ihr, Herr Colonel, daß der Drießens so schlecht gewesen sein könnt, dem Kinde vielleicht ein Leides zu thun, oder es in der Haide, oder im Walde zurückzulassen?«

»Oh nein, nein,« rief der Colonel. »Er war mein Lehrer, und ist stets mein Freund geblieben, mein bester Freund. Als der Vater mit dem Kinde zu ihm kam und ihm sagte, daß er nach Holland wollte, um, wie man meint, unter Pichegrü Dienst zu nehmen, bat er selbst, daß der Vater Monika bei ihm sollte in Kost thun, sowohl um seine alten Tage zu erheitern, als auch zum Besten des Kindes, welches anders unter fremde Hände gekommen wäre. Ich bin versichert, Secretarius, daß er das Kind irgendwo bei guten Leuten hat gelassen, und denen auch das eiserne Kästchen gegeben hat.«

»Das ist auch meine Meinung, Herr Colonel, und da meine Nachforschungen mich vermuthen lassen, daß Monika sich zwischen Rethy und Meerhout befinden muß, so bin ich Willens, morgen nach Moll zu gehen und alle umliegenden Dörfer und Pachthöfe zu durchsuchen.«

»Brav, Freund Secretarius, thuet also, eure Mühe wird nicht sonder Belohnung bleiben. Ich habe noch einige Tage Zeit und will sehen, ob ich euch nicht dabei helfen kann. Heute Abend schlafen wir zu Lichtaert, und morgen gegen Mittag sind wir gleichfalls bei dem Secretarius der Gemeinde Moll, um mit euch zu überlegen, was wir weiter machen sollen. Sparet kein Geld, Freund, nehmet euch einen gemächlichen Wagen und ermüdet euch nicht nutzlos. Bis morgen denn und gebe Gott einen glücklichen Ausschlag!«

Mit den Worten stand der Colonel auf, drückte des Gemeindeschreibers Hand und kehrte zur Krone zurück. Eine Stunde später trabten zwei Reiter auf der Straße hin, welche nach Lichtaert führt.

IV

Am folgenden Tage frühmorgens schon ritt der Colonel mit dem Lieutenant auf dem schlangenförmig sich windenden Haidewege gen Moll zu.

Die Sonne stand in vollem Glanze schon an dem blauen Himmel, und entsaugte der weiten Sandfläche einen unstät wankenden Nebel, der sie einem unendlichen Heerde mit farbloser Flamme nicht ungleich machte. Der eigenthümliche Duft der Haide und der Dampf der Schaddenfeuer7 füllte die Luft ringsum; die Heuschrecken sangen ihr eintönig Lied und tausend andere Thierchen spielten zwischen den Haideblumen. All dies ergriff gewaltig das Gemüth des Colonels. In solcher Luft waren ihm seine schönsten Jünglingsjahre entflohen; alles bis zum magern Grase zu, rief theure Erinnerungen in ihm auf. Das Haupt tief auf die Brust gebeugt, ritt er vor dem Andern her; der Zügel hing nachlässig an dem Pferde herab.

Mehr als eine Stunde lang ehrerbietigte der junge Lieutenant das schweigen des Colonels; dann aber spornte er sein Pferd, daß es zur Seite des andern sprang und sprach mit tröstender stimme:

»Ei Colonel, so lasset doch diese Betrübniß fahren. Ich verstehe wohl, daß ihr verlanget, euer Kind wieder zu sehen, aber ein Mann, wie ihr, der dem Feinde und dem Tode tausendmal sonder Angst ins Auge sah, der mag sich doch nicht durch einen gewöhnlichen Schmerz niederbeugen lassen.

»Gewöhnlicher Schmerz?« frug der Colonel. »In der That, Adolph, es ist ein gewöhnlicher Schmerz, aber minder tief ist er darum nicht. Sieh mal, Freund, in meinem ganzen Leben liebte ich nur einmal ein Weib. War es auch nur eine Bäuerin, dann verfolgte mich das Andenken an sie doch stets, bis auf das Schlachtfeld. Sie ist todt, die arme Barbara, doch ließ sie mir ein Kind zurück, welches sie mir um den köstlichen Preis, um den ihres Lebens schenkte. Und ich muß nun fürchten, daß dieser einzige Rest meines Glückes bettelnd umirrt, daß das Arme Hunger und Elend erduldet, während ich Mittel genug besitze, um es für ewig glücklich zu machen; ich muß mir sie denken, Rechenschaft von mir verlangend über ihr Kind . . . «

»Ei was, Colonel, ihr nehmt die Sache zu phantastisch,« fiel der Lieutenant ein. »Das ist aber das Mittel nicht, euren Schmerz zu lindern. Seht doch alles bei kühlerem Blute an. Ein Kriegsmann muß Macht genug über sich haben, sich über ein Unglück zu trösten und wäre es auch noch hundertmal größer wie dieß.«

»Meinst du denn, Adolph, man umkleide das Herz so leicht mit Eisen, wie den Körper? O da irrtest du sehr. Ich weiß, du glaubest, allem Gefühle Valet gesagt zu haben, du scheinst mir selbst stolz darauf; doch glaube ich, daß du nur dich selber täuschest. Seit sechs Jahren hast du dein Dorf verlassen, nicht wahr? Wenn nun aber, wenn in diesem Augenblick hinten am äußersten Ende des Horizontes die Hütte auftauchte, worin deine stockalte Mutter wohnt, wie dann?«

Der Lieutenant schwieg einige Augenblicke, dann entgegnete er mit beschämt niedergeschlagenen Augen:

»Ja, das würde mich doch Thränen kosten, Colonel!«

»Ah, dann wird es dir auch nicht allzuschwer werden, zu begreifen, daß ich mich ganz der frohen Hoffnung hingebe, mein Kind wieder zu finden, und daß ich Freudenthränen vergießen würde, so Gott es in meine Arme zurückführte. Hab ich doch weder Vater noch Mutter, noch Brüder, noch Verwandte. Nur ein Wesen auf dieser ganzen weiten Welt, was mit mir durch die Bande des Blutes verbunden ist, und das ist mein Kind. Ach, als die gute Barbara starb, legte sie es noch in meine Arme und ihr letztes Wort war ja: »Ach hab es doch immer lieb!«

Die Stimme des Colonels hatte sich bei den Worten so gedämpft, daß der Lieutenant ehrerbietig sein Pferd anhielt und schweigend hinterdrein ritt. Der Colonel aber bemerkte das bald, hielt im gleichen sein Pferd an, bis sie wieder nebeneinander waren, und sprach dann tief gerührt:

»Adolph, legtest du deine Hand auf mein Herz, du würdest fühlen, wie gewaltig das Blut mir durch die Adern stürmt. Wundere dich nicht, daß meine Augen so feucht schimmern, siehst du dort hinten inmitten der Wachholdersträuche die prächtige Buche am Bache? Die hörte mein erstes Liebeswort. Unter ihrem Laube hörte ein zitternd Mädchen mein Liebesgeständniß. Hier kennt Alles mich: Gras, Haide, Bach und Baum grüßt mich in stummer, rührender Sprache. Laß uns hier absteigen; ich möchte sehen, ob die Buche noch meinen und Barbara’s Namen trägt, den ich vor Zeiten einmal hineingeschnitten.«

Beide saßen ab und führten die Pferde am Zaum; am Bache angekommen, banden sie die Thiere an einem Baume an und sprangen über das schmale Wasser. Vor der Buche sanken des Colonels gefaltete Hände, sein Haupt neigte sich, und unter der Wimper hervor nur drang sein Blick auf das alte Liebeszeichen.

Plötzlich doch schrak er, wie von einem elektrischen Schlage getroffen, zusammen, und lauschte gleich nachher aufs gespannteste leisen, fernher dringenden Tönen. Der Lieutenant stutzte nicht wenig ob der Bewegung seines Obristen und schlug die Rechte an den Degen, doch ein Blick des Colonels gebot ihm Stille; er stand regungslos.

Von den Erlen her klangen jene Töne, rein wie Silber, und bald ließ sich eine Stimme, wie die eines Kindes unterscheiden, welche sang:

 
Ricketicketack,
Ricketicketu;
Eisen warm,
Hoch den Arm,
schlaget zu,
Ricketicketu.
 

Der Colonel stand so rührlos, wie da, wo das Lied begonnen; er schien auf eine zweite Strophe zu horchen, und diese folgte bald:

 
Ricketicketack,
Ricketicketu,
Stahl in Gluth,
Herz voll Muth,
schlaget zu
Ricketicketu.
 

Rasch eilte der Colonel auf den Lieutenant zu, griff ihn beim Arme und riß ihn schnell mit sich fort, indem er sprach:

»Komm, komm, Freund! Alle Nerven beben mir . . . es ist mir, als müßt ich sterben, so durchschauert hat’s mich; Barbara hat gesungen, ’s war ihre Stimme, ’s war ihr Lied! O Gott, was hast du mit mir vor!«

Nun hielt der Colonel seinen Gefährten an und zeigte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, ein Mädchen, welches am Fuße einiger Wachholdersträuche im Grase saß. Sie schien nicht zu ahnen, daß man sie bespähte, denn ihr weit geöffnetes Auge haftete starr auf der Buche, und die gebogenen Finger ihrer rechten Hand hingen an dem halbgeöffneten Munde, wie wenn sie auch das leiseste Gesumme der Haide hätte schweigen machen wollen, um einem Tone zu lauschen, der von nahe oder ferne sich zu ihr stahl.

Der Colonel that einen Schritt vorwärts; da erst bemerkte sie mit schrecken, daß ihr fremde Personen sie scharfen Blickes beobachteten. Doch verschwand ihre Furcht bald und ein unbeschreiblich inniges Lächeln senkte sich auf ihre Züge.

Von seiner Ungeduld übermannt, trat der Colonel schnell ihr nahe, kniete neben ihr nieder, nahm eine ihrer Hände in die seinen und frug bebend:

»Kind, sage mir, wie heißest du?«

»Lena,« war die Antwort.

Ein Schmerzensschrei entflog der Brust des unglücklichen Kriegsmannes und er rief, wie verzweifelnd:

»Lena? O Himmel, sie ist es nicht.«

Und helle Thränen entstürzten seinen Augen und er bedeckte sein Gesicht beiden Händen. Der Lieutenant wollte ihn von dem Boden aufheben, doch der Colonel stieß ihn sanft von sich und winkte abweisend mit der Hand.

Lena beschaute abwechselnd die beiden Männer, da bemerkte sie, daß der Knieende bitter weinte und, seine Hand fassend, sprach sie voll tiefsten Mitleidens:

»Warum seid ihr denn betrübt, Herr? Ich habe doch nichts gesagt, was euch wehe thun könnte, oder hat das Liedchen, was ich vorhin sang, euch etwa geschmerzt? Dann will ich es gewiß nicht mehr singen.«

Der Colonel war tief ergriffen bei den Worten. Schnell rieb er die Thränen aus den Augen, rückte ihr näher noch, wie zuvor, und frug ängstlich und rasch:

»Sage mir doch Kind, wer hat dich das Lied gelehrt?«

»Ich weiß es nicht,« war die leise Antwort. »Ich kann es schon lange, sehr lange, doch seit wann, weiß ich nicht.«

»Erinnerst du dich nicht, mein Kind, daß du, als du noch sehr jung warst, stets ein Geräusch hörtest, wie von Schmiedehämmern?«

Lena antwortete nicht, doch ihr Auge öffnete sich weiter, und ihre Hand rieb sinnend die schöne Stirn, als hätte sie irgend eine Erinnerung herausreiben wollen.

»Horch,« sprach der Colonel noch schneller, noch ängstlicher, »horch einmal, ob du das nicht oft gehört.«

Und er schlug mit dem Stiel der Reitpeitsche in die Hand, den Dreischlag der Schmiedehämmer nachahmend, und sang dazu:

 
Ricketicketack,
Stahl in Gluth,
Herz voll Muth,
schlaget zu
Ricketicketu.
 

Immer mehr bebte das Mädchen, je weiter das Lied fortschritt, dann rief sie, wie in freudigem Entzücken:

»Ja, ja, Ricketicketack!«

Und sie schlug in gleichem Takte, wie der Colonel, in die Hände.

»Erinnerst du dich nicht auch, Kind, daß ein Mann dich auf seinem Knie schaukelte und dich nach dem Takte darauf reiten ließ?«

Lena legte den Zeigefinger an die Lippen und schloß die Augen. Nach einem Augenblicke Schweigens sprach sie leise und wie zweifelnd:

»Der Mann . . . der Mann war . . . mein Vater.«

Der Colonel bebte an allen Gliedern; schon wollte er die Arme weit ausbreiten, um Lena in ihnen zu empfangen, doch hielt er sich zurück und frug noch:

»Sag dann mir auch Kind, heißest du wohl Lena? Bedenk dich wohl. Weißt du nicht, wie der Mann dich nannte, der dich auf seinem Knie reiten ließ?«

Lena schaute zu Boden und dachte lange nach, dann antwortete sie langsam:

»Er nannte mich liebe . . . liebe . . . liebe Monika.«

»Mein Kind! Mein Kind!« rief der Colonel, daß es weit über die Ebene scholl, – Monika lag an seiner Brust.

Sie hob ihr schwarzes Auge zu ihm auf, sie lächelte so süß; dann sank sie von Gefühlen überwältigt, kraftlos in seinen Arm.

So gingen sie, oft anhaltend, des Weges fort, bis sie in der Ferne den Hof zur Rechten sahen und nicht weiter konnten, ohne sich von ihm zu verweitern. Gewiß war es des Colonels Wille, nicht einen Fuß in das Haus zu setzen, in welchem Lena so viel Pein und Schmach gelitten hatte; vor allem scheute er den Anblick der rohen Pachterin, welche den Namen des ihr anvertrauten Kindes geändert hatte, um in Besitz des eisernen Kistchens und des darin verborgenen Schatzes zu kommen. Er zog auch mit einer Art von Ungeduld an Monika’s Hand, und trachtete durch Gespräche und Schmeichelworte ihre Aufmerksamkeit zu fesseln und von dem Pachthofe abzuwenden. Dieß läßt uns mit noch mehr Recht vermuthen, daß Monika ihm schon Alles erzählt hatte, und daß sie nur mit schwerem Herzen von dem jungen Bauern würde scheiden können, der sich ihrer, wie einer Schwester angenommen und sie so getreulich immer beschützt und beschirmt hatte. Wie viel Gutes Monika ihrem Vater auch von Jan gesagt hatte, so fühlte er doch stets noch einen geheimen Widerwillen gegen den Sohn der Quälerin seines Kindes, und am liebsten hätte er kurz und gut jede Verbindung mit der bösen Familie durch schnelle Abreise abgebrochen.

Trotz der Sorgfalt ihres Vaters aber riß sich Monika plötzlich aus seinen Armen, wandte das Gesicht dem Hofe zu und blieb sprachlos also stehen.

Der Colonel überließ sie einen Augenblick ihrer Rührung, die ihm ein Lebewohl an all ihre frühern Erinnerungen schien; bald aber sah er glänzende Thränen aus ihren Augen brechen und sprach:

»Kannst du, liebe Monika, dich über deine Entfernung aus einem Hause betrüben, wo dir so viel Böses gethan wurde?«

»Wird er nicht sterben?« seufzte sie.

»Denke nicht daran, Kind. Deine Entfernung wird ihn wohl in etwa betrüben, doch er wird sich schon bald trösten und dich vergessen.«

Eine eigne Gluth brannte aus Monika’s Auge.

»Mich vergessen?« rief sie. »Er, seine Schwester vergessen? Nie, nie. Ach, säh ich ihn doch nur einmal! . . . Ach da ist er! Jan! Jan!«

Und, einer verfolgten Hindin gleich, flog sie über die Haide hin bis zu dem jungen Bauern, den sie in der Ferne zwischen den Erlen vorübergehen gesehn hatte. Mit offenen Armen stürzte sie auf ihn zu, doch nicht fröhlich; eher lag ein tiefer Schmerz in ihrer Stimme, als sie sprach:

»Jan, ich gehe weg, weit, weit von hier.«

Der Jüngling betrachtete sie erstaunt und schien sie nicht zu verstehen. Sie aber wies die Haide hinauf und sagte:

»Sieh, da hinten kommt mein Vater. Das war die Stimme, welche stets in mir sprach.«

Der junge Bauer bebte erschrocken zusammen und seine Kniee schlotterten, als sein Auge auf den Colonel traf; sein Unglück schien in ganzer Größe vor ihm aufzutauchen. Von dem Vater ab wandte er das trübe Auge dann zu Monika, griff krampfhaft fest den Stamm einer nahen Erle, und lehnte Haupt und Schulter daran. Monika verstand den Schmerz, der ihn durchzuckte; sie schlang ihre Arme um seinen Hals, hob sanft sein Haupt von der Erle ab und drückte, zum erstenmale in ihrem Leben, einen glühenden Kuß auf seine Stirne, während ihre Thränen seine Wangen überflossen.

»Jan, Jan,« rief sie; »o sei nicht betrübt, mein guter Bruder, ich will ja noch zurück kommen.«

Diese Beweise ihrer Liebe beruhigten den Jüngling mehr; er blickte mit stillerem Schmerz auf sie hin, die noch immer einen Arm um seinen Hals geschlungen hatte, da unterbrach der Colonel durch seine Ankunft die drohenden Ergüsse ihrer beiderseitigen Gefühle. Er sah in all dem nur die Freundschaft zweier Kinder und lächelte freundlich dazu. Dem jungen Bauern näher tretend, faßte er seine Hand und sprach:

»Ich danke dir, Jan Daelmans, für alles Gute, was du an meinem Kinde gethan. Hast du je einen Beschützer nöthig, mein Sohn, dann findest du ihn in mir. Wir gehn nach Moll. Nun sei nur nicht betrübt über das Glück deiner Schwester Monika, das wäre nicht gar schön von dir. Komme gleich nach Moll in den Adler, da können wir noch lange zusammen sein. Ich muß dir aber doch ein kleines . . . «

Mit den Worten drückte er ihm einige Napoleonsd’or in die Hand; statt zu danken, blickte der junge Bauer ihn eher aufgebracht an, und schien selbst nicht bemerkt zu haben, was vorgegangen war.

»Komm nur, Monika,« fuhr der Colonel dann zu seiner Tochter gewendet fort, »wir müssen uns eilen. Für jetzt tröstet euch immerhin noch, denn in Moll könnt ihr noch lange genug zusammen sein.«

Mit feuchtem Auge faßte Monika Jan’s Hand und sprach, langsam sich entfernend:

»Bis gleich denn, Jan, bis gleich!«

Der junge Bauer schlug das Auge nieder und stand eine Weile regungslos da. Als er wieder aufblickte, war der Colonel mit Monika bereits lange hinter den Erlen verschwunden. Jetzt erst fühlte Jan etwas schweres in seiner Hand; er betrachtete die Goldstücke mit verachtendem Lächeln und warf sie weit von sich über die Haide hin. Dann sank er an dem Baume nieder und barg das Gesicht in der Hand.

V

Noch eine Stunde, und die Sonne übergießt die Haide mit ihren Strahlen; bereits ist sie im Steigen; das Dunkel weicht schon gen Westen zurück; ein geheimnißvolles, leises Gesumme verkündet schon das Erwachen der Natur.

In der Kammer des einsamen Hofes setzt die alte Uhr ihr Ticken ruhig fort; die dumpfe Stille der Nacht herrscht noch ganz daselbst; der Heerd ist kalt.

In der halbdüstern Ecke der Kammer steht ein Spinnrad, dessen Rocken noch voll des feingehechelten Flachses hängt, dessen Faden ungebrochen ist, wie wenn die Spinnerin es eben just verlassen hätte.

Zwei oder drei Schritte davon sehen wir die unbestimmten Umrisse einer Menschengestalt; es ist ein junger Mann, der niedersitzend das Spinnrad mit eigenem Ausdrucke besieht. Die Arme auf der Brust gefaltet, das Haupt gebeugt, irrt sein Auge von dem Rade zu dem nahen Stuhle, und von dem Stuhle wieder zu dem Rade. Seine Züge tragen den Stempel tiefster Betrübniß; wie gedämpftes Feuer strahlt es aus seinen Augen, wie wenn die Verzweiflung in seinem Herzen sich gefestet hätte, und doch irrt zuweilen ein Lächeln über seine Lippen. Wer ihn so dasitzen gesehen, der hätte glauben können, daß an dem Spinnrade etwa eine, dem Auge Anderer unsichtbare Spinnerin säße, mit welcher der Andere ein Augenzwiegespräch führte. Leise Töne, so leise, daß sie die Stille der Nacht nicht brechen, schweben durch die Kammer; der Jüngling legt den Finger an den Mund und er scheint zu horchen, obgleich er selber es ist, der bewußtlos singt:

 
Ricketicketack,
Ricketicketu,
Eisen warm,
Hoch den Arm,
schlaget zu,
Ricketicketu.
 

Nun steht er auf, nimmt einen Stab aus der Ecke und verläßt mit langsamen schritten die Kammer. Träumerisch geht er längs den Erlen hin und zerpflückt lächelnd Haideblumen. Am Rande der Landstraße schaut er über die Haide hin nach den kleinen Hügeln, die unfern sich erheben; Thränen drängen sich ihm in’s Auge, er setzt sich nieder und weint bitter.

Nach einigen Augenblicken erhebt er sich wieder und tritt näher zu der hohen Buche, neben welcher kleine Wachholdersträuche im Morgenwinde wanken. Selbstvergessen steht er da und horcht, wie wenn eine geheime Stimme aus dem Baume zu ihm spräche; ein leiser Sang drängt sich aus seiner Brust und enttropft Wort für Wort seinen Lippen:

 
Ricketicketack,
Ricketicketu,
Eisen warm,
Hoch den Arm,
schlaget zu
Ricketicketu.
 

Auch der Traum ist zu Ende, auch die Buche verläßt er und schreitet die Haide entlang. Er erklimmt einen hohen Sandhügel; oben steckt er den langen Stab vor sich hin, lehnt die Schulter dran, schlägt den rechten Arm darum und steht, halb gestützt darauf, bewegungslos, wie ein steinern Bild. Sein Auge haftet auf einem erblauenden Punkte, von dem aus der schlangenförmige Haideweg sich krümmt bis er neben dem Sandhügel verschwindet.

Was nur mag er erwarten? Was hofft er, das der Haideweg ihm bringen könne? Zu wem hin führt der Morgenwind, die Seufzer, die so schmerzlich aus seiner Brust aufsteigen? Horch, er sagt es selber, denn der Seufzer wird zum Worte, zu einem in Liebe und Pein ausgesprochenen Namen: »Lena! . . . Monika!«

Hinter ihm besteigt eine Bauerndirne den Sandberg; ihm nahe gekommen, ruft sie ihm heftig zu:

»Jan, du sollst nach Haus kommen!«

Der junge Bauer springt auf und blickt sie recht bitter an, doch werden seine Züge gleich schnell wieder ruhig und fast gleichgültig; er steigt den Hügel herab und sagt:

»Nun, ich komme, Schwester.«

Während er ihr gesenkten Hauptes folgt, fährt sie in gleichem Tone fort, wie sie eben begonnen hatte:

»Das ist mir ein schön Leben, was du führst. Mit all den dummen Grillen. Du denkst wohl, daß du dein täglich Brod mit Träumen verdienen kannst. Das ist nun seit drei Monaten eben so geck, als die faule Len, die mit ihrem Vater, wie die Leute sagen, weg ist. Hast ihr die Narrethei schön abgelernt. Das steht ja von Morgens bis Abends in naß und trocken auf dem Sandberg und gafft nach den Krähen. Ich würd mich schämen. Läßt unsre kranke Mutter im Bett keifen und gehst deinen närrischen Gang. Sollst wohl den Hof noch in den Grund bringen, uns aufs Stroh und dich nach Gheel.8

Jan antwortete nicht auf all diese Verweise; erschien selbst sie nicht zu hören. Er ließ seine Schwester fortplaudern, ohne sich im Mindesten darüber zu ärgern, und folgte ihr gleichgültig zu dem Hofe.

7.Schadden sind Rasen von kleinem Haidekraut, welche mit einem Spaten abgestochen und wie Torf gebrannt werden. Sie verbreiten einen eignen Geruch, der bei günstigem Wetter in sehr großer Entfernung schon die Nähe der Haiden verkündet. Wer einmal in dem Kempnerlande wohnte, wird, und wäre er zwanzig Jahre anderswo gewesen, den Geruch gleich wiedererkennen.
8.Ein Dorf in dem Kempnerland, wohin man die Geisteskranken zur Genesung sendet.
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0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
260 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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